Lachen macht Hoffnung

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Lachen macht Hoffnung
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Dietrich Seele

Lachen macht Hoffnung

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Die Hölle

Stress

Das Interview

Das Glas Wein

Der Popescu Code oder Ein Sarg für zwei

Der unsichtbare Feind

Happening

„Schatz, aus unserem Sohn wird nichts“

Endspiel

Rückblick

Anmerkung des Verlages:

Impressum neobooks

Die Hölle

Mein unsittlicher Lebenswandel ließ am Ende nichts anderes zu: Hölle statt Himmel.

In Erwartung höherer Temperaturen packte ich eine stark fettende Hautcreme ein. Umsichtig fügte ich dem Rucksack weiterhin eine Sonnenbrille bei, in der Befürchtung, das Licht könnte etwas greller ausfallen als hier oben.

Der Empfang in der Hölle fiel kühl aus:„Geht’s?“

Ich spielte mit meiner Sonnenbrille und antwortete:„Muss ja!“

Vor mir eine große kühle Marmorhalle und eine große coole Blondine an der Rezeption.

„Cool hier“, sagte ich, „wie wär’s? Ich würde Sie gern auf ein Gläschen einladen. Ich kenne da ein nettes ...!“

Ich unterbrach den Satz, da ich mich in den neuen Örtlichkeiten noch nicht so auskannte.

Die Empfangsdame erwiderte, ob ich meinen liederlichen Lebenswandel in der Hölle fortsetzen wolle.

„Ein bisschen Spaß sollten wir schon noch haben!“

„Wo glauben Sie denn, wo sie sind? Wir sind eine 2000-jährige Institution mit einer wechselvollen Geschichte! Ein bisschen Respekt darf man da schon erwarten“.

Ich sah mich um.

„Nach Hölle sieht das hier nicht gerade aus!“

Die coole Blonde erwiderte, dass man sich seit einigen Jahren in einer Sinnkrise befinde, der Chef habe daher veranlasst, dass wir uns ein wenig anpassen müssten.

„Offiziell müssen wir die Leute natürlich in dem Glauben lassen, die Hölle sei mit unendlichen Qualen verbunden. Das ist ja unsere offizielle Funktion. Unser Image. Abschreckung oder vielleicht auch Motivation sich zu bessern. Sie verstehen“.

Ich nickte.

„Intern müssen wir uns natürlich wie jede andere Behörde auch modernisieren, neue transparente und effiziente Arbeitsabläufe organisieren, Hierarchien abbauen, das Design der Einrichtungs-gegenstände aufhübschen und so weiter. Wir haben daher einen internen Wandel unserer Unternehmenskultur eingeleitet“.

„Sie sprachen von dem ‚Chef’. Wer ist das, wenn man fragen darf?“

„Der Teufel, natürlich!“

„Den gibt’s wirklich?“

„Unter uns. Er hat sich zunehmend zurückgezogen. Beziehungsweise, er wird so langsam aus dem Spiel genommen“.

„Wie das?“

„Wir vermuten eine beginnende Demenz bei ihm, nicht verwunderlich angesichts der ca. 2000 Jahre, die er auf dem Buckel hat. Er hat wohl auch resigniert, weil er sich nicht mehr so richtig ernst genommen fühlt. Ein tragisches Schicksal, wenn sie mich fragen. Aber so ist die Zeit. Die Menschheit muss sich wohl auf veränderte Bedrohungslagen einstellen“.

Ich sann einige Minuten über diese überraschenden Informationen nach.

„Herr Seele“, unterbrach mich die coole Blonde bei meinen weitreichenden Gedanken,“ ich muss kurz noch Ihre Personalien aufnehmen“.

Ich gab die wesentlichen Daten zu meiner Person an und bat um Schutz der Kerndaten.

„Zum Schluss eine Frage, die Sie zwingend beantworten müssen und für die wir leider keinen Schutz garantieren können. Was wollten Sie nie werden, bzw. welchen Beruf hassen Sie?“

Wahrheitsgemäß gab ich zur Antwort: “Buchhalter. Nicht dass Sie mich missverstehen, meine Dame. Das ist ein ehrenwerter und notwendiger Beruf. Aber ich habe so gar nicht das Talent dafür“.

„Buchhalter... Buchhalter ist gut, sehr gut sogar“, antwortete sie und ihr Gesicht verzog sich zu einem diabolischen Grinsen.

Nachdem somit den Notwendigkeiten der höllischen Bürokratie genüge geleistet war, wies mich die Empfangsdame an eine weitere Dame – Typ coole Blondine - die mir auf einem Rundgang zunächst die notwendigen Einrichtungen zeigen sollte.

Wir durchmaßen schnellen Schrittes endlose Marmorsäle, endlose Zeiträume.

„Meine Dame“, fragte ich höflich“ das ist ja alles historisch hoch spannend und gewissermaßen ästhetisch prickelnd. Aber warum sehen wir keine Menschen? Es muss doch hier eine ungeheure Menge von Leuten geben, selbst wenn man in Rechnung stellt, dass die Gutmenschen mit ihrer Mehrheit bei der Konkurrenzveranstaltung, dem Himmel, gelandet sind?“

„Alles verliert hier seinen Wert. Der Körper, die Seele, die Vernunft, die Persönlichkeit. Alles!“

„Wie im Internet!“ sinnierte ich vor mich hin.

„Alles entmenschlicht!“ ergänzte sie.

Nach einer Weile wurde mir langweilig angesichts leerer Marmorsäle und menschenleerer Geschichte. Ein Gläschen Wein in geselliger Runde war hier offensichtlich nicht zu erwarten.

Plötzlich schleppte sich ein altes Männchen nicht weit von mir in eine Sitzecke, ließ sich in einen tiefen Ledersessel fallen und rang nach Luft.

„Unser Chef, Sie verstehen“, raunte mir meine Begleiterin zu.

Der Chef, wie sie ihn nannte, wirkte sehr klein, schmalbrüstig und zitterte.

„Geht’s? fragte ich ihn.

Der Chef hob mühsam seinen linken Arm und gab stöhnend von sich:

“Muss ja!“

„Gicht hat er auch!“, flüsterte ich meiner Begleiterin zu.

Sie wolle das jetzt nicht kommentieren.

„Die Teufel bei uns früher im Kasperletheater wirkten frecher, gewissermaßen teuflischer, wenn Sie verstehen, was ich meine“, wandte ich mich an meine Begleiterin.

„Wir können uns dem allgemeinen Werteverlust leider nicht entziehen!“ resignierte sie.

Das Männchen blickte uns starr-zittrig an.

Plötzlich versagten mir die Beine.

Ich wachte auf. Um mich herum sah so aus wie in einer Krankenstation.

„Wo bin ich?“

„In der Hölle!“

„Gott sei Dank!“

„Auf den können Sie hier nicht bauen. Aber warum sind Sie erleichtert?“

„Besser als in der Psychiatrie!“

„Interessant. Ich werde mal einen Mitarbeiter um ein Gutachten bitten. Gegebenenfalls können wir uns noch verschlechtern!“

„Was habe ich eigentlich?“

„Einen Schock!“

„Warum?“

„Sie hatten einen kleinen Schwächeanfall!“

„Wer sind Sie? Ärztin?“

Die Dame unterdrückte ein Lachen:

„Nein, ich bin Managing Director der Personal- und Verwaltungs-abteilung!“

„Die Dame an der Rezeption sprach von einem Wandel der Unternehmenskultur in der Hölle!“

„Sie sagen es! Aber ich halte von diesem ganzen Zinnober ‚Kulturwandel in der Hölle’ nichts. Die Menschheit macht sich so langsam die Hölle auf Erden, und wir beginnen zu menscheln und machen hier auf Kuschelkurs!“

„Aha!“

„Wir stehen doch mittlerweile in einem internationalen Wettbewerb. Überall entstehen kleinere und größere Höllen. Nehmen sie zum Beispiel ihre Fußballstadien. Unsere Pyrotechniker können da nur staunen. Wir haben sie daher zu Weiterbildungskursen in die deutschen Stadien geschickt!“

„Aha!“

„Ich habe jüngst angeregt, mal über ein internationales Abkommen zu verhandeln, in dem klare Indikatoren und faire Wettbewerbsregeln für „Hölle“ definiert werden. Wir dürfen uns hier nicht das Alleinstellungs-merkmal im Wettbewerb nehmen lassen!“

Mir wurde etwas heiß, unruhig schraubte ich an der Hautcremedose:

„Können Sie mal grundsätzlich werden?“

„Wie meinen Sie das?“

„Hölle und Himmel, meine ich!“

„Also grundsätzlich sehen wir das so: Eine Hölle ohne den Nachweis in der Hölle darbender Sünder wäre keine Hölle; gäbe es keine Hölle, gäbe es keinen Himmel. Gäbe es keinen Himmel, dann...“.

„Hören Sie auf“, unterbrach ich sie, “Sie zerstören mein Weltbild“.

Die coole Blondine nahm ihr Handy, wählte eine Nummer und blaffte in den Apparat:“ Ich hab den Seele hier. Der hat noch ein Weltbild. Wie treiben wir ihm das aus? ... Quälen?“

Die Antwort schien die Dame zu beruhigen: “OK, verstehe. Alles klar!“

Ich setzte meine Sonnenbrille auf und schaute die coole Blondine cool an: „Haben Sie heute Abend schon etwas vor...Ich kenn da ein nettes...?“

Ich unterbrach den Flirt wegen noch unvollständiger Kenntnisse der Örtlichkeiten.

„Wollten Sie mit mir flirten?“

„Ja. Nennt man das hier auch so?“

„Ja, aber machen Sie sich keine Hoffnung. Es gibt hier keine Beziehungen zwischen Frau und Mann“.

 

„Das ist ja die Hölle!“

„Wo Sie Recht haben, haben Sie Recht“.

Wir schauten uns desinteressiert an.

Nach einiger Zeit nahm sie das Gespräch wieder auf:

„Ich muss Ihnen ein Getränk verabreichen, damit sie wieder auf die Beine kommen. Wir brauchen Sie noch, wie gesagt“.

Ich schluckte das Höllengebräu mit Todesverachtung runter und bat um einen Pastis zum Nachspülen, denn das sei mein Lieblingsaperitiv. Und schlug vor, dass wir dann etwas essen gehen sollten“.

Die coole Blondine erwiderte, dass sie sehr betrübt sei, da ich noch so etwas wie Appetit und Durst spürte. Das sei eigentlich nicht mehr üblich in der Hölle.

Ich fragte darauf, wovon die Leute denn hier lebten, worauf sie erwiderte, dass hier eigentlich keiner mehr lebe.

Ich schluckte: „Wie geht’s jetzt weiter?“

„Ich muss Ihnen einen Platz bei uns zuweisen. Da Sie noch ein Weltbild haben, müssen wir Sie quälen, bis es verschwindet. Es sieht nicht gut aus für Sie!“

„Wie jetzt?“

Beim Empfang wurden Sie gefragt, welche Arbeit Sie nie machen wollten und ihre Antwort war Buchhaltung“.

Ein mittelschwerer Schweißausbruch quälte mich. Buchhaltung. Buchhaltung in der Hölle.

Die Hölle in der Hölle. Aber sollte ich nicht dankbar sein, überhaupt Arbeit zu haben?

Nach einigen Stündchen geleitet mich die Managing Directorin, die vorgab, noch anderen Verpflichtungen nachgehen zu müssen, zu meiner Dienststelle in der Buchhaltung der Hölle.

Eine coole Blondine wies mich ein, indem sie mir eröffnete, dass es bisher keine Buchhaltung in der Hölle gegeben habe, niemand sei bisher auf eine solche Idee gekommen, und dass ich völlige Freiheit hätte, was die Systematik und das Ablagesystem zum Beispiel anginge und dass ich ein Büro für mich allein hätte.

Ich rückte zitternd und einigermaßen ängstlich an meiner Sonnenbrille und fragte, ob es tendenziell zumindest einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebe.

Die vierte coole Blondine, die ich in der Hölle kennen gelernt hatte, erwiderte freundlich, dass in der Hölle tendenziell alles möglich sei.

Hier unterbrach mich meine Frau bei der Abfassung der Erzählung.

„Jetzt hör mal auf mit dieser Geschichte. Ich ahne die Pointe. Du wirst in der Hölle verrückt, weil dich die Buchhaltung irre macht. Buchhaltung in der Hölle. Darauf muss man kommen!“

Ich staunte und das Letzte, das ich bei klarem Bewusstsein hörte, war:

„Schatz, stell jetzt lieber mal die gelben Säcke an die Straße...morgen ist Abfuhr... und vergiss nicht, mal wieder Ablage zu machen!“

Stress

Eine Frage muss hier mal gestellt werden: Wie behandelt die Menschheit eigentlich das Kostbarste, das sie besitzt...nach dem Gold natürlich, nämlich die Kakaotasse meines achtjährigen Sohnes Tim? Die Antwort muss hier auch mal gegeben werden: Miserabel! Unbarmherzig!

Die Geschichte, die mein Urteil begründet, fing eigentlich ganz undramatisch an:

Meine Frau und ich tauschten abends wie üblich die Erfahrungen unseres Arbeitstages aus, schimpften auf Vorgesetzte, auf Kollegen und Arbeitszeiten; dabei mag auch beiläufig das Wörtchen „Stress“ gefallen sein, bei Gott nichts Dramatisches und nichts Unübliches in dieser Welt. Und doch löste dieses Wort ein Verhängnis aus, an dessen Ende...nun, ich will hier nicht vorgreifen.

„Stress, Stress“, rief mein Sohn Tim abends dazwischen, „ihr kümmert euch immer nur um euren eigenen Stresse. Wer aber denkt an meine Kakaotasse? Die hat auch Stress!“

Ich war geneigt, dies als den mittlerweile üblichen Weltschmerz meines Sohnes vorsichtig zu überspielen, als dieser unnachgiebig und für die Abendstunde etwas unsensibel nachhakte.

Er wies auf einen Zeitungsartikel hin, in dem vom Stress des Geschirrs in der Spülmaschine zu lesen gewesen war.

Ich weiß nun nicht, ob es ein sinnvolles Ergebnis des deutschen Bildungssystems ist, dass Achtjährige bereits Zeitung lesen können; angesichts der Folgen, die ich nun zu berichten genötigt bin, rechne ich mich eher zu den Verfechtern eines gesunden Nichtwissens, das auf Lese- und Schreibuntüchtigkeit beruht.

Meine ältere Tochter Katharina unterstützte ihren kleinen Bruder: “Es geht ums Prinzip!“

Meine Frau Veronika beteuerte, diesen Artikel ebenfalls gelesen zu haben: Der Junge hat Recht! Das Geschirr leidet!“

In diesem Augenblick umarmte Tim seine Kakaotasse, führte sie an die Wange und begann mit ihr zu sprechen, indem er nach dem Befinden fragte.

Der Tasse ging es offensichtlich hundsmiserabel, denn sie verweigerte jede Antwort.

Mitfühlend, wie ich nun einmal bin, rückte ich an seine Seite und fragte behutsam, wie er das denn meine mit dem Stress.

„Kannst du dir vorstellen“, begann er, womit er gelegentlich seine Zweifel an meiner Vorstellungskraft überhaupt auszudrücken beliebt, „kannst du dir vorstellen, dass du bei 50 Grad im Schatten im Urwald bist?“

„Gott behüte!“

„Stell dir nun weiter vor, dass du von Kannibalen gefangen worden bist!“

Hier nun wollte ich den schärfer werdenden Dialog mit der Frage abbrechen, wo denn zu lesen sei, dass es Kannibalen gebe, doch Tim konterte gnadenlos:“ Robinson Crusoe!“

„Du liest Robinson Crusoe, Tim?“ frage ich aufmerksam.

„Nein, aber Großvater hat erzählt...!“

Mit meinem Vater wollte ich demnächst mal über Kindererziehung reden.

„Also gut. Ich stell mir vor, ich sei bei den Kannibalen im Urwald bei 50 Grad im Schatten. Was dann?“

„Und dann wirst du mit kochendem Wasser geduscht!“

Ich zitterte, riss mir die Krawatte auf, öffnete den Hemdkragen, krempelte die Hemdsärmel auf und spürte, dass mich mein Deo verließ.

„...und das eine Stunde lang!“ setzte Tim nach.

Ich stand auf und riss alle nahen Fenster auf.

„...und dann musst du vielleicht noch eine Stunde im heißen Dampf der Duschkabine warten, bis dich jemand raus lässt...!“

Ich entblößte mich, floh aus dem Haus und irrte nackend durchs Viertel auf der Suche nach einem Eisberg. Doch schrill verfolgten mich Tims Worte, dass ich mir so oder so ähnlich das Gefühl seiner Kakaotasse in der Spülmaschine vorstellen müsse.

Stunden später fand ich Tim friedlich im Bett schlafend mit seiner Kakaotasse im Arm.

Meine Frau glaubte mich kurz vor dem Schlafengehen mit dem Hinweis beruhigen zu können, dass wir das Thema gelegentlich noch einmal aufgreifen müssten.

Ich war nicht zu beruhigen.

„Veronika“, redete ich erregt auf meine Frau ein, „ich habe Tim immer zum Mitgefühl gegenüber der gequälten Kreatur angehalten aber nicht gegenüber dem gequälten Eierbecher!“

„Beruhige dich doch, Schatz!“

Ich war nicht mehr zu beruhigen. „Ich habe Tim immer zur solidarischen Hilfe für Arme und Schwache angehalten, aber nicht für meinen Müsliteller!“

„Schatz!“

Ich war nicht mehr zu beruhigen. Demnächst darf ich unser Auto nicht mehr durch die Waschstraße fahren, weil es womöglich eine Lungenentzündung bekommen könnte!“

Dass mein Frau mittlerweile in ihr Arbeitszimmer umgezogen war, hatte ich schemenhaft wahrgenommen, doch unerschütterlich fuhr ich fort, dass demnächst wohl unsere Schmutzwäsche nach dem letzten Waschgang unter einem Schleudertrauma mit anschließenden Depressionen leiden werde. Ich lachte kurz hysterisch auf.

In der Nacht träumte ich schlecht: Ich hörte Kuchenteller nach einem Kälteschock klappern, Gabeln und Messer weinten und liefen fahl an, Weingläser plusterten sich bauchig auf und zersprangen klirrend in eine teilnahmslose Welt. Der Höhepunkt bestand darin, dass ich stundenlang vergeblich an einer verriegelten Duschkabine rüttelte. Nahezu verdampft wachte ich auf.

Vor kurzem noch hatte ich gelesen, dass der stressgeplagte Manager in der Familie seinen Ausgleich von der Arbeit finde, sie sei seine stete Kraftquelle.

Am Frühstückstisch bestrich ich zärtlich die Tasse, wusste ich doch nun, wie sie leiden würde angesichts des heißen Kaffees und der anschließenden ebenso heißen Spülung, das Glas Orangensaft umfasste ich sorgsam wie den zerbrechlichen Oberarm meiner Tochter, den Eierbecher würdigte ich nur eines scheuen Blickes, ich wollte ihn nicht nutzen, um ihn nicht unnötigen Qualen auszusetzen. Dann stürzte ich mich unausgeschlafen in die Arbeit.

Einen Kollegen wies ich darauf hin, dass er etwas roh mit seiner Kaffeetasse umging, eine andere Kollegin bat ich im Raucherzimmer händeringend, den Aschenbecher vor unnötiger Hitzeeinwirkung zu verschonen, was sie fälschlicherweise als Aufforderung verstand, das Rauchen aufzugeben.

Abends dachte ich mir zunächst nichts Böses, als meine Frau ein Krisengespräch für angebracht hielt. Ich war bereit dazu, hielt ich Kindererziehung doch für eine wichtige Aufgabe, die man nicht dem Zufall überlassen sollte, aber es ging nicht um Kindererziehung sondern um die Spülmaschine. Die Spülmaschine! Die Spülmaschine sei eigentlich überflüssig.

Freundlich noch und mit einem gewissen Gefühl der Überlegenheit ging ich auf die Diskussion ein, wähnte ich mich doch im Besitz der besseren Argumente.

„Ihr wollte einen Hort des Fortschritts in Frage stellen, die Spülmaschine? Immerhin verbrauchen wir sehr viel weniger Wasser als im üblichen Handabwasch!“

„Du Krämerseele“, wurde mir entgegengehalten, „vergiss mal deine ökonomische Rationalität, den Zielkonflikt zwischen Ökologie und Ökonomie kriegen wir auch anders in den Griff und überhaupt, versetz dich mal in eine sensible Kinderseele!“ dozierte Katharina.

„Aha!“ frohlockte ich, „es geht also doch um unser Kind und nicht um die verbrühte Seele der Eierpfanne!“

„Um beides!“ riefen nun alle drei gleichzeitig.

Immer noch freundlich und zu einem konstruktiven Gespräch bereit, setzte ich neu an:

„In der Zeit, wo die Spülmaschine läuft, kann jeder von euch seinen Hobbys nachgehen. Du Tim, kannst mit deinem Kaninchen spielen, du, Katharina, kannst mit deinen Freundinnen telefonieren, du, Veronika, kannst mal in Ruhe ein Buch lesen. Es fügt sich doch bestens dank der Spülmaschine!“

Nachdem Tim mir wortlos mit seiner geknechteten Kakaotasse gedroht hatte, kam die große Stunde meiner Tochter. Sie trieb mich in die Enge:

„Du versteht es nicht! Es geht hier nicht darum, dass jeder irgendwo für sich rumhängt, sondern um Kommunikation und Zusammenhalt in der Familie!“ Die Spülmaschine würde die Familie zersplittern.

Peng! Das saß. Meine Frau gab mir den Rest: “Schatz, du bist so selten zu Hause! Der gemeinsame Handabwasch führt unsere Familie durch Gespräche wieder enger zusammen. Wir schaffen die Maschine ab!“

Ich äußerte noch zaghaft einige Vorbehalte und man sollte nichts überstürzen.

In dieser Nacht fiel der gesamte Küchenschrank über mich her: Die Gabeln kratzten mir die Augen aus, die Knoblauchpresse folterte mein empfindsames Knie, die Messer amputierten, was noch dran war, nachdem eine tonnenschwere Nudelrolle über mich hinweggerollt war und der Fleischklopfer die Gelenke zertrümmert hatte.

In den nächsten Tagen verzichtete ich auf das Kantinenessen im Betrieb, weil mir die Bestecke diese Welt in verständlicher Solidarität schrill klimpernd drohten. Ich mied Restaurants, weil Massen von Tellern vor Spülmaschinen auf ihre seelische Vernichtung warteten und mich als den Übeltäter ansahen.

Zuhause wurde ich als schwächstes Glied der Familie noch geduldet und genoss die Almosen, die mir ohne Teller und Besteck zugeschoben wurden.

Irgendwann machte ich noch listig den Vorschlag, Restlaufzeiten für die Spülmaschine vorzusehen, weil sonst – und dabei entwickelte ich den Anflug eines letzten diabolischen Grinsens – würde ich eine Schadensersatzforderung erheben, es sei im Übrigen alles eine Frage des Preises.

Irritiertes Schweigen ging mich an.

Ich wies auf die Errungenschaften einer Küchen-App hin und prognostizierte einen Küchen-Roboter für die nahe Zukunft.

„Das macht uns doch fremd!“ jammerte Tim und bedeckte mich und den Lehnstuhl, in dem ich autistisch kauerte, liebevoll mit einer wärmenden Decke. Veronika tätschelte mir die eingefallenen Wangen und Katharina massierte mir die kalten Finger zur besseren Durchblutung, nicht ohne den belehrenden Hinweis zu vergessen, dass man ein ASP, ein Anti-Stress-Programm, für das Geschirr entwickelt habe, mit schonender Handspülung und so weiter. Die Kommunikation in der Familie mache Fortschritte, indem man zum jeweiligen Abwasch ein aktuelles Thema diskutiere. Und ansonsten hoffe man, mich dereinst mal wieder dabeihaben zu können, und dabei schnurrte wohlig die erlöste Kakaotasse.

 
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