Seewölfe - Piraten der Weltmeere 272

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 272
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Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-669-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

28. Juni 1592, nachmittags, querab von Cadiz.

Da drüben an Steuerbord, weit vorgeschoben in die See ragend, lag das verdammte Küstenfort San Sebastian, jene Zitadelle von Cadiz, in der Philip Hasard Killigrew Ende Mai 1580 hatte exekutiert werden sollen. Und wiederum viele Jahre später – Ende April 1587 – hatte dieser selbe Philip Hasard Killigrew versucht, Menschlichkeit walten zu lassen, als Admiral Drake mit einem Riesenaufgebot englischer Kriegs- und Kampfschiffe in einem wüsten Bombardement über den spanischen Hafen hergefallen war.

Dieser Philip Hasard Killigrew stand an diesem Nachmittag an der Pinne einer kleinen Tartane, mit der er den Durchbruch vom Mittelmeer in den Atlantik erzwungen hatte – gegen die nordafrikanischen Piraten und gegen den Sturm aus Westen.

Mein Gott, dachte er, als er zu dem Fort hinüberschaute. Dort, zwischen diesen grauen Mauern, hatten sie dich als englischen Spion erschießen wollen. Zwölf Jahre war das her.

Und vor fünf Jahren bist du in dieser Bucht Admiral Drake in die Quere geraten, der entschlossen gewesen war, den Bürgern von Cadiz und allen auf der Reede ankernden Schiffen ein Massaker zu bereiten.

Und jetzt segelst du zum dritten Male in diese Bucht – mit einer winzigen Tartane und einem Restteil deiner Crew der alten stolzen kampferprobten „Isabella“, die der Wüstensand begraben hatte.

Fünf Männer der alten Besatzung schauten gleich ihm zu der Landzunge und dem Fort hinüber: Big Old Shane, Dan O’Flynn, Batuti, Gary Andrews und Matt Davies. Ja, und die beiden Rübenschweinchen Hasard und Philip, die damals, 1587, als Sechsjährige dabeigewesen waren.

Es war schon sonderbar, jetzt zum dritten Male Cadiz anzulaufen. Wenn die Spanier erfuhren, wer da auf der Tartane quer über die Reede segelte, würden sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um die sechs Männer und die beiden Jungen hinter Schloß und Riegel zu bringen – allen voran den Mann, der als „Seewolf“ bekannt war, hatte er doch als englischer Korsar in vielen Raids der spanischen Krone erheblichen Schaden zugefügt.

Daß dieser Mann mit seiner winzigen Besatzung gerade erst drei Segler der spanischen Marine, die als Vorpostenschiffe eingesetzt waren, in der Nähe von Kap Trafalgar versenkt beziehungsweise schwer beschädigt hatte, wußte man in Cadiz noch nicht. Allerdings wäre es auch absurd gewesen, den spanischen „Capitán Valdez“, wie er sich genannt und vorgestellt hatte, mit dem englischen Kapitän Killigrew, genannt der Seewolf, gleichzusetzen.

Aber man wäre sicherlich – so man ihn hatte – sehr erpicht darauf gewesen, diesen „Valdez“ etwas zu durchleuchten, hatte er doch rundweg abgelehnt, seinen Gefangenen an die drei Segler auszuliefern, deren Verbandsführer der Ansicht gewesen war, die spanische Krone habe ein „Anrecht“ auf diesen Gefangenen.

Aber Hasard hatte Uluch Ali – einen geläuterten Oberschnapphahn – an der Küste absetzen können.

Kurz darauf hatte er allerdings wieder Zuwachs an Bord erhalten, nämlich sieben total erschöpfte spanische Fischer, denen der Sturm ihr Schiff entmastet und damit dem Untergang geweiht hatte – wäre nicht die Tartane aufgetaucht und hätte die sieben Männer, die den Tod vor Augen hatten, zu sich an Bord genommen.

Hasard hatte drei waghalsige Manöver gefahren, um alle sieben Männer zu übernehmen, denn er hatte jedesmal damit rechnen müssen, daß ihm der entmastete Segler auf die Tartane krachte, wenn er zu dicht ranging.

Er war bei jedem der drei Manöver mit langsamer Fahrt in Lee des Wracks herangelaufen, hatte Wurfleinen hinüberwerfen lassen und dann die Männer über sein Heck an Bord gezogen.

So etwas brachte auch nur ein Philip Hasard Killigrew fertig, der die Tartane bei dem herrschenden Sturm segelte, als befände er sich mit ihr auf einem geruhsamen Ententeich. Er hatte eben das richtige Augenmaß und einen unheimlichen Instinkt für Welle, Seegang und Wind. Zum Glück hatten sie bereits die Sturmbesegelung gesetzt, kurz bevor der Sturm losgebrochen war.

Die sieben spanischen Fischer quollen über vor Dankbarkeit über ihre Rettung in buchstäblich letzter Minute, denn in ihrem zerschlagenen Zweimaster hatte das Wasser bereits bis zu den Luken gestanden.

Wie sich herausstellte, gehörten die Fischer zu dem kleinen Ort Puerto de Santa Maria am Rio Guadalete, der bei dem Nest in die Bucht von Cadiz mündete. Cadiz selbst lag durch die Bucht getrennt im Südwesten von Puerto de Santa Maria.

So hatte sich auch dieses Problem für Hasard gelöst, denn er war sich darüber im klaren gewesen, daß er unmöglich Cadiz hätte anlaufen können. Er mußte damit rechnen, daß Capitán de Mendez, der Verbandsführer der drei Segler, Cadiz ansteuerte, wenn er sein von Brandpfeilen beschädigtes Schiff wieder seeklar hatte.

Dummerweise hatte ihm Hasard als angeblicher „Capitán Valdez“ gesagt, er habe die Absicht, nach Cadiz zu segeln, um dort Xeres-Wein zu übernehmen, den sie nach Valencia bringen sollten.

Wenn dieser Capitán – oder noch schlimmer – sein Teniente de Rotta die Tartane in Cadiz entdeckte, würde der Teufel los sein. Und Hasard verspürte nicht die geringste Neigung, noch einmal mit diesen Señores zusammenzustoßen, zumal der Capitán bereits den Verdacht geäußert hatte, er, Valdez, sei überhaupt kein Handelsfahrer – und kein spanischer Patriot.

Beides war völlig richtig, und Hasard hatte sich wohlweislich gehütet, seine tatsächliche Identität kundzutun.

Aber vor den spanischen Fischern hatte er sie preisgegeben – in der nüchternen Einschätzung, daß sie weder ihn noch seine Männer verraten würden. Mit dieser Einschätzung hatte er recht gehabt – nicht, weil die Spanier ihren Lebensrettern zu Dank verpflichtet waren, was gewiß auch eine Rolle spielte, sondern weil diese Menschen eine ziemliche Wut auf ihren König hatten – oder auf seinen Vertreter in Cadiz, den Stadt- und Hafenkommandanten Alonso de Cano, Colonel in der spanischen Armee. Dieser Mann hatte sich eine Pfründe verschafft, indem er, angeblich auf Anordnung des Königs, eine Steuer von den Fischern rings um die Bucht von Cadiz eintrieb.

Die Steuer mußte entweder in klingender Münze oder in Form von Naturalien entrichtet werden. Da diese einfachen Fischer kaum über „klingende Münze“ verfügten, wurde ihnen sage und schreibe die Hälfte ihrer jeweiligen Fangergebnisse abgeknöpft, die der durchtriebene Colonel de Cano über eine eigene Marktorganisation allerdings in „klingende Münze“ verwandelte.

Beschwerden der Fischer an den König selbst hatten keinen Erfolg gehabt. Offenbar waren sie nie bis zu Seiner Allerkatholischsten Majestät gelangt – oder er ignorierte sie. Hingegen waren jene Wortführer unter den Fischern, die ihre Empörung über das Eintreiben der Naturalien zu laut geäußert hatten, in die Kerker der Festung von San Sebastian gesperrt worden. Dort hatte man sie mit Prügeln, Wasser- und Brotentzug dahin belehrt, daß es besser sei, das Maul zu halten und treu und brav den hälftigen Anteil vom Fischfang abzugeben.

Das hatte alles vor zwei Jahren angefangen. Seitdem kochte und brodelte es bei den Fischern an der Küste um Cadiz, während der Colonel immer dicker und feister wurde und sich bereits einen prunkvollen Palast an der Atlantikseite unterhalb der Festung von San Sebastian hatte errichten lassen.

Nein, diese sieben Fischer hatten allerdings nicht den geringsten Grund, die Engländer ans Messer zu liefern. Es war hier wie überall, wo die Seewölfe bereits gewesen waren: es gab Arme und Reiche, und die Reichen mißbrauchten die Macht, die sie mittels ihres Geldes errichteten. Sicher, die Fischer waren geradlinige Menschen, die sich ihr Brot hart genug – und unter stetiger Lebensgefahr – auf See verdienten. Aber einer Macht, wie sie dieser Colonel zu verkörpern schien, waren sie nahezu hilflos ausgeliefert.

Wieder einmal mehr begriff Hasard, wie schnell es gewisse Schlitzohren schafften, ehrliche und anständige Menschen unter ihre Fuchtel zu zwingen.

Eigentlich konnte er von Glück sprechen, diese Männer aus der kochenden See gefischt zu haben. Denn so erfuhr er, was zur Zeit in Cadiz los war. Gewiß, er hatte nicht die Absicht gehabt, Cadiz unmittelbar anzulaufen. Dazu war er viel zu vorsichtig. Aber jetzt ergab sich für ihn die Möglichkeit, die spanischen Fischer nach Puerto de Santa Maria zu bringen, ihre Gastfreundschaft, die sie ihm angeboten hatten, wahrzunehmen und sich von dort aus gleichzeitig nach einer Passage Richtung England zu erkundigen.

Denn eins hatten sie, bitter genug, erfahren müssen: ihre Tartane war hervorragend fürs Mittelmeer geeignet, aber für den Atlantik war sie nahezu lebensgefährlich. Sie war zu rank. Und nur mit Sturmbesegelung nach England zu kriechen, stets in sicherer Sichtweite der jeweiligen Küsten von Portugal und Frankreich, das lag den Arwenacks nicht.

 

So hatte Hasard Cadiz als „Absprunghafen“ für England vorgesehen und geplant, sich dort im Hafen ein bißchen umzuhören. Einen Freund hatten sie dort: Pedro de Castro, einen anständigen, aufrechten Mann, der am Hafen ein Handelshaus führte und damals, 1580, den Seewölfen half, ihren Kapitän vor der Exekution zu befreien. Maßgeblich auch hatte de Castro Anteil an Hasards Erforschung nach seiner Vergangenheit gehabt.

Natürlich war fraglich, ob der Kaufmann noch lebte. In den vergangenen zwölf Jahren konnte viel passiert sein.

Aufmerksam hatte Hasard, während sie Cadiz ansteuerten, dem Bericht des alten Fischers gelauscht, der der Kapitän des Zweimasters gewesen war.

Miguel Morella hieß er, ein verwitterter, granitharter alter Knochen mit einer von mehr als hundert Falten und Fältchen durchzogenen, mahagonifarbenen Gesichtshaut, scharfen grauen Augen und vollem schneeweißem Haar. Vier Söhne fuhren bei ihm mit an Bord, Miguel junior, der Älteste, Pedro, Juan und Enrico. Und da waren noch zwei Schwäger dieser Söhne: Manuel Guas und Carlos Villa. Das waren alle prächtige Burschen, die das Herz auf dem rechten Fleck hatten. Die vier Söhne hatten die gleichen grauen Augen wie der Vater. Der jüngste, Enrico, war knapp achtzehn Jahre alt und der „Moses“ der Morella-Crew. Der Spaßvogel unter den sieben Fischern war Manuel Guas, der die jüngste Tochter des alten Morella geheiratet hatte. Carlos Villa hingegen, ebenfalls mit einer Tochter Morellas verheiratet, war ernst und schweigsam, ein Mann wie ein Bär.

Das war also so eine Art Familienunternehmen, wie Hasard klar wurde, das seine Leute nicht gut, aber auch nicht schlecht ernährt hatte. Sie hatten ihr Auskommen gehabt. Seit jedoch vor zwei Jahren der Colonel die Naturaliensteuer erhoben hatte, war bei den Morellas und den beiden Schwagerfamilien Schmalhans Küchenmeister.

Und jetzt hatten sie ihr Schiff verloren – ihr Schiff, ihre Netze, ihre Ausrüstung und den Fang, denn sie waren bereits eine Woche in See gewesen und hatten ihre Bünn brechend voll mit Fisch gehabt, als der Sturm losgebrochen war.

Mit dem Verlust ihres Schiffes war ihnen ihre Existenzgrundlage entzogen. Sie standen buchstäblich vor dem Nichts.

Hasard hatte da schon eine Idee, wie ihnen zu helfen war, aber er behielt sie noch für sich.

Und dann empfing er einen Vorgeschmack dessen, womit die Fischer konfrontiert wurden, wenn sie mit ihrer Fischbeute von See heimkehrten.

Von den Anlegern des Küstenforts Santa Catalina, das sie an Backbord passieren würden, wenn sie in die Mündung des Guadalete einliefen, löste sich ein Wachboot und hielt auf sie zu.

Das wettergegerbte Gesicht des alten Morella wurde noch kantiger und härter, als er das Boot sichtete.

„Die lassen aber auch keinen aus“, sagte er grimmig.

Hasard sah ihn fragend an.

„Die Büttel des Colonel“, erklärte Miguel Morella erbittert. „Immer wenn wir vom Fang zurückkehren, werden wir von diesem verdammten Kahn sofort kontrolliert und um die Hälfte unseres Fanges erleichtert. Auf diese Weise können wir nichts beiseite schaffen.“

Hasard lächelte leicht. „Warum landen Sie Ihren Fang nicht ein paar Meilen nördlich von Cadiz irgendwo in einer abgelegenen Bucht und transportieren die Beute heimlich auf dem Landweg hierher – oder dorthin, wo sie Ihnen abgekauft wird?“

Der Alte starrte Hasard an und hatte den Mund offen.

Sein ältester Sohn Miguel stieß ihn an und platzte heraus: „Mann, Vater! Warum haben wir nicht diese Idee gehabt? Da kuschen wir seit zwei Jahren, aber niemandem ist diese Möglichkeit eingefallen.“

„Aber das wäre Betrug“, erklärte der Alte.

Sein Ältester spuckte über Bord. „Betrug an wem? An dem feisten Schwein von Colonel, den wir mit unserer Hälfte noch mehr mästen?“ Er lachte bitter. „Hat man uns je gefragt, wie es uns geht? Ob wir unsere Familien satt kriegen? Ob wir diese verdammte Fischsteuer überhaupt beibringen können, ohne vor die Hunde zu gehen? Nein, hat man nicht. Wir werden betrogen – um den Lohn unserer Arbeit. Wir hätten längst tun sollen, was Señor Killigrew vorgeschlagen hat. Aber bei uns denkt ja keiner nach. Wir fallen in die Knie, sobald das Schwein von Colonel eine Forderung stellt …“

„… und wer das Maul aufreißt, verschwindet in der Festung“, unterbrach ihn der Alte wütend. „Bringt das vielleicht was ein, he?“

„Ruhe“, mahnte Hasard, bevor es zwischen dem Alten und seinem Sohn zu hitzig wurde. „Und bitte, Señores: Ich bin Capitán Valdez aus Valencia, der zum Weinkauf nach Cadiz gesegelt ist. Es darf nicht bekannt werden, daß wir Engländer sind.“

„Sie können sich auf uns verlassen“, sagte der Alte. „Keiner von uns wird Sie und Ihre Männer verraten, Señor Capitán.“

In diesem Augenblick wurden sie auch schon aufgefordert, beizudrehen und die Segel aufzugeien. Hasard zuckte mit den Schultern, ging in den Wind und ließ die Segel aufgeilen. Kurz darauf schor das Wachboot an Backbord längsseits, vertäute an der Tartane ohne viel Federlesens, und ein Teniente sowie ein Corporal turnten über das Schanzkleid auf das Deck.

Der Teniente sah sich um und ging auf Hasard zu.

„Sie sind der Capitán?“ Seine Stimme klang ziemlich arrogant, Hasard erinnerte sie an den Schnösel de Rotta. Diese jungen spanischen Tenientes schienen sich allesamt für den Nabel der Welt zu halten. Dieser hier hatte ein nichtssagendes Gesicht, was durch den blasierten Ausdruck noch unterstrichen wurde. Er war einen Kopf kleiner als Hasard und mußte zu ihm aufschauen.

Hasard bedeutete mit einem lässigen Nicken, daß er der Capitán der Tartane sei.

„Name?“ fuhr ihn der Teniente an.

Hasard verschränkte die Arme vor der Brust, schwieg und musterte den Teniente nachdenklich.

Der wurde etwas unsicher, dann rot und schnarrte: „Ich habe Sie etwas gefragt, Mann!“

„Und ich warte darauf, daß Sie sich vorstellen“, sagte Hasard kühl. „Schließlich befinden Sie sich an Bord meines Schiffes, das Sie ungefragt betreten haben. Üblicherweise bittet man darum, an Bord kommen zu dürfen – was Sie offenbar nicht für nötig halten. Und nach den allgemeinen Regeln des Anstands stellt man sich vor. Ich schätze zudem, daß Sie um mindestens fünfzehn Jahre jünger sind als ich. Damit wäre wohl die Frage geklärt, wer sich zuerst vorzustellen hat.“

Der Teniente brauste auf. „Señor, Sie stehen einem Offizier des Königs gegenüber!“

„Dann benehmen Sie sich gefälligst auch so“, sagte Hasard kalt. „Rüpeln in Uniform bringe ich jedenfalls keinen Respekt entgegen. Sagen Sie, was Sie wollen, und dann verschwinden Sie wieder!“

Die sieben spanischen Fischer hatten Augen und Mund offen. Der Corporal, offenbar ein alter Haudegen, denn er hatte Säbelnarben im Gesicht, grinste in seinen Schnauzbart und senkte den Kopf, um die Planken zu studieren.

Der Teniente schnappte nach Luft und hatte Sprachstörungen, denn er brachte nur ächzende Laute heraus, die unverständlich waren.

„Wie bitte?“ fragte Hasard.

„Was – was haben Sie geladen?“ Jetzt hatte der Teniente Zuckungen im Gesicht und um den Mund, den er nach jedem Wort nach rechts zog, wobei auch sein Kopf folgte.

„Das geht Sie doch wohl einen Dreck an“, erwiderte Hasard unwirsch. „Und hören Sie auf, Fratzen zu schneiden. Oder sind Sie krank?“

„Nein!“ schrie der Teniente und zuckte weiter. „Be-bevor ich Sie pas – passieren lasse, ha-haben Sie die Hälfte Ihrer La-Ladung an-an die Festung Ca-Cadiz ab-abzuführen. Da-das ist eine O-o-o-order d-des Königs!“

Hasard besah sich den Stotterer und sagte trocken: „Na, dann führen Sie mal ab, mein Guter. Ich wüßte nur nicht, was, denn ich habe nichts geladen. Falls ich aber doch was geladen hätte, müßte ich Sie sehr höflich auffordern, mir erst einmal diese Order des Königs zu zeigen. Ich kann nämlich zufällig lesen. Na, wo ist die Order?“

Der Teniente war hochrot gewesen. Jetzt wurde er sehr blaß.

„Co-colonel de-de Cano h-hat die Order“, stotterte er.

Hasard schüttelte den Kopf und sagte tadelnd: „Bräuche sind das hier.“ Dann bohrte er weiter und fügte hinzu: „Gilt diese Order des Königs für alle spanischen Hafenstädte?“

„Na-natürlich!“

„Seit wann besteht die Order denn?“

„Seit-seit zwei Jahren.“

Hasard zog die Augenbrauen hoch.

„Merkwürdig, merkwürdig“, sagte er und bluffte: „Wir haben vor etwa einer Woche Valencia verlassen, da war aber von dieser zwei Jahre alten Order nichts bekannt. Auch nicht in den Häfen, die wir auf der Reise hierher anliefen. Was sagen Sie jetzt, mein Guter?“ Hasard grinste voller Ironie. „Sie wollen doch nicht behaupten, daß eine Order unseres Königs über zwei Jahre braucht, bis sie in allen unseren Häfen bekannt geworden ist, wie?“

Der Adamsapfel des Teniente stieg auf und nieder, sein Zucken hatte sich eher noch verstärkt, und um eine Antwort war er auch verlegen.

Darum fuhr er jetzt den alten Morella an: „Wo – wo ist Ihr Schiff, Kerl?“

„Abgesoffen“, sagte der Alte gallig. Er deutete auf Hasard. „Der Señor war so freundlich, uns an Bord zu nehmen.“

„Sie – Sie wollen uns Ihren Fang unterschlagen!“ fauchte der Teniente. „Wo – wo haben Sie ihn versteckt? Heraus mit der Sprache, Kerl! Oder ich lasse Sie auspeitschen!“

Hasard schob sich dicht vor den Teniente und sagte eisig: „Der Fang ist mit dem Zweimaster Señor Morellas untergegangen, dafür sind meine Männer und ich Zeugen. Er und seine Leute sind knapp dem Tode entgangen, haben ihr Schiff verloren, und da reden Sie von Unterschlagen und Verstecken. Eine Order, die angeblich vom König erlassen ist und seit zwei Jahren in Kraft sein soll, können Sie nicht vorweisen. Aber einen alten Fischer anbrüllen und mit der Peitsche drohen, das können Sie! Das Schicksal dieser Männer, die ihr Schiff und damit ihre Existenzgrundlage verloren haben, interessiert Sie einen Dreck! Wissen Sie, was ich glaube? Daß Ihr Colonel eine Raubsteuer erhebt, die er in seine eigene Tasche stopft. Und Sie mischen kräftig mit. Oder können Sie mir das Gegenteil beweisen? Dann tun Sie das. Ich schätze, daß ich da lange warten kann. Und jetzt verschwinden Sie von meinem Schiff, ich kann Ihre Zuckungen nicht mehr mit ansehen. Bestellen Sie Ihrem Colonel, daß ihm Señor Morella nicht einen Fischschwanz mehr abliefern kann – ohne Schiff kein Fang, nicht wahr? Aber vielleicht ist Ihr Colonel ein Mann mit Herz und sorgt dafür, daß Señor Morella und seiner Mannschaft ein neues Schiff zur Verfügung gestellt wird. Das würde mich freuen und davon überzeugen, was für ein honoriger Mensch Ihr Colonel ist.“ Hasard deutete zum Backbordschanzkleid: „Bitte sehr, Señor Unbekannt oder ohne Namen. Sie haben uns lange genug aufgehalten!“

Der Teniente gehorchte, als hätte er Prügel erhalten. Der Corporal folgte ihm, und als er an Hasard vorbeiging, zwinkerte er ihm zu. Hasard zwinkerte zurück. Siehe da, auch unter den Dons gab es immer wieder Menschen, richtige Menschen, keine aufgeblasenen Hüpfer wie diese Tenientefiguren.

Die Leinen wurden gelöst und das Wachboot abgestoßen. Hasard wartete, bis es Kurs auf die Anleger des Küstenforts nahm.

„Das könnte Ärger geben“, brummte Big Old Shane neben ihm.

„Vielleicht“, sagte Hasard.

Sie nahmen die Segel aus dem Gei und steuerten auf die Flußmündung zu. Der alte Morella ging ans Ruder, weil er die Sandbänke und Untiefen in dieser Ecke so gut kannte wie seine eigene Hosentasche. Sein Ledergesicht hatte jetzt tausend und noch mehr Falten – denn er grinste.

„O Madonna“, murmelte er, „das ist ein Feiertag, wie ich ihn mir immer gewünscht hatte.“

Und seine Familien-Crew grinste breit, genau wie der Alte.

„Feiertag?“ fragte Hasard. „Wieso?“

„Weil Sie’s dem Mistkerl gegeben haben“, sagte der Alte, „und zwar mit Verstand! Wir hätten nie gewagt, die Order des Königs anzuzweifeln – wir können ja auch nicht lesen. Ah! Ich könnte Sie küssen, Señor Killigrew!“ Und der Alte schmatzte einen Kuß, einen Luftkuß in Richtung Hasards. „Diesem Scheißkerl de Rotta hat’s doch glatt das Maul verrissen.“ Und der Alte kicherte.

„De Rotta?“ fragte Hasard verdutzt.

„Ja, so heißt der Kerl.“ Der Alte nickte. „Hat noch ’n Bruder, auch Teniente, aber bei der Flotte und hier in Cadiz stationiert. Der ist noch schlimmer, obwohl er jünger ist. Vater ist Admiral. Mag ja sein, daß der was taugt, aber seine Söhne sind schlimmer als Dreck.“

Du meine Güte, dachte Hasard erschüttert, da hast du einen wüsten Bock geschossen. Wenn dieser Marine-Teniente nach Cadiz zurückkehrte und seinem Armee-Bruder von seinen „Heldentaten“ berichtete, dann war kein „Feiertag“ mehr. Dann rappelte es, aber bevor es rappelte, mußten die Arwenacks zusehen, aus dieser Ecke zu verschwinden, und zwar „hopp-hopp“, wie sich der alte Carberry ausdrücken würde.

 

Neben Hasard hatte Big Old Shane wohl den gleichen Gedankengang vollzogen.

Er sagte nur knapp: „Ach du große Scheiße!“

Hasard kratzte sich hinter dem Ohr. Das war genau auch seine Meinung, aber so drastisch wollte er das nun auch nicht ausdrücken.

Aber er hielt es für richtig, den alten Morella und seine Familien-Crew darüber aufzuklären, was sich bei Kap Trafalgar zugetragen hatte. Die kamen aus dem Grinsen nicht mehr heraus.

Da war also dieser verwegene Engländer, dieser Riese mit den eisblauen Augen und dem wilden Freibeutergesicht, das eine Narbe zierte, vor Cadiz aufgetaucht, hatte zwei Vorpostenschiffe zu den Fischen geschickt und eins lädiert, und diesen verdammten Marine-de-Rotta hatten sie alle zurechtgestutzt, wie es noch nie jemand gewagt hatte.

Das war wirklich ein Feiertag.

Hasards Bedenken wischten sie über Bord. Niemand würde die Tartane finden, auch wenn der Armeede-Rotta erklärte, die Tartane sei in die Mündung des Guadalete eingelaufen.

So geschah es, daß die Tartane in einen Nebenarm des Guadalete bugsiert wurde, der ausschließlich von Sumpf und Schilf umgeben war. Und sie taten ein übriges, indem sie den Pfahlmast umlegten und das Oberdeck der Tartane unter gekappten Schilfgräsern versteckten. Wahrscheinlich hätte nicht einmal ein Vogel aus der Luft die Tartane entdeckt. Und der Zugang zu dem Nebenarm, der tatsächlich nur auf dem Wasserweg zu erreichen war, wurde ebenfalls mit Schilfbündeln getarnt.

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