Blasphemie

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Christoph Türcke

Blasphemie

Essay

zu Klampen Libelli


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Satz: Zeilenwert GmbH · Rudolstadt · www.zeilenwert.de

Covergestaltung: Melanie Beckmann · Bad Münder · www.design-beckmann.de

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

ISBN 978-3-86674-694-7

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.dnb.de› abrufbar.

Manchmal gelingt es Künstlern, mit wenigen Strichen den Nerv ihrer Zeit zu treffen. George Grosz etwa zeichnete 1928 Christus am Kreuz mit Gasmaske und Knobelbecher. Dem Querbalken des Kreuzes sind beide Enden weggebrochen; die linke Hand Christi, dadurch frei geworden, hält ihrerseits ein kleines Kreuz hoch. Darunter stehen die Worte »Maul halten und weiter dienen«. Daraufhin wurde Grosz der Blasphemie angeklagt. Blasphemein heißt wörtlich »font-family:"LiberationSans",sans-serif; Rosenkohl entstellen«. Heute versteht man darunter zumeist das Verhöhnen von Ritualen und Symbolen, die einer Gemeinschaft als schlechterdings unantastbar gelten. Doch hatte Grosz tatsächlich das Christentum verhöhnt? Keineswegs. Seine Zeichnung war ein Seismogramm des ersten Weltkriegs. Der hatte Christus mit Gasmaske und Knobelbechern zeitgemäß zugerichtet. Grosz selbst war bloß der Zeuge dieser Untat, der sie so im Bilde festzuhalten wusste, dass er dem Kreuz etwas von seinem authentischen Charakter als Folter- und Hinrichtungsinstrument zurückgab, den es als Symbol, das auf dem Altar steht oder das der Geistliche feierlich schlägt, längst entbehrte. Wie anders hatte es doch angefangen. Ein paar Juden aus Galiläa hatten einen Gekreuzigten als Sohn Gottes ausgerufen und damit das bestialische Hinrichtungswerkzeug, das die Römer bei Kapitalverbrechen bevorzugten, mit dem Gott Israels zusammengedacht. Das war die eigentliche Ungeheuerlichkeit des Urchristentums gewesen: »den Juden ein Ärgernis, den Griechen eine Torheit« (1. Kor 1,23), wie Paulus sagt, der die Botschaft von der rettenden Kraft eines Gekreuzigten anfänglich als Blasphemie verfolgte, ehe er zu ihrem wichtigsten Apostel wurde. Das Christentum ist unter Blasphemieverdacht entstanden; es ist dafür verfolgt und in die Mission getrieben worden; es hat die gemarterte Menschlichkeit Jesu als das Vexierbild eines Gottes beschworen, der bald, in allernächster Zeit, aller Marter ein Ende machen sollte. Doch wo blieb er? Statt des Reiches Gottes kam die Kirche. Im Zuge ihres Aufstiegs zur römischen Staatsreligion wandelte sich das Kreuz vom Symbol der gemarterten Menschlichkeit zum Triumphzeichen. »In diesem Zeichen wirst du siegen«, soll Konstantin eine Stimme im Traum gesagt haben – und zwar vor der Schlacht gegen seinen Konkurrenten um die Kaiserwürde. Damit war die skandalöse Botschaft des Kreuzes auf nicht minder skandalöse Weise umgewertet. Grosz hat dafür eine zeitgemäße Bildsprache gefunden. Die Gasmaske als Wahrzeichen des Weltkriegs, als das Gerät, das den Gekreuzigten nicht einmal mehr sein »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen« (Matth 27,46) schreien lässt, stattdessen die lakonische Unterschrift »Maul halten und weiter dienen«: das ist weit eher Kreuzestheologie des 20. Jahrhunderts als Blasphemie.

Und wenn dennoch viele Zeitgenossen nichts anderes darin wahrzunehmen vermochten als die handfeste Beleidigung ihrer religiösen Gefühle? Dann zeigt das, was für ein dunkles Kapitel religiöse Gefühle sind. Die fallen ja nicht klar und rein vom Himmel, sondern formen sich in langwieriger, komplexer Entwicklung. An ihrem Anfang steht der Naturschrecken, der die nervliche Konstitution altsteinzeitlicher Hominiden derart durchdrungen haben muß, daß sie zu seiner Bewältigung eine eigene Technik entwickelten: die Wiederholung des Schrecklichen. Es gibt keine menschliche Kultur, an deren Anfang nicht der Opferkult stünde, und geopfert wurden nicht Schnecken oder Frösche, sondern das Kostbarste: Menschen und Großtiere. An einzelnen Auserwählten wiederholt das Kollektiv die traumatisierende Naturgewalt, von der es heimgesucht wurde, um dem Schrecklichen durch seine ständige Wiederholung allmählich den Schrecken zu nehmen. Das Opferritual verläuft nach der Logik des traumatischen Wiederholungszwangs. Und bis aus den ersten diffusen, reflexartigen Wiederholungen rituell geregelte Opfer wurden, bis die höheren Schutzmächte, denen man sie darzubringen meinte, die Kontur von Totems, Ahnen oder Göttern annahmen, und bis schließlich die Vorstellungen solcher Mächte sich so in den Erregungshaushalt eines Kollektivs eingenistet hatten, dass es sie als sein Ein und Alles, als das schlechterdings Heilige und Identitätsstiftende empfand, dürften Zehntausende von Jahren verflossen sein. Jedenfalls ist ein für modernes Zeitempfinden nahezu unvorstellbar langer Disziplinierungs- und Sublimierungsprozess erforderlich, damit Rituale, Kult- und Glaubensinhalte als so natürlich empfunden werden, als seien sie der ganzen Menschheit an der Wiege gesungen.

Das sogenannte Heilige ist, wie Rudolf Otto gezeigt hat, zunächst keineswegs das Gute oder Sittliche, sondern dasjenige, was ungeheuerlich und übermächtig daherkommt. Schrecken und Schauder sind seine Attribute. Sie bilden den Bodensatz des religiösen Gefühls. Ehrfurcht und Respekt sind schon seine hochkulturellen Ausformungen, die sprachlose Verzückung ist seine äußerste Firnisschicht. Religiöse Gefühle umfassen ein ganzes Register: vom finstersten Opferschauder bis in die zarten Höhen der Mystik. Und sie sind, strenggenommen, ein Missverständnis. Gefühle als solche können peinlich oder angenehm, dumpf oder stechend, erhebend oder bedrückend, stark oder schwach sein, aber nicht religiös oder profan. Es gibt lediglich Gefühle, die von den Betroffenen als derart durchdringend, erschütternd, erhebend oder beglückend empfunden werden, dass sie folgern: Das war mehr als bloß profan; da muss mich eine höhere Macht angerührt haben. Doch eine Folgerung ist kein Gefühl. Niemand fühlt Gott oder das Heilige direkt, sondern allenfalls etwas, was er für Gott oder heilig hält.

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