Das Gespinst vom Gouffre

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Das Gespinst vom Gouffre
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Christoph Hochberger

Das Gespinst vom Gouffre

Kurzgeschichte

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Christoph Hochberger

Impressum neobooks

Christoph Hochberger

Das Gespinst vom Gouffre

Eine unheimliche Kurzgeschichte

Es war ein heißer Augustnachmittag im Jahre 1869, als ich mit meinem geliebten Weibe zum ersten Mal die Landzunge Plougrescant in der Nordwestbretagne bereiste. Die kleine Reisegesellschaft, bestehend aus einigen wohlhabenden Bürgerfamilien, verließ` die Kutschen und verteilte sich unter Lachen und freudiger Erwartung in die Landschaft. Kindermädchen, Kutscher und Diener hatten alle Hände voll zu tun, um ihre Pflichten inmitten des ungezügelten Haufens zu erfüllen. Die Hausdiener bemühten sich redlich, die Picknicktischchen aufzustellen, die Damen mit gekühltem Punsch und die Herren mit Zigarren und Drinks zu versorgen. Derweil riefen und liefen die armen Hausmädchen den Kleinen nach. Während also „Kind und Kegel“ schreiend und lachend durch die wilde Landschaft stob, zog ich es vor, mit meinem Weib einen schönen Gang in die Einsamkeit zu unternehmen. Der Krach der anderen war uns ohnehin eine Last und so hielt uns nichts am Platze. Ich bat einen der Diener, mir ein Körbchen mit Leckereien und kühlem Trunk zu reichen.

Dann brachen wir Richtung Küste auf. Während Mrs Corrington einfach die Landschaft genoss, wollte meine Wenigkeit unbedingt die Felsenschlucht des Gouffre sehen. Ein bretonischer Fischer hatte mir vor Tagen vom sogenannten „Schlund“ berichtet, durch den in wüsten Nächten das Meer hindurch donnern sollte, sodass es noch weithin zu hören war. Mrs Corrington hatte mein Ansinnen als eine für einen Mann verständliche, aber an einem solch heißen Sommertage völlig unbedachte Idee abgetan. Ich jedoch hatte insistiert und angeführt, dass ich ansonsten alles täte, wonach meiner wunderschönen Mrs der Sinn stehe. Jetzt könne sie auch einmal über ihren zarten Schatten springen.

Und siehe da - sie hatte nachgegeben.

Wir schlenderten also der Küste entgegen, die unter einer nebeligen Dunstglocke hing. Ganz so, als befinde man sich im Hafen von London, nicht am westlichen Rande Frankreichs, bemerkte Mrs Corrington unmutig. Ich zog es vor, zu schweigen. Um uns herum türmten sich mächtige Granitfelsen auf, die von Farnen und Heidekraut überwuchert waren. Die wenigen krumm gebeugten Bäume, die den Weg flankierten, sahen aus, als habe sie ein Riese niedergedrückt. Ich hatte schon viele hübsche, wilde und verwunschene Orte in dieser geheimnisvollen Bretagne gesehen, doch dieser hier übte sofort eine hohe Anziehungskraft auf mich aus.

Als wir endlich am „Schlund“ angekommen waren, hatte es dort brütende Ebbe und die berühmten Granitfelsen glosten in der Hitze. Ein beeindruckender Anblick, nur leider ohne Meer.

Mrs Corrington sah mich missbilligend an.

Bevor ich eine Entschuldigung murmeln konnte, kam ein altes Bretonenweib um einen Felsen gehumpelt. Es trug einen Korb mit Muscheln. Als das Mütterchen unserer ansichtig wurde, grüßte es freundlich und fragte dann in gebrochenem Englisch, ob wir ein paar Moules kaufen wollten. Als ich ablehnte, fragte die Alte, warum wir in dieser Hitze hier wären. Ich erklärte, dass ich „den Schlund“ habe sehen wollen. Sie lächelte, und meinte, dass wir da schon bei Sturm kommen müssten. Aber in dem alten Schloss, dort oben auf dem Hügel – dabei zeigte sie landeinwärts – gäbe es Schatten und gute Bewirtung. Mrs Corrington und ich folgten ihrem Arm und erblickten tatsächlich ein altes Schlossgemäuer, nicht weit oberhalb von dort, wo wir aufgebrochen waren.

„Es sieht unbewohnt aus“, bemerkte ich.

„Nein“, dort befindet sich eine kleine Wirtschaft“, meinte die Alte. „Seit die Herren fort sind.“

„Die Herren?“, fragte ich. „Die ehemaligen Besitzer?“

Die Alte sah mich lächelnd an. „Kaufen sie mir ein paar Moules ab, dann werde ich ihnen die Geschichte erzählen.“

Mrs Corrington schien Gefallen an der Frau zu finden und auch mich rührte ihre Art an. Was sollte es auch? Ich hob ihr die Hand entgegen: “Kommt, Madame. Esst und trinkt mit uns, denn wir haben alles dabei. Und wenn eure Geschichte gut ist, dann kaufe ich auch ein paar Moules.“

Die Alte nickte.

Wir ließen uns nieder und sie begann von den Zeiten kurz nach der Revolution zu erzählen, als sich auf dem Schloss am Hügel Seltsames ereignete. Die Stimme des Weibes schien lauter zu werden und in der Hitze des Mittags dämmerte ich völlig in ihre Erzählung hinüber ...

… Eine Sturmnacht peitschte über die Küste der Halbinsel von Plougrescant. Die Bauern und Fischer hatten sich eilig in ihre Steinhäuser zurückgezogen und überall wurden die Fenster verhangen. Aus der Höllenbucht schienen, wie bei solchen Stürmen oft, die Schreie der Verdammten zu erklingen und auch im Schlund, nah bei dem kleinen Château am Gouffre, donnerte die Brandung mächtig.

Graf Grimbert sah aus dem Fenster seines Gemachs. Draußen tobte der Sturm. Er verwandelte die sonst so friedliche Landschaft um sein Refugium herum in eine bedrohliche Kulisse. Ein steifer Nordost peitschte das Meer und walkte die Fluten, bis sie über die Küste hereinbrachen. Dort fraßen sie sich mahlend durch die zerfurchten und verformten Felsformationen der Küste, als wollten sie alles Land verschlingen, bis ihre Kraft erstarb und sie sich zurückziehen mussten, um dann erneut vorzupreschen.

Die Augen des Grafen versuchten die Nacht zu durchdringen.

Wo sich sonst im Abendrot feine Nebelgespinste zwischen den uralten Felsen hindurchwebten, war nun tiefes Schwarz. Wo sonst die Bauern das Feld pflügten, war Schwarz; überall nichts als schwarze Nacht. Und über allem der in ohnmächtiger Wut tosende Wind. Und so fühlte sich auch der Graf im Innersten: verletzt und schwarz und tosend. Doch wenn er aufsah, erblickte er zwischen jagenden Wolkenfetzen einzelne Sterne am Firmament. Lichtpunkte, die von weither zu ihm kamen, die ihm sagen wollten, er möge das Haupt nicht sinken lassen.

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