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DJ Jamison

Dringende Hilfe
Hearts & Health Band 3

Aus dem Englischen von Florentina Hellmas

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2021

http://www.deadsoft.de

© the author

Titel der Orginalausgabe: Urgent Care (Hearts & Health)

Übersetzung: Florentina Hellmas

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© Fred van Diem – shutterstock.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-435-3

ISBN 978-3-96089-436-0 (epub)

Inhalt

Zwölf Jahre zu spät …

Xavier James ist geschockt, als er ausgerechnet in die Arme des Mannes rennt, der ihm als Erster das Herz gebrochen hat. Und sein Ex-Boyfriend sieht heißer aus als früher, aber Xavier hat nicht vor, den gleichen Fehler noch einmal zu begehen.

Es ist niemals zu spät, noch einmal von vorn anzufangen …

Dr. Trent Cavendish weiß, dass er einen großen Fehler gemacht hat, als er seine große Liebe mit 18 Jahren verließ. Als er seinen Freund plötzlich nach 12 Jahren wiedersieht, wird ihm klar, wie leer sein Leben ist. Kurzerhand nimmt er eine Stelle an der Klinik in seinem Heimatort an, um Xavier nahe zu sein. Doch aus dem süßen Jungen, den er kannte, ist ein begehrenswerter Mann geworden. Und Xavier misstraut dem „neuen“ Trent Cavendish.

Kapitel 1

Juni

Xavier tauchte in die feuchte Hitze des Club Eros ein und fühlte sofort den dumpfen Bass der Musik durch seine Beine bis zu seinem Schwanz hoch vibrieren.

Er lief auf Hochtouren und hatte an diesem Abend bereits alle Register gezogen. Denn er hatte es dringend nötig, flachgelegt zu werden. Je schneller, desto besser. So gestresst wie er war, waren seine Schultern selbst jetzt noch angespannt. Er ließ sie kreisen, um sie zu lockern, und schlenderte zur Bar.

Er war sich seines Hüftschwungs sehr wohl bewusst und auch der Blicke, die er auf sich zog, und wollte das möglichst gut nutzen. Wenn er schnell einen Fick finden konnte, würde er sogar noch genug Schlaf bekommen, bevor er am nächsten Morgen um acht zur Arbeit musste. Gefolgt von Unterricht an der Krankenpflegeschule, Laborstunden und familiären Verpflichtungen. Das Böse schlief nie.

Es war immer noch Sommer und Xavier hatte sich entschlossen, seine feminine Seite zu unterstreichen. Die meisten Männer überraschte das, denn Xavier war keinesfalls zierlich. Seine Arme und Schultern waren trainiert, weil er in seinem Job als Landschaftsgärtner Dünger schleppte und Bäume pflanzte. Ganz zu schweigen davon, dass er im Alleingang alle Wartungsarbeiten am Haus seiner Familie durchführte, das um seine Großmutter herum praktisch auseinanderfiel, während sie jeden Sonntag Abendessen machte.

Er trug enge weiße Shorts, die durch den Kontrast zu seiner dunklen Haut geradezu leuchteten. Dazu ein hellblaues ärmelloses Top, das seine Muskeln zur Geltung brachte. Er hatte nur einen Hauch Makeup aufgetragen, nichts Übertriebenes. Sein Haar trug er ausnahmsweise offen. Es fiel auf seine Schultern und streifte seine nackte Haut.

Die Mischung aus Erstaunen und Erregung, mit der er gemustert wurde, ließ ihn grinsen. Die sanften, femininen Details betonten seine natürliche Männlichkeit und die Leute waren manchmal unsicher, was sie mit ihm anfangen sollten. Im Alltag tat er nichts dergleichen, dazu war sein Leben zu gewöhnlich und er war zu sehr in sozialen Normen gefangen, um das auch nur in Betracht zu ziehen. Aber es fühlte sich gut an, sich in Szene zu setzen, wenn er ausging. Eros war ein relativ sicherer Ort dafür. Wobei kein Ort wirklich sicher war. Der schwule Nachtclub war fast eine Autostunde entfernt, aber das war es wert. Anders als in einigen der schäbigeren Bars in seiner Nähe gab es im Eros eine gesunde Mischung aus jung und alt, heiß und durchschnittlich, extrem und alltäglich. Twinks mit Netzshirts und hautengen Hosen tanzten neben kräftigen Typen in normalen Jeans und T-Shirts.

Er hielt an der Bar und bestellte einen Vodka Cranberry. Eigentlich mochte er keine Cocktails. Etwas Hochprozentiges wäre ihm lieber gewesen, aber er musste am nächsten Morgen arbeiten. Außerdem war das Getränk ohnehin mehr ein Requisit, das zu seinem Image für diese Nacht passte. Es war lächerlich einfach, einen Kerl zu finden, der toppen würde. Er musste jemanden nur lange genug anstarren und sie wären sich einig. Umgekehrt war es schon schwieriger. Viele Jungs fanden ihn einschüchternd, manchmal aufgrund seiner Größe, manchmal aufgrund seiner Hautfarbe. Er war mixed race, hatte einen schwarzen und einen weißen Elternteil, aber die meisten Menschen sahen nur eine Seite von ihm und reagierten darauf. Rassismus nahm mitunter die sonderbarsten Formen an, manchmal unabsichtlich, aber er war immer noch da.

An diesem Abend wollte er passiv sein. So gut es sich auch anfühlte, jemanden durchzuficken, nichts entspannte seine Muskeln so wirkungsvoll wie das Eindringen in seine intimsten Orte. Und er brauchte das. Also hatte er seine weibliche Seite betont. Das war immer eine unterhaltsame Ablenkung und hatte den zusätzlichen Vorteil, dass es ihn für Männer, die gerne toppten, zugänglicher machte.

Xavier nippte an seinem Drink und schauderte beinahe, als sich der süße Geschmack auf seiner Zunge verteilte. Er stellte das Glas ab und rührte mit dem Strohhalm um. In dem Spiegel über der Bar konnte er beobachten, wie sich ein Mann näherte. Er war groß und schlank. Seine Jeans und sein T-Shirt brachten Brust und Schenkel genau richtig zur Geltung. Sein Haar war dunkel, was schon immer Xaviers Geschmack gewesen war. Auf den ersten Blick sah er ein bisschen wie Xaviers Mitbewohner aus. Das war etwas seltsam, aber er konnte nicht leugnen, dass Zane verdammt sexy war.

Das sieht vielversprechend aus. Vielleicht bekomme ich heute Nacht sogar noch acht Stunden Schlaf, es sei denn, er ist ein Tier im Bett.

Als der Mann näher kam, senkte Xavier den Blick. Er wollte nicht zu eifrig erscheinen. Er fühlte die Wärme eines anderen Körpers hinter sich und eine Hand, die sich auf seinen Rücken legte. Die Hand des Fremden wanderte seine Wirbelsäule entlang nach oben zu seinem Nacken und verursachte ein Prickeln. Der Typ war ganz schön anmaßend, aber es war erregend.

„Du bist ein verdammtes Juwel, weißt du das?“, flüsterte der Typ und sein Atem streifte Xaviers Ohr.

„Und du trägst ganz schön dick auf.“ Xavier konnte ein schnaubendes Lachen nicht unterdrücken.

Der Mann beugte sich näher zu ihm. „Ich hole mir nur, was ich will, und ich entschuldige mich nicht dafür.“

Die Worte hätten sexy sein sollen. Aber Xavier drehte den Kopf und sah das Gesicht des Kerls, der ihn anbaggerte. „Nein, eindeutig nicht“, antwortete er kalt.

Trent Cavendish erstarrte. Er sah überwältigt aus. Ein Ausdruck, den Xavier seit mehr als zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Genau genommen hatte er gar keinen Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen, seit er ihn vor so vielen Jahren verlassen hatte.

Trents Überraschung legte sich schnell und in seinen Augen schimmerte Lust, während sein Blick Xaviers Körper scannte.

„Fuck, Baby“, flüsterte Trent, seine Stimme rau.

‚Fuck‘ war der richtige Ausdruck. Er zog das Pech wirklich an, dass ihm ausgerechnet sein Exfreund von der Highschool über den Weg laufen musste. Der Typ, der ihm das Herz herausgerissen, darauf herum getrampelt war und dabei noch seine Familie und seine Prinzipien beleidigt hatte. Zwölf Jahre hatten den Schmerz gedämpft, aber nicht den Zorn.

Xavier zuckte zurück und zischte ärgerlich, als Trents Finger sich in seinem Haar verfingen und daran zogen.

„Tut mir leid“, murmelte Trent.

Sein Ex vibrierte vor Spannung, ließ seine Finger aber locker und zog sie vorsichtig zurück. Sie glitten aus Xaviers Haar und tanzten einen Moment länger als nötig über die erhitzte Haut in seinem Nacken, ehe er sie ganz wegnahm.

„Darf ich dich zu einem Drink einladen“, fragte Trent, als gäbe es da keinen Berg von Altlasten zwischen ihnen. Das machte Xavier nur wütender. Warum verhielt sich das Arschloch so, als wäre es ihm egal, dass Xavier wieder in seinem Leben aufgetaucht war? Als hätte er nicht etwas Gutes … Nein, etwas Großartiges weggeworfen, ohne sich noch einmal umzudrehen?

„Jetzt hör mir mal gut zu, du Hurensohn“, knurrte er.

Trent zog die Augenbrauen hoch und Xavier spürte einen Hauch von Schuldgefühlen. Er hatte Trents Mutter kennengelernt. Es war nicht richtig, ihn so zu nennen.

„Okay, dann nicht Hurensohn, das ist nicht wahr. Aber Scheißkerl, Vollidiot, Arschloch … Such dir etwas aus.“

„Arschloch, schätze ich?“

Xavier verdrehte die Augen, weil Trent amüsiert klang.

„Na schön, das eher nicht. Denn unter den richtigen Umständen mag ich Arschlöcher.“

Trent grinste. „Aber heute Nacht willst du keines. Richtig?“

Der Scheißkerl hatte ja sowas von recht.

Noch ehe Xavier sich eine Antwort ausdenken konnte, packte Trent ihn am Handgelenk und zog ihn zur Tanzfläche. Ihre Getränke blieben vergessen an der Bar zurück.

„Was zum Teufel soll das?“

„Tanz einfach mit mir.“

„Du kannst mich mal!“

„Gott, bitte, ja, jederzeit“, antwortete Trent und schob Xavier an den Hüften vorwärts.

So sehr Xaviers Mund auch protestierte, er konnte seinen Körper nicht dazu bringen, ihm zu gehorchen. Er bewegte sich mit Trent mit, ihre Körper verfielen in ein vertrautes Muster und ihre Hüften wiegten sich synchron. Trent war voller Gegensätze. Dunkles Haar fiel in seine Stirn und flatterte um blaue Augen, die von langen Wimpern umrahmt waren. Die Bartstoppeln an seinem markanten Kinn hoben sich von seiner blassen Haut ab. Er war Licht und Schatten und seine Augen und Lippen bildeten Farbtupfer. Xavier konnte nicht leugnen, dass er verdammt sexy war.

 

In den Jahren seit ihrer Trennung war Trent nur noch attraktiver geworden. In der Highschool war er dünn und schlaksig gewesen, mit einem kindlich runden Gesicht. Schlank war er immer noch, aber er hatte eindeutig an seinem Körper gearbeitet und seine Muskeln bewegten sich beim Tanzen unter seinem Shirt. Auch sein Gesicht war reifer geworden. Es ließ ihn im besten Sinn älter aussehen. Ein heißer Typ in der Blüte seines Lebens.

Sein Ex strahlte Selbstvertrauen aus, wie er es schon immer getan hatte. Selbst als Teenager war er sich seiner Zukunft so sicher gewesen. Inzwischen war er zweifellos der Chirurg, der er hatte werden wollen.

Xavier dagegen blieb zu Hause, um seine Familie zu unterstützen und Bäume zu pflanzen. Vielleicht hatte Trent damals recht gehabt, seine Prioritäten zu hinterfragen. Er war dreißig und erst jetzt in seinem letzten Jahr auf der Krankenpflegeschule.

„Ich kann es nicht glauben“, sagte Trent und deutete Xaviers Körper entlang. „Du bist so heiß.“

Ein Flattern in seinem Bauch warnte Xavier, dass es Zeit für den Rückzug war. Er wollte seinem Ex zeigen, was er verpasst hatte, statt es ihm auf einem Silbertablett zu servieren.

„Zu dumm, dass ich ein Versager ohne Ambitionen bin“, sagte Xavier, auch um sich selbst daran zu erinnern, warum es eine furchtbare Idee wäre, mit Trent ins Bett zu gehen. Es würde das letzte Bisschen Stolz zerstören, das er noch hatte.

„Ach sei doch nicht so“, sagte Trent mit einem verführerischen Lächeln.

Arschloch.

Xavier fand die Kraft, sich loszureißen. Er drehte sich um und drängte sich durch die tanzenden Körper und an den Paaren an der Bar vorbei zum Ausgang. Er war nicht länger in der Stimmung, jemanden abzuschleppen. Sein Ex hatte ihm die ganze Nacht versaut.

Verdammt, ich hätte dringend etwas Stressabbau gebraucht. Jetzt bin ich noch angespannter als vorher.

Beim Ausgang holte Trent ihn ein. „Warte, Xav!“

„Was?“, fragte er zornig und brauchte seine ganze Selbstbeherrschung, um nicht zu schreien. Oder Trent eine zu scheuern. Aber er war knapp davor.

„Komm mit zu mir.“

„Verpiss dich.“

„Dann auf einen Kaffee. Wie wäre es mit Kaffee?“

Trents Stimme klang nicht mehr sexy und seine Augen sahen Xavier fast flehend an. Aber das konnte nicht sein. Er wollte Xavier nur in seine Sexfalle locken.

„Wir können uns austauschen. Ich weiß gar nichts mehr von dir.“

Xavier schnaubte. „Ich bin kein Arzt und ich werde nie einer sein. Das war alles, was dich interessiert hat, als wir achtzehn waren, das ist auch alles, was du jetzt wissen musst.“

„Komm schon, Xav. Sein ein bisschen nachsichtig mit mir.“

Wohl kaum. Trent hatte auch keine Nachsicht mit ihm gehabt, als Xavier seinen Verpflichtungen gegenüber seiner Familie den Vorzug vor einem gemeinsamen Studium mit seinem Freund gegeben hatte. Nein, er war gegangen und genau das hatte Xavier jetzt auch vor.

Er drückte die Tür auf und trat in die frische Abendluft, die sich nach dem stickigen Inneren des Clubs angenehm kühl anfühlte. Er holte tief Luft und der Geruch von Abgasen und Alkohol ersetzte den Dunst aus Schweiß und Pheromonen, die ihm das Gehirn vernebelt hatten. Mit einem freieren Kopf machte er sich auf den Weg zu seinem verbeulten 1998er Honda Accord, mit Rost an den Kotflügeln und einer andersfarbig lackierten Tür auf der Fahrerseite. Kein Zweifel, Trent würde sein Auto ebenso mangelhaft finden wie seinen Lebenslauf. Scheiß auf ihn.

Er stieg ein, steckte den Zündschlüssel ein und zuckte zusammen, als Trent ans Fenster klopfte. Er drehte den Schlüssel so weit, dass er das Fenster gerade ein paar Zentimeter öffnen konnte.

„Entwickelst du dich zum Stalker? Muss ich mir Sorgen machen?“

Trent lächelte. Ein wenig schief und viel zu charmant für einen Typen, den Xavier so viele Jahre gehasst hatte.

„So, wie unsere Beziehung geendet hat, das war …“ Er brach ab, weil er scheinbar nicht die passenden Worte fand. „Ich möchte es wieder gut machen. Besser sogar.“

Xavier startete den Motor. „Du verschwendest deine Zeit.“

„Ich habe einen Job in Ashe angenommen. Was glaubst du, warum ich zurückgekommen bin?“, sprach Trent lauter, um den Motor zu übertönen. „Wegen des Geldes jedenfalls nicht.“

„Du hast eine Familie in Ashe.“

„Meine Eltern sind vor drei Jahren nach Florida gezogen.“

Xavier starrte leer vor sich hin, bis Trent leise fluchte.

„Deinetwegen, Xavier. Ich bin zurückgekommen, um zu sehen, ob wir es noch einmal miteinander versuchen könnten. Oder uns wenigstens versöhnen, weißt du?“

Es war zu viel. Xavier war sauer, traurig, gestresst und so verdammt müde. Die Krankenpflegeschule mit dem Unterricht, den Laborstunden und dem Praktikum an der Klinik war auch ohne einen Teilzeitjob und eine Familie, die seine Unterstützung brauchte, kein Zuckerschlecken. Selbst wenn er Trent hätte zuhören wollen, hätte er nicht die nötige emotionale Energie. Und er wollte nicht.

Die Emotionen zogen seine Brust zusammen und er war entschlossen, es Trent nicht zu zeigen. Er brachte die leise, zweifelnde Stimme in seinem Kopf zum Schweigen, die vielleicht sagte. Vielleicht hatte Trent sich geändert. Vielleicht war er jetzt ein besserer Mensch.

Vielleicht wäre er toll im Bett. Nein, das war kein Vielleicht. Das wusste er aus Erfahrung und damals war Trent eine unerfahrene Jungfrau gewesen.

Nein. Xavier schob diesen Gedanken weg. Wenn Trent wirklich seinetwegen zurückgekommen war, dann gab es keinen Grund, warum sie einander zufällig in einem schwulen Nachtclub über den Weg laufen würden. Trent hatte vielleicht nicht seine Adresse oder Telefonnummer, aber er wusste, wo Xaviers Großmutter lebte. Er war in ihrer Schulzeit oft genug zu Besuch gewesen. Xavier kaufte Trent die Geschichte nicht ab, die er ihm da auftischte.

Er wollte nur einen Fickpartner. Womöglich auch in Erinnerungen schwelgen. Keinesfalls war Trent Cavendish, Doktor Trent Cavendish inzwischen, nach Ashe in Kansas zurückgekehrt, um wieder mit seiner ersten Liebe zusammen zu sein. Sowas passierte nicht.

Xavier legte den Gang ein. „Wie gesagt, verschwende nicht deine Zeit.“

Er drückte das Gaspedal durch, düste aus dem Parkplatz und ließ den ersten Mann, den einzigen Mann, den er je geliebt hatte, zurück.

Kapitel 2

November

Ach du Scheiße.

Xavier stoppte seinen Laufschritt und starrte geradeaus. Er war ohnehin spät dran. Nur mit Mühe war er seinem Gärtnereijob entkommen und die Beschwerden seines Vorarbeiters, dass sein Stundenplan so begrenzt war, klangen noch in seinen Ohren nach. Aber er erstarrte, als er am anderen Ende des Flurs Dr. Trent Cavendish sah, wie er mit der Krankenschwester sprach, die für Xavier verantwortlich sein würde, während er an der Poliklinik sein Praktikum absolvierte. Der weiße Mantel stand ihm gut.

Trent entdeckte ihn und drehte sich mit einem erstaunten Ausdruck in seine Richtung.

„Hi“, sagte er, als Xavier zögernd näherkam. „Bist du hier, um mit mir zu reden? Ich ziehe hier noch ein paar Stunden meine Runden.“

Xavier war sprachlos. Er hatte nie im Leben damit gerechnet, seinen Ex im Ambulatorium zu treffen. Ihm war klar gewesen, dass Trent ihm irgendwann über den Weg laufen würde, wenn er Praxisstunden in den diversen Abteilungen des Krankenhauses leistete. Er hatte angenommen, dass diese unangenehme Begegnung in der Chirurgie passieren würde, nicht hier.

„Arbeitest du hier oder ist das eine Konsultation?“, fragte Xavier.

Er ist sicher nur für eine chirurgische Konsultation hier …

„Ich bin als Allgemeinmediziner hier tätig.“

„Aber …“

Als Trent sein Medizinstudium begonnen hatte, war er Feuer und Flamme gewesen, Chirurg zu werden. Er war ehrgeizig und entschlossen. Die frei zugängliche Ambulanz, die das Krankenhaus vor einem Jahr eröffnet hatte, nachdem das Hauptambulatorium der Gemeinde wegen des Verdachts auf Versicherungsbetrug in Misskredit geraten war, war so ziemlich der letzte Ort, an dem Xavier ihn erwartet hätte.

„Hast du hier einen Termin, Xavier?“, fragte Trent, der seine Verwirrung falsch interpretierte. „Dann musst du am Empfang einchecken.“

„Oh, du bist Xavier!“ Die Krankenschwester mit dem Namensschild Hayleigh lächelte ihn an. „Ich habe dich erwartet. Das Schwesternzimmer ist gleich da hinten“, sagte sie und deutete über ihre Schulter.

„Du arbeitest hier?“, fragte Trent überrascht.

Xavier hatte nicht genug Zeit gehabt, um seine Jeans und seine Jacke gegen den Kittel zu tauschen, den er im Krankenhaus trug. Dazu schleppte er einen Rucksack mit seinem Laptop und einem Haufen Bücher herum, die er am Abend für den Unterricht brauchen würde. Also konnte er Trent keinen Vorwurf für das Missverständnis machen, aber der ganze Groll der Vergangenheit kam wieder hoch und brachte ihn auf die Palme.

„Xavier ist unser Azubi“, sagte Hayleigh. „Ich glaube, ich habe erwähnt, dass wir heute einen erwarten.“

„Ja richtig.“

„Ich kann ja nicht immer als Landschaftsgärtner arbeiten“, sagte Xavier angespannt. Du wirst am Ende für den Rest deines Lebens Rasen mähen. Trents zornige Worte bei ihrer Trennung vor all den Jahren hallten aus Xaviers Erinnerung.

Trent zuckte zusammen. Er erinnerte sich offenbar auch an die Worte, die er Xavier entgegen geschleudert hatte, als sie beide achtzehn waren.

Hayleigh bemerkte die Spannung zwischen ihnen nicht. „Hast du dort solche Arme bekommen? Solche Muskeln sieht man nicht an vielen Krankenpflegern oder auch bei Ärzten. Die werden sicher gut ankommen.“

Xavier musste über Trents entrüsteten Blick beinahe lachen. Er wusste nicht, ob es daran lag, dass Hayleigh unterschwellig mit ihm flirtete, oder daran, dass sie angedeutet hatte, der Rest der Belegschaft, Trent eingeschlossen, wäre irgendwie mangelhaft ausgestattet. In jedem Fall genoss er es, Trent zu ärgern.

„Ich sollte meine Sachen verstauen, damit ich anfangen kann“, sagte Xavier. Er streckte Trent die Hand hin, als würden sie einander zum ersten Mal begegnen. „Ich freue mich darauf, mit Ihnen zu arbeiten, Doktor Cavendish.“

Xavier war stolz auf sich, weil er so cool geblieben war. Er war vielleicht kühl und distanziert, aber er war wenigstens nicht leicht rumzukriegen. Seine Freunde behaupteten, er sei übertrieben nachgiebig. Aber wenn Trent seine Vergebung wollte, würde er dafür arbeiten müssen.

Trent spielte mit und ergriff seine Hand. Xaviers Arm kribbelte von der Berührung. Die Chemie zwischen ihnen war noch da, aber das hatte er schon gewusst, als Trent ihn im Sommer in dem Nachtclub berührt hatte.

„Es ist gut, dich zu sehen, Xavier. Lass mich wissen, wenn ich etwas tun kann, um deine Zeit bei uns angenehmer zu gestalten.“

Sein Ton war neutral, aber Xavier konnte nicht umhin, zwischen den Zeilen zu lesen. Er senkte den Blick und kämpfte dagegen an, rot zu werden. Er war noch nie so dankbar gewesen, dass sein Hautton wenig davon zeigte.

„Danke“, murmelte er, bevor er sich verdrückte, um seine Sachen wegzupacken und danach mit Hayleigh Patienten aufzusuchen.

Trents Reaktion auf sein abweisendes Verhalten verwirrte und verunsicherte ihn. Statt den Köder zu schlucken, hatte er seltsam aufrichtig geklungen, als er Xavier seine Hilfe angeboten hatte. Das war nicht der Trent von vor zwölf Jahren, an den er sich erinnerte.

Am Tag ihrer Abschlussfeier war es unter der Sonne von Kansas sengend heiß gewesen. Und unter ihren akademischen Hüten und Umhängen ihrer Highschool. Xavier und Trent stahlen sich vom Sportplatz davon, auf dem die Feier stattgefunden hatte, um einen Moment allein sein zu können. Trent wollte ihn küssen, aber Xavier hielt es kurz. Sie mussten reden und das würde nicht passieren, wenn sie zu knutschen anfingen.

„Ich muss dir etwas sagen“, stellte Xavier nachdrücklich fest.

„Was?“, fragte Trent mit einem Lächeln. In Gedanken war er offenbar schon ein paar Schritte weiter, als er eine Hand auf Xaviers Taille legte.

 

„Ich kann in diesem Herbst nicht mit dir aufs College gehen.“

Trent trat zurück. „Was? Warum?“

„Meine Familie braucht mich. Twaylas Mann hat sich abgesetzt und du weißt doch, dass sie zwei kleine Kinder hat. Und Großmutter hat nach einem Ohnmachtsanfall gerade erst die Diagnose bekommen, dass sie Diabetes hat. Vielleicht nächstes Jahr …“

„Soll das ein Witz sein, Xavier? Wir reden hier über dein Leben! Dass deine Schwester mit irgendeinem Arschloch zwei Kinder in die Welt gesetzt hat, ist nicht dein Problem. Was ist mit deiner Zukunft? Was ist mit mir?“

„Mit dir?“

Trent schubste ihn. „Ja, mit mir, deinem Freund? Ich dachte, wir ziehen das zusammen durch. Ich dachte, wir wollen dasselbe.“

„Das tun wir auch!“, sagte Xavier und fühlte sich schuldig. „Es ist ja nicht für immer, Trent. Aber ich kann jetzt gerade nicht weg. Sie brauchen mich.“

„Ich brauche dich auch, aber ich schätze, das ist nicht so wichtig wie die falschen Entscheidungen deiner Schwester.“

„Lass meine Schwester aus dem Spiel.“

„Verdammt, Xavier! Du wirfst deine Zukunft weg und wirst am Ende für den Rest deines Lebens Rasen mähen. Wenn du das willst, dann bleibt für uns nicht viel übrig, nicht wahr? Du bist einfach nur ein weiterer Kleinstadtersager, der keine Ambitionen hat. Und ich date keine Verlierer.“

„Das glaube ich jetzt nicht …“ Xaviers Stimme versagte. Er biss die Zähne zusammen und kämpfte gegen die Emotionen an, die aus ihm heraussprudeln wollten. „Ich liebe meine Familie und sie brauchen mich. Was hat das alles für einen Sinn, wenn man die Menschen, die man liebt, einfach im Stich lässt?“

„Aber du lässt mich im Stich, nicht wahr? Du lässt all deine Pläne im Stich. Unsere ganze Beziehung war eine Lüge. Alles, was wir einander versprochen hatten.“ Trent brach ab und fuhr sich frustriert durch die Haare. „Vergiss es einfach. Wenn du aussteigst, bin ich auch draußen.“

„Komm schon, Trent, wir können doch für ein Jahr eine Fernbeziehung führen. Und dann vielleicht …“

„Vielleicht?“, fauchte Trent. „Du stellst auch schon das nächste Jahr in Frage? Nein, Xavier. Genau so kommen Leute nie aus Kleinstädten raus. Ich werde nicht warten. Es ist jetzt oder nie.“

„Ich schätze, dann ist es nie“, flüsterte Xavier.

„Sieht so aus.“

Xavier schüttelte die Erinnerung ab und steckte seine Sachen in einen Spind. Er musste sich auf wichtigere Dinge als Trents Verhalten konzentrieren. Er konnte immer schon sehr charmant sein, wenn er etwas wollte. Und er hatte sehr direkt gesagt, dass er mit Xavier Sex wollte, als er ihn vor Monaten in dem Nachtclub erkannt hatte. Aber Xavier würde sich nicht als bequemer Fick zur Verfügung stellen. Sich auf die Chance zu stürzen, wieder mit Trent zusammen zu sein, war unter seiner Würde.

Der Mann war seine erste Liebe und seine längste, ernsthafteste Beziehung gewesen. Er hatte Xavier auch mehr verletzt als all die Typen, die danach gekommen waren und ihn fallengelassen hatten.

Er hatte einfach verdammtes Pech mit Männern. Es war besser, sich auf die Krankenpflege zu konzentrieren.

***

Trent beobachte, wie Xavier James davon ging. Ein Muster, das sich scheinbar wiederholte. Er hielt sich an der Geschichte fest, dass Xavier gegangen war. Aber Trent musste zugeben, dass er es war, der ihre Beziehung in einem Anfall von Zorn über Bord geworfen hatte. Er hatte sich betrogen gefühlt, als Xavier ihre Pläne, gemeinsam aufs College zu gehen, durcheinander gebracht hatte. Er war zu dieser Zeit bis zur Besessenheit auf seine Zukunft ausgerichtet gewesen und im Rückblick war ihm selbst das Aufrechthalten einer Beziehung mit jemandem zu Hause unmöglich erschienen.

Er war achtzehn und unreif gewesen. Er hatte Prioritäten wie Familie nicht verstanden, weil sein Elternhaus eine kalte, leere Hülle gewesen war. Mit Eltern, die lieber reisten, als ihre Zeit mit einem Teenager zu verbringen. Sie waren schon Nestflüchter gewesen, als er das Nest noch gar nicht verlassen hatte.

Xavier sah gut aus. Er war viel konservativer gekleidet als er es im Club gewesen war, und er hatte eine andere Frisur. Statt Locken, die beinahe schon ein Afro waren, hatte er nun Dreadlocks. Wenn man bedachte, wie dicht sein Haar gewesen war, hatte er es in kurzer Zeit auf eine ganz beachtliche Länge gebracht. Auch mit dem veränderten Aussehen und ohne Spitze und Lippgloss fand Trent ihn verdammt attraktiv.

Insofern Xavier nicht ein wenig auftaute, würde es die reine Folter sein, Woche für Woche neben ihm arbeiten zu müssen. Wenn er ihn nur dazu überreden könnte …

„Doktor?“, unterbrach Hayleigh seine Gedanken. „Der Patient in Untersuchungsraum 2 ist dran.“

Er nickte und kam wieder in die Gänge. „Ich bin gleich da.“

Er schob seine Bedenken in Hinblick auf Xavier vorsichtig zur Seite und konzentriere sich auf seine Arbeit. Denn sie war wichtig. Die Patienten, die in die Poliklinik kamen, hatten oft keine regelmäßige medizinische Versorgung. Deshalb war es unbedingt nötig, dass Trent bei den Untersuchungen besonders aufmerksam war. Denn ohne Vorsorgeuntersuchungen, konnte er leicht tiefer liegende gesundheitliche Probleme übersehen.

Wenn er ehrlich war, hatte er nicht gedacht, dass ihm der Job besonders Spaß machen würde. Er hatte ihn als Ausweg aus einem Leben gesehen, in dem er sich auf die ganz falschen Dinge konzentriert hatte. Aber die Arbeit im Ambulatorium ließ ihn mit einer ganz neuen Wertschätzung an die Zeiten denken, als Xavier über seine Träume gesprochen hatte, mehr weitreichende Versorgungsarbeit in die Gemeinde zu bringen. Selbst mit ‚Medicaid‘ und anderen staatlichen Gesundheitskonzepten, gab es Lücken in Flächendeckung und Erreichbarkeit. Es würde immer Leute geben, die durch das Raster fielen.

Trent schob den Vorhang zur Seite, betrat Untersuchungsraum 2 und lächelte die Frau mittleren Alters an, die an dem Tisch saß.

„Wo liegt denn das …“

Ein heftiges, rasselndes Husten unterbrach ihn.

„Ah, ich sehe schon“, sagte er sanft. „Wie lange geht das schon so?“ Er schnappte sich einen Hocker mit Rädern und rollte herüber, während er Hayleighs Aufzeichnungen über die Symptome checkte. Dann machte er sich an die Arbeit, die ebenso bedeutend war wie Chirurgie.

Manchmal juckte es ihn in den Fingern, weil er es vermisste, ein Skalpell zu halten, aber damit konnte er leben. Seelisch ging es ihm so viel besser damit, Leuten zu helfen, ohne die Belohnung eines sechsstelligen Einkommens und die Anerkennung für eine neue Operationstechnik.

Die Rückkehr nach Ashe hatte ihm noch nicht annähernd alles gebracht, was er wollte. Aber es war die richtige Entscheidung gewesen, dessen war er sich sicher.

***

Hayleigh hielt Xavier auf Trab. Sie wogen Patienten ab, überprüften ihren Puls und ihren Blutdruck. Sie machten Notizen über ihre gesundheitlichen Sorgen und gaben sich Mühe, ein wenig gründlicher zu sein, als Xavier es von seinen eigenen Arztbesuchen in Erinnerung hatte. Als er sie darauf ansprach, betonte Hayleigh, dass ihre Patienten keinen Hausarzt hatten. Da sie keinen regelmäßigen Zugang zu medizinischer Versorgung hatten, mussten auch die schwächsten Symptome sorgfältig notiert werden.

Das war einleuchtend. Es machte Xavier ein wenig traurig, dass Menschen in Zeiten wie diesen ohne Vorsorge auskommen mussten, von der ihr Überleben abhängen konnte. Für viele von ihnen würde eine ernste Diagnose wie Krebs viel zu spät kommen, um ihr Leben noch retten zu können. Er hatte das bei seinem eigenen Vater erlebt, was einer der Gründe war, warum er in dieser Klinik arbeiten wollte. Gemeindevorsorge war sein Schwerpunkt geworden, weil sein Vater nur drei Monate nach einer Krebsdiagnose gestorben war, als Xavier acht Jahre alt war. Tyrel James hatte es immer aufgeschoben, zum Arzt zu gehen, bis er in einem wirklich schlimmen Zustand war. Doch da war es schon zu spät. Das war einer der Gründe, warum Xavier ursprünglich Arzt werden wollte. Damit er dieses Schicksal dem Vater eines anderen kleinen Jungen vielleicht ersparen könnte.

Nach seinem Schulabschluss hatte seine Familie ihn gebraucht und sie brauchte ihn immer noch. Er hatte ohnehin nicht die finanziellen Mittel, um Medizin zu studieren. Seine Oma hatte zwar ein wenig Geld für seinen Collegebesuch angespart, aber es war nicht annähernd genug. Er hatte nicht geschafft, sich für das Stipendium zu qualifizieren, das er unbedingt gebraucht hätte, und er war sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt so viel an Darlehen hätte auftreiben können, um ein Studium zu finanzieren.