Buch lesen: «Shooting Stars»

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Daniel-Pascal Zorn

Shooting Stars

Philosophie zwischen

Pop und Akademie

Klostermann Essay 2

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© Vittorio Klostermann GmbH · Frankfurt am Main · 2019

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Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Satz: Marion Juhas, Frankfurt am Main

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH

ISSN 2626-5532

ISBN 978-3-465-24398-4

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Einleitung

Die neuen Philosophen

Populärphilosophie: eine Problemstellung

Philosophie – aber ohne große Anstrengung

Das Dilemma der Radikalität

Der Segen der Popularität

Die Lehre der Philosophie

Die Welt verlieren, um die Welt zu gewinnen

Der Weg aus der Höhle

Mit Geduld und Spucke

Problematische Kategorien: Populärphilosophie und akademische Philosophie

Ist und Soll

Was ist gute akademische Philosophie?

Was ist gute Populärphilosophie?

Einleitung

Der vorliegende Text ist eine Kritik der Populärphilosophie. Das bedeutet zunächst, dass er die Selbstdarstellung einiger Populärphilosophen in Frage stellt und zum Problem macht. Ihr stellt er die Schwierigkeit der Philosophie gegenüber, sich einem Publikum mitzuteilen, das gerade die Voraussetzungen schon akzeptiert hat, um deren Infragestellung es der Philosophie geht.

Der Streit um die Populärphilosophie bewegt sich aber für gewöhnlich in genau diesen Bahnen: Einem selbstbewussten Bild der Populärphilosophie wird ein ideales Bild der Philosophie gegenübergestellt. Genau das kritisieren aber viele Populärphilosophen. Ihr Gegner ist also nicht die Philosophie, sondern die akademische Philosophie, der sie bescheinigen, unverständliche und hochtrabende oder voraussetzungsreiche und hochspezialisierte Texte zu verfassen. Sie sei deswegen für die große Masse der Leser irrelevant geworden.

Hier wird der Versuch unternommen, dem unproduktiven Streit zwischen Populärphilosophie und akademischer Philosophie eine dritte Position vorzuschlagen. Der Streit gerät deswegen unproduktiv, weil beide Parteien sich hochgerüstet gegenübertreten: die Populärphilosophie mit der Autorität des Publikums und die akademische Philosophie mit der Autorität der Wissenschaft. Aus Sicht der Populärphilosophie ist jede Erwiderung der akademischen Philosophie auf ihre Kritik nur eine Bestätigung dieser Kritik. Und ebenso ist jede Erwiderung der Populärphilosophie auf die Kritik der akademischen Philosophie für diese Ausweis einer generellen Inkompetenz dieser Philosophie.

Um diesem unproduktiven Kreislauf zu entkommen, muss man die Sache einerseits etwas vereinfachen. So erscheinen Populärphilosophie und akademische Philosophie in diesem Essay als wenig sympathische Idealtypen. Das soll dazu dienen, im Leser eine kritische Haltung gegenüber beiden wachzurufen. Da es dabei um die Populärphilosophie geht, spielt außerdem die akademische Philosophie nur eine Nebenrolle. Der unproduktive Zirkel gewinnt dadurch in der Darstellung eine populärphilosophische Schlagseite. Das ist, neben dem Thema, auch der Form des Essays geschuldet – eine Kritik, die Populärphilosophie und akademische Philosophie in gleicher Weise umfasste, hätte zu letzterer eine ganze Menge mehr zu sagen.

Andererseits musste die Sache, ganz entgegen dem Einfachheits- und Verständlichkeitsdrang der Populärphilosophie, etwas komplizierter gemacht werden. Kompliziert ist etwa das Problem, mit dem es die Philosophie zu tun bekommt, wenn sie andere Menschen Philosophie lehren will. Es ist auch deswegen so kompliziert, weil die radikale Haltung der Philosophie darin besteht, jegliche Autorität, die von anderen akzeptiert wird, in Frage zu stellen – sei es diejenige der eigenen, festgehaltenen Meinung, diejenige der etablierten Wissenschaften oder diejenige der applaudierenden Menge.

Dennoch tritt die Philosophie hier der Populärphilosophie und der akademischen Philosophie nicht wie ein dritter, von ihnen unabhängiger Mitspieler gegenüber. Ihre dritte Position besteht vielmehr darin, dass Populärphilosophie und akademische Philosophie auf jeweils ihre eigene Weise mit dem Problem zu tun bekommen, mit dem es die Philosophie zu tun bekommt, wenn sie Philosophie lehren soll oder will. Beide haben dieses Problem wiederum auf jeweils ihre eigene Weise gelöst – die akademische Philosophie durch Verwissenschaftlichung, die Populärphilosophie durch Popularisierung der Philosophie.

Eine Kritik der Populärphilosophie kann, wenn sie selbst die radikale Haltung der Philosophie bewahren will, nicht bei einer Gegenüberstellung von Populärphilosophie und akademischer Philosophie stehenbleiben. Sie muss vielmehr diese Kategorien selbst noch einmal kritisch befragen, die Voraussetzungen ihrer Beschreibung sind. Auch hier wird das, was am Anfang des Essays einfach klingt, im weiteren Verlauf komplizierter: Die Populärphilosophie erscheint dort als ein wesentlicher Teil der philosophischen Tradition, auf die die akademische Philosophie sich beruft. Umgekehrt erscheint die akademische Philosophie – historisch betrachtet – als ein junges Ideal, das sich nicht zuletzt einer Situation verdankt, in der Philosophen für ihre Forschungen – zumindest in manchen Ländern und Landschaften dieser Welt – nicht mehr mit dem Tode bedroht werden.1

Nur wenn Populärphilosophie und akademische Philosophie einsehen, dass das Dritte, das sie miteinander vermittelt, die Philosophie ist, können sie aus ihrem unproduktiven Zirkel herausfinden. Und nur wenn sie verstehen, dass »die Philosophie« zunächst keine Ansammlung von Weisheiten, Inhalten, Themen und Methoden ist, sondern eine Haltung, eine Praxis und ein aus dieser Haltung entstehendes radikales Problem ihrer Weitergabe, können sie einen Weg finden, der sie von Gegnern zu Partnern werden lässt. Diese Partnerschaft wird hier nicht als Eintracht oder absolute Harmonie vorgestellt. Sondern als eine Bereitschaft, die Philosophie als Frage zu akzeptieren, ohne dabei schon die Wissenschaft oder das Publikum als selbstverständlichen Horizont vorauszusetzen.

Wenn hier also von »der Philosophie« die Rede ist, ist damit keine irgendwie schon ausgeformte Disziplin gemeint. Was »die Philosophie« ist, ist ein philosophisches Problem. Weil er dieses Problem gesehen hat und nicht, weil er eine Lehrautorität darstellt, greife ich vor allem auf Platon zurück. Bei ihm gewinnt »die Philosophie« einen Ausdruck, der das Problem der Lehrbarkeit der Philosophie reflektiert und Lösungen vorschlägt.

Dass diese Lösungen selbst nicht verfangen haben, zeigt die Tatsache, dass es nach Platon eine umfassende philosophische Tradition gibt, die nach Ansicht manches Philosophen nur eine »Fußnote zu Platon« darstellt. Dass Platons Lösungsvorschläge dennoch für die gegenwärtige Philosophie relevant sein können, versucht dieser Essay anzudeuten. Zumindest der akademischen Philosophie und der Populärphilosophie könnten sie einen Anhaltspunkt bieten, inwiefern ihre jeweilige Selbstdarstellung gerade das verhindert, was sie zu tun beanspruchen: die Philosophie anderen Menschen zu vermitteln.

Ein Essay ist keine Abhandlung und beansprucht auch keine Vollständigkeit in der Darstellung. Er gibt einen Anstoß, oft aus einem bewusst perspektivischen Blickwinkel heraus. Dass man die Möglichkeit einer perspektivischen oder partikulären Darstellung heutzutage betonen muss, zeigt vielleicht, wie weit das Problem um sich greift, das akademisches und populäres Philosophieren erfasst hat. Zugleich ist der hier eingenommene Blickwinkel selbst ein Prüfstein für die Haltung, die er zumindest indirekt zu lehren beansprucht.

Die neuen Philosophen

Die Populärphilosophie ist auf dem Vormarsch. Während noch in den Instituten und Seminaren, die Augen fest vor der Realität verschlossen, die Bedeutung des Hegelschen Spätwerks diskutiert wird, schicken sich junge, gutaussehende, dynamische und meinungsstarke Ex-Akademiker an, der Philosophie ein neues Gesicht zu geben. Sie verlassen die Bibliothek und gehen auf die Straße, in die Zeitungen, ins Fernsehen, zu den Menschen, öffnen sich für die Welt.

Anstatt sich in staubigen Kolloquien jedes Wort im Mund herumdrehen zu lassen, stellen sie die Fragen, die wichtig sind, weil sie relevant sind und uns betreffen. Deswegen hören die Menschen ihnen zu und kaufen ihre Bücher. Die Populärphilosophen vermitteln das, was andere jahrelang studieren, auf verständliche Weise, scheiden das Interessante vom Überflüssigen und tragen so zur Zukunft der Philosophie bei, die sonst drohte, in den Abgründen des akademischen Vernünftelns zu verschwinden.

So oder so ähnlich sieht das Bild aus, das manche Populärphilosophen von der Populärphilosophie zeichnen. Sie wirbt mit Relevanz und Praxisbezug und grenzt sich ab vom akademischen Elfenbeinturm. Sie geht auf die Straße oder setzt sich in Talkshows. Sie erklärt philosophische Fragestellungen mit leichter Hand und ist nie um eine Antwort verlegen. Sie versteht sich als Philosophie, die deswegen populär ist, weil sie den Menschen zeigt, wozu sie zu gebrauchen ist.

Von diesem Kriterium aus versteht sie die Philosophie. Relevant ist, was der Gegenwart nützlich ist. Und deswegen ist das, was der Gegenwart nicht nützlich ist, irrelevant. Natürlich wird die Populärphilosophie immer wieder von akademischen Philosophen kritisiert. Weil das aber diejenigen sind, die sich in ihren Instituten und Seminaren verstecken und jahrelang über Problemen brüten, die außer ihnen keiner versteht, erscheint die Motivation dieser Kritik allzu durchsichtig: Die akademischen Philosophen sind neidisch.

Sie gönnen der Populärphilosophie den Erfolg nicht, nicht die Bestseller und nicht die Talkshows. Sie verteidigen eine vergangene Form des Philosophierens, eine elitäre und undemokratische oder sogar ideologische Form, die künstliche Barrieren aufstellt, um sich selbst den Anschein von Tiefsinn zu verleihen. Dabei müssten sie nur verständlicher formulieren, sich dem Publikum öffnen und es dort abholen, wo es steht. Dann würde sich der Erfolg auch bei ihnen einstellen.

Für die Populärphilosophie ist die Frage nach Verständlichkeit oder Unverständlichkeit eine Sache der Vermittlung. Mit dem Wesen von Philosophie selbst hat sie nichts zu tun. Dasselbe gilt für die Nützlichkeit der Philosophie. Wenn man nicht mehr deutlich machen kann, wozu ein philosophischer Gedanke heutzutage zu gebrauchen ist, dann kann man ihn auch weglassen. Die Erwartungshaltung des Publikums ist der Maßstab, sonst nichts. Und wenn das Publikum etwas unverständlich, nicht relevant oder zu kompliziert findet, dann ist es eben auch philosophisch nicht zu gebrauchen. Denn was soll man mit einer Philosophie, die keiner verstehen kann?

Wer heutzutage Philosophie treiben will, der muss akzeptieren, dass sie eine Teilnehmerin an einem Markt ist. Thomas Vašek, Chefredakteur der Zeitschrift Hohe Luft, schreibt dazu: »Wir brauchen keine geschützten Denkwerkstätten, sondern eine lebendige Philosophie, die mitten im Leben steht, statt sich von der Gesellschaft abzukoppeln. Dazu gehört auch, die ökonomischen Regeln zu akzeptieren, denen wir alle unterliegen.«2

Auch Wolfram Eilenberger, ehemaliger Chefredakteur des Philosophie Magazins, misst den »desolaten Zustand« der akademischen deutschen Philosophie am Publikumserfolg der Populärphilosophie: »Wie konnte es im Lande von Leibniz und Kant, Hegel und Schopenhauer, Nietzsche und Arendt nur dazu kommen? Vor allem in einer Zeit, da das öffentliche Interesse an philosophischer Reflexion geradezu explodiert und sich als Folge ein ganzes Gattungsbündel vermittelnder Formate erfolgreich am freien Markt etabliert.«3 Dieser Erfolg, an dem Eilenberger sich selbst einen nicht unmaßgeblichen Anteil bescheinigt, wird von ihm mit Absatzzahlen belegt: »Philosophische Monatsmagazine wie Hohe Luft oder das Philosophie Magazin, dessen Chefredakteur ich war, erreichen eine Auflage von 60.000 Exemplaren; Festivals wie die phil.cologne locken binnen einer Woche mehr als 10 .000 Menschen. Die Sachbuch-Bestsellerlisten zeigen sich seit Jahren populärphilosophisch dominiert.«

Andere Populärphilosophen wie Richard David Precht betonen den Lifestyle-Aspekt der Philosophie: »Ich würde sagen: es ist eine Tätigkeit, die einen erfüllt, einen beschwingt, einen weiter bringt, einem ein gutes Gefühl gibt. Das ist die Hauptfunktion von Philosophie und nicht, Probleme zu lösen.«4 Auch Ronja von Rönne, Moderatorin des ARTE-Formats Streetphilosophy, geht es darum, dass das Publikum sich gut fühlt: »Ich will niemanden langweilen. In Artikel knalle ich deshalb alle zwei Zeilen Pointen rein. […] Ich versuche Gesprächssituationen herzustellen, die auch für Zuschauer interessant sind, die mich nicht kennen.«5

Für Svenja Flaßpöhler, gegenwärtige Chefredakteurin des Philosophie Magazins, gibt die Philosophie vor allem Orientierung in schwierigen Zeiten: »Gerade in extrem komplexen Zeiten wie diesen suchen die Menschen nach Orientierung. Da die Religion diese Orientierung für viele nicht mehr zu geben vermag, ist die Philosophie gewissermaßen an deren Stelle getreten.«6 Bei alledem ist es allerdings wichtig, auf dem Boden zu bleiben. Flaßpöhler stellt deswegen klar, dass die Philosophie, anders als die Religionen, nicht nach einfachen Antworten sucht. »Das Hinterfragen ist das Urgeschäft der Philosophie. Ob sie gewollt wird oder nicht, sie ist wichtig. Nur durch Erschütterung können verhärtete Fronten zu bröckeln beginnen. Nur so kann Neues entstehen.«

Wie dieses Neue aussehen kann, zeigen die Konferenzen Beyond Knowledge und Beyond Good, die von einem Format ausgerichtet werden, das sich ebenfalls Street-Philosophy (mit Bindestrich) nennt.

Einer der Stargäste ist Richard David Precht. »Mit Beyond Knowledge möchten wir den Rahmen bieten querzudenken, weiterzudenken, anders zu denken, in die Tiefe und in die Breite zu denken, kritisch zu denken und gleichzeitig offen und wohlwollend zu sein.«7 Nina Schmid, eine der Macherinnen von Street-Philosophy, bietet in diesem Sinne auch einen Glück.Workshop an: »Wie erreicht man nachhaltig und auf lange Sicht ein hohes Niveau an Erfüllung und ganzheitlichen Erfolg?«8 Gemeinsam mit ihrer Mutter Julia Kalmund, der anderen Gründerin von Street-Philosophy, zeigt sie sich auf der Seite geldheldinnen.de überzeugt, »dass eine gesunde Einstellung zum Geld einen großen Einfluss auf die Lebensqualität hat«.9

Der kostenlose Auszug ist beendet.

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