Comisario Carrascos Valencia

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Kapitel 5

Der Sender hatte seinen Sitz nordwestlich direkt hinter dem Stadtrand Valencias. José hatte ein Auto von der Fahrbereitschaft organisiert und mich zu Hause abgeholt. Nach zwanzig Minuten waren wir in Burjassot, einem Städtchen mit knapp 40.000 Einwohnern und einem Stadtbild aus alten Gebäuden, Brunnen und Gärten, das mir gut gefiel. Die Zentrale des Senders wirkte mit seiner modernen Architektur aus Stahl, Glas und reichlich Beton wie ein Fremdkörper.

"Hast du einen Plan, wie wir vorgehen?", wollte José auf dem Weg zum Empfang wissen.

"Wir hören uns seine Geschichte an, was sonst? Vielleicht lässt er uns anschließend noch einen kleinen Rundgang machen. Würde mich interessieren, was die hier mit ihrer teuren Technik eigentlich machen."

Das Büro von Valdez lag im obersten Stock eines röhrenförmigen Gebäudes. An dessen Außenseite konnte man auf hinter Glas liegenden, umlaufenden Stahlstegen entlang gehen und über Valencia hinweg bis hinunter zum Meer sehen. Valdez' Zimmer war groß und hell, die Einrichtung war modern und sah teuer aus. Valdez selbst erschien mir wie das ganze Gegenteil vom Polizeichef. Groß und breitschultrig, dabei aber schlank und durchaus gut aussehend. Sonnengebräunt und im edlen Zwirn erhob er sich selbstbewusst, sobald José und ich eingetreten waren. Der Mann passte perfekt in seine Umgebung. Er streckte uns seine Hand entgegen und verwies auf die Sitzgruppe an der bodentiefen Fensterfront.

"Ich hoffe, Sie haben gut hergefunden. Enrique Valdez, Vize-Chef des Senders." Er setzte sich. "Vielen Dank dafür, dass Sie unsere kleine Finte mitspielen. Die Sache ist ja auch etwas heikel. Kaffee?"

Offiziell waren wir wegen eines Einbruches in seinem Privathaus hier, den es natürlich nicht gab. Ich eröffnete das Gespräch und nahm mir vor, nicht allzu viel Vertrautheit entstehen zu lassen. Außerdem wollte ich keinen Zweifel daran aufkommen lassen, wobei José und ich mitspielen würden und wobei nicht.

"Señor Valdez, Sie haben schwerwiegende Anschuldigungen gegen Ihren Chef erhoben. So schwerwiegend, dass die Bürgermeisterin ein öffentliches Interesse darin sieht und der Polizeichef eine Ermittlung eingeleitet hat. Ich hoffe, Sie können Ihre Anschuldigungen begründen. Dazu sind wir hier. Comisario Principal Victor Carrasco, mein Kollege Inspector Solá." José nickte Valdez zu.

"Ich fürchte, das gibt es nicht viel zu begründen und Anschuldigungen habe ich nicht erhoben, jedenfalls nicht direkt. Die Bürgermeisterin hatte mich gefragt, ob es möglich wäre, aus dem Haushalt des Senders Geld abzuzweigen, ohne dass es auffallen würde. Ich habe dies bejaht. Und ich habe ihr gesagt, dass man dazu sehr weit oben in der Hierarchie angesiedelt sein müsste, wenn es mehr als Kleinbeträge sein sollen und wenn es regelmäßig passieren soll."

"Hat denn die Bürgermeisterin einen Grund gehabt, danach zu fragen? Warum hat sie Sie gefragt, Señor Valdez? Sie sind doch selbst hoch genug in der Hierarchie angesiedelt?" José hatte offenbar verstanden, wohin das Gespräch führen sollte.

"Die Bürgermeisterin weiß um die Lebensweise von Yago Sánchez. Da muss man doch nur eins und eins zusammenzählen."

Dieser hinterhältige Hund. Die gesamte Konstruktion einer angeblichen Veruntreuung war offensichtlich von vorne bis hinten abgekartet. Da berief sich einer auf den anderen, ohne dass es etwas Greifbares gab. Genau so, wie beim Finanzamt und der angeblichen Steuerhinterziehung.

"Señor Valdez, Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass allein das Zusammenzählen von eins und eins zu einem Verdacht auf Veruntreuung führt. Haben Sie denn wenigstens Hinweise darauf, dass Geld fehlt? Die Schulden des Senders werden doch sicher nicht allein durch Diebstahl von Geld zustande gekommen sein." Mir platzte langsam aber sicher der Kragen.

"Der Sender ist eine privatrechtliche Gesellschaft und prüfungspflichtig. Außerdem müssen wir über die erhaltenen Subventionen gegenüber der Stadtverwaltung Rechenschaft ablegen. Wir sind also verpflichtet, unseren Jahresabschluss von einem externen Prüfer bestätigen zu lassen. Bei der letzten Abschlussprüfung wurden Ungereimtheiten festgestellt. Der Prüfer ist diesen für die Vorjahre nachgegangen und konnte sie über drei Jahre zurück verfolgen. Was davor war, wissen wir nicht, da waren wir noch nicht prüfungspflichtig und hatten auch eine andere Datenverarbeitung. Viele Vorgänge aus dieser Zeit lassen sich nicht mehr vollständig rekonstruieren."

"Was sind das für Ungereimtheiten? Fehlt Geld oder fehlt kein Geld?"

Valdez wurde unsicher. "Das kann ich ehrlich gesagt nicht ganz und gar erklären. Es gibt sowohl Geldabflüsse wie auch Geldzuflüsse auf Konten, zu denen es keine Belege und auch keine erkennbaren Leistungen gibt. Nimmt man allein die in Frage kommenden Geldabflüsse über die letzten drei Jahre, dann ist es ein siebenstelliger Betrag - pro Jahr. Macht man dasselbe mit den Geldzuflüssen ohne Beleg oder Leistung, dann ist es fast dasselbe, in Summe sind diese Zuflüsse sogar etwas höher als die Abflüsse."

José konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. "Mit anderen Worten, es fehlt Ihnen kein Geld, Sie haben zu viel. Und Sie wissen auch nicht, warum. Worin liegt da die Veruntreuung?"

"So kann man das nicht sehen, Inspector. Wir können zwar die genannten Geldzuflüsse nicht erklären, trotzdem wurde Geld im großen Stile auf uns unbekannte Konten verschoben. Letzteres ist für sich allein doch ein Anfangsverdacht."

An beiden Standpunkten war etwas dran. Ich blickte nicht durch. "Also, wenn ich es recht verstehe, dann ist Ihre Buchhaltung nicht in dem Zustand, in dem sie sein sollte. Sie können auch einen Teil der Geldbewegungen auf Ihren Konten nicht erklären. Entweder stimmt Ihre Buchhaltung nicht oder Ihre Konten stimmen nicht oder beides ist falsch. Und wenn es überhaupt eine Veruntreuung war, dann haben Sie auch keinen Hinweis darauf, durch wen. Sehe ich das richtig?"

"Das sehen Sie fast richtig, Herr Hauptkommissar. Alle Zahlungsanweisungen wurden von Sánchez selbst unterschrieben und es waren Empfängerkonten dabei, die keinem unserer Geschäftspartner zuzuordnen waren."

Ich versuchte mir vorzustellen, wie es mir beim Abzeichnen irgendwelcher Zahlungsanweisungen ergehen würde. "Waren die betreffenden Zahlungen denn irgendwie ungewöhnlich, also waren das sehr hohe Einzelbeträge oder ausländische Konten? Hätte man beim Unterschreiben merken müssen, dass etwas mit diesen Zahlungen nicht stimmen könnte?"

"Zahlungen werden ja heutzutage nicht mehr auf Papier freigegeben, sondern elektronisch. Und auch nicht einzeln. Man gibt in der Regel eine ganze Buchungsliste frei. Kann theoretisch schon sein, dass da mal etwas durchrutscht. Aber regelmäßig? Das kann ich mir nicht vorstellen. Ein Vieraugenprinzip haben wir jedenfalls nicht."

Mit anderen Worten: Sánchez war verantwortlich, wenigstens im formalen Sinn. Ob er tatsächlich in allen Einzelfällen wusste, was er da freigab oder ob er wissentlich veruntreut hatte, war so einfach nicht festzustellen. Man musste den Zahlungen nachgehen. Bis hierhin erschien mir die Sache reichlich dünn. "Was unternehmen Sie in Bezug auf die unerklärlichen Zahlungen, Señor Valdez?"

"Wir können ja selbst nur unsere eigenen Unterlagen und Konten prüfen, da sind wir noch dran. Ich fürchte aber, wenn wir weiterkommen wollen, müssten die Zahlungswege durch die Polizei rekonstruiert werden. Wir können allein keinen Bewegungen auf fremden Konten nachgehen."

Wenigstes da hatte er recht, das ging nur über ein Ermittlungsverfahren und damit über eine Anzeige. Es gab also nichts Konkretes und keine direkten Anschuldigungen, aber Erklärungsbedarf. Dasselbe wie in der Steuersache. Nichts Halbes und nichts Ganzes, aber auch nicht einfach zu ignorieren. "Eine Anzeige können Sie natürlich jederzeit stellen."

"Wir würden es begrüßen, wenn die Polizei vielleicht erst einmal ermittelt, ob unser Verdacht gegen Señor Sánchez bestätigt werden kann. Es wird sonst vielleicht viel Staub umsonst aufgewirbelt." Valdez lächelte unschuldig. Auch er hatte getan, was er tun sollte.

"Wir werden die Ermittlungen aufnehmen und mit Yago Sánchez sprechen. Natürlich ermitteln wir auch in alle anderen Richtungen. Solange es keinen Tatverdächtigen gibt. Jeder, der hoch genug in der Hierarchie des Senders steht, ist potenziell verdächtig. Auch Sie, Señor Valdez. Sie sollten sich auch darüber im Klaren sein, dass der Fall durch unsere Ermittlungen öffentlich wird, mindestens Sánchez gegenüber."

"Die Bürgermeisterin hat mir versprochen, mich rauszuhalten. Und wenn Sie ohnehin in alle Richtungen ermitteln, lässt sich das doch bestimmt auch gegenüber Sánchez so darstellen. Halten Sie mich da raus, Carrasco."

"Was glauben Sie denn, was wir Sánchez erzählen sollen, wer uns die Veruntreuung gezwitschert hat? Wenn er's nicht selbst war, kommen doch nur Sie in Frage."

"Und die Bürgermeisterin. Sie hat Einblick in alle Prüfberichte und ist offiziell informiert."

Na reizend, das lief, wie nicht anders zu erwarten. Alles gut eingefädelt und in die bewährten Hände der Polizei gelegt. Wenn an all dem nichts dran war, würde ich mir Villar vorknöpfen. Mindestens ihn.

Für den Moment ließ ich es erst einmal gut sein, Valdez war ohnehin nur ein Erfüllungsgehilfe wie José und ich. Der hatte natürlich auch eigene Interessen, war aber nicht die treibende Kraft.

"Wir werden unser Möglichstes tun." Es gab zwar keinen Grund, unsere Informationsquellen vor Sánchez offen zu legen, im Gegenteil. Ich blieb aber trotzdem bewusst unverbindlich gegenüber Valdez, mir gefiel der Kerl nicht. "Sie können uns abschließend noch einen Gefallen tun, Señor Valdez." Mal sehen, wie er damit umging. "Wir würden uns gerne ansehen, wie der Sendebetrieb abläuft, also das Technische hinter den Redakteuren. Können Sie vielleicht so eine Art Führung organisieren?"

 

"Ich verstehe nicht ganz. Das Technische? Können Sie denn damit etwas anfangen? Gehört das auch zu Ihren Ermittlungen?" Valdez schien von unserem Ansinnen irgendwie überrumpelt zu sein. "Tut mir leid, das geht im laufenden Betrieb nicht so einfach."

"Muss auch nicht sofort sein, Valdez. Mit wem können wir einen Termin vereinbaren?"

Valdez guckte noch verständnisloser angesichts unseres für ihn wenig nachvollziehbaren Interesses an der Sendetechnik und er konnte sich bestimmt auch nicht erklären, warum ich nicht locker ließ. Ich eigentlich auch nicht. Ich hatte keine Ahnung von Technik und wahrscheinlich wollte ich einfach nur signalisieren, dass er mich nicht so einfach loswerden würde. "Unser technischer Leiter wird sich bei Ihnen melden", war Valdez am Ende froh, dass José und ich sein Büro verließen.

*

Zurück im Auto, fuhren José und ich direkt weiter zu Sánchez. Den hatten wir vorsichtshalber gebeten, uns bei sich zu Hause zu empfangen. Außerdem wollte ich sehen, wie er lebt.

In den zwanzig Minuten zu Sánchez' Haus in Betera schwiegen José und ich überwiegend, jeder hing seinen Gedanken über das Gespräch mit Valdez nach. Inzwischen war ich mir sicher, dass José und ich ähnlich darüber dachten. Unterbrochen wurde das Schweigen von einem Anruf Salvas, der sich mit mir verabreden wollte. Wir würden uns am Samstag am Strand treffen.

Betera mit seinem exklusiven Golf-Club Escorpion ließ nicht eben auf bescheidene Verhältnisse schließen. Dort angekommen und im Angesicht der vor uns und inmitten von Orangenhainen liegenden Villa, verschlug es mir allerdings erst einmal die Sprache. Das zweigeschossige, große Haus war von alten Bäumen umgeben. Entlang der breiten, gepflasterten Zufahrt, gleich hinter dem Eingangstor an der Straße, passierten wir erst einen Tennisplatz und dann einen Pool. Angrenzend daran lag eine große, mit Liegen und Schirmen bestückte Terrasse, die in eine zweite, überdachte Terrasse mit Tischen und Korbsesseln und dem Eingang zum Haus überging. Rund um den Pool und auf den beiden Terrassen wechselten sich mediterrane und mit Blumen bepflanzte Tonkrüge mit alten Marmorstatuen und modernen Skulpturen ab. Da das Grundstück leicht erhöht auf einer kleinen Kuppe lag, hatte man von der überdachten und um das Haus verlaufenden Terrasse einen herrlichen Blick über die Orangenbäume bis hin zu den Bergen am Horizont.

"Alle Achtung, das ist nicht von Pappe!", ließ José seiner Bewunderung freien Lauf. Wir waren beide tatsächlich beeindruckt, von der schieren Größe, aber auch der zugegeben geschmackvollen Gestaltung von Grundstück und Haus.

Falls Sánchez zur Bewirtschaftung seines Anwesens Personal beschäftigte, hatte er diesem vermutlich freigegeben. Jedenfalls kam er uns, kaum dass wir uns dem Hauseingang über die Terrasse näherten, selbst entgegen.

"Guten Tag, meine Herren und herzlich willkommen in der Villa Sánchez! Nehmen Sie Platz und genießen Sie die herrliche Aussicht. Rosa wird uns gleich Getränke bringen. Ich hoffe, Sie sind einem leichten Aperitif nicht abgeneigt." Sánchez machte gar nicht erst den Versuch, tiefzustapeln. Er war sich seiner privilegierten Situation bewusst und genoss sie sichtlich. Einschließlich der Tatsache, dass er sich doch keine Mühe darin gab, sein Personal zu verschweigen.

Einerseits war mir der offen zur Schau gestellte Reichtum suspekt, andererseits war ich vom unkomplizierten Auftreten Sánchez' etwas überrascht. "Buenos Dias, Señor Sánchez und vielen Dank. Mein Kollege Inspector Solá, ich bin Victor Carrasco."

"Ihren Inspector kenne ich vom Telefon. Wir beide sind uns doch aber auch schon persönlich begegnet, Comisario. Ich glaube, es war im letzten Jahr im Palacio de Congresos."

"Das stimmt, zumindest sind wir uns da über den Weg gelaufen." Rosa brachte die Getränke und verschwand so unauffällig, wie sie gekommen war. "Sie leben hier, sagen wir, recht exponiert. Unter anderem deswegen sind wir hier."

"Lassen Sie uns nicht lange um den heißen Brei herum reden, Comisario. Ich weiß, warum Sie hier sind und wer Sie geschickt hat. Und wie Sie sehen, habe ich damit kein Problem. Fragen Sie, was Sie wissen müssen. Ich stehe Ihnen gerne zur Verfügung."

Entweder war er ein cooler Typ oder nur freundlich. Unabhängig davon gefiel es mir aber einfach, wie er die Sache anging. Anstatt den Unwissenden zu spielen, hatte er sein Visier hochgeklappt und uns gegenseitiges Taktieren erst einmal erspart. Ich war gespannt, wie es weitergehen würde.

"Was glauben Sie, warum wir hier sind und wer uns geschickt hat?", traute José dem Ganzen offenbar nicht so richtig über den Weg.

"Rica und ich waren, sagen wir, eng verbundene Geschäftspartner, jedenfalls früher. Ich kenne sie gut genug. Und ich kenne natürlich auch die Situation beim Sender, unsere unterschiedlichen Auffassungen über dessen Weiterentwicklung und selbstverständlich den Ehrgeiz meines Stellvertreters. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, wie die beiden zusammenarbeiten würden, um mich aus dem Weg zu räumen. Angesichts meines Lebenswandels wird der Vorwurf wahrscheinlich Veruntreuung lauten, nehme ich an. Und machen Sie sich keine Sorgen, Comisario, ich kann mir denken, wie Rica ihre Seilschaften benutzt hat, um mir die Polizei auf den Hals zu hetzen. Nichts für ungut und nichts gegen Sie persönlich. Salut!". Sánchez erhob sein Glas.

Der Mann hatte Stil. Ob er log oder lügen würde oder nicht, bis jetzt war er geradlinig und machte keinen Versuch, den Gesprächsverlauf zu seinen Gunsten zu nutzen oder zu gestalten. Irgendwie passte sein Auftritt zum Rest seiner Selbstpräsentation. Reden und Erscheinungsbild waren für mich irgendwie authentisch. Das machte ihn, trotz der mir fragwürdigen und durchaus ja auch zur Schau gestellten Üppigkeit seines Lebenswandels, sympathisch. Ein großer, schlanker Kerl in den Endvierzigern, freundliches Gesicht, gepflegtes Äußeres, gut, aber nicht extravagant gekleidet, gute Umgangsformen. So, wie auch sein Haus und sein Geschmack zugegebener Maßen angenehm waren.

"Leben Sie hier allein?" Ich versuchte, die Sache von einer anderen Seite anzugehen.

"Wenn Sie von Rosa absehen, die hier als Haushälterin lebt, ja. Ich bin nicht verheiratet, habe keine Kinder, leiste mir aber ab und zu Frauenbekanntschaften, die ich natürlich auch in mein Haus einlade. Kommen wir doch zur Sache, Comisario. Sie wollen wissen, wie ich mir das alles leisten kann und Sie haben vorher natürlich überprüft, wie es um mein Einkommen bestellt ist. Das wirft natürlich Fragen auf. Also fragen Sie."

Der letzte Teil seiner Rede war mir etwas zu viel. Der positive Eindruck bekam erste Risse. Was wollte er uns sagen? Dass er intelligent genug war, durchzublicken? Dass er nichts zu befürchten hatte? Er provozierte geradezu die Fragen, die wir vorhatten, ihm zu stellen. Vielleicht etwas zu clever für jemanden, der nur freundlich sein will.

"Was wissen Sie über Zahlungen des Senders, die regelmäßig und in beträchtlicher Höhe auf Konten gegangen sind, die nicht zu Geschäftspartnern des Senders zählen?"

"Nichts."

"Sie sollen die Zahlungsanweisungen dafür freigegeben haben. Mehrfach."

"Darüber ist mir nichts bekannt. Jedenfalls nicht im konkreten Einzelfall. Ich kenne natürlich den Prüfbericht, ich weiß aber auch, dass bislang völlig unklar ist, ob überhaupt Geld fehlt. Und wenn man wie ich täglich ganze Buchungslisten freigibt, dann muss man sich auch darauf verlassen können, dass die eigene Administration verlässlich vorgearbeitet hat. Vielleicht hätte ich mich mehr um diese Buchungslisten kümmern sollen, das will ich im Nachhinein nicht bestreiten. Aber eine strafbare Handlung ist das sicher nicht. Und eine persönliche Bereicherung hat es nie gegeben. Niemand weiß, wohin die beanstandeten Zahlungen geflossen sind. Zu mir jedenfalls nicht."

"Womit wir bei der nächsten Frage wären, Señor Sánchez." José wollte es jetzt wissen. "Wie können Sie all das hier" - er schwenkte seinen ausgestreckten Arm von links nach rechts über das gesamte Anwesen - "finanzieren? Nach unseren Ermittlungen versteuern Sie keinerlei Neben- oder Kapitaleinkünfte und unterhalten über dies alles hier hinaus" - noch ein Schwenk mit dem Arm - "eine Angestellte und mehrere teure Autos. Hinzu kommen exklusive Reisen. Dagegen steht ein zwar gutes, aber kein üppiges Gehalt."

"Eine persönliche Bereicherung würden wir durch Ermittlungen zu den Zahlungsströmen beim Sender sicher aufdecken können", setzte ich nach. "Dazu müsste es vorher allerdings eine Anzeige von Staats wegen gegen Sie geben, Señor Sánchez. Es wäre also in Ihrem eigenen Interesse, wenn Sie uns etwas detaillierter in Ihre wirtschaftlichen Verhältnisse Einblick gewähren würden."

"Lieber Comisario, das ist doch alles gar kein Problem. Meine Familie hatte früher Geld. Ich bin der letzte der Dynastie, wenn Sie so wollen. Das Anwesen hier wurde mir überschrieben, noch bevor ich laufen konnte. Rosa arbeitet praktisch für Kost und Logis, meine Autos sind ein Hobby, das ich mir leisten kann und auf die, wie Sie es nennen, exklusiven Reisen, laden mich meistens meine Frauenbekanntschaften ein."

"Sie würden uns Einblick in Ihre Konten gewähren?"

"Selbstverständlich."

Selbstverständlich! Wahrscheinlich hatte er Schweizer Nummernkonten auch schon, bevor er laufen konnte. Meine Sympathien für den Mann waren im Begriff, dahinzuschmelzen. Der war nicht nur freundlich, der war in erster Linie cool, wenn nicht abgebrüht. Das Gegenteil seiner Geschichte zu beweisen, war vermutlich schwierig. Solange sicherlich, wie seine Konten sauber waren. Das würden sie bestimmt sein, jedenfalls die, die wir finden konnten.

"Sie sagten, Ihre Familie sei früher vermögend gewesen. Heute nicht mehr?"

"Meine Familie hatte immer viel Land besessen, auch das, worauf heute der Golf-Club steht. Inzwischen ist alles verkauft. Das hat mein Vater gemacht, als er noch lebte. Das Geld aus den Grundstücksverkäufen hat er verspekuliert. Das Schicksal wollte es, dass er starb, bevor auch dieses Haus den Bach runter ging. Mein Großvater, der Vater meiner Mutter, hat dafür gesorgt, dass meine Mutter für den Rest Ihres Lebens vom restlichen Geld leben konnte. Und mir hatte er diese Villa quasi in die Wiege gelegt. Sie können das alles nachprüfen. Ist zwar schon fast vierzig Jahre her, aber im Grundbuch kommt ja nichts weg."

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