Andreas Herzog - Mit Herz und Schmäh

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Andreas Herzog - Mit Herz und Schmäh
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Impressum

1. Auflage

© egoth Verlag GmbH

2021

Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Rechteinhabers.

ISBN: 978-3-903376-04-5

ISBN E-Book: 978-3-903376-05-2

Redaktion: Karin Helle, Wolfgang Ilkerl, Claus-Peter Niem

Lektorat: Dr. Rosemarie Konrad

Coverbild: Stefan Fürtbauer / picturedesk.com

Bilder: Privatarchiv Andreas Herzog, GEPA pictures, APA picturedesk,

Kronen Zeitung/G. Gradwohl, F. Schaller, Imago, Foto Sündhofer,

Foto Votava, pmk, der Plankenauer, Daniel Krug

Trotz intensiver Recherche konnten nicht alle Rechteinhaber ausfindig gemacht werden – bei berechtigten Ansprüchen bitte wir um Kontaktaufnahme für eine angemessene Vergütung.

Umschlag und Grafische Gestaltung: DI (FH) Ing. Clemens Toscani

Printed in the EU

Gesamtherstellung:

egoth Verlag GmbH

Untere Weißgerberstr. 63/12

1030 Wien

Österreich

ANDREAS HERZOG

MIT HERZ UND SCHMÄH

Karin Helle, Wolfgang Ilkerl, Claus-Peter Niem


Meinen Eltern, meiner Frau Kathi und meinen Söhnen

Luca und Louis:

Sie haben mich zu jenem Menschen gemacht,

der ich heute bin.

Meinen Trainern, Mitspielern, Gegnern,

besonders meinen Unterstützern und Fans:

Ohne sie wäre ich einsam in meiner Welt des Fußballs.

Gewidmet also allen, die aus dem „Schluchtenscheißer“

einen „Alpen-Maradona“ haben werden lassen.

Andi Herzog

INHALT

PROLOG VON OTTO REHHAGEL

VORWORT

BIOGRAPHIE IN 30 KAPITELN

EIN LEBEN IN ZAHLEN

TRAINERLEBEN

NACHLESE

GELEITWORT VON HANS KRANKL

BILDSTRECKE

GELEITWORT VON TONI POLSTER

ANDI HERZOG: „A WAHNSINN“

ZWISCHEN RUHM UND REMPLER: 103 ANEKDOTEN

EPILOG VON ALEX KRISTAN

GLOSSAR ÖSTERREICHISCH – DEUTSCH

DIE AUTOREN

PROLOG VON OTTO REHHAGEL

Lieber Andreas,

es war eine große Freude für mich, als Sie sich vor einigen Wochen unverhofft bei mir meldeten. Normalerweise telefonieren wir aus den üblichen Anlässen: Geburtstage, Festlichkeiten im Jahresverlauf, Werder Bremen früher und heute – doch als Sie mich darum baten, ein Vorwort für Ihre Biografie zu schreiben, war ich sofort Feuer und Flamme.

Vielleicht liegt es daran, dass ich Ihre Stimme gerne höre – wir hier im Ruhrpott sprechen klar, direkt und aus dem Herzen heraus, Ihr Wiener Dialekt dagegen klingt spielerisch und leicht – so wie ich Sie als Ausnahmeathlet auch auf dem Platz habe kennen und schätzen lernen dürfen. Oder an der Tatsache, dass ich mit Österreich immer schon angenehme Gedanken verband: Geboren 1938 in Essen wuchs ich als kleiner Junge in Ruinen im Essener Norden auf. Als der Zweite Weltkrieg das Ruhrgebiet 1943 besonders hart traf, wurden meine Mutter, meine Schwester und ich kurzerhand in die Tschechei nach Brünn evakuiert. Auch diese Zeit war geprägt von Entbehrungen, doch an einen ganz speziellen Tag kann ich mich heute noch gut und mit Frohsinn erinnern: ein Ausflug nach Wien. Mit dem Zug fuhren wir in die nur rund zwei Stunden entfernte Donaumetropole. Das war meine erste Berührung mit Österreich. Ich habe noch heute die altehrwürdige Stadt vor Augen, und vor allem den Prater und das Riesenrad – was für eine Sensation für einen kleinen Jungen wie mich damals in Zeiten schlimmster Kriegswirren, einfach ein ganz besonderes Erlebnis. Fortan bestand für mich ein unsichtbares Band der Freundschaft zur Alpenrepublik.

In den kommenden Jahrzehnten war es natürlich der Fußball, der mich immer wieder ins Land der Berge zog oder besser mit diesem berührte. Bei den Offenbacher Kickers Mitte der 1970er-Jahre waren es die österreichischen Spieler Johann „Hans“ Schmidradner und Josef „Pepi“ Hickersberger, die ich als damals noch junger Coach trainieren durfte, bei Werder Bremen der leider viel zu früh verstorbene Bruno Pezzey und später natürlich Sie, Andreas – alles feine Spieler wie auch Menschen, gut zu führen und mit dem Herz am rechten Fleck.

Mein damaliger Spieler Pepi Hickersberger war es schlussendlich auch, der mich in seiner Funktion als Nationaltrainer Österreichs Ende der 1980er auf ein ganz und gar außergewöhnliches Talent hinwies, das in Wien und darüber hinaus schon für Schlagzeilen gesorgt hatte: Andreas Herzog. Fortan behielt ich Ihren Namen im Kopf und Sie im Auge – beispielsweise bei der WM 1990 in Italien –, um mir im April 1992 bei einem Länderspiel im Praterstadion ein eigenes Bild zu machen. Mächtig aggressiv und fast wie ein Abräumer der Abwehr zeigten Sie sich, Andreas, in diesem Match, weil Sie wussten, dass ich im Stadion war – und weil Sie meinten, dass die deutsche Bundesliga eine solche Spielweise von Ihnen erwarten würde. Natürlich waren mir Athletik und Durchsetzungskraft wichtig, viel mehr jedoch Ihre herausragenden Qualitäten als Spielmacher, verbunden mit Ihrer Lockerheit, Leichtigkeit und Ihrem Humor – eine echte Wiener Seele mit Herz und Schmäh.

Andreas, Sie waren von Anfang an genau der Spieler, der mir in meinem Bremer „Puzzle“ noch fehlte. Ein Spielmacher und zugleich auch ein Vollstrecker, ein hochkreativer Linksfuß – und überhaupt ein begeisterter und begeisternder Fußballer. Manchmal erinnerten Sie mich in Ihrer Spielweise und in Ihrem offensiven Denken an Franz Hasil, gegen den ich selbst noch kicken durfte. Hasil, ein begnadeter Techniker, ebenfalls Wiener und Rapidler durch und durch, später ein Jahr lang auf Schalke und danach einer der ganz Großen unter Ernst Happel bei Feyenoord Rotterdam, gehörte für mich zu den besten österreichischen Nationalspielern überhaupt – wenn er denn laut Max Merkel wollte. Denn wie sagte der von mir geschätzte spätere Trainerkollege, ebenfalls Wiener und Grün-Weißer: „Wenn er will, kann er. Doch wann will er …?“

Sie wollten immer. Überhaupt war es Ihre Leichtigkeit, die mir von Anfang an besonders imponierte. Sie konnten auf andere Spieler zugehen, hatten Witz, Charme und Humor und sorgten für eine gute, ausgelassene Stimmung bei allen Mitspielern. An Ihnen war einfach nichts Böses, vielmehr waren Sie das Herz der Mannschaft, ein fröhlicher Mensch, nie missmutig. Ich erinnere mich noch gut, als Sie nach dem Gewinn der ersten Meisterschaft 1993 mit Werder Bremen gemeinsam mit Stürmer Manfred Bockenfeld Wiener Walzer getanzt haben – mitten auf dem Platz des Stuttgarter Neckarstadions. Bilder, die man nicht vergisst. Doch selbst wenn Sie kein begnadeter Tänzer waren – ein Zauberer waren Sie allemal. Manchmal eine Spur zu leichtsinnig, doch das machte Sie andererseits auch wieder aus – eben ein Schuss Genialität.


Herzog über Rehhagel: „Er ist wie ein zweiter Vater für mich!“

Apropos Zauberer: Neben dem Fußball sind es die alten deutschen Dichter und Denker, die mich mein Leben lang begleiten haben und die ich heute noch gerne zitiere – allen voran Goethe und Schiller. Es ist ein Genuss für mich, diese zu studieren und zu rezitieren. Die Ballade vom „Zauberlehrling“ hat mich seit jeher begeistert – und hier insbesondere die Hauptfigur selbst, die vom Meister allein gelassen wird und sich ausprobieren möchte. Das Bestreben, gegen die Autorität aufzubegehren, selbstständig zu handeln, und die Tatsache, wie schnell Übermut und Überheblichkeit zum Chaos führen können – und der Meister am Ende rettend eingreifen muss.

Mag sein, dass Sie, Andreas, in Ihren ganz jungen Jahren auch ein Zauberlehrling waren – wie ein jeder von uns, der auf der Suche nach der eigenen Profession ist, sich ausprobiert, aus Fehlern lernt und zunächst auch Unterstützer an seiner Seite braucht, um sich zu entwickeln. Ihnen stand Ihr Vater zur Seite. Und später ich. Doch in unserer gemeinsamen Zeit bei Werder Bremen entwickelten Sie sich wie von selbst zum Zaubermeister – selten brauchten Sie Anweisungen, immer dagegen Freiraum.

Es ist eine große Freude, seine Bestimmung schon in ganz jungen Jahren zu entdecken, dieser von klein auf zu folgen und zu wissen, wofür man steht und was für eine Aufgabe man im Leben hat. Und es ist schön für mich zu sehen, wenn Menschen ihr Talent voll ausschöpfen, mit ganzem Herzen und ganzer Begabung leben.

 

„Vor dir Unendlichkeit …“, drückt es Schiller in seinem Gedicht „Die Größe der Welt“ aus. Ich habe es für mich immer so interpretiert: Wir sind nur einen kleinen Moment auf dieser Welt. Da gilt es, das Beste aus sich und seinen Fähigkeiten herauszuholen. Denn am Ende wird dir genau diese Frage gestellt: Wie hast du deine Aufgaben des Lebens gemeistert, was aus dir und deinen Talenten gemacht?

Ich habe immer versucht, mit dem ganzen Herzen dabei zu sein: Unter schwierigsten Bedingungen in der Kriegs- und Nachkriegszeit, als junger Fußballer, späterer Trainer, Familienvater und Mensch. Mir ging es immer darum, das Beste aus jeder Situation zu machen und die Dinge geduldig so hinzunehmen, wie sie sind. Auch der Fußball ist ein Geduldspiel – doch niemand hat heute mehr Geduld. Das darf ich im stolzen Alter von mittlerweile 83 Jahren getrost behaupten.

Auch bei mir war es – wie in Ihrem Leben – immer der Fußball. Um so mehr freut es mich, dass ich Sie als meinen ehemaligen Spieler auf Ihrem Lebensweg begleiten und prägen durfte und bis heute inspiriere – durch meine Werte, Prinzipien und mein Tun.

Am Ende ist es immer auch ein Austausch auf Augenhöhe, denn auch ich lerne von meinem Gegenüber. Daher sei zu guter Letzt noch Folgendes erwähnt: Das Erscheinen Ihrer Biografie inspirierte mich, mir über den Titel meines ganz eigenen „Buch des Lebens“ Gedanken zu machen. „Aus Ruinen zum Olymp“ würde ich es wohl nennen – doch das ist eine ganz andere Geschichte.

Den werten Leserinnen und Lesern wünsche ich nun ganz viel Freude mit Ihrer Biografie „mit Herz und Schmäh“.

Ihr Freund und Mentor

Otto Rehhagel

Essen, Herbst 2021

PS: Habe in meinen persönlichen Zeilen ganz vergessen zu erwähnen, wie sehr es mich freut, dass auch ich Sie inspirieren konnte, den Weg des Trainers zu gehen. Denken Sie immer daran: Erfahrung ist ein hohes Gut. Sie haben alles in sich. Von der Pike auf gelernt …

VORWORT
DER MENSCH WIRD ERST AM DU ZUM ICH – ODER EINS VORWEG …

In einer Zeit, in der sich Egoismus, Starallüren, Selbstbezogenheit und Entfremdung immer mehr ausbreiten, Mitmenschlichkeit und Empathie dagegen anscheinend immer unwichtiger werden oder sogar verloren zu gehen scheinen, ist es wohltuend, sich mit der Biografie von Andreas Herzog befassen zu dürfen, da er sich einfach so gibt, wie er ist – authentisch, ehrlich und echt. Wie brachte es der österreichische Kabarettist und Freund Andreas Herzogs, Alex Kristan, so treffend auf den Punkt: „Wenn Herzerl erzählt, trägt er sein Herz auf der Zunge.“ Genau das berührte auch uns von Anfang an – und so ist es immer eine große Freude, wenn wir uns treffen, austauschen und voneinander lernen dürfen.

Andi Herzog ist in der Tat mit einem feinen Humor gesegnet, er kann darüber hinaus auch über sich selbst lachen, und er ist vor allem eines: ein Meister seines Fachs. All das durfte er sich in endlosen Trainingseinheiten aneignen, in unzähligen Begegnungen mit europäischen Topteams sowie in 103 Spielen für die österreichische Nationalmannschaft. Experten sprechen hier von der seltenen Gabe des intuitiven Erfahrungswissens. Mindestens genauso entscheidend ist jedoch seine Fähigkeit, andere als Mensch und Trainer berühren zu können – mit Herz und Schmäh. Und so hören auch wir ihm seit unserer ersten Begegnung gerne zu.

Es heißt, dass man die wirklich wichtigen Ereignisse im Leben nicht planen kann. So trafen wir auch auf den Rekordnationalspieler. Wie es zu dieser ganz persönlichen Zusammenkunft kam, möchten wir hier in den ersten Zeilen erzählen. Um uns anschließend nur noch dem Protagonisten dieses Buches zu widmen: dem Spieler, Trainer und Menschen Andreas Herzog.

Wir begegneten ihm erstmals im August 2013 auf einem Flug von Wien nach Sarajevo. Damals waren er wie wir in Sachen „US-Nationalmannschaft“ unterwegs – Herzog gehörte zum Trainerteam von Jürgen Klinsmann, und wir waren mit dem Weltstar und dessen Familie verabredet. Klinsi war immer schon ein wenig seiner Zeit voraus. Und da ihm viele junge amerikanische Nationalspieler seiner Meinung nach in Europa „totally lost“ schienen, wünschte er sich, dass wir uns zukünftig um diese Spezies kümmern sollten. Denn fußballerisch entwickeln konnten sich die jungen US-Boys in Europa wesentlich besser als in den USA, so seine Meinung. Für uns logisch und nachvollziehbar wurde in Europa nun einmal weltweit ein besonders gepflegter Fußball gespielt – mit den Besten der Besten in den Topligen Englands, Spaniens oder Deutschlands. Da lag es auf der Hand, dass auch junge Amerikaner an der Herausforderung wachsen würden, wenn denn für das entsprechende Umfeld gesorgt wäre. Und hier sollten wir ins Spiel kommen – uns eben um die Persönlichkeit der Kicker kümmern, genauer gesagt um das Selbst- und Umfeldmanagement, „Mindset and Soul“.

Typisch Jürgen Klinsmann, ging es ihm doch immer um Wachstum und Entwicklung auf der menschlichen Ebene und nicht um Statusdenken oder Komfortzone. In anderen Worten: dynamisches statt statisches Selbstbild. So stießen wir in Bosnien zwecks erster Annäherung zum Trainerteam. „Klinsmanns Eleven“ – wie er selbst sein Team von Spezialisten gerne bezeichnete. Doch das ist eine andere Geschichte.

Da wir in den Bosnien-Tagen in erster Linie mit Klinsmann und Familie unterwegs waren, ehemalige Spielstätten der Olympischen Spiele von 1980 besichtigten (wenn sie denn nicht in den Kriegswirren zerstört worden waren) und auch den Ort aufsuchten, an dem der österreichisch-ungarische Erzherzog Franz-Ferdinand und seine Frau Sophie von einem serbischen Nationalisten umgebracht worden waren, durften wir Andi Herzog in diesen Tagen nur am Rande wahrnehmen.

Zum einen war Herzog täglich mit dem mannschaftlichen Training sowie mit der Spielvorbereitung der US-Jungs gegen Bosnien beschäftigt, zum anderen wollten wir nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, sprich: aufdringlich sein. Und so saßen wir im hoteleigenen Kaffeehaus meist eher an einem Nebentisch und erfreuten uns aus der Ferne an der Stimmung, die Herzog anscheinend am liebsten bei Kaffee und Kuchen und untermalt von einem Feuerwerk an Anekdoten zu verbreiten schien.

„Ein typischer Wiener“, meinte Karin Helle. „Da rennt der Schmäh.“

Richtig kennen und schätzen lernen durften wir Andreas Herzog rund ein Jahr später. Sozusagen ein echter „One Touch“ im November 2014, irgendwo an einem Freitagabend im Regen von London. Zuvor hatte die US-Nationalmannschaft 1:2 gegen Kolumbien verloren. Das Testländerspiel fand vor rund 25.000 Zuschauern und warum auch immer in London statt, genauer gesagt direkt an der Themse im altehrwürdigen Craven Cottage, der eigentlichen Heimstätte des FC Fulham. Doch wer meinte, dass es atmosphärisch möglicherweise leiser als in Kolumbien zugegangen wäre, hatte sich getäuscht. Gefühlt halb Kolumbien bevölkerte die Tribünen – und ein ohrenbetäubendes Geschrei Tausender, vornehmlich weiblicher Fußballfans wurde bei jedwedem Angriff der Los Cafeteros ausgelöst. Das wiederum hing damit zusammen, dass London eine der größten „Colombian Communities“ außerhalb Kolumbiens stellte, erklärte uns Jürgen Klinsmann später. Aber auch das ist eine andere Geschichte.

Wie auch immer und wie nach jeder Niederlage – das ist anscheinend in allen Klubs weltweit so oder ähnlich – herrschte die übliche Untergangsstimmung bis hin zum möglichen Endzeitszenario. Doch während sich Klinsmann über solche Situationen selten Gedanken machte – ihm ging es vielmehr um Entwicklung als um das Ergebnis –, sorgte ein anderer für gute Laune und herzliche Atmosphäre: Andreas Herzog – und das nach beschriebener Niederlage und spät in der Nacht.

Zuvor hatten wir uns nach Spielabpfiff durch die kolumbianischen Menschenmassen in die Tube der Londoner U-Bahn gedrängt – wenngleich sie im Stadtteil Hammersmith über der Erde fährt – und es endlich bis ins Hotel geschafft. Seit unserem Abflug in Dortmund am Freitagmittag hatten wir nichts gegessen. Irgendwie war uns auf dem ganzen Weg hin zum Stadion oder von dort weg kein einziger Foodtruck, keine Imbissbude, kein Würstelstand begegnet – und selbst im Stadion gab es, warum auch immer, nichts dergleichen. Was waren wir doch in Dortmund mit Stadion, Bier- und Essensverköstigung verwöhnt, dachten wir uns, als wir endlich nach Mitternacht und mit Hunger bis unter beide Arme die Klinsmannsche Lounge in Form des dem Hotel angeschlossenen Pubs erreichten – inklusive Erdnüsse, Cracker, Berti Vogts und Andi Herzog.

Letztgenannter fiel einfach aus dem Rahmen: Zunächst durch eine exzellente Analyse des Spiels, also Fachverstand pur, gefolgt von Stimmung, Herz und Schmäh. Zudem war er an allem interessiert, was über den normalen Fußballsachverstand hinausging: Weltliche Themen genauso wie Feinstoffliches und Spirituelles – das begeisterte uns besonders. Er hatte einfach erstaunlich viel zu erzählen, und vor allem nicht nur von sich selbst, sondern auch von vielen anderen Menschen, von denen er lernen durfte. Und so diskutierten wir leidenschaftlich über Inspiration, Motivation, Astrologie und Philosophie bis 4 Uhr morgens.

„Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“, heißt es so treffend in einem Spruch, und so waren wir von Anfang an begeistert, wie offen und interessiert Andi Herzog uns begegnete. Eigentlich logisch, denn wir kannten Jürgen Klinsmann schon länger, verbunden mit der Tatsache, dass er am liebsten Menschen mit einer gesunden Portion Neugierde um sich scharte, Menschen mit dem berühmten Blick über den Tellerrand, Selbstentwickler, Querdenker und Macher – im Management wie auch in der Fußballwelt rar gesät.

Man sprach anscheinend die gleiche Sprache – und war offen für Neues. Zumal uns noch eine weitere Tatsache unsichtbar verband: Jedenfalls schien es einer dieser seltsamen Zufälle zu sein, dass Karin Helle, geboren in Mödling, ihre Kindheit in Kaltenleutgeben verbringen durfte, samt Großmutter und Ziegen, die sie bei der „Wiener Hütte“ hütete – also nur einen Fußmarsch durch den Wienerwald entfernt von Andi Herzogs heutigem Wohnort. Da schloss sich der Kreis.

„Der Mensch wird erst am Du zum Ich“, heißt es in einem berühmten Zitat des in Wien geborenen jüdischen Philosophen, Religionswissenschaftlers und Erziehers Martin Buber. In anderen Worten: Nur durch die Interaktion mit anderen, durch Begegnungen, Gespräche und Miteinander entwickelt sich die eigene Persönlichkeit.

Genau das hört man immer wieder heraus, wenn man mit Andreas Herzog ins Gespräch kommt. Er erzählt nicht nur von sich, sondern würdigt vor allem die Menschen, durch die er werden konnte, was er heute ist – Wegbegleiter wie Mutter und Vater, seine eigene Familie, Freunde, Ernst Happel, ein Otto Rehhagel, ein Jürgen Klinsmann und viele andere mehr.

Daher möge sich die geneigte Leserschaft an anderer Stelle nicht wundern, wenn wir auch Herzogs Förderern und Forderern hier und da etwas mehr Platz einräumen – und sie in ihrem Tun und ihrer Einzigartigkeit darstellen. Auch das gehört unserer Meinung nach zu einer wahrhaftigen Lebensgeschichte. Denn wie eben erwähnt: Die wirklich Großen erkennen ihr Ich immer am Du. Sie lernen von anderen und wachsen dennoch aus sich selbst heraus. Sie leben die Vielfalt und wissen um ihre Unterstützer und was sie ihnen zu verdanken haben.

In diesem Sinne: Viel Freude mit dem Buch, das Sie in den Händen halten, und hinein in die Biografie von Andi Herzog – authentisch, ehrlich, echt.

Karin Helle und Claus-Peter Niem

Dortmund und Wien, 2021