Management der Rehabilitation

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Inklusion und Integration

Eine wesentliche gesellschaftliche Aufgabe, die sich durch all die genannten Neuerungen in der Gesetzgebung betont und die durch eine Reihe nationaler Aktionspläne gefördert wird, ist die Schaffung einer inklusiven Gesellschaft, in der alle Menschen in allen Bereichen des Lebens gleichberechtigte Teilhabe genießen.

Wichtig ist daher auch einen Blick auf die Bedeutung der Begriffe Inklusion und Integration, deren Beziehung zueinander und den Umgang damit zu werfen. Nach Einführung des Begriffes Inklusion wurde in hektisch wirkender Betriebsamkeit in vielen Kontexten bis in die Gesetzgebung hinein der Begriff Integration einfach nur durch den Begriff Inklusion ersetzt. Bei einer genauen Betrachtung sollte jedoch die Erkenntnis wachsen, dass beide Begriffe nebeneinander stehen können, ja sogar müssen.

Inklusion bezeichnet weniger einen Prozess sondern vielmehr einen idealtypischen Soll-Zustand. In einer vollständig inklusiven Gesellschaft gibt es keinerlei Barrieren mehr. Alle Menschen können in dieser Idealgesellschaft ungehindert an allem teilhaben. Es darf demnach in einer inklusiven Gesellschaft zum Beispiel keine – wie oben beschrieben – zu niedrigen Türen mehr geben oder auch keine Treppen, die für Menschen mit Einschränkungen in der Mobilität unüberwindbare Hindernisse darstellen. Alles muss auch für seh- und hörbeeinträchtigte Menschen gestaltet und sämtliche Informationen müssen in einfacher Sprache verfügbar sein, damit auch Menschen mit geistiger Beeinträchtigung nicht benachteiligt werden. Bei der Vielzahl menschlicher Eigenschaften kann hier nur ein winziger Ausschnitt dessen aufgezählt werden, was alles notwendig wäre, um eine vollinklusive Gesellschaft zu schaffen. Es handelt sich realistisch betrachtet also um einen nicht erreichbaren Idealzustand.

Auch bei allen Anstrengungen Inklusion tatsächlich umfassend zu verwirklichen, wird es immer eine Zahl an Menschen geben, die aufgrund ihrer individuellen Beeinträchtigungen Barrieren erfahren und an ihrer Teilhabe gehindert werden. Hier ist die Gesellschaft gefordert, individuelle Maßnahmen bereit zu halten, mit deren Hilfe auch diesen Menschen mit Behinderungen die Teilhabe ermöglicht wird. Je weniger inklusiv eine Gesellschaft ist, umso mehr bedarf es individueller Spezialmaßnahmen. Diese Spezialmaßnahmen lassen sich nach wie vor mit dem Begriff „Integration“ oder als „integrative Maßnahmen“ am besten beschreiben. Integration dient Einzelnen dort den Weg in eine inklusiv orientierte Gesellschaft zu finden, wo der Wandel zu einer inklusiven Gesellschaft noch nicht vollzogen ist oder Inklusion an ihre Grenzen stößt. Und diese Grenzen wird es immer geben.


Abbildung 2: Die Bedeutung von Integration auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft (eigene Darstellung)

Inklusion und Integration ergänzen sich demnach. Der Begriff Inklusion verbietet Stigmatisierung und die Konzentration auf ein Individuum. Wird eine Gruppe von Menschen mit bestimmten Eigenschaften gebildet, ist dies bereits nicht mehr inklusiv gedacht.

An dieser Stelle sei noch auf die leider noch immer übliche aber grundfalsche Verwendung des Begriffs der „behindertengerechten“ Gestaltung eingegangen. Oftmals verbirgt sich dahinter einfach nur die Zugänglichkeit für Rollstuhlfahrer. Das greift viel zu kurz und von den „Behinderten“ zu sprechen verbietet sich ohnehin. Ebenso falsch und mit einem völlig falschen Tenor verbunden ist der Begriff „leidensgerechte“ Gestaltung oder „leidensgerechter“ Arbeitsplatz. Eine Beeinträchtigung oder Behinderung ist keineswegs mit einem Leid gleichzusetzten, das wohlmöglich auch noch Mitleid auslöst und das von den angesprochenen Personen auch nicht unentwegt als solches empfunden werden möchte. In öffentlichen Räumen sollte es „barrierefrei“ (meistens ein theoretischer Wunschzustand), korrekter „barrierearm“ bzw. speziell „rollstuhlgerecht“ heißen und bei der individuellen Gestaltung von Arbeitsplätzen und häuslichen Umgebungen „behinderungsbezogen“, „behinderungsgerecht“ oder noch besser „fähigkeitsgerecht“, da eine Behinderung eben immer auf die Wechselwirkung individueller Eigenschaften und Fähigkeiten mit den Umgebungsbedingungen zurückzuführen ist.

Empowerment

Die UN-BRK wurde vom Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte Heiner Bielefeldt als „Empowerment-Konvention“ bezeichnet.11 Ziel einer Empowerment-Strategie ist, dass Menschen in der Lage sind ihren Lebensalltag autonom zu bewältigen und zu organisieren und dies aufgrund eigener Maßstäbe passiert. Dies führt zu einer Befreiung aus Bevormundung und Abhängigkeit aus eigener Kraft und eigenem Willen.

Empowerment hat ferner eine politische Dimension. Historisch betrachtet sind die internationalen Bürgerrechtsbewegungen das Resultat eines Empowerment-Prozesses. Betroffene und Unterstützende kämpften für eigene Hoheitsgewalt für das eigene Leben und Handeln, Selbstbestimmung und uneingeschränkte Teilhabemöglichkeit. Hinzu tritt die individuelle, psychologisch-soziologische Ebene. Das Individuum strebt als soziales Wesen nach Autonomie und persönlicher Aneignung von Ressourcen in der Gesell- oder Gemeinschaft.

Menschen mit Behinderung müssen wie alle anderen auch mit all ihren Eigenschaften, Möglichkeiten Fertig- und Fähigkeiten gesehen werden. Die Geschichte zeigt, dass durch alle Epochen hindurch stets die Defizite in den Fokus gestellt worden sind. Werden jedoch im Sinne einer Empowerment-Strategie Ressourcen, Bedürfnisse und Möglichkeiten anstatt der Defizite gesehen, kann ein selbstbestimmter Prozess in Gang gebracht werden. Unterstützung ist bedarfsgerecht in geeigneter Weise zu leisten und nicht in Form überbordender Fürsorge. Diese Vorgehensweise fordert Empathie, Zeit, Geduld, Verständnis und ein Umdenken bezüglich des Umgangs mit Menschen mit Behinderung.

Die ICF und das Bio-psycho-soziale Modell der WHO

Dem genannten Paradigmenwechsel von der Orientierung an den Defiziten und Krankheiten sowie dem Fürsorgeprinzip hin zur Teilhabe und Selbstbestimmung liegt ein theoretisches Modell zugrunde, das seit seiner Einführung in Deutschland die Grundlage für unser Handeln in der Rehabilitation darstellt. Es handelt sich hierbei um die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF – „International Classifikation of Functioning, Diability and Health“). Die ICF ist zunächst einmal eine Klassifikation, die Krankheitsfolgen bezeichnet, gruppiert und nummeriert. Sie setzt auf der in der Medizin weltweit etablierten Internationalen (statistischen) Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD – International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) auf, die im Jahr 1989 eingeführt wurde und mit der heutzutage (aktuell ICD 10, in absehbarer Zeit ICD 11) sämtliche medizinische Diagnosen geschlüsselt werden. Wer sich im Gesundheitswesen ein wenig auskennt oder schon einmal eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom Arzt überreicht bekommen hat, der müsste einen ICD-Schlüssel schon gesehen haben.

Die ICF nun befasst sich mit den Auswirklungen dieser mit der ICD geschlüsselten Erkrankungen auf unser Leben. Dies geschieht gestützt auf das „Bio-psycho-soziale Modell“, das die WHO gemeinsam mit der ICF im Jahr 2001 in seiner derzeit aktuellen Fassung veröffentlicht hat.

Das Bio-psycho-soziale Modell bietet für alle an der Rehabilitation beteiligten Disziplinen eine wissenschaftlich untermauerte Grundlage für ein gemeinsames Verständnis von Rehabilitation und Teilhabe.


Abbildung 3: Das Bio-psycho-soziale Modell der WHO

Nach diesem Modell gilt ein Mensch als funktional gesund12, wenn vor seinem gesamten Lebenshintergrund

► seine körperlichen Funktionen (einschließlich des geistigen und seelischen Bereichs) und Körperstrukturen allgemein anerkannten (statistischen) Normen entsprechen (Konzept der Körperfunktionen und -strukturen),

► er alles das tut oder tun kann, was von einem Menschen ohne Gesundheitsproblem (Gesundheitsproblem im Sinn der ICD) erwartet wird (Konzept der Aktivitäten), und

► er zu allen Lebensbereichen, die für ihn wichtig sind, Zugang hat und sich in diesen Lebensbereichen in der Weise und dem Umfang entfalten kann, wie es von einem Menschen ohne Beeinträchtigung der Körperfunktionen oder -strukturen oder der Aktivitäten erwartet wird (Konzept der Teilhabe an Lebensbereichen).

Eine wesentliche Bedeutung kommt dabei den sogenannten Kontextfaktoren zu, die im Modell als „Umweltfaktoren“ und „personbezogene Faktoren“ verankert sind. Das bedeutet, dass alle externen Gegebenheiten des Lebensumfeldes des Menschen, wie auch seine ganz persönlichen Eigenschaften, in die Betrachtung seiner Teilhabe einbezogen werden. Umweltfaktoren sind dabei z. B. technische Geräte oder sonstige Hilfsmittel sowie auch die Wohn- und Arbeitsumgebung des Menschen. Personbezogene Kontextfaktoren stellen sein Alter, sein Bildungsstand oder auch seine Coping-Strategien, das heißt, seine Fähigkeiten zur Bewältigung schwieriger Situationen, dar.

Schuntermann liefert in seinem Grundkurs zur ICF zur Erläuterung dieses Denkkonzepts das folgende sehr anschauliche Beispiel:

Eine aufgrund bestimmter Funktionsstörungen und Strukturschäden des Bewegungsapparates im Gehen stark eingeschränkte Person (erhebliche Aktivitätseinschränkung im Gehen) möchte selbst (Wille als Kontextfaktor) bei der Post ein Paket aufgeben (Wunsch nach Teilhabe am üblichen Alltagsleben, hier: ein Paket bei der Post aufgeben), wozu sie physisch und psychisch in der Lage ist (keine Einschränkung der Aktivität „ein Paket bei der Post aufgeben können“). Sie verfügt über einen Rollstuhl (Rollstuhl als Kontextfaktor) und kann damit allein zur Post fahren (keine Aktivitätseinschränkung in der Mobilität mit Hilfsmittel, Kontextfaktor „Rollstuhl“ wirkt sich positiv aus). Dort angekommen trifft sie auf eine für sie unüberwindbare Treppe, die zur Schalterhalle führt (Treppe als Kontextfaktor, der sich negativ auswirkt). Ein Aufzug für Rollstuhlfahrer ist nicht vorhanden (Aufzug als Kontextfaktor). Diese Gegebenheit ihrer Welt lässt nicht zu, dass sie selbst das Paket aufgibt (Aufzug als positiv wirkender Kontextfaktor nicht vorhanden). Wäre das Postamt barrierefrei, hätte sie keine Probleme mit der Aufgabe des Paketes.

 

Das Bio-psycho-soziale Modell liegt fortan allen Überlegungen und Betrachtungen zugrunde, die im Case Management in der Rehabilitation vorgenommen werden.

Zum vertiefenden Selbststudium sei hier der bereits erwähnte Grundkurs „Einführung in die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO)“ von M. F. Schuntermann wärmstens empfohlen.

Die Theorie der Krankheitsverarbeitung

Auf Grundlage des Bio-psycho-sozialen Modells haben Gerdes und Weis das Theoriemodell der Rehabilitation entwickelt, in dem der Bewältigungsprozess eine zentrale Rolle spielt.

Alle externen Kräfte, die Einfluss auf den Rehabilitationsprozess nehmen können, stellen nach dem Bio-psycho-sozialen Modell Umweltfaktoren dar. Dazu gehören alle beteiligten Leistungsträger und Leistungserbringer, Arbeitgeber, Freunde und Familie etc.

Diese wirken durch entsprechende Unterstützung sowie durch medizinische, berufliche und soziale Rehabilitationsmaßnahmen direkt auf den Bewältigungsprozess sowie auf die Aktivitäten und Teilhabe ein. Unter besonderer Berücksichtigung der personbezogenen Faktoren, hier verbergen sich auch die persönlichen Ressourcen der RehabilitandInnen, wird ebenfalls das Gesundheitsverhalten beeinflusst was letztendlich auch zur Intervention am Gesundheitsschaden führt.


Abbildung 4: Das Theoriemodell der Rehabilitation (Quelle: Gerdes und Weis 2000)

Wichtig ist, dass die richtigen Maßnahmen zum jeweils richtigen Zeitpunkt den Bewältigungsprozess anregen. Wird z. B. zu früh im Bewältigungsprozess die Akzeptanz einer dauerhaften Veränderung im Leben und damit verbunden die Anpassung wesentlicher Lebensziele gefordert, wird dies möglichweise zu Blockadehaltungen und schwerwiegenden Rückschlägen führen.

Um dies zu verdeutlichen werden im Folgenden die Phasen der Krankheitsverarbeitung genauer betrachtet.

Phase 1: Schock und Verleugnung

Die Konfrontation mit der Diagnose einer schweren Erkrankung oder auch einem schweren Unfall, welcher mit bleibenden Beeinträchtigungen einhergeht, führt bei den allermeisten Menschen zu einem Schockzustand. Das Passierte kann nicht in Einklang mit der bis zuvor bestandenen Realität gebracht werden. Lebensziele verschwinden in der Unerreichbarkeit, die einst stabilen Säulen, auf denen die Lebensqualität beruht, schwanken oder sind bereits eingestürzt. Die Reaktionen sind meist bis zur Panik gesteigerte Angst und eine anhaltende innere Unruhe. Die ablehnende Haltung gegenüber dem Geschehenen ist eine sinnvolle Reaktion des menschlichen Geistes, um den nun vorherrschenden Zustand langsam und Schritt für Schritt annehmen zu können. In Krankheitsfällen besteht zudem die Gefahr, dass aufgrund des „Nichtwahrhabenwollens“ eine Fehldiagnose oder auch ein vertauschtes Laborergebnis angenommen wird. Dies kann dazu führen, dass eine Behandlung seitens der PatientInnen abgelehnt wird. So kann wertvolle Zeit verstreichen.


Abbildung 5: Die Phasen der Krankheitsverarbeitung (in Anlehnung an Kübler-Ross)

Phase 2: Aggression, Wut und Zorn

Das einsetzende Hadern mit dem Schicksal („Warum gerade ich?“) und den Mächten, die dem Menschen verborgen bleiben, tritt bei durch einen Unfall verletzten Menschen ebenso ein, wie bei einer Krankheitsdiagnose. Betroffene Menschen reagieren mit Wut und Aggression. Diese gelten der Krankheit bzw. dem Unfallgeschehen, entladen sich jedoch bei Angehörigen, Ärzten, Pflegepersonal, Therapeuten und nicht zuletzt oftmals bei sich selbst.

Phase 3: Die Depression

Ein verändertes Selbstbild übernimmt die Führung. Beispielsweise muss ein Familienversorger sich nun anders definieren. Ein Gefangensein in der aussichtslos scheinenden Aufgabe, umgehend einen Ausweg finden zu müssen, stellt eine belastende Situation dar. Der Verlust der bislang bestehenden Rolle ist ein äußerst schmerzhafter Prozess. Das Selbstwertgefühl ist auf einem äußerst niedrigen Niveau. Neue Perspektiven und Hilfen können nur sehr schwer, vielleicht auch noch gar nicht angenommen werden.

Phase 4: Verhandlungen mit dem Schicksal

In dieser Phase kommt es oft vor, dass die betroffenen Personen sich zu zweifelhaften Wunderheilungen, extremer Hinwendung zu Gott oder anderen Göttern sowie nicht empirisch begründeter Behandlungsmethoden hingezogen fühlen. Sie sind bereit, alles zu geben, um ihr Schicksal abwenden zu können.

Phase 5: Akzeptanz und Annehmen des Schicksals

Die betroffene Person nimmt seine Erkrankung an. Das eigene Rollenverständnis wird überdacht und es können neue Perspektiven gefunden werden.

Diese fünf Phasen verlaufen nicht chronologisch. Die Art und Dauer der Verarbeitung ist höchst individuell und muss auch individuell begleitet und unterstützt werden. Oftmals werden z. B. nach Rückschlägen einzelne Phasen mehrfach durchlaufen. Auch ist anzumerken, dass es leider nicht selten dazu kommt, dass Betroffene mit ihrem Schicksal keinen Frieden schließen können.

Die grafische Darstellung des Traumaverarbeitungsprozesses nach Haiss bzw. Schmidt-Tanger stellt diese Zusammenhänge ergänzt um ein paar zusätzliche Aspekte sehr anschaulich dar (Abbildung 6).


Abbildung 6: Der Traumaverarbeitungsprozess (vgl. Haiss, Schmidt-Tanger)

Die Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe, die Träger und die Leistungserbringung
Überblick über die rechtlichen Grundlagen

Unser soziales System verfolgt wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln erläutert ein wesentliches Ziel: Alle Mitglieder unserer Gesellschaft, sprich die BürgerInnen dieses Staates, sollen größtmögliche und selbstbestimmte Teilhabe am Leben in unserer Gesellschaft erfahren. Das heißt, jeder Mensch soll so selbstständig wie möglich sein Leben gestalten können. Sollte das aus bestimmten Gründen nicht möglich sein, z. B. weil die Fähigkeit zur Teilhabe durch eine Krankheit oder einen Unfall beeinträchtigt wird, greift unser solidarisches Sozialsystem. Jede und jeder Einzelne soll dann an seinem persönlichen Bedarf orientiert die Unterstützung bekommen, die benötigt wird, um zur Schule oder zur Arbeit gehen und am gemeinschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Diese Unterstützung wird durch die Gesellschaft nach dem Solidarprinzip gewährt und besteht bei Unfällen oder Erkrankungen vor allem aus den sogenannten Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe, oft kurz zusammenfassend auch nur als Leistungen zur Teilhabe (LzT) bezeichnet. Diese Leistungen helfen die Gesundheit zu verbessern, die Arbeitsfähigkeit herzustellen bzw. wiederherzustellen und die Möglichkeit zur selbstbestimmten Teilhabe am gemeinschaftlichen Leben zu sichern.

Am 16.12.2016 hat der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung – das Bundesteilhabegesetz (BTHG) verabschiedet. Das BTHG folgt in seiner Orientierung der UN-BRK in Zielsetzung und Ausgestaltung. Mehrere Erneuerungen stellen gleichzeitig einen Systemwechsel dar: Beispielsweise Veränderungen bei den Leistungen und dem Zugang zu Leistungen gehen mit den neuen gesetzlichen Vorschriften einher.

Für die Leistungen zur Teilhabe sind in unserem sozialen System verschiedene Institutionen zuständig. Das sind zum einen die Sozialversicherungsträger mit den Zweigen Kranken-, Renten-, Unfall-, Arbeitslosenversicherung und zum anderen die Träger der Jugend- und Sozialhilfe und der Kriegsopferfürsorge bzw. Kriegsopferversorgung. Daher werden diese Institutionen, sofern sie unmittelbar zur Finanzierung dieser Leistungen gesetzlich verpflichtet sind, auch Rehabilitationsträger genannt.

Gesetzliche Grundlage für die Rehabilitation bilden die einzelnen Bücher des Sozialgesetzbuches: Zentral ist dabei als Querschnittgesetz für alle Reha-Träger und als Spezialgesetz für Leistungen für Menschen mit Behinderungen – wie bereits ausführlich dargestellt – das SGB IX „– Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“ zu sehen.

Darüber hinaus sind die einzelnen trägerspezifischen Leistungsgesetze zu nennen. Dies sind:

► SGB III und SGB II für die Bundesagentur für Arbeit (BA)

► SGB V für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV),

► SGB VI für die gesetzliche Rentenversicherung (DRV),

► SGB VII für die gesetzliche Unfallversicherung (GUV),

► SGB VIII für die Jugendhilfe,

► SGB XII für die Sozialhilfe resp. Eingliederungshilfe13,

► BVG für die Versorgungsverwaltung

Eine besondere Herausforderung in der Rehabilitation stellt die Zuständigkeit unterschiedlicher Kosten- und Leistungsträger dar, die bei längeren Behandlungsverläufen durchaus mehrfach wechseln kann. In erster Linie sind dies Krankenversicherungen für die Akutbehandlung und die Deutsche Rentenversicherung für die medizinische Rehabilitation. Bei berufsbedingten, traumatischen Erkrankungen sind die gesetzlichen Unfallversicherungsträger zuständig. Bei Kindern und Jugendlichen kann eine Leistungsverpflichtung des örtlichen Jugendhilfeträgers vorliegen. Für Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung ist die örtliche Eingliederungshilfe zuständig. Führt die Störung zu einer beruflichen Problematik, ist die Arbeitsagentur der richtige Ansprechpartner. Bei Unfällen kann auch eine private Unfallversicherung in der Leistungspflicht stehen.

Im weiteren Verlauf werden die unterschiedlichen Leistungen zur Teilhabe im Einzelnen vorgestellt. Eine kurze Erläuterung zu den Trägern der Leistungen zur Teilhabe findet sich im Anhang (Kapitel 5.2).