Lieber Barack: Die außergewöhnliche Partnerschaft zwischen Angela Merkel und Barack Obama

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Lieber Barack: Die außergewöhnliche Partnerschaft zwischen Angela Merkel und Barack Obama
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Inhalt

Impressum 2

Anmerkungen der Autorin 3

Einführung 10

Kapitel 1: „Unsere Lebenswege“ 20

Kapitel 2: „Ich übernehme die Verantwortung“ 40

Kapitel 3: „Wilde Spekulationen“ 56

Kapitel 4: „Eine Änderung der Sichtweise“ 70

Kapitel 5: „Wir haben keine Zeit zu verlieren!“ 82

Kapitel 6: „Lieber Barack“ 97

Kapitel 7: „Wir müssen Geschichte schreiben“ 123

Kapitel 8: „Das Überwachen von Freunden – das ist unakzeptabel“ 139

Kapitel 9: „Wir müssen Schwierigkeiten überwinden“ 151

Kapitel 10: „Freie Völker stehen zusammen“ 168

Kapitel 11: „Grüß Gott“ 184

Kapitel 12: „Auf der richtigen Seite der Geschichte“ 199

Kapitel 13: „Demokratie lebt vom Wechsel“ 221

Fazit: „Wir können uns nicht hinter einer Wand verstecken“ 240

Nachwort: „Ich möchte kooperieren“ 253

Danksagung 276

Quellen 280

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2021 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99107-828-9

ISBN e-book: 978-3-99107-829-6

Lektorat: Katja Wetzel

Übersetzerin: Désirée Karge

Umschlagfoto: siehe letzte Seite

Umschlaggestaltung: Vincienzo Cabrera

Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Anmerkungen der Autorin

Ich stamme aus einer Familie politischer Aktivisten, die sich schon immer für das Weltgeschehen interessierte: Meine Urgroßmutter marschierte mit den Suffragetten, mein Großvater war Gewerkschaftsvertreter in einer Werkzeug- und Farbenfabrik und meine Mutter war eine talentierte Linguistin, die auf drei unterschiedlichen Kontinenten Französisch unterrichtete und dem Aufruf von John F. Kennedy folgte, dem Peace Corps beizutreten. In dieser Zeit unterrichtete sie im Ausland Englisch, bis sie schwer an Malaria erkrankte und wieder zurück in die USA zog.

Eines der ersten Ereignisse, an die ich mich erinnern konnte, war die Geiselnahme im Irak. Ich war gerade mal sieben Jahre alt und die damalige Berichterstattung in den Nachrichten unterbrach meine samstagmorgendliche Cartoon-Show im Fernsehen. Von da an verfolgte ich die Entwicklung so gut ich es eben als kleines Kind konnte – und ging sogar so weit, dass ich ein Jahr später, als man die Geiseln entließ, in der Schule eine Krankheit simulierte, nur damit ich die Nachrichten darüber zu Hause verfolgen konnte.

Als ich älter wurde, blieb ich dem Interesse an Politik und internationalen Angelegenheiten weiterhin treu. Zum ersten Mal wurde ich als Teenager politisch aktiv: ich protestierte gegen Gesetze, die die Selbstbestimmung der Frauen einschränkten, ich leitete an meiner High-School Anti-Zensur-Kampagnen und machte in meinem Abschlussjahr ein Praktikum bei einem Abgeordneten des Repräsentantenhauses. Mit 17 Jahren verfolgte und bejubelte ich von meinem Haus in Michigan aus den histrosichen Moment, als die Berliner Mauer fiel.

Schon lange bevor ich im Jahr 2017 nach Deutschland zog, war ich von den Deutschen und der deutschen Kultur fasziniert. Das lag hauptsächlich an meinem Onkel, der während meiner Kindheit die meiste Zeit in Deutschland stationiert war. Er lernte dort auch eine deutsche Frau kennen, sie heirateten und hatten zwei Kinder. Im August 1990, das war der Sommer vor meinem Abschlussjahr an der High-School, besuchte ich ihn zum ersten Mal gemeinsam mit meiner Mutter, meinem Stiefvater und meiner damals besten Freundin. Ich habe mich sofort in dieses Land verliebt und nahm mir fest vor, eines Tages dort zu leben. Die Berliner Mauer war zu jenem Zeitpunkt zwar schon über ein Jahr lang „gefallen“, aber viele Abschnitte davon standen noch und waren intakt. Von daher klopfte ich mir damals ein weißes Stück Beton aus einer dieser Abschnitte heraus. Es war gerade mal so groß, dass es in meine Handfläche passte und gehört heute noch zu den wertvollsten Dingen, die ich besitze.

Als ich mich in Berlin umschaute, bemerkte ich den starken Kontrast zwischen dem Ost- und dem West-Teil. Natürlich gab es keine Mauer mehr und Berlin war nun eine vereinte Stadt. Aber obwohl ich nur ein siebzehnjähriges Mädchen war, sah ich den großen Unterschied zwischen dem ehemaligen sowjetischen Teil, mit seinen heruntergekommenen Gebäuden, verwahrlosten Grundstücken und mit seiner mangelnden Geschäftigkeit – und dem florierenden, freien West-Berlin. Diese Erfahrung hat mir die Augen geöffnet: in diesem Moment war mir klar, wie wichtig es ist, in einer freien Gesellschaft zu leben und es wurde mir bewusst, dass Demokratie und Freiheit nicht für selbstverständlich erachtet werden sollten. Obwohl wir nur ein paar Tage in Berlin verbrachten, wusste ich, dass ich eines Tages wiederkommen würde. Und ich fragte mich damals auch, ob es dann immer noch einen so großen Unterschied zwischen Ost und West geben würde.

Während meiner Universitätszeit studierte ich Geschichte und Public Policy und war weiterhin in meiner Freizeit politisch aktiv. Ich hatte Glück, dass die Michigan State University als einer der Veranstaltungsorte für die 1992 Präsidentschaftsdebatten ausgewählt wurde, denn dort hatte ich die Gelegenheit, als neunzehnjährige Studentin ganz kurz Bill Clinton zu treffen. Im darauffolgenden Jahr hatte ich so viel Zeit mit politischen Aktivitäten verbracht, dass mir der Ortsverband der Demokraten den „Geraldine Rapaport Award“ verlieh. Das ist eine jährliche Auszeichnung für den engagiertesten, ehrenamtlich arbeitenden Jung-Demokraten. Zwei Jahre später erwirkte der Bürgermeister von Lansing einen Stadtratsbeschluss, der – einmalig und nur in jenem Jahr – einen „Claudia Clark Tag“ vorsah, um mein politisches Engagement während meiner Studienzeit zu würdigen.

Nach meinem Studium arbeitete ich zunächst US-weit als Mitarbeiterin bei politischen Kampagnen für progressive Kandidaten und progressive Politik. Schließlich blieb ich in der San Francisco Bay Area hängen. Wie viele andere wurde auch ich eine begeisterte Anhängerin von Barack Obama. Ich arbeitete ehrenamtlich für seine Kampagne und verfolgte seine Karriere. Jedoch blieb meine Begeisterung für Deutschland und auch der Wunsch, eines Tages dort zu leben, lag mir weiterhin am Herzen.

Ich wurde im zarten Alter von fünf Jahren zur Feministin. Nachdem ich meiner Mutter sagte, ich würde Krankenschwester und nicht Ärztin werden wollen – schließlich sei Krankenschwester ein Beruf für Mädchen und der Arzt-Beruf für Jungen – kaufte sie mir das Buch „Mütter auf der Arbeit“. Als Frauenrechtlerin verfolgte ich sehr genau den Werdegang von Angela Merkel. Ich bewunderte ihr duales Arbeitsleben: ihre Karriere als Wissenschaftlerin und als Politikerin. Persönlich bin ich in Mathematik und den Naturwissenschaften fürchterlich. Ich hatte damals in der High-School sogar meinen Physiklehrer davon überzeugen wollen, dass es Folter wäre, jemanden zum Physikunterricht zu zwingen und dies somit gegen die Verfassung Verstöße. Trotzdem, und sicherlich auch aufgrund meiner eigenen Defizite, bewundere ich Frauen, die in traditionell von Männern dominierten Berufen erfolgreich sind. Und aufgrund der Tatsache, dass Kanzlerin Angela Merkel einen Doktortitel in Physik hat, respektierte ich sie noch viel mehr. Wenn ich Merkels Kombination von wissenschaftlicher Ausbildung und politischen Leistungen in Betracht ziehe, dann gibt es nur wenige Menschen, die ich noch mehr bewundere – obwohl Merkels Politik oft konservativer ist als meine eigenen politischen Anschauungen.

Als ich im November 2016 die letzte gemeinsame Pressekonferenz von Obama und Merkel sah, war ich sofort davon berührt, wie sichtbar betroffen Merkel reagierte, als ein Reporter sie auf dieses letzte offizielle Treffen ansprach. In den Tagen zuvor und auch nach dieser Pressekonferenz entging es mir nicht, dass in den Medien viel über die starke Beziehung der beiden Staatsoberhäupter zueinander berichtet wurde. Journalisten zitierten häufig Merkels zärtlich klingendes „Dear Barack“ und der Business Insider brachte eine Geschichte über die beiden mit dem Titel „16 Fotos die zeigen, wie sehr Obama und Merkel sich vermissen werden“. Die Chemie zwischen den beiden ist also auch anderen aufgefallen.

 

Diese Bilder behielt ich die ganze Zeit über in meinem Kopf und holte sie erst wieder hervor, als Angela Merkel im März 2017 zum ersten Mal Präsident Trump in Washington D.C einen Staatsbesuch abstattete. Ich sah, wie Trump sich weigerte, Angela Merkel die Hand zu schütteln und mir fiel auf, in welch starkem Kontrast dazu die Interaktion mit Trumps Vorgänger stand. In diesem Moment realisierte ich, dass Merkel und Obama eine bemerkenswerte Beziehung hatten – eine, die eine spezielle Anerkennung verdiente und die irgendwie verewigt werden sollte.

Ich erinnerte mich daran, dass es bereits Bücher über die Beziehung zwischen dem US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt und dem britischen Premierminister Winston Churchill gab und sah viele Parallelen zwischen den zwei Paaren. In beiden Fällen waren es Staatsführer alliierter Länder, die unterschiedlichen Parteien angehörten, in turbulenten Zeiten regierten und trotzdem in der Lage waren, eine starke Beziehung zueinander zu entwickeln. Dies war der Moment, an dem ich entschied, dass ein Buch über die Freundschaft von Obama und Merkel ein Projekt wäre, das sich lohnen würde anzugehen. Noch unentschlossen darüber, ob so ein Buch tatsächlich einen Wert darstellen würde, begann ich mit der Recherche – eine mühsame Aufgabe für jemanden, der bis dato gerade Mal eine 100-Seiten lange Diplomarbeit verfasst hatte. Mir war auch bewusst, dass ich eine unbekannte Autorin war und ich es wagte, ein massives Sachliteratur-Projekt anzugehen, bei dem es um zwei der mächtigsten Staatsführer der Welt ging.

Während ich noch darüber nachdachte, ob ich für diese Aufgabe wirklich bereit oder gar qualifiziert war, erfuhr ich im April 2017, dass Obama für seine erste Auslandsreise nach seinem Amtsende nach Berlin fahren würde, um sich mit Kanzlerin Merkel zu treffen und um auf dem 500. Jahrestag des Evangelischen Kirchentages eine Rede zu halten. Schließlich war ich überzeugt: Obamas erste offizielle Auslandsreise als Privatperson galt Deutschland und Merkel. Dies zeigte mir, dass ihre Beziehung wirklich stark genug war, um Zeit und Energie in ein derart ehrgeiziges Projekt zu stecken.

Das Timing dafür war fast perfekt. Im Herbst 2016 hatten mein Mann und ich aus den unterschiedlichsten Gründen realisiert, dass unser „eventueller“ Umzug nach Deutschland eher früher als später stattfinden würde. Als mein Mann im Mai 2017 einen Job in Bayern angeboten bekam, sagte er begeistert zu. Ich war aufgeregt, ein neues Leben anzufangen, aber war mir meiner mangelnden Deutschkenntnisse bewusst. Von daher wollte ich etwas Produktives tun, das jedoch nicht mit meinem Sprachkurs in Konflikt stehen würde. Ich recherchierte und kam dann zu dem Entschluss, dass es genug Interesse an so einem Buch gäbe und es sich lohnen würde, es zu schreiben.

Kaum ein Jahr später und nur sechs Monate nach unserem Umzug, legte ich von der anderen Seite des Atlantiks aus ein 250 Seiten starkes Manuskript bei einer von zwei Editorinnen sowie einer Übersetzerin vor. Und so begann ein Prozess, von dem ich bis dato keine Ahnung hatte: wie veröffentlicht man ein Buch.

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, was dieses Buch behandelt und was nicht. Obwohl es natürlich um zwei Politiker geht, ist es nicht schlechthin ein „politisches Buch“. Es werden Politik und politische Maßnahmen diskutiert, aber nur in Bezug darauf, wie diese die Partnerschaft und Freundschaft der beiden Staatsführer beeinflussten. Man muss nicht mit all ihren politischen Ideen – oder Teilen davon – übereinstimmen, um etwas Wertvolles aus diesem Buch zu ziehen.

Als Historikerin habe ich gelernt, dass berühmte Leute – seien es Politiker, Schauspieler oder Sportler – vor allem eines sind: Menschen. Sie machen Fehler und sie glauben oder machen etwas, was komplett entgegen dem steht, was wir von ihnen wollen oder erwarten. Obwohl ich Merkel und Obama sehr mag und respektiere, haben beide Entscheidungen getroffen oder eine Politik vertreten, die im Gegensatz zu meinen eigenen Vorstellungen steht. Trotzdem finde ich die Lebensgeschichte und den Führungsstil dieser beiden Individuen bemerkenswert und die Beziehung, die sie zueinander aufgebaut haben, schlichtweg außergewöhnlich.

Als ich dieses Projekt anging, hat mir jemand gesagt, dass ein gutes Sachbuch drei Dinge tun sollte: unterhalten, informieren und inspirieren. Ich hoffe, dass ich diese drei Ziele erreicht habe, egal, ob man nun Obamas und/oder Merkels Politik unterstützt oder nicht. Um ehrlich zu sein, war das Kriterium „Unterhaltung“ die größte Herausforderung. Zwischen der Weltwirtschaftskrise und Putins illegaler Annektierung der Ukraine standen Obama und Merkel harten Zeiten gegenüber und es war sicherlich kein Spaß. Wenn sich dabei jedoch trotzdem lustige Kommentare oder Ereignisse ergaben, so habe ich diese natürlich festgehalten.

Es erwies sich leichter, das Kriterium „Information“ umzusetzen. Wenn der Leser nach dieser Lektüre etwas Neues aus dem professionellen oder privaten Leben von Obama oder Merkel erfahren hat oder ein politisches Ereignis besser versteht, dann habe ich meinen Auftrag erfüllt.

Das letzte Kriterium, nämlich dass dieses Buch eine Inspiration sein soll, ist mir am wichtigsten. Sowohl Deutschland als auch die USA haben Flecken in ihrer Geschichte. Wenn der Aufbau einer starken Beziehung zwischen dem ersten afro-amerikanischen Präsidenten der USA und der ersten Kanzlerin Deutschlands – Menschen aus zwei Ländern, die sich in zwei langen Kriegen bitterlich bekämpften – keine Hoffnung und Inspiration auf das gibt, was möglich ist, dann weiß ich wirklich nicht, was dies jemals leisten kann.

Ich muss zugeben, dass mein entscheidender Aha-Moment in meinem Leben nicht so aufregend war, wie die Grundsatzrede im Jahr 2004 von Senator Barack Obama auf der Parteiversammlung der Demokraten, oder wie für Angela Merkel der Fall der Berliner Mauer. Trotzdem sollte ich damals noch nicht wissen, dass meine Faszination von der letzten Pressekonferenz mit Obama und Merkel nach den US-Wahlen 2016 genau der Moment war, der mich inspirieren würde.

Der Slogan von Präsident Obamas Wahlkampagne verkündete mit dem Motto „Yes we can“/„Ja, wir können es“ Hoffnung. Nach vielen Jahren, in denen ich Blut und Wasser schwitzte, Tränen flossen, mich Migränen quälten, und noch mehr Tränen und noch mehr Migränen kamen, ist dieses Buch nun mein Beitrag zur Inspiration, die Obama einer ganzen Generation mit auf dem Weg gegeben hat.

Einführung

Autorität, Prestige und Respekt – alle diese Eigenschaften machen das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht nur für viele Politiker zu einem Traumberuf. Doch diese wichtige Rolle, nämlich als einer der Hauptakteure auf der politischen Weltbühne zu agieren, ist auch gleichzeitig eine Einsame. Der Secret Service und der Press Corp des Weißen Hauses beobachten jeden Schritt und so etwas wie Normalität und Alltag muss derjenige an den Nagel hängen, sobald er oder sie offiziell für das US-Präsidentschaftsamt kandidiert. Es ist ein Amt, das bisher nur wenige bekleidet haben und nur wenige wirklich verstehen. Präsident Truman hat die Einsamkeit des Oval Office wie folgt beschrieben: „[…] wenn du einen Freund in Washington möchtest, dann schaff dir einen Hund an.“1

Um mit ihrer Isolation vielleicht besser zurechtzukommen, haben US-Präsidenten in der Vergangenheit immer wieder Freundschaften zu politischen Kollegen aus dem Ausland aufgebaut: Franklin Delano Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill gehörten zu den Ersten, die so eine Beziehung im Zweiten Weltkrieg pflegten, dann waren es Präsident Ronald Reagan und die britische Premierministerin Margaret Thatcher in den 1980ern, und jetzt kürzlich Präsident Barack Obama und die deutsche Kanzlerin Dr. Angela Merkel.

Im Gegensatz zu Roosevelt und Churchill oder Reagan und Thatcher, die bereits nach ihren ersten offiziellen Treffen zu engen Freunden wurden, entstand die Freundschaft zwischen Obama und Merkel erst im Laufe seiner ersten Amtszeit. Als im Juli 2008 Präsidentschaftskandidat Obama nach Berlin reiste und vor dem deutschen Volk eine Rede halten wollte, bemühte sich sein Wahlkampf-Team um eine dafür besonders geeignete Kulisse – dem Brandenburger Tor, symbolisiert es doch, wie der Westen den Kalten Krieg überwinden konnte. Aber Kanzlerin Merkel, die damals von Obama weniger fasziniert war als ihre deutschen Mitbürger, erklärte sich damit nicht einverstanden. Stattdessen organisierte Obamas Team eine Kundgebung am Fuße der Berliner Siegessäule, zu der mehr als 200 000 Menschen kamen.

Experten waren damals der Meinung, dass Merkels Absage an Obama eine derart starke Spannung erzeugte, von der sich die beiden möglicherweise niemals erholen würden. Die Presse schrieb, dass Merkel und ihr Team Obama für „empfindlich“2 hielten, während Obamas Mitarbeiter die Kanzlerin als „schwierig“3 beschrieben. Dies war das erste, aber nicht das letzte Mal, dass die Presse ihre Beziehung fehlinterpretieren würde. Während ihrer acht Jahre andauernden Arbeitsbeziehung entwickelte sich ihre Partnerschaft von extremer Besorgnis zu einer Beziehung tiefen Respekts und Verehrung zueinander. So schreibt Obamas ehemaliger außenpolitischer Berater Ben Rhodes in seiner Autobiografie The World As It Is: A Memoir of the Obama White House, dass Merkel bei ihrem letzten Abschied von Obama eine Träne im Auge gehabt habe4 und dass Obamas letztes Telefonat an ein ausländisches Staatsoberhaupt der deutschen Kanzlerin galt.5

Neben den unterschiedlichen Persönlichkeiten und Unterschieden in der Kultur gab es auch politische und ideologische Differenzen. Merkel gehört der Christlichen Demokratischen Union (CDU) an, einer deutschen mitte-rechts Partei, während Obama ein Mitglied der United States Democratic Party ist, einer mitte-links Partei. Die amerikanischen Demokraten – und insbesondere Obama – vertraten jedoch deutlich progressivere Ansichten als Merkels CDU.

Als Obama 2008 gewählt wurde, gehörte zu seinem politischen Erbe in den USA die größte Finanzkrise seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er. Obama und Merkel hatten gegensätzliche Ideen wie diese Krise und die damaligen Finanzprobleme in Griechenland und in anderen europäischen Staaten zu bewältigen seien. Beide für ihren Pragmatismus bekannte Staatsführer waren sich jedoch der historischen Bedeutung der Beziehung ihrer beiden Länder bewusst. Zudem realisierten sie, dass es in ihrem eigenen Interesse lag, möglichst gut miteinander auszukommen.

Man braucht nur „Merkel und Obama“ als Suchbegriff im Internet einzugeben und schon werden automatisch Begriffe wie „Romanze“ oder „Partnerschaft“ vorgeschlagen. Im Vorfeld der letzten gemeinsamen Pressekonferenz der beiden Politiker am 17. November 2016 brachten die Medien Schlagzeilen wie „Obama landet in Berlin zur Verabschiedung seiner engsten Verbündeten Merkel“ in der China Daily6 und „16 rührende Fotos von Barack Obamas und Angela Merkels Freundschaft“ erschienen im Business Insider.7 Zudem erhielt die Beziehung der beiden Staatsoberhäupter sehr häufig die Aufmerksamkeit von der Boulevard presse, den sozialen Medien und der Popkultur: Die im amerikanischen Fernsehen seit vielen Jahren etablierte Comedy Show Saturday Night Live und Deutschlands satirische Heute Show brachten viele Sketche, welche die ungewöhnlich gute Freundschaft der beiden Politiker parodierten.

Als der amerikanische Präsident Barack Obama und die deutsche Kanzlerin zum letzten Mal das Podium in Berlin im November 2016 teilten, hat ihre gegenseitige Zuneigung weder die Presse noch die restliche Welt überrascht. Auf die Frage einer Journalistin zu Obamas bevorstehender Abreise antwortete die Kanzlerin sichtlich gerührt: „[…] jetzt fällt mir der Abschied schwer. Na klar, wenn man mit jemandem gut zusammengearbeitet hat, dann fällt der Abschied auch schwer. Aber wir sind auch alle Politiker und Demokratie lebt vom Wechsel. Insofern ist es in Amerika und in der Verfassung vorgegeben – acht Jahre, und dann kommt ein neuer Präsident. […] Wenn wir uns persönlich begegnen wollen, schließt das ja der freie Reiseverkehr, den wir hier Gott sei Dank in allen Teilen Deutschlands haben, nicht aus. Und von daher sind wir ja nicht aus der Welt!“8 Als Merkel diese letzten Worte äußerte, schwenkten plötzlich die Kameras der Journalisten zu Präsident Obama, der rechts von ihr stand, und mit seiner Hand einen Telefonanruf gestikulierte – um damit anzudeuten, dass er und Merkel ihre Beziehung auch nach seiner Arbeit im Weißen Haus aufrechterhalten würden. Der Lärm der Kameras, die diesen besonderen Moment einfangen wollten, war ohrenbetäubend. Dieses besondere Foto sollte später um die ganze Welt gehen, bewies es doch die ungewöhnliche Freundschaft der beiden zueinander. So resümierte auch Frankreichs bekannte Zeitung Le Monde mit der Schlagzeile „Dans ses adieux à l’Europe, Obama loue Merkel,,partenaire extraordinaire‘“, oder „Obama lobt Merkel als,außergewöhnliche Partnerin’ bei seinem Abschied von Europa.”9 Das Foto ist Zeitzeuge einer besonderen Freundschaft und Partnerschaft zwischen den beiden – etwas, was die Öffentlichkeit im Verlauf ihrer achtjährigen Arbeitsbeziehung erwarte hatte.

 

Wenn man den Zeitpunkt wählen sollte, an dem die Freundschaft der beiden Politiker ihren eigentlichen Anfang nahm, dann war es die Vergabe der Presidential Medal of Freedom am 9. Juni 2011 in Washington, DC: Angela Merkel sollte hier eine der höchsten Auszeichnungen erhalten, die der Präsident in den USA an einen Zivilisten vergeben kann und die selten ein Nicht-Amerikaner bekommt. Bei diesem Anlass geschah es, dass sich die beiden Staatsoberhäupter plötzlich mit „Angela“ und „Barack“ ansprachen und ihre Beziehung sich ganz öffentlich zu einer partnerschaftlichen Freundschaft umwandelte. Seitdem wählte Merkel in ihrer Anrede für den Präsidenten immer häufiger bei offiziellen Anlässen das persönliche „Du“ statt das formale „Sie“ und bezeichnete ihn als „lieber Barack“ oder „dear Barack“. Umgekehrt sprach Obama von der Kanzlerin als einen seiner besten Freunde auf der internationalen Bühne. Diese Protokolländerung blieb bei den Medien, den Beratern und auch der Weltöffentlichkeit nicht unbemerkt.

Genau wie Roosevelt und Churchill über Angelegenheiten wie die Kolonisation stritten und Reagan und Thatcher über die Politik in Argentinien argumentierten, so hatten auch Obama und Merkel ihre Differenzen – vor allem als Merkel und die Deutschen erfuhren, dass die USA das persönliche Handy der Kanzlerin verwanzt hatten. Im Laufe der Jahre waren sich die beiden noch viele Male uneins, von der Politik in Libyen und der Ukraine bis hin zu unterschiedlichen Maßnahmen zur Belebung der Weltwirtschaft. Wichtig bei diesen Differenzen ist jedoch, dass die beiden Staatsoberhäupter trotzdem ihre Freundschaft und Partnerschaft aufrechterhielten und über die Zeit sogar noch stärken konnten.

Während ihrer achtjährigen Zusammenarbeit verlieh Obama der Kanzlerin die Ehre, als erstes deutsches Regierungsoberhaupt vor dem versammelten Kongress der Vereinigten Staaten zu sprechen. und als nur zweiter deutscher Staatsbürger mit der Presidential Medal of Freedom ausgezeichnet zu werden.

Auf der anderen Seite des Atlantiks war Obama der erste US-Präsident, der das Konzentrationslager Buchenwald besuchte. Zudem war er der erste US-Präsident, der jemals die Hannover Messe eröffnete. Letztlich erteilte die Kanzlerin Obama die Erlaubnis, vor dem Brandenburger Tor zu sprechen und stand dabei direkt neben ihm. All diese Ereignisse fanden zusätzlich zu den traditionellen Gipfeltreffen, Konferenzen und Besprechungen statt, zu denen sich die Regierungschefs der freien Welt normalerweise treffen. Als Obama beim Besuch in Buchenwald eine weiße Rose auf die Gedenktafel legte oder die beiden sich beim Staatsdinner in Washington zu Ehren von Merkel zuprosteten – sie standen Schulter an Schulter. Stets bekundeten ihre Worte, ihre Körpersprache und ihre Haltung eine gegenseitige Zuneigung und großen Respekt.

Dieses Buch untersucht, wie zwei Hauptakteure der politischen Weltbühne, die sich anfänglich sehr skeptisch gegenüberstanden, zu guten Freunden und engen Vertrauten wurden. Obamas außenpolitischer Berater Ben Rhodes schreibt in seinem Buch The World As It Is: „[…] Es gab keine ausländische Führungspersönlichkeit, die er mehr verehrte. Sie war genauso pragmatisch wie er, an Fakten orientiert, der internationalen Ordnung verschrieben und bedächtig in ihrer eigenen Entscheidungsfindung.“10 Das amerikanische Magazin Politico berichtete, dass die Kanzlerin Obamas Ansprechpartnerin war. Immer wenn eine schwierige Entscheidung anstand, verlangte er von seinen Mitarbeitern, Frau Merkel ausfindig zu machen.11

Über die Jahre entwickelten die Politiker eine freundschaftliche, lockere Beziehung, besserwisserische Konkurrenz inklusive: So berichten Mitarbeiter, dass die beiden Staatschefs jeweils die ersten Minuten einer Video-Konferenz oder eines Telefonats stets damit verbrachten, sich gegenseitig damit zu übertrumpfen, wer sich mehr Zeit mit dem Lesen des Tagesprotokolls nahm.12 Betrachtet man die Hürden, die beide nehmen mussten, und ihre Meinungsverschiedenheiten, dann spricht die Tatsache, dass sie über lange Zeit gute Freunde und loyale Partner waren Bände über die Stärke ihrer Freundschaft, ihre Bewunderung füreinander und den hohen Respekt, den sie voreinander und vor der jeweiligen Nationen des anderen hatten.

Doch was hat es mit der offensichtlichen Chemie auf sich, welche die beiden verband und damals die Weltöffentlichkeit faszinierte? Stefan Kornelius beschreibt in seinem Buch Angela Merkel: The Chancellor and Her World, dass Obama als Privatmensch ganz anders war als der extrovertierte, charismatische Politiker, den er in der Öffentlichkeit darstellte. Außerhalb des Oval Office wirkte Obama sehr introvertiert und auf seine Ehefrau und Familie fokussiert. In den frühen Jahren seiner Amtszeit hatten Staatsoberhäupter wie der britische Premierminister Gordon Brown oder der französische Präsident Nicolas Sarkozy große Probleme, zu Obama eine persönliche Beziehung aufzubauen und fragten sich, ob der „schwierige, kalte und unnahbare“ Charakter des US-Präsidenten als persönlicher Angriff zu werten sei.13 Sarkozy konnte damals nicht wissen, dass sich Obama bereits eine Meinung über seine Kollegen gebildet hatte. So schrieb Obama in seinem Buch A Promised Land, dass er zwar Sarkozys frühe und enthousiastische Unterstützung für ihn und seinen Wahlkampf zu schätzen wusste, er jedoch realisierte, dass Merkel diejenige war, an die er sich wenden würde, denn „[…]es war nicht schwer zu sagen, wer sich von den beiden als zuverlässigerer Partner herausstellen würde.“14

Kevin Liptak, ein damaliger CNN-Producer im Weißen Haus, schrieb in seinem Artikel „Wie Obama und Merkel lernten einander zu mögen“, dass die Verbindung von Obama zu Merkel etwas sehr Ungewöhnliches für den Präsidenten war, nämlich „eine aufrichtige, internationale Freundschaft, die beide zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen wussten.“15

Zieht man in Betracht, dass die beiden einen schwierigen Start hatten und auch ihre politische Gesinnung unterschiedlich war, so schien der Aufbau einer starken Partnerschaft oder gar herzlichen Freundschaft fast unwahrscheinlich. Hierzu beobachtete Autor Stefan Kornelius: „Es ist richtig zu sagen, dass menschliche Faktoren sogar die Beziehung zwischen Staatsoberhäuptern beeinflussen können und dass sich Merkel und Obama ähnlicher sind, als sie es zugeben würden.“16 In der Tat waren beide politische Außenseiter, die es geschafft haben, zu einer Position mit unglaublich viel Macht aufzusteigen. Beide verfolgen eine ähnliche Strategie bei der Lösung von Problemen. Angela Merkel, eine promovierte Physikerin, nutzt dabei ihren wissenschaftlichen Hintergrund als Basis, stellt also Fakten und Daten zusammen, die dann von ihr studiert und bewertet werden – etwas, das der US-Präsident laut Auskunft seiner Mitarbeiter sehr schätzte. Ähnlich wie Merkel zögerte er bei der Entscheidungsfindung, sobald mögliche Konsequenzen abzusehen waren.17 Darüber hinaus galten beide Politiker als realistisch, analytisch und objektiv.18

Doch ihre sich ähnelnden Persönlichkeiten und Herangehensweisen vermögen die besondere Natur ihrer Beziehung nur unzureichend zu erklären. Grundwerte wie Freiheit, Demokratie und Menschenrechte, die sowohl die USA als auch Deutschland anerkennen, spielten ebenfalls eine signifikante Rolle. Merkel, die als Kind im ehemaligen Ostdeutschland aufwuchs, glaubt fest daran, dass Deutschland seinen Status als freie Nation und sie persönlich ihre Position als Kanzlerin den Vereinigten Staaten zu verdanken hat. Daher ist stark davon auszugehen, dass Merkel vor dem Hintergrund als erste deutsche, aus der DDR-stammende Kanzlerin, der Beziehung zu den USA eine größere Bedeutung zumaß, als ihre Vorgänger es taten. Aufgrund Merkels positiver Einstellung und Dankbarkeit gegenüber den Vereinigten Staaten gab es möglicherweise für sie einen stärkeren Anlass für eine gute Kontaktpflege als für ihre europäischen Politiker-Kollegen.