Sadhana des Körpers

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Omsriaurobindomira

Alles

Leben

ist

Yoga

“All life is Yoga.” – Sri Aurobindo

Sadhana des Körpers

Sri Aurobindo | Die Mutter


SRI AUROBINDO

DIGITAL EDITION


Copyright 2019

AURO MEDIA

Verlag und Fachbuchhandel

Wilfried Schuh

www.auro.media

eBook Design


SRI AUROBINDO DIGITAL EDITION

Deutschland, Berchtesgaden

ALLES LEBEN IST YOGA

Sadhana des Körpers Auszüge aus den Werken von Sri Aurobindo und der Mutter 2. erweiterte und überarbeitete Aufl. 2019 ISBN 978-3-96387-030-9


© Fotos und Textauszüge Sri Aurobindos und der Mutter:

Sri Aurobindo Ashram Trust

Puducherry, Indien


Blume auf dem Cover:

Ixora coccinea. Tiefrot. Die von der Mutter gegebene spirituelle Bedeutung: Aspiration im Physischen Vielfältig, einfach und freudig.

Anmerkung des Herausgebers

Einfache Auszüge aus den Werken Sri Aurobindos und der Mutter sollen für die Sadhana eine praktische Orientierung zu bestimmten Themen geben. Die Themen behandeln das gesamte Feld menschlicher Aktivitäten, denn wahre Spiritualität ist nicht eine Abkehr vom Leben, sondern die Kunst, das Leben zu vervollkommnen.

Die Übersetzung der Textstellen von Sri Aurobindo erfolgte aus dem ursprünglichen Englisch, während die meisten Passagen der Mutter bereits Übersetzungen aus dem Französischen waren. Fast alle Texte der Mutter wurden ihren Gesprächen, die sie mit Kindern und Erwachsenen führte, entnommen, einige ihren Schriften. Wir müssen außerdem berücksichtigen, dass die Auszüge ihrem ursprünglichen Zusammenhang entnommen wurden und dass jede Zusammenstellung ihrer Natur nach möglicherweise einen persönlichen und subjektiven Charakter hat. Es wurde jedoch der aufrichtige Versuch unternommen, der Vision Sri Aurobindos und der Mutter treu zu bleiben.

Die Textauszüge sind vom Verlag zum Teil mit Kapiteln und Überschriften versehen worden, um ihre Themen hervorzuheben. Sofern es möglich war, wurden sie in Anlehnung eines Satzes aus dem Text selbst gewählt.

Sri Aurobindo und die Mutter machen von der in der englischen Sprache gegebenen Möglichkeit, Wörter groß zu schreiben, um ihre Bedeutung hervorzuheben, häufig Gebrauch. Mit dieser Großschreibung bezeichnen sie meist Begriffe aus übergeordneten Daseinsbereichen, doch auch allgemeine wie Licht, Friede, Kraft usw., wenn sie ihnen einen vom üblichen Gebrauch abweichenden Sinn zuordnen. Diese Begriffe wurden in diesem Buch kursiv hervorgehoben, um dem Leser zu einer leichteren Einfühlung in diese subtilen Unterscheidungen zu verhelfen.

Einige wenige Sanskritwörter wie Sadhana, Sadhaka, Yoga usw. wurden eingedeutscht, da sie durch ihren häufigen Gebrauch bereits als Bestandteil der deutschen Sprache angesehen werden können. Alle anderen Sanskritwörter sind kursiv hervorgehoben, wobei auf diakritische Transkriptionszeichen verzichtet wurde.

Die kursiv geschriebenen Textpassagen vor den Worten Sri Aurobindos und der Mutter sind Fragen bzw. Antworten von Schülern oder sonstige erläuternde Texte.

„Wahre Spiritualität bedeutet nicht, dem Leben zu entsagen, sondern das Leben mit einer Göttlichen Vollkommenheit zu vervollkommnen.“ – Die Mutter

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InhaltsverzeichnisTitelseiteCopyrightAnmerkung des HerausgebersZitat Sri AurobindosI. KÖRPERERZIEHUNG1. Die Vollkommenheit des Körpers2. Körperbeherrschung3. Die wahre Bedeutung der Körpererziehung4. Die Hauptaspekte der Körpererziehung5. Die Disziplin des Körpers6. Sport und Körperübungen7. Konzentration und Zerstreuung8. Der bewusste Wille9. Wie man im Körper die Aspiration nach dem Göttlichen erweckt10. Über sich hinauswachsen11. Gleichmut als Grundlage im äußeren Wesen12. Das ABC der Transformation des KörpersII. YOGA DES KÖRPERS1. Eine neue Möglichkeit für den Körper2. Der Körper: Menschlich und Göttlich3. Anfänge der physischen Transformation4. Die Brücke im Körper bauen5. Der große Übergang6. Die Übertragung der Kraft7. Herabkunft des Übermenschen8. Das Bewusstsein der Unsterblichkeit9. Der neue Körper der Mutter10. Der Sieg über den Tod – Erinnerungen von Nolini Kanta GuptaANHANGQuellenangabenGuideCoverInhaltsverzeichnisStart


Sri Aurobindo

Ein göttliches Leben in einem göttlichen Körper –, das ist die Formulierung unseres angestrebten Ideals. — Sri Aurobindo

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Teil 1
KÖRPERERZIEHUNG

Spirituelles Leben bedeutet für uns nicht Missachtung der Materie, sondern ihre Vergöttlichung. Wir wollen den Körper nicht zurückweisen, sondern ihn umwandeln. Für diese Transformation ist Körpererziehung eines der Mittel, das am direktesten wirkt. — Die Mutter

1. Kapitel
Die Vollkommenheit des Körpers

Worte der Mutter

Spirituelles Leben bedeutet für uns nicht Missachtung der Materie, sondern ihre Vergöttlichung. Wir wollen den Körper nicht zurückweisen, sondern ihn umwandeln. Für diese Transformation ist Körpererziehung eines der Mittel, das am direktesten wirkt.

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Worte Sri Aurobindos

Die Vollkommenheit des Körpers, eine größtmögliche Vollkommenheit, die wir durch die uns zur Verfügung stehenden Mittel erreichen können, muss das letztendliche Ziel der Körpererziehung sein. Vollkommenheit ist das wahre Ziel jeder Art von Erziehung, der spirituellen und der psychischen, der mentalen, der vitalen, und sie muss auch das Ziel unserer Körpererziehung sein. Wenn wir nach einer gänzlichen Vervollkommnung des Wesens streben, kann der körperliche Aspekt nicht außer acht gelassen werden; denn der Körper ist die materielle Grundlage, der Körper ist das Instrument, das uns zur Verfügung steht. Sariram khalu dharmasadhanam, sagt ein altes Sanskrit-Sprichwort –, der Körper ist das Mittel zur Erfüllung des Dharma, und Dharma bedeutet jedes Ideal, das wir uns setzen können, sowie das Gesetz seiner Entwicklung und seines Wirkens. Eine allumfassende Vollkommenheit ist das höchste Ziel, das wir uns setzen; denn unser Ideal ist das Göttliche Leben, das wir hier gründen wollen, ein Leben des Geistes, das auf der Erde erfüllt ist, ein Leben, das seine eigene spirituelle Umwandlung sogar hier auf Erden unter den Bedingungen des materiellen Universums erreicht. Das kann nur geschehen, wenn auch der Körper eine Umwandlung durchläuft, und wenn sein Handeln und seine Funktionen höchste Leistungsfähigkeit erlangen und die Vollkommenheit erreichen, die ihm möglich ist oder ermöglicht werden kann.

 

Ich habe schon in einer früheren Schrift auf die relative Vervollkommnung des physischen Bewusstseins im Körper hingewiesen, sowie auf diejenige des Mentals, des Lebens und des Charakters, die er beherbergt. Diese Vervollkommnung ist ebenso wie das Erwecken und Entwickeln der dem Körper innewohnenden Fähigkeiten ein erwünschtes Ergebnis der Übungen zur Körpererziehung, denen wir in diesem Ashram eine besondere Aufmerksamkeit und Bedeutung zu widmen begonnen haben. Die Entwicklung des physischen Bewusstseins muss immer ein beträchtlicher Teil unseres Strebens sein, wozu jedoch die richtige Entwicklung des Körpers selbst ein unentbehrliches Element ist; Gesundheit, Stärke, Fitness sind die ersten grundlegenden Bedürfnisse, doch der Körperbau selbst muss der bestmögliche sein. Ein göttliches Leben in einer materiellen Welt setzt notwendigerweise die Vereinigung der beiden Enden der Existenz voraus, des spirituellen Gipfels und der materiellen Basis. Die Seele, deren Lebensgrundlage in der Materie liegt, steigt empor zu den Höhen des Geistes, aber verwirft ihre Grundlage nicht, sondern verbindet die Höhen mit den Tiefen. Der Geist steigt mit all seinem Licht, seinen Herrlichkeiten und Kräften in die Materie und stoffliche Welt herab und erfüllt und verwandelt mit ihnen das Leben in der materiellen Welt, so dass es immer göttlicher wird. Die Transformation ist kein Wandel in etwas rein Subtiles und Spirituelles, zu dem die Materie von ihrer Natur her im Widerspruch steht, und für das die Materie ein Hindernis oder eine Fessel darstellt, die den Geist bindet; die Transformation nimmt die Materie als eine Form des Geistes an, wenn auch eine Form, die ihn noch verschleiert, und wandelt sie in ein enthüllendes Instrument, sie verwirft nicht die Energien, Fähigkeiten und Methoden der Materie; sie bringt ihre verborgenen Möglichkeiten zum Vorschein, erhebt und verfeinert sie und offenbart die ihr innewohnende Göttlichkeit. Das göttliche Leben wird nichts zurückweisen, das vergöttlicht werden kann; alles muss ergriffen, erhöht und gänzlich vervollkommnet werden. Das Mental, das jetzt noch unwissend ist, auch wenn es sich um Erkenntnis bemüht, muss sich in das supramentale Licht und die supramentale Wahrheit erheben und sie herabbringen, so dass sie unser Denken, unsere Wahrnehmung und Einsichtsfähigkeit und all unsere Mittel der Erkenntnis durchdringen, bis sie in ihren innersten und äußersten Regungen die höchste Wahrheit ausstrahlen. Unser Leben, noch voller Dunkelheit und Verwirrung und mit so vielen stumpfsinnigen und niederen Zielen beschäftigt, muss sich in all seinen Antrieben und Instinkten erhöht und verklärt fühlen und ein herrliches Ebenbild des supramentalen Lebens über uns werden. Das physische Bewusstsein und physische Wesen, der Körper selbst, muss in allem, was er ist und tut, eine Vollkommenheit erreichen, die wir uns jetzt kaum vorstellen können. Er könnte schließlich sogar von einem Licht, einer Schönheit und Glückseligkeit aus höheren Bereichen überflutet werden, und das göttliche Leben würde einen göttlichen Körper annehmen.

Doch zunächst muss die Evolution der Natur einen Punkt erreicht haben, an dem sie dem Geist unmittelbar begegnen kann, das Streben nach einem spirituellen Wandel fühlt und sich dem Wirken jener Macht öffnet, die sie umwandeln soll. Eine höchste Vollkommenheit, eine totale Vollkommenheit, ist nur durch die Transformation unserer niederen oder menschlichen Natur möglich, einer Transformation des Mentals in etwas Lichtvolles, unseres Lebens in etwas Kraftvolles, in ein Instrument rechten Handelns und des rechten Gebrauchs all seiner Kräfte, und einer frohen Erhöhung seines Wesens, die es hinaushebt über seine gegenwärtigen, relativ begrenzten Fähigkeiten mit einer sich selbst erfüllenden Kraft zu handeln und Lebensfreude zu empfinden. Ebenso muss es eine umwandelnde Veränderung des Körpers geben, in dem sein Handeln, seine Funktionen, seine Fähigkeiten umgewandelt werden zu einem Instrument, das über die Begrenzungen hinausgeht, die ihn sogar in seiner größten gegenwärtigen Errungenschaft hemmen und einschränken. In der Gesamtheit der Veränderung, die wir zu erreichen haben, müssen auch menschliche Mittel und Kräfte aufgegriffen und nicht fallengelassen, sondern benutzt und erweitert werden, zu ihrer höchsten Möglichkeit als Teil des neuen Lebens. Solch eine Sublimierung unserer gegenwärtigen menschlichen Kräfte des Mentals und Lebens zu Elementen eines göttlichen Lebens auf der Erde kann man sich ohne große Schwierigkeit vorstellen; doch wie sollen wir uns die Vervollkommnung des Körpers vorstellen?

In der Vergangenheit wurde der Körper von spirituellen Suchern eher als Hindernis angesehen, als etwas, das man überwinden oder aufgeben muss, und nicht als Instrument zur spirituellen Vervollkommnung und als Feld der spirituellen Wandlung. Er wurde als stoffliche Grobheit verdammt, als unüberwindbares Hindernis, und die Begrenzungen als unveränderbar und damit die Umwandlung unmöglich. Der Grund dafür liegt darin, dass auch der beste menschliche Körper von einer Lebensenergie angetrieben wird, die ihre eigenen Grenzen hat und in ihren kleinen physischen Aktivitäten durch vieles verfälscht wird, was kleinlich, roh oder gar boshaft ist; der Körper selbst ist mit der Trägheit und Nichtbewusstheit der Materie behaftet, nur zum Teil erweckt und, obwohl er durch eine nervliche Tätigkeit belebt und beseelt wird, unbewusst in der grundlegenden Tätigkeit der ihn aufbauenden Zellen und Gewebe und deren verborgenen Wirken. Sogar in seiner vollsten Stärke und Kraft und herrlichsten Schönheit ist er doch noch eine Blüte der materiellen Nichtbewusstheit; das Nichtbewusste ist der Boden, aus dem er gewachsen ist, und es errichtet an jedem Punkt enge Grenzen, um eine Ausweitung seiner Kräfte und jede Anstrengung zu grundlegender Selbst-Überschreitung zu beschränken. Aber wenn ein göttliches Leben auf Erden möglich ist, dann muss auch diese Selbst-Überschreitung möglich sein.

In der Bemühung um Vollkommenheit können wir von beiden Enden unseres Wesensbereiches aus beginnen, und wir müssen dann, zumindest anfangs, von den Mitteln und Vorgehensweisen Gebrauch machen, die unserer Wahl entsprechen. Im Yoga ist der Prozess spirituell und seelisch; selbst seine vitalen und körperlichen Prozesse erhalten eine spirituelle oder seelische Richtung und werden zu einer höheren Bewegung emporgehoben als dem gewöhnlichen Leben und der Materie normalerweise eigen ist, wie zum Beispiel in dem Gebrauch von Atmung oder Asanas im Hatha-Yoga und Raja-Yoga. Gewöhnlich ist erst eine Vorbereitung von Mental, Leben und Körper nötig, um sie geeignet zu machen, die spirituelle Energie zu empfangen und von den seelischen Kräften und Methoden organisiert zu werden, doch auch das erhält eine besondere Richtung, die dem Yoga eigen ist. Wenn wir andererseits in irgendeinem Bereich des niederen Endes beginnen, müssen wir Mittel und Prozesse anwenden, die uns Leben und Materie bieten und müssen die Bedingungen und die „Technik“ beachten, die uns die vitale und materielle Energie auferlegen. Wir mögen die erreichte Aktivität, Errungenschaft, Vollkommenheit über die anfänglichen, ja sogar über die normalen Fähigkeiten hinaus ausdehnen, aber wir müssen dennoch auf der gleichen Grundlage aufbauen, mit der wir anfingen, und innerhalb der Grenzen, die sie uns gibt. Nicht, dass das Wirken von den zwei Enden nicht zusammenfinden und die höhere Vollkommenheit die niedere nicht in sich aufnehmen und erheben könnte; doch kann dies gewöhnlich nur durch den Übergang von einem niedrigeren zu einem höheren Ausblick, Streben und Motiv erreicht werden: und dies werden wir erreichen müssen, wenn es unser Ziel ist, das menschliche in das göttliche Leben umzuwandeln. Hier kommt jedoch die Notwendigkeit hinzu, die Aktivitäten des menschlichen Lebens aufzunehmen und durch die Macht des Geistes zu sublimieren. Dabei wird die niedere Vollkommenheit nicht verschwinden; sie wird bleiben, aber ausgeweitet und verwandelt werden durch die höhere Vollkommenheit, die nur die Macht des Geistes geben kann. Das ist einsehbar, wenn wir Dichtung, Kunst, philosophisches Denken, die Vervollkommnung des geschriebenen Wortes oder die vollkommene Organisation des irdischen Lebens betrachten: sie müssen aufgenommen und die bereits erreichte Möglichkeit oder Vollkommenheit in eine neue und größere Vollkommenheit mit eingeschlossen werden, aber mit der weiteren Schau und Inspiration eines spirituellen Bewusstseins und mit neuen Formen und Kräften. Das gleiche gilt für die Vervollkommnung des Körpers...

Der Körper, haben wir gesagt, ist eine Schöpfung des Nichtbewusstseins und ist selbst nichtbewusst oder zumindest unterbewusst in Teilen von sich und in viel von seinem verborgenen Wirken; doch das, was wir als das Nichtbewusstsein bezeichnen, ist die Erscheinung, die Wohnstätte, das Instrument eines geheimen Bewusstseins oder Überbewusstseins, welches das Wunder, das wir Universum nennen, erschaffen hat. Die Materie ist das Feld und die Schöpfung des Nichtbewusstseins, und die Vollkommenheit des Wirkens der nichtbewussten Materie, die vollkommene Anpassung der Mittel dieses Wirkens zu einem Ziel und Zweck, die Wunder, die es vollbringt, und die Zauber an Schönheit, die es erschafft, bezeugen, trotz allem unwissenden Leugnen, das wir ihm entgegenstellen, die Gegenwart und die Bewusstseinsmacht dieses Überbewusstseins in jedem Teil und in jeder Bewegung des materiellen Universums. Es ist im Körper, es hat ihn erschaffen, und sein Auftauchen in unserem Bewusstsein ist das verborgene Ziel der Evolution und der Schlüssel zum Mysterium unseres Daseins.

Wenn wir Sport und körperliche Übungen für die Erziehung des Einzelnen in Kindheit und früher Jugend ausnutzen wollen, um seine sichtbaren und verborgenen Möglichkeiten zur vollsten Entfaltung zu bringen, sind wir in den anzuwendenden Mitteln und Methoden durch die Natur des Körpers begrenzt; ihr Ziel muss eine derartige relative menschliche Vollkommenheit sein, wie diese Methoden sie entwickeln helfen können, und zwar aller Kräfte und Fähigkeiten des Körpers, wie auch der Kräfte des Mentals, des Willens, des Charakters und des Handelns, die in ihm wohnen und deren Instrument er ist. Ich habe genug über die mentalen und ethischen Seiten der Vervollkommnung geschrieben, zu denen dieses Streben beitragen kann und brauche das hier nicht zu wiederholen. Der Körper selbst kann hierdurch die Vollendung seiner natürlichen Beschaffenheit und Veranlagung erreichen und andererseits seine allgemeine Tauglichkeit zu einem Instrument für all die Aktivitäten trainieren, die das Mental und der Wille, die Lebensenergien oder die wirkenden Vorstellungen, Beweggründe und Instinkte unseres subtilen physischen Wesens ihm abfordern mögen, das ein zwar unerkanntes, aber sehr wichtiges Element und eine Kraft unserer Natur darstellt. Gesundheit und Kraft sind die ersten Voraussetzungen für die natürliche Vervollkommnung des Körpers, nicht nur Muskelkraft, Festigkeit der Glieder und physische Ausdauer, sondern die feinere, lebendige, plastische und anpassungsfähige Kraft, die unsere nervlichen und subtil-physischen Schichten in die äußeren Aktivitäten einbringen können. Außerdem gibt es die noch dynamischere Kraft, die durch die Lebensenergien in den Körper gebracht werden und ihn zu größerer Aktivität anregen kann, sogar zu außergewöhnlichsten Leistungen, zu denen er im normalen Zustand nicht in der Lage wäre. Und es gibt noch jene Kraft, die vom Mental und vom Willen durch ihre Forderungen und Anregungen und durch ihre verborgenen Kräfte – von denen wir Gebrauch machen oder von denen wir benutzt werden, ohne genau den Ursprung ihres Wirkens zu kennen –, dem Körper übermittelt oder ihm als sein beherrschendes und inspirierendes Element auferlegt werden kann.

Zu den natürlichen Eigenschaften und Kräften des Körpers, die so zu einer normalen Aktivität erweckt, angeregt und trainiert werden können, müssen wir auch Geschicklichkeit und Stabilität in allen Arten von körperlicher Tätigkeit hinzunehmen, wie Schnelligkeit im Laufen, Gewandtheit im Kampf, die Geschicklichkeit und Ausdauer des Bergsteigers, die ständige und oft außergewöhnliche Reaktion auf all das, was vom Körper eines Soldaten, Seemanns, Reisenden oder Entdeckers gefordert wird und worauf ich bereits hingewiesen habe, oder in Abenteuern aller Art und im weiten Bereich körperlicher Errungenschaften, an die sich der Mensch gewöhnt hat oder zu denen er ausnahmsweise durch seinen eigenen Willen oder durch den Zwang der Umstände gedrängt wurde. Die gemeinsame Formel all dieser Bemühungen ist eine generelle Tauglichkeit des Körpers für alles, was von ihm verlangt werden kann, eine Tauglichkeit, wie sie ein paar oder auch viele erlangt haben, und die durch eine gründliche und vielseitige körperliche Erziehung und Disziplin allgemein erreichbar gemacht werden kann. Einige dieser Aktivitäten können unter der Bezeichnung Sport zusammengefasst werden; es gibt andere, für die Sport und Körperübungen eine wirksame Vorbereitung sein können. In einigen von ihnen wird das Trainieren von gemeinsamem Vorgehen, Zusammenwirken und Disziplin erforderlich, und dafür können unsere Körperübungen wirksam vorbereiten; in anderen werden insbesondere ein ausgeprägter individueller Wille, Denkvermögen und schnelle Wahrnehmung, eine kraftvolle Lebensenergie und feine körperliche Impulse benötigt und mögen sogar der eine, völlig ausreichende Lehrer sein. Alles muss enthalten sein in unserer Idee von den natürlichen Kräften des Körpers, seiner Fähigkeit und Tauglichkeit als Instrument im Dienste des menschlichen Mentals und Willens und deshalb auch in unserem Konzept von der totalen Vervollkommnung des Körpers.

 

Es gibt zwei Bedingungen für diese Vollkommenheit des Körpers: ein größtmögliches Erwecken des Körperbewusstseins und eine ebenso vollständige, fest entschlossene und möglichst vielseitige Erziehung und Entfaltung seiner Fähigkeiten. Die Gestalt oder der Körper ist seinem Ursprung nach zweifellos eine Schöpfung des Nichtbewusstseins und dadurch allseitig begrenzt, immerhin aber eines Nichtbewusstseins, das jenes geheime Bewusstsein entwickelt, das in ihm verborgen ist und das im Lichte des Wissens, der Macht und des Ananda wächst. Wir müssen ihn in jenem Stadium seiner menschlichen Entwicklung nehmen, den er in diesen Dingen erreicht hat und soweit wie möglich davon Gebrauch machen; und soviel wir können, die Entwicklung bis zu jenem Höchstgrad fördern, den die Kraft des individuellen Temperamentes und der individuellen Natur zulässt. In allen Formen in der Welt ist eine Kraft am Wirken, die in ihrem niederen Ausdruck unbewusst aktiv oder durch Trägheit gehemmt ist, im menschlichen Wesen aber, mit seinen teilweise erwachten, teilweise schlafenden oder verborgenen Entwicklungsmöglichkeiten von Anfang an bewusst: was in ihm erwacht ist, müssen wir vollends bewusst machen; was schläft, müssen wir erwecken und wirksam werden lassen; was verborgen ist, müssen wir hervorbringen und erziehen. Nun gibt es zwei Aspekte des Körperbewusstseins: der eine scheint eine Art Automatismus zu sein, der auf der stofflichen Ebene ohne Einmischung des Mentals arbeitet und teilweise sogar, ohne dass das Mental ihn unmittelbar beobachten kann; oder wenn der Automatismus bewusst oder beobachtbar ist, so läuft er doch stets weiter oder ist dazu imstande, wenn er einmal in Bewegung gesetzt ist; diese Bewegung geschieht durch ein scheinbar mechanisches Wirken, das keiner Einmischung des Mentals bedarf und solange unverändert fortfährt, bis das Mental eingreift.

Es gibt andere, vom Denken gelehrte und trainierte Verhaltensweisen, die auch dann noch automatisch und doch fehlerfrei ablaufen können, wenn sie vom Denken oder Willen nicht beachtet werden; es gibt andere, die im Schlaf wirken und Ergebnisse erzielen, die für das Wachbewusstsein von Wert sind. Aber noch bedeutungsvoller ist das, was man als einen trainierten und entwickelten Automatismus beschreiben kann, eine vollkommene Geschicklichkeit und Fähigkeit von Auge und Ohr, von Händen und allen Gliedern, jedem Anruf, der an sie ergeht, bereitwillig zu gehorchen, eine entwickelte spontane Handlungsweise als ein Instrument, eine völlige Tauglichkeit für alle Forderungen, die das Mental und die Lebensenergie an ihn stellen können. Das ist gewöhnlich das Beste, das wir am niederen Ende erreichen können, wenn wir von diesem Ende ausgehen und uns auf die ihm eigenen Mittel und Methoden beschränken. Wollen wir mehr, dann haben wir uns an das Mental und an die Lebensenergie oder an die Energie des Geistes zu wenden und an das, was sie für eine größere Vollkommenheit des Körpers tun können. Das meiste, was wir im stofflichen Bereich durch körperliche Mittel tun können, ist natürlich unsicher und begrenzt; sogar die anscheinend vollkommene Gesundheit und Kraft des Körpers ist gefährdet und kann jeden Augenblick durch innere Schwankungen oder durch einen starken Angriff oder Schock von außen zusammenbrechen: nur indem wir unsere Begrenzungen niederbrechen, kann eine höhere und dauerhaftere Vollkommenheit erreicht werden. Eine Richtung, in die unser Bewusstsein wachsen muss, ist, einen immer stärkeren Einfluss von innen oder von oben her auf den Körper und seine Mächte zu gewinnen, und sein unbewusstes Ansprechen auf die höheren Teile unseres Wesens. Das Mental macht in erster Linie den Menschen aus; er ist ein mentales Wesen und seine menschliche Vollkommenheit wächst in dem Maße, wie – gemäß der Upanishad – das mentale Wesen, Purusha, Führer über das Leben und den Körper wird. Wenn das Mental die Instinkte und den Automatismus der Lebensenergie, das subtil-physische Bewusstsein und den Körper aufnehmen und kontrollieren, in sie eindringen und bewusst gebrauchen kann, und ihr instinktives oder spontanes Wirken sozusagen völlig mentalisieren kann, dann wird die Vervollkommnung dieser Energien und ihr Wirken noch bewusster, sich ihrer selbst noch mehr gewahr und noch vollkommener. Aber es ist auch für das Mental notwendig, in die Vollkommenheit zu wachsen und das kann es am besten, wenn es weniger vom fehlbaren Intellekt des physischen Verstandes abhängig ist, wenn es sich nicht einmal durch das ordentlichere und sorgfältigere Wirken der Vernunft begrenzt und in die Intuition hineinwachsen kann und ein weiteres, tieferes und innigeres Schauen und den lichtvolleren Energiestrom eines höheren intuitiven Willens annimmt. Sogar innerhalb der Grenzen seiner gegenwärtigen Entwicklung ist es schwierig zu ermessen, wie weit das Mental fähig ist, seine Kontrolle und den Gebrauch der körperlichen Kräfte und Fähigkeiten auszudehnen; und wenn das Mental noch höhere Kräfte entwickelt und seine menschlichen Begrenzungen abstreift, wird es unmöglich, irgendwelche Grenzen festzulegen: bei bestimmten Verwirklichungen scheint es sogar möglich zu werden, sich willentlich in das automatische Wirken der körperlichen Organe einzuschalten.

Wo auch immer Grenzen verschwinden und in dem Maße, wie sie verschwinden, wird der Körper plastischer und empfänglicher und dazu ein geeigneteres und vollkommeneres Instrument für das Wirken des Geistes. Für alle Aktivitäten, die hier in der materiellen Welt wirken und sich ausdrücken, ist die Zusammenarbeit der zwei Enden unseres Wesens unerlässlich. Wenn der Körper entweder durch Müdigkeit oder durch sein natürliches Unvermögen oder einem anderen Grund nicht in der Lage ist, das Denken oder den Willen zu unterstützen, oder er in irgendeiner Weise unempfänglich oder nicht genügend empfänglich ist, so wird in diesem Maße die Handlung scheitern oder abbrechen oder bis zu einem gewissen Grad unbefriedigend oder unvollständig werden. Selbst eine scheinbar so rein mentale Ausbeute des Geistes wie das Ausströmen dichterischer Inspiration bedarf dem antwortenden Mitschwingen des Gehirns und seines Offenseins als Kanal für die Macht des Gedankens und der Vision und für das Licht des Wortes, das sich einen Weg bahnt oder durchbricht oder nach seinem vollkommenen Ausdruck sucht. Wenn das Gehirn ermüdet oder durch irgendein Hemmnis stumpf geworden ist, kann keine Inspiration kommen und nichts wird geschrieben, oder es geht daneben, und etwas Minderwertiges ist alles, was herauskommen kann; oder eine schwächere Inspiration tritt an die Stelle der leuchtenden Formulierung, die um ihre Gestaltung rang, oder der Verstand findet es leichter, sich einer weniger strahlenden Eingebung hinzugeben oder für poetische Tricks empfänglich zu sein und damit zu arbeiten. Sogar in den rein mentalen Aktivitäten ist die Tauglichkeit, die Bereitschaft oder das vollkommene Training des körperlichen Instrumentes eine unerlässliche Voraussetzung. Diese Bereitschaft, dieses Antwortenkönnen ist ebenfalls ein Teil der totalen Vollkommenheit des Körpers.

Die eigentliche Absicht und das Zeichen der fortschreitenden Evolution hier ist das Auftauchen eines Bewusstseins in einem scheinbar nichtbewussten Universum, die Entfaltung des Bewusstseins und mit ihr das Wachsen des Lichtes und der Macht des Wesens; die Entwicklung von Formen und ihres Funktionierens oder ihrer Tauglichkeit zu überleben ist zwar unerlässlich, aber keinesfalls der ganze Sinn oder der zentrale Beweggrund. Das immer größere Erwachen des Bewusstseins und sein Aufstieg zu immer höheren Ebenen und einem weiteren Umfang seiner Schau und seines Wirkens ist die Voraussetzung für unser Fortschreiten zu dieser höchsten und totalen Vollkommenheit, die das Ziel unserer Existenz ist. Es ist ebenso die Voraussetzung für die totale Vervollkommnung des Körpers. Es gibt Ebenen des Mentals, höher als alles, was wir uns im Augenblick vorstellen, und diese Ebenen müssen wir eines Tages erreichen und über sie hinausgehen zu den Höhen einer größeren, einer spirituellen Existenz. Im Emporsteigen müssen wir ihnen unsere niederen Wesensteile öffnen und sie mit jener höheren und höchsten Dynamik des Lichtes und der Kraft erfüllen; wir müssen den Körper in ein immer bewussteres, sogar völlig bewusstes Gefäß und Instrument verwandeln, in ein bewusstes Symbol und Siegel und eine bewusste Kraft des Geistes. Sowie er in diese Vollkommenheit hineinwächst, muss auch die Kraft, die Spannweite seines dynamischen Handelns und seiner Empfänglichkeit wachsen, mit der er dem Geiste dient; gleichzeitig muss die Kontrolle des Geistes über ihn und die Anpassungsfähigkeit seines Funktionierens zunehmen, und zwar in den entwickelten und den erworbenen Kraftzentren, und auch in seinen automatischen Reaktionen bis hin zu jenen, die jetzt noch rein organisch sind und die Regungen eines mechanischen Nichtbewussten zu sein scheinen. Das kann aber nicht ohne eine wahrhaftige Transformation erreicht werden, und eine Transformation des Mentalen, des Vitalen und des eigentlich Körperlichen ist tatsächlich die Wandlung, auf die sich unsere Entwicklung insgeheim zubewegt, und diese Transformation ermöglicht erst das Auftauchen der ganzen Fülle eines göttlichen Lebens auf Erden. Und bei dieser Transformation kann der Körper selbst Handelnder und Partner werden. Es mag für den Geist tatsächlich möglich sein, mit einem nur passiv und unvollständig bewussten Körper als seinem letzten oder niedrigsten Werkzeug materiellen Wirkens eine beachtliche Offenbarung zu erreichen, aber das könnte nichts irgendwie Vollkommenes oder Vollständiges sein. Ein vollkommen bewusster Körper könnte sogar die richtige materielle Methode und den richtigen materiellen Prozess einer materiellen Transformation entdecken und herausarbeiten. Dazu müssen sich aber zweifellos das höchste Licht, die höchste Macht und die schöpferische Freude des Geistes auf dem Gipfel des individuellen Bewusstseins offenbart und ihr „Es sei“ dem Körper befohlen haben, trotzdem aber mag der Körper spontan Anteil an der Selbstentdeckung und Leistung beim Ausarbeiten nehmen. So würde er zum Teilhaber und Vermittler der eigenen Transformation und der integralen Transformation des ganzen Wesens werden; und das würde ebenfalls ein Teil, ein Zeichen, ein Merkmal der totalen Vervollkommnung des Körpers sein.