Seewölfe - Piraten der Weltmeere 349

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 349
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Davis J. Harbord

Rächer der Spanischen Krone

Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-746-4

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

An jenem Abend Mitte September 1593, an dem die Seewölfe mit dem Franzosen Honoré Letray an Bord der „Isabella IX.“ Rabbit Island ansteuerten und auf diesem Eiland vor der Festlandküste eine immense Schatzbeute vereinnahmten, liefen fünf gut armierte spanische Galeonen sehr viel weiter östlich in den Hafen von Pensacola ein.

Dort, an der Nordwestküste von Florida, hatten die Spanier einen Stützpunkt errichtet – in der Hoffnung, von hier aus den nördlichen Golf von Mexiko besser kontrollieren zu können. Schnapphähne aus der Karibik trieben dort ihr Unwesen, aber es galt auch, andere Neugierige von dem Land fernzuhalten, das vielleicht Reichtum barg und erst von ein paar Konquistadoren erforscht worden war.

Dieses Land mußte von unheimlicher Größe sein – ein Grund mehr, es gegen Glücksritter, Abenteurer oder gar forschende Seefahrer aus den anderen Ländern der Alten Welt abzuschirmen oder zu verhindern, daß andere Mächte aus dem alten Europa an diesen Küsten Fuß faßten und womöglich ihrerseits Stützpunkte errichteten.

So herrschte in Pensacola ziemliche Aufregung, als die fünf spanischen Kriegsgaleonen unter dem Kommando des Don Augusto Medina Lorca einliefen, im Hafen vertäuten und die sehr ehrenwerten Señores des Flaggschiffs „Santa Veronica“ sehr schnell an Land gingen, kaum daß die Stelling ausgebracht war.

Die Mienen dieser sehr ehrenwerten Señores versprachen wenig Gutes und sahen insgesamt so aus, als seien ihnen einige Läuse-Geschwader über die Leber gelaufen.

Die Herumlungerer und Tagediebe, die es hier genauso wie in allen Häfen der Welt gab, registrierten diese miesen Mienen der sehr ehrenwerten Señores und erbauten sich daran, weil so etwas selten geschah. Denn sonst pflegten die Señores sehr hochmütig dreinzuschauen, etwa so, als seien sie Seine Allerkatholischste Majestät im fernen Spanien höchstselbst.

Dieses Mal waren sie nicht „höchstselbst“, blickten auch nicht blasiert über das Hafengetriebe, als sei alles ein einziger Ekel, nein, sie stierten bodenwärts, obwohl dort Dreck und Unrat herumlag, der sonst für ihre hochwohlgeborenen Augen eine Beleidigung war. Und das freute die Strolche im Hafen, die Penner, Eckensteher und Faulsäcke, die als menschliches Treibgut zu bezeichnen waren, durch irgendeinen Wind an diese ferne Küste geschwemmt und hier hängengeblieben.

Als die Señores in der Kommandantur verschwanden, rissen die Kerle dann doch die Augen auf, und ihr höhnisches Grinsen verflüchtigte sich, denn weitere Personen trabten über die Stelling an Land, aber das waren weiß Gott keine Hochwohlgeboren, nein, das waren eher Typen ihres Schlages.

Die Tagediebe hielten Maulaffen feil. Das taten sie sonst auch nach Art ihres beschäftigungslosen Herumtrödelns, aber jetzt gerieten sie doch ins Staunen. Denn die Kerle, die nach den Señores das Flaggschiff verließen, waren gefesselt und wurden von mindestens doppelt so vielen Seesoldaten bewacht.

Diese Kerle sahen zum Fürchten aus.

Noch fürchterlicher – und das war wie ein Hieb in die Magengrube – wirkte das große knochige Weibsbild, das indianischer Abstammung zu sein schien. Aber eher war vorstellbar, daß diese Hexe der Hölle entstammte und demnach nicht gefesselt sein durfte, sondern auf einem Besen durch die Lüfte hätte reiten müssen.

Einer der Herumlungerer zischte: „Mardengo und Oka Mama, des Teufels Großmutter!“ Und damit verschwand er, als sei der Leibhaftige samt Familie und Gefolge an dieser Küste erschienen, um Pensacola mit Feuer, Pech und Schwefel auszurotten und auszuräuchern.

Es stimmte, was er den anderen zugezischt hatte – bis auf die Tatsache, daß Oka Mama nicht des Teufels Großmutter, sondern die Mutter Mardengos war. Aber das kam fast aufs selbe hinaus, ob nun Mutter oder Großmutter. Denn Mardengo selbst war ein Teufel, der Teufel von Florida, das er den Spaniern mit seinem Angriff auf Fort St. Augustine hatte entreißen wollen.

Die Kerle, die am Hafen herumlungerten, gaben Fersengeld, zumal die Seesoldaten ausschwärmten und mit ihren angeschlagenen Musketen sehr deutlich unterstrichen, daß sie rücksichtslos schießen würden, falls der Pöbel versuchte, den Galgenvogel Mardengo, seine Oka Mama und die Bande zu befreien. Aber da konnten sie ganz unbesorgt sein. Die Tagediebe hatten vor Mardengo und seinem Haufen mehr Angst als vor der bewaffneten spanischen Macht. Sogar gefesselt war diese berüchtigte Piratenbande immer noch furchterregend.

Zwar sahen sie allesamt ziemlich gerupft aus, aber gerade ihre Blessuren zeigten an, daß mit ihnen nicht zu spaßen war. Fünfzehn Kerle waren es, die mit Mardengo und Oka Mama zur Feste getrieben wurden, wo man sie in den Kellerverliesen einlochen würde.

Das Ganze war ziemlich rätselhaft. Wenn man Mardengos Piratenhorde zerschlagen und ihn selbst mit Oka Mama und fünfzehn Kumpanen gefangen hatte, warum bliesen die ehrenwerten Señores dann Trübsal, statt sich über den Fang zu freuen?

Sehr merkwürdig war das. In Pensacola wucherten die Gerüchte und trieben seltsame Blüten. Schon Tage zuvor war bekannt geworden, daß Indianersklaven in dem spanischen Lager an der Waccasassa Bay rebelliert hätten und mit einer nagelneuen Galeone in den Golf von Mexiko geflohen wären. Das mußte man sich mal vorstellen! Halbnackte Wilde auf einem Schiff Seiner Allerkatholischsten Majestät!

Allerdings sollte diesen dreisten Wilden ein schwarzhaariger Teufel geholfen haben, als Don Bruno Spadaro mit seiner „Galicia“ die Ausbrecher auf See gestellt hatte. Die „Galicia“ war ohne Fockmast und mit ziemlichen Brandschäden nach Pensacola zurückgekehrt, gewissermaßen auf einem Fuß hinkend. Dieser schwarzhaarige Teufel – man erzählte sich, er sei aus England – und seine höllischen Gesellen sollten bei dem Gefecht mit der „Galicia“ regelrecht Feuer gespuckt haben, Feuer aus Flaschen!

Ja, dieser Teufel aus England sollte mit dem Teufel Mardengo einen unheiligen Bund geschlossen haben mit dem Ziel, alle spanischen Siedlungen in der Neuen Welt einzuäschern, die Frauen zu entführen und zu verhexen und die Männer am Halse langzuziehen oder über dem Feuer zu rösten.

Die Leute von Pensacola einschließlich der Tagediebe sahen dunkle Wolken über sich aufziehen. Vielleicht stand sogar der Weltuntergang bevor. Da sollten die höllischen Mächte vorher besonders wild toben und ihr Unwesen treiben – sagten die frommen Padres!

Indessen versammelten sich folgende Señores in der Stadtkommandantur: Don Augusto Medina Lorca, Befehlshaber des Verbandes der fünf Kriegsgaleonen, mit denen er eigentlich zu dieser Zeit längst auf dem Wege nach Spanien sein sollte, Don Lope de Sanamonte, Kommandant von Fort St. Augustine, den die Seewölfe um einen Schatz erleichtert hatten, der dem spanischen König zugedacht gewesen war, und Don José Isidoro, Kapitän der auf ein Riff gelaufenen und dann von Duvaliers Piraten ausgeplünderten „Santa Teresa“, sowie sein Erster und sein Zweiter Offizier, zusammen mit ihrem Kapitän die drei einzigen Überlebenden dieser Kriegsgaleone. Diese fünf Señores hatten soeben das Flaggschiff „Santa Veronica“ verlassen und darum gebeten, in der Kommandantur sofort mit den Befehlshabern der Stadt und des Hafens sowie dem Vertreter der Admiralität sprechen zu können, da sie wichtige Nachrichten hätten.

Diese Señores wurden hastig zusammengetrommelt. Es erschienen: Don Bruno Spadaro, Kapitän der Kriegsgaleone „Galicia“, Don Angelo Baquillo, Kommandant des spanischen Lagers und der Werft an der Waccasassa Bay, ferner Don Moreno Borgo-Antigua, der Vertreter der Admiralität, sowie der Stadtkommandant und der Hafenkapitän.

Eine illustre Gesellschaft war das, die hier in der Kommandantur zusammentraf und sich im großen Beratungsraum an einem mächtigen Rundtisch auf die lederbezogenen Stühle niederließ, nachdem man einander begrüßt und die üblichen Floskeln ausgetauscht hatte.

Wären die Tagediebe anwesend gewesen, dann hätten sie ein zweites Mal hämisch grinsen können, denn auch die fünf hinzugekommenen Hochwohlgeborenen hatten Friedhofsmienen aufgesetzt, als gelte es, einen teuren Toten zur letzten Ruhe zu betten.

Da nutzte es wenig, daß ein herausgeputzter Diener auf einen Wink des Stadtkommandanten hin den Señores rubinroten Wein in funkelnden Gläsern servierte. Man prostete sich gemessen, eher verdrießlich, zu, der Diener schenkte noch einmal nach und mußte sich dann entfernen, damit die Señores unter sich sein konnten.

Don Moreno Borgo-Antigua als der Rangälteste unter den Señores richtete den Blick auf Don Augusto Medina Lorca, räusperte sich und sagte: „Was haben Sie zu berichten, Don Augusto?“ Er runzelte die Stirn. „Ich bin sehr verwundert, Sie hier in Pensacola anzutreffen. Sie hatten doch Order, Fort St. Augustine anzulaufen, dort die für Seine Majestät bestimmte Gold- und Silberladung zu übernehmen und unverzüglich nach Spanien zu bringen. Oder irre ich mich?“

 

Don Augusto Medina Lorcas rechtes Augenlid begann zu zucken. Das passierte, wenn er aufgeregt war.

„Nein, Sie irren sich nicht, Don Moreno“, sagte er gepreßt. „Tatsächlich hätte ich mit meinem Verband längst auf Heimatkurs sein können, nur konnte ich die von Ihnen erwähnte Ladung in St. Augustine nicht übernehmen, weil sie nicht mehr da war.“ Und jetzt folgte der Seitenhieb, der ihn dafür entschädigen sollte, daß ihm der Kommandant von Fort St. Augustine seit knapp vier Wochen auf die Nerven gegangen war: „Leider war Don Lope als Kommandant von Fort St. Augustine nicht in der Lage, die Ladung, von der wir sprechen, sicher zu verwahren. Sie wurde ihm geraubt!“

Don Moreno, der Beauftragte der Admiralität, saß da, als habe ihm jemand ein Brett vor den Kopf geschlagen.

„Was sagen Sie da?“ flüsterte er. „Geraubt? Die Gold- und Silberladung wurde geraubt?“

„So ist es“, erwiderte der Generalkapitän. Er weidete sich an dem wütenden Gesichtsausdruck Don Lopes, des Kommandanten von Fort St. Augustine, der ja die ganze letzte Zeit bei ihm an Bord gewesen war und alles besser gewußt hatte. Jetzt habe ich dir’s gegeben, du Kröte, dachte er.

„Das ist ja nicht zu fassen“, murmelte Don Moreno erschüttert. Dann zuckte sein Kopf herum zu Don Lope de Sanamonte, und er fragte scharf: „Wie konnte das geschehen?“

Der etwas schwammige Don Lope schwitzte und zwirbelte seinen schwarzen Spitzbart, was er immer tat, wenn er ratlos oder wütend war.

„Das – das Fort wurde Opfer eines hinterhältigen Überfalls!“ stieß er hervor.

„Das Fort hat als uneinnehmbar gegolten!“ schnappte Don Moreno. „Dafür sind Unmengen von Geld ausgegeben worden, wie Sie selbst wohl am besten wissen. Sie haben doch ständig lamentiert, es fehle zum Ausbau des Forts noch dies und das und verlangten von der Staatskasse die entsprechenden Mittel!“ Don Moreno wurde immer erregter. „Mir scheint, hier wurden unsere Gelder zum Fenster hinausgeworfen! Und wer, bitte sehr, hat das Fort überfallen?“

„Mardengo und seine Mörderbande.“ Don Lope schnaufte. „Dank meiner Initiative konnte er später überwältigt und festgenommen werden. Ich veranlaßte …“

Don Augusto Medina Lorca, der Generalkapitän, unterbrach ihn mit einem höhnischen Lachen. „Von einer Initiative Ihrerseits kann wohl keine Rede sein, werter Don Lope! Veranlaßt haben Sie schon gar nichts, weil Sie über meinen Verband gar keine Befehlsbefugnis haben. Das wäre ja auch noch schöner. Sie waren lediglich Gast bei mir an Bord, als meine Schiffe die Verfolgung Mardengos und des Engländers aufnahmen …“

Jetzt fuhr Don Moreno wieder dazwischen. „Was für eines Engländers, zum Teufel! Ich denke, Mardengo hat das Fort überfallen? Kann mir einer der Señores endlich einmal einen klaren Bericht über die Geschehnisse geben? Bitte sehr, Don Augusto!“

Der Generalkapitän hatte Oberwasser, sein rechtes Augenlid zuckte auch nicht mehr. Er hatte starke Bedenken gehabt, entgegen der Order auf eigene Faust im Golf von Mexiko auf Piratenjagd zu gehen, um den geraubten Schatz zurückzuerobern. Die Admiralität konnte in ihren Entscheidungen sehr eigen sein, und sie liebte es gar nicht, wenn Verbandsführer oder Generalkapitäne nach eigenem Gutdünken Aktionen unternahmen, die absolut nichts mehr mit dem ursprünglichen Auftrag zu tun hatten. Aber jetzt spürte er, daß Don Moreno, der Beauftragte der Admiralität, mehr auf seiner Seite stand als auf der Don Lopes. Tatsächlich – daran gab es gar nichts zu rütteln – war Don Lope de Sanamonte der eigentliche Sündenbock.

Der Generalkapitän sagte: „Ich traf mit meinem Verband in Fort St. Augustine ein, als der Überfall Mardengos bereits stattgefunden hatte. Dieser Pirat hatte das Fort von der See- und gleichzeitig von der Landseite her angegriffen. Mit sehr schnellen und wendigen Einmastern hatte er fast alle Schiffe im Hafen zusammengeschossen und auch erhebliche Zerstörungen im Hafen selbst angerichtet, während ein starker Landtrupp in das Fort eindringen konnte. Merkwürdigerweise tauchte im Laufe des ganzen Kampfes eine recht große, gut armierte Galeone vor St. Augustine auf, die in den Kampf eingriff und die Mardengo-Bande in die Flucht jagte. Don Lope beging den Fehler, den Kapitän dieser Galeone als Befreier zu begrüßen. Der entwaffnete ihn jedoch, vereinnahmte die für Seine Majestät bestimmte Schatzladung, ließ sie an Bord seiner Galeone schaffen und segelte davon. Ich entschloß mich, die Verfolgung aufzunehmen, bei der es mir dann gelang, Mardengos Piratennest auszuheben und ihn, seine Mutter und fünfzehn Kerle seiner Bande gefangenzunehmen …“

„Nachdem dieser verdammte Engländer bereits gute Vorarbeit geleistet hatte und über den Schlupfwinkel der Piratenbande hergefallen war, werter Don Augusto!“ knurrte Don Lope. „Und vielleicht sollten Sie auch erwähnen, daß es Ihnen zwar gelungen war, die Galeone des Engländers in Ihren Besitz zu bringen, was den Engländer aber nicht hinderte, Ihnen sein Schiff wieder abzunehmen und erneut zu verschwinden.“ Jetzt war Don Lopes Stimme voller Hohn. „Leider begingen Sie die Dummheit, die Schatzladung nicht sofort auf unsere Schiffe zu verfrachten.“

Das rechte Augenlid des Generalkapitäns begann wieder zu zucken.

„Dazu war gar keine Zeit!“ fauchte er. „Wir waren an Land in die Kämpfe mit den Piraten verwickelt. Und bitte sehr: Sie hätten sich ja mit Ihrem dicken Hintern auf die Ladung setzen können, um sie persönlich zu bewachen, nicht wahr? Aber statt dessen standen Sie auf dem Achterdeck herum und meinten, mir unmaßgebliche Ratschläge erteilen zu müssen.“

„Dieser Einwand Don Augustos ist richtig“, sagte Don Moreno und blickte Don Lope tadelnd an. „Sie persönlich hätten die Ladung überwachen und unter Einsatz Ihres Lebens verteidigen müssen, nachdem das Schiff von Don Augusto erobert worden war. Das wäre Ihre Aufgabe gewesen, genau das! Dies um so mehr, weil Ihnen die Ladung bereits einmal geraubt worden war. Auf dem Achterdeck des Flaggschiffs herumzustehen und Ratschläge zu erteilen, halte ich dagegen für eine ziemliche Unverfrorenheit. Ein Generalkapitän und Geschwaderführer weiß selbst, was er zu tun hat. Er hat es nicht nötig, sich von einem Fortkommandanten belehren zu lassen, der selbst nicht einmal in der Lage war, sein Fort erfolgreich gegen einen Angreifer zu verteidigen, geschweige denn, die Güter Seiner Majestät zu bewachen, wie es seine Pflicht gewesen wäre. Das muß hier einmal ganz klar gesagt werden.“ Der Beauftragte der Admiralität kniff die Augen etwas zusammen und fixierte Don Lope scharf. „Ich habe den Eindruck, daß Sie Don Augusto die Schuld für Ihre eigenen Fehler zuschieben wollen, Señor de Sanamonte.“

„Das war nicht meine Absicht“, beteuerte Don Lope, der sich wie ein Aal wand und noch mehr schwitzte.

„Dann unterlassen Sie gefälligst solche Bemerkungen wie die letzte, bei der Sie dem Generalkapitän Dummheit vorwarfen“, sagte Don Moreno kühl. „Solche Bemerkungen stehen Ihnen nicht zu, schon gar nicht gegenüber einem ranghöheren Offizier.“

2.

Don Augusto konnte frohlocken. Sein rechtes Augenlied beruhigte sich wieder. Es war zu schön, zuzuhören, wie Don Lope, dieser impertinente Hundesohn, gerüffelt wurde.

Jetzt wurde er wieder von Don Moreno angesprochen: „Sagen Sie, Don Augusto, konnten Sie den Namen dieses Engländers in Erfahrung bringen?“

„Nicht nur das“, erwiderte der Generalkapitän betont höflich, „sondern dank eines Zufalls auch, wo sich dieser Mann samt seinem Schiff jetzt ungefähr aufhalten könnte. Aber das ist eine Geschichte, die Ihnen Capitán Isidoro von der ‚Santa Teresa‘ besser als ich erklären kann. Zunächst: dieser Engländer stellte sich in Fort St. Augustine unserem werten Don Lope sowie einigen anderen Señores als Philip Hasard Killigrew vor …“ Er brach ab, weil Don Moreno den Kopf vorstreckte und ächzte. „Fehlt Ihnen etwas, Don Moreno?“ fragte er besorgt.

„Sagten Sie – äh – Killigrew?“

Don Augusto nickte. „Ja, so nannte sich dieser Mann.“ Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. „Irgendwo habe ich diesen Namen schon gehört, aber ich weiß nicht mehr, in welchem Zusammenhang.“

Don Moreno Borgo-Antigua ächzte immer noch und sagte heiser: „Der Seewolf! Ist Ihnen das ein Begriff?“

Don Augusto zuckte etwas zusammen und holte hörbar Luft.

„Du meine Güte“, murmelte er, „natürlich, jetzt fällt mir das wieder ein – der Seewolf. Auf seinen Kopf hat die Krone eine Belohnung ausgesetzt! Heilige Madonna, und dieser Kerl ist uns durch die Lappen gegangen!“ Er starrte wütend über den Tisch zu Don Lope. „Hätte Ihnen das nicht auch einfallen können, Sie Alleswisser? Sie haben den Kerl doch gesehen und erlebt, verdammt noch mal! Er hat sich Ihnen sogar vorgestellt!“

„Ihnen ist bei dem Namen ja auch nichts eingefallen“, sagte Don Lope aufgebracht. „Und woher sollte ich kleiner Fortkommandant wissen, daß es sich bei diesem Bastard um den Seewolf handelte? Aber Sie als Generalkapitän hätten das wissen müssen. Ich habe Ihnen diesen Mann genau beschrieben …“

„Ich bitte um Ruhe!“ Don Moreno war sehr erregt und pochte mit den Fingerknöcheln der rechten Hand auf den Tisch. „Es bringt uns um nichts weiter, wenn Sie sich hier gegenseitig Versäumnisse vorwerfen, Señores! Ich stelle fest, daß dieser Feind Spaniens im Golf von Mexiko aufgetaucht ist und sein Unwesen treibt. Vermutlich handelt es sich um denselben Mann, der sich mit rebellischen Indianern verbündet und sie gegen unsere ‚Galicia‘ unter Capitán Spadaro verteidigt hat. Señor Spadaro, wie sah dieser Mann aus? Was hatte er für ein Schiff, als Sie mit ihm aneinandergerieten, um die von den Indianern geraubte ‚San Donato‘ zurückzuerobern?“

Don Bruno Spadaro, ein Mann mit einem verwegenen, harten Gesicht, das von einem gesträubten Schnauzbart verziert wurde, reckte die breite Brust und sagte: „Dieser Mann war sehr groß, schlank und schwarzhaarig. Durchs Spektiv konnte ich erkennen, daß sich von seiner rechten Stirn über die linke Augenbraue bis zur linken Wange eine Narbe hinzieht …“

„Das ist er!“ stieß Don Lope hervor. „Die Narbe! Wie ein Teufel sieht der Kerl aus!“

Don Bruno Spadaro musterte ihn kühl und sagte: „Ein Teufel? Unsinn! Der Mann sieht wie ein Kämpfer aus – und er versteht, zu kämpfen, davon kann ich ein Liedchen singen. Im übrigen darf an dieser Stelle wohl daran erinnert werden, daß dieser Mann zu den englischen Kapitänen gehörte, die unsere Armada so vernichtend schlugen. Ich betone weiterhin – wenn das stimmt, was ich über diesen Mann hörte –, daß er ein fairer Kämpfer ist. Er soll sogar nach der Schlacht im englischen Kanal unseren wracken Schiffen Hilfe geleistet haben.“

„Das klingt fast so, als liebten Sie diesen Kerl“, sagte Don Lope spitz.

„Ich habe Respekt vor einem Gegner, der sich fair verhält“, erwiderte Don Bruno Spadaro sehr langsam und sehr betont. „Eine Eigenschaft, die Ihnen offenbar abgeht, Don Lope.“

„Dieser Kerl gibt sich mit rebellischen Wilden ab!“ sagte Don Lope wütend. „Und vergessen Sie nicht, mit welcher Frechheit er in Fort. St. Augustine Beute gerissen hat …“

„Dank Ihres Unvermögens, Ihr Fort zu verteidigen, mein Bester“, entgegnete Kapitän Spadaro ironisch. „Aber auch hier fällt auf, daß er Sie und Ihre Offiziere verschont hat. Bei einem Mann wie Mardengo wären Sie über die Klinge gesprungen. Vielleicht sollten Sie darüber einmal nachdenken.“

„Danke für Ihre Belehrungen“, sagte Don Lope mit blasierter Miene.

„Bitte sehr, gern geschehen.“ Don Bruno Spadaro war nicht aus der Ruhe zu bringen. „Man sagt zwar, daß die Dummen nicht aussterben, aber ich bin sehr glücklich, daß Sie sich für meine Belehrungen bedanken. Das läßt für Sie hoffen!“

Don Lope erstickte an seiner Wut, zog es aber vor, nichts mehr darauf zu erwidern. Ihm entging keineswegs, daß die allgemeine Stimmung gegen ihn war. Da war es wohl besser, zurückhaltend zu sein.

Don Bruno Spadaro wandte sich wieder Don Moreno zu und sagte: „Vielleicht darf ich jetzt Ihre Frage nach dem Schiff des Engländers beantworten, Don Moreno. Tatsächlich handelt es sich um eine sehr auffallende Galeone mit bemerkenswert niedrigen Aufbauten und sehr hohen Masten. Sie heißt ‚Isabella‘, ist sehr gut bestückt, schnell und wendig, ganz abgesehen davon, daß sie hervorragend geführt wird. Mir bricht kein Stein aus der Krone, wenn ich hier offen zugebe, daß ich diesen Gegner unterschätzt habe. Neben ihren Culverinen und Drehbassen setzten die Engländer in dem Gefecht gegen die ‚Galicia‘ Pulverpfeile und Flaschen ein …“

 

„Flaschen?“ unterbrach ihn Don Moreno perplex.

„Ja, ganz gewöhnliche Flaschen“, erwiderte der Kapitän und strich sich über den Schnauzbart, „aber dennoch höllische Dinger, weil sie mit Pulver, Nägeln und Eisenteilchen gefüllt waren. Eine im Flaschenhals verdämmte Lunte – vor dem Abschuß entzündet – sorgte dafür, das Pulver und damit die Flasche explodieren zu lassen. Wir konnten beobachten, daß die Dinger sogar unter Wasser krepierten. Jedenfalls hatten diese Flaschen eine verheerende Wirkung, vor allem wegen der Streuung nach allen Seiten.“

„Sie sagten ‚Abschuß‘“, Don Moreno runzelte die Stirn, „dann wurden diese Flaschen nicht geworfen?“

„Nein, geschleudert, und zwar mit einem katapultartigen Gerät, das sogar auf vier Holzrädern wie eine Lafette steht und daher überall an Deck aufgestellt werden kann. Die Trefferquote war relativ hoch. Der Mann, der dieses Gerät bediente, ein rothaariger Riese, mußte ein gutes Augenmaß und sehr viel Routine haben. Das gleiche galt für die beiden Bogenschützen, die sich großer Langbögen bedienten.“ Don Bruno Spadaro nickte vor sich hin und fügte etwas gallig hinzu: „Schiff, Mannschaft und Kapitän kann man nicht anders als perfekt bezeichnen. Bei denen saß jeder Handgriff, jedes Manöver und fast jeder Schuß. Ich bin kein Neuling im seemännischen Kriegshandwerk, aber so was habe ich noch nicht erlebt. Ich muß das betonen, damit die Señores wissen, mit was für einem Gegner wir es zu tun haben. Und ich wiederhole noch einmal, es wäre unser größter Fehler, ihn zu unterschätzen.“

„Danke, Don Bruno“, sagte Don Moreno sehr nachdenklich, „das waren wertvolle Informationen.“ Er richtete den Blick auf Don José Isidoro, den Kapitän der „Santa Teresa“. „Dürfte ich jetzt Ihren Bericht hören, Don José?“

„Sehr wohl, Don Moreno“, erwiderte der Kapitän respektvoll. „Ich begegnete der ‚Galicia‘ nach ihrem Gefecht mit dem Engländer, erfuhr von Don Bruno, was passiert war und nahm die Verfolgung der ‚Isabella‘ und der ‚San Donato‘ auf. Wir sichteten die beiden Schiffe bei den Chandeleur-Inseln. Offenbar suchten sie unter Land Schutz vor dem beginnenden Sturm, der dann auch mit voller Wucht losbrach. Ich konnte mich an die ‚Isabella‘ heranarbeiten, wobei es dem Engländer allerdings gelang, mich auf ein Riff zu locken …“

Ein empörtes Gemurmel wurde in der Runde laut – es galt nicht der Tatsache, daß Don José Isidoro auf diesen Trick hereingefallen war, sondern daß der verdammte Engländer diesen Trick benutzt hatte, um seinen Verfolger abzuschütteln. Allerdings wußten nur Don José Isidoro und seine beiden Offiziere, daß diese Version nicht stimmte, aber sie klang gut, um den Engländer zu verteufeln.

Tatsächlich war die „Santa Teresa“ nicht auf das Riff gelockt worden, sondern Don José Isidoro hatte es an der notwendigen seemännischen Vorsicht mangeln lassen, obwohl er von seinem Ersten Offizier auf die Gefahren des Riffs bei den Chandeleur-Inseln hingewiesen worden war.

Aber das war jetzt alles unerheblich. Der Engländer mußte als Sündenbock herhalten. Damit ersparten sich Don José Isidoro und seine beiden Offiziere seitens des Vertreters der Admiralität den Vorwurf, fahrlässig und unverantwortlich gehandelt zu haben. Im übrigen war Don José Isidoro gerissen genug gewesen, seine beiden Offiziere auf diese Version einzuschwören.

Don Lope wiederum nutzte die Gunst des Augenblicks, es nunmehr Don Bruno Spadaro heimzuzahlen. Er sagte sarkastisch: „Nennen Sie das auch fair, verehrter Don Bruno? In meinen Augen ist das die Verhaltensweise eines heimtückischen, mordgierigen Piraten. Statt zu kämpfen, lockt er seinen Gegner in die Falle – fürwahr, sehr nobel, nicht wahr?“

Don Bruno Spadaro zuckte gleichmütig mit den Schultern. „Was ist erlaubt, was nicht? Wer bestimmt die Regeln? Der Engländer hat eine Kriegslist angewandt, die keineswegs neu ist. Versetzen Sie sich einmal in seine Lage, in der er es offenbar als seine Aufgabe ansieht, die Indianer auf der ‚San Donato‘ abzuschirmen, übrigens Indianer, die zum Teil am Sumpffieber erkrankt waren und zum anderen kaum etwas vom seemännischen Handwerk verstanden. Wäre mir eine ähnliche Aufgabe übertragen worden, hätte ich auch versucht, einen Verfolger auf diese Art abzuschütteln.“

„Ich stelle fest“, sagte Don Lope empört, „daß Sie diesen englischen Bastard ständig in Schutz nehmen und verteidigen!“

„Was Sie feststellen, ist mir völlig gleichgültig“, sagte Don Bruno Spadaro gelassen und fügte grob hinzu: „Kümmern Sie sich um den Dreck, der vor Ihrer eigenen Tür liegt, an dem haben Sie genug zu kehren. Wenn Sie nicht versagt hätten, brauchten wir hier nicht zusammenzusitzen …“

Don Moreno klopfte wieder mit den Knöcheln auf die Tischplatte. „Ich darf doch bitten, Señores! Wir haben Wichtigeres zu tun, als uns hier herumzustreiten. Fahren Sie bitte fort, Don José!“

Don José Isidoro nickte und sagte: „Der Rest ist schnell erzählt. Die ‚Santa Teresa‘ wurde Stunden nach dem Auflaufen von der Piratenbande eines gewissen Duvalier überfallen und geentert. Meine Seesoldaten und die Männer kämpften wie die Löwen, aber wir hatten keine Chance, die Piraten waren in der Überzahl. Duvalier verschonte nur meine beiden Offiziere und mich, um, wie er uns später erklärte, ein Lösegeld für uns zu erpressen. Wir wurden auf die Insel Comfort gebracht, dem Schlupfwinkel der Piraten. Er ließ dort vier Wächter zurück und brach mit seiner Horde zu einem weiteren Beutezug auf, um nämlich die englische Galeone und die ‚San Donato‘ zu vereinnahmen. Es gelang meinen beiden Offizieren und mir, die vier Wächter zu überwältigen und mit einem Einmaster von der Insel zu fliehen. So begegneten wir dem Generalkapitän und seinem Verband, der uns an Bord nahm.“

„Hm, danke, Don José“, sagte Don Moreno. „Was meinen Sie, wo die ‚Isabella‘ und die ‚San Donato‘ jetzt stecken könnten?“

„Ich könnte mir vorstellen, daß beide Schiffe im Lake Pontchartrain Schutz gesucht haben, vielleicht auch davor im Lake Borgne.“

„Und warum sollten sie dort noch sein?“

„Don Bruno erwähnte bereits die an Sumpffieber erkrankten Indianer. Mit solchen Kranken können keine langen Reisen unternommen werden.“

Don Moreno nickte. „Das leuchtet ein. Was ist jetzt mit diesem Duvalier? Mit diesem Kerl wird die ganze Sache noch komplizierter. Vielleicht ist es ihm inzwischen gelungen, die ‚Isabella‘ und die ‚San Donato‘ zu kapern. Wenn dem so ist, dann befindet er sich jetzt im Besitz der Schatzladung, und wir müßten nach ihm, statt nach dem Engländer suchen. Dieser Gedanke gefällt mir gar nicht, wenn ich davon ausgehe, daß Duvalier diese ganze Küste samt Mississippimündung wie seine Hosentasche kennt und genau weiß, wo er sich verstecken kann. Tatsächlich bieten sich hier ja unzählige Schlupfwinkel an, sonst hätten wir diese Burschen längst erwischt. Fassen wir zusammen: Der englische Pirat Killigrew, genannt der Seewolf, hat sich in Fort St. Augustine die Schatzladung geholt, die für Seine Majestät bestimmt war. Dann hat er einem rebellischen Indianerstamm geholfen, der mit der ‚San Donato‘ aus der Waccasassa Bucht geflohen ist. Im Laufe eines Gefechts wehrt er die ‚Galicia‘ ab und schafft es im weiteren, die ‚Santa Teresa‘ auf ein Riff zu locken, wo sie wiederum von Piraten überfallen und ausgeplündert wird. Hier nun tritt Duvalier auf den Plan. Wir haben es also mit zwei Gegnern zu tun, mit denen abgerechnet werden muß, vielleicht aber auch nur mit einem. Aber beide müssen gesucht werden.“

Die Señores nickten mit ernsten Mienen.

„Ich schätze“, sagte Don Moreno, „daß das Maß dessen, was wir uns als Spanier bieten lassen können, mehr als voll ist. Die Untaten des Philip Hasard Killigrew müssen gerächt werden, das sind wir der Spanischen Krone schuldig. Und unsere Rache muß den Piraten Duvalier treffen, der es wagte, eine unserer Kriegsgaleonen zu überfallen und auszurauben. Ich befehle daher, daß Ihr Verband, Don Augusto, unverzüglich noch in dieser Nacht zur Jagd auf den Seewolf ausläuft.“

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