Einführung in die philosophische Ethik

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3.Metaethik – Das Sein, das Erkennen und die Sprache der Moral

In der Metaethik geht es nicht mehr darum, moralische Überzeugungen in ihrem Vorkommen zu beschreiben (deskriptive Ethik), aber auch nicht bereits darum, ihre Rechtfertigbarkeit zu prüfen oder selbst ein moralisches System aufzustellen (normative Ethik). Die Metaethik will vielmehr, gemäß der Definition in Abschnitt 1.4, den grundsätzlichen Status moralischer Begriffe, Aussagen und Argumentationen klären. Dies kann in recht unterschiedlicher Hinsicht geschehen, und entsprechend lassen sich metaethische Untersuchungen ihrerseits noch einmal verschiedenen philosophischen Ebenen zuordnen. Auf einer ontologischen Ebene befassen sie sich mit der Seinsweise des Moralischen: mit seiner Beschaffenheit, seiner Verortung, seinem Ursprung. Auf einer epistemologischen Ebene erörtern sie die Erkenntnisformen des Moralischen: seine Zugänglichkeit, seine Ableitbarkeit, seine Wahrheitsfähigkeit. Auf einer sprachanalytischen Ebene beschäftigen sie sich mit den Kommunikationsarten des Moralischen: mit der Bedeutung moralischer Wörter, mit dem Sinn moralischer Sätze, mit dem Gehalt moralischer Aussagen. Vor allem die sprachanalytische Ebene wird oftmals als Kernbereich der Metaethik angesehen, und da Sprachanalyse erst seit knapp hundert Jahren intensiv betrieben wird, gilt Metaethik vielfach als Produkt des 20. Jahrhunderts. Aber auch ontologische und epistemologische Themen sind der Metaethik zuzurechnen, womit sich bei genauerem Hinsehen zeigt, dass Metaethik durchaus weiter in die Philosophiegeschichte zurückreicht.

Einzelne metaethische Fragestellungen lassen sich diesen drei Ebenen mehr oder weniger eindeutig zuordnen. Freilich sind diese Ebenen nicht isoliert voneinander, sondern weisen gelegentliche Bezüge auf. So kann die ontologische Frage, wie Moral beschaffen ist, Auswirkungen auf die epistemologische Frage haben, wie man Moral erkennt. Beide Aspekte können ihrerseits sprachanalytische Effekte dahingehend haben, wie man über Moral spricht.

Dies gilt beispielsweise für ein klassisches Problem innerhalb der religiösen Ethik: Sind Gottes Gebote gut, weil er sie erlässt, oder erlässt Gott seine Gebote, weil sie gut sind? Dieses Problem formuliert bereits Platon im sogenannten ›Euthyphron-Dilemma‹. Genauer wird dort erörtert, ob das Fromme fromm ist, weil es von den Göttern geliebt wird, oder ob das Fromme von den Göttern geliebt wird, weil es fromm ist. Platon befürwortet dabei die letztere Antwort [PLATON, Euthyphron, 10a–e]. Das Problem greift Thomas von Aquin in seiner Diskussion des ›göttlichen Rechts‹ wieder auf. Dabei spricht sich Thomas für eine aufteilende Lösung aus. Ihm zufolge sind manche göttlichen Bestimmungen tatsächlich deshalb gut, weil sie von Gott geboten werden, andere göttliche Bestimmungen hingegen werden von Gott geboten, weil sie gut sind [THOMAS VON AQUIN, ST, II–II, Quaestio 57, Art. 2]. Im Wesentlichen ist hiermit zunächst ein ontologisches Problem benannt: Im Kern geht es darum, ob moralische Normen allein als göttliche Anordnung existieren, also überhaupt erst durch Gottes Willen hervorgebracht werden, oder ob moralische Normen ein unabhängiges Dasein haben, dessen Inhalt dem Menschen durch Gottes Wort lediglich mitgeteilt wird. Hieraus ergeben sich aber sofort epistemologische Konsequenzen: Im ersteren Fall dürfte und sollte man sich wohl darauf beschränken, die gegebenen göttlichen Vorschriften ungefragt als solche hinzunehmen, während es im letzteren Fall sinnvoll oder gar geboten erschiene, eigenständige moralische Überlegungen anzustellen. Schließlich lassen sich an derartige Erwägungen auch sprachanalytische Untersuchungen anschließen: Zu überlegen wäre hier, ob Prädikate wie ›gottgegeben‹ oder ›gottgewollt‹ als normative oder als deskriptive Begriffe zu interpretieren sind.

Ähnliches gilt für folgende Frage aus der allgemeinen Ethik: Gibt es so etwas wie ›moralische Werte‹, im Sinne besonderer moralischer Entitäten, die einem speziellen Seinsbereich angehören, oder manifestiert sich Moralität allein in ›moralischen Normen‹, d.h. in üblichen zwischenmenschlichen Verhaltensregeln, für die keine eigentümliche Seinssphäre angenommen werden muss? Dieses Thema wird von den deutschen Wertethikern des frühen 20. Jahrhunderts aufgeworfen, vor allem von Max Scheler und Nicolai Hartmann. Beide haben die Existenz solcher moralischer Werte, in einem gegenüber der Realwelt eigenständigen Seinsbereich, nachdrücklich vertreten [SCHELER 1921, 7–19; HARTMANN 1935, 107–109, 133–140]. Offenbar ist hiermit zunächst wieder die ontologische Ebene der Metaethik berührt: Primär geht es um die grundsätzliche Existenzform des Moralischen. Dies hat aber unmittelbar epistemologische Implikationen: Eine solche Wertsphäre legt auch besondere Erkenntnisformen nahe, und entsprechend nehmen Scheler und Hartmann einen speziellen Wertsinn an, der jene Sphäre des Moralischen erschließen soll [SCHELER 1921, 49–67; HARTMANN 1935, 8–12, 141f.]. Schließlich könnte man an eine solche Auffassung auch sprachanalytische Erörterungen anfügen: Zu erforschen wäre dann, inwiefern jene philosophische Konzeption von ›Wert‹ mit dem alltäglichen Wortsinn von ›Wert‹ übereinstimmt.

Auch das Thema, in welchem Verhältnis moralische Normen und außermoralische Normen zueinander stehen, etwa ästhetische, zweckrationale oder instrumentelle, berührt alle drei Ebenen. So stellt sich zunächst das ontologische Problem, ob und inwiefern diese verschiedenen Normbereiche gegeneinander abgegrenzt sind. Sodann eröffnen sich epistemologische Fragen, von welchen Einsichtsformen jene Normbereiche jeweils erschlossen werden können. Zudem lässt sich in sprachanalytischer Hinsicht klären, wie diese Einsichtsformen in normativen Begriffen wie ›gut‹, ›böse‹, ›schlecht‹, ›falsch‹ oder ›verkehrt‹ zum Ausdruck kommen und welche Affinitäten und Kontraste sich in diesen sprachlichen Gestalten abbilden.

Das vorliegende Kapitel handelt jene drei Ebenen nicht sukzessive ab, sondern wendet sich eigenständigen Themenschwerpunkten zu, die innerhalb der metaethischen Diskussion besonders bedeutsam sind. Die Zuordnung zu den drei Ebenen wird aber immer wieder aufschlussreich sein, um wichtige Differenzierungen innerhalb jener Problemkreise vorzunehmen und gelegentliche Bezüge zwischen den Fragestellungen herzustellen.

So hat die Debatte um Sein-Sollen-Fehlschluss und naturalistischen Fehlschluss (Abschnitt 3.1) eine epistemologische Dimension, in der es um das Verhältnis von Fakten und Normen geht und insbesondere darum, ob und wie aus faktischen Aussagen normative Aussagen gefolgert werden können. Dieses Thema führt aber weiter in den sprachanalytischen Bereich, wo die Bedeutung des Begriffs ›gut‹ zu klären ist und namentlich die Frage ansteht, ob oder wie dieser Begriff definiert werden kann. Die Opposition von Kognitivismus und Nonkognitivismus (Abschnitt 3.2) betrifft ebenfalls zum einen ein epistemologisches Problem, nämlich ob es überhaupt so etwas wie moralische Erkenntnis mit objektiver Gültigkeit geben kann oder ob alle moralischen Stellungnahmen allein subjektive Wertungen wiedergeben. Diese Gegenüberstellung spricht sich zum anderen auch wieder als sprachanalytischer Disput aus, dahingehend ob moralische Äußerungen ihrem sprachlichen Sinn nach überhaupt Behauptungen mit Wahrheitsanspruch sind oder eher Gefühlskundgaben bzw. Verhaltensvorschriften. In beiden Fällen sind epistemologische und sprachanalytische Ebene eng miteinander verbunden, und die jeweiligen Auffassungen scheinen einander mehr oder weniger eindeutig zu entsprechen. Dennoch müssen sie unterschieden werden, um verkürzte Interpretationen und irrtümliche Zuordnungen zu vermeiden.

Im Streit zwischen Generalismus und Partikularismus (Abschnitt 3.3) stehen sich zwei ontologische Positionen gegenüber, die das Wesen der Moral einmal in allgemeinen Prinzipien, einmal in konkreten Einzelfallurteilen sehen. Die Auseinandersetzung zwischen Rationalismus und Sensualismus (Abschnitt 3.4) konfrontiert demgegenüber wieder zwei epistemologische Standpunkte, die den Zugang zur Moral entweder der praktischen Vernunft oder aber einem moralischen Sinn überantworten. Zwischen beiden Fragestellungen gibt es durchaus Beziehungen, in denen sich einmal mehr die grundsätzliche Verbundenheit von ontologischen und epistemologischen Erwägungen dokumentiert. Auch diese Beziehungen sind aber lediglich tendenzieller Natur und dürfen keinesfalls zu einer Verwechslung der entsprechenden Problembereiche führen.

Bei der Unterscheidung von Tugendethik, Deontologie und Teleologie schließlich (Abschnitt 3.5) steht erneut ein ontologischer Aspekt im Zentrum. Hier wird diskutiert, welche Entitäten in erster Linie Träger moralischer Qualitäten sind, Handlungsmotivationen, Handlungsvollzüge oder Handlungskonsequenzen. Die Festlegung diesbezüglich bildet eine besonders prägnante Differenz zwischen verschiedenen normativen Ethiken. Entsprechend liefert die Einteilung in Tugendethik, Deontologie und Teleologie das maßgebliche Ordnungsschema für die nachfolgenden Kapitel 4, 5 und 6.

3.1Sein-Sollen-Fehlschluss und naturalistischer Fehlschluss

Der wesentliche Gedanke hinter dem Konzept eines Sein-Sollen-Fehlschlusses bzw. eines naturalistischen Fehlschlusses besagt, dass aus bloßen Fakten keine Normen hergeleitet werden können. Dieser Gedanke wird vornehmlich mit zwei Autoren in Zusammenhang gebracht: mit David Hume, bei dem sich erstmals das Konzept eines Sein-Sollen-Fehlschlusses findet, und mit George Edward Moore, der seinerseits den Gedanken eines naturalistischen Fehlschlusses entwickelt hat. Gelegentlich wird die Frage aufgeworfen, ob Moores naturalistischer Fehlschluss gegenüber Humes Sein-Sollen-Fehlschluss überhaupt etwas wesentlich Neues enthalte, und vielfach wird der Unterschied zwischen beiden Konzeptionen gar nicht klar erkannt. In der Tat hat Moore gegenüber Hume aber eine spezielle Pointe anzubieten, und der Übergang zwischen ihren Ansätzen geht nicht zuletzt mit einem bezeichnenden Perspektivwechsel einher: nämlich von einer primär epistemologischen zu einer primär sprachanalytischen Sichtweise.

 

Der Sein-Sollen-Fehlschluss nach Hume

(1) In seinem Frühwerk A Treatise of Human Nature (1739/40) stellt David Hume (1711–1776) als erster Philosoph explizit und unmissverständlich den Grundsatz auf, dass aus bloßen Fakten keine Normen folgen. Hume selbst formuliert diesen Grundsatz dabei speziell als Verbot eines Sein-Sollen-Fehlschlusses. Die zentrale Passage lautet:

»In jedem Moralsystem, das mir bisher vorkam, habe ich immer bemerkt, daß der Verfasser eine Zeitlang in der gewöhnlichen Betrachtungsweise vorgeht, das Dasein Gottes feststellt oder Beobachtungen über menschliche Dinge vorbringt. Plötzlich werde ich damit überrascht, daß mir anstatt der üblichen Verbindungen von Worten mit ›ist‹ [is] und ›ist nicht‹ [is not] kein Satz mehr begegnet, in dem nicht ein ›sollte‹ [ought] oder ›sollte nicht‹ [ought not] sich fände. Dieser Wechsel vollzieht sich unmerklich; aber er ist von größter Wichtigkeit. Dies sollte oder sollte nicht drückt eine neue Beziehung oder Behauptung aus, muß also notwendigerweise beachtet und erklärt werden. Gleichzeitig muß ein Grund angegeben werden für etwas, das sonst ganz unbegreiflich scheint, nämlich dafür, wie diese neue Beziehung zurückgeführt werden kann auf andere, die von ihr ganz verschieden sind. Da die Schriftsteller diese Vorsicht meistens nicht gebrauchen, so erlaube ich mir, sie meinen Lesern zu empfehlen; ich bin überzeugt, daß dieser kleine Akt der Aufmerksamkeit alle gewöhnlichen Moralsysteme umwerfen […] würde […].« [HUME, THN, III.1.1, Bd. 2, 211f.]

Das Verbot eines unmittelbaren Schlusses von Sein auf Sollen wird gelegentlich als ›Humes Gesetz‹ bezeichnet. Es ist weitgehend anerkannt und findet sich in ähnlicher Form in zahlreichen Grundlegungen zur Logik moralischen Argumentierens, wobei die genauen Formulierungen variieren: Neben Humes Fassung, der zufolge aus bloßen Seinsaussagen keine Sollensaussagen abzuleiten sind, finden sich analoge Darstellungen, dass aus bloßen Tatsachenbehauptungen keine Werturteile folgen, aus bloßen Fakten keine Normen, aus bloßen Feststellungen keine Forderungen, aus bloßen Indikativen keine Imperative. Man kann den wesentlichen Gedanken auch dahingehend fassen, dass aus dem Satz ›A ist Q‹ nicht unmittelbar der Satz ›A ist gut‹ geschlossen werden kann. Dabei ist A irgendeine zu beurteilende Entität (etwa ein Charakter, eine Handlung, ein Zustand). Q ist ein natürliches Prädikat, d.h. ein Prädikat, das ein reines Faktum, ein bloßes Sein bezeichnet, etwa eine psychische Verfasstheit, eine logische Eigenschaft oder eine soziale Beschaffenheit (›friedfertig‹, ›wahrheitsgemäß‹, ›glückreich‹). ›Gut‹ wird als das grundlegende Wertprädikat eingesetzt, das als solches einen normativen Status, ein moralisches Sollen anzeigt, wobei aber ebenso wohl ein anderes Wertprädikat positiver, negativer oder neutraler Art verwendet werden könnte (etwa ›tugendhaft‹, ›geboten‹, ›wünschenswert‹, auch ›böse‹, ›verboten‹, ›schlecht‹ bzw. ›hinnehmbar‹, ›erlaubt‹, ›akzeptabel‹). Humes Einsicht läuft dann darauf hinaus, dass aus ›A ist Q‹ nicht ohne Weiteres ›A ist gut‹ folgt (wobei der Satz ›A ist Q‹ je nach dem genauen Zusammenhang unterschiedlich zu lesen sein mag, etwa als ›A lässt die Qualität Q erkennen‹, ›A realisiert den Typ Q‹ oder auch ›A führt die Wirkung Q herbei‹).

Der Sein-Sollen-Fehlschluss nach Hume

Ein Sein-Sollen-Fehlschluss wird begangen, wenn aus einem Seinssatz (›A ist Q‹) unmittelbar ein Sollenssatz (›A ist gut‹) gefolgert wird.

Primär bewegt sich ›Humes Gesetz‹ damit auf der epistemologischen Ebene: Im Wesentlichen geht es darum, wie man in moralischen Zusammenhängen argumentieren, schließen, begründen kann. Und hier formuliert ›Humes Gesetz‹ eine entscheidende Hürde: Man kann nicht unmittelbar aus einem Faktum eine Norm ableiten, man kann nicht direkt aus einer Tatsachenfeststellung eine Wertzuweisung gewinnen.

Beispiele für solche Sein-Sollen-Fehlschlüsse scheinen sich leicht finden zu lassen. In einer religiösen Moral könnte man auf den Schluss treffen: ›Mord ist gemäß dem 5. Gebot verboten. Deshalb ist Mord schlecht.‹ Ein Rechtspositivist könnte behaupten: ›Mord ist nach § 211 StGB verboten. Deshalb ist Mord schlecht.‹ In der evolutionären Ethik findet man zuweilen Aussagen wie: ›Mord ist schädlich für den Fortbestand der Gattung. Deshalb ist Mord schlecht.‹ Hirnforscher argumentieren gelegentlich in der Art: ›Mord geht mit Aktivitäten stammesgeschichtlich älterer Hirnareale einher. Deshalb ist Mord schlecht.‹ Auch in alltäglichen moralischen Diskussionen kommt es zuweilen zu derartigen Schlüssen vom Sein auf das Sollen. Dies gilt etwa für die konservative Einstellung: ›Das haben wir immer schon so gemacht. Also sollten wir damit fortfahren.‹ Es gilt auch für die progressive Haltung: ›Der Trend geht in diese Richtung. Also sollten wir uns dem anschließen.‹

(2) Wie einleuchtend die Kritik an solchen Schlüssen auch erscheint, die Frage drängt sich auf, ob sie wirklich im strengen Sinne ungültig oder nicht vielleicht nur in ihrer aktuellen Formulierung unvollständig sind. So betrachte man etwa den folgenden Schluss: ›Wenn du dem Patienten X das Medikament Y verabreichst, bringst du ihn um. Also solltest du es ihm nicht verabreichen.‹ Dieser Schluss hat genau die beanstandete Form: ›Das Verabreichen des Medikaments an den Patienten (A) wäre eine todbringende Handlung an einem Menschen (Q). Also ist das Verabreichen des Medikaments an den Patienten (A) moralisch falsch.‹ Dennoch scheint an dieser Argumentation kaum etwas auszusetzen zu sein. Stillschweigend vorausgesetzt ist offenbar lediglich eine weitere Prämisse, nämlich dass man Menschen nicht umbringen sollte. Diese Prämisse ist im vorliegenden Kontext recht trivial, so dass sie wohl kaum explizit benannt werden muss. Aber wenn man darauf besteht, könnte man sie jederzeit nachreichen und damit den Schluss vollständig und gültig machen: ›Todbringende Handlungen an Menschen (Q) sind moralisch falsch.‹

Diese Beobachtung gilt ganz generell. Wenn zu irgendeinem Schluss des kritisierten Typs ›A ist Q → A ist gut‹ eine weitere Prämisse der Form ›Q ist gut‹ hinzugefügt wird, wird er offenbar legitim:

Q ist gut

A ist Q

→A ist gut

Oberste Prämissen der Art ›Q ist gut‹ sind ihrer Gestalt nach völlig unproblematisch. Sie sind der wesentliche Gehalt vieler moralischer Systeme und ermöglichen es ihnen überhaupt erst, normative Urteile über faktische Verhältnisse zu sprechen. Gewiss bleibt im gegebenen Fall die inhaltliche Frage, ob jene oberste Prämisse plausibel ist und mit welchen Argumenten sie sich begründen ließe. Dies zu klären, wäre Aufgabe der normativen Ethik. Aber in formaler Hinsicht ist an dem fraglichen Schluss nichts mehr auszusetzen. Und allein darum geht es in der Metaethik.

Entsprechend lassen sich auch die oben genannten Beispiele sehr einfach in eine unanstößige Form übertragen. In der religiösen Moral müsste die Prämisse hinzugefügt werden: ›Was Gott in seinen Geboten verfügt, ist gut.‹ – sei es in dem Sinne, dass Gott eine höchste Weisungsbefugnis hat und mithin verbindlich ist, was immer er an Vorschriften erlässt (gemäß der ersten Option im ›Euthyphron-Dilemma‹), sei es in dem Sinne, dass Gott die größte Weisheit besitzt und man sich folglich darauf verlassen kann, dass er stets das Richtige gebietet (entsprechend der zweiten Option des ›Euthyphron-Dilemmas‹). Der Rechtspositivist könnte sich auf die Einstellung berufen: ›Was in den Gesetzen steht, ist gerecht.‹ – sei es, weil man es als das Ergebnis einer demokratischen Übereinkunft einschätzt (die als solche unbedingt anzuerkennen wäre), sei es, weil man dem Gesetzgeber sittliche Einsicht attestiert (der als solcher unbedingt zu vertrauen wäre). In der evolutionären Ethik wäre der Grundsatz zu ergänzen: ›Was den Fortbestand der Gattung sichert oder befördert, ist moralisch relevant.‹ Ein Hirnforscher des obigen Schlags müsste sich dazu bekennen: ›Aktivitäten stammesgeschichtlich neuerer Hirnareale sind moralisch belangvoll.‹ Auch die alltäglichen Moralbegründungen ließen sich entsprechend vervollständigen. Für die konservative Einstellung müsste man sich auf den Satz berufen: ›Was wir schon so lange gemacht haben, sollte auch so bleiben.‹ – etwa weil man meint, dass Menschen einen Anspruch auf Fortsetzung ihrer bestehenden Gewohnheiten haben, oder weil man denkt, dass die Gehalte von Traditionen in der Regel gut Bewährtes vermitteln. Für die progressive Haltung müsste man sich zu dem Satz bekennen: ›Was der Trend als Richtung vorgibt, sollte auch für uns maßgeblich sein.‹ – etwa weil man glaubt, dass man sich neuen Entwicklungen nicht verweigern darf, oder weil man vermutet, dass aktuelle Strömungen nicht fehlgehen können.

All dies mögen keine überzeugenden Haltungen, keine triftigen Begründungen sein. Aber hierbei handelte es sich um inhaltliche Kritik, die entsprechend innerhalb der normativen Ethik zu behandeln wäre. In formaler Hinsicht ist an den vervollständigten Schlüssen nichts auszusetzen. Und allein mit dieser Formalität befasst sich die Metaethik.

(3) Hume selbst geht es mit der zitierten Passage wahrscheinlich nicht darum, auf die Notwendigkeit einer obersten Prämisse des Typs ›Q ist gut‹ hinzuweisen. Sein wesentliches Anliegen in dem vorliegenden Textabschnitt ist zu zeigen, dass die moralische Wertigkeit, die man bestimmten Charakteren, Handlungen oder Zuständen zuschreibt, nicht in den beobachteten Gegenständen selbst liegt, sondern im jeweiligen Beobachter begründet ist. In diesem Sinne ist für ihn die Beziehung, die mit einem Seinssatz (›A ist Q‹) vermittelt wird, ›ganz verschieden‹ von jener ›neuen Beziehung‹, die in einem Sollenssatz (›A ist gut‹) ausgedrückt wird: Der Seinssatz macht laut Hume eine Feststellung über äußere Dinge, der Sollenssatz befasst sich mit inneren Gemütszuständen, Affekten und Gedanken. Und die geforderte ›Erklärung‹, die nach Hume für den Übergang zwischen beiden zu liefern wäre, läge eben in der Hervorhebung des Perspektivwechsels, der mit jenem Übergang einhergeht. Dass eine höhere Prämisse des Typs ›Q ist gut‹ die beiden Sätze formal korrekt miteinander verbinden mag, wäre für Hume wenig interessant und kaum jener ›Grund‹, der für einen solchen Übergang anzugeben wäre: Auch diese höhere Prämisse ist ein Sollenssatz, den Hume entsprechend in gleicher Weise interpretieren würde, d.h. als nicht in den Gegenständen, sondern im Beobachter gründend. Die maßgebliche Erklärung für den fraglichen Übergang ist daher nach Hume nicht ein legitimer Schluss aufgrund einer verbindenden Prämisse, sondern das hinzutretende Gefühl in der beobachtenden Person.

Hume greift damit Themen vor, die in späteren Abschnitten dieses Kapitels noch eingehender behandelt werden: Dass moralische Beziehungen nicht in den Gegenständen selbst liegen, sondern im Beobachter, impliziert für ihn erstens, dass ihre Bewertung nicht Sache einer praktischen Vernunft, sondern nur eines moralischen Sinnes sei [HUME, THN, III.1.1, Bd. 2, 208, III.1.2, Bd. 2, 212]. Mit Letzterem scheint Hume einen Sensualismus zu vertreten (vgl. Abschnitt 3.4). Darüber hinaus deutet sich zweitens an, dass moralische Bewertungen für ihn womöglich keine objektiven Wahrheiten vermitteln, sondern nur subjektive Gefühlslagen ausdrücken [HUME, THN, III.1.1, Bd. 2, 210f., III.1.2, Bd. 2, 213]. In diesem Fall wäre Hume sogar dem Nonkognitivismus zuzurechnen (vgl. Abschnitt 3.2). Beide Positionen werden später genauer erläutert.

Ungeachtet dieser Zusammenhänge ist der Verweis auf eine höhere Prämisse des Typs ›Q ist gut‹ aber die korrekte Antwort auf das spezifische Problem, das Hume mit dem Vorwurf eines Sein-Sollen-Fehlschlusses anspricht: Um von ›A ist Q‹ auf ›A ist gut‹ zu folgern, ist eine solche Prämisse notwendig und hinreichend. Dass diese höhere Prämisse ›Q ist gut‹ ihrerseits wieder ein normativer Satz ist, wie auch ›A ist gut‹, steht dabei außer Frage. Genauer ist ›Q ist gut‹ ein allgemeinerer Satz und kann deshalb zur Begründung des konkreteren Satzes ›A ist gut‹ herangezogen werden. Ob sich die Sätze ›Q ist gut‹ oder ›A ist gut‹ dabei auf Eigenschaften der Gegenstände beziehen oder auf Einstellungen des Beobachters, wie Hume meint, kann hier zunächst dahingestellt bleiben. Ebenso ist unerheblich, ob sie der praktischen Vernunft oder einem moralischen Sinn entstammen, ob sie objektive Wahrheiten oder subjektive Gefühlslagen vermitteln.

 

In jedem Fall ist es offenbar leicht möglich, aus einem augenscheinlichen Sein-Sollen-Fehlschluss eine formal korrekte Folgerung zu machen. Was immer Hume daher mit seiner Passage illustrieren will und wie immer man sich zu seinen Deutungen stellt, dies ist die angemessene Antwort auf die von ihm formulierte Herausforderung: Ein Faktum ›A ist Q‹ liefert eine Norm ›A ist gut‹, wenn eine weitere, höhere, grundlegendere Norm der Gestalt ›Q ist gut‹ angenommen wird. Damit stellt sich freilich die Frage, ob Humes Gesetz ein besonders wichtiger Grundsatz ist: Jeder der beanstandeten Schlüsse kann durch eine solche zusätzliche Prämisse legitim gemacht werden, und überdies ist völlig trivial, wie jene Prämisse auszusehen hat. Einen echten Sein-Sollen-Fehlschluss wird man somit nur jemandem vorwerfen können, der diese fehlende Prämisse ausdrücklich verweigert. Nur wenn jemand von ›A ist Q‹ auf ›A ist gut‹ schließt und sogar auf Nachfrage nicht ›Q ist gut‹ anerkennt, lässt sich nachweislich behaupten, dass er aus einem reinen Sein auf ein Sollen folgert. Und es erscheint rätselhaft, weshalb irgendwer eine solche Haltung einnehmen sollte.

Es kann natürlich unangenehm werden, sich zu jener obersten Prämisse ›Q ist gut‹ zu bekennen. In jedem Fall riskiert man, sie damit zur inhaltlichen Diskussion zu stellen, und vielleicht geht diese Diskussion nicht gut aus, weil jene höhere Norm nicht stichhaltig ist. Damit scheint das Konzept eines Sein-Sollen-Fehlschlusses aber eher ein rhetorisches Mittel zu sein, um den Gegner aus der Reserve zu locken und eine inhaltliche Debatte in der normativen Ethik zu provozieren. Es scheint kaum ein wichtiges Konzept innerhalb der Metaethik zu sein, denn den formalen Fehler eines Sein-Sollen-Fehlschlusses kann jeder vermeiden und wird auch jeder vermeiden, solange er nicht mit Humes Gesetz in Konflikt geraten will.

Der naturalistische Fehlschluss nach Moore

(1) Mit dem Verweis auf eine oberste normative Prämisse ist das Problem aber noch nicht vollständig behoben. Denn selbst wenn man diese höhere moralische Norm einfügt und damit einen Sein-Sollen-Fehlschluss umgeht, kann man noch einem Fehler anheimfallen. Und erst dieser Fehler ist es, den George Edward Moore (1873–1958) in seinem Hauptwerk Principia Ethica (1903/22) als naturalistischen Fehlschluss bezeichnet:

»Es mag sein, daß alle Dinge, die gut sind, auch etwas anderes sind […]. Und es steht fest, daß die Ethik entdecken will, welches diese anderen Eigenschaften sind, die allen Dingen, die gut sind, zukommen. Aber viel zu viele Philosophen haben gemeint, daß sie, wenn sie diese anderen Eigenschaften nennen, tatsächlich ›gut‹ definieren; daß diese Eigenschaften in Wirklichkeit nicht ›andere‹ seien, sondern absolut und vollständig gleichbedeutend mit Gutheit [goodness]. Diese Ansicht möchte ich den ›naturalistischen Fehlschluß‹ [naturalistic fallacy] nennen […].« [MOORE, PE, § 10, 40f.]

In diesem Zitat zeigt sich, dass ein naturalistischer Fehlschluss gemäß Moore nicht das Gleiche ist wie ein Sein-Sollen-Fehlschluss gemäß Hume. Anders als viele meinen, bezeichnet er keinen unberechtigten direkten Schluss von einem bloßen Sein auf ein Sollen, sondern die irrtümliche Annahme, der moralische Begriff ›gut‹ sei über andere Eigenschaften definiert. Ein solcher naturalistischer Fehlschluss in Moores Sinne tritt also insbesondere dann auf, wenn die benötigte oberste Prämisse in dem Schluss von ›A ist Q‹ auf ›A ist gut‹ in falscher Weise formuliert wird. Genauer liegt er vor, falls diese Prämisse statt in der Form ›Q ist gut‹ in der Gestalt ›gut bedeutet Q‹ eingeführt wird.

Der naturalistische Fehlschluss nach Moore

Ein naturalistischer Fehlschluss wird begangen, wenn das moralische Prädikat ›gut‹ nicht allein bestimmten natürlichen Prädikaten Q zugesprochen wird (›Q ist gut‹), sondern es über jene definiert werden soll (›gut bedeutet Q‹).

Hiermit hat sich die Perspektive gegenüber dem Konzept eines Sein-Sollen-Fehlschlusses merklich verschoben: Thema ist nicht mehr die primär epistemologische Frage korrekter moralischer Argumentation, insbesondere das Problem, ob und wie man aus Fakten Normen ableiten kann. Stattdessen ist nun eine vorrangig sprachanalytische Sichtweise eröffnet: Gegenstand ist nun die Beschaffenheit moralischer Begriffe, namentlich die Bedeutung des moralischen Wortes ›gut‹ und seine Definierbarkeit über natürliche Prädikate Q.

Der Unterschied, auf den Moore abhebt, mag auf den ersten Blick als belanglose Spitzfindigkeit erscheinen. Tatsächlich weist er mit seiner Richtigstellung aber auf eine wichtige sprachliche Differenzierung hin. Eine Prämisse der Form ›Q ist gut‹ ist ein synthetischer Satz: Sie nimmt eine Zusammenfügung von Eigenschaften vor, eine Synthese von Qualitäten. Sie stellt einen inhaltlichen Zusammenhang her zwischen der natürlichen Eigenschaft Q und der moralischen Eigenschaft ›gut‹, eine sachliche Verbindung zwischen Fakten und Normen. Sie formuliert ein Prinzip, eine Aussage über den moralischen Wert von Gegenständen in der Welt. Sie behauptet, dass Dingen, welche die faktische Qualität Q haben, die normative Qualität ›gut‹ zukommt. Dies mag inhaltlich richtig oder falsch sein, je nachdem was sich hinter Q verbirgt. Formal ist diese Zuweisung aber in jedem Fall legitim. Eine Prämisse der Gestalt ›gut bedeutet Q‹ hingegen ist ein analytischer Satz: Sie nimmt eine Auseinanderlegung von Begriffen vor, eine Analyse ihrer Bedeutungen. Sie stellt einen terminologischen Zusammenhang her zwischen dem moralischen Prädikat ›gut‹ und dem natürlichen Prädikat Q, eine bedeutungstheoretische Gleichsetzung von Normen und Fakten. Sie formuliert eine Definition, eine Aussage über den Sinn von Wörtern der moralischen Sprache. Sie behauptet, dass das normative Attribut ›gut‹ über das faktische Attribut Q erklärt sei und nichts anderes als dieses bedeute. Dies ist nach Moore grundlegend falsch, ganz gleich was Q inhaltlich genauer sein mag. Hier wird in jedem Fall ein formaler Fehler begangen.

(2) Moores Thema ist also der normlogische Status von obersten Prämissen in moralischen Schlüssen. Eine solche Prämisse ist korrekt formuliert, wenn sie ihrerseits eine höhere Norm, ein synthetisches Prinzip vorstellig macht (›Q ist gut‹). Sie ist irrtümlich formuliert, wenn sie als angebliche Definition, als analytische Wahrheit auftritt (›gut bedeutet Q‹). Diese Fehleinstufung ist ein naturalistischer Fehlschluss in Moores Sinne.

Genau genommen ist dabei der eigentliche Schluss, der vom Faktum auf die Norm führen soll, durchaus gültig. Wenn ›gut‹ tatsächlich Q bedeutet und wenn A zudem Q ist, dann folgt selbstverständlich, dass A gut ist:

gut bedeutet Q

A ist Q

→A ist gut

Was Moore beanstandet, ist nicht die Gültigkeit dieses Schlusses als solchem, sondern die sprachliche Gestalt der ersten Prämisse. Dass Moore dennoch von einem naturalistischen Fehlschluss spricht, erscheint unstimmig. Auch dürfte es erheblich dazu beitragen, dass Moores ›naturalistischer Fehlschluss‹ vielfach mit Humes Sein-Sollen-Fehlschluss gleichgesetzt wird: ›Humes Gesetz‹ hat immerhin in der Tat einen ungültigen Schluss zum Gegenstand (von ›A ist Q‹ auf ›A ist gut‹). Moores Beobachtung hingegen betrifft allein eine fehlerhafte Prämisse (›gut bedeutet Q‹ statt ›Q ist gut‹). Letzteres als Fehlschluss zu bezeichnen, legt die Verwechslung mit Ersterem nahe.