Vom Müller-Hannes

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Vom Müller-Hannes
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Clara Viebig

Vom Müller-Hannes

Eine Geschichte aus der Eifel

RHEIN-MOSEL-VERLAG

Danksagungen des Verlages

Bedanken möchten wir uns bei allen, die bei der Wiederauflage dieser bekannten Eifelnovelle von Clara Viebig geholfen haben: Herrn Prof. Gelhaus und Herrn Gerd Bayer für ihre Beratung; Frau Dr. Charlotte Houben für die Durchsicht der Texte und Frau Regina Melsheimer für die Gestaltung der Titelgrafik.

1.

Draußen lag der Schnee, und die zu Tal rinnenden Bergwasser tröpfelten halb vereist, aber in der Staatsstube der Maarfeldener Mühle war es warm. Da sprühte der Ofen, mit gewaltigen Buchenkloben geheizt, die Kuckucksuhr tickte behaglich, und die Gevatterschaft saß um den Tisch bei Wein und Schnaps und besprach die Heirat. Man war endlich übereingekommen: der Müller-Matthes verheiratete seinen einzigen Sohn, den Hannes, mit der einzigen Tochter von Joseph Helles, dem Weinbauern unten an der Mosel. Fünftausend Taler bar kriegte die Christina mit und eine Aussteuer, so reich an Linnen und Gewandung, daß sie ihr ganzes Leben nicht nötig haben würde, etwas zuzukaufen.

Und doch war der Müller-Matthes des lange nicht zufrieden. Ihm dünkte, noch höhere Ansprüche machen zu können. Übergab er denn nicht seinem Hannes die große Schneide- und Mahlmühle mit allem Inventar? »Schuldenfrei«, wie er sagte; kein Schiefer auf dem Dach fehlte, das Wasserrad schaufelte, die Kreissäge kreischte ohne Unterlaß, drei Knechte hatten zu schaffen. Und war vor allem nicht sein Hannes der stattlichste Freier Eifel auf, Eifel ab?!

Dem hatte schon in der Wiege das Glück gelacht. An einem Sonntag war er geboren, als Pfingstmusik das Dorf durchfiedelte und der Mai selbst das Maarfeldener Tal mit Blüten überschüttete. Zur Zeit, da andere Kinder nur erst greinen konnten, hatte der Hannes schon gejauchzt und mit den Händchen nach den Sonnenstrahlen gegriffen, die über sein Stechkissen tanzten. Und diesen Jung’, dessen rundes Gesicht so frisch und rot überm weißen Müllerkittel lachte, diesen Jung sollte er so billig weggeben?!

Müller-Matthes hatte gefeilscht und gefeilscht: noch tausend Taler zu – sechstausend im ganzen – dann konnte die Sache perfekt werden. Sonst – er hatte die Riesenfaust schwer auf den Tisch gelegt – sonst würde nichts daraus, bei Gott nicht!

Der Weinbauer, einen Kopf kleiner als der Müller, dürr und mager wie ein Rebstecken, ließ sich aber nicht einschüchtern: keinen Pfennig mehr, seine Christina kriegte ja noch mal was zu erben! Das Handeln mit dem Matthes war er gewohnt, denn wenn er gen Alf heruntergefahren kam, um die bestellten Faßdauben zu bringen, hatten sie oft so miteinander geeifert, sich so verzürnt, daß der Eifelaner stumm wütend vom Hofe fuhr und der Moselaner lebhaft erregt hinter ihm dreinfuchtelte. Jedoch der neue Wein hatte sie immer wieder versöhnt.

Der Gedanke, ihre Kinder miteinander zu verheiraten, hatte keinem von ihnen ferngelegen. Aber ausgesprochen hatten sie ihn nicht. Letzten Herbst nun war auf einmal statt des Vaters der Hannes unten erschienen in seiner ganzen kraftvollen Größe, mit der freien und doch strammen Haltung, die er von seiner vierjährigen Freiwilligenzeit bei den Deutzer Kürassieren noch bewahrt hatte.

Joseph Nelles hatte den Gast in den Keller geführt, wo der Heurige in den Fässern rumorte und berauschende Düfte das niedere Felsgewölbe erfüllten. Die beiden hatten gewaltig probiert; aber der starke Eifelaner ließ sich nicht schmeißen, weder vom abgelagerten noch vom neuen, weder durch den von der Sonnenseite noch durch den sauersten Rachenputzer. Das hatte dem Moselaner mehr imponiert als der ganze schöne Junge selber mit seinem Krauskopf und mit seinem zähneblitzenden Lachen – hau, konnte der saufen!

Auch der Tina gefiel der Hannes, und die war doch sonst zag mit Mannsleuten. Aber nun hatte sie nichts dawider gehabt, mit dem Vater hinaufzufahren in die Eifel; denn besehen mußte sie sich die Mühle erst, ehe sie »Ja« sagte.

Und doch dachte sie heute nicht ans Besehen. Kaum guckte sie hin, wenn Hannes, der sie herumführte, ihr etwas wies, während drinnen in der Staatsstube die Väter und die beiderseitigen nächsten Anverwandten, die jeder von den zweien zur Unterstützung hinter sich hatte, verhandelten. Sie hatte keine Augen für die Stattlichkeit der vier Rotbunten, die im Stall standen, und gab doch sonst was auf gute Milchkühe. Sie sah nur die wenig verarbeitete, muskulöse Männerhand, die den Tieren freundschaftlich auf die Lenden patschte, daß sie sich mit leisem Erschauern wendeten und mit fast zärtlichen Blicken ihrer feuchten, sanften Augen und mit gedämpften Muh ihren jungen Herrn begrüßten. Auch das Pferdchen, das, rund und glatt, vom Heu der Krippe raufte, hörte auf mit Fressen und spitzte die Ohren; es kannte den raschen, festen Tritt. Es hob das Maul und zeigte die langen, gelben Zähne, als ob es lachte.

»Dau Leckermaul«, scherzte Hannes und ließ sich willig Taschen und Hände beschnobern. Er hatte Zucker eingesteckt, und der Gaul rieb schmeichlerisch den blanken, braunen Kopf an seiner Schulter.

Der Spitz draußen vor der Hundehütte erhob ein bittendes Gewinsel, duckte den Kopf auf die Vorderpfoten und scharrte mit den Hinterfüßen im Schnee. Hannes löste ihn von der Kette, da sprang er hoch in die Höhe mit Freudengebell und suchte das ihm zugeneigte Gesicht zu lecken. Die Knechte, die Säcke auf einen Wagen luden, zwinkerten mit den weißbestäubten Lidern und zogen mit freundlichem Grinsen die Mütze von den mehlbestaubten Haaren.

Ja, alle waren sie ihm gut! Das sah Tina. Und sie fühlte ihr Herz klopfen.

Verstohlen reckte sie sich – war sie doch klein und reichte dem Hannes kaum bis zur Schulter –, aber sie wollte gern ein stattliches Paar mit ihm abgeben. Wenn er auf sie niederschaute, wurde sie rot; und wie vorhin die Kühe im Stall, so wendete sie die schwarzbraunen, sanften Augen ihm zu.

Er sprach viel und laut und lustig; umständlich erzählte er, wie sie vergangenes Jahr die Mühle mit Schiefer gedeckt, anstatt des gemeinen Strohs, und wie sie das Getriebe mit allerhand Neuerungen versehen. Ja, da konnte man sich blind suchen, zum zweiten Mal gab’s solch eine Mühle nicht in der Eifel und auch im Moseltal nicht! Aber der Neuerungen waren noch lange nicht genug: wenn er hier erst allein zu kommandieren hatte, wurde es noch viel feiner. Die Fenster waren zu klein, da stieß man sich ja den Kopf, wenn man herausgucken wollte. Und die Tür war zu schmal, die ließ er breiter machen. Und ein Wagen mußte her, zweisitzig, mit weichen Kissen. Und die Auffahrt vom Hof zu der höher gelegenen Straße wurde mit schönen, weißen Steinen eingefaßt, daß man sicher fuhr auch mit übermütigen Pferden. Und dort im Garten – er wies auf das schmale Streifchen Land diesseits des Baches, jenseits stiegen die Höhen gleich steil an –, dort würde er Obstbäume anpflanzen lassen, feine Sorten aus der Baumschule zu Trier: Reinetten, Herrenbirnen und süße Reineclauden; die alten Strünke taugten ja nichts mehr, die waren schon vermoost. Und leiser fügte er hinzu, mit seinem Lachen, das die tadellosen Zahnreihen zeigte, daß auch Rosen dort blühen sollten und Lilien und Brennende Liebe für seine junge Frau.

Da hob sich Tinas Brust in zittrigem Atemzug unter dem sonntäglichen Kaschmirkleid. Sie sah hin zum schmalen Gartenstrich und hinauf zu den Bergen, die drohend über der Mühle hingen – Schnee bedeckte alles, es war kahl, kalt und unlustig –, aber oben über den steilen Hängen sah sie schon den Himmel blauen, unterm Schnee Rosen blühen und die rote Dolde der Brennenden Liebe. Sie ließ dem Burschen ihre Hand, die er gefaßt, und stapfte zuversichtlich an seiner Seite zum Haus zurück. Alles gefiel ihr wohl, sie hatte nichts auszusetzen.

Des Hannes Mutter erschien jetzt unter der Haustür, sprach von Kälte und lud zu einem warmen Kaffee. Tina wunderte sich, daß die Frau fror; warm und rot ging sie mit Hannes in die Staatsstube.

Drinnen konnte man vor Qualm gar nichts sehen. Sie hatten wacker Wittlicher Tabak geraucht, und getrunken hatten sie auch gehörig. Auf dem Kanapee, das man extra zu diesem Tage angeschafft, schmauchten die beiden Väter, Schulter an Schulter. In ihre Stühle zurückgelehnt, schmauchten auch des Nelles alter Ohm, ein Schlaufuchs, den der Moselaner sich mitgebracht hatte, und des Matthes Gefreundte aus Maarfelden. Die Tante, der Tina als Chaperonne beigegeben, nickte schon ein wenig auf der Ofenbank.

Mit lautem Hallo wurden die jungen Leute begrüßt. Man war jetzt einig, war vergnügt und hielt Verspruch. Immer neue Getränke schleppte die Müllerin heran, viel Branntwein, und dazu wahre Berge von Kuchen. Drei Tage hatte sie gebacken, nun sollten sie ihr auch die Ehre antun; nicht bloß an der Mosel verstand man zu leben, nein, in der Eifel erst recht – »kalte Berge, aber warme Herzen«! Dieser Ausspruch gefiel Müller-Matthes so gut, daß er ihn immerfort wiederholte, bis die anderen mit einfielen und alle sich lachend zutranken und anstießen.

Die einsame Mühle fernab vom Dorf hallte wider von fröhlichem Getöse.

Hannes war der Lustigste von allen. Hatte er denn nicht auch Grund dazu? Eine feine, eine zierliche Braut war sein, eine von anderer Art als die starkknochigen Eifeldirnen, so hübsch die am Ende auch waren! Und daß sie nebenbei Geld hatte, war gerade kein Unglück; freilich, er selber machte sich nicht viel daraus, des Geldes hatte er ja auch so genug. Aber daß sie gebildet war, erst ein halbes Jahr aus der Kloster-›Pensjohn‹ der lieben Nönnchen von Trier zurück, das stach ihm in die Augen.

Der Vater steckte ihm einen Taler zu, nach alter Eifeler Sitte, von der die Jugend nichts mehr weiß – das Handgeld für die Braut. Übermütig warf der Bursche der Jungfrau den Taler in den Schoß, und sie nahm ihn errötend. Nun waren sie einander versprochen. Im Mai, wenn alles grünte, sollte die Hochzeit sein.

 

Das Essen hörte gar nicht auf. Der Nachmittag fing an, sich zu neigen, da mußte man doch noch ein gediegenes Nachtmahl halten, ehe der Nelles mit seiner Gesellschaft sich auf die Rückreise machte. Unterwegs würden sie dann Quartier nehmen, wie letzte Nacht in Gillenfeld; denn es bringt kein Glück, wenn Brautleute vor der Hochzeit im selben Haus übernachten.

Die Alten stopften sich voll an gesüßtem Mus, an Bratwurst und Schinken und am besonderen Leckerbissen: dem gräucherten Kuheuter. Schade nur, daß man jetzt keinen der fetten Aale hatte erwischen können, die zur Frühjahrszeit, wenn das Maar beim Dorf aus seinen Ufern steigt und die Wiesen überwässert, wie Schlangen durch die Gräben glitschen, mit Händen zu greifen.

Hannes und Tina aßen nicht so viel wie die anderen. Jetzt, da sie wußten, daß sie einander angehören sollten, loderte ihre Verliebtheit. Tina saß bebend auf ihrem Stuhl und schaute unverwandt in ihren Schoß; ihr Herz pochte, wie es noch nie gepocht. Das hatten sie die Nonnen nicht gelehrt, wie man sich benimmt, wenn man verliebt ist; und eine Mutter hatte sie schon lange nicht mehr. So zeigte sie es ihm offen, wie sehr er ihr gefiel. Als er ihr das alte Lied ins Ohr summte:

»Wann alle Brünnlein fließen,

so soll mer trinken,

Wann ech mei’ m Schatz net rufen därf,

Tu ech em winken.

Jao, winken mit den Augen

On treten mit dem Fuß:

’t is eine in der Stuben,

Die mein werden muß –«

litt sie den Druck seines Knies und wich nicht dem Fuß aus, der unterm Tisch den ihren suchte. Und als er ihr ein Zeichen machte, folgte sie ihm willig hinaus in den dunklen Flur. Er zog sie gegenüber in die Mahlstube. Dort schaukelte die Oellampe unter der Decke und warf heimlich zwinkernde Lichter auf die, teils mit Korn, teils schon mit gemahlenen Früchten gefüllten Säcke längs der Wand, auf das schmale Lager des Müllerburschen, auf den großen Mehlkasten in der Ecke und auf die Spinneweben, die vom Mehlstaub wie mit silbernem Reif umsponnen, gleich Festons, von Balken zu Balken hingen.

Es war frisch aufgeschüttet; alle beiden Gänge waren in Tätigkeit. Die Verlobten lehnten sich gegen das kleine Holzgeländer, das die ein wenig erhöhte Diele von dem tiefer liegenden Werk abschloß. Hannes wies dem Mädchen, wie die Schälmühle arbeitete, aus der sich in unablässigem, goldenem Fluß die gereinigte Frucht ergoß. Stolz zeigte er ihr die riesigen Mahlsteine, die das Korn in nimmerrastender Arbeit zerrieben, bis es fein und weiß durch die seidene Müllergaze hindurchstäubte. Hei, wie das klapperte und schaffte! Und ganz unten regte sich’s unsichtbar und rauschte und schlug und pochte und stampfte – das war das große Rad, das alles trieb: das Herz der Mühle.

Tina hatte ihren Spaß daran, sie klatschte in die Hände: ach, wie das hier lecker roch, so mehlig, so nahrhaft, so nach Fülle und Sattsein! Hannes zog sie nach sich, da vergaß sie ganz, ihr Kleid wieder zu raffen, das sie beim Eintreten sorgfältig aufgehoben. Mochte es weiß werden, war sie doch nun bald eine Müllersfrau. Und er setzte sich auf die schmale Pritsche des Müllerknechtes und nahm sie auf seinen Schoß. Sie ließ sich nehmen, sie war wie betäubt. Unwillkürlich suchte ihre Hand nach dem kleinen Herrgöttchen, das ihr an schwarzer Schnur um den Nacken hing; daran hielt sie sich fest. Alles ging mit ihr rundum im lustigen Geklapper der Mahlstube, in dieser großen Glückseligkeit.

Hannes küßte sie ab; seine warmen Lippen suchten ihren wenig gebräunten, weichen Hals, ihre noch kindlich-runden Wangen, das Grübchen am Kinn, die schmalen, etwas blassen Lippen. Man konnte ihm nichts abschlagen. Wenn er bettelte: »E Küßche!«, so mußte sie ihm eins geben – nein, nicht eins, hundert!

»Haste mech lief?«

Da schmiegte sie sich wortlos fester an ihn.

Klingling! Bei dem blechernen Klang des Läutwerks fuhr Tina erschrocken auf. Jetzt kam auch schon der Knecht gerannt auf das Signal, das der hungrige Trichter gegeben, um dem ein paar Wannen voll Korns ins Maul zu schütten. Und über den Flur dröhnte die derbe Stimme des Müllers: »Kobes, Nikla, spannt an eweil!«

Eilig wollte Tina hinaushuschen, aber Hannes hielt sie fest. Was ging’s ihn an, wenn auch andere dazukamen? Das war jetzt sein gutes Recht! Und er nahm sein Mädchen um so fester in den Arm und schmatzte es noch einmal ordentlich ab. –

Tina war ganz verstört, als ihr zukünftiger Schwiegervater ihr auf den Wagen half. Ihr Kleid war zerdrückt, ihre glatten Zöpfe rauh. Vorn bei den ungeduldigen Pferden stand Hannes und hielt sie beim Kopf; im trüben Licht der flackernden Stallaterne, die der Knecht hochhielt, suchte Tina noch einmal, halb schüchtern, halb verlangend, ihres Bräutigams Blick. Wenn sie jetzt wieder gefahren kam – herrje, dann war sie schon seine Frau!

Sie konnte ihr Glück kaum zähmen. Der Wind war ihr eben recht, der vom Maar her dem Gefährt in den Rücken schnaufte und wie ein böses Tier, eingesperrt zwischen den Bergen, fauchte. Der Ohm und die Tante fingen an zu jammern, und der Vater hieb auf die Gäule, die in dem halb gefrorenen, halb geweichten Märzschnee nur mühsam vorankamen. Das konnte noch eine böse Fahrt werden bis Gillenfeld! Die Tant’ Angenies fürchtete sich vor dem Umwerfen; das Wägelchen kippelte höchst bedenklich und schaukelte wie ein Schiff von einer Seite zur andern.

Jetzt, da sie die Mühlenschlucht verließen und einbogen ins Tal der Kleinen-Kyll, stieß die Tante einen lauten Kreischer aus und fuhr sich mit beiden Händen an die Ohren: hinter ihnen krachte und knallte es plötzlich und donnerte gefährlich in vielfachem Echo von den felsigen Wänden wider. Nun noch einmal und noch einmal! Die Pferde bäumten sich.

Aber Tina lächelte still selig in sich hinein, streifte das verhüllende Tuch vom Kopf und lauschte, die heißen Wangen frei dem kalten Eifelwind bietend – das tat ihr Hannes, ihr Bräutigam, der weckte die toten Berge mit Freudenschüssen und zeigte ihnen seinen Hillig[1] an.

Der Abend war sehr dunkel geworden, so dunkel, daß Hannes, der noch spät die Mühle verließ, beinahe ins Maar gepatscht wäre, hätte er nicht so genau gewußt, daß man hier, wo die finsteren Berge der Talschlucht auseinandertreten und sich jäh erweitern zum Kessel des Maars, nicht rechts umbiegen muß beim Steinkreuz, sondern links, wo das Heiligenbild den Pfad durch die moorige Wiese zum Dorf weist.

»Kotzdonner noch ehs!« Hätte er sich doch eine Laterne mitgenommen! Die Hände in den Hosentaschen, schrill pfeifend, trabte er voran. Vom Maar her zog’s, der Maarwind kam und stieß ihn in die rechte Seite. Da blieb er einen Augenblick stehen. Allerhand Getöns war in der schwarzen Nacht, der auch der Schnee kein Licht gab. Aber sein scharfer Blick sah doch das Maar, den farblosen Spiegel, umkränzt von nackten Höhen, die jetzt, ins Ungeheuerliche vergrößert, an den Himmel stießen. Und dort, ganz im Winkel, dem steilen Hange angequetscht, in nächtigem Flor: Maarfelden.

Wanderer gehen nicht gern hier bei Nacht, der Boden schwankt eigen unter der Last der Trittes. Es war vor Zeiten hier einmal alles Maar gewesen – Maar, wo jetzt die Hütten stehen und die Kirche mit dem tiefblauen Schieferdach – Maar, wo jetzt die schilfigen Wiesen sich breiten – Maar, die Wände des Kessels bis hoch hinauf bespülend, wo jetzt die winzigen Äckerlein sich herauswinden aus Ginstergestrüpp und Brombeergerank. Die Maarfrau sitzt jetzt in die Tiefe gebannt, unten in ihrem Kämmerchen und spinnt, zieht den Faden, so lang und fein wie ihr dunkles Haar, und lauert, daß sie sich einen herunterziehe zum Zeitvertreib. Müller-Hannes lachte übermütig hinüber: die Maarfrau, puh, was ging die ihn an?! Landscheids Seph, die hatte noch längeres, noch schöneres Haar, Strähnen wie schwarze Seide! Und ein heißer Schatz war die, recht was für so eine kalte Nacht.

Jedermann wußte es im Dorf: Landscheids Seph war dem Müller-Hannes sein Schatz, seit der vom Militär heimgekommen war. Jetzt schlief sie noch nicht; sie lauschte. Der Wind stieß den Laden vor ihrem Fenster auf und klappte mit dem Riegel – horch, ob er noch nicht kam?! Sie konnte es nicht abwarten. Mit Mühe öffnete sie die kleine Scheibe im verquollenen Rahmen und zwängte den Oberkörper hinaus. Der Wind stemmte sich ihr entgegen und stieß sie vor die Brust. Aber sie wich nicht; sie war groß und stark, und lebenswarm lief ihr das Blut durch die Adern.

Der Wind wurde zum Sturm und scheuchte die finsteren Wolken überm Maar auseinander, wie eine Herde schwarzer Schafe. Nun gab’s ein wenig Licht, ein wenig zitternden, gejagten Mondschein; er verfing sich in der Seph Haaren und goß blankes Silber auf den schwarzen Scheitel. Der heftige Wind hob die schweren Strähnen und wehte sie lang zum Fenster heraus. Die nackten Arme des Mädchens, blinkend im nächtlichen Dämmer, streckten sich aus, dem Müller-Hannes entgegen.

[1]. Verspruch

2.

Das war eine wundervolle Maiennacht! Eine Nacht, in der alle Winde schlafen, in der der Mond Silber streut; eine Nacht, in der das Springen der Knospen zu hören ist. Der Wildbach fließt ruhig, und wo er bergab ins Gefälle kommt, scheint er die Steine zu küssen, über die er sich schmeichelt. Es duftet – nicht nur der Waldmeister, der im Buchenbüsch unter den braunen Blättern vergangener Herbste sprießt, nicht die Anemonen, nicht die Veilchen und Himmelschlüssel allein, die am grünen Wegrain blühen – alles duftet, die Luft, das Wasser, die Erde. Es duftet voll herber und doch süßer Frische, es duftet nach Jugend.

Die großen Kehren, in denen sich die Straße von Manderscheid abwärts zum Tal der Kleinen-Kyll schlängelt, fuhr ein Wagen hinunter. Ein Paar saß darin.

»Hott – hahr!« rief der Mann dem Pferdchen zwar zu, aber acht hatte er nicht. Gut, daß das Roß die Straße kannte! Vorsichtig bog es an den gewohnten Stellen um; sacht rollen die Räder zu Tal.

Und immer höher hob sich der Mosenkopf, der Herrscher, aus dem Gewirr all der niedrigeren Höhen. Der Mann im Wagen stand plötzlich auf, riß den Hut ab und grüßte den heimatlichen Berg mit langhallendem, jauchzendem Schrei. Ein trunkener Glanz lag dabei auf seinem Gesicht; die Zügel ließ er fahren und riß mit beiden Armen sein junges Weib zu sich in die Höhe.

»Kuckste, Tina, lao es hän, dän Mosenkop!« Er schwenkte noch einmal den Hut: »Boschur! Ech sein eweil widder hei! On kuk hei, dat Tina es mein’ Frau – ech haon se! Hallo – ho, ho!«

Das Echo war erwacht und antwortete aus allen Schlünden und Schründen. Die stille Nacht ward plötzlich laut, wie erschreckt von der starken Stimme. Im Gebüsch rauschten Vögel, ein aufgescheuchtes Reh setzte in Sprüngen über den Weg, und ein Fuchs stahl sich schlau beiseite. Zurück gen Manderscheid, und unten den Bach im Grund entlang, bis hinauf zum Mosenberggipfel und noch höher, bis an die Wolken, bis zum blanken, glänzenden Rund des Mondes gellte der Ruf:

»Dat Tina es mein’ Frau – ho, ho!«

Hannes schlang den linken Arm um den Nacken seiner Jung-Angetrauten, er mußte sich ein wenig stützen; aber es war nicht all der genossene Hochzeitswein, der ihn taumeln machte. Mit der Rechten wies er hinauf zum Berggipfel. Der Wind streichelte den Kopf des alten Riesen; jeder Grat, jedes Grätchen, jede Schrunde, jeder Riß war sichtbar im vollen Licht. Auch auf des Hannes Gesicht lag Mondglanz, aber da war noch keine Falte, kein Fältchen – alles glatt.

Ausgelassen rief er:

»Tina, kuckste hei dän Mosenkop? Dän es nach meinem Gu[2]! Lao stieht hän schon an de dausend Jaohr on kehrt sich’n Dreck, wat de Welt micht. Siehste, hei bauen ech noch ehs en schien Haus. Groß muß dat sien on kommod. Dann siehn ech de Mosel on dän Rhein, on ech spucken de Leut uf dän Kop!«

Hatte er zu viel getrunken? Die junge Frau hielt ihn fast ängstlich am Arm fest. Drei Tage hatten sie Hochzeit gefeiert, dann waren sie heut morgen von Hause fort – sollte der Abschiedstrunk, den die Verwandten und Gefreundten ihnen kredenzt, als sie schon auf dem Wagen saßen, noch so nachwirken?! Sie suchte seinen Blick, aber er erwiderte ihn nicht; er sah sie gar nicht. Glänzend waren seine Augen auf den Berg gerichtet. Und er reckte sich, atmete tief und brach dann in ein so anhaltendes Gelächter aus, daß das Pferd die Ohren spitzte, den verständigen Trott aufgab und in ganz unvernünftigen Sprüngen, den Wagen hinter sich dreinschlenkernd, bergab jagte. Das ging wie der Blitz. Die Kehren hinab – rechtsum – linksum – die Ebereschenbäumchen an der Ansturzseite flogen wie Schatten vorüber.

 

Tina schrie erschrocken auf und haschte nach den Zügeln. Aber ihr Mann stand ihr nicht bei, er hatte sich hintenüber auf den Sitz geworfen und klatschte sich die Lenden. Angst?! Warum denn? Ei, das war gerad’ schön! Er ergriff die Peitsche, berührte noch die Seiten des Pferdes und hieb dann, derb knallend, in die Luft. »Hä, hä, voran gemach, hä, hä!«

Immer rascher, rascher. Tina hätte weinen mögen vor Angst. Windschnell waren sie unten. Nun verfiel das Pferd von selber in ruhige Gangart, denn der Weg war steinig, stieg bald und fiel bald, immer auf und ab, jeder Windung der Kleinen-Kyll folgend. Auch Hannes wurde ruhiger im nächtigen Schatten des tiefen Tals, dessen Grund der Mond nicht erreichte.

Er zog Tina an sich und küßte sie zärtlich verliebt; wahrhaftig, es tat ihm jetzt bitter leid, daß er sie geängstigt hatte.

Sie vergaß ganz, daß sie ihm eigentlich böse war wegen der tollen Fahrt – so leichtsinnig, ohne Zügel und Bremse!

Und sie flüsterten miteinander. Müde wurden sie darüber, und eine Sehnsucht stieg in ihnen auf nach dem Ehebett, das in der Mühle jetzt ihrer harrte, festlich bereitet von neuem, weißem, glattem Linnen für ein neues Glück.

Die Alten hatten Wohnung im Dorfe genommen und die Mühle dem jungen Paar ganz allein überlassen. Beim Sohn auf dem Altenteil zu bleiben, das paßte dem Müller-Matthes nicht; von seinem Vater selig her wußte er’s noch, wie unzuträglich es ist, wenn einer da ist, der noch kommandieren möchte, wo doch jetzt ein anderer zu kommandieren hat. »Wann Heu und Stroh beisammen kommen, dann entsteht leicht ein Brand«, und »man soll sich nicht austun, bevor man schlafen geht«, das waren Sprichwörter, die Müller-Matthes bedachte. Dem Sohn hatte er wohl die Mühle übergeben, aber sein bares Geld aus dem Sacke zu tun, o nein, das fiel ihm gar nicht ein! Er wollte auch noch leben und nicht nur um Gottes willen.

Der Zufall wollte es, daß das Häuschen des Landscheid zu Maarfelden leer wurde. Der Alte hatte schon lange an der Gicht gelegen und verstarb, als die Märzstürme übers Maar sausten. Nun wollte die Seph das Erbe, das einzige, was sie hatte, gern zu Gelde machen, um mit den Geschwistern auswärts sich auseinanderzusetzen. So war sie eines Tages selber auf die Mühle gekommen und hatte gefragt: wenn es denn wahr sei, was sie reden gehört, daß der Sohn zum Mai heirate und der Müller eine andere »Gelegenheit« suche, ob er dann nicht ihr Anwesen kaufen wolle? Groß sei das freilich nicht, denn Reichtum sei nicht bei ihnen zu Hause gewesen.

Sie hatte das letztere mit einem bitteren Auflachen, recht unnötigerweise, zugesetzt – wie es bei Landscheids stand, wußte doch jeder im Dorf – und ihre schwarzen Augen waren dabei wild in der Stube umhergefahren mit einem suchenden Blick. Aber der Hannes ließ sich nicht finden. Und als sie nachher draußen vor der Tür stand und zögerte, ob sie ihn nicht vielleicht über den Hof schreiten oder beim Säckeladen hantieren sähe, war auch kein Hannes da. Mit gesenktem Kopf war sie von dannen gegangen, ihre hohe Gestalt schien um einen Fuß kleiner. Dort, wo der Mühlenweg zum Maar einwendet, beim Steinkreuz, war sie stehengeblieben und hatte starren Auges in die dunkle Flut gestiert.

Der scharfe Wind des kommenden Frühlings zerrte ihr am Haar, daß einzelne Strähnen sich lösten und ihr ums Gesicht schlugen.Und sie dachte daran, wie sie manche Nacht bei Sturm und Unwetter auf den Hannes gewartet und nicht gemerkt hatte, daß es kalt und rauh war. Und nun war alles zergangen zu gar nichts, wie der Schaum da, den der Wind auf dem Maar zusammmenpeitscht, und der dann am Ufer trüb und schmutzig in den toten Binsen zerfließt. Sie weinte nicht, aber ihre Fäuste ballten sich in den Falten des Rockes.

Daß der Müller-Hannes sie nicht heiraten würde, hatte Landscheids Seph immer gewußt – reiche Söhne heiraten keine armen Dirnen – nachgedacht hatte sie freilich weiter nicht darüber. Er war ihr gut und sie ihm, sonst was scherte sie nicht. Sie hatten miteinander geschäkert schon als Halbwüchsige; der herbe Eifelwind hatte sie beide groß und kräftig gemacht, war’s da nicht natürlich, daß sie sein Mädchen geworden war?! All die Jahre, die er beim Militär gewesen, hatte sie sich keinen anderen angeschafft, und als er dann endlich wiedergekommen war, hübscher denn je, männlich und dreist, da war sie ihm an die Brust gestürzt wie eine Bergquelle, die sich ergießen will. Nein, sie wäre ihm nicht böse gewesen, hätte er einmal eine Reiche geheiratet, die der Müller ihm ausgesucht! Aber daß er’s so getan hatte, so mir nichts dir nichts, ihr’s nicht einmal vorher angefragt, ihr einfach den Laufpaß gegeben, als er es an der Zeit fand, das verzieh sie ihm nicht.

»Dän Deiwel soll hän holen, dän schandlusen Kerl! Dau – dau – vermaledeit seiste!« Sie hob die Faust und drohte nach der Mühle zurück mit einer wütenden Gebärde. –

Jetzt suchte Landscheids Seph eine Unterkunft. Oben zu Manderscheid hätte sie wohl ankommen können, im Gasthof dort brauchten sie eine mit starken Armen und eine Hübsche, die den Gästen gefiel; aber das war ihr zu weit, sie wollte nicht weg aus ihrem Dorf, jetzt erst recht nicht, dem Hannes zum Possen. Die Burschen hatte ihr zwar in des Hannes Hochzeitsnacht einen Strohmann vor die Tür gesetzt und eine Katzenmusik gebracht, die ihr noch in den Ohren gellte; aber sie hatte ihnen aus der Dachluke schmutziges Wasser auf die Köpfe gegossen und war doch geblieben.

In dem kleinen erbärmlichen Dorfwirtshaus hatte sie einen dürftigen Dienst angenommen und schuftete vom frühen Morgen an hart, und lag spät nach Feierabend noch auf den Knien am Bach, der ohne Einfaß mitten durchs Dorf rinnt, und klopfte die vergraute Wäsche mit Steinen.

So sah sie den Hannes zum ersten Male wieder, ganz von der Nähe. Sonst hatte sie nur immer flüchtig aus der Ferne einen Blick auf seinen breiten Rücken erhascht: den drehte er ihr vielleicht nicht gerade mit Absicht zu, aber es hatte sich eben immer nicht anders gemacht.

Es war Holzversteigerung gewesen in dem großen Forst, der sich hinter Maarfelden über Höhen und Mulden, riesenhoch und riesenweit, bis hinab ins grüne Salmtal streckt.

Da hatte der junge Müller tüchtig gekauft, grün noch, auf dem Stamm. Seine Holzfäller sollten schlagen; einen ganzen Trupp hatte er gedungen, er betrieb gern alles im großen und hielt sich nicht lange kleinlich bei einer Sache auf. Seiner Tina hatte er heute zeigen wollen, wie man so ein Geschäft beschickt, zwei Pferde wurden angespannt – nur ein Gäulchen paßte dem Hannes schon lange nicht mehr – und so waren sie davongefahren im Chaischen, am hellichten Nachmittag, am ganz gewöhnlichen Werkeltag.

Jetzt kamen sie zurück; rasch rollten die Räder von der Höhe zum Dorf hinab, Staub wirbelte hinter dem Chaischen drein, und die struppigen Köter kläfften. Wer in der Hütte war, eilte neugierig vor die Tür, den reichen Müller zu grüßen.

Die Seph hatte den gebückten Rücken aufgerichtet. Ihre Blicke brannten. Ja, nun konnte er ihr nicht mehr den Buckel zudrehen, jetzt kanm er im Wägelchen direkt auf sie zugefahren, gerad’ auf sie los – Angesicht gegen Angesicht! Wild klopfte ihr das Herz.

Müller-Hannes knallte mit der Peitsche: »Hä, gäwt Obacht, Ihr elao!«

Aber sie rührte sich nicht. Sie blieb auf den Knien und richtete das erblaßte Gesicht steif gegen ihn. In der einen Hand hielt sie das verschmutzte zerissene Arbeitshemd, in der anderen den Stein, womit sie es geklopft hatte. Der dünne Rock klebte ihr am Körper, sie war durchnäßt bis auf die Haut und lag im Schmutz. Die Räder streiften sie und rissen ihr im Vorbeirollen einen Fetzen vom Rock ab, eine ganze Wolke von Staub fiel über sie her; aber sie sah Hannes starr an. »Kennste mich?« schien ihr Blick zu fragen.