Seewölfe - Piraten der Weltmeere 655

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 655
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Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-069-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Davis J. Harbord

Wie tollwütige Hunde gehetzt

Der Zweimaster ist überall berüchtigt – und darum müssen sie flüchten

Anfang Mai 1599, Indischer Ozean, zehn Meilen östlich von Sansibar.

Von Süden segelte im Südost-Passat eine kleine, zweimastige Karavelle heran – mit tiefschwarzem Rumpf und zwei rostfarbenen Lateinersegeln an den beiden Masten.

Ein schönes Bild in dem Farbkontrast der grünlichblauen See.

Die athletischen Afrikaner in den Maschwas, jenen kleinen schlanken Fischerbooten mit dem großen, fast dreieckigen Segel am Klappmast, schienen dieses Bild keineswegs schön zu finden. Sie riefen sich erregte Warnungen zu, als sie den schwarzen Zweimaster sichteten, holten ihre Netze fast wie in Panik ein und stoben mit ihren Maschwas westwärts auf die Küste zu. Einige setzten zusätzlich Riemen ein.

Kein Zweifel – sie hatten Angst vor diesem schwarzen Zweimaster mit den rostroten Segeln …

Die Hauptpersonen des Romans:

Old Donegal O’Flynn – der Admiral klaut heimlich Schnaps aus der Proviantlast und springt einem Meerweib hinterher.

Hasard Killigrew – entdeckt seinen Großvater an der Pinne, aber er liegt unter ihr und steuert mit dem Holzbein.

Philip Killigrew – hat einigen Ärger mit dem Admiral und erfindet einen neuen Namen für ihn: Old Gluckerman!

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Der alte Kerl an der Pinne des schwarzen Zweimasters stieß ein Kichern aus. Er war weißhaarig, sehnig, tiefbraun gebrannt, und aus dem Braun seines verwitterten Gesichts stach scharf das Hellblau seiner Augen hervor. Sein rechtes Bein fehlte. Dafür trug er dort eine Prothese aus Holz, die aber vom Beinkleid verdeckt wurde. Unten ragte nur ein Rundholz mit einer Zwinge hervor.

Dieser Mann hieß Donegal Daniel O’Flynn, genannt Old Donegal, und er war ein Kerl, den der Herrgott offenbar aus Eisen geschmiedet hatte – oder aus Leder gewalkt, was die Zähigkeit betraf.

Neben seinem Holzbein stand eine Korbflasche. Nach dem Kichern bückte er sich, hob die Flasche auf, entkorkte sie, setzte sie an den Mund und gluckerte einen weg.

Die Korbflasche enthielt einen scharfen Schnaps. Auch der Magen des Alten mußte aus Eisen sein.

„Die reißen vor mir aus!“ tönte er, nachdem er die Flasche wieder abgesetzt und verkorkt hatte.

Es handelte sich um zwei junge Riesen, denen er das verkündete. Sie waren gleichfalls tiefbraun gebrannt und glichen sich wie ein Ei dem anderen. Auch ihre Augen bildeten einen grellen Kontrast zu der Bräune ihrer Gesichter. Sie hatten eine eisblaue Farbe. Ihre Haare waren schwarz, ihre Bewegungen so geschmeidig wie die von Pantherkatzen.

Sie waren Zwillinge und hießen Hasard und Philip Killigrew. Und Old Donegal, den sie manchmal mit „Admiral“ titulierten, war ihr Großvater mütterlicherseits.

Die beiden jungen Burschen wechselten einen stummen Blick, grinsten verstohlen, und Hasard sagte: „Aha!“

Und Philip sagte: „Bist du sicher, daß die vor dir ausreißen, Granddad?“

„Klar!“ tönte der Alte. „Bin hier mal mit meiner alten ‚Empress of Sea‘ gewesen.“ Er kratzte sich hinter dem Ohr. „Hm. Wann war das noch? So Anno Tobak – da wart ihr noch gar nicht geplant. Ist ja auch egal.“

„Und was war da?“ erkundigte sich Hasard.

„Da sind sie auch ausgerissen!“ donnerte der Alte. „Weil sie dachten, wir seien Portugiesen. Mit denen lagen sie sich damals schon in den Haaren.“

„Anno Tobak also“, sagte Philip. „Und wann war das? Vor achtzig Jahren?“

„Werd nicht frech, Kleiner!“ drohte Old Donegal. „Ich bin erst um die Sechzig oder so was. Bitte mir mehr Respekt aus, verstanden?“

„Aye, aye, Sir.“ Philip salutierte. „Aber wenn das vor vierzig Jahren war, muß das ja nicht unbedingt auch für heute gelten.“

„Sehr richtig!“ pflichtete Hasard bei.

„Ihr seid ahnungslose Engel, seid ihr!“ verkündete Old Donegal und deutete nach Westen. „Dort liegt die Insel Sansibar. Und was gibt es dort in Massen, he?“

Die Zwillinge blickten sich an und zuckten mit den Schultern.

Hasard sagte: „Keine Ahnung. Um was geht’s denn?“

„Um Nelken!“ Old Donegal hob dozierend den rechten Zeigefinger. „Um Gewürznelken, verstanden? Die gibt’s dort so massig wie Flöhe im verlausten Fell eines Straßenköters, klar? Und wenn früher die Sansibanesen mit dem Zeug Handel getrieben haben, so tun das heute die Portugiesen. Und darum sind die Sansibanesen sauer auf die Portugiesen, weil die ihnen das Geschäft geklaut und vermiest haben. Ist das jetzt klar?“

Hasard schüttelte den Kopf. „Keineswegs, Granddad. Die Kerle, die vor dir ausgerissen sind, waren Fischer. Was haben die, bitte sehr, mit Gewürznelken zu tun? Oder wachsen Gewürznelken auf dem Wasser?“

Old Donegal deutete mit dozierendem Zeigefinger – er steuerte zur Zeit mit der Hüfte an der Pinne –, auf Hasard: „Du bist so ein kleiner Klugscheißer, Jungchen. Und du weißt sehr genau, daß Gewürznelken nicht auf dem Wasser wachsen, sonst würden sie nämlich Wassernelken heißen. Tun sie aber nicht. Aber die sansibanesischen Fischer werfen uns in einen Topf mit den portugiesischen Gewürznelkenklauern. Und denen schlagen sie entweder was aufs Haupt, oder sie reißen aus.“

„Vor drei Kerlen?“ schnappte Philip.

„Die denken, die anderen seien unter Deck“, erklärte Old Donegal großzügig, langte erneut nach der Korbflasche und tat sich was Gutes an.

„Können wir auch mal?“ maulte Hasard. „Was ist das überhaupt für eine Art? Du süffelst uns einen vor, und wir haben trockene Kehlen.“

„Ich muß vorschmecken“, erklärte der Admiral, „um zu prüfen, ob der Schnaps vergiftet ist. Sonst geht’s euch wie mir, als ich nach dem Genuß der Fischleber gelähmt war, ihr mich für verstorben erklärtet und über Bord warft.“ Der alte Zausel reckte die Brust: und hob wieder den rechten Zeigefinger. „Ich opfere mich, damit ihr gesund bleibt!“

„Amen“, sagte Hasard erbittert.

Philip sagte was anderes, nämlich: „Scheiße!“

Das war eben das Kreuz mit dem Alten. Die Stunden, die sie mit dem scheintoten Großvater in der Jolle verbracht hatten, waren furchtbar gewesen – noch furchtbarer jedoch jener Moment, als sie ihn der See übergeben hatten, denn das hatte die endgültige Trennung bedeutet. Tote kehren nicht zurück ins Leben. Doch wer kehrte zurück, noch grantiger als sonst?

Der Admiral! Der starb nur mal für ein paar Stunden und ließ sich hinterher tadelnd darüber aus, daß er es als ungehörig empfände, ihn als Toten der See zu übergeben.

Und dann ritt er darauf rum – wie jetzt, als er erklärte, sich mit Schnapstrinken zu opfern, um die Gesundheit seiner Enkel zu garantieren. Das war eine lausig faule Ausrede.

Die Zwillinge liebten ihren Großvater innig, aber manchmal wurde diese Liebe arg strapaziert.

Zu allem setzte Old Donegal jetzt noch einen drauf, indem er erklärte, Alkohol sei für so junge Spunde von Übel, weil er ihre moralischen Werte untergrabe. Was er unter „moralischen Werten“ verstand, darüber ließ er sich nicht näher aus. Natürlich redete er dummes Zeug, und er hätte noch weiter herumgelabert, wenn ihm von den Zwillingen nicht energisch verkündet worden wäre, sie hätten die Absicht, im nächsten Hafen abzumustern.

Und was erwiderte der alte Komiker darauf?

Er sagte: „Was denn? Ihr wollt euren Großvater, der euch immer umsorgt hat wie die Glucke ihre Küken, schmählich im Stich lassen? Das überlebe ich nicht!“

„Glucke ist gut“, sagte Hasard bissig. „Hängt das mit Gluckern zusammen? Darin bist du ja Meister, nicht wahr? Also, entweder läßt du uns jetzt mitgluckern, oder wir mustern ab.“

„Das ist die reinste Erpressung, ist das!“ jammerte der Alte. „Ihr solltet euch was schämen. Als ich so alt war wie ihr …“

„… hast du nur Milch getrunken und wußtest noch nicht, daß es zweierlei Geschlecht gibt“, fuhr Philip dazwischen. „Alles bekannt, Sir, das hören wir, seit du unsere Glucke spielst, aber wir sind keine Küken mehr …“ Er brach ab und schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Wir Esel, Bruderherz! In der Proviantlast stehen noch drei Korbflaschen von dem Zeug! Wir holen uns auch eine! Was der Glucke recht ist, muß den Küken billig sein – eh?“

„Kommt nicht in Frage!“ donnerte Old Donegal. „Das ist unser eiserner Proviant, Leute!“

 

„Dem du schon kräftig zu Leibe rückst, du alter Gluckerich!“ schmetterte Hasard. „Und wir dürfen zuschauen, Himmel-Arsch-und-Nelkenwürze!“

Da mußte der Admiral die Flagge streichen.

„Na gut“, brummte er und griff nach der Flasche. „Ihr gebt ja doch keine Ruhe, ihr durchtriebenen Halunken.“

„Umgekehrt wird ein Stiefel draus“, sagte Hasard grinsend und nahm die Buddel in Empfang. „Du gibst nicht eher Ruhe, bis alle Flaschen gelenzt sind.“

„Ich bin der Vorkoster“, erklärte der Admiral unverdrossen und räusperte sich nachhaltig, als er bemerkte, daß Hasard einen kräftigen Zug beim Gluckern draufhatte.

„Oh!“ sagte Hasard und reichte die Flasche an Philip weiter. „In dieser Funktion löse ich dich gern ab, Sir, ehrlich. Auf das Abschmecken von Speisen und Getränken verstehe ich mich. Phil übrigens auch, weil wir beim Kutscher in die Lehre gegangen sind. Du brauchst also künftig nicht mehr vorzukosten, das übernehmen Phil und ich. Das ist auch besser so, sonst schlingst du wieder giftige Fischleber in dich hinein und fällst um.“

Dinge, die ihm nicht paßten, überhörte Old Donegal geflissentlich. Dafür griff er Hasards Hinweis auf den Kutscher auf und erklärte bramsig: „Wenn ihr bei dem Kutscher in die Lehre gegangen seid, dann solltet ihr euch tunlichst nunmehr um unser leibliches Wohl kümmern und mal zeigen, ob die Lehre was gefruchtet hat. Bald ist Mittag, und mir hängt der Magen durch. Was gibt’s denn heute?“

Es war wie immer – als sei nichts passiert und einer aus der Crew der Arwenacks stelle dem Kutscher oder Mac Pellew jene Frage nach dem mittäglichen Backen und Banken, die bei beiden Köchen in schöner Regelmäßigkeit gereizte Reaktionen auszulösen pflegte. Mac Pellew verfuhr in einem solchen Fall meist nach dem Prinzip, einer dummen Frage auch eine dumme Antwort entgegenzusetzen. Der Kutscher hingegen wurde spitz und drechselte gestelzte Belehrungen über die Bekömmlichkeit fetter Speisen für Menschen mit Leibesfülle oder erstem Bauchansatz. Da konnte einem sowieso schon der Appetit vergehen.

Hasard und Philip reagierten weder spitz, gedrechselt oder dumm nach Art der Arwenack-Köche, sondern nickten sich zu und zogen in die Kombüse ab. Daß Philip sehr geschickt die Buddel mitgehen ließ, entging dem Admiral.

Er merkte es erst etwa sieben Minuten später, als er nach unten langte, um erneut einen zur Brust zu nehmen. Aber er griff ins Leere, und da fiel ihm ein, daß Philip die Buddel als letzter gehabt hatte.

„Verdammter Lausekerl!“ fluchte der Admiral.

Aber dann grinste er, peilte die See ringsum ab, nickte zufrieden, als er nichts Besonderes entdeckte – bis auf die flüchtenden Maschwas –, und belegte die Pinne. Zwei, drei Minuten lang beobachtete er den Kurs der kleinen Karavelle. Nein, sie luvte weder an, noch fiel sie ab. Sie lag gut auf dem Ruder. Ein feines Schiffchen.

Auf leisen Sohlen pirschte der Admiral unter Deck, während aus der Kombüse das Klappern von Töpfen an seine Ohren drang. Wie Philip gesagt hatte: in der Proviantlast standen noch drei Korbflaschen mit dem gewissen Inhalt. Der Admiral schnappte sich eine und schlich an Deck zurück. Das alles hatte nur an die vier Minuten gedauert. Dann übernahm er wieder die Pinne, nachdem er seine Rolle als „Vorkoster“ gebührend geprobt hatte.

Auch der Schnaps in dieser Buddel war von scharfer, aber belebender Güte. Der Admiral kicherte, als nunmehr wieder eine Korbflasche neben seinem Holzbein stand. Und dann schnüffelte er mit Wohlbehagen, weil aus der Kombüse der Duft von etwas Gebratenem in seine Nase drang.

Da törnte auch schon Hasard aus der Kombüse nach achtern und verkündete: „Um deine Frage zu beantworten, Sir. Es gibt gebratene Ente mit Curryreis und …“ Er verstummte, weil die Korbflasche unten neben dem Holzbein in sein Blickfeld geriet, verzog aber keine Miene und fuhr fort, als habe er nichts gesehen: „… und diverse Beigaben erlesener Gemüse, darunter auch Bambussprossen. Was hältst du davon, wenn wir der Ente einen leisen Hauch von Knoblauch verleihen?“

„Vor-züg-lich!“ akzentuierte der Admiral und schnalzte mit der Zunge.

„Sehr wohl, Sir“, sagte Hasard und verbeugte sich in der Art eines Butlers, sehr gemessen und distinguiert, wie sich das gehört. Und in Butlerart stelzte er zurück in die Kombüse. Es war ein Schreiten diesmal, nicht das geschmeidige Gleiten einer Tigerkatze.

Die Gemessenheit verschwand wie Spreu im Wind, als Hasard das Kombüsenschott hinter sich schloß.

„Dieser schlitzohrige alte Teufel!“ fauchte er. „Er hat sich in die Proviantlast geschlichen und eine zweite Korbflasche geholt! Was sagst du jetzt?“

Philip feixte bis zu den Ohren. „Typisch! Aber wir sind die Blöden! Wir hätten die drei Buddeln verschwinden lassen sollen.“

„Das tun wir mit den beiden, die jetzt noch da sind“, sagte Hasard wütend. „Und was ist mit der, die er jetzt hat?“

„Die klauen wir ihm, ist doch klar.“

„Und wie?“

Philip schüttelte den Kopf über sein Bruderherz. Was der noch fragte! Sonst war er schneller mit seinen Einfällen. Aber Hasard war wohl viel zu erbost über die Durchtriebenheit des Admirals.

„Mann“, sagte er, „denk nach. Was haben wir bei Kaliban gelernt? Die Person, die beklaut werden soll, muß abgelenkt werden. Also, einer lenkt ab, der andere klaut – fertig.“

„Genauer“, knurrte Hasard.

Philip starrte auf die Korbflasche, die auf der Kombüsenplatte stand, wo sie das Gemüse schneiden wollten. Er nahm ein Messer und zerschnippelte das Korbgeflecht. Darunter erschien die bauchige Form der Flasche. Sie bestand aus Ton von heller Farbe.

„Die nehmen wir“, entschied er. „Wie sieht sie aus?“

„Wie ’ne Flasche!“ stieß Hasard hervor. „Wie denn sonst?“

„Falsch“, erklärte Philip grinsend. „Wie der Popo einer Nixe. Um oder an den kurzen Hals binden wir was Gewandartiges, schmeißen die Lady über Bord, einer brüllt ‚da schwimmt ’n Meerweib!‘, und während sich der Admiral die Klüsen ausstiert, klaut ihm der andere die Buddel – päng!“

„Genial, Brüderchen!“ Hasard schlug dem Bruderherz die Rechte auf die Schulter, stutzte dann und fragte: „Und was tun wir mit dem Schnaps, der noch drin ist?“

„Umgießen!“ Und schon langte Philip in ein Schapp, holte ein paar leere Kruken raus, baute sie auf der Platte auf und sagte: „Na los, halt eine fest, ich gieße.“

Der Inhalt der rundlichen Tonflasche, die den Popo einer Nixe darstellen sollte, wurde in die Kruken entleert. Hasard enteilte und brachte aus dem Fundus dessen, was sie auf der ehemaligen Piraten-Karavelle an Beute entdeckt hatten, einen durchsichtigen Seidenschal von beträchtlicher Länge und Breite. Den stopften sie zu einem Teil in die Flasche und keilten ihn mit passend geschnittenen hölzernen Pfropfen fest, so daß auch kein Wasser in die Flasche dringen konnte. Was aus dem Flaschenhals herausschaute, zerschnitten sie in lange dünne Streifen – den Haaren einer Meerjungfrau nicht unähnlich. Wenn die schon fast am Po anfingen, war das unwesentlich. Im Wasser wirkte so was immer völlig anders.

Eine Viertelstunde später erschien Hasard wieder auf der kleinen Kuhl, spielte weiter „Butler“, indem er stelzte, trat ans Backbordschanzkleid und kippte einen mächtigen Kübel Abfall über Bord.

Über die Schulter sagte er zu Old Donegal: „Ziemlicher Lausestall von Kombüse, Sir. Haben gleich mal ausgemistet, Phil und ich.“

„Sehr gut, sehr gut“, lobte der Admiral und freute sich über seine fleißigen Enkel, denen die Sauberkeit eines Schiffes über alles ging.

Doch dann schreckte er zusammen.

Denn Hasard brüllte: „Ein Meerweib, Sir!“ Dabei deutete er mit einer wilden Armbewegung nach Backbord schräg achteraus.

Old Donegal warf den Kopf herum.

Tatsächlich – dort schwamm was.

Der blanke Hintern einer Nixe! Sie wollte wohl abtauchen. Ihre Haare breiteten sich fächerförmig über dem Wasser aus.

Himmel und Hölle!

Old Donegal ließ Pinne Pinne sein und stürzte ans Backbordschanzkleid.

„Die Pinne!“ schrie Hasard.

Und schon stürzte er nach achtern, um die Pinne zu übernehmen. Mit einem Griff übernahm er allerdings was anderes, nämlich die Korbbuddel des Admirals. Und die warf er mit einem Schwung seinem Bruder Philip zu, der aus der Kombüse aufgetaucht war – hinter dem Rücken des alten Zausels.

Philip fing die Buddel geschickt auf und verschwand wie ein geölter Blitz wieder in der Kombüse.

Der Admiral brüllte erregt: „Abfallen, abfallen! Dort ist sie! Wir müssen sie fangen, Junge! Wir müssen sie fangen! Schnell – schnell!“

„Siehst du sie denn?“ schrie Hasard.

„Ja! Backbord achteraus! Schnell!“ Der Alte hüpfte herum wie ein Floh und kletterte aufs Schanzkleid.

Na ja, es passierte, was passieren mußte. Wenn der Admiral Meerweiber sah, gab’s kein Halten mehr.

Hasard wurde das in dem Moment klar, als sich Old Donegal Daniel O’Flynn in die See stürzte – offenbar in der Absicht, mal ein Meerweib umarmen zu können.

„Scheiße!“ knurrte Hasard erbittert und brüllte laut: „Mann über Bord!“

Philip schoß aus der Kombüse.

„Der Alte ist außenbords gesprungen!“ schrie ihn Hasard an.

Philip fackelte nicht lange. Außerdem grinste er. Mit ein paar Sprüngen war er an der Fockschot und warf sie los. Das gleiche tat er mit der Großschot. Hasard kapierte und legte Luvruder, so daß die Karavelle mit killenden Segeln schräg zum Südost-Passat zu driften begann.

Indessen paddelte der Admiral im Kielwasser des Zweimasters, reckte sich auf und brüllte: „Wo ist sie? Könnt ihr sie sehen?“

Philip und Hasard hatten sich am achteren Schanzkleid versammelt und begutachteten ihren Großvater. Daß sie feixten, verstand sich von selbst.

„Kann sie nicht sehen!“ schrie Hasard.

„Ich auch nicht!“ schrie Philip, empfing einen Rippenstoß des Bruders, begriff und brüllte: „Wen überhaupt?“

„Das Meerweib mit dem glänzenden Hintern!“ schrie Old Donegal. Er keuchte bereits und spie einen Strahl Wasser aus. Gleichzeitig trat er Wasser und paddelte mit den Armen auf und nieder, um einen besseren Überblick zu gewinnen, wenn er nach oben schoß.

„Mann-Mann“, fauchte Hasard, „der ist ganz versessen auf das Meerweib.“

„Hai!“ brüllte Philip, riß den Arm hoch und deutete irgendwohin. „Schwimm zurück, Granddad!“

„Wo?“ schrie der Admiral.

„Noch hinter dir!“

Da hatte Hasard schon eine Muskete geholt und feuerte sie ab – bestimmt nicht dorthin, wo Granddad im Wasser herumzappelte. Aber dieser sah zu, dem „Hai“ die Fersen zu zeigen, auch jene des Holzbeins. Bei Hai oder Meerweib entschied er sich, dem ersteren aus dem Weg zu gehen, besser gesagt: zu schwimmen.

Und während er sich zur Karavelle zurückarbeitete, schossen die Enkel auf den „Hai“. Es gab nur keinen.

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