Bayerische Charakterköpfe

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Bayerische Charakterköpfe
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Christian Feldmann

Bayerische Charakterköpfe

33 besondere Porträts


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2021 Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Gutenbergstraße 8 | 93051 Regensburg

Tel. 0941/920220 | verlag@pustet.de

ISBN 978-3-7917-3276-3

Umschlaggestaltung: Maria Seidel, Teising

Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau

Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg

Printed in Germany 2021

eISBN 978-3-7917-6205-0 (epub)

Unser gesamtes Programm finden Sie im Webshop unter

www.verlag-pustet.de

Inhalt

„An diesem Volksstamm kannst zerschellen …!“

Ein Vorwort

„Erst Herzog, dann fast König, zum Schluss Mönch“

Warum Tassilo III. (um 741–um 796) so hoch stieg und so tief fiel

Ein feuriger Elias

Warum der nicht sehr bibelfeste Bruder Berthold von Regensburg (um 1210–1272) zu einem der besten Volksprediger des Mittelalters wurde

Pionier der mündigen Welt

Warum die Regensburger den Wandermönch Albertus Magnus (um 1200–1280) nicht als Bischof haben wollten

„Darum hat sie ertränkt werden müssen“

Warum die unglückliche Liebe zwischen Agnes Bernauer (um 1410–1435) und dem Herzogssohn Albrecht ein schreckliches Ende fand

Schuhmacher und Poet dazu

Wie es der fast noch mittelalterliche Volksdichter Hans Sachs (1494–1576) auf Richard Wagners Opernbühne schaffte

Ketzerprozess gegen einen Bischof

Warum Johann Michael Sailer (1751–1832) in Rom denunziert, aber nicht verurteilt wurde

„Mein Herz hat noch keine Rinde angesetzt“

Wie die letzte Kurfürstin Maria Leopoldine (1776–1848) ihre Bayern vor dem Machtpoker der Habsburger rettete

„Majestät, wer ko, der ko!“

Wie ein einziger frecher Satz den Münchner Lohnkutscher Franz Xaver Krenkl (1780–1860) berühmt machte

Der Vater von Kasperl Larifari

Warum die Münchner Kinder den Grafen Franz von Pocci (1807–1876) so lieb hatten

Ganzheitsmedizin für Leib und Seele

Wie sich der „Wasserdoktor“ Sebastian Kneipp (1821–1897) gegen neidische Ärzte und misstrauische Behörden durchsetzte

Schlösser bauen statt Kriege führen

Warum Ludwig II. (1845–1886) weniger ein Märchenkönig war als eine tragische Figur

„Es war ein Schütz in seinen schönsten Jahren“

Warum der Wildschütz Georg Jennerwein (um 1850–1877) mit nicht mal dreißig Jahren sterben musste

Der Mann, der ganz München untertunneln ließ

Wie Max von Pettenkofers (1818–1901) irrige Theorie zur höchst segensreichen Praxis wurde

Beruf: Betrügerin

Warum auf Adele Spitzeder (1832–1895) mehr als 30 000 Menschen hereinfielen und warum sie als „Engel der Armen“ galt

Ein weißblauer Shakespeare

Wie der aufrechte Menschenfreund Ludwig Thoma (1867–1921) am Ende zum Volksverhetzer wurde

„Im freien Wald bin ich groß geworden“

Warum die anarchistische Bayerwald-Poetin Emerenz Meier (1874–1928) nach Amerika auswanderte

Freitod statt Land-Idylle

Warum Lena Christ (1881–1920) so viel literarischen Ruhm erntete und doch so unglücklich blieb

Fräulein Parzival

Wie sich die bayerische Kultusbürokratie an der links denkenden Grundschullehrerin Elly Maldaque (1893–1930) rächte

Sprachclown mit Tiefgang

Warum sich hinter Karl Valentins (1882–1948) irrwitzigem Nonsens die höchste Logik verbirgt

Komikerin mit Weinkrämpfen

Warum Liesl Karlstadt (1892–1960) mehr war als bloß die Stichwortgeberin für Karl Valentin

Sozialpolitik auf katholisch

Wie Ellen Ammann (1870–1932) die bayerische Demokratie (vorläufig) vor Hitler rettete

Hitlers populärster Gegner auf der Kanzel

Warum der Münchner Männerseelsorger und Widerstandskämpfer Rupert Mayer (1876–1945) trotz allem eine problematische Figur gewesen ist

Oberpfälzer Don Camillo mit Löwenmut

Wie sich der Dorfpfarrer Johann Nepomuk Kleber (1886–1969) mit hinterfotzigem Witz gegen die braune Diktatur behauptete

Zeugin der anderen Welt

Warum ein Kraftmensch mit Charisma wie die „Resl“ von Konnersreuth (1898–1962) umstritten bleiben wird

„Rassen gibt’s doch bloß beim Vieh“

Warum Oskar Maria Graf (1894–1967) alles andere war als ein krachlederner Provinzdichter

„Das ist ein Aufwachen ringsum im Land!“

Warum Carl Orffs (1895–1982) pralles Musiktheater alles andere als altmodisch ist

Damit der Mensch dem Menschen ein Helfer ist

Warum Bertolt Brecht (1898–1956) so schlechte Manieren hatte

„Ich hab nichts zum Sagen“

Wie die Theaterlegende Therese Giehse (1898–1975) Bühnenhandwerk und Moral verband

 

„Sag nicht, es ist für’s Vaterland!“

Wie die Geschwister Hans (1918–1943) und Sophie Scholl (1921–1943) von begeisterten Jungnazis zu todesmutigen Widerständlern wurden

Herkules ohne Selbstkontrolle

Warum der geniale politische Stratege Franz Josef Strauß (1915–1988) nicht Bundeskanzler wurde

Eine ausgestorbene Rasse von Politikern

Warum Hermann Höcherl (1912–1989) mehr war als nur ein bayerisches Schlitzohr

Paradebayer und armer Hund

Warum der Publikumsliebling Walter Sedlmayr (1926–1990) eine so einsame Beerdigung bekam

„Weißwurst-Paula“ und KZ-Eichmanns Gattin

Warum die Volksschauspielerin Ruth Drexel (1930–2009) ein politisch bewusstes „Alphatier“ war

Literatur in Auswahl

Bildnachweis

„An diesem Volksstamm kannst zerschellen …!“
Ein Vorwort

„An diesem Volksstamm kannst zerschellen …!“, klagt der ausgeschmierte Tod im „Brandner Kaspar“ über die Bayern, und der muss es wissen. Denn wer kennt die Menschen besser als der Knochenmann, der um das Schicksal jedes einzelnen weiß?

(Er sagt es übrigens nicht in Franz von Kobells 1871 in den „Fliegenden Blättern“ erschienener hintersinniger Geschichte, sondern erst in der Bühnenbearbeitung von Kobells Ururgroßneffen Kurt Wilhelm für das Münchner Residenztheater 1975. Da ist der Himmel schon fest in bajuwarischer Hand und die Pforte für Preußen verschlossen; „sonst war’s ja koa Paradies mehr“.)

Der Stoßseufzer des „Boanlkramers“, wie man den Sensenmann hierzulande lange Zeit plastisch genannt hat („Boanl“ sind Gebeine), könnte zu der irrigen Meinung führen, nur Sturschädel und unbelehrbare Trotzköpfe könnten richtige Bayern sein: Paradeexemplare wie Franz Josef Strauß oder Ruth Drexel, der aufmüpfige Lohnkutscher Franz Xaver Krenkl („Wer ko, der ko!“) oder der politisch unflexible Herzog Tassilo am Beginn der weißblauen Geschichte.

Nun gehören zum bajuwarischen Charakter tatsächlich immer schon das Misstrauen gegen jede Art von Obrigkeit, ein Hang zur Rebellion und ein Hauch von Anarchie. Kraftmenschen, die sich den Schneid nicht abkaufen ließen und sich nicht vor der Macht duckten, hat man hier stets geschätzt – ob es sich nun um den listigen Dorfpfarrer Johann Nepomuk Kleber handelte, der die Nazis mit hinterfotziger Ironie der Lächerlichkeit preisgab, oder um den schneidigen Wilderer Georg Jennerwein, der sich auf das uralte Gewohnheitsrecht der armen Leute berief.

Aber Kraftmensch, Selbstdenker, Charakterkopf – das ist ein Begriff mit vielen Facetten. Schon der „Charakter“ ist doppeldeutig: Ist die ganz besondere Eigenart eines Menschen gemeint, sein Naturell, seine Persönlichkeit? Oder heißt „Charakter“, dass jemand Rückgrat besitzt, Format, Standhaftigkeit, Integrität?

Charakterköpfe müssen keine Helden sein. Auch vordergründig Gescheiterte, tapfer Leidende, verzweifelt sich aus dem Leben Stehlende gehören dazu wie Elly Maldaque, Emerenz Meier, Lena Christ. Leise Rebellen, die ihre Schwäche und Melancholie nicht selten in Kraft verwandeln und uns heute noch inspirieren. Auch versponnene Romantiker wie Ludwig II., der lieber Schlösser bauen als Kriege führen, lieber von Schönheit träumen als intrigante Machtpolitik für eine Dynastie machen wollte.

Und der Autor, ist er überhaupt ein echter Bajuware? Ein Oberpfälzer mit böhmischen Wurzeln bin ich. Biografien von Franzosen und Italienern habe ich geschrieben, von US-amerikanischen Gewerkschafterinnen und jüdischen Talmudgelehrten. Aber am liebsten schreibe ich über meine bayerischen Landsleute.

Einige Gründe dafür finden Sie in diesen Lebensgeschichten.

Regensburg, im Sommer 2021

Christian Feldmann

„Der ehrwürdige, gottesfürchtige und erlauchteste Tassilo, unser verehrter Herzog“ Arbeo von Freising

„Erst Herzog, dann fast König, zum Schluss Mönch“
Warum Tassilo III. (um 741–um 796) so hoch stieg und so tief fiel

Mit seiner sozialen und frauenfreundlichen Gesetzgebung und dem hartnäckig verfochtenen Programm eines politischen Föderalismus habe Herzog Tassilo III. bereits vor mehr als zwölfhundert Jahren den Grund für das neuzeitliche Bayern gelegt. Das behauptete jedenfalls der (oft allzu gewagt spekulierende) Historiker und Journalist Rudolf Reiser 1985 in einem Buch über das Geschlecht der Agilolfinger, dessen bedeutendster Spross Tassilo gewesen ist. Doch der Bayernherzog nahm ein trauriges Ende. 788 steckte ihn der machtlüsterne Frankenkönig Karl mit seiner ganzen Sippschaft in Klosterhaft und zog seine Güter ein. Die Agilolfinger verschwanden aus der Geschichte, und Bayern gehörte jetzt zum Reich.

Im Dunkel hatte die bayerische Geschichte begonnen: mit den Kelten, die hier seit dem fünften vorchristlichen Jahrhundert festummauerte Siedlungen bauten und Handwerk sowie Eisenindustrie zu erstaunlicher Höhe führten. Mit den Römern, die ihre Götter und Mysterienkulte mitbrachten, Obstbäume und Weinbau einführten und ein hervorragendes Straßennetz anlegten. Mit den Bajuwaren, die in mehreren Schüben ins Land kamen – ob aus Böhmen, Ungarn, vom Schwarzen Meer, lässt sich immer noch nicht genau sagen.

Alle diese Volksstämme, Lebensformen und Mentalitäten mischten sich zu einem eigenständigen und eigensinnigen Menschenschlag, der seit dem sechsten nachchristlichen Jahrhundert von den Agilolfingern – dem ersten bekannten deutschen Fürstengeschlecht – beherrscht wurde. Auch deren Herkunft ist ungeklärt. Manche meinen, sie seien aus Burgund gekommen; die Mehrheit der Forscher neigt der These zu, es handle sich um ein fränkisches Geschlecht aus der Merowinger-Dynastie. Die erste ihrer Herzoginnen war eine Langobardin aus Ungarn; sie hatte zwei Ehen mit fränkischen Königen hinter sich, als sie den Agilolfinger Garibald heiratete. Ihr Herrscherhaus drängte die slawischen Nachbarn zurück und betrieb eine ausgedehnte Siedlungs- und Missionierungspolitik.

Chronisten beschrieben Bayern damals als Paradies, „lieblich anzusehen, reich an Hainen“, mit jagdbaren Tieren, Wein, Honig, Salz, Gold und Silber gesegnet, wie Arbeo von Freising schwärmte, Bayerns erster Schriftsteller. „Das Erdreich war fruchtbar und brachte üppige Saaten hervor, in Seen und Flüssen gab es Fische in großer Zahl, (…) das Bergland war ergiebig an Obst und bot Weiden und saftiges Gras.“

Von Anfang an stand dieses von den Agilolfingern geführte Wunderland in einem vibrierenden Spannungsverhältnis zum aufstrebenden Frankenreich. Zwar hatte der erste Merowinger, Chlodwig, viel für die Missionierung des bayerischen Raums getan, und die althochdeutsch sprechenden Franken zogen die anfangs noch im römischen Sprachgut verhafteten Bayern in ihren kulturellen Bann. Der erste Agilolfingerherzog, Garibald, war mit der Witwe eines Merowingerkönigs verheiratet.

Doch in Garibalds Familie wird bereits der Konflikt deutlich, der am Ende zur Auslöschung seines Geschlechts führte: Seine Tochter Theodolinde ehelichte den Langobardenkönig Autari in Oberitalien; ihre Enkel und Urenkel wurden dort Könige. Zwei Jahrhunderte lang funktionierte die politische Achse Regensburg – Pavia zwischen Bayern und Langobarden. Sehr zur Empörung der Franken, welche die Langobarden als Todfeinde betrachteten, vor allem seit sie den Kirchenstaat bedrohten, für den die Frankenkönige eine (nicht uneigennützige) Schutzfunktion übernommen hatten.

Herzog von Pippins Gnaden

Und nun schob sich dieser unzuverlässige Partner Bayern als störender Pufferstaat zwischen Frankenland, Langobardenreich und Kirchenstaat und drohte sich der Oberherrschaft der Franken zu entziehen. Die bayerischen Emanzipationsgelüste erreichten ihren Höhepunkt mit dem um 741 geborenen Tassilo III. (der Name ist langobardisch und bedeutet vielleicht „kleiner Dachs“). Sein Onkel und Vormund, der fränkische Hausmeier und spätere König Pippin, wachte mit Argusaugen über die Entwicklung des früh zum Waisen gewordenen Tassilo, schickte seine Spitzel an den Agilolfingerhof in Regensburg – das alte Römerlager am nördlichsten Punkt der Donau war zu einer der bedeutendsten Metropolen im Reich geworden – und ließ Tassilo 757 in der Königspfalz von Compiègne den Vasalleneid leisten.

Tragisch: Tassilo III.

In der ersten überlieferten Lehensübertragung der Geschichte wurde Tassilo bayerischer Herzog von fränkischen Gnaden. Nach fränkischem Brauch habe er seine Hände zwischen die von König Pippin gelegt, berichtet der Geschichtsschreiber Einhard von dieser rührenden Szene. Zu diesem Zeitpunkt hatte der kaum fünfzehnjährige Tassilo bereits die ersten Kampfeinsätze an Pippins Seite hinter sich; im italienischen Pavia hatte er ihn und den Papst in Scharmützeln mit den Langobarden unterstützt; deren König Haistulf hatte sich ergeben, Tribut zahlen und Geiseln stellen müssen.

Doch Tassilo war ganz wild darauf, sich – und sein Land – von der Oberherrschaft der Franken zu emanzipieren. Schließlich galt der Lehenseid von Compiègne nur für Aktivitäten außerhalb Bayerns. Tassilo trat gern mit Zepter und Reichsschwert auf, ließ sich als „höchster Fürst und Herzog“ anreden und betrieb eine eigenständige, ziemlich fortschrittliche Politik: Auf einer in Dingolfing abgehaltenen Synode, zu der er alle bayerischen Bischöfe und Äbte versammelte, erließ er ein Gesetz, das jeder Frau – zum ersten Mal im Reich – die sofortige Scheidung garantierte, wenn sie ihr Mann vor der Hochzeit über seine Vermögensverhältnisse getäuscht hatte.

Eine Ehefrau, deren Gatte sein Eigentum verlor, wurde in diesem Gesetz außerdem vor dem Verlust ihrer Rechte geschützt. Auch indem er das Eigentum an Grund und Boden genau definierte, sorgte Tassilo für mehr Rechtssicherheit. Die Bildung förderte er, indem er jedem Bischof vorschrieb, eine Domschule – Vorläufer der späteren Universitäten – zu unterhalten. Bischöfen und Äbten schärfte er ein, sich in ihrem Privatleben streng nach den Kirchengesetzen beziehungsweise Ordensregeln zu richten. Auf einer weiteren Synode in Neuching bei München, in der Nähe von Erding, erleichterte Tassilo das Los der Sklaven, die es damals auch noch in Bayern gab.

Seine Klostergründungen dienten der Förderung von Glauben und Kultur gleichermaßen. Das erste Projekt ist vermutlich die Abtei Benediktbeuern am Fuß der Benediktenwand gewesen, die schnell durch eine hervorragende Predigtsammlung berühmt wurde. Die ersten Äbte hatten eine rührige Schwester, Gailswind, die in der Nähe das Frauenkloster Kochel errichtete und als Äbtissin zur Blüte führte. Innichen im Pustertal, Polling, Thierhaupten gehen auf Tassilo zurück, Gars am Inn und Metten in Niederbayern, vor allem aber Wessobrunn (wo eine Tassilo-Linde an ihn erinnert und an seinen Jäger Wezzo, der hier eine heilkräftige Quelle entdeckt haben soll) und Kremsmünster, das als Stützpunkt der Mission nach Osten gedacht war. Hier hütet man heute noch den kostbaren „Tassilokelch“, den englische Goldschmiedemeister zwischen 764 und 768 für seine Hochzeit mit der Langobardin Liutbirga gefertigt haben. Der Abendmahlskelch zeigt Christus, die vier Evangelisten und (vermutlich) Johannes den Täufer, den gemeinsamen Patron der bayerischen und langobardischen Herrscherhäuser – und die Inschrift „Tassilo dux fortis – Liutpirc virgo regalis, Tassilo, der starke Herzog, und Liutbirga, die königliche Jungfrau“.

 

In Gottes Namen, ich, Tassilo, Herzog der Bayern, schenke und übergebe von dem Gedanken an Gottes Barmherzigkeit und die ewige Seligkeit durchdrungen, mit starker Hand und unter Zustimmung der Mächtigsten aus Bayern, den Ort India, der im Volksmund Gelau heißt, dem Abt Atto (…) zu Bau und Unterhalt eines Klosters; vom Taistnerbach bis zur Slawengrenze, das heißt zum Erlbach, schenke ich alles ganz und gar, Gefilde und Gebirge, Weide und Jagd, Moos und Au, was immer zu diesem Ort gehört, sodass kein Mensch-in Zukunft sich unterfangen soll, unter was für einem Vorwand oder Anspruch auch immer, diesen Ort und seine Bewohner (…) zu beunruhigen. Darum habe ich eigenmächtig, so gut ich konnte, in Gegenwart meiner Richter und Vornehmsten, den Anfang der Buchstaben dieser Handschrift nachgebildet. Wir wissen auch, dass diese Gegend seit alter Zeit öd und unbewohnt ist, darum habe ich das demütige Bitten erhört und damit das ungläubige Volk der Slawen auf den Weg der Wahrheit geführt werde. Geschehen in Bozen, bei der Rückkehr aus Italien.“

Klostergründungsurkunde für Innichen im Pustertal, 769

Kremsmünster erinnert allerdings auch an einen ersten schweren Schicksalsschlag in Tassilos tragischem Leben: Gemeinsam mit seinem Sohn Gunther soll er dort im Gebiet der Enns gejagt haben; Gunther hatte es auf einen mächtigen Eber abgesehen, den er in einem wütenden Zweikampf erlegte. Doch das Wildschwein hatte ihn so schwer verletzt, dass er verblutete. Gunthers treuer Hund führte den Vater zur Leiche, und der soll so erschüttert gewesen sein, dass er spontan hier ein Kloster zu errichten versprach. Tatsächlich birgt die Klosterkirche einen wunderschönen, ein halbes Jahrtausend später gestalteten Epitaph für Sohn Gunther.

Gescheiterte Friedensinitiative

Zu einem ersten Affront war es gekommen, als Tassilo 763 seinen Onkel Pippin bei dessen Feldzug gegen die an der Loire siedelnden Aquitanier unterstützen musste – die peinlicherweise mit Tassilos Vater verbündet waren – und mitten im Krieg das Schlachtfeld mit seinen Truppen verließ. Glatte Fahnenflucht, obwohl er sich darauf berufen konnte, dass daheim an der bayerischen Ostgrenze wieder einmal Attacken der Awaren drohten. Pippin plante einen Rachefeldzug, Tassilo bat den Papst um Vermittlung, Pippins plötzlicher Tod löste das Problem – scheinbar.

Tassilo schloss ein Bündnis mit den Langobarden, heiratete deren Prinzessin – und schöpfte Hoffnung, als sein Cousin Karl (der spätere Karl der Große), Pippins Sohn, eine Schwester Liutbirgas zur Frau nahm und Pippins Witwe Bertrada die Aussöhnung zwischen Franken und Langobarden betrieb. Bertrada, Tassilos Tante, stattete ihm in seiner Regensburger Herzogspfalz einen Besuch ab und wurde herzlich empfangen. Doch Karls Bruder Karlmann und der die Langobarden wie den Teufel fürchtende Papst machten die Friedensinitiative zunichte, es gab neue Feldzüge, heimtückische Morde.

Der auf Unabhängigkeit bedachte Bayernherzog geriet immer stärker ins Visier der misstrauischen fränkischen Führung. Es half ihm wenig, dass er den Aufstand der Osttiroler Karantanen im Auftrag Karls bravourös niedergeschlagen hatte und von begeisterten Klosterchronisten mit Kaiser Konstantin verglichen worden war. 781 wurde er vor die Reichsversammlung in Worms geladen, wo er seinen Vasalleneid erneuern musste. Als er auch noch unter den bayerischen Adeligen und Bischöfen auf zunehmende Opposition stieß, suchte Tassilo in Panik und völliger Verkennung der politischen Realitäten den Schulterschluss mit den Hunnen, den Todfeinden des fränkischen Reiches. Damit war sein Schicksal besiegelt. Karl – der sich jetzt etwas angeberisch „König der Franken und Langobarden“ nannte – rüstete zum Krieg gegen Bayern. Tassilo flehte ihn um Gnade an, bekam Verzeihung gewährt, unter demütigenden Bedingungen, er musste Karl die Füße küssen und ihm sein Zepter überreichen – und schon nahm er erneut Verhandlungen mit den Hunnen auf. Obwohl er Karl zwölf Geiseln gestellt hatte, darunter seinen eigenen Sohn.

788 wurde er auf der Reichsversammlung von Ingelheim entwaffnet, verhaftet und wegen des Bündnisses mit den Reichsfeinden und der ein Vierteljahrhundert zurückliegenden Fahnenflucht zum Tod verurteilt; die wütendsten Ankläger gehörten dem bayerischen Adel an, der sich bei König und Papst einschmeicheln wollte. Karl wandelte die Todesstrafe generös in dauernde Klosterhaft um und verbannte den Herzog zunächst nach St. Goar und dann nach Jumièges an der Seine. Auch Liutbirga und Tassilos vier Söhne und Töchter verschwanden für immer hinter Klostermauern, in Trier, in Chelles, in Laôn, damit sie keinen Kontakt miteinander aufnehmen konnten.

Nach 792 ist Tassilo gestorben, angeblich im Kloster Lorsch an der Bergstraße. Seine Bayern liebten ihn bis zuletzt, trotzig tauften sie ihre Kinder auf die Namen der Verbannten. Tassilos Standbild in seiner stolzen Gründung Kremsmünster trägt die melancholische Inschrift: „Tassilo, zuerst Herzog, dann fast König, zum Schluss Mönch.“