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Thermodynamik

Thermodynamische Dissipation

Wenn wir uns nun mit offenen Systemen beschäftigen, die fern vom Gleichgewichtszustand sind und trotzdem geordnete Strukturen aufweisen, so führt uns das zur physikalischen Thermodynamik. Der russische Physiker und Nobelpreisträger Ilya Prigogine prägte dafür den Begriff der »dissipativen Strukturen«, die in paradoxer Weise Ordnung und Unordnung zu vereinen scheinen. Während in der klassischen Thermodynamik Dissipation als Verlust von Energie bei der Wärmeübertragung (Reibung etc.) stets mit Verschwendung verbunden war, beschreibt Prigogine die Dissipation in offenen Systemen dagegen als Quelle der Ordnung. Solche Strukturen erhalten nicht nur ihre Ordnung, obwohl sie sich in keinem Gleichgewichtszustand befinden, sie können sich auch weiterentwickeln. Durch die im System vorhandenen kybernetischen Rückkopplungsschleifen können ständig neue Instabilitäten durchlaufen werden, um sich dann in neuen Strukturen zunehmender Komplexität zu fangen.

Als dissipative Strukturen können sowohl lebende als auch nicht lebende Systeme bezeichnet werden. Ein schönes Beispiel für ein nicht lebendes System mit dissipativer Struktur ist ein Wasserstrudel, der in der Badewanne abfließt. Obwohl ständig Wasser durch den Strudel fließt, bleibt die Strudelform stabil. Lebende Systeme bewegen sich durch den Stoffwechselprozess ebenso fern vom Gleichgewicht und benötigen Luft, Wasser, Nahrung, um am Leben zu bleiben und ihre Ordnung aufrechtzuerhalten. Dissipative Strukturen können also ihre »Identität« (ihre Ordnung) nur dadurch sichern, dass sie ständig für die Einflüsse ihrer Umgebung offen bleiben. (Briggs/Peat 1989)

Der deutsche Physiker Hermann Haken kam in seinen Experimenten mit Lasern Anfang der 1960er-Jahre zu ganz ähnlichen Ergebnissen, die das Laserlicht als selbstorganisierendes System fern vom Gleichgewicht beschreiben. Hakens Theorie zeigt, dass dem Laser zwar Energie von außen zugeführt werden muss, um in einem Zustand fern vom Gleichgewicht zu bleiben, die Koordination der Emission wird vom Laserlicht aber selbstorganisatorisch vollzogen. Im Sinne Prigogines wird hiermit also eine dissipative Struktur beschrieben. (Capra 1996)

Lebende Systeme: nie völlig abgeschlossen

Der Zusammenhang zwischen Dissipation (Ordnung) und Entropie (Unordnung) in der Thermodynamik wurde zunächst nicht als evolutionäres Prinzip verstanden, sondern als Widerspruch. Die Bildung komplexer Systeme lässt sich aber durchaus mit den Prinzipien der Thermodynamik vereinbaren. Lebende Systeme können nie, wie es im zweiten Hauptsatz der Thermodynamik gefordert wird, völlig abgeschlossen sein. Sie sind immer auf metabolische Prozesse, also auf Stoffwechsel, angewiesen und deshalb teilweise offen.

So können wir beispielsweise Zellen als dissipative Nichtgleichgewichtssysteme verstehen, die unentwegt Nährstoffe umsetzen, um ihre innere Ordnung aufrechtzuerhalten. (Kauffman 1995) Ilya Prigogine hat in seinen Experimenten zum thermodynamischem Ungleichgewicht gezeigt, wie das Gesetz der Entropie zeitweise überwunden wird und eine höhere Ordnung spontan aus dem Chaos entsteht. (Johnson 2001)

Komplexität

Wir können davon ausgehen, dass die Evolution dahin tendiert, immer komplexere Systeme durch Selbstorganisation herauszubilden. Zugleich ist Komplexität jedoch nicht als Selbstzweck zu verstehen, denn Evolution bedeutet das Auffinden besserer Antworten – Antworten, die nicht unbedingt komplizierter sein müssen. (Kurzweil 2006) Dies gilt selbst im Makrobereich von Galaxien, Sternen und Planeten. Dort kann aufgrund der ständigen physikalisch-chemischen Veränderung der Biosphäre und aufgrund der ständigen Weiterentwicklung der Organismen ein wirkliches Gleichgewicht nie erreicht werden. Vielmehr kommt es zur Existenz von geordneten, dissipativen Nichtgleichgewichtssystemen. (Gell-Mann 1994) Insbesondere der deutsche Physiker und Nobelpreisträger Max Planck hat dabei gezeigt, dass Entropie gleichbedeutend mit der Irreversibilität physikalischer Prozesse ist.

Entropie

Der erste Hauptsatz der Thermodynamik besagt, dass Energie weder erzeugt noch vernichtet werden kann. Der zweite, dass eine selbstständige Übertragung von Wärme bzw. Energie nur von heißen zu kalten Körpern, niemals aber umgekehrt möglich ist. Dies heißt, dass Entropie erzeugt, aber niemals vernichtet werden kann. Die Entropie stellt demzufolge nicht nur den Ordnungszustand eines Systems dar, sondern auch ein Maß für die Irreversibilität eines Prozesses. Während irreversible Prozesse mit Entropieerzeugung verbunden sind, bleibt in reversiblen Prozessen die Entropie konstant. In isolierten Systemen kann die Entropie niemals abnehmen.

Das Gesetz der Entropievermehrung ist nicht allein auf thermische Prozesse beschränkt, sondern erstreckt sich laut Planck vielmehr auf alle physikalischen und chemischen Erscheinungen. (Hoffmann 2008) Weiter gedacht, sagt uns der Grundsatz der Entropievermehrung voraus, dass das Universum in vielleicht zehn Billionen Jahren den Wärmetod sterben wird (May et al. 2007), sofern das Universum als abgeschlossenes System zu begreifen ist. Zum anderen ergibt sich aus der Irreversibilität eine zeitliche Einbahnstraße, ja wird Zeit überhaupt erst als Determinante eingeführt. Damit widersprechen die thermodynamischen Prinzipien der klassischen newtonschen Mechanik, wonach es für die Gesetze der Materie keine Zeitrichtung gibt. (Eigen 1996; Briggs/Peat 1989)

Hyperzyklus

Solange dissipative Strukturen bestehen, produzieren sie Entropie, die aber nicht einfach im System akkumuliert wird, sondern im Energieaustausch mit der Umgebung steht. Dissipative Systeme weisen im Allgemeinen die – von Manfred Eigen und Ruthild Winkler beschriebene – Organisationsform des »Hyperzyklus« auf, also eines geschlossenen Kreises von Umwandlungsprozessen. Der innere Prozesskreis erneuert sich ständig selbst und wirkt katalysatorisch. Dissipative Strukturen, die sich jenseits herkömmlicher thermodynamischer Ordnung spontan bilden, sind so lange stabil, wie der Energieaustausch mit der Umgebung aufrechterhalten wird.

Doch grundsätzlich ist keine Struktur eines Ungleichgewichtssystems aus sich heraus fähig, stabil zu bleiben; Fluktuationen können es durch die Überschreitung von Schwellgrößen zu einer dynamischen, qualitativen Änderung treiben. Solch ein qualitativer Übergang erneuert die Fähigkeit der Entropieproduktion. »Leben bricht sich immer wieder Bahn«, schreibt Erich Jantsch. »Im Rahmen der Koevolution von Makro- und Mikrosystemen besteht nie Gleichgewicht, sondern Autopoiese in einem Ungleichgewicht, in dem zu jeder Zeit und an jeder Stelle Fluktuationen durchbrechen können. Komplexität nimmt nicht in jedem einzelnen Mikrosystem zu, sondern vor allem in der Art und Weise«, in der »eine vielschichtig stratifizierte Welt dynamischer Beziehungen evolviert.« (Jantsch 1992, 77, 327) Auf diese Weise hat sich auch in der Physik ein evolutionäres Verständnis von Selbstorganisation etabliert.

Der quantenphysikalische »Fall« der Objektivität

Die Quantenphysik – eine Revolution

Neben der Irreversibilität der Entropie erkannte Planck auch, dass die Emission von elektromagnetischen Strahlen stufenweise, in Form von Energiepaketen (»Quanten«), erfolgt. Auch dies galt als ein physikalischer Hinweis auf Selbstorganisation in der Natur. Die Quantensprünge zwischen den Stufen erfolgen nach dem sogenannten »planckschen Wirkungsquantum«. Plancks Erkenntnisse begründeten die Quantenphysik, mit der sich Forscher wie Albert Einstein, Max Born, Erwin Schrödinger oder Werner Heisenberg beschäftigten. Die Quantenphysik revolutionierte die klassische newtonsche Physik mit den Prinzipien der Kausalität und Determination.

Gleiche Ursache, andere Wirkung

Die Quantenphysik kennt keine Kontinuität. Naturvorgänge laufen nicht stetig ab, sie sind in der atomaren Welt nicht mehr eindeutig vorhersehbar. Anders als etwa beim Billardspiel, wo ein bestimmter Stoß die gleiche Bewegung auslöst, wird ein immer gleich beschossenes Atom stets unterschiedliche Reaktionen zeigen. Gleiche Ursachen haben in der Mikrophysik demnach nicht die gleichen Wirkungen, das Kausalitätsprinzip ist außer Kraft gesetzt.

Darüber hinaus haben Elemente der Mikrophysik, also etwa Atome oder Elektronen, keinen eindeutigen Charakter, sie sind zuweilen als Welle und zuweilen als Teilchen zu verstehen. Demnach lässt sich nicht von einem objektiven Zustand der Natur sprechen. Dies hat den Physiker, Philosophen und Nobelpreisträger Werner Heisenberg 1925 zu der Aussage geführt, dass wir mit unseren physikalischen Experimenten eigentlich nicht die Natur beschreiben, sondern lediglich unser Wissen von der Natur, mit anderen Worten: uns selbst. (Heisenberg 2006) Heisenbergs Behauptung, dass sich Beobachter und Beobachtetes nicht trennen lassen, nimmt der Naturwissenschaft die bislang unterstellte Objektivität und subjektiviert sie. In Abkehr von Immanuel Kants erkenntnistheoretischer Überzeugung, es gäbe ein objektives, unerkennbares »Ding an sich«, geht Heisenberg in der Konzeption der Quantenphysik nur noch von »Beobachtungssituationen« im »Schauspiel des Lebens« aus, bei denen wir zugleich »Zuschauer und Mitspielende« sind. (Heisenberg 2006, 61f.) Mit dem Ding an sich verschwindet so auch die objektive Wirklichkeit, ein Theorem, das in der Philosophie durch die Philosophen George Berkeley und David Hume im 18. Jahrhundert bereits vorgedacht wurde.

 

Relativistische Erkenntnistheorie

Unser modernes, quanten- und relativitätstheoretisches Weltbild entspricht einer relativistischen Erkenntnistheorie, wie sie etwa im philosophischen Empirismus vertreten wird. Der newtonsche Begriff vom absoluten Raum und von absoluter Zeit wird aufgegeben und zu sprachlichen Allgemeinbegriffen degradiert, die wir als Beobachter zur Beschreibung von Naturphänomenen benutzen. (Capra 2000) Schon im Mittelalter wuchs durch die »Universalienlehre« die Erkenntnis, dass wir mit unseren Allgemeinbegriffen nie wirkliche Dinge beschreiben, sondern nur Vereinfachungen davon. Die Begriffe (Nomen) sind so nur Namen, denen außerhalb ihrer sprachlichen Wirklichkeit nichts Reales entspricht. Der Begriff »Holztisch« beispielsweise bezeichnet eine Unmenge an Holztischen und ist für eine individuelle Beschreibung nie hinreichend. Dieser »Nominalismus« bereitete die relativistische Erkenntnistheorie vor, auf die wir noch in Kapitel 7 eingehen werden.

Vorerst soll der Aspekt der Relativierung nur physikalisch betrachtet werden. Die Messungen von Raum und Zeit werden auf den Bewegungszustand des Beobachters hin relativiert und Raum und Zeit werden mit der Verteilung von Materie verknüpft. Damit fällt aber auch die klassische Beschreibung einer objektiven Natur und philosophisch betrachtet die cartesianische Trennung von Subjekt und Objekt. In der Atomphysik macht es keinen Sinn mehr, über die Natur zu sprechen, ohne zugleich über uns selbst zu sprechen. (Capra 2000)

Determinismus und Zufall

Abschied von der deterministischen Kausalität

Mit der Aufgabe der klassischen Position in der Physik wird in der Quantenphysik auch die deterministische Kausalität verabschiedet. Was bleibt, ist lediglich die Möglichkeit, Ereigniswahrscheinlichkeiten zu berechnen. (Gell-Mann 1994) Viele Quantenphysiker halten jedoch selbst die probabilistische Zufallsbeschreibung für nicht mehr zulässig. Während die klassische Physik den Zufallsbegriff als prinzipiell immer noch theoretisch beschreibbar versteht, in dem Sinne, dass eben nur alle Zusammenhänge nach dem aktuellen Stand des Wissens nicht begriffen wurden, löst sich die Quantentheorie von diesem »hypothetischen Determinismus«, der Denker wie Arkesilaos, Spinoza, Hume, Laplace oder auch Einstein verband, und geht nun davon aus, dass selbst die Kenntnis aller Mikrogesetze die Gesamtentwicklung eines makroskopischen Systemkomplexes nicht voraussagen könne. Auch die kausale Rückführung von Einzelereignissen kann die Kontingenz vieler Kausalketten demnach nicht retten und die Emergenz neuer Strukturen nicht kontrollieren. (Mainzer 2007; vgl. »Kopenhagener Deutung« von Bohr und Heisenberg aus dem Jahr 1927)

Unschärferelation

Als Grund dafür wird etwa die Unschärferelation angeführt. Während es in der klassischen Physik möglich gewesen ist, gleichzeitig Ort und Impuls eines bestimmten Teilchens zu bestimmen, ist dies in der Quantenmechanik aufgrund der Unschärferelation nicht mehr möglich. Je genauer man den Ort eines Teilchens festlegt, umso unsicherer ist sein Impuls. Diese Situation kennzeichnet einen bestimmten Quantenzustand eines einzelnen Teilchens, einen Zustand der Bestimmtheit des Ortes. In einem anderen Quantenzustand ist zwar der Impuls des Teilchens genau bekannt, der Ort aber nicht zu bestimmen. (Gell-Mann 1994) Dies gilt als Beispiel für die prinzipielle Unmöglichkeit, Wahrscheinlichkeitsereignisse in der Quantenphysik zu behaupten.

»Zufall« wird neu definiert

Der Zufall ist demnach nicht mehr im laplaceschen Sinne praktisch zufällig, aber durchaus theoretisch bestimmbar, würden wir nur alle Variablen kennen. Vielmehr ist der Zufall ein solcher, der sich nie berechnen lässt, weil sich in der Unschärferelation die Bestimmung von Ort und Impuls schon prinzipiell ausschließen. Ein anderer Einwand betrifft die Komplexität vorhandener Strukturen und schließt auf die praktische Unmöglichkeit der Beschreibung multipler Ereignisfolgen, die als Konsequenzen schon weniger, einfacher Anfangsbedingungen entstehen können.

Beendet deshalb die Unschärferelation den laplaceschen Traum eines vollständig vorhersagbaren, determinierten Modells des Universums? Beide Argumentationen übersehen, dass dies eine theoretische Beschreibbarkeit bei genügender Kenntnis wirklich aller möglichen Variabeln nicht ausschließt. So zeigt sich auch beim quantenphysikalischen Doppelspaltversuch mit emittierten Photonen, dass zwar das singuläre Auftreffen von Photonen als zufällig beschrieben wird, im Mittel aber durchaus Auftreffwahrscheinlichkeiten, im Sinne eines prinzipiellen Determinismus, angegeben werden können. Ein solcher Determinismus auch für singuläre Ereignisse mag zwar im Moment philosophisches Gedankenspiel bleiben, wir können diese Möglichkeit jedoch nicht prinzipiell ausschließen, und es gibt auch quantenphysikalische Interpretationen, die diese Position vertreten. (Dürr 2009; Hawking 2009; vgl. De-Broglie-Bohm-Theorie) Die rein theoretische Möglichkeit der Determination, die für die Annahme von Selbstorganisation prinzipiell notwendig ist, bleibt damit auch im atomaren Mikrokosmos erhalten.

Selbstorganisation als Ordnungsprinzip im Universum

Die Dimensionen des Universums

Die Dimensionen des Universums sind für unseren Verstand kaum zu erfassen. Eine Galaxie wie unsere Milchstraße enthält mehr als hundert Milliarden Sterne, wie wir heute mit modernen Teleskopen feststellen können. Und dabei ist die Milchstraße selbst nur wieder eine von mehr als hundert Milliarden Galaxien. Wie sich anhand der Rotverschiebung des Wellenspektrums zeigt, bewegen sich nahezu alle Galaxien von uns fort, und die Abstände zwischen den Galaxien nehmen zu.

Urknall

Wenn wir davon ausgehen, dass das Universum mit unendlicher Dichte und Krümmung der Raumzeit zum Zeitpunkt des Urknalls sich von einem einzigen Raumpunkt ausgedehnt hat, so stellt sich die Frage, was vorher war. Die Ereignisse, die vor dem Urknall stattgefunden haben, müssen wir zwar für ein physikalisches Modell heute noch ausklammern. Denn beim Urknall, ähnlich wie auch bei schwarzen Löchern, scheinen die Gesetze von Raum und Zeit durch den Zustand unendlicher Dichte außer Kraft gesetzt. (Hawking 2009) Systemtheoretisch lassen sich jedoch die Bedingungen nach der Emergenz mit denen davor durchaus vereinen.

So können wir uns fragen, ob das evolutionäre Prinzip der Selbstorganisation als makrokosmisches Ordnungsprinzip zu verstehen ist, das einem zufällig entstandenen, kontingenten Universum widerspricht. Selbstorganisation widerspräche in diesem Sinne nicht nur der Zufälligkeit darwinistischer Mutationen, sondern würde auch die Entstehungsbedingungen des Zufalls bestimmen. Der sogenannte Zufall ließe sich so als Ergebnis selbstorganisatorischer Strukturen verstehen, die nicht nur bereits vor jeder Mutation vorhanden wären, sondern in den Anfangsbedingungen des Universums selbst liegen.

Dem österreichischen Astrophysiker Erich Jantsch, Mitbegründer des Club of Rome, waren die Ergebnisse der Quantenphysik in den 1980er-Jahren und ihr prinzipielles Verständnis vom Zufall wohlbekannt, und dennoch ließ er die Denkmöglichkeit kosmologischer Selbstorganisation zu: »Vielleicht hat die kosmische Evolution ein solches Generalthema mit der Evolution des Lebens gemeinsam« und ist als »komplexes, aber ganzheitliches dynamisches Phänomen einer universalen Entfaltung von Ordnung zu sehen«. (Jantsch 1992, 144, 411)

Selbstorganisatorische Systeme: permanente Selbsterneuerung

Wie Jantsch weiter ausführt, sind selbstorganisatorische (autopoietische) Systeme in ihrer Funktion darauf ausgerichtet, sich ständig selbst zu erneuern, analog einer biologischen Zelle, die sich im Wechsel von anabolischen (aufbauenden) und katabolischen (abbauenden) Reaktionsketten erneuert und nicht über längere Zeit aus den gleichen Molekülen besteht. Die Selbstbezogenheit autopoietischer Systeme wird auch als Selbstreferenz bezeichnet, während sich ein allopoietisches System, wie zum Beispiel ein Computer, auf eine von außen vorgegebene Funktion bezieht.

Dabei verwirklicht ein autopoietisches System die ihm eigene Struktur und Funktion umso ausgeprägter, je höher sein Freiheitsgrad ist. Mit anderen Worten, je mehr Freiheit in der Selbstorganisation, desto mehr Ordnung entsteht, ein Paradigma, an dessen Folgerungen so mancher Manager verzweifelt, wie wir im Kapitel über systemisches Management noch sehen werden.

Kommunikation und Interaktion statt Kontrollhierarchie

Autopoiese darf trotz des Ordnungsgedankens nicht mit Kontrollhierarchie verwechselt werden, in der Informationen nach oben und Befehle nach unten gegeben werden. Vielmehr interagiert und kommuniziert jede autopoietische Ebene mit der Umwelt. Schon auf Ebene der Zellen finden Interaktionen nicht nur mit Nachbarzellen, sondern mit der gesamten Biosphäre bis hin zum Sonnensystem statt. Jede Ebene hat ihre eigene selbstorganisatorische und autonome Dynamik.

Metastabilität

Wie aber sind Selbstorganisation und Evolution, also Stabilität und Wandel, in ihrem Miteinander zu begreifen? Selbstorganisation ist trotz Ungleichgewicht und Instabilität vorhanden, und zwar aufgrund der Evolution. Jantsch spricht hier von Metastabilität bzw. verzögerter Evolution: »Damit wird das Umklappen in eine neue Struktur während einer begrenzten, aber für die Entfaltung von Lebensprozessen ausreichenden Zeitspanne hintangehalten. Mit ihr strukturiert ein dissipatives System selbst das Raum-Zeit-Kontinuum für die Entfaltung seiner Eigendynamik. Kein komplexes System ist jemals stabil; es ist, solange es sich eine Struktur bewahrt, immer metastabil.« (Jantsch 1992, 347f.)

Dass so viele Beispiele für Selbstorganisation in Physik und Chemie zu finden sind, liegt auch an den spezifischen physikalischen Bedingungen auf unserer Erde, also an Temperatur, Zeitmaß von Tag und Nacht etc. Das heißt aber nicht, dass Selbstorganisation nur als Maßstab für Makro- und Mesostrukturen gelten könnte: »Es gibt nichts, was die Entwicklung von Ordnungsphänomenen in kleinen Maßstäben verhindern würde, aber weil sie noch nicht exakt sind, ist es nicht allgemein möglich, deren Existenz zu beweisen.« (Laughlin 2009, 249)

Selbstorganisation: zentrale Gesetzmäßigkeit oder dezentrales Ordnungsmuster?

So tendiert die physikalische Forschung immer mehr dazu, die Selbstorganisation als prägendes naturwissenschaftliches Prinzip zu verstehen, wobei allerdings strittig ist, ob das Prinzip der Selbstorganisation nun als zentrale Gesetzmäßigkeit oder dezentrales (emergentes) Ordnungsmuster verstanden werden muss. Der amerikanische Physiker und Nobelpreisträger Robert B. Laughlin (2009) etwa favorisiert die zweite Sichtweise. Entsprechend habe sich die Naturwissenschaft vom Zeitalter des Reduktionismus bis zum Zeitalter der Emergenz verändert; Laughlin spricht von einer »Veränderung der Weltsicht, in deren Verlauf das Ziel, die Natur durch Zerlegung in immer kleinere Teile zu verstehen, durch das Ziel ersetzt wird, dass man versteht, wie die Natur sich selbst organisiert« (Laughlin 2009, 122).

Emergenz darf hier durchaus in dem chaostheoretischen Sinne von Unvorhersagbarkeit verstanden werden, wobei kleine Ereignisse große und qualitative Veränderungen bei größeren Vorgängen verursachen können. Emergenz steht in diesem Kontext also für die Unmöglichkeit von Kontrolle. Laughlin plädiert damit zwar gegen einen einseitigen Reduktionismus, hält aber am Prinzip einer universellen Selbstorganisation fest.

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