Gärten des Jahres 2022

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Gärten des Jahres 2022
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GÄRTEN
DES
JAHRES

Die

50 schönsten

Privatgärten

DIETER KOSSLICK

KONSTANZE NEUBAUER


INHALT

Einleitung

Die Jury

Partner und Sponsoren

1. Preis/Anerkennungen

1. Preis

Im Garten der alten Schmiede Norddeutschland Horeis+Blatt Partnerschaft mbB, Garten- u. Landschaftsarchitekten BDLA

Anerkennungen

Indian Summer Feeling Krefeld, Nordrhein-Westfalen Brigitte Röde - Planungsbüro Garten und Freiraum

Ein Garten für die ganze Familie Thun, Kanton Bern, Schweiz Gartenkultur AG

Adieu Tristesse! München, Bayern Inspired by Nature – Landschaften und Gärten

Ein gepflanztes Märchen Bonn, Nordrhein-Westfalen Jörg Lonsdorf - Die Gartenthusiasten


Nachhaltigkeit im Garten leben Bremen Cordula Hamann – Gärten und mehr

Gärten waren sein Leben Brigitte Röde über den Gartenfotografen Gary Rogers

Projekte

Auf der Warft Norddeutschland Horeis+Blatt Partnerschaft mbB, Garten- u. Landschaftsarchitekten BDLA

Im Garten des Baumliebhabers Wernetshausen, Kanton Zürich, Schweiz Simon Rüegg Landschaftsarchitektur AG

Die Insel des Lebens Hamburg Soeren von Hoerschelmann Garten- und Landschaftsarchitektur

Vielfalt in der Einfachheit Freising, Bayern Anita Fischer Landschaftsarchitektin und Christopher Bradley-Hole Landscape

Baden in der Artenvielfalt Jurasüdfuss, Kanton Solothurn, Schweiz Hariyo Freiraumgestaltung GmbH


Gegensätze leben Haan, Nordrhein-Westfalen Gartenwerk sander.schumacher gmbh.co.kg

Im Garten am Sommerhaus Gartenstadt südlich von München, Bayern Koch+Koch GartenArchitekten. Alexander Koch

Blick in die Weite der Flussaue Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen gartenplus - die gartenarchitekten

Biodiversität im Blick Kanton Zürich, Schweiz egli jona ag

Reduktion auf das Wesentliche Belp, Kanton Bern, Schweiz Gartenkultur AG

In der Tradition alter Terrassenweinberge Region Hochrhein, Baden-Württemberg GRIMM garten gestalten

Wie aus einem Dach ein Garten wird Stuttgart, Baden-Württemberg Otto Arnold GmbH

Leben am Kanal Linthgebiet, Kanton St. Gallen, Schweiz Josef Dietziker, Gartenarchitekt


Im Tongruben-Garten Ketzin, Brandenburg Potsdamer Gartengestaltung GmbH

Pool-Garten mit echter Aufenthaltsqualität Kirchheim unter Teck, Baden-Württemberg Otto Arnold GmbH

Mehr Raum für Geselligkeit Sundern, Nordrhein-Westfalen Klute, Gärtner von Eden

Im Elfengarten Grünwald, München Stephan Maria Lang

Ein Boulevard als Geschenk Hamburg-Bramfeld WES LandschaftsArchitektur

Die Kunst der Raumbildung Kanton Zürich, Schweiz PARC'S Gartengestaltung GmbH

Am Puls der Landschaft Odenwald, Baden-Württemberg KEPOS Gartenarchitektur - Carola Dittrich

Hortus conclusus mit Wellness-Faktor Straelen, Nordrhein-Westfalen A und S GrünBau

Das Prinzip Großzügigkeit Zollernalbkreis, Baden-Württemberg k3 - LandschaftsArchitektur

Schwimmen in der City Bocholt, Nordrhein-Westfalen Garten Terpelle

Gärtnern über den Dächern der Stadt Nürnberg, Bayern büro für bauform

Grüne Visitenkarte für ein Reihenhaus Biedermannsdorf, Österreich Stix Gartendesign Kg

Architektonische Einheit Potsdam, Brandenburg Elena Walter (Freie Mitarbeiterin, Potsdamer Gartengestaltung GmbH)

Im Felsengarten Leverkusen, Nordrhein-Westfalen Gartenwerk sander.schumacher gmbh.co.kg


Vielfalt als Gestaltungsprinzip Bäretswil, Kanton Zürich, Schweiz Lustenberger Schelling Landschaftsarchitektur

Ab in die Sommerfrische Niederösterreich auböck+karasz landscape architects Vienna

Wiedergeburt eines Palais-Gartens Soest, Nordrhein-Westfalen Daldrup Gärtner von Eden

Willkommensgruß der Bäume Pech (Wachtberg), Nordrhein-Westfalen Peter Berg

Fenster zur Flusslandschaft Köln, Nordrhein-Westfalen Terramanus Landschaftsarchitektur

Ferien im eigenen Garten Jurasüdfuss, Kanton Solothurn, Schweiz Hariyo Freiraumgestaltung GmbH

Weiter Blick ins Wettersteingebirge Garmisch-Partenkirchen, Bayern Richter Garten

Schwimmen im Atriumgarten Bad Neuenahr, Rheinland-Pfalz Peter Berg

Wachgeküsst Ammersee-Region die-grille selbständige Landschaftsarchitekten

Methusalem im Pool-Garten Dreieich, Hessen Rudolph Garten- und Landschaftsbau GmbH

Wildromantischer Landschaftsgarten Herrliberg, Kanton Zürich, Schweiz Lustenberger Schelling Landschaftsarchitektur

Alles ist Veränderung Norddeutschland Horeis+Blatt Partnerschaft mbB, Garten- u. Landschaftsarchitekten BDLA


Seeblicke Region Tegernsee, Bayern Fuchs baut Gärten GmbH


Mehr als ein Vorgarten Heiligenhaus, Nordrhein-Westfalen BSS-LA

 

Schöne Aussichten Rheinland WKM Landschaftsarchitekten

Am Canaletto zu München München, Bayern Koch+Koch GartenArchitekten. Alexander Koch

Norddeutsch-Arabische Melange Norddeutschland Horeis+Blatt Partnerschaft mbB, Garten- u. Landschaftsarchitekten BDLA

Lösungen des Jahres 2022

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EINLEITUNG
von Dieter Kosslick
Wie der Gärtner tickt

1957, als ich gerade mal elf Jahre alt war, hatte ich meine erste Gartenerfahrung bereits hinter mir. In unserem kleinen schwäbischen Dorf besaß fast jeder und jede einen kleinen Garten, privat hinterm Haus oder auf freiem Feld zwischen den Dörfern. Die Gemeinde stellte das Land zur Verfügung. Dort wurde gegärtnert, um eigenes Gemüse zu ziehen, oder auch aus reiner Gartenfreude, oftmals verband sich beides.

1957 war laut einer Statistik „Gartenarbeit“ die zweitbeliebteste Freizeitbeschäftigung nach Zeitungs- und Zeitschriftenlesen. Heute, fast 65 Jahre später, „stehen Internet, Fernsehen und Computer“ auf den vorderen Plätzen.

Doch die Lust am Gärtnern auf eigener Parzelle oder vor den Toren der Stadt ist größer als je zuvor. Junge Familien wollen ihren Kindern zeigen, wie Gemüse wächst und dass die Milch nicht aus Tetra Paks kommt. Auch die stetig wachsende Zahl von Menschen, die unbehandelte und ungespritzte Lebensmittel essen wollen, vervielfacht die Sehnsucht, ein Stück Erde mit eigenen Händen zu bearbeiten.

Kleingärten, Schrebergärten oder Mietgärten mit schönen Namen wie „Glücksgärten“ sind so begehrt wie nie. Wer Glück hat, gehört zu den fünf Millionen „Laubenpiepern“ in einer Kleingartenkolonie. Suchanzeigen im Internet belegen diesen Trend: „Noch nie wurde nach den Begriffen ‚Pflanzen und Gewächshäuser‘ so oft gesucht wie heute. Die Deutschen verbringen danach viel Zeit mit Gärtnern“, so eine Google-Analyse.

Die Einstellung zum Garten und der Natur hat sich in den vergangenen Jahren radikal verändert. Dieses Vorwort entsteht mitten in der vierten Welle der Pandemie, und es wird auf dem Land, umgeben von einem Park und einem historischen Naschgarten geschrieben. Um mich herum wohnen dauerhaft oder am Wochenende Städter, die der Enge der Stadt entflohen sind. Noch nie ist vielen Menschen so bewusst geworden, was ihnen in dieser Zeit fehlt: Natur und Kultur.

Es geht neben der Sorge um den sicheren Arbeitsplatz immer mehr um gute Lebensmittel und Überlebensmittel wie Theater, Musik, Museen, Kino und Literatur – und Garten, oder präziser gesagt, das Gärtnern. Dem Home- office der isolierten Heimarbeit steht in dieser Zeit das wachsende Bedürfnis entgegen „ins Freie“ zu streben. In Parks und Gärten hinaus in die Natur wie einst die Wandervögel. Nicht nur Hotels und Restaurants wurden in Windeseile nach den Lockerungen der Pandemieregeln auf Monate voraus reserviert, sondern auch die meisten Kulturveranstaltungen. „Ins Freie“ lautete das Motto des Sommerprogramms im brandenburgischen Schinkelschloss Neuhardenberg mit seinem wunderschönen Staudengarten und weitläufigen Peter Josef Lenée-Park. In wenigen Stunden war auch dieses Programm komplett ausverkauft. Die Menschen konnten es nicht erwarten, „ins Freie“ zu kommen, zu Open-Air-Konzerten, Kinoabenden und kulinarischen Arrangements.

Plötzlich realisierten sie, wie eng die doch so hochgelobten Kulturmetropolen wurden und wie groß die Sehnsucht nach frischer Luft ohne Maske.

Eine regelrechte Stadtflucht begann und eine Autostunde rund um Berlin gab es keine Einfamilienhäuser, Datschen und Schrebergärten mehr. Dies markiert nur den vorläufigen Höhepunkt, forciert durch das Virus, was schon länger in den lauten und Abgas-stickigen Städten vor sich geht.

Luftschlösser statt Prinzessinnengarten

Vor einigen Jahren schrieb ich einen Leserbrief zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses, einem monumentalen postbarocken Betonklotz mit einer 200 m langen, nachgemachten Preußen-Fassade. Wer sich ein solches Schloss, das über eine Milliarde Steuergelder verschlingt, leisten kann, sollte sich auch einen kleinen Prinzessinnengarten gönnen, schrieb ich. Dieser, von jungen Gartenenthusiasten gepflanzte Prinzessinnengarten mitten in Kreuzberg, holte damals die Natur und das Gärtnern in die Stadt zurück und machte urban gardening weltweit bekannt. Und dieser Modellgarten war wieder einmal gefährdet. Das Grundstück liegt im heißen Spekulationsgebiet der Innenstadt. Mit einer Milliarde Euro Schlossaufbauhilfe hätte man die schönsten Stadtteilgärten der Welt anlegen und unterstützen können. Dann wäre sogar noch genügend Geld übrig gewesen, um auf der Wiese des heutigen Schlossgeländes, auf dem Gelände des abgerissenen Palasts der Republik der DDR, einen Garten der Lüste und der Wiedervereinigung, einen riesigen gesamtdeutschen Naschgarten anzulegen. Für eine Zeit lang hätte dieser Garten Ost und West verbunden und alle Nationen zum gemeinsamen Gärtnern eingeladen.

Was für ein verbindendes Paradies, was für ein globaler Integrations-Garten mit Einflüssen aus der ganzen Welt hätte das werden können.

So absurd das vielleicht klingen mag, so absurd wie die verrückte und realisierte Idee, mitten in Berlin heute wieder ein Kaiserschloss aufzubauen, ist die Gartenidee bei Weitem nicht. In seinem engagierten Essay „Die große Illusion – Ein Schloss, eine Fassade und ein Traum von Preussen“ schreibt Hans von Trotha über die nicht enden wollenden Kontroversen über dieses Bauwerk.

Er zitiert den Architekturhistoriker Julius Posener mit einem Gartenvorschlag ganz besonderer Art: Garten statt Schloss. „Mein Vorschlag ist der: Man lasse sich Zeit. Man baue an diese Stelle, ich meine an die Stelle der alten Lustgartenfront eine Front, welche als Durchgang dienen möge: als Durchgang zunächst zu einem Garten. Es ist natürlich im höchsten Maße wünschenswert, dass an dieser Stelle der Stadt einmal ein Gebäude von großer Wichtigkeit für das Leben der Stadt stehen möge: etwas Lebendigeres als das alte verlassene Kaiserschloss. Wir wissen noch nicht recht, was das sein soll. Lassen wir uns Zeit.“

Dies kommentiert Hans von Trotha trocken, „ (…) dass auf diesen Rat gehört werden würde, war von allen die allergrößte Illusion“. Und so steht nun das Schloss. Die gute Nachricht: im Prinzessinnengarten blüht es auch noch, und noch immer gibt es Guerilla-Gardening mit selbst gemachten Blumensamenbomben, die in die Beton- und Schotterritzen der Stadt geworfen werden.

Ein Hoch auf das Beet

Trotz dicker Luft: Die Pflanzen erobern im Sommer die Städte wieder auf besondere Art. Beerensträucher und Blumen, gierige Kürbisse und Zucchini schlängeln sich mit ihren riesigen grünen Blättern und sonnengelben Blüten über die Geländer kleinster Balkone und durch Minigärten. Wer mehr Platz hat und bereits einen Garten vor den Toren der Metropolen ergatterte, erfreut sich am Staudengärtnern. Aber neben dem legendären Rittersporn und der Schachbrettblume des noch legendäreren Staudenpapstes, Pionier, Gartenphilosophen und Autor zahlreicher Gartenbücher, Karl Foerster, wird jetzt auch in der Stadt für die Küche gegraben und gepflanzt.

Im Stehen, ohne sich zu bücken: Das Hochbeet trat seinen bisher ungebremsten Siegeszug dank der Lust an selbst gepflanzten und essbaren Landschaften an. Pflücksalat, nicht Bücksalat, heißt die Parole. Und statt der nicht enden wollenden Fotos von sensationell designten Sternegerichten, die einem weltweit Speisehedonisten auf das Handy schicken, kommen jetzt, wie Kai aus der Kiste, Fotos der ersten Ernte eigener Rauke, der Radieschen und des gesäten Feldsalates aufs Display.

Auch ich bin dabei. Die vielen frischen Kräuter für das süddeutsche Spargelgericht mit Kratzede meiner Mutter kommen aus meiner Stadtgartenkiste. Kratzede ist übrigens ein Kräuterpfannkuchen, der wie ein salziger Kaiserschmarren in der Pfanne bereits zerteilt wird. Eine köstliche Beilage für weißen und grünen Spargel.

Ein Hochbeet ist einfach genial: „Zeitiger ernten und länger ernten“, so die Hochbeetunternehmerin und Autorin Doris Kampas in ihrem bestsellersicheren Allmanach „Garten aus der Kiste“.

Legoland-Bewegung

Zurück vom Hochbeet zu noch höheren Einheiten: die neue Lust am Land, der Natur und der Staudenparadiese, des Bird Watchings, selbst gerührten Marmeladen und trüben Apfelsaft von Streuobstwiesen ist nur eine Art Legoland-Bewegung, verglichen mit den großen Veränderungen in der Natur. Der größten seit Menschheitsgedenken, wie es so immer heißt, der Klimakatastrophe. Die noch von ziemlich freien Topdemokraten verhöhnten und geschuriegelten Jugendlichen „Politik sollte man Profis überlassen“, haben Parteimanager und Energiefunktionäre in ihre Schranken verwiesen. Das Bundesverfassungsgericht hat der herrschenden Klasse, dem Wirtschafts- und Verkehrsminister höchstrichterlich bescheinigt, dass durch ihr Zögern der Lebensraum und die Zukunft der nächsten Generationen aufs Spiel gesetzt wird. „Setzen fünf, nachsitzen“, hätte man dazu früher gesagt. Die Politiker können froh sein, dass die meisten Jugendlichen noch nicht zur Wahl gehen dürfen.

Manipulierte Verbrennungsmotoren der Autoindustrie, sinnlose Verlängerung der Laufzeiten veralteter Kohlekraftwerke, eine CO2-intensive Landwirtschaftspolitik und eine Lebensmittelbranche, die mit großem Einsatz von Chemie die Nahrungsmittelproduktion vervielfacht, verbilligt und damit zum massenhaften Wegwerfen essbarer Produkte animiert: In Deutschland werden jedes Jahr rund 12 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Das alles muss ein Ende haben, sollen die Klimaziele erreicht werden. „Wir haben es satt“ skandieren Tausende von Menschen jeden Januar vor dem Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft und demonstrieren für „Bio“ und „Zero Waste“. Auf den letzten Drücker stellte die Kanzlerin die Ergebnisse einer „Zukunftskommission Landwirtschaft“ vor, die eine radikale Wende hin zu organischem Landwirtschaften, klimaschonendem Produzieren und ein Ende der unsäglichen Quälerei in der Massentierhaltung vorschlägt. Die zuständige Ministerin, verantwortlich für die fehlgeleiteten Milliarden Euro Subventionen, durfte erst gar nicht mit zur Pressekonferenz.

Auch ohne Pandemie und die permanente Luftverschmutzung ist das Bedürfnis nach frischer Luft in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Gepaart mit neu erwachtem Heimatgefühl und der Suche nach den eigenen Wurzeln und der Identität. Es hatte sich still und leise, aber millionenfach angekündigt und entwickelte sich ganz unpolitisch: plötzlich füllten sich die Regalreihen der Zeitschriftenläden mit Titeln wie „Landlust“ und „Landleben“, einfache schöne Dinge für ein einfaches schönes Leben.

 

Natürlich mit Gartenvorschlägen und Rezepten von „Kraut und Rüben“. Natur ist angesagt und Kochen mit Gemüse nach internationalen Bestsellerautoren wie Yotam Ottolenghi. Vegetarisch, vegan, selbstverständlich.

Auch Unkraut wird neu definiert und die toxisch tödlichen Unkrautvernichtungsmittel lösen eine Prozesswelle gegen die Hersteller aus und verderben ihnen die Aktienkurse in Milliardenhöhe. Natürlich sollen jetzt auch die Gärten naturnah aussehen, aber damit es wirklich schön natürlich aussieht, muss schon ein wenig der grüne Daumen bewegt werden. Der Gärtner ist schließlich auch Gestalter der natürlichen Wirklichkeit, genauso wie die professionellen Gartengestalter und Architekten. Sie alle greifen in die Natur ein, indem sie durch ihre konzeptionelle Arbeit und ihr Pflanzenwissen ein Stück Landschaft gestalten, welches die Natur zurück in den Garten holt. Dafür gibt es in diesem Buch großartige Beispiele.

Gärten als Medium, als Inszenierung und Verwandlung der Natur zur optischen und haptischen Freude, als Rückzugsort und Oase. Wer mehr Platz hat, kann sich an romantisch gestalteten Gartenanlagen und Staudenparadiesen großer Garten- und Parkkünstler orientieren: zum Beispiel Fürst von Pückler-Muskau in Branitz, Muskau und Babelsberg, Peter Joseph Lenné im Berliner Tiergarten und Charlottenhof. Auch beim Englischen Garten in München und seinem Nymphenburger Park von Friedrich Ludwig Sckell.

Trotz allem: Die früher so beliebten Kiesel- und Waschbetongärten gibt es immer noch wie die pathologischen Rasenmäher. Dem Gänseblümchen, Klatschmohn, der Kornblumen und dem gemeinen Staub bleiben oft keine Chance. Und Beton ist einer der ganz großen Klimasünder und CO2-Emittenten. Der Gartenfuhrpark wird ebenfalls aufgerüstet: Rasenmähertraktoren ersetzen die kindliche Freude des Bobbycarfahrens. Kanonen blasen Blatt und Blüte aus den letzten Winkeln. Hauptsache staubfrei. Elektrisch betriebene Motoren würde man ja weder hören noch riechen. Dass diese Orte sowohl der privaten Gartenmotorisierung wie der öffentlichen, kommunalen Straßen- und Parkpflege den CO2-Ausstoß vermehren, bringt die „Gartenfighter“ nie zum Nachdenken. Die unzulässigen Dezibel-Werte überhören sie geflissentlich.

Ubi bene, ibi patria

Diese Natur- und Zurück-zur-Naturbewegung hängt oft mit der Suche nach Heimat und Identität zusammen. „Heimat ist für die meisten Menschen dort, wo die Geschichte ihren Anfang nimmt. Diesem Anfang wohnt ein Zauber inne, der das ganze Leben anhält“, so der Lebenskunst-Philosoph Wilhelm Schmid in seinem aktuellen Buch „Heimat finden“.

In dem kleinen schwäbischen Dorf meiner Kindheit waren die Elemente meiner kindlichen Sozialisation die Bäckerei und das dazugehörige Kolonialwarengeschäft(!) in unserem Hause. Ebenso die Kirche, die alte Schule, der Gesangsverein und vor allem der Gemüsegarten, der Lieferando für das täglich selbst gekochte Essen meiner Mutter und ihrem unvergleichlich guten Gedeckten Schwäbischen Apfelkuchen. Gärtnern zur Selbstversorgung, zur Freizeitbeschäftigung und zur Augenweide.

Gartenarbeit, wie meine Mutter das Gärtnern nannte, als Lebensphilosophie? Mindful Gardening? Der heimatliche Garten hat viel mit der Landschaft zu tun, in die man geboren wird. Die Dahlien in unserem kleinen Garten vergesse ich genauso wenig wie die sensationellen Kakteenblüten in Rot und Orange, atemberaubende Farben und Formen auf dem Fensterbrett unseres 80-jährigen Nachbarn. Heimat, der Ort an dem man sich wohl fühlt, auch in der fernen Erinnerung.

„Ubi bene, ibi patria“, scherzte unser sächsischer Lateinlehrer. Das heißt auf Sächsisch nicht „Wo die Beine sind, ist auch dein Heimatland“, belehrte er uns, sondern „Wo es gut ist, ist dein Heimatland“.

So wurde mein zweiter Garten 20 Jahre später im hohen Norden auf den verwilderten Wiesen eines reetgedeckten sehr alten Bauernhauses nach diesen Erinnerungen angelegt. Meine Mutter half noch mit, die schwere Wiese umzugraben – ein ähnlicher Garten wie zu meiner Kindheit, sogar mit einem kleinen Kartoffelacker, wurde angelegt und natürlich Stauden gepflanzt aus Karl Foersters Universum.

Ein automatischer Blütengarten sollte es werden – seine geniale Erfindung für den faulen Gärtner. Karl Foerster sollte mich von da an durchs Leben begleiten.

Die Wiese hinter diesem alten Reetdachhaus war seltsam bepflanzt: auf den fast zwei Hektar Land wuchsen im ersten Frühling endlose Reihen von leuchtenden gelben Narzissen in großen Bündeln in Reih und Glied. Jedenfalls betrug der Abstand zwischen den Reihen beachtliche 5 Meter. Vor dem Haus wuchsen nur vereinzelte Büschel dieser Narzissen, seltsam verteilt über die Wiese. Die Nachbarn klärten uns auf: der Vorbesitzer Heini van Holten trug als einziger Nazi-Uniform im kleinen Dorf und pflanzte zu Ehren seines Partei-Idols ein 10 x 10 m großes Hakenkreuz aus Osterglocken vor dem Haus. Er kam erst Anfang der 50er-Jahre wieder aus der Gefangenschaft zurück. Bis dahin wurde das Hakenkreuz jedes Jahr größer und größer. In seiner Panik riss Heini alle Pflanzen raus und pflanzte sie hinters Haus. Parallel mit großem Abstand, denn Parallelen treffen sich nur in der Unendlichkeit, wie wir aus der Schule wissen. Aber die Natur lebt Geschichte weiter und Zwiebelgewächse wie Osterglocken lassen sich nicht so einfach entfernen.

Selbst 50 Jahre nach Ende des Krieges erfreuten uns einige stark gewachsene Überbleibsel. Der Garten als Lügendetektor, ein Stück Wahrheit gegen die kollektive Vergesslichkeit und der eigenen Vergangenheit?

Jedenfalls Vorsicht, Gartengestalter, bei all zu deutlichen Pflanzmotiven.

Durch einen Nachbarn motiviert – einen ehemaligen Karl-Foerster-Schüler – legten wir unsere Staudenbeete nun nach seinen Prinzipien an.

Rittersporne mit fantastischen Namen wie 'Flötensolo', 'Nachtauge', 'Größenwahn', nachtblaue-violette 'Kirchenfenster', coelinblaue 'Blue Boys', 'Gletscherwasser' mit klarstem Eiswasser-Blau. Und natürlich Phlox 'Aurora', lachsfarben, und der berühmte 'Bornimer Nachsommer', eine „wüchsige Spätsorte, warmrosa, großblütig und regenfest“. Der kostete übrigens 1975 in der DDR 1,50 DDR-Mark, laut Foersters Staudenkatalog aus dieser Zeit.

Mehr als 50 Rittersporne hatte Karl Foerster in seinem Programm. Auch heute können noch viele in der ehemaligen „VEB Bornimer Staudenkultur“ in Bornim-Potsdam, Am Raubfang, besichtigt und gekauft werden.

Die unendliche Vielfalt seiner starken Pflanzen umschlossen bald die schuldlosen Narzissen. Auch in unseren Tagen gibt es einen international bekannt gewordenen Garten. Ein Garten, der die Seelen seiner Besitzer widerspiegelt. Als Donald Trump ins Weiße Haus als Präsident einzog, ließ seine Frau Melania den Rosengarten des Weißen Hauses in Washington neu gestalten. Sie ließ die Zierapfelbäume rausreißen und den wunderschönen Staudengarten mit der ganzen Pracht und Vielfalt heimischer Pflanzen ihrer Vorgängerin Michelle Obama umpflügen. Sie lies „einen Rosengarten des Grauens“ anlegen, wie die Süddeutsche Zeitung schrieb. Steinplatten wurden verlegt, Formschnittgehölze gestutzt und „ein seelenloses Stück Rasen“ eingesät. Die Autorin Mareen Linnertz zitiert die Gartenbauarchitektin Gabriella Pape, die den Garten „als ein Symbol der Kontrolle“ beschreibt und die Hoffnung äußert, dass es keine zehn Jahre dauert, bis daraus eine Wildwiese nach dem Regierungswechsel geworden ist.

Ihr Wunsch könnte schneller in Erfüllung gehen, wenn der neue Präsident Joe Biden auf die fast 75.000 Menschen reagiert, die eine Petition unterschrieben haben, das symbolträchtige Stück Land wieder zurückzubauen. Hoffen wir, dass er die richtigen Gartenarchitekten findet, die einen Garten der Vielfalt, der Unterschiedlichkeit und der Toleranz und Freiheit kreieren. Schon im 15. Jahrhundert philosophierte der erste Architekturtheoretiker Leon Batista Alberti, dass der Garten die Seele des Gartenbesitzers zeigen sollte. Die Kleingartenbesitzerin Tanja sagte es im Bayerischen Fernsehen etwas einfacher: „Man sieht dem Garten an, wie der Gärtner tickt.“

Als ich im hohen Norden vom Karl-Foerster-Fieber befallen wurde und mit Sammelleidenschaft nach seinen großartigen Büchern, Zeitschriften und Staudenkatalogen suchte, stand ich vor einem fast leeren Bücherregal in einem Hamburger Antiquariat. Ich suchte Exemplare seiner „Gartenliebe“. Es gab nur noch zwei Ausgaben und daneben stand, einsam verloren, ein kleines Büchlein mit schönem Einband aus blauem Rittersporn vor einem kleinen Haus. Titel: „Meine Frau die Gärtnerin“.

Ich blätterte und freute mich über die schönen Blumenzeichnungen und Staudenaquarelle. Die Autorin kannte ich nicht. Ich nahm das kleine Büchlein mit, alleine sollte es da nicht stehen bleiben. Irgendwann fing ich an zu lesen und erfuhr eine Gartengeschichte der besonderen Art. Ein Herr Metzger, ein Abenteuerautor der ursprünglich ein Buch über Afrika schreiben sollte, erkrankte so ernsthaft, dass er sein Buch nicht weiterschreiben konnte. Doch benötigte er das Honorar dringend und das Buch musste fristgemäß abgeliefert werden.

So änderte sich plötzlich mitten im Buch der Schreibstil und das Sujet. Seine Frau schrieb das Buch zu Ende, und da sie nicht die Abenteuererfahrung ihres Mannes hatte, beschrieb sie den Garten des Nachbarn. Präzise, im Detail, jede Staude, jede Blüte. Mir kamen einige dieser Pflanzen und auch der Garten bekannt vor. Während meiner Foerster-Euphorie besuchte ich öfters seinen automatischen Senkgarten und sein Staudenparadies und heutiges Weltkulturerbe in Bornim. Dort kaufte ich Foerster-Stauden für meinen Garten und lernte auch seine Tochter kennen.

Durch sie erfuhr ich, dass das Autorenehepaar ihr kleines Häuschen direkt neben Karl Foersters Staudenparadies hatte und „Meine Frau die Gärtnerin“ genau den Garten ihres Vaters beschrieb. Aus welchem Zufall ausgerechnet die schriftstellerischen Werke zweier Nachbarn Jahrzehnte später auf einem Regalbrett eines Antiquariats gelandet sind, wird wohl niemals aufgeklärt werden. Am einfachsten wohl, weil sie unter Gartenbücher rubriziert wurden, oder am fantasievollsten, weil sie zusammengehörten, wie alle Nachbars Gärten.

Dieses wohl unfreiwillig erzwungene Buchsujet der Frau des Autoren wurde aus der Not geboren und beweist, wie inspirierend Garten und Blumen für Geschichten sein können. Nachbars Garten als Buch – und sogar als Drehbuch? Die Filmwelt liebt Parks als Locations und Symbole. Viele Filme der Filmgeschichte beziehen ihre Spannung, den Suspense und ihre Mystik aus Gärten und Parks. Nina Gerlach beschreibt in ihrem Buch „Gartenkunst im Spielfilm“ viele Filme, die den Garten als Motiv haben oder im Garten spielen. Es gibt immer einen Zusammenhang zwischen Gartendesign, beziehungsweise der Gartenanlagen, und der Geschichte, die im Film erzählt wird.

Wie die Präsidentengärten in Washington, spiegeln Gärten und Garten immer auch die politischen Systeme. „Der französische Barockgarten, wie ihn Le Notre für Ludwig XIV. in Versailles gestaltete, war Sinnbild einer hierarchischen Staats- und Weltordnung. Im Gegenzug war der Landschaftsgarten, der – getragen von den Ideen der Aufklärung und des Sensualismus – um 1720 in England entstand, Ausdruck einer geistesgeschichtlichen Revolution und Symbol bürgerlicher Freiheit“ schreibt die Filmwissenschaftlerin Fabienne Liptay in „Bildraum und Erzählraum“.

So spielt Peter Greenaways verzwickter, erotischer Thriller „Der Kontrakt des Zeichners“ in einem Barockgarten die Hauptrolle. In „Park und Filmkulisse“ deutet die Filmwissenschaftlerin und Gärtnertochter Dorothee Wenner Greenaways Film als „allegorischen Kampf zwischen zwei rivalisierenden Gartentheorien“. Als sich am Schluss des Films „der französische Barockgarten … in einen englischen Landschaftsgarten verwandelt, haben sich auch die Herrschaftsverhältnisse … umgekehrt: die Verschwörung der Frauen hat die patriarchale Ordnung unterwandert.“

Und in Antonionis „BLOW UP“ wird ein gespenstisch angeleuchteter Park der Ort des Verbrechens und seiner Aufklärung. Der Garten als Tatort im wahrsten Sinne des Wortes mit einfachen Regeln: im akkuratesten Garten lauert das gemeinste Verbrechen. Kino, Parks und Gärten haben viele Gemeinsamkeiten. Sie sind im weitesten Sinne Entertainment. Noch mal Hans von Trotha. In seinem Buch „Der Englische Garten“ beschreibt er den Landschaftsgarten als „(…) das erste Medium einer Wirkungsästhetik.“

Und Filme können wiederum wie die künstlich angelegten Gärten des 18. Jahrhunderts sein. So klug konstruiert und angelegt, dass nirgendwo Grenzen zu erkennen sind. Sie verschmelzen mit der Natur, sind nicht wahr, aber berauschend. Sie simulieren unendliche Perspektiven und Blicke – und sie initiieren ein Gefühl von Freiheit.