Die Bluthunde von Paris

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Sie richtete sich auf und sah ihn böse an. Eingeschüchtert durch ihren Blick und den strengen Ausdruck ihres Gesichtes gab er nach.

„Gut! Ich tue was du verlangst. Aber ich bestehe auf deine Anwesenheit. Ich bestehe darauf, deinen nackten Körper anstarren zu dürfen. So wie jetzt. Das bringt mich auf Touren.“

„Oh, das klingt aufregend. Sehr aufregend.“

*

Am Abend saßen sie vereint beim Essen um den Tisch. Lea, Philippine, Frieda und Karl. Es ging ihm besser, aber das Essen wollte ihm noch nicht so recht schmecken. Nachdem er eine Weile lustlos und mit gesenktem Kopf vor sich hingekaut hatte, sah er irritiert vom Teller auf, ließ seinen trüben Blick schweifen und fragte gelangweilt, wo denn Alberta sei. Philippine antwortete, sie habe einen Spaziergang zum Weiher gemacht und wundere sich, dass sie um diese Zeit noch nicht zurück sei.

Während sie es sagte, beobachtete sie aufmerksam die ältere Schwester. Diese wagte sich kaum zu rühren, schob apathisch das Essen in den Mund und sah dabei ängstlich um sich. Philippine blickte zur Mutter. Die hingegen zeigte keine Sorge, sie war die Ruhe selbst. Gelassen schöpfte sie vom Bohneneintopf und servierte es ihrer Lieblingstochter.

„Alberta ist fünfzehn, Frieda fast siebzehn. Beide sind erwachsen. Ich war jünger, als ich heiratete. Wovor fürchtet ihr euch? Dass dem Mädchen ein Bursche aus der Gegend nachgestellt hat und sie vielleicht dort unten verführt.“

„Könnte sein!“, brummte Karl. „Es ist spät und mir wäre es nicht recht, läge sie mit einem Kerl im Gras am Weiher.“

„Es sollte dir besser recht sein, damit sie weiß, was die Stunde geschlagen hat, wenn sie mal heiratet.“

Diesmal ließ sich Philippine vom Gerede der Mutter nicht beeindrucken. Sie misstraute ihr und machte sich ernsthaft Sorgen. In den Wäldern hausten Räuber, die nachts aus ihren Löchern krochen und ihr Unwesen trieben. Und im Moor konnte man verschwinden. Andererseits hatte Frieda gesagt, Alberta sei nicht alleine. Vielleicht war der schüchterne Nachbarsbursche mit ihr gegangen, der sie schon seit einiger Zeit aus der Ferne anhimmelte. Und doch!

„Alberta ist nie so lange weggeblieben! Es ist beunruhigend. Wir sollten nach ihr suchen!“, sagte sie sehr ernst. Lächelnd ging Lea um den Tisch, neigte sich zu ihrer Lieblingstochter und beschwichtigte sie:

„Mach dir bitte keine Sorgen, mein Kind! Du wirst sehen, morgen ist sie wieder bei uns.“

Bei diesen Worten erstarrte Frieda. Erstaunt nahm Philippine den namenlosen Schrecken in Friedas Gesicht wahr, der sich dort gespenstisch abzeichnete. Philippine hatte den Eindruck, aus der älteren Schwester entweiche jegliche Wärme und breite sich eisige Kälte in ihr aus. Ein Schauder ergriff die Jüngere.

*

Lea hatte Friedas Furcht bemerkt. Die Mutter wusste, dass Frieda herum schnüffelte, dass sie gerne ihre Nase in Dinge steckte, die sie nichts angingen. Der beste Weg, das hirnlose Geschöpf davon abzuhalten, Dummheiten auszuplaudern oder Gerüchte zu verbreiten, die ihrer morbiden Phantasie entspringen, ist, sie gefügig zu machen, dachte Lea zornmütig. Und so füllte sie die kommenden Tage mit Erlebnissen, die Frieda aufwühlen und Albertas Verschwinden verdrängen sollten.

Ihr erster Schritt war ein Besuch in der Dachkammer von Saint-Ouen. Während Philippine auf ihrer Stute durch die Wälder von Saint-Ouen streifte und nach Alberta rief, wurde Frieda dem Hufschmid vorgestellt. Gelangweilt taxierte Merlen das Mädchen und wiederholte, was er schon gesagt hatte.

„Sie reizt mich nicht.“

Lea schlug ihm ins Gesicht. Merlen zuckte und rieb sich die Wange.

„Halt’s Maul und glotze, statt zu blöken! Sieh dir an, was sie zu bieten hat!“, herrschte Lea ihn an. Dann begann sie, die Tochter auszuziehen. Langsam und genüsslich. Sie nahm ihr die Haube ab, schnürte das Kleid auf, enthakte die Korsage und streifte sie bis zur Hüfte, sodass Frieda mit blankem Busen dastand. Merlens Augen blitzten:

„Die Brüste sind appetitlich. Zum Anbeißen. Wenn nur das Gesicht nicht wäre!“

„Gimpel!“ Lea schlug ihm mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. „Was habe ich dich gelehrt? Nun, was denn? Antworte!“ Sie stieß ihn nach hinten. Er wehrte sich nicht, sah sie nur flammend an. Ihr zorniges Auftreten schien ihm zu gefallen.

„Ja, ja! Ist schon gut. Ich weiß es: Das Gesicht ist unwichtig.“

„Richtig, guter Junge. Nur das hier zählt!“ Sie riss Frieda die restlichen Kleider vom Leib. Merlen fielen die Augen aus dem dummen Kopf.

„Wahrlich, wahrlich, sie hat satte Schenkel!“, lallte er.

„Ganz zu schweigen von dem Nest dazwischen.“

Sie ergriff Merlens Hand und raunte: „Mach es satt und schlüpfrig mit deinen rauen Fingern.“

Als Frieda die Männerhand auf ihren Beinen spürte, wich sie ängstlich zurück. Ihre Reaktion missfiel der Mutter außerordentlich. Mit eisiger Stimme zischte sie die Tochter an:

„Und du wirst gehorchen, Kindchen! Wehe, du kommst dem lieben Merlen nicht entgegen. Ich schlage dich vor seinen Augen windelweich. Ich prügele deinen Hintern bis er glüht und ritzrot wird.“

„Ich ... ich ... will tun, was ... ihr von mir ... verlangt!“, stotterte das Mädchen und sein Körper versteifte sich, seine Haare stellten sich auf. Merlens Hand wanderte an Friedas Beinen hinauf und versuchte ihre Schenkel auseinander zu drängen. Sie klemmte sie fest zusammen.

„Was soll ich mit diesem Brett?“, schimpfte Merlen. „Die bringt keinen Sous ein.“

Wütend schubste ihn Lea beiseite. Sie gab Frieda zwei kräftige Ohrfeigen. „Und nun öffne dich, mein Kindchen. Öffne dein Türchen, sonst geht es dir schlecht. Wenn du tust, was Mutter sagt, wird es dir gut gehen. Sehr gut sogar!“

Frieda gehorchte. Furchtsam gab sie sich Merlens Hand hin. Seine groben Finger glitten über ihren Hals zu den Brüsten über den Bauch, wanderten über ihren Hintern zwischen ihre Schenkel. Indessen beugte sich Lea zu ihrem Ohr und zischte hinein:

„Es ist gut für dich zu wissen, wer deine Mutter wirklich ist!“ Leas Zunge bohrte sich in die Ohrmuschel. Das Mädchen erschauderte. „Sie ist keine Hure im üblichen Sinn. Sie ist ein Vollblutweib, das mit seinem Schoß denkt. Auch du wirst es lernen und du wirst erfahren, wie gut es dir dabei geht.“ Als sie das Wort Schoß aussprach, streichelt Merlens Hand Friedas Schamlippen. Es dauerte nicht lange, da entspannte sich das Mädchen. Langsam bewegte sich Merlens Finger in ihr. Sie ließ es geschehen, schien Gefallen daran zu finden. In ihrem Gesicht spiegelte sich keine Angst mehr. Sie wankte, fing an heftiger zu atmen. Als Merlen es bemerkte, zog er seinen Finger zurück und flüsterte:

„So gefällst du mir und so wirst du allen Kerlen gefallen! Komm! Leg dich neben uns. Schau zu, wie ich es mit deiner Mutter treibe. Dann siehst du, welchen Spaß wir haben. Ja, ja, Frieda. Noch haben wir kein Geld, aber wir haben Mordsspaß.“

Etwas ängstlich willigte Frieda ein. Auf schwachen Knien ging sie zum Bett und betrachtete mit wachsender Neugierde das wilde Spiel, das Merlen und Lea bis zur Trunkenheit spielten. Noch nicht ganz gesättigt ließ er von Lea ab und wandte sich Frieda zu.

„Komm, Vögelchen. Leg dich hin und mach’s wie deine Mutter.“

Frieda gehorchte. Jetzt vibrierte sie vor Erwartung auf diese erste geheimnisvolle Begegnung. Ihre Schenkel öffneten sich. Merlens Gesicht jedoch verzog sich zu einer Fratze der Lust, die Gier verbrannte ihn fast. Er war aufs äußerste gereizt und legte alle Behutsamkeit ab. Unter seinen Stößen schrie Frieda vor Schmerz auf und immer wieder wimmerte sie, er möge aufhören. Aber ihr Gewinsel erregte ihn umso mehr und Leas anspornende Ausrufe brachten ihn gänzlich um den Verstand.

Vergnügt sah die Hurenmutter zu. Die Schmerzen ihrer Tochter, deren verzerrtes, verzweifeltes Gesicht berauschten sie, all das kam ihr bekannt vor, sie hatte es vor langer Zeit gesehen. Im Spiegel der Angst. Damals war es ihr Gesicht. Damals hatte sie darunter gelitten. Heute empfand sie Lust.

*

Alberta tauchte nicht auf. Warum geht Mutter so leichtsinnig damit um?, fragte sich Philippine. Es ist doch ihr Kind?

„Sie wird bei irgendeinem Kerl sein!“, beruhigte Lea die Familie am dritten Abend nach Albertas Verschwinden.

„Das darf sie nicht, zum Teufel! Sie ist noch ein Kind!“

„Halt’s Maul Karl! Ich war sechzehn, als du wie ein Schwein über mich hergefallen bist. Hast du eine Sekunde darüber nachgedacht, wie jung ich damals war?“

Der Verhörvollstrecker brummte in seinen Bart. Er schob den Teller mit Suppe von sich und stand auf.

„Hab keinen Hunger. Irgendetwas verdirbt mir den Appetit.“

„Bevor ich morgen zum Unterricht unseres Pfarrers gehe, melde ich es dem königlichen Aufseher des Ortes Saint-Ouen. Er kann mit seinen Hunden die Gegend durchstreifen.“

„Vergebliche Liebesmüh, Philippine!“ Ein Messer in der Hand, um den Laib Brot zu schneiden, den Frieda aufgetragen hatte, stellte sich die Mutter provozierend am Kopf des Tisches auf und blickte ihre Tochter streng an. „Glaubst du im Ernst dieses Pack von Ausseher sorge sich um die entlaufene Tochter des Folterers? Sie werden dich davonjagen!“ Ihr scharfer Blick schoss von Philippine zur ältesten Tochter. Diese duckte sich und seufzte leise. „Was gibt es da zu seufzen?“, zischte Lea.

Mit einem Male herrschte eine bleierne Stille im Raum. Karl war zur Tür gegangen und hielt plötzlich inne. Langsam drehte er sich um. Zu langsam, als dass es mit seinem schwerfälligen Körper hätte zu tun haben können. Es war Drohung in seiner zeitlupenhaften Bewegung. Drohung, Zorn und Hass.

„Darf man nicht mehr seufzen, wenn die Tochter verschwunden ist, was?“ Er hob die Faust, rührte sich hingegen nicht von der Stelle. Sein verzerrtes Gesicht sah furchterregend aus. „Du elendes Weib hast keinen Funken Mitleid mit dem armen Ding. Schuldig solltest du dich fühlen, ein hässliches Geschöpf geboren zu haben. Aus deinem dreckigen Schoß ist es geschlüpft und ich wette meinen Schädel, der vielleicht nicht viel wert ist, dass es dein schlammiger Schoß so unansehnlich gemacht hat.“

 

„Schwätzer! Philippine ist dem gleichen Schoß entsprungen und ist schön wie der Morgen!“

„Aber sie hat einen Pferdefuß, dummes Weib. Dein Unterleib ist ein Sündenloch, aus dem keiner ungeschoren herauskommt und es ist besser für mich, deinen Teufesleib zu meiden.“

„Da tust du gut daran!“ Lea hatte noch immer das Messer in der Hand. Seine Schneide blitzte, ihre Hand spannte sich um den Griff. Geräuschvoll stand Philippine auf. Ihre Augen funkelten von Tränen und Zorn.

„Hört auf zu streiten! Habt ihr Alberta ganz vergessen? Es geht um meine Schwester und nicht um euch.“

„Du hast Recht!“ Karl lehnte sich gegen die Holzwand neben der Tür. Er wirkte krank, hatte eine grünliche Gesichtsfarbe und Schweiß auf der Stirn. Mit dem schmutzigen Ärmel seines Hemdes wischte er sich über die Augen.

„Hieß es nicht, sie sei nicht alleine gegangen? Wer war bei ihr?“ Ohne aufzusehen, wartete er auf Antwort. Philippine humpelte um den Tisch herum zu Friedas Platz. Diese hatte Blick und Kopf gesenkt und zitterte.

„Du hast doch jemand gesehen, Frieda. Warum willst du nicht sagen, wer es war?“ Philippine berührte ihre Schulter. Als habe sie sich verbrannt, zuckte Frieda vor der Hand zurück. Schüttelte sie ab wie ein ekliges Insekt.

„Ach! Du hast jemand gesehen, Frieda?“, fragte Lea. Ganz plötzlich hatte ihre Stimme einen besorgten, mitfühlenden Klang. „Schau mich an, mein Kind, wenn ich mit dir rede!“

Vorsichtig hob Frieda das Gesicht. Ihr Blick streifte die Schwester, den Vater und glitt schließlich zur Mutter. Dort blieb er hängen. Dort klebte er fest, als suche er Halt. Als suche er Hilfe und Antwort.

„Nun, antworte, mein Kind! Wen hast du gesehen?“

Philippine beobachtete gespannt den Blickwechsel von Mutter und Tochter. Was spielt sich in den beiden Köpfen ab, schien sie sich zu fragen. Erst jetzt sah auch Karl auf. Er hatte weder von Friedas nervösem Zucken noch vom Blickaustausch der beiden Frauen etwas bemerkt. Deshalb sagte er ungeduldig: „Los, los! Zier dich nicht so lange. Ich hab viel Arbeit und wenig Zeit, mich mit eurem Kram zu befassen. Mit wem ist sie losgezogen?“

„Nun mach schon den Mund auf! Mit wem ist sie losgezogen, zum Teufel!“, wiederholte Lea eindringlich und genauso ungeduldig wie ihr Mann, mit dem Unterschied, dass Karl sichtlich die Lust verlor, während Leas flammender Blick das Mädchen Frieda zu verbrennen drohte.

„Es war ... es war ...“, begann sie stockend.

„Wer?“ Philippine legte wieder ihre Hand auf die Schulter der Schwester. Wieder schüttelte diese sie erschrocken ab.

„Der Nachbarsjunge!“, schoss es plötzlich aus ihrem Mund. „Ja, der Nachbarsjunge. Sie gingen gemeinsam in den Wald hinein und seitdem hat sie keiner mehr gesehen!“, fuhr sie ungewöhnlich rasch fort. Ungläubig starrte Philippine auf ihre Schwester, die gehetzt zu sein schien, außer Atem, deren Herzschlag am Hals zu sehen war, so sehr pochte es.

„Und der Junge? Ist er bis heute auch nicht heimgekehrt?“

„Was weiß ich?“ Frieda war gereizt. „Hab ich vielleicht auch noch beobachtet, ob sie gemeinsam zurückgekommen sind? Ich kann ja nicht alles wissen. Lasst mich in Ruhe!“ Sie machte Anstalten aufzustehen, aber der Blick ihrer Mutter fesselte sie an den Stuhl. Besorgt sagte diese:

„Iss jetzt deine Suppe. Du siehst ja ganz grün aus, mein Kind!“

Den Bruchteil einer Sekunde flackerte Misstrauen in Karls Augen. Doch dann wandte er sich unwirsch ab. Vor sich hinnuschelnd stieß er die Tür auf. Ehe er hinausging, drehte er sich um und zischte: „Ach, leckt mich doch alle am Arsch!“

Philippine gab sich nicht so leicht zufrieden. Unter gesenkten Lidern wanderte ihr Blick von der Mutter zu Frieda. Irgendwas stimmt da nicht!, dachte sie. Aber ich werde schon dahinter kommen.

*

Erstaunlich schnell war die kleine Frieda geschäftsfähig. Schon nach zweiwöchigem Einreiten konnte sie gewinnbringend eingesetzt werden. Lea hatte das richtige Gespür für das arme, reizlose Geschöpf.

Außer ihrem Körper besaß sie nichts, aus dem sie Kapital schlagen konnte. Was jedoch entscheidend Friedas Entwicklung zur Hure beeinflusste, war die Hoffnung, durch ihren Körper endlich Anerkennung, ja sogar ein wenig Liebe zu bekommen. Genau das hatte Lea erkannt und Merlen angewiesen, Frieda Lust zu verschaffen, ihr das Gefühl zu geben, geliebt und begehrt zu werden. Ihr einzureden, sie könne mit ihrem Körper Männer verrückt machen, bis sie vor ihr katzbuckelten und ihr Reichtümer versprachen. Sobald Frieda an sich zweifelte, weil sie im Spiegel, den Lea für teures Geld erstanden hatte, zu lange auf ihr Muttermal, die platte Nase und den tiefen Haaransatz, der ihr etwas Finsteres verlieh, starrte, wischte Lea alle Unsicherheiten mit großartigen Worten hinweg: „Nicht alle Verführerinnen waren schön. Manche waren sogar potthässlich und konnten sich dennoch vor Liebhabern und Anwärtern nicht retten. Warum? Weil sie wussten, wie man Mannsbilder ankettet. Weil sie es verstanden, die Kerle zu Boden zu zwingen, sie gierig zu machen bis sie sabberten. Wir leben in einer Zeit, in der lüsterne Frauen rar sind. Mache es dir zunutze und die Kerle werden dich nicht nur begehren. Sie werden dich auch lieben.“

Friedas Herz schlug höher. Es war das, was sie suchte. Arme, in die sie sich schmiegen konnte. Hände, die sie liebevoll streichelten, ein Mund, der sie küsste und sagte: Du bist die Schönste. So war Merlen! Dass er im Auftrag ihrer Mutter handelte, wusste sie nicht und wollte sie auch nicht wissen. Merlen war jung, gut gebaut, hatte wuscheliges Haar und es erfüllte sie mit Glück, wenn er ihr ins Ohr raunte: „Frieda, du bist wunderbar. Du bist die Schönste, die Heißeste, ein Kleinod unter den Frauen. Mit dir werden wir reich.“

Und Frieda wurde zunehmend lüstern. Ihre Hemmungslosigkeit und Freude am ältesten Gewerbe der Welt sprach sich rasch herum. Sämtliche Hufschmiede der näheren und später weiteren Umgebung stellten sich in Merlens Dachkammer ein, wo Frieda die Männer mit Raffinessen empfing. Ihr Können und Einfallsreichtum lockten bald auch wohlhabende Mannsbilder an.

Für besondere Kunden wurde Frieda vor der Verabredung in einen Zuber getaucht und gründlich gewaschen. Dann überschminkte Lea den dunklen Fleck im Gesicht der Tochter mit weißem Puder, wellte ihr Haar, drapierte um ihren Körper die feinen Stoffe, aus denen sie später Philippines Kleider schneidern wollte. Allerdings geriet die Dachkammer mit der Zeit zum Stolperstein für die vornehmere Kundschaft. Das Mädchen erbringe erstaunliche Leistungen, schwärmten die Kunden, hingegen fehle dem erbärmlichen, engen Raum, in dem der Handel stattfinde, jeglicher Charme. Sie beschwerten sich über den teuren Preis und über die Gegenwart des Zuhälters, der vor der Kammer wachte und lauschte.

Es sei zu des Mädchens Sicherheit, beschwichtigte Lea, gleichzeitig sträubten sich ihr die Haare bei dem Gedanken, die gute Kundschaft könne den Preis herunter treiben oder gar eines Tages ganz weg bleiben. Unermüdlich grübelte sie nach einer Lösung. Eine kleine Wohnung zu mieten, widerstrebte ihr, da sie das erluderte Geld samt und sonders selbst einstreichen wollte. Und so kam ihr Philippines Nachricht, sie könne beim Pfaffen von Saint-Ouen täglich drei Stunden zusätzlich umsonst lernen, weil sie so begabt sei, wie gerufen. Zufrieden nahm Lea auch die Nachricht entgegen, der Gottesmann habe in Paris einen Facharzt gefunden, der Philippines Fuß untersuchen wolle. Es gäbe entsprechendes Schuhwerk, allerdings müsse es angepasst und dann angefertigt werden und das sei zeitaufwändig. Außerordentlich gelegen kam der Mutter Philippines Einsatz bei der Suche nach Alberta. Wie sie es vermutete, hatte der Aufseher von Saint-Ouen wenig Lust verspürt, seine Leute und Hunde in die Wälder zu schicken, um nach einer unbedeutenden Göre zu suchen. „Sie wird mit ihrem Freundchen zu den Räubern gestoßen sein und ein sittenloses Leben führen!“, hatte der Aufseher gesagt und Philippine fortgeschickt. Nun durchsuchte das Mädchen nach ihrem Unterricht beim Pfaffen allein zu Pferde Wälder und Wiesen, was bedeutete, dass das Haus des Folterers vom frühen Nachmittag an bis in die Abendstunden leerstand. Frieda konnte demnach ungestört Freier empfangen. Lea rieb sich die Hände. Alles klappte wie am Schnürchen.

Peinlich verfolgte sie die Arbeitszeit ihrer Tochter und wachte darüber, dass sie sich mit einem Kerl nicht länger als eine halbe Stunde aufhielt. Das war lange genug. Danach musste Frieda gewaschen werden, ruhen und sich umziehen. Mehr als drei Männer konnte sie nicht bedienen. Lust empfand Frieda nur beim Ersten, egal wie er aussah. Von der Mutter vorbereitet und gereizt, wartete sie mit schwellenden Brüsten und geschürztem Rock, unter dem ihre nackte Scham blitzte. War einer noch jung und sah ordentlich aus, entkleidete sie sich geübt vor seinen Augen, drapierte ihr Haar über Brüste und Bauch und öffnete ihre prächtigen Schenkel. Kein Mann sah ihr in dem Augenblick noch ins Gesicht.

*

Die Auskunft des Nachbarn hatte Philippine beunruhigt. Ja, in der Tat! Sein Sohn sei schon seit Tagen fort, aber gewiss nicht mit Alberta. Er wollte nach Lyon zu einem Onkel, um dort das Handwerk des Ebenisten zu erlernen. Schon lange habe er hier nur herumgehockt und über die Arbeit in der Ziegelfabrik geschimpft. Dabei müsse man doch froh sein, eine Arbeit zu haben, egal wie erschöpfend sie sei. Aber diese Jugend will hoch hinaus. Nein, nein. Mit Alberta sei er gewiss nicht losgezogen.

Was sollte er auch mit dem armseligen Mädchen anfangen? Es sei wahrhaftig nur ein Klotz am Bein. Seine Aussage hatte Philippine geschockt und mit trauriger Miene hatte sie den Nachbarn angesehen. Der schämte sich plötzlich, verzog mitleidig das Gesicht und fügte eilig an: „Na, ja. Mädchen ist Mädchen. Sie war ja freundlich. Immer anständig zu allen Nachbarn. Auch hilfsbereit. Und ist sie auch nicht so ansehnlich, so hat sie doch etwas unterm Rock, das auch meinen Jungen interessieren könnte. Trotzdem ...“ Ehe er seinen Satz beendete, wandte sich Philippine angewidert ab. Und die Worte, die er ihr beschwichtigend hinterher rief, konnten den Eindruck, den sie von der Gesinnung des Nachbarn gewonnen hatte, nicht mildern .

„Es tut mir leid, Philippine, dass ich dir nicht helfen kann. Mit Sicherheit weiß ich nicht, ob mein Junge in Lyon angekommen ist. Noch habe ich keine Nachricht - der Junge kann ja kaum die Feder richtig halten – aber ich vertraue ihm. Sobald ich Kunde von ihm habe, sollst du es wissen.“

Fast ein Monat war seit ihrem Verschwinden vergangen. Wie hatte Alberta in all der Zeit überlebt? Wie hat sie sich ernährt?

Philippine stellte sich immer wieder die gleichen Fragen und fand immer die gleichen Antworten: Sie lebt bei den Räubern oder ist mit dem Nachbarsjungen nach Lyon geflohen. Aber vielleicht ist sie auch tot? Warum findet man dann ihre Leiche nicht?