DER SCHLACHTFELDTRIP

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DER SCHLACHTFELDTRIP
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Christoph Hochberger

DER SCHLACHTFELDTRIP

Eine rabenschwarze Novelle

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Inhaltsverzeichnis

Titel

DER SCHLACHTFELDTRIP - eine rabenschwarze Novelle

Impressum neobooks

DER SCHLACHTFELDTRIP - eine rabenschwarze Novelle

1977, irgendwo in Nordhessen.

Wilhelm Lage hob den Bierkrug und verkündete mit dröhnender Stimme: »Ein Hoch auf den Führer!«

»Ein Hoch auf den Führer!«, wiederholten die übrigen Männer am Tisch, bis auf einen.

Nachdem er den Krug abgesetzt und sich den Schaum vom Mund gewischt hatte, fuhr der bärbeißige Maurermeister fort: »Wenigstens halten wir Hitler die Treue.« Er lachte laut. »Der müsste noch mal wiederkommen, wo `s hier von Linken und Kanaken nur so wimmelt!«

Dröhnendes Gelächter folgte seinen Worten.

»So ist es«, pflichtete ihm Jörg Nauman bei.

Wilhelm Lage drehte sich zu seinem Polier um. »Stell dir mal vor, es gäbe keine Leute wie uns. Was sollte denn dann aus Deutschland werden?!«

»Die könnten einpacken«, sagte Jörg Nauman düster. »Prost!«

»Prost!«, riefen auch die Übrigen und stießen an.

Lage grinste breit. Feine Schweißperlen standen auf seiner Stirn. »Und was sagen wir dazu?« Er hob die rechte Hand zum Hitlergruß. Jörg Nauman, Ernst Harbusch und Tim Hauser lachten und riefen: »Sieg Heil!« Fred Allachs schüttelte nur mit dem Kopf.

»Nicht so laut«, drang die Stimme von Erna, der feisten Wirtin der Dorfkneipe hinter der Theke hervor. »Die anderen Gäste.«

Wilhelm Lage drehte sich zu ihr um und rief: »Warum denn? Wenn hier nur echte Deutsche sind, kann das doch niemanden stören.« Er stemmte seine kräftigen Arme in die Seiten und sah sich herausfordernd um. Auch Jörg Nauman suchte den Schankraum mit zu Schlitzen zusammengezogenen Augen nach Andersdenkenden ab. Eine Familie, die zu dieser heißen Mittagsstunde Abkühlung im »Dorfkrug« gesucht hatte, verließ fluchtartig die Kneipe. Lage rief ihnen hinterher: »Ja geht nur, euch verdammte Kaffer brauchen wir hier nicht.«

»Wilhelm!«

Erna kam heran und baute sich vor Lage auf. »Jetzt reicht` s aber. Ich will so was nicht mehr hören.«

»Ach Ernaschätzchen, mach` dich doch nicht verrückt«, sagte Lage und versuchte, ein einnehmendes Lächeln auf sein aufgedunsenes Gesicht zu zaubern. Als er bemerkte, dass sein Charme bei Erna nicht wirkte, umarmte er sie und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Ernas Gesicht rötete sich. Energisch befreite sie sich aus seinem Griff. »Hör auf, Wilhelm. Da versteh` ich keinen Spaß, wenn ihr meine Gäste vergrault.«

Jetzt mischte sich Tim Hauser, der Jüngste am Tisch, ein: »Mensch Erna, außer der Kafferfamilie war doch niemand da.« Er grinste, fuhr sich mit der Hand über seine frische geschorene Glatze und stieß lachend mit den anderen an. Doch Erna ließ sich nicht beirren. Ihre roten Wangen bebten. »Ich find` s schon schlimm genug, dass ihr eure Nazisprüche hier drinnen kloppt, dass ihr das aber auch tut, wenn andere Gäste da sind, geht nicht an.«

»Is jetzt gut Erna«, war eine schneidende Stimme zu vernehmen. »Wir haben `s gehört.«

Erna schnaubte verächtlich und wandte sich ab.

Alle drehten sich zu Jörg Nauman um. Wilhelm Lages Schatten, wie er von den übrigen Männern am Tisch heimlich genannt wurde, starrte ihr nach. »Die soll ma` nich so `ne große Klappe riskieren«, knurrte er bösartig. Wilhelm Lage setzte sich. »Ach, du kennst sie doch. Immer nett zu jedem, und bloß keinen Ärger.« Er schlug seinem Polier auf die Schulter und wollte ihn zum Anstoßen bewegen. »Komm`, trink.«

Doch Nauman schien ihn gar nicht zu hören. Er steigerte sich bereits in einen seiner bekannten Wutanfälle hinein. »Den bekommt sie aber bald, wenn sie nicht aufhört, uns Vorschriften zu machen.«

»Red` nich` so von Erna, sonst kriegst du gleich Ärger!«, drohte Lage plötzlich.

Nauman verbiss sich eine Antwort.

Lage wandte sich an die Übrigen: »Ihr habt` s gehört. Ich will nich`, dass einer schlecht über meine Erna spricht, sonst hau` ich ihm die Zähne ein!«

Stille folgte seiner Drohung. Die Männer schauten in ihre Gläser und räusperten sich. Nauman hielt sein Glas so fest umklammert, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Die Lippen zuckten gefährlich.

Wilhelm Lage sah ihn herausfordernd an. Er wusste, dass sich Jörg Nauman nicht gegen ihn auflehnen würde. Sein Untergebener war schon aus beruflichen Gründen zu klug, um sich mit ihm anzulegen. Davon abgesehen, wussten beide, dass er ihm auch körperlich unterlegen war. Das Verhalten der Männer erinnerte an Rangkämpfe unter Wölfen.

»So, jetzt wollen wir uns alle erst einmal etwas beruhigen«, sagte Ernst Harbusch, der der Szene bisher still gefolgt war. Der aalglatte Banker strich über seinen vor Pomade glänzenden altdeutschen Haarschnitt. »Bei der Hitze ist es ja nicht verwunderlich, dass man gereizt ist ... Erna, bring uns doch noch mal ein Tablett Korn.« Die anderen sahen ihn auffordernd an.

»Äh, und natürlich auch noch eins mit Bier«, fügte er hastig hinzu.

Die Männer nickten. Während die Gruppe auf die Getränke wartete, trat Stille ein.

Tim Hauser versuchte, die Situation zu entspannen. »Mensch Leute, wir woll` n uns doch wegen so `ner scheiss` Kanakerfamilie nicht streiten ...«

»Halt`s Maul, Saustift!«, fuhr ihn Nauman an. Die Wut, die der Polier gegen Wilhelm Lage hatte hinunterschlucken müssen, brach nun auf den Schwächsten der Gruppe los. Tim zuckte zusammen, als hätte er einen Schlag erhalten. Er ging bei Wilhelm Lage in die Maurerlehre, und das letzte, was er sich wünschte, war ein Zwist mit dem gefürchteten Schatten des Chefs. Der duldete ihn ohnehin nur an diesem Tisch, weil er nicht anders konnte. Wilhelm Lage mochte ihn. Nur aus diesem Grund durfte er hier sitzen.

Fred Allachs, der Älteste in der Runde, der bisher kein Wort gesagt hatte, schüttelte missbilligend den Kopf und zog an seinem Zigarillo. Seine achtundsechzig Jahre sah man ihm an. Die Überreste silbergrauer Haare umrahmten eine beachtliche Glatze, die mit Narben bedeckt war. Er saß üblicherweise still auf seinem Hocker, trank und lauschte den Gesprächen der anderen. Doch jetzt wurde es ihm zu viel. Er war kein Nazi. Wenn er es sich genau überlegte, konnte man ihn nicht einmal als Rechten bezeichnen. Denn er, der Einzige in der Runde, der das Dritte Reich und den Krieg wirklich erlebt hatte, interessierte sich seitdem weder mehr für Politik, noch für das Geschwätz irgendwelcher Grünschnäbel. Wenn man ihn gefragt hätte, warum er dann an diesem Tisch saß, hätte er geantwortet, dass er eben in diesem kleinen Dorf groß geworden sei und lebe, und dass er, der einen Weltkrieg überlebt hatte, sich schon lange nicht mehr an den rechten Sprüchen der übrigen Dörfler störte. Darüber hinaus vertrat er die Ansicht, dass in den meisten französischen, englischen und russischen Ortskneipen ähnlich patriotische Gespräche stattfanden, mit dem Unterschied, dass dort anschließend eben auf de Gaulle, Churchill oder Stalin angestoßen wurde. »Ernst und der Junge haben recht. Lasst euch das Bier schmecken und vergesst endlich den Streit.«

Ernst Harbusch lachte erfreut. »Sage ich doch, Prost Fred!«

Fred nickte milde lächelnd und trank. Sein Blick glitt über die straff zurückgekämmten Haare und das feist glänzende Gesicht des anderen. Er hielt nichts von Ernst Harbusch. Der Enddreißiger arbeitete in einem Kreditinstitut in einer nahe gelegenen Stadt und galt unter den Männern als gebildet. Im Alltag trat er als bescheidener, grundsolider Bürger auf, doch hier, im Kreis seiner Freunde, zeigte er sein wahres Gesicht. Er war NPD Mitglied und Nationalsozialist aus tiefstem Herzen. Wenn er von der Wiederkehr des Deutschen Reiches schwärmte, sich über die, seiner Meinung nach herrschende Weltjudengefahr ausließ oder laut darüber nachdachte, wie es machbar wäre einen Regierungswechsel zu vollziehen, lauschten ihm die übrigen Männer fasziniert. Fred hingegen fragte sich immer wieder erfolglos, wie es den Eltern dieses satten Wohlstandkindes gelungen war, ihrem Nachwuchs eine derart verquere Weltsicht einzutrichtern.

Er zog an seinem Zigarillo und sah zum Wortführer des Stammtisches hinüber. Wilhelm Lage war ein Prolet. Ein Dummkopf, der nie etwas anderes von der Welt gesehen hatte, als seine Baustellen und die Ostsee, wohin er einmal im Jahr in den Urlaub fuhr. Hier am Stammtisch markierte er den starken Mann. Fred lächelte. Zuhause hatte er wahrscheinlich nicht viel zu melden. Und Jörg Nauman? Der war ein grundunzufriedener Mensch, der nie begreifen würde, dass die Lösung seiner Probleme bei ihm selbst lag. Er war gehässig und verschlagen, ein widerlicher Kerl.

Einen Augenblick lang fragte sich Fred, was er hier verloren hatte, doch dann schüttelte er den Kopf. Er war zu alt und zu feige, um sein Leben jetzt noch zu ändern. Umziehen, neue Menschen kennenlernen? Das überließ` er lieber den Jüngeren. Denen, die noch alles vor sich hatten, so wie Tim.

Sein Blick glitt zu Tim Hauser. Das Jüngelchen hielt sich für einen Skinhead; was immer das auch bedeuten sollte. Er war neunzehn Jahre alt und hatte keine Ahnung vom Leben, doch er glaubte, ein Faschist zu sein. Für den Stammtisch stellte er die Verbindung zur Dorfjugend dar. Das war besonders wichtig für Ernst Harbusch, der bei den Skinheads des Öfteren Saalordner für die Versammlungen seiner Partei rekrutierte. Fred verzog das Gesicht. Das nahm er Ernst Haarbusch übel. Der machte nicht mal vor der Dorfjugend halt!

 

Plötzlich riss ihn Wilhelm Lages polternde Stimme aus seinen Betrachtungen. »Lasst uns lieber etwas aus der guten alten Zeit hören.« Er sah Fred Beifall heischend an. »Wo doch ein echter Kriegsveteran mit am Tisch sitzt.«

Fred gelang es, sich sein Missfallen nicht anmerken zu lassen. Wenn sie getrunken hatten, forderten sie ihn meist dazu auf, aus dem Krieg zu erzählen. Dann gab es kein Entrinnen. Eigentlich hätte er ja längst daran gewöhnt sein müssen.

Tim Hausers Augen glänzten. »Fred, du warst doch dabei. Erzähl` uns doch noch mal von der Invasion.«

Fred zuckte unmerklich zusammen, als er an den schrecklichsten Tag seines Lebens erinnert wurde.

»Das muss heut` nicht sein, Junge«, sagte er langsam. »Ich versteh` ja, dass dich das interessiert, aber ...«

»Nun erzähl dem Jungen schon wie`s war, Fred«, brummte Wilhelm Lage. »Wie soll aus der Jugend denn was werden, wenn sie keine Vorbilder hat. Und du bist eins«, fügte er gewichtig hinzu.

Fred trank noch einen Schluck Bier. »Also gut.« Er wusste, was die Trinkkumpane hören wollten. Schließlich forderten sie immer wieder diese Geschichte von ihm. Er war tatsächlich einer der wenigen deutschen Überlebenden des 6. Juni 1944, jenes Tages, als die alliierten Streitkräfte Hitlers Atlantikwall angriffen, um erst Frankreich und schließlich ganz Europa aus dem Würgegriff der Nazis zu befreien. Diesen Tag würde er niemals vergessen. Er hatte als einfacher Soldat in einem Maschinengewehrnest oberhalb jenes Strandabschnitts Dienst getan, der unter dem Namen »Omaha Beach« zu trauriger Berühmtheit gelangen sollte. Er begann zu erzählen und versank dabei in Erinnerungen ...

Im Morgengrauen wurden Fred und seine Kameraden unsanft von Alarmsirenen geweckt. Sofort warfen sie sich in ihre Uniformen über, nahmen ihre Waffen auf und stürzten aus den Bunkern. Wahrscheinlich nur eine der zahllosen Alarmübungen, die in den letzten Wochen bei der 716. Infanterie-Division abgehalten wurden. Fred und seine Kameraden wussten, dass Feldmarschall Rommel zur Zeit zu Hause, bei der Familie weilte. Und da ohnehin jedermann glaubte, dass der sicherlich bevorstehende Angriff weiter nordöstlich am Kanal, vielleicht bei Pas - de - Calais stattfinden sollte, trauten die Männer ihren Augen nicht, als sie ihre Stellungen besetzten: Der Horizont war mit länglichen, schwarzen Schatten übersäht, von denen kleine weiße Wolken aufstiegen. Gleichzeitig rasten Geschwader feindlicher Flugzeuge mit dröhnendem Motorenlärm auf die Küste zu. Einen Augenblick später heulte es in der Luft, dann begann die Erde zu beben ...

Die Augen der Stammtischmitglieder weiteten sich, als Fred das rasende Bombardement beschrieb, mit dem die Alliierten die normannische Küste über eine Stunde lang in Schutt und Asche gelegt hatten, sodass Fred und seinen Kameraden nicht anderes übrig blieb, als in Deckung zu gehen und den Höllentanz abzuwarten ...

Als die Einschläge und Explosionen endlich nachließen, hoben Fred und die wenigen Überlebenden seiner Einheit die Köpfe. Inzwischen erreichten die amerikanischen Landungstruppen den Strandabschnitt, den Freds Zug zu sichern hatte ...

Während er mit seinen Beschreibungen fortfuhr, wurde sein Tonfall immer eindringlicher, die Bilder genauer. Mit bebender Stimme berichtete er von grüngrauen »Männchen«, die weit unten am Strand völlig sorglos aus ihren Landungsbooten stiegen, weil sie wohl annahmen, dass das Bombardement ihrer Flotte alle deutschen Widerstandspunkte vernichtet hätte - und das darauf folgende Maschinengewehrfeuer seiner Kameraden. »Sie hatten nicht die geringste Chance, sie wurden einfach niedergemäht. Hunderte, in wenigen Minuten!« Fred sah auf. »Unsere MG Schützen haben gefeuert, bis die Rohre glühten. Wir haben Handgranaten geschmissen und mit Panzerfäusten in die Amis reingeschossen, aber die haben immer mehr Soldaten an den Strand gekarrt. Das war unglaublich«, presste er hervor. »Sie sind wie die Fliegen verreckt und trotzdem kamen immer mehr.« Er lehnte sich zurück. »Irgendwann haben sie`s dann doch die Dünen raufgeschafft und uns alles zurückgegeben, was wir ihnen vorher eingeschenkt hatten.« Er betastete abwesend seinen Bauch. »Wenn ich nicht von einem Splitter getroffen worden wäre, dann hätten sie auch mich getötet. Sie waren so wütend, dass sie fast alle anderen umgemacht haben. Nur die Schwerverwundeten, wie ich, die schon halbtot waren, sind verschont worden. Und das auch nur, weil`s deren Sturmtruppen eilig hatten, weiter ins Landesinnere reinzukommen ...«

Schweigen folgte seiner Erzählung. Doch es war keine betretene Stille. Es lag eher ein Hauch von Ehrfurcht über den Anwesenden. Die Männer liebten diese und andere Geschichten von Fred Allachs. Fühlten sie sich in ihrem seltsamen Denken doch den Kämpfern nahe, die damals »ihren Hals für das Vaterland« riskiert hatten.

Wilhelm Lage fluchte in sich hinein. Hätte er doch nur jemals die Gelegenheit erhalten, solche Heldentaten zu vollbringen!

»Doch das alles war nichts im Gegensatz zu dem, was mein Vater erlebt hat«, murmelte Fred plötzlich vor sich hin. Jörg Nauman sah auf und auch Ernst Harbusch, Tim Hauser und Wilhelm Lage wurden hellhörig. Von seinem Vater hatte der Veteran noch nie etwas erzählt.

»Dein Vater?«, fragte Lage gedehnt. »Was hat der denn erlebt?«

Fred hob den Kopf und sah ihn lange an. »Mein Vater hat im Ersten Weltkrieg gekämpft, vor Verdun.«

Die anderen sahen ihn verständnislos an.

»Ihr wollt doch nicht behaupten, dass ihr noch nie etwas von Verdun gehört habt?!«

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