Materie

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Materie

Elementarteilchen als Knotenpunkte der Wirklichkeit

Von

Christian Hermenau

Inhalt

Wasser!

H2O

Die Evolution und das Viele

Vom Bauklotzturm zur Pyramide

Das Denken

Das Handeln

Geordnete Strukturen

Wissende Teilchen

Lichter

Nur ein Gen-Code?

Wasser und Kohlenstoff

Gibt es Emergenz?

Statistik

Deterministisch und doch frei

Tiefergehende Ordnungsmuster

Gravitation

Lernen in Netzwerken zu denken

Ein Neuanfang der Physik

Das Standardmodell der Teilchen

Protonen und Neutronen

Die Größen der Strukturen

Fusion

Supernova

Teilchen der 2. Generation

Kosmische Teilchen

Der Beta-Plus-Zerfall

Materie!

Wasser!

Wasser ist wohl der wertvollste Stoff im Universum.

Es ist wertvoller als Gold und Diamanten, denn flüssiges Wasser ist der Schlüssel zum Leben jeglicher Art. Gold und Diamanten mögen ja schöne und faszinierende Materialien sein, doch gibt es kein Leben das Gegenstände bewertet, bewerten kann, dann ist auch der reinste Diamant nutzlos und uninteressant. Eine Stofflichkeit, eine so gewöhnliche Flüssigkeit wie eben dieses Wasser hier auf der Erde, schafft mehr, viel mehr - überall.

In ihm und vielleicht nur in ihm kann Leben in einer angemessenen Zeit entstehen. Wahrscheinlich können sich nur in diesem universellen Lösungsmittel die Moleküle so zusammenfügen, dass sie komplex werden und wachsen. Nur in Wasser lassen sich die Bausteine des Lebens immer wieder neu und andersartig zusammenstellen. Es ist der Nährboden, der Experimentierbaukasten der Schöpfung. Bewegtes mit Stoffen gelöstes Wasser wartet förmlich darauf loszulegen.

Zwar kann auch Wasser still und fast bewegungslos, rein und sauber tief im Innern der Erde ruhen, doch ist dies eher die Ausnahme. Wasser ist so leicht und viskos, dass es eigentlich immer irgendwie in Bewegung ist. Reines sauberes Wasser hört sich in unseren Ohren so gut, so gesund an, doch ist zu reines Wasser für uns, die wir das Leben zum Leben brauchen, nicht das Beste. Nur bewegtes Wasser mit gelösten Mineralien und voll von Organismen ist lebendiges Wasser und wirklich gut für uns. Keimfreies, reines steriles Wasser bringt uns um. Wir brauchen die gelösten Ionen und sogar die Keime in ihm, die unser Leben ausmachen. Natürlich nicht jedes Bakterium, aber die Meisten davon die in sauberen, lebendigen Wasser vorkommen sind Teil unseres Lebens, gehören mit zu uns Menschen. Wir kommen aus dem Wasser, sind im Wasser entstanden, haben uns losgelöst, aber nie befreit von ihm. Immer und immer müssen wir unseren Körper mit frischem Wasser erneuern. Und es muss immer von außen kommen, denn Wasser kann nicht im Körper recycelt werden. Nur in dem ewigen Kreislauf über die Außenwelt erneuern sich Prozesse in ihm. Wasser muss von außen immer wieder mit Komplexität gefüllt werden, nur dann ist es für uns wertvoll, hält uns gesund und am Leben.

Natürlich ist so beschrieben, nicht Wasser das Wertvollste sondern das Leben. Mikrobiotisches Leben, einzelliges Leben, einfaches höheres Leben, höheres komplexes Leben oder sogar denkendes, vernetztes, höheres Leben. Wir selber stehen dabei mit ganz oben in der Hierarchie, auch wenn wir vielleicht für manche unserer Mitmenschen nur Verachtung kennen, weil sie Schlechtes tun oder einfach nur so viel anders sind, als wir selber. Wir sind dann viel wertvoller als gewöhnliches Wasser, doch würde es uns und alles Leben auf der Erde ohne diesen flüssigen Stoff nicht geben. Wüssten wir von einem Sonnensystem um den ein Planet kreist, auf dem eindeutig ausreichende Mengen von Wasser nachgewiesen werden, wir wären uns fast sicher, dass es dort auch Leben gäbe. Welche Art von Leben hängt dann wieder von den Details ab. Wie lange war das Wasser flüssig, wie stabil ist die Umlaufbahn, waren größere Sternexplosionen in der Nähe und hat der Planet eine Atmosphäre? Doch geht es nur darum ob sich überhaupt Leben auf dem fremden Planeten befindet, dann reicht uns schon die Anwesenheit von flüssigem Wasser in ausreichender Menge.

Auf dem Mond oder dem Mars wären wir schon dankbar, wenn es Leben in seiner einfachsten Form gäbe. Einzeller oder nur Bakterien, ja selbst ein Virus oder sehr langkettige Moleküle würden uns auf dem Mond erfreuen. Doch der Mond ist eben ohne Wasser, hat wohl nie flüssiges Wasser gesehen und ist biologisch wahrscheinlich so tot und keimfrei, wie man es nirgends auf der Erdoberfläche finden wird. Aus der Sicht von Menschen hat unser Mond, der für das Leben auf der Erde so wichtig ist, nichts anzubieten. Und außer dass es eine gewaltige technische Herausforderung auch heute noch darstellt ihn zu besuchen, gibt es nichts wofür sich die Reise lohnt. Die Astronauten die ihn betreten haben merkten wahrscheinlich sofort, wie gruselig leer und öder er ist. Der Gedanke daran dort leben zu müssen - unvorstellbar. Nur was wir von der Erde mitbringen ist von Wert und der Blick vom Mond auf das einzige Juwel am Mondfirmament, auf die Erde. Unser Geist muss die Geschichten von der Erde zum Mond schon mitbringen. Dann kann ein Astronaut eine tiefe Ehrfurcht, so am Kraterrand im grauen zementartigen Sternenstaub stehend empfinden. Er, stellvertretend für die vielen Zuschauer an den Fernsehgeräten auf der Erde. Doch was der Mondreisende fühlt entsteht nicht aus der inspirierenden Welt des Mondes, sondern aus den mitgebrachten Geschichten von der Erde in ihm. Der Mond ist tot, war es wohl schon immer. Er ist so öde, weil auf ihm kein flüssiges Wasser zu finden ist, sich Wasser nicht halten kann, nie halten konnte. Gäbe es auf ihm Gold oder Diamanten oder tatsächlich seltene wertvolle Rohstoffe, würde man ganz vielleicht mal durchspielen ob es sich lohnt sie abzubauen. Aber flüssiges Wasser in großen Mengen auf dem Mond würde alles verändern. Und doch war es ein völlig verrücktes außergewöhnliches Unternehmen, das wirklich Menschen einen anderen Himmelskörper betreten haben und es sogar überlebten. Eine außerirdische Welt die das widerspiegelt, was fast den ganzen Rest des Universums ausmacht: totbringende Materie und zeitloser Raum. Wir leben in einer Zeitblase und vergessen darin, wie wundersam sie ist.

Auch beim Mars, unserem Nachbarplaneten erwarten wir nicht wirklich lebendige Organismen, auch nicht in ihrer einfachsten Form. Wenn überhaupt stellt man sich auf Überreste einstigen Lebens ein. Wahrscheinlich gab es auf dem Mars in seiner Anfangszeit Wasser, nur hat der Mars mit seiner geringen Masse das Wasser und die Atmosphäre durch den Sonnenwind langsam an den Weltraum verloren. Heute ist es zu kalt auf dem Mars und jegliches flüssiges Wasser ist schon seit Milliarden von Jahren verschwunden. Nur noch die Rinnen und Abdrücke im Felsgestein zeugen von einer anderen Vergangenheit. In der Abstufung von Ödnis zu Ödnis ist der Mars sicherlich attraktiver, denn er zumindest hat noch eine leichte Atmosphäre an der sich das Sonnenlicht reflektiert, so dass der Planet eine vertraute milde Ausleuchtung wie auf der Erde bietet. Anders als beim Mond, bei dem nur da etwas hell ist wo Sonnenlicht unmittelbar auftrifft, ansonsten aber der schwarze dunkle Weltraum als Himmel alles Licht schluckt. Auf dem Mars gibt es sogar leichte Winde, die manchmal zu gefährlichen Staubstürmen werden können. Geräusche werden übertragen und dadurch wirkt alles insgesamt etwas lebendiger. Ist es aber auch nicht. Wir halten es bestimmt etwas länger auf dem Mars als auf dem Mond aus, ehe wir spüren wie leer er ist, doch im Ergebnis sind beide Welten nicht für uns gemacht. Zudem würde man beim Mars die Erde nur noch als kleinen hellen Punkt am Himmel sehen und sich so nur noch einsamer fühlen. Wenn wir jemals zum Mars fliegen, dann bestimmt nicht um dort Urlaub machen zu wollen. Die lange Reise und der Aufenthalt dort stellen schon eine extreme Herausforderung dar und zehren bestimmt an der Psyche eines jeden Einzelnen. Auch hier gilt wieder: gäbe es noch große Mengen an flüssigem Wasser, wäre die Fahrt dorthin und die Erwartungen gleich von ganz anderer Art. Das ganze Interesse am Mars wäre komplett verändert, wüssten wir davon dass es dort flüssiges Wasser gibt. Mit Wasser in ausreichenden Mengen, würde er auch nicht so trostlos aussehen wie jetzt.

 

In uns steckt das untrügliche Gefühl, dass ein Mars mit ausreichendem flüssigem Wasser auf der Oberfläche, zumindest auch große Mengen an Mikroorganismen und einfachsten einzelligen Pflanzen aufweisen würde. Ob er dann in jedem Fall höheres komplexes Leben hätte ist nicht sicher, denn zum komplexen Leben bedarf es nochmal eines gewaltigen Entwicklungssprungs. Wir wissen oder fühlen es, dass Wasser der Schlüssel zum biologischen Leben ist. Es hat seinen Grund warum es so wichtig für die Erde ist und wir spüren, dass dies wohl nicht nur für die Erde gilt, sondern ganz allgemein für alles Leben so wie wir es kennen.

Aber was am Wasser ist denn so besonders?

H 2 O

Sein Aufbau ist denkbar einfach. Ein Molekül, bestehend aus einem Sauerstoff und zwei Wasserstoffatomen. Die beiden Wasserstoffatome bilden zusammen einen Winkel von genau 104,45° zueinander. Auch der Kernspin spielt eine Rolle, so dass es zwei Arten von Wasser gibt. Doch wichtig ist die ungleiche Ladungsverteilung. Die Wasserstoffatome geben bereitwillig ihr einziges Elektron dem dominierenden Sauerstoffatom, so dass die Wassermoleküle nicht elektrisch neutral, sondern bipolar sind. Wegen dieser Dipole der Ladungen ergeben sich Wasserstoffbrückenbindungen, die das Wasser so besonders machen. Zum einen bilden sich leicht aus den Wasserstoffbrücken für Sekundenbruchteile ganze Cluster, die an sich schon etwas Einzigartiges darstellen, die aber auch zu den Besonderheiten des Wassers führen. Zum Beispiel liegt seine höchste Dichte bei 4°C und damit noch im flüssigen Bereich. Bei keinem anderen Stoff nimmt die Dichte mit zunehmender Kälte ab. Wasser hat die höchste Wärmekapazität aller Flüssigkeiten. Abgesehen von Quecksilber hat Wasser die höchste Oberflächenspannung und die größte Verdampfungsenthalpie. Wasser ist ein Universal-Lösungsmittel für viele Stoffe, Ionen und organischen Verbindungen. Und durch die Wasserstoffbrücken bleibt es noch lange in einem Temperaturbereich flüssig, bei dem organische langkettige Verbindungen in einer angemessenen Zeit entstehen können. Wäre der flüssige Zustand viel niedriger oder viel höher, würden Verbindungen viel zu langsam entstehen oder bei zu hohen Temperaturen gleich wieder zerstört werden. Selbst wenn die Meere und Seen zufrieren, vereist nicht das ganze Wasser, sondern sobald der Druck steigt, bleibt es bei vier Grad Celsius immer noch flüssig. Entstandenes Leben kann also auch Katastrophen, wie Vereisungen des Planeten, überleben.

Doch alle diese Besonderheiten von Wasser erklären nicht warum sich nur in Wasser so gut Leben wie wir es kennen ausbilden kann.

Ein weiterer Himmelskörper, der aber schon zu weit weg ist um dorthin eine Forschungsreise mit Menschen zu unternehmen, stellt der Saturnmond Titan dar. Saturn liegt im äußeren Sonnensystem und sein größter und nahster Mond ist der Titan. Er ist ein ganzes Stück größer als unser Mond, aber immer noch weit weniger als halb so groß wie der Mars. Von daher sollte er genau wie der Mars keine Atmosphäre aufweisen, denn er ist zu leicht und besitzt keinen wirksamen Schutz vor dem Sonnenwind, der über die Jahrmillionen eine ursprünglich mal vorhandene Atmosphäre in den Weltraum mitnehmen würde. Erstaunlicher Weise hat der Titan eine Atmosphäre aus Stickstoff, die sogar um 50% dichter ist als die auf der Erde. Grund dafür ist das Magnetfeld des Saturns, das so stark ist und so weit in den Raum hineinragt, dass es den nah laufenden Titanmond noch mit vor den geladenen Teilchenstrom der Sonne schützt. Im Gegensatz zur Erde besitzt der Titanmond eine Atmosphäre von 98,4% Stickstoff. Die Erde hat hingegen nur 57%. Außer etwas Argon und Methan findet sich keinerlei Sauerstoff. Allerdings hatte auch die Urerde fast keinen Sauerstoff in der Atmosphäre gehabt, der kam erst mit den Organismen. Interessant am Titan sind die großen Seen aus flüssigem Methan, also Kohlenwasserstoffverbindungen. Einige wenige Wissenschaftler halten Methan für ein noch besseres Medium für Leben als Wasser, was aber wohl nur eine Kontrahaltung zu den gängigen Theorien sein wird. Doch wenn dem so sein sollte, so hilft das nicht viel, denn Methan schmilzt bei -182°C und verdampft bei -162°C. Hat also nur einen schmalen Bereich bei dem es flüssig ist und es ist extrem kalt. Beides stellt ein Problem fürs Leben dar. Zum einen verlaufen die Reaktionsgeschwindigkeiten bei tiefen Temperaturen sehr langsam ab und zum anderen wird die Temperatur nicht über Milliarden von Jahren so genau passend in diesem schmalen Temperaturbereich bleiben. Lebensbildungsprozesse brauchen bei langsam ablaufenden Reaktionen noch viel länger, wenn sie überhaupt stattfinden und dann ist der Zeitraum bei dem Methan flüssig ist, bei dem schmalen Temperaturbereich, höchstwahrscheinlich nur kurz. Aber immerhin gibt es im Innern von Titan viel Reibungswärme durch die Gezeiten und man vermutet, dass sich dort große Mengen an Wasser befinden. Das heißt es besteht eine gewisse Hoffnung darauf, dass es hier lebendige Organismen gibt. Nur, das eigentlich interessante höhere komplexe Leben wird es wohl nicht geben, denn dazu braucht es noch viel mehr an günstigen Bedingungen um diesen Schritt wirklich zu schaffen. Der Unterschied von einfachen zum komplexen Leben stellt einen so gewaltigen Sprung dar, dass dafür die Bedingungen auf dem Titan einfach zu ungünstig sind. Leider ist auch der nichtnachweisbare Sauerstoff in der Atmosphäre eher ein Hinweis darauf, dass sich in den Tiefen des Titans keine Organismen im Wasser finden werden, die eine chemische Verbrennung mit Sauerstoff erfordern. Eine Art von Photosynthese, bei der über das Sonnenlicht Energie gespeichert wird, hat auch wegen der großen Entfernung zur Sonne ungleich schwierigere Bedingungen. Wenn, dann braucht es wiederum entsprechend viel mehr Zeit, ehe sich die Atmosphäre verändert.

Ein Besuch auf dem Mars wird wohl der einzige machbare Ausflug zu einem anderen Planeten sein. Wenn wir dem Mars nahe sind, dann liegt der Abstand bei rund 0,5 AE. Zum Saturn sind es aber im günstigsten Fall 8,5 AE. Der Weg wäre also mindestens 17 Mal so weit wie zum Mars. Wer will und welcher Mensch kann überhaupt mindestens zwölf Jahre hin und zurück durch den Weltraum fliegen ohne Schaden zu nehmen und wie soll ein Raumschiff aussehen, dass für über 12 Jahre frisches Gemüse, Wasser und Lebensmittel sowie genügend Treibstoff dabei hat. Und das alles nur für, wenn überhaupt, ein paar Mikroben.

Der einzige Himmelskörper der ein bisschen unserer Urerde gleicht, durch ein Magnetfeld des großen Saturns beschützt wird, mit einer Atmosphäre, etwas Licht, flüssigen Seen und vermutlich Wärme und Wasser im Innern ausgestattet ist, ist ein Mond. Und obwohl er fast wie ein Nachbar nebenan wohnt, befindet er sich doch schon für eine Forschungsreise unerreichbar weit weg. Es gibt keine Alternative zur Erde und wahrscheinlich ist das auch gut so. Alles Potential in diesem Sonnensystem, in dieser Galaxie wurde in die Erde gesteckt und es hat funktioniert. Es hat zwar lange gedauert und wir waren mehrmals am Rande des Abgrunds, doch dann hat sich das höhere Leben durchgesetzt.

Es gibt uns, jeden von uns – Heute!

Die Evolution und das Viele

Bei all diesen Besonderheiten, die auch rein naturwissenschaftlich versuchen zu erklären, warum es gerade Wasser ist, das die Grundlage für biologisches Leben bildet bleibt trotzdem ein Unbehagen ob so eine Flüssigkeit und sei sie noch so raffiniert angelegt, alleine ausreicht um Leben, um hochkomplexes Leben zu erklären. Betrachten wir die Schöpfung rein technisch wie ein Baumeister dem viele gute Materialien zur Verfügung stehen. Dann kann die Natur als Konstrukteur auch weiter kommen und etwas erschaffen, wenn sie unterschiedlichste außergewöhnliche Materialien nimmt und sie immer wieder anders zusammenfügt. So steckt doch die Idee der Evolution in uns. Die Natur als ein riesiger Experimentierbaukasten, der sich von Fehler zu Fehler langsam hocharbeitet. Versuch und Irrtum und ein Ausleseprozess, der alles begutachtet und bewertet. Wenn dann noch alles groß genug angelegt ist und gewaltige Zeiträume zur Verfügung stehen, dann läuft das Ganze. Es funktioniert und verbessert sich von selber. Vielleicht liegt unser Bewertungsproblem darin, dass wir uns nicht wirklich das Viele vorstellen können. Nicht ab wie viel Material etwas von selber abläuft und auch nicht was eine Milliarden Jahre bedeuten. Tiere können zumeist nur bis drei zählen und dann kommt schon das Viele. Wir haben da eine wesentlich differenziertere Zahlenvorstellung und wir benutzen Analogien. Aber mit den richtig großen Zahlen kommen wir auch nicht zurecht. Was bedeutet es beispielsweise wirklich eine Milliarden Euros zu besitzen? Was bedeutet dieses Geld, diese Zahl tatsächlich für einen einzelnen Menschen? Was sind hundert Milliarden Nervenzellen im Gehirn oder eine kleinste Zeittaktung von 10-23 s? Eine Kerngröße von 10-15 m oder eine Entfernung zur Nachbarsonne von vier Lichtjahren?

Vier Jahre braucht das Licht, aber nichts aus unserer vertrauten Umwelt kommt auch nur dem Hauch der Lichtgeschwindigkeit nahe. Also wie weit ist die Nachbarsonne dann wirklich weg?

Für die meisten Menschen ist die Geschwindigkeit mit dem Auto von knapp 200 km/h schon das Äußerste was sie selbst gesteuert kontrollieren. Dies würde aber bedeuten, dass wir 21 Millionen Jahre zu unserer Nachbarsonne unterwegs sind. 200 km/h sagt uns was, 21 Millionen Jahre wiederum nicht. 21 Millionen Jahre passen einfach nicht in unser gewohntes Lebensumfeld. Hat man die eine Zahl vertraut, wird die Andere wieder unwirklich. Vielleicht ist dies auch der eigentliche Grund warum wir uns mit dem Erklärungsmodell der Evolutionstheorie zufrieden geben. Wir haben kein Gefühl für große Zeiträume und dem was machbar ist. Darum gehen wir eher pragmatisch vor. Bei genügend Material und Zeit, wird sich schon alles von selber entwickeln. Irgendwann schafft es das Universum in jedem Winkel der Welt ein Smartphone von denkenden Wesen erschaffen zu lassen. Wir brauchen nur die passende Nummer und ein Wurmloch und schon können wir auf einer zweiten Erde in einem anderen Teil des Universums einen Verwandten anrufen.

Vom Bauklotzturm zur Pyramide

Doch bleiben wir auf unserer Erde und betrachten den Experimentierbaukasten, der uns zur Verfügung steht, dann treffen wir schneller auf Grenzen als uns lieb ist. Wenn dieses wilde Ausprobieren der Möglichkeiten, das Spiel im Wind überhaupt zu irgendetwas Sinnvollen führen soll, dann ganz bestimmt nicht zu lebendigen Organismen. Will man nicht nur wie ein Kind einen Bauklotz-Turm errichten, was als Schöpfungsakt sogar schon etwas Außergewöhnliches ist, sondern eine gewaltige Pyramide dann braucht es ganz andere Voraussetzungen, soll so ein Projekt gelingen. Man muss wissen wie man ein Fundament von solchen Ausmaß ebnet und stabilisiert. Man muss eine Ahnung haben wie riesige Felsblöcke aus dem Stein herausgehauen und dann transportiert werden. Man braucht extrem viel technisches und mathematisches Wissen. Außerdem müssen mindestens 7000 Arbeiter über 30 Jahre versorgt, untergebracht und mit Arbeit beschäftigt werden. Also auch die ganze Logistik, das Management muss beherrscht werden. Will man ein selbst für die heutige Welt immer noch so beeindruckendes Monument erschaffen und das in nicht einmal dreißig Jahren, dann braucht es das entsprechende Können und Wissen dazu. Wenn wir als Zuschauer im Altertum bei den Ägyptern dabei gewesen wären, könnten wir alles genau verfolgen und anschließend erklären wie es funktioniert. Wir sehen dann ja augenscheinlich, wie sich die Pyramide in einer angemessenen Zeit entwickelte, wie viele Menschen dabei waren und wie alles organisiert wurde. Wir können erklären, was passiert. Aber würde das alles auch mit Hunden, Elefanten oder mit Affen funktionieren? Ganz ohne einen Menschen als Baumeister im Hintergrund?

 

Was ist so anders am Menschen, warum kommt er überhaupt auf die Idee ein Monument zu errichten, das weit über die Möglichkeiten und Kräfte eines Einzelnen hinausgeht? Warum will sich ein einzelner Mensch, ein Pharao verewigen und das auf eine Weise, die nicht wie beim Ameisenhaufen oder Termitenhügel auch Sinn für die Gemeinschaft macht und zur Art passt? Warum sind so viele Menschen bereit den Wunsch eines Einzelnen zu erfüllen, ja sich für einen Menschen den sie nicht genauer kennen im Krieg sogar totschießen zu lassen. Und das noch nicht einmal in einer überschaubaren Gruppe, sondern zu Millionen. Millionenfach lassen sich die Menschen lenken und führen, fürs Vaterland, für Gottes Sohn oder für den König. Imperien, große Nationen funktionieren einfach - reibungslos. Eine kleine elitäre Gruppe sagt den Massen es gibt zu wenig Lebensraum und Millionen stehen hinter dieser Idee, selbst wenn alles nur erfunden und erlogen ist.

Wir Menschen lieben Geschichten, Alle, auch die Phantasielosen. Unser Gehirn steckt voller Traumbilder und Phantasien. Das sich „eine Geschichte erzählen“ durchdringt die Menschheit seit unser Gehirn so groß geworden ist. Wir erzählen die Welt so wie wir sie erlebt haben, aber auch wie wir sie gerne hätten oder sie gerne gestalten würden. Bei den Geschichten ist es nicht die Wahrheit die wir hören wollen, sondern der Grusel, die Übertreibung, das Ausgefallene und Verrückte. Eine gute Geschichte muss lebendig sein und mitreißen, uns persönlich ansprechen. Dann hören wir ihr zu, dann können wir uns in die Figuren ein denken, in sie verlieben oder mit ihnen zittern. Früher waren es nur erzählte Geschichten, heute sind es Filme die uns in andere Welten mitnehmen, fast alle unsere Sinne ansprechen. Tatsächlich ist es beim Menschen herausragend, dass wir nicht nur durch Geschichten gefesselt werden können, sondern auch verführt und kontrolliert.

Nicht die Steine, die Materialien sind es die eine Pyramide solchen Ausmaßes schaffen, sondern es sind die abstrakten, geistig mathematischen und physikalischen Berechnungen und Überlegungen die da sein müssen, um eine Pyramide bauen zu können. Die Geschichte der alten Götter der Ägypter schafft den Wunsch im Pharao sich zu verewigen und treibt die einfachen Menschen dazu ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Die gewöhnlichen Ägypter glaubten wirklich der Geschichte, dass der Pharao ein Gott sei. Eine erfundene über Generationen weitergegebene und ausgeschmückte Erzählung über die Dinge die die Menschen nicht verstanden - über die Götterwelt. Und was man mit keinem Tier so machen kann, das funktioniert beim Menschen. Über eine Idee einen Gedanken tausende von Menschen dazu zu bringen an einem Monument für die Ewigkeit zu arbeiten. Und aus dieser Perspektive ist auch die Mathematik oder sind die architektonischen Berechnungen nur eine Geschichte, die uns die Formeln versprechen. Stimmen die Formeln, stimmt die zwar nüchterne aber eben nur geistig existierende Geschichte, dann können Pyramiden oder Wolkenkratzer der Moderne gebaut werden und sie fallen nicht einfach um oder brechen zusammen. In den naturwissenschaftlichen Geschichten lassen sich die möglichen Anordnungen der Materialien viel schneller durchspielen, als in der Wirklichkeit. Für die Urmenschen musste eine Falle für ein Mammut noch mit kleinen Modellgegenständen ausprobiert, die Wirklichkeit auf kleine Figuren übertragen werden, damit alle die Idee verstanden. Das stellte schon eine große geistige Entwicklung dar und war viel effektiver als immer wieder neue Techniken mit echten Tieren bei der Jagd auszuprobieren. Man konnte anhand des Modells über die Wirklichkeit Miteinander sprechen. Doch heute kommen wir in den meisten Fällen ganz ohne Modelle aus, es reicht ein Blatt Papier und darauf abstrakte Formeln und Rechnungen. Inzwischen erzählen uns die Computer mit den verrücktesten Simulationsprogrammen, was wir alles verwirklichen können. Doch egal wie die Mittel aussehen, immer machen wir wieder eine Geschichte daraus, die möglichst viel Menschen glauben sollen. Die Geschichte von gekrümmten Räumen, von Zeit die langsamer gehen kann, von Wurmlöchern und vom Urknall. Von dunkler Materie, weißen Zwergen und schwarzen Löchern. Das solche Geschichten so gut laufen, auch wenn Einzelne nicht daran glauben, liegt an den Netzwerken. Wenn die Saat aufgeht und die Mehrheit der Menschen sich bedroht fühlt oder meint zu wenig Lebensraum zu haben, dann werden plötzlich diese einmal in die Welt gesetzten Wahrheiten oder Lügen zur Realität. Erst dann fügen sich die Steine der Pyramide richtig zusammen oder ein Land rüstet auf und zieht in fremde Länder nimmt Anderen, ohne jeglichen Skrupel, ihren Lebensraum weg.

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