Management der Rehabilitation

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Die Leistungen zur Teilhabe

Leistungen zur medizinischen Rehabilitation

Unter Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sind alle Leistungen zu verstehen, die der Abwendung, Beseitigung, Minderung oder dem Ausgleich einer Behinderung oder Pflegebedürftigkeit, der Verhütung ihrer Verschlimmerung oder Milderung ihrer Folgen dienen. Konkreter ausgedrückt bedeutet dies, dass eine aus gesundheitlichen Gründen bedrohte oder beeinträchtigte Teilhabe durch Rehabilitationsmaßnahmen wiederhergestellt, verbessert oder vor Verschlimmerung behütet wird. Rehabilitations- und Vorsorgeleistungen können ambulant und stationär erfolgen. Es ist zu prüfen, ob eine Rehabilitationsleistung medizinisch notwendig erscheint und Rehabilitationsfähigkeit gegeben bzw. eine positive Rehabilitationsprognose möglich ist. Im nächsten Schritt entscheidet der zuständige Sozialversicherungsträger über die Bewilligung der Rehabilitationsmaßnahme. Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der Leistung sowie die Rehabilitationseinrichtung gemäß bestehendem Versorgungsvertrag bestimmt die Krankenkasse im Einzelfall.

Eine besonders zu erwähnende Maßnahme der medizinischen Rehabilitation stellt die stufenweise Wiedereingliederung ins Arbeitsleben (auch als „Hamburger Modell“ bekannt) dar. Hierbei werden Rehabilitanden nach Krankheit oder Unfall über mehrere Wochen oder sogar Monate nach und nach wieder an einen vollen Arbeitstag gewöhnt. Zunächst z. B. für zwei Stunden pro Tag, dann für vier und sechs. Offiziell gelten die Beschäftigten in dieser Zeit als arbeitsunfähig und erhalten Lohnersatzleistungen, wie Verletztengeld oder Krankengeld.

Sollte es notwendig sein, können ergänzende Leistungen erbracht werden. Eine Anschlussrehabilitation oder Anschlussheilbehandlung (AHB) ist die im unmittelbaren Anschluss an einen Krankenhausaufenthalt erforderliche weitere Behandlung der PatientInnen in einer besonders spezialisierten Rehabilitationseinrichtung.

Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erbringen

► die gesetzlichen Krankenkassen (GKV)

► die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV)

► die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV)

► die Träger der Alterssicherung der Landwirte

► die Träger der Kriegsopferfürsorge und -versorgung

► die Träger der öffentlichen Jugendhilfe

► die Träger der Eingliederungshilfe


Abbildung 7: Sonderfall gesetzliche Unfallversicherung (eigene Darstellung)

Bei der gesetzlichen Unfallversicherung ist eine Besonderheit zu beachten (Abbildung 7). Da diese ihre Leistungen „wie aus einer Hand“ erbringt, werden in der sogenannten Heilbehandlung nach SGB VII die Akutversorgung und die medizinische Rehabilitation zusammengeführt. Daher lassen sich diese Leistungsbereiche bei der gesetzlichen Unfallversicherung mitunter nicht scharf trennen, was sich letztendlich positiv auf die Nahtlosigkeit der Leistungserbringung auswirkt.

Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben

„Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“ (LTA) ist der sozialrechtliche Begriff für die Leistungen zur beruflichen Rehabilitation. Davon sind alle Rehabilitationsmaßnahmen eingeschlossen, die die Arbeits- und Berufstätigkeit von erkrankten Menschen sowie von Menschen mit Behinderung wiederherstellen oder fördern. Es werden Leistungen erbracht, um einen Arbeitsplatz zu erhalten oder zu erlangen. Im Einzelnen können Vorbereitungs-, Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen genehmigt werden. Daneben gibt es die Möglichkeit, Zuschüsse an Arbeitgeber zu zahlen. Leistungen können aber auch für beispielsweise Lehrgänge, Lernmittel, Arbeitskleidung, Prüfungen, Unterkunft und Verpflegung erbracht werden. Leistungen in Werkstätten für behinderte Menschen sind ebenfalls möglich.14 Im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben können ferner medizinische, psychologische und pädagogische Hilfen in Anspruch genommen werden. Hiermit sind beispielsweise Hilfen zur Aktivierung von Selbsthilfepotentialen, zur seelischen Stabilisierung oder aber auch der Erwerb von Schlüsselkompetenzen nach Einzelfallprüfung gemeint. Erbracht werden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in der Regel von

► der Agentur für Arbeit

► den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung

► den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung

Mögliche Leistungsträger sind aber auch

► die Träger der Kriegsopferfürsorge und -versorgung

► die Träger der öffentlichen Jugendhilfe

► die Träger der Eingliederungshilfe

► das Integrationsamt

Leistungen zur sozialen Teilhabe

Die Leistungen zur sozialen Teilhabe waren bis zum Inkrafttreten des BTHG unter der Bezeichnung „Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft“ bekannt. Diese Leistungen werden erbracht, damit Menschen möglichst selbstbestimmt und gleichberechtigt am sozialen Leben in der Gesellschaft teilhaben können. Möglich sind Kommunikationshilfen, Hilfen zum bedarfsgerechten Umbau der Wohnung oder des Hauses und zum selbstbestimmten Leben in spezifischen Wohnformen sowie zur Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Leben. Träger sind

► die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung

► die Träger der Kriegsopferfürsorge und -versorgung

► die Träger der öffentlichen Jugendhilfe

► die Träger der Eingliederungshilfe

Leistungen zur Teilhabe an Bildung

Durch eine frühzeitige, inklusive Ausbildung können mehr Menschen mit Beeinträchtigung in den ersten Arbeitsmarkt eingebunden werden.15 Gemeint sind Hilfen zu einer Schulbildung, speziell im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht, einschließlich der Vorbereitung zur Teilnahme am Schulunterricht. Es sind ebenfalls Hilfen gemeint, die zur schulischen oder hochschulischen Ausbildung oder Weiterbildung gereichen. Maßnahmen zum Ausgleich von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderung sind im Hochschulbereich entscheidend. Bildungsbedarf besteht für behinderte wie für nicht behinderte Menschen über die gesamte Lebensspanne. Deshalb werden Leistungen der Berufsfindung und Arbeitserprobung, berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen und behinderungsspezifische, spezielle Grundausbildungen gewährt. Träger der Leistungen zur Teilhabe an Bildung sind

► die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (bei Kindern, Schülern und Studierenden)

► die Träger der Kriegsopferfürsorge und -versorgung

► die Träger der öffentlichen Jugendhilfe

► die Träger der Eingliederungshilfe

Unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen

Bei diesen Leistungen handelt es sich um finanzielle oder auch medizinische Leistungen, welche vom Rehabilitationsträger begleitend zu einer von ihm bewilligten Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden können, sofern die Voraussetzungen nach einer Prüfung dafür erfüllt sind. Gemeint sind Leistungen wie Kranken- und Übergangsgeld, die Übernahme von Beiträgen bzw. Beitragszuschüsse zur Sozialversicherung, Rehabilitationssport, Funktionstraining, Kosten für Unterkunft und Verpflegung bei beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen, eine Betriebs- oder Haushaltshilfe, Kinderbetreuungskosten, Ausbildungsgeld und Reisekosten. Sonstige Leistungen zur Teilhabe sind Leistungen zur Eingliederung in das Erwerbsleben. Hierbei sind nachgehende Leistungen zur Sicherung des Erfolges der Leistungen zur Teilhabe hervorzuheben. Ferner sind stationäre medizinische Leistungen zur Sicherung der Erwerbsfähigkeit, Leistungen zur onkologischen Rehabilitation (auch der Angehörigen), zur Kinderrehabilitation als auch Leistungen für diejenigen Einrichtungen, die auf dem Gebiet der Rehabilitation forschen oder die Rehabilitation fördern. Speziell für Mädchen, die behindert oder von Behinderung bedroht sind, werden die Kosten von Leistungen zur Stärkung des Selbstbewusstseins getragen.16 Träger dieser Leistungen sind

► die gesetzlichen Krankenkassen

► die Agentur für Arbeit

► die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung

► die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung

► die Träger der Alterssicherung der Landwirte

► die Träger der Kriegsopferfürsorge und -versorgung

Die Leistungserbringer

Ein Charakteristikum der Rehabilitation stellt die Vielfalt und Breite der benötigten Leistungserbringer dar, die über den engen Bereich der gesundheitlichen Versorgung hinausgeht. Dieses Lehrbuch liefert nur einen kleinen Einblick in diese umfangreiche Landschaft der Leistungserbringer. Ein Überblick über einige wichtige Institutionen findet sich im Kapitel 5.3 im Anhang.

Es zeigt sich eine Vielfalt, die sich entsprechend der sektoralen Gliederung des deutschen Gesundheitssystems entlang der Koordinaten „stationäre bzw. ambulante Versorgung“ und „Akutmedizin bzw. Rehabilitation“ ausprägt, wobei in einigen Bereichen Überlappungen und Zuordnungsunterschiede auftreten. So kann das Angebot, welches in dem einen Bundesland dem Akutsektor zugerechnet wird in dem anderen Bundesland ein Reha-Angebot darstellen mit weitreichenden Unterschieden bei Zuweisung und Finanzierung. Und auch auf der erstgenannten Koordinate existieren mit teilstationären, mobilen, integrierten und Intervall-Angeboten unterschiedlichste Ausprägungen.

Auf der ambulanten Ebene finden sich die dem akutstationären Versorgungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung zugeordnete haus- und fachärztliche Versorgung, die auch psycho-, physio- und ergotherapeutische Angebote umfasst. Der Bereich der ambulanten Rehabilitation wird neben der gesetzlichen Krankenversicherung von der gesetzlichen Rentenversicherung getragen. Die Angebote sind in der Regel indikationsorientiert und decken insbesondere Krankheiten des muskulo-skelletalen Bereichs ab. In geringerem Umfang stehen auch ambulante Rehabilitationsformen zu den Indikationen Psychosomatik, Onkologie und Neurologie zur Verfügung.

 

Stationär spannt sich das Angebot von den Krankenhäusern mit postakuten Angeboten über Rehabilitationskliniken in den o. g. Indikationsbereichen bis hin zu spezialisierten Kliniken, wie Kliniken für Essstörungen oder Kliniken bzw. Abteilungen für verhaltensmedizinische Orthopädie.

Neben den genannten Leistungserbringern des medizinischen Sektors sind die Anbieter von Leistungen aus dem beruflichen Bereich zu nennen, die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbringen. Zunächst sind da die Berufsbildungswerke zu nennen, die vor allem für die Erstausbildung zuständig sind. Dort werden junge Menschen mit speziellem Unterstützungsbedarf für ihre berufliche Zukunft mit Hilfe individuell abgestimmter Angebote qualifiziert und erhalten einen anerkannten Abschluss. Die Berufsförderungswerke hingegen haben die Aufgabe RehabilitandInnen, die sich aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung als Folge einer Erkrankung oder eines Unfalls beruflich neu orientieren müssen, zu qualifizieren und dabei therapeutisch zu begleiten.

Ebenfalls zu erwähnen sind die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, in denen vor allem Menschen, die aufgrund der Art und Schwere ihrer Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt keine oder zunächst keine Beschäftigung finden, einer beruflichen Tätigkeit nachgehen können und dabei, wenn möglich, für den ersten Arbeitsmarkt qualifiziert werden.

Weiterhin leisten berufliche Trainingszentren und Rehabilitationseinrichtungen für psychisch kranke Menschen Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags.

Ein umfassender Überblick über Leistungsanbieter im Kontext der Teilhabe am Arbeitsleben und über weitere Angebote zur Beratung und Unterstützung findet sich im Internetportal REHADAT17, eine von den für Arbeit und Soziales zuständigen Bundesministerien geförderte Informationsplattform des Instituts der deutschen Wirtschaft, die ein umfassendes Angebot an Informationen, die die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung betreffen, zur Verfügung stellt.

Die Zusammenarbeit der Leistungserbringer im Netzwerk wird im Kapitel 0 weitergehend betrachtet.

Das persönliche Budget

Als ein besonderes Instrument zur Stärkung von Teilhabe und Selbstbestimmung im Zuge der Rehabilitation, soll an dieser Stelle das Persönliche Budget herausgehoben werden.

Das persönliche Budget stellt eine besondere Form der Leistungserbringung dar. Seit dem 1. Januar 2008 haben rehabilitationsbedürftige Menschen gegenüber dem zuständigen Rehabilitationsträger Anspruch auf Ausführung von Teilhabeleistungen durch ein Persönliches Budget (§§17 Abs. 2, 159 Abs. 5 SGB IX). Grundsätzlich besteht für alle Leistungen zur Teilhabe ein Anspruch auf ein persönliches Budget. RehabilitandInnen können auf Antrag damit für Leistungen, die üblicherweise als Sachleistungen gewährt werden, ein Budget bekommen und sich damit die benötigten Hilfsmittel und Dienstleistungen selbst beschaffen.

Im laufenden Rehabilitationsprozess kann die Selbstbestimmung und Teilhabe des Leistungsberechtigten gefördert und somit die Wirksamkeit der Rehabilitation gestärkt werden. Dabei steht die Förderung einer selbstbestimmten Lebensführung im Fokus.

In der gesetzlichen Unfallversicherung zum Beispiel wird das persönliche Budget gerne bei regelmäßigen Routinetätigkeiten, z. B. bei wiederkehrenden Abrechnungen von Fahrtkosten, bei der Haushaltshilfe oder zur Sicherstellung von Pflegedienstleistungen genutzt. Im Projekt Pro-Budget wurde das Persönliche Budget im Hinblick auf das Ziel der selbstbestimmten Teilhabe von RehabilitandInnen positiv beurteilt18.

Das Budget ist im Vorfeld zu bemessen und sollte in etwa den gleichen finanziellen Umfang, wie eine entsprechende Sachleistung haben. Es wird in der Regel auf Basis einer Zielvereinbarung und eines privatrechtlichen Vertrages gewährt.

Leider wird das Persönliche Budget noch immer sehr zurückhaltend zur Stärkung der Teilhabe eingesetzt.

2 Case Management

Bedeutung, Ziele und Aufgaben

Nachdem wir uns im ersten Kapitel der Rehabilitation zugewendet haben, steht nun im zweiten das Case Management im Focus. Zu Beginn gilt es, sich mit einer Definition von Case Management vertraut zu machen, damit wir unsere Betrachtungen vom gleichen Standpunkt aus angehen können.

Grundsätzlich gilt, dass mit CM ein Handlungsansatz bezeichnet wird, bei dem Menschen unterstützt werden, die in eine problematische Lebenssituation geraten sind, aus der sie ohne professionelle Hilfe nicht mehr herausfinden. Case Management hat zum Ziel, dass diese Personen in die Lage sind, wieder vollständig selbstständig, ohne fremde Unterstützung im Leben zurechtzukommen. Der Weg dorthin soll so transparent und nachvollziehbar wie möglich ausgestaltet und der Erfolg so genau wie möglich messbar sein.

Versuchen wir den englischen Begriff „Case Management“ ins Deutsche zu übertragen, kommen wir auf den Begriff Fallmanagement. Diese Eins-zu-Eins-Übersetzung ist leider nicht sinnvoll, da Fallmanagement streng genommen nur einen Teilbereich des Case Managements ausmacht, das Management auf der Fallebene. Hinzu kommt noch das Management auf der Systemebene (Organisations- und Netzwerkebene), das über einen ebenso hohen Stellenwert verfügt. Dies bliebe unbeachtet, wenn wir Case Management nur mit Fallmanagement übersetzen würden. Ein Blick in die Praxis zeigt uns, dass das aber nicht überall so gehandhabt wird. So bezeichnen zum Beispiel einige Rentenversicherungsträger ihre Case Management-Programme als Fallmanagement. Ist dies bekannt, lässt sich damit umgehen.

In unserem Sprachgebrauch, wie in diesem Buch, bezeichnet Fallmanagement zunächst die unmittelbare Einzelfallarbeit, die im persönlichen Dialog mit einer unterstützungsbedürftigen Person stattfindet. Fallmanagement ist hochgradig individuell und orientiert sich an der konkreten Situation, in der sich die unterstützungsbedürftige Person befindet.

Das Management auf der Systemebene beinhaltet die Gestaltung und Pflege der Strukturen, Prozesse und Netzwerke, die zur Problembewältigung im Fallmanagement benötigt werden. Diese müssen im Bedarfsfall verzögerungsfrei und qualitätsgesichert funktionieren.

Dabei ist Case Management als ein subsidiäres, also nachrangiges Angebot zu verstehen. Das bedeutet, dass individuelles Fallmanagement immer nur dann zum Einsatz kommt, wenn wirklich keine einfache Beratung oder singuläre Dienstleistung mehr hilfreich ist. Grundsätzlich gilt das Prinzip der Förderung von Selbstbestimmung und Teilhabe im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe. Geleistet wird immer so viel wie nötig, damit der Mensch wieder eigenständig aktiv und nachhaltig am Leben in der Gesellschaft teilhaben kann. Wie im Kapitel 1.3.2 bereits im Kontext der UN-BRK erläutert, ist Eigeninitiative zu fördern statt Überfürsorge zu praktizieren. Mut machen und „empowern“ statt bemitleiden und „verunselbstständigen“.

Wenn wir partout einen Begriff fordern, mit dem Case Management am treffendsten ins Deutsche übersetzt werden kann, dann würde sich vielleicht mit einigen Abstrichen der Begriff Unterstützungsmanagement anbieten, der bereits in der Frühzeit des Case Managements in Deutschland von der Sozialarbeit genutzt wurde.

Suchen wir nach einem Bild, mit dem wir Case Management am treffendsten verdeutlichen können, mögen wir an einen Werkzeugkoffer denken. Eine Sammlung von Methoden, Instrumenten und Verfahren, die je nach Bedarfslage zum Einsatz kommen. Hier kommen die Case ManagerInnen ins Spiel. Ihre Professionalität besteht darin, diese Methoden zu beherrschen und zu wissen, was, wann, wie zum Einsatz kommen muss, um möglichst effektiv und effizient zum Ziel zu gelangen.

Auch kann die Einzelfallhilfe zum Vergleich herangezogen werden. Diese wird in der sozialen Arbeit in unterschiedlichen Handlungsfeldern zur Anwendung gebracht. Dies kann eine beratende Tätigkeit sein, die Vermittlung materieller Hilfen, aber auch der Anstoß und die Realisierung von präventiven, unterstützenden, therapeutischen oder rehabilitierenden Schritten. Allen Konzepten der Einzelfallhilfe ist – wie auch im Case Management – gemein, dass das Individuum im Sinne der „Hilfe zur Selbsthilfe“ dergestalt gestärkt wird, dass es ferner keiner weiteren professionellen Unterstützung mehr bedarf. Grundlegende Voraussetzung ist hierbei Freiwilligkeit, Einverständnis und Mitwirkungsbereitschaft der betroffenen Person.

Im Case Management ist jedoch darüber hinaus das Bemühen um eine Messbarmachung der Effektivität und Effizienz implementiert. In Abgrenzung zur Einzelfallhilfe handelt es sich nicht mehr ausschließlich um ein individuelles Hilfsangebot, sondern Case Management folgt überprüfbaren und festgesetzten Standards in einem definierten Dienstleistungsverhältnis.

Fallmanagement innerhalb des Case Managements ist also als eine professionelle Unterstützungsdienstleistung mit transparenter Vorgehensweise und messbaren Erfolgen im konkreten Einzelfall zu verstehen, wohingegen das Systemmanagement die Optimierung der Versorgungsstrukturen im Blick hat, auf die im konkreten Einzelfall zurückgegriffen werden kann. Die Management-Komponente des Begriffes sagt aus, dass es sich um die zielgerichtete Koordination und Steuerung der Zusammenarbeit von Netzwerkpartnern handelt.

Von entscheidender Bedeutung ist, dass der betroffene Mensch auch im Prozess des Case Managements selbstbestimmt handelt und an allen Entscheidungen beteiligt ist, soweit es seine Situation zum jeweiligen Zeitpunkt zulässt.

Die Leitprinzipien des Case Managements

Die wichtigsten Akteure im Case Management sind in jedem Fall die Menschen, die in eine problematische Lebenslage geraten sind und ein Case Management benötigen. Um sie geht es, sie stehen im Zentrum allen Handelns. Je nach Anwendungskontext des Case Management sind dies z. B. KlientInnen, KundInnen, Versicherte oder PatientInnen. Übergeordnet hat es sich im Case Management etabliert von „den AdressatInnen“ zu sprechen. In diesem Buch wird im Folgenden im Kontext der Rehabilitation der Begriff „RehabilitandInnen“ und bei allgemeineren Zusammenhängen überwiegend der Begriff „KlientInnen“ verwendet.

Der Erfolg des Case Managements ist stark davon abhängig, wie gut es den Case ManagerInnen gelungen ist, eine tragfähige, auf gegenseitigem Vertrauen basierende Arbeitsbeziehung zu den RehabilitandInnen aufzubauen. Ein offenes Miteinander ist der Schlüssel zum Erfolg. Ohne dieses Vertrauen ist kein Case Management möglich. Dieses Vertrauen aber entsteht nicht einfach so von selbst, sondern bedarf eines grundlegenden beruflichen Selbstverständnisses, das im Folgenden betrachtet werden soll.

Jede Profession definiert für sich bestimmte Regeln und trifft Vereinbarungen, die es bei der Arbeit zu beachten und einzuhalten gilt. Es werden Struktur- und Prozesskriterien formuliert, die bestimmte Anforderungen und Vorgehensweisen beschreiben. Das können zum Beispiel Qualifizierungsanforderungen an das Personal und eine vorgegebene Mindestausstattung an Geräten (Strukturen) wie auch definierte Handlungsabläufe sein (Prozesse). Auch ein Grundverständnis über die übergeordneten strategischen Ziele allen Handelns gehört dazu, auch Berufsethos genannt.

Die Deutsche Gesellschaft für Care und Case Management (DGCC) hat sich mit diesen Fragen befasst und entsprechende Leitprinzipien für Case ManagerInnen formuliert [Urversion: Deutsche Gesellschaft für Sozialarbeit, 200419). Diese Leitprinzipien sind die Basis für das berufliche Selbstverständnis professioneller Case ManagerInnen. Case ManagerInnen müssen sich mit ihnen auseinandersetzen und sollten ihr Handeln entsprechend ausrichten und reflektieren.

Die Leitprinzipien sind in zwei Bereiche gegliedert. Zum einen in „Leitprinzipien mit Blick auf … a. den Adressaten, b. die Fachlichkeit und c. gesellschafts- und sozialpolitische Ordnungsgesichtspunkte sowie zum anderen in Leitprinzipien zur inhaltlichen Bestimmung, welche sich mit der Zielgruppe, den Zielen und dem Handlungsrahmen des Case Management befassen.

 

Im Folgenden werden die Leitprinzipien der DGCC in einer überarbeiteten Fassung dargestellt und erläutert.

Leitprinzipien mit Blick auf …

… den Adressaten

Case Management dient dem Adressaten und berücksichtigt dabei die folgenden Grundlagen:

Adressatenorientierung (Klientenorientierung) …

… beinhaltet die Einbeziehung des Adressaten in die Feststellung des individuellen Bedarfs an Leistungen sowie die strikte Ausrichtung der Unterstützungsangebote an seinem Bedarf. Der Adressat wird möglichst umfassend in alle Abläufe des Case Management einbezogen und zur Verantwortungsübernahme ermutigt.

Mit der Adressatenorientierung soll sichergestellt werden, dass die Formulierung von Zielen und die Auswahl von Maßnahmen nicht durch Interessen Dritter geleitet wird, sondern sich ausschließlich an der Situation und somit am Bedarf der RehabilitandInnen orientiert. Die Interessen der unterstützenden Organisation sind dem Bedarf der RehabilitandInnen unterzuordnen. Dies ist nur möglich, wenn die RehabilitandInnen im größtmöglichen Umfang bei der Analyse der Situation und der Lösungsfindung einbezogen werden und „als Subjekt“ aktiv am Prozess mitwirken.

Lebensweltnähe …

… bedeutet, dass die Lebenssituation des Adressaten, seine soziale und örtliche Lebensumwelt zu jedem Zeitpunkt Berücksichtigung findet. Wichtig ist das Nachvollziehen der spezifischen Sicht, Denk- und Gefühlswelt des Adressaten aus seiner Lebenswelt heraus.

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für das Case Management ist die Akzeptanz individueller Lebenskonstruktionen. Case ManagerInnen müssen bei ihrer Arbeit, ggf. auch gegen persönliche Vorlieben, Normen und Werte, Andersartigkeit akzeptieren und diese bei der Zieldefinition wertneutral zugrunde legen. Hierbei spielen unter anderem auch kulturelle Besonderheiten eine Rolle, die von den Case ManagerInnen transkulturelle Kompetenzen fordern.

Mehrdimensionalität des Menschen …

… sagt aus, dass nicht z. B. Körper und Psyche eines Menschen isoliert betrachtet werden dürfen, sondern er immer in seiner Gesamtheit zu sehen ist. Das heißt, alle relevanten psychischen (seelischen, emotionalen und kognitiven), physischen, sozialen, organisationsbezogenen und örtlichen Merkmale sind zu berücksichtigen.

Der Mediziner und Begründer der Psychosomatik Thure von Uexküll20, war im 20 Jahrhundert einer der führenden Verfechter ganzheitlicher medizinischer Ansätze. Der Körper funktioniert nicht ohne die Seele und die Seele nicht ohne den Körper. Ist der Körper krank, leidet die Seele und umgekehrt. Zum Beispiel kann ein isolierter Blick auf die Wiedererlangung eingeschränkter Körperfunktionen ohne jegliche Berücksichtigung möglicher psychischer Auswirkungen den Interventionserfolg beeinträchtigen.

Ressourcenorientierung …

… bezeichnet im Gegensatz zur Defizitorientierung (an den Schwächen und Einschränkungen orientiert) die vorrangige Ausrichtung des Hilfeangebotes an allen vorhandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten des Adressaten und den vorhandenen personellen und materiellen Hilfen. Die Fähigkeiten und Fertigkeiten sind zu erhalten und zu stärken.

Es ist so weit wie möglich vom positiven Leistungsbild der RehabilitandInnen auszugehen. Es ist vor allem die Frage zu stellen „Was geht?“ und nicht „Was geht nicht?“. Vielfach werden mögliche Potenziale nicht erkannt, weil die Auseinandersetzung mit der Problematik einer Situation den Blick auf vorhandenen Möglichkeiten verstellt.

Empowerment …

… beinhaltet die Förderung selbstbestimmten Handelns durch Ermutigung, Informationsvermittlung, Beratung und Unterstützung. Wichtig ist die Stärkung der Motivation notwendige Leistungsangebote in Anspruch zu nehmen. Die Unterstützung im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe steht im Vordergrund und falls notwendig kommt anwaltschaftliches Handeln hinzu.

Der gesamte Unterstützungsprozess des Case Management steht unter dem Motto „Nie so viel wie möglich, immer nur so viel wie nötig“. Überfürsorge entmündigt und verunselbstständigt die RehabilitandInnen. Aktive, selbstständige Teilhabe und Selbstbestimmung sind übergeordnete strategische Ziele, deren Erreichung durch einen Prozess der Ermutigung sowie des Anspornens und Unterstützens, da wo Hilfe wirklich notwendig ist, unterstützt wird.

… Fachlichkeit

Dem Case Manager kommt eine autorisierte Stellung im lokalen Versorgungsgefüge zu. Die Anwendung von Case Management setzt die Akzeptanz des Case Managers als Mit-Initiator und Mit-Gestalter von Netzwerkverbindungen und die fachliche Anerkennung seiner Einrichtung in der regionalen Versorgungslandschaft voraus. Von der eigenen Einrichtung der des Case Managers muss das Case Management durch die Bereitstellung der notwendigen Strukturen und der Zuweisung erforderlicher Handlungsfreiheiten an die den Case Manager ermöglicht und unterstützt werden.

Hier wird deutlich, dass Case Management über die unmittelbare Fallarbeit hinausgeht. Case Management erfordert das Initiieren und Gestalten von Netzwerken im regionalen Umfeld. Darüber hinaus ist es zwingend erforderlich, dass der Case Management von seiner eigenen Institution unterstützt wird. Dazu zählen neben Entscheidungskompetenzen, die langwierige Genehmigungsprozesse vermeiden helfen, auch räumliche und zeitliche Freiheiten, die Arbeitsorganisation betreffend.

Case Management wird gemäß dem aktuellen Stand der fachlichen Erkenntnisse auf qualitätsvolle Weise erbracht. Hierzu zählen:

Interprofessionalität …

… steht für fachübergreifendes Denken und Handeln und die Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen

Wenn man im Blick hat, welche Professionen an einem komplexen Case Management-Prozess beteiligt sind – im Fall der Rehabilitation können das z. B. der Rehabilitand, Ärzte, Psychologen, Therapeuten, Pädagogen, Arbeitgeber und Sachbearbeiter des Trägers sein – ist schnell klar, dass es hier einer koordinierenden, moderierenden Kraft bedarf, die eine gemeinsame Verhandlungsebene schafft und Verständnis für die Situation aller am Prozess beteiligter Parteien mitbringt.

Neutralität …

… bedeutet, dass alle Maßnahmen vorrangig am Bedarf des Adressaten ausgerichtet werden müssen und dies zunächst ohne Rücksicht auf die Eigeninteressen des Case Managers oder seines Trägers.

Vor dem Hintergrund, dass Case ManagerInnen, die in der Rehabilitation tätig sind, in der Regel von einem Reha-Träger finanziert werden oder in Diensten des selbigen stehen, ist dies ein nicht unkritisches Prinzip. Da aber auch der Träger letztendlich davon profitiert, wenn die Rehabilitation bedarfsgerecht ausgerichtet wird, sollte es bei einem entsprechend professionellem Verständnis von Case Management hier keine Probleme geben. Es bedarf aber eben einer Case Management fördernden Ausrichtung der Organisation, in der die Case ManagerInnen eingebunden ist. Genießen sie nicht die notwendige Freiheit und Unterstützung, das Prinzip Neutralität zu wahren, ist ein Case Management letztendlich nicht qualitätsvoll zu leisten.

Effektivität …

… steht für den Grad der Wirksamkeit erbrachter Unterstützungsleistungen. Je besser mit einer Maßnahme ein vorab definiertes Ziel erreicht werden kann, umso wirksamer bzw. effektiver ist sie.

Effizienz …

… kennzeichnet den zeit- und kostensparenden, ökonomischen Einsatz der Unterstützungsleistungen z. B. durch vernetzte Zusammenarbeit.

An dieser Stelle werfen wir einen Blick auf die Begriffe Effektivität und Effizienz, die umgangssprachlich sehr beliebt sind, die aber auch sehr unterschiedlich definiert werden.


Abbildung 8: Effektivität und Effizienz (eigene Darstellung)

Effektivität ist als der Grad der Wirksamkeit einer Handlung definiert. Möchte ich von einem Ausgangspunkt (Ist-Zustand) zu einem definierten Ziel (Soll-Zustand) gelangen und erreiche diesen Soll-Zustand letztendlich irgendwie, so war ich effektiv. Der Weg dorthin spielt bei der Betrachtung der Effektivität keine Rolle. Er kann also ziemlich lang und ziemlich teuer, sprich mit hohem Ressourceneinsatz gestaltet worden sein.

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