Segretissimo, streng geheim!

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Segretissimo, streng geheim!
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Christoph Franceschini

Segretissimo – Streng geheim!

Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte


Zum Buch

Werden die Anschläge in Südtirol vom Osten gesteuert? Eine zentrale Frage, der Reinhard Gehlen und der Bundesnachrichtendienst BND jahrelang nachgehen. Die Attentate der 1960er-Jahre locken zahlreiche Geheimdienste ins Land. Dabei werden Agents Provocateurs eingesetzt, fingierte Bombenanschläge verübt, illegale „schmutzige Aktionen“ durchgeführt, Spitzel enttarnt und umgedreht. Es kommt zu eigentümlichen Kooperationen wie etwa des BND mit italienischen Diensten, zu versuchten Entführungen in Innsbruck und zu Mordplänen gegen Landeshauptmann Silvius Magnago.

Stimmen zum ersten Band

„Eine Pionierarbeit mit einer Vielzahl unterschiedlichster Quellen, mit klugem Aufbau und flüssiger Schreibe.“

Erich Schmidt-Eenboom, Geheimdienstexperte

„Die Bozen- und Südtirol-Krimis verblassen bei dieser Geschichte über Agenten und Spione. Die Realität ist spannender und knisternder.“

Wolfgang Mayr, RAI Südtirol

„Franceschinis Buch liest sich wie ein mit Endnoten unterfütterter Spionage-Reißer.“

Joachim Leitner, Tiroler Tageszeitung

Die Drucklegung erfolgte mit freundlicher Unterstützung der Abteilung Deutsche Kultur der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol


© Edition Raetia, Bozen 2021

Umschlaggestaltung: Philipp Putzer, www.farbfabrik.it

Umschlagbilder: Titelseite Tatortbild des tödlichen Feuerüberfalls auf die beiden Beamten der Finanzwache Salvatore Cabitta und Giuseppe D’Ignoti am 24. Juli 1966 in St. Martin in Gsies (Foto: Carabinieri di Bolzano, Abate Salvatore, Fascicolo Fotografico, Landesgericht Bozen). Rückseite Reinhard Gehlen München, 7. April 1972 – wahrscheinlich das erste öffentliche Bild Gehlens, geschossen am Rande der Beerdigung von Franz Halder. (ap / Dieter Endlicher).

Druckvorstufe: Typoplus, Frangart

Printed in Europe

ISBN 978-88-7283-735-1

ISBN Ebook 978-88-7283-817-4

Unseren Gesamtkatalog finden Sie unter www.raetia.com.

Bei Fragen und Anregungen wenden Sie sich bitte an info@raetia.com.

Inhalt

Vorwort

General Gehlen, Magnago & die „Stasi“

Der Mann im Vatikan

Viktoria Stadlmayer alias „Stasi“

„Kontakt mit der Firma“

50 V-Männer für Südtirol

Giovanni Gehlen & Südtirol

Aufregung um Terroristenausbildung

Der Vertrauensjournalist

Diener zweier Herren

SS-Seilschaften im Einsatz

Die Spur in den Osten

Nach Kenntnisnahme vernichten!

Das Wiener Handelskontor

Innsbrucker Jesuit und Professor

„Kleiner Jude“

Römischer Molotowcocktail

Notring für Südtirol

„Umdrehen“ eines Agenten

Der Doppelagent in Montecitorio

Geheimdienststudie zum Südtirol-Terrorismus

Jüdischer Agent der Gestapo?

Ausspähungsziel österreichische Botschaft

„Die Monopolstellung der SVP brechen“

Gefährliche Nachforschungen

Neuer Arbeitgeber BND

Heini, Ada & die „Pusterer Buben“

Gescheiterte Verhaftung

Im Dienste der Finanzwache: „Berta“ und das „Centro I“

Die Abrechnung

Die Schwägerin des Weihbischofs

Liebesgrüße aus Mailand

Bezahlte Bombenleger

Fall 1: Der Koffer des Georg Klotz

Der selbst ernannte Architekt

Informant John

Mord an Magnago

Fall 2: Der Söldner aus Belgien

Zechpreller und Nationalist

Anwerbung eines Kleinkriminellen

Anruf bei Oberst Marzollo

Nachspiel in Zürich

Nachrichtenbörse Wien, München, Rom

Der gestiefelte Kater

300 Spitzelberichte zum BAS

Professor als Führungsoffizier

Der jüdische Nachrichtenhändler

Der Schmetterlingsforscher

Das Doppelleben des Verlegers Sessler

Sesslers „ARP“ und „K4T“

„Speziell auch Tirol“

Treffen in Paris

Ein Wiener Gewohnheitsverbrecher

Gefährlicher Liebhaber

Die Anwerbung

Die zweite Bombe

Lockung und Abhörung von Klotz

Mata Hari in den Alpen

Vespa, notorische Schulden & Vatikan

Die Burger-Entführung

Agententreff am Brenner

Gefährliches Versteckspiel

De Lorenzos Spezialeinheit

Sprengfalle Landshuter Hütte

Abgehörte Telefongespräche

 

Versuchskaninchen Massak

Die Inszenierung

Tod auf der Porzescharte

Der Hinterhalt

Gemeinsamer Lokalaugenschein

Die Fälschung

Das Holzkästchen

Das Brieffragment

Anhang

Anmerkungen

Abkürzungen

Glossar

Personenregister

Bildnachweis

Danksagung

Der Autor

Vorwort

Es ist ein Lächeln, das sich irgendwo zwischen Unverständnis und Mitleid bewegt. So kann man die Reaktion vieler etablierter Historiker beschreiben, wenn man erklärt, dass man zum Thema Geheimdienste arbeitet. Die Beschäftigung mit den Nachrichtendiensten wird von der traditionellen Zeitgeschichtsforschung immer noch als obskure Leidenschaft abgetan oder dem Bereich der Verschwörungstheorien zugeordnet. Nur allzu gern überlassen die promovierten Geschichtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler diese Materie den Journalistinnen und Journalisten. Wobei diese Berufsbezeichnung von der akademischen Kanzel herab meistens abwertend gemeint ist.

Dabei ist die Forschung im Bereich der Nachrichtendienste, etwa in den angelsächsischen Ländern, längst zu einer anerkannten wissenschaftlichen Disziplin geworden. In den USA, aber auch in Großbritannien sind die sogenannten „Intelligence Studies“ ein Teilbereich der akademischen Welt. Zudem haben Nachrichtendienste wie die US-amerikanische CIA (Central Intelligence Agency), der englische MI6 (Military Intelligence, Section 6) und inzwischen auch der deutsche BND (Bundesnachrichtendienst) eine Reihe von Historikerinnen und Historikern in ihren Reihen, die die Geschichte der eigenen Organisation akribisch aufarbeiten.

Während in Italien oder Österreich immer noch eine Kultur der völligen Abschottung, des Misstrauens und der Unzugänglichkeit nachrichtendienstlicher Archive vorherrscht (obwohl in Italien unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi per Gesetz eigentlich eine Öffnung nach 30 Jahren festgelegt wurde, hat man dieses Gesetz mangels Durchführungsbestimmungen bis heute nicht umgesetzt), sind in den USA, in England, in Deutschland oder auch in Tschechien die Archive der Dienste für Forscherinnen und Forscher sowie Interessierte im Sinne der Transparenz längst geöffnet worden.

Gerade hier aber prallen zwei Welten aufeinander: auf der einen Seite das Interesse der Forschung, Aktionen, Operationen und Hintergründe möglichst detailliert nachzuzeichnen, auf der anderen Seite die natürliche Aufgabe der Nachrichtendienste, ihre Arbeitsweise, ihre Methodik und vor allem ihre Spitzel, Agentinnen, Mitarbeiter, Informanten und Quellen vor einer Offenlegung zu schützen. Dass daraus ein kaum überbrückbarer Konflikt entsteht, wurde in den vergangenen Jahren im Rahmen der Arbeit der „Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945−1968“ (UHK) deutlich.

Doch trotz vieler Steine, die einem in den Weg gelegt werden, ist heute anhand der zugänglichen Akten und in Italien anhand vieler Akten aus verschlossenen Archiven der verschiedenen Sicherheitsbehörden, die in Gerichtsakten Hunderter Verfahren eingeflossen und damit zum größten Teil „deklassifiziert“, also freigegeben worden sind, eine seriöse Aufarbeitung dieser Vergangenheit und teilweise auch Gegenwart möglich.

Südtirol ist ein kleines und unter einigen Gesichtspunkten auch provinzielles Land an der Schnittstelle zwischen zwei Kulturen. Als wichtigste Alpentransversale war dieses Gebiet historisch dazu prädestiniert, zu einer Operationszone für Nachrichtendienste und zum Schauplatz verdeckter Aktionen verschiedenster in- und ausländischer Sicherheitsbehörden zu werden. In dieser Buchreihe werden einige dunkle und bisher unbekannte Kapitel dieser klandestinen Geschichte aufgearbeitet.

Es handelt sich um Regionalgeschichte mit einem klaren Bezug zur nationalen und internationalen Welt der Nachrichtendienste, aber auch um den Versuch, Akten aus Archiven in Deutschland, Italien, Österreich, der Schweiz, Tschechien und den USA zu einem Gesamtbild zu fügen, das dem Anspruch wissenschaftlicher historischer Forschung gerecht wird. Ob dieses Unterfangen erfolgreich war, wird die Zukunft weisen. Vor allem aber mögen das Berufenere beurteilen.

Auch im vorliegenden Band liegt der Fokus auf den sogenannten Südtiroler Bombenjahren. Dabei zeigt sich, dass aufseiten der Dienste immer wieder dieselben Personen am Werk waren und sich die Handlungsweisen in vielen Fällen mehr als nur ähneln. Südtirol war jahrelang die Trainingshalle für unorthodoxe, „schmutzige Aktionen“ vor allem der italienischen Nachrichtendienste. Hier wurde das vorbereitet, was man später die „Strategie der Spannung“ nannte, nämlich jene zahlreichen Terroranschläge der 1970er- und 80er-Jahre, die unter „falscher Flagge“ von italienischen Geheimdiensten, Rechtsextremisten und der Geheimloge P2 (Propaganda Due) ausgeführt wurden – mit dem Ziel, die Linke nach der Einbindung der Kommunistischen Partei (PCI) in die Regierung zu diskreditieren und den Staat zu destabilisieren. Bevor diese Aktionen auf nationaler Ebene umgesetzt wurden, erfolgte quasi der Probelauf in Südtirol.

Daraus aber den allzu einfachen Schluss zu ziehen − wie es heute von politisch motivierten Kräften immer wieder geschieht −, dass die Männer des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) allesamt Engel und gewissermaßen gewaltlos agierende Idealisten waren und alle Attentate und Vorfälle, bei denen es Tote gab, von den Geheimdiensten verübt wurden, ist nicht nur historisch falsch, sondern fahrlässig.

Was aber sicher stimmt: Einiges hat sich nicht so abgespielt, wie es bis heute dargestellt oder auch in den Gerichtsakten festgehalten wird. So etwa findet sich in diesem Buch unter anderem eine neue Lesart des blutigen Anschlages auf der Porzescharte, die sich weniger mit den Tätern als mit der Möglichkeit befasst, dass man im Nachhinein Beweise fabriziert hat, um ihrer habhaft zu werden.

Mit besonderer Genugtuung erfüllt es mich, dass das Interesse der Leserinnen und Leser an diesem Thema überwältigend ist. Zusammen mit dem vorliegenden Buch geht nämlich die dritte Auflage des 2020 erschienenen ersten Bandes „Geheimdienste, Agenten, Spione. Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte“ in Druck. Der erste Band hat weit über Südtirol hinaus Interesse und Aufmerksamkeit erregt.

Was mich dabei am meisten überrascht hat, sind die vielen Rückmeldungen, die ich erhalten habe und immer noch erhalte. Es haben sich Dutzende Menschen gemeldet, um mir Fakten, Erlebnisse und Details mitzuteilen, die mit jenen Personen und Ereignissen zusammenhängen, die im ersten Band beschrieben werden. Es sind zum Teil Ergänzungen, aber auch neue, äußerst interessante Aspekte, die einer Vertiefung bedürfen und ganz sicher in meine weiteren Arbeiten einfließen werden.

Jenen Kollegen, Mitstreiterinnen und Freunden, die mir bei meiner Forschungsarbeit in den vergangenen zwei Jahrzehnten selbstlos und kompetent mithilfe und Rat zur Seite gestanden haben und immer noch stehen, danke ich von Herzen. Ohne sie wären diese Bücher nie erschienen.

Den Leserinnen und Lesern wünsche ich eine aufschlussreiche und spannende Lektüre.

Christoph Franceschini

General Gehlen, Magnago & die „Stasi“


Südtirol-Expertin Viktoria Stadlmayer: „Direkter Draht zur Firma nach München“.

Reinhard Gehlen, Gründer und erster Präsident des BND hat ein persönliches Interesse und Naheverhältnis zu Südtirol. Aus seinem Vorzimmer wird jahrelang eine Informantin geführt, die über besonders exklusive Informationen zu Südtirol und dem „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) verfügt: Viktoria Stadlmayer. Es ist ein Kapitel der Tiroler Zeitgeschichte, das bis heute im Dunkeln liegt.

Es ist nicht einfach, das Schriftstück zu entziffern, das der Autor im März 2015 im Lesesaal in Pullach in den Händen hält. Zwei Jahre hatte er nach der Antragstellung gewartet, bis er Zugang zum Archiv des „Bundesnachrichtendienstes“ (BND) erhalten hat. Nun liegen die Akten endlich vor ihm. Über 2.500 Seiten zum Thema Südtirol, die vom Bereich Archivwesen des BND nach eingehender Prüfung deklassifiziert und mit etlichen Schwärzungen freigegeben wurden. In dem schmalen Akt geht es um eine Anfrage des Bayerischen Landeskriminalamtes (BLKA) an den BND in Sachen Südtirol und um die „Frage der Federführung in der Südtirol-Angelegenheit“.1 Darin enthalten ist eine handschriftliche Notiz, datiert auf den 28. November 1961:

Bei Rücksprache mit Dr. Lückrath habe ich den Eindruck gewonnen, dass unser Dienst viel mehr Verbindungen nach Südtirol hat, als in der uns vorliegenden Meldungsübersicht erscheinen. […] Dr. L. glaubt z. B. sicher zu sein, dass Dr. Magnago selbst in irgendeiner Verbindung zum BND steht. Bevor man die Vielzahl dieser möglichen Indiskretionspunkte nicht in den Griff bekommt, ist die Frage von L 180 aus hiesiger Sicht mir nicht möglich zu beantworten.2

Südtirols Landeshauptmann Silvius Magnago soll persönlich mit dem BND in Verbindung gestanden sein? Das wäre ein Clou. Aber zuerst ist es vor allem akribische Recherchearbeit, um die vielen Verbindungslinien zusammenzuführen und das komplexe System von Deck- und Tarnnamen zu enthüllen. Denn bereits diese wenigen handschriftlichen Zeilen machen eine grundsätzliche formale Schwierigkeit in der Beschäftigung mit den Nachrichtendiensten im Allgemeinen und mit dem BND im Besonderem deutlich: Die Abschottung nach außen aber auch nach innen gehört zur Natur von Nachrichtendiensten. Grundsätzlich versucht man die eigene Struktur so zu verschleiern, dass Außenstehende sich äußerst schwertun, die Organisation zu durchschauen und einzelne Dienststellen und Mitarbeiter zu identifizieren. Wie obiges Zitat zeigt, sollen sich Verbindungslinien auch intern nur einem kleinen Kreis erschließen. Alle Geheimdienste greifen deshalb nicht nur für ihre Spione und Agenten auf Deckbezeichnungen zurück, sondern auch das eigene Personal bekommt Decknamen, die es im Dienst verwenden muss. Diese Namen werden mit DN abgekürzt, was offiziell für „Dienstnamen“ steht.3 Ebenso werden alle Dienststellen und Abteilungen mit Tarnnamen oder Tarnchiffren versehen.

Heraus kommt dabei ein Gewirr an Zahlen, Bezeichnungen und Namen, das nur sehr schwer zu durchschauen und nachzuvollziehen ist. Erschwert wird das Ganze zudem dadurch, dass die gesamte Struktur periodisch immer wieder umbenannt wird – auch das eine Vorsichtsmaßnahme gegen eine Enttarnung durch feindliche Dienste – und dass eine Person oder eine Dienststelle gleichzeitig unter mehreren verschiedenen Decknamen und Tarnziffern operiert.

BND-Gründer und -Präsident Reinhard Gehlen: Persönliches Interesse an Südtirol.

Reinhard Gehlen, der Gründervater und Leiter der „Organisation Gehlen“ (Org.) und erster Präsident des BND, kultivierte diese Verwirrungstaktik besonders intensiv. Gehlen, der den DN „Dr. Schneider“ (umgangssprachlich innerhalb des BND auch „Professor“) trägt, operiert in der Org. zwischen 1947 und 1956 anfänglich unter der Tarnchiffre „34“, wechselte dann auf „50“ und später auf „88“. Als aus der Org. 1956 der „Bundesnachrichtendienst“ (BND) wird, firmiert der Chef zuerst als „70“, dann jahrelang als „160“ oder „363“.4

 

Bei jedem Chiffrenwechsel änderte auch die gesamte BND-Struktur ihre Bezeichnungen. So wurden etwa enge Mitarbeiter der Dienststellenleiter entweder durch den alphabetischen Zusatz a bis z oder durch römische Ziffern gekennzeichnet. „160/I“ zum Beispiel war der persönliche Referent von Reinhard Gehlen, „160/II“ seine persönliche Sekretärin und Büroleiterin.

Weil es bis heute keinerlei wirklich schematische Übersicht über die Tarnziffern und Decknamen gibt, ist bereits eine Rekonstruktion der handelnden Dienststellen und Personen eine detektivische Kleinarbeit. Dem Berliner Historiker Ronny Heidenreich, Mitglied der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes (UHK), gebührt das Verdienst, 2019 erstmals einen solchen Überblick zusammengestellt und publiziert zu haben.5 Wer also ist dieser „Dr. Lückrath“, der im November 1961 mutmaßt, dass der Südtiroler Landeshauptmann und langjährige Obmann der Südtiroler Volkspartei Silvius Magnago direkte Kontakte zum BND habe?

Hinter dem DN „Lückrath“ verbirgt sich Hans Georg Langemann (1925–2004). Der Jurist aus Westfalen kommt 1957 zum BND und macht eine steile Karriere. „Lückrath“, der die Tarnziffer 348a führt, wird zu einer der engsten Vertrauenspersonen von Reinhard Gehlen. Als der BND-Gründer 1968 in Pension geht, wird „Lückrath“ als BND-Resident nach Rom versetzt, also als offizieller Vertreter des BND in Italien. Dort betreut er weiterhin sein weltweit verzweigtes Spitzelnetz, bis er 1970 aus dem BND ausscheidet. Langemann landet in der Bayerischen Staatskanzlei, zuerst als Sicherheitsberater für die Olympischen Spiele in München 1972 und dann als Leiter der neuen Abteilung „Staatsschutz“ im bayerischen Innenministerium. Im Mai 1982 wird der oberste bayerische Staatsschützer verhaftet. Langemann wird beschuldigt, zwei Journalisten interne Informationen und Dokumente über BND-Operationen weitergegeben zu haben. Er wird eineinhalb Jahre später deshalb auch zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.6

Hans Langemann alias „Lückrath“ wird Anfang der 1960er-Jahre innerhalb des BND zu einem der wichtigsten Akteure im „Strategischen Dienst“. Dabei handelt es sich um eine Art Geheimdienst im Geheimdienst. Diese Struktur ist rund zwei Jahrzehnte lang abgeschirmt vom restlichen BND in allen Bereichen tätig, sammelt Meldungen, führt im In- und Ausland Agenten und Zuträger und finanziert und organisiert nachrichtendienstliche Operationen. Die Hauptaufgabe des „Strategischen Dienstes“ ist es dabei vor allem, Reinhard Gehlen zuzuarbeiten. Der mächtige BND-Präsident hält sich somit eine Art Sonderdienst, den er von Beginn an mit absoluten Vertrauensleuten besetzt.

An der Spitze des „Strategischen Dienstes“ (Tarnchiffre „180“) steht der in der Notiz genannte „L 180“, wobei das L für „Leiter“ steht. Dabei handelt es sich um Wolfgang Langkau (1903–1991), einen ehemaligen Artillerieinspekteur der Wehrmacht, der nach Erfahrungen in der Abwehr bereits Anfang der 1950er-Jahre zur Org. kommt. Langkau (DN „Holten“ oder „Langendorf“, Tarnziffer „180“ oder „273“) steht wie Reinhard Gehlen im Generalsrang und wird im BND zu dessen rechter Hand. Die beiden Generäle Gehlen und Langkau prägen mit ihren militärischen Umgangsformen zuerst die „Organisation Gehlen“ und dann den BND nachhaltig. General Langkau alias „Holten“ hat seinen Dienstsitz in Pullach in der ehemaligen Villa von Hitlers Geliebter Eva Braun. Deshalb trägt das weltweit verbreitete Agentennetz des „Strategischen Dienstes“, das Hans Langemann alias „Lückrath“ in den 1960er-Jahren aufbaut, auch den Titel „Operation EVA“.7

Hans Langemann alias „Lückrath“ (beim Prozess in den 1980er-Jahren): Vermutet kommunistischen Einfluss in der Südtirol-Frage.

Bei „Lückrath“ und „Holten“ laufen im BND jahrelang alle Fäden in Sachen Südtirol zusammen. Zuständig für die außenpolitische Aufklärung, bereiten sie die Informationen für Reinhard Gehlen vor und beeinflussen nachhaltig die Gangart des deutschen Nachrichtendienstes in der heißen Phase des Südtirol-Konflikts.

Daneben gibt es noch einen weiteren engen Gehlen-Vertrauten, der zuerst innerhalb der Org. und dann im BND von Beginn an in Sachen Südtirol mitmischt: Hans Walter Julius Winter (1915–1985), von Studium und Beruf Mediziner, wird 1948 von Reinhard Gehlen persönlich für den deutschen Nachrichtendienst angeworben. Winter, der den DN „Wilden“ trägt, ist jahrzehntelang in Pullach in leitenden Positionen tätig, unter anderem als Leiter der BND-Abteilung „Verbindung zu den Partnerdiensten“ (Tarnziffer „424“).

Es sind also innerhalb der deutschen Geheimdienste eine Handvoll Personen mit dem Thema Südtirol betraut, aus den BND-Akten geht jedoch eines eindeutig hervor: Es ist vor allem Reinhard Gehlen, der ein besonderes Interesse an Südtirol hat. Der mächtige BND-Chef greift im Laufe der Jahre immer wieder in Geheimdienstabläufe ein und wird auch selbst tätig. Fortsetzung