Christina von Schweden: Ich fürchte mich nicht

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Christina von Schweden: Ich fürchte mich nicht
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edition ♦ karo – BIOGRAFIE Nr. 4

Charlotte Ueckert

Christina von Schweden: Ich fürchte mich nicht!

Leben und Lieben einer Unbeugsamen

literaturverlag josefine rosalski, berlin 2016

INHALT

Cover

Titel

Christina von Schweden: Europatour mit Königin von Stockholm nach Rom

Christinas Schwedenzeit

Rastlos Reisende über Hamburg, Antwerpen bis Brüssel

Eigensinnig Glaubende

Wunschziel Italien

Schönheit, Gunst und Außenwirkung

Briefeschreiberin aus Leidenschaft

Rom zum Ersten

Kunstgenießerin und -kennerin

Ein Monster in Fontainebleau?

Unglücklich Liebende in Hamburg

Rom zum Letzten

Mystische Annäherungen, Alter und Tod

Literaturliste

Wichtige Daten aus Christinas Leben

Bildnachweis

Impressum

CHRISTINA VON SCHWEDEN
EUROPATOUR
MIT KÖNIGIN VON STOCKHOLM BIS ROM

Noch ein Christina-Bild der Königin und berühmtesten Konvertitin vom Protestantismus zum Katholizismus? Unmöglich, den vielfältigen Biografien dieser widersprüchlichen barocken Persönlichkeit etwas Neues hinzuzufügen. Sicher, Meinungen, Interpretationen, Urteile sind möglich. Nicht gerade die Domäne von Historikern, die Fakten sichten und aufschreiben. Diesen danke ich für eine Fülle von Material und Informationen. Für mich steht jedoch die essayistische Arbeit im Vordergrund. Ein Essay erlaubt, Fakten mit Vermutungen zu verbinden. Zu erzählen, zu interpretieren.

Die Biografien zeigen zwei Bilder, die kaum miteinander zu vereinen sind. Auf der einen Seite eine intelligente, sprachbegabte, an Geistesgeschichte und Kultur interessierte Förderin von Kunst und Wissenschaft, auf der anderen aber eine machtbesessene Egoistin, nur auf die eigenen Interessen und Wirkungen bedacht. Nicht leicht, sich zwischen Bewunderung und Abscheu zu entscheiden.

Wie und wo lernen wir die Königin am besten kennen?

Sicher nicht durch ihre offiziellen politischen Verlautbarungen. Auf keinen Fall durch das, was in Pamphleten über sie berichtet wird. Ebenfalls nicht durch ihre eigenen schriftstellerischen Werke, aus ihrer Autobiografie, den kurzen Schriften über Alexander und Caesar oder ihrer Mitwirkung an Liebeskomödien. Vielleicht durch ihre Aphorismen (auch als Sentenzen oder Maximen veröffentlicht) und ganz sicher durch ihre überlieferten Briefe aus Hamburg an den Kardinal Decio Azzolino, die wenigen 50 von vermutlich mehr als Tausenden, die fast täglich zwischen ihnen hin- und hergewechselt wurden. Diese 50 wurden dechiffriert und archiviert, in ihnen ahnen wir etwas von Christinas Persönlichkeit. Dort, wo sie unverstellt ihre Gefühle äußert, können wir mitfühlen.

Das Charakterbild, das der Historiker Leopold von Ranke in seinem epochalen Geschichtswerk über die Päpste entwirft, das von 1834 bis 1836 das erste Mal erschien und dem die meisten Biografen zustimmen, ist eindeutig und treffend, obwohl ihm viele Einzelheiten damals nicht bekannt waren.

Er geht vor allem von Christinas Weigerung aus, sich jemals zu verheiraten, ungewöhnlich für eine Königin zur damaligen Zeit. Bisher kannte man das nur von der englischen Königin Elisabeth I. Was ist mit einem weiblichen Wesen geschehen, das schon als junges Mädchen öffentlich verkündete, sie wolle »keines Mannes Ackerfurche« sein?

Über diesen Geisteszustand schreibt Ranke: »Er hat etwas Gespanntes, Angestrengtes, es fehlt ihm das Gleichgewicht der Gesundheit, die Ruhe eines natürlichen und in sich befriedigten Daseins. Es ist nicht Neigung zu den Geschäften, dass sie sich so eifrig hineinwirft: Ehrgeiz und fürstliches Selbstgefühl treiben sie dazu an …«

In ihren Briefen an den Kardinal Decio Azzolino aus den Jahren 1666 und 1667 fehlt jeder Hinweis auf ein »befriedigtes Dasein«, sie enthalten außer politischen Erwägungen große Klagen über unerfüllte Wünsche. Darauf komme ich zurück.

Eine Würdigung ihrer Persönlichkeit, eine große Bewunderung spricht aus dem Buch von Oskar von Wertheimer, in den 1930er-Jahren erschienen. Der Autor wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Er operiert in seinem Buch mit dem Genie-Begriff. Selbst die widersprüchlichsten Vorkommnisse in Christinas Leben werden verständnisvoll kommentiert, eine rundum positive Sicht einer außergewöhnlichen Frau. Wertheimer lobt die anerkannte historische Arbeit des schwedischen Baron Carl Nils Daniel de Bildt, der 1931 in Rom starb, wo er lange für den schwedischen Staat gearbeitet hatte, und auf dem Friedhof der Nichtkatholiken begraben liegt. De Bildts Urteil, Christina sei eine »neuropathische Egoistin« gewesen, die aus ihrer Unruhe heraus nicht fähig war, abzuschalten, deutet Wertheimer als Kennzeichen eines immer empfänglichen Genies. Er ist überzeugt: »Sie musste für ihr Geschlecht büßen.«

Auch der kenntnisreiche Roman von Sigrid Grabner ist parteiisch aus der Sicht einer fiktiven, die Königin liebenden Gestalt geschrieben. Ausgewogen sind die Schilderungen von Jörg-Peter Findeisen, sehr genau und verständlich die Christina von Georgina Masson aus den 1960er-Jahren. Dieses Buch schildert die Königin realistisch in ihren oft merkwürdigen Eigenheiten, aber mit Sympathie. Doch jeder, der das ausführliche und blendend formulierte Buch der neuseeländischen, in Paris lebenden Historikerin Veronica Buckley gelesen hat, wird sich fragen, warum ein Leser sich überhaupt dieser Figur annähern soll. Was an negativen Urteilen vor allem von Zeitgenossen über sie gefällt wurde, ist dort nachzulesen. Eine sehr ausführliche Lebensbeschreibung, recherchiert in den historisch zugänglichen Quellen, mit umfangreichem Bildmaterial, psychologisch überzeugend interpretiert.

Nur eines kann Buckley ihren Lesern nicht deutlich machen: warum sie sich überhaupt mit dieser widersprüchlichen Person beschäftigen sollen, deren Vorhaben alle scheiterten, deren Erbe in alle Winde zerstreut wurde und die, was ihre Wirkung für die Zukunft betraf, kaum mehr als eine amüsante Fußnote der Geschichte geblieben ist. Eine Abenteuergeschichte ohne wahrhaften Ruhm.

Das alles sind nur Bruchstücke von Büchern und Meinungen über die Königin.

Ihr Temperament, sogar Hitzigkeit, ihre Begeisterungsfähigkeit für Menschen, für Kunst und Philosophie konnte umschlagen in Spott, Ungerechtigkeit und Grausamkeit. Auch diese Königin blieb nicht verschont vom menschlichen Makel, wonach Charakterstärken schnell in ihr Gegenteil umschlagen können. Insofern bietet ihr Leben Stoff für eine große Tragödie. Mehr als einmal verkannte sie ihre realistischen Möglichkeiten, was die Liebe betraf, ihre Intelligenz, ihren Reichtum und ihre hoheitliche Stellung. Den berühmten Film mit der wunderbar linkisch-androgynen Greta Garbo, deren herrische Bewegungen und Glanzlippen keinen Augenblick vergessen lassen, dass es eine Diva ist, die spielt, kann vernachlässigen, wer wahre Begebenheiten über das Leben Christinas erfahren will. Da wird eine Liebesgeschichte zwischen ihr und dem Gesandten des spanischen Königs, Don Antonio Pimentel del Prado fantasiert, von der nur Gerüchte zeugen. Er stirbt im Film an den Folgen eines Duells. In Wahrheit war er bei ihrer Konversion dabei und immer in Kontakt mit ihr, so lange, bis sie ihr Glück mit den Spaniern versuchte anstelle der Franzosen. Angeblich war er ein älterer, glücklich verheirateter Mann.

Selbst eine schwedisch-deutsche Fernsehdokumentation, die sich überwiegend an den bekannten Tatsachen orientiert, macht aus ihr ein wunderschönes, blondes, langbeiniges Geschöpf, ebenso wie im Greta-Garbo-Film die Hälfte des Films mit Großaufnahmen ausfüllend. Und die Königliche Hoheit wird vereinnehmend-identifizierend von der Regisseurin geduzt.

So wie sie in Filmen als eine ganz normale Frau mit emotionalen Bedürfnissen dargestellt wird, gibt es natürlich auch literarische Zerrbilder. Ein Porträt schuf ihr Landsmann August Strindberg 1901 in seinem Drama Kristina, wo sie als eine Art Zwitterwesen dargestellt wird.

Ausgangspunkt und Anlass meiner Betrachtungen sind weniger ihre Stockholmer Jahre, die ihre Persönlichkeit zweifelsohne geprägt haben, als die Jahre danach in Rom. Zwar hat sie wesentlich Schwedens Geschichte mitgestaltet, vor allem das Ende des Dreißigjährigen Krieges, aber interessant wurde sie für mich vor allem wegen des Bruchs in ihrem Leben durch ihre Abdankung, den Glaubenswechsel und die Zeit danach: Wie geht sie damit um, wie vertritt sie ihre Abkehr von allem, was für Schweden als damaliges Bollwerk des Luthertums wichtig war, und wie wahrt sie zugleich ihre Rechte? Wie schafft sie es, ihrem Leben bei allem äußeren Wechsel Kontinuität zu geben?

 

Diese Fragen können uns Heutigen nicht gleichgültig sein. Selbst wenn Schicksalsschläge ausbleiben, müssen die meisten damit leben, dass irgendwann vermeintlich sichere Gewissheiten infrage gestellt werden – aufgrund von beruflichen Veränderungen, Erbfällen oder Erbstreitigkeiten ebenso wie der für alle Menschen bestehenden Ungewissheit, welchen Stellenwert unsere persönlichen Beziehungen haben, wie lange sie halten und wann sie abbrechen. Unser verlängertes Leben gibt für derartige Brüche mehr Gelegenheiten, als es für Menschen des Barock zur Zeit Christinas möglich war. Auch für höhere Stände war Selbstbestimmtheit eine Seltenheit. Selbst der Papst erlag Zwängen, sobald er das Intrigenspiel der Wahl hinter sich hatte. Christina allerdings, Gegenspielerin von vier Päpsten, bestand auf Eigenständigkeit und Souveränität, ausgenommen in der Liebe. Da konnte sie Beeinflussung zulassen, sogar bis hin zur »Sklaverei«. Darüber später.

Im Mittelpunkt steht für mich die Zeit nach ihrer Abdankung, ohne die vorherige zu vernachlässigen. Das unterscheidet meine Vorgehensweise wesentlich von den Biografien, die ihre Königinnenzeit, die Auseinandersetzungen mit Kanzler und Reichsrat ausführlich schildern, die Wechselfälle der Kriege, die sie beenden will, ebenso wie das Hin und Her ihrer persönlichen Gefühle und Bindungen gegenüber Familie und den sie prägenden Persönlichkeiten, also die 30 Jahre von 1626 bis 1656. Die letzte Lebenshälfte bis 1689 wird in den meisten Biografien nur kurz dargestellt.

Für mich entstand durch die Beschäftigung mit Christinas Person das Charakterbild eines weiblichen Fausts mit verschiedenen Besetzungen des Mephisto, auf der Suche nach Sinn, nie zufrieden, immer begierig nach neuen Eindrücken, Erkenntnissen und Erfahrungen. Weder Herrschaftsausübung noch Alltag, weder Wissenschaft noch Kunst, Literatur und Musik und nicht einmal die Religion, die sie in eigenwilliger Frömmigkeit ausübte, konnten sie befriedigen. Es blieb immer eine Lust nach Zerstreuung, Amüsement, neuen Begegnungen – alles Ablenkungen von dem, was sie nicht erreichen konnte: Ruhe zu finden in einer ihr gemäßen Lebensaufgabe. Es blieb ihr die Liebe, die Freundschaft zu einem Mann, die trotz all ihrer Unvollkommenheit und Nichterfüllung bis zuletzt Bestand hatte.

In allen Historienbeschreibungen und Biografien wird Christina dargestellt als eigenständige Frau, welche, für ihre Zeit ungewöhnlich, bedingungslos ihre persönlichen Interessen verfolgt hat, ihr Wissen nutzt, um ihre Position zu stärken, die machtbesessen manipuliert und taktiert. Eine Frau, die Einfluss nimmt und weiß, warum sie es tut.

Geboren in einem Herrscherhaus im aufkommenden Absolutismus, hatte sie Mittel, ihre Macht auszuleben. Eine moderne Frau, die diese Attitüden einnimmt, muss sich fragen lassen, welche Positionen im Geschlechterkampf sie dabei aufgibt beziehungsweise welche sie neu erobert. Eine Frage, vielleicht zu beantworten mit einer Gegenfrage: Kann einem angst und bange werden, wenn viele Christinas mit ihrer Selbstherrlichkeit die Welt bevölkern? Dazu kann ihr Leben als diskussionswürdiges Modell beitragen. Der Menschentyp, der sich heute durchsetzt, ähnelt ihr, egal auf welcher Bildungsstufe. Der Königinnen wie Christina sind heute viele. Im Fernsehen, in Politik, Medien und im Internet tummeln sich fast nur Stars, egal wie bedeutend. Das Lieschen Müller hat ausgedient.

Eine moderne Frau, souveräne Königin, lebenslang Lernende, besessene Kunstsammlerin, rastlose Reisende, Macht ausübende Geschäftsfrau, leidenschaftlich Liebende und bis zuletzt eigensinnig Glaubende, so die wesentlichen Charakterzüge Königin Christinas von Schweden.

Wie kann eine Autorin heute sich dieser Königin nähern? Die nicht als Historikern arbeitet, sondern sich der erzählenden Literatur zugehörig fühlt? Die auch keinen fiktionalen Roman schreiben will, wovon es bereits zahlreiche gute und schlechte Beispiele gibt. Die trotz historischer und vor allem kunsthistorischer Interessen die Persönlichkeit Christinas in den Fokus stellten möchte.

Für mich sind es die Orte, an denen die Königin lebte, die mir ein Bild von ihr vermitteln, auch über 300 Jahre hinweg. Es ist von Bedeutung, wo ein Mensch in seinem Leben beginnt, wo er jeweils lebt und wo es endet. Das ist, was ihn prägt. Bereits zu ihrer Zeit war Christina von Schweden eine Europäerin, die Grenzen und Lebensräume überschritt. Diesem Aspekt fühle ich mich verbunden.

CHRISTINAS SCHWEDENZEIT

Christina wurde 1626 als Tochter Gustav II. Adolf von Schweden geboren, eines Herrschers, der das Bild Europas veränderte wie kaum ein zweiter. Bis heute ist Deutschland geteilt. Nicht mehr politisch, aber dem Glauben nach. Wäre Gustav Adolf nicht von Schweden aus in Pommern gelandet und hätte für das protestantische Deutschland gegen die kaiserlichen Truppen gekämpft, wäre Deutschland vermutlich ein katholisches Land wie Österreich oder Italien und Luther nur ein historisch nicht mehr bedeutender Sektenführer. Deutschland wäre im Glauben für Jahrhunderte geeint gewesen. Der Westfälische Friede 1648, den seine Tochter Christina vorantrieb und zum Abschluss brachte, zementierte die religiöse Zweiteilung. Der Krieg hatte 1618 mit dem »Prager Fenstersturz« begonnen, als böhmische Protestanten die katholischen königlichen Statthalter aus dem Fenster warfen. Die größten Erfolge erzielten die Protestanten, weil Gustav Adolf und seine schwedischen Truppen ihnen beistanden. Ausschlaggebend war auch die Rolle des katholischen Frankreichs, das sich mit den Schweden verbündet hatte, um eine Gegenmacht zum habsburgischen Kaiser zu bilden, ebenso zu Spanien, dem anderen Nachbarn, mit dem Frankreich ständig im Krieg lag. Christina hat wesentlich zu den Verhandlungen beigetragen, die nach 30 Jahren kriegerischer Verwicklung zum Frieden führten. Die letzte Schlacht am 5. Oktober 1648 war ein Sieg der kaiserlichen Truppen bei Dachau. Die schwedischen Truppen flohen ins Sumpfgebiet des Dachauer Mooses oder wurden gefangen genommen, der schwedische General Wrangel konnte zu Fuß flüchten. Aber Schweden blieb insofern siegreich, als kurz darauf, wie die Königin es wünschte, am 24. Oktober der sogenannte Westfälische Friede durch Verträge beschlossen wurde. Doch noch sollte es Jahre dauern, bis Christina selbst vom Luthertum zum Katholizismus fand. Ihre Konversion war unter anderem der Beginn einer erfolgreichen Strategie der Gegenreformation, maßgeblich von Jesuiten vorangetrieben.

Der Reichskanzler Axel Oxenstierna war gegen den Friedensschluss, der für die siegreichen Schweden ungünstig war, denn sie mussten Forderungen der anderen Parteien nachgeben. Christina, seit ihrer Einsetzung als Königin immer in vorsichtiger Opposition gegen ihren staatsmännischen Lehrmeister, setzte seiner Ansicht entgegen auf schnelle Friedensverhandlungen. Sie erhob Bauern und Kaufleute in den Adelsstand, vergrößerte den Reichsrat und schwächte so die Macht der großen Familien. Im Januar 1651 entzog sie sogar dem Kanzler die Leitung der Kanzlei und des Reichspräsidiums. Dafür lehnte er 1654 die ihm angebotene Herzogswürde verächtlich ab. Der Vormund wurde aus seiner Rolle als Bevormundender entlassen.

Die Spuren Christinas in Schweden sind größtenteils verweht.

Kein Gedenktag erinnert an sie. Ihre Krönung wurde durch die Abdankung quasi annulliert, ihre Regierungszeit stand im Schatten ihres großen Vaters und die Lebensorte existieren heute nur als Ruinen. Von Schloss Stegeborg, wo sie in der Nähe Nyköpings die ersten Jahre aufwuchs, stehen nur noch einige Mauern. Es war der Geburtsort ihres Cousins und Nachfolgers Karl X. Gustav, Sohn ihres angeheirateten Onkels Johann Casimir von Pfalz-Zweibrücken-Kleeburg, einem Deutschen, und Katharina, der Halbschwester ihres Vaters, die zeitweise die Mutterstelle bei Christina vertrat. Und Schloss Stegeborg war ihr Zwangsaufenthalt bei der unmäßig trauernden Mutter nach dem Tod des Vaters, bis der Reichsrat beschloss, sie von den ungünstigen Einflüssen der Witwe zu befreien. Als ihre Mutter nach Schloss Gripsholm verbannt wurde, um keinen Einfluss mehr auf ihre Tochter ausüben zu können, gab es kurze Besuche, die nicht reichten, um eine Beziehung herzustellen. Dort in Gripsholm befindet sich jetzt die Staatliche Porträtsammlung Schwedens, wo viele Gemälde der mit Christina bekannten Personen ausgestellt sind.

In Norrköping, der Stadt südlich von Stockholm, die ihr in den Abdankungsverträgen zugesprochen wurde, verbrachte sie bei ihrer letzten Schwedenreise entwürdigende Monate, ohne nach Stockholm reisen zu dürfen. Dort gibt es von der Johannisborg, wo sie gelegentlich lebte, nur noch ein restauriertes Torhaus zwischen Wällen, alles andere liegt brach. Dennoch kann man in dieser Stadt einen Eindruck von Christina gewinnen. Norrköping ist eine der frühen Industriestädte Schwedens, an den Ufern ihres Flusses stehen Fabriken, ein wenig auswärts die Reste der Burg. Es ist eine geschäftige Stadt, die an eine große unternehmerische Zukunft denken lässt, den Plänen Christinas, ebenfalls auf zukünftige Traumerfüllungen bezogen, nicht unähnlich.

In Stockholms Altstadt finden sich auch heute noch Gebäude, die Christina geprägt haben. Zeitgeschichtlich richtungsweisend war für sie das von 1641 - 74 im holländischen Barockstil erbaute Riddarhuset, das noch Elemente der italienischen Renaissance aufweist. Nicht weit davon blinkt der Sund zwischen zwei gleichen Gartenpavillons. Der Palast (das Wort Haus wäre hierfür zu schlicht) wurde Versammlungshaus des Adels, der um den Platz der nahen Kirche, der Riddarholmskyrkan, der gotischen Begräbniskirche der schwedischen Könige, seine Paläste errichten ließ. In dieser Kirche sind Christinas Eltern begraben, der hochverehrte Gustav Adolf und seine neurotische Gattin, die nach dem Staatsbegräbnis mit ihrer Tochter im Stockholmer Schloss lebte, bis sie vom Hof verbannt wurde.

Die Burg Tre Kronor, erbaut im 13. Jahrhundert in Stockholm, brannte 1697, acht Jahre nach ihrem Tode, ab, heute erinnert daran nur noch das Gewölbemuseum unter dem Königlichen Schloss in der Altstadt Stockholms. Auch zu Christinas Zeit, nämlich 1641 und 1648, gab es bereits Brände auf der Burg. Das war damals eine ständige Gefahr, natürlich schnell verursacht durch Kerzenlicht und Kaminfeuer. Die Häuser in den Städten waren fast gänzlich aus Holz gebaut, auch die Innenräume und Decken in den Steinpalästen waren mit Holz verkleidet.

Beim Brand Anfang 1648 entdeckte Christina selbst Flammen im Treppenhaus, das zu ihren privaten Räumen führte. Sie war dabei, als es sechs Stunden brannte, bis der Wind drehte und das Feuer erstickt werden konnte, immer in Angst, es könnte wertvolle Bücher und Akten vernichten. Im Gewölbe des Tre-Kronor-Museums, zu betreten unter der Eingangsempore, die hoch zum neu erbauten Schloss führt, finden sich alte Modelle des Schlosses, wie es zu Christinas Zeit ausgesehen hatte. Sogar der Brand ist filmisch simuliert. Hier bekommt man die beste Ahnung vom Leben in einem mittelalterlichen Schloss. Im oberhalb entstandenen Gebäudekomplex steht im Reichssaal der silberne Thron, den der Graf Magnus Gabriel De la Gardie Christina zur Krönung schenkte, eine der wenigen Erinnerungen an ihre Anwesenheit dort, heute von jedem Touristen fotografisch festgehalten. Das Schloss, das großartig über Stockholm thront, sollte nach dem Willen Karl XII., eines königlichen Nachfolgers, Zeichen einer Großmacht sein. Als es 1751 endlich fertig war, hatte Schweden den Wettkampf um eine Vorherrschaft in Europa verloren.

In der Schatzkammer findet sich die Krone von Erik XIV. aus dem 16. Jahrhundert, aber Kronjuwelen aus der Zeit Christinas sucht man vergeblich, denn die hat sie mitgenommen und entweder versetzt oder, wie eine ihrer Kronen, demonstrativ während der ersten Reise nach Rom am Altar der Madonna von Loreto abgelegt. Im Historischen Museum in Stockholm hängen Kopien von Gemälden Christinas und ihrer Eltern. Das ist alles, was der Öffentlichkeit präsentiert wird.

Selbst der Saal im Schloss Uppsala, wo sie am 6. Juni 1654 von ihrem Amt abdankte, wurde nach einem Brand 1702 wieder aufgebaut, ist also auch nicht mehr original vorhanden. Nur das Tor neben dem Schloss erinnert frisch getüncht daran, dass sie gleich nach der Abdankung mit ihrem Pferd hindurchpreschte, um nie mehr wiederzukommen.

 

Der stets wissbegierige Blick ihrer Augen beim Studium der gelehrten Bücher in der ältesten Universitätsbibliothek Schwedens in Uppsala ist nicht zu konservieren so wie die berühmte Silber- oder Wulfilabibel. Sie gehörte zu den Beutestücken aus Prag, die der Dreißigjährige Krieg nach Schweden brachte.

Im protestantischen Schweden, wo man sich heute noch daran erinnert, dass sie den Thron in Stich ließ, um zum Katholizismus zu konvertieren, gibt es für Christina kein Datum des nationalen Gedenkens.

Wer mit dem Zug in etwa fünf Stunden von Stockholm nach Malmö fährt, sieht auf menschenleere Landstriche. Die Einwohnerzahl Stockholms liegt bei 800 000, das ist die Hälfte der Gesamtbevölkerungszahl Schwedens zu Christinas Zeit. Die Städte in Schweden waren damals nach heutigen Maßstäben größere Dörfer. Stockholm hatte 1620 eine Zahl von 10 000 Einwohnern. Bis in die Zeit Christinas wuchs es auf circa 50 000. Im Bauernland Schweden lebten nur ungefähr fünf Prozent der Einwohner in Städten. Uppsala, wo Christine sich häufig aufhielt, hatte kaum mehr als 2 000 Einwohner. Auch die mittleren Städte, an deren Stationen der Zug hält, sind jetzt noch vom Charakter her kleinstädtisch-industriell geprägt. Die Landschaft moorig, Birken umrunden Gewässer, Wälder und vereinzelte Gehöfte ziehen vorüber. Hätte Christina ein Verhältnis zur Natur, zu Landschaft und Licht bekommen, wovon aber nichts vermerkt wurde, wäre es ihr möglicherweise nicht so leichtgefallen, die Heimat zu verlassen. Sicher, die Winter waren belastend, damals kälter als heute. Man spricht sogar von einer kleinen Eiszeit zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Aber schon im Frühjahr entschädigen Sonne und Sommerabende um die Mittsommerwende. Deren Helligkeit nach Norden hin nimmt zu, sucht ihresgleichen. Wenn in Italien die Dunkelheit hereinbricht, dann wärmt in Schweden noch die Sonne hoch am Himmel. Die zahlreichen Seen spiegeln sie aus blinkenden schönheitstrunkenen Augen zurück. Für landschaftliche Schönheit schien Christina nicht viel übrig gehabt zu haben. Die reizvollsten landschaftlichen Gegenden auf ihren Reisen haben sie nicht so beeindruckt wie Stadtpaläste und Ausgrabungen antiker Metropolen. Eine Stadtfrau, am liebsten mitten im Geschehen der Macht. Naturschönheit nur als Hintergrund mythologisch-figurativer Gemälde.

Die Ereignisse ihrer Geburt und ihrer Kindheit möchte ich hier nur kurz schildern, sie stehen ausführlich in allen Biografien, meist auf ihre eigenen unvollendeten Memoiren zurückgehend, die Christina nach einem früheren Versuch 1661 in Hamburg noch einmal um 1680 neu begann, alles darauf ausgerichtet, aus ihr ein von Gott bevorzugtes Wesen zu machen, zum Teil sicherlich bewusst einer Legendenbildung dienend.

Die Persönlichkeiten ihrer Eltern könnten unterschiedlicher nicht sein. Ihr Vater ein stattlicher Kriegsheld, Nachkomme Gustav I. Wasa, der es geschafft hatte, eine Erbdynastie in Schweden zu errichten, ihre Mutter, eine hübsche aber verweichlichte Adelsperson, Tochter des Kurfürsten von Brandenburg. Vor Christina hatte sie zwei Totgeburten und eine Tochter, die als Kleinkind starb. Diese hat Christina mit ihrem Namen ersetzt, aber die Liebe der Mutter konnte sie nicht gewinnen, zu sehr hatte diese auf einen Sohn gehofft und verfiel nach der Geburt in Depressionen. Eine sogenannte Glückshaube oder Schafshaut, die den Körper des Kindes als Teil der Nachgeburt bedeckte, trug dazu bei, dass die kräftige Stimme und der Haarwuchs des Säuglings die Hebammen täuschte und sie einen Jungen vermuteten, den ersehnten und von Astrologen vorhergesagten königlichen Erbprinzen. Das spätere durchaus männliche Auftreten Königin Christinas tat ein Übriges, um Vermutungen über eine Intersexualität, Gerüchte über lesbische Neigungen und Zwitterwesen zu mehren, was aber aufgrund zweier Obduktionen nach dem Tod widerlegt wurde. Ein Mädchen war sie, wurde aber nach dem Willen des Vaters, der sie liebte, als legitimer Erbprinz erzogen. Gustav Adolf liebte auch seinen neun Jahre älteren unehelichen Sohn, mit deren Mutter ihn noch während seiner Ehe mit Maria Eleonore wohl viel verband. Aber um diese Bastarde machte man sich damals wenig Gedanken. Wichtig war die legitime Eheschließung. Liebe und Sexualität hat die königliche Ehefrau offensichtlich getrennt, das ist erstaunlich. Trotz der unermesslichen Anhänglichkeit der Gattin schickte diese ihrem Mann schöne Mädchen ins Feldlager, wenn sie selbst nicht anwesend war! Mit ihrem Neugeborenen ging sie lieblos um, hatte zunächst kein Interesse an ihm und überließ es den Hebammen. Es heißt, diese hätten das Kind einmal fallen gelassen. Eine Schulterverletzung war die Folge, eine Schulter blieb höher verwachsen als die andere, Christinas Haltung war leicht schief, dadurch aber nicht in ihren späteren sportlichen Aktivitäten behindert. Alle Augenzeugen berichteten, wie geschickt die Königin diese leichte Entstellung durch die Wahl ihrer Kleidung verbarg. Vor dem Tod ihres Vaters auf dem Schlachtfeld, als sie sechs Jahre alt war, musste sie also vorher ein Trauma verarbeiten.

Schon als kleines Kind schildert Christina sich in ihren Memoiren als Ehrfurcht einflößend gegenüber Gesandten aus fremden Ländern, wie zum Beispiel einer russischen Delegation. Das herrschaftliche Gebaren des Kindes entzückte natürlich auch ihren Vormund, den Kanzler Axel Oxenstierna, der im Testament des erschlagenen Gustav Adolfs als einer ihrer Erzieher bestimmt war. Christina hatte in ihrem Leben mit den zwei mächtigsten Staatsmännern des 17. Jahrhunderts zu tun, mit dem schwedischen Kanzler Axel Oxenstierna und dem französischen Kardinal Giulio Mazarin. Beide übten sich perfekt in Strategie und Taktik, in Kriegsführung und Vorteilnahme für ihr Land. Ihre eigenen staatspolitischen Kenntnisse und Begabungen lernte sie durch Axel Oxenstierna zu vervollkommnen. Sie ist ihm dankbar wie einem Vater, so schreibt sie in ihren Memoiren, aber wendet sich von ihm ab, wenn es um ihre eigenen Interessen geht. Zwischen beiden spielt sich das Drama eines Generationswechsels ab.

Axel Oxenstierna, ein orthodoxer Lutheraner, mag sogar eine Weile gehofft haben, seinen ältesten Sohn Johan mit Christina zu verheiraten. Er setzte ihn als Leiter der Delegation zu den Friedensverhandlungen in Westfalen durch. Aber dieser erwies sich als unfähig, bemühte sich wenig. Er hatte die väterliche Instruktion, den Frieden hinzuziehen. Oxenstierna glaubte, ein Frieden würde das militärisch starke Schweden schwächen. Christina setzte den ihr ergebenen John Adler Salvius als gleichberechtigten Verhandlungspartner ein, der schon ihrem Vater gedient hatte. Er hatte die heimliche Anweisung, so schnell wie möglich einen Friedensschluss herbei zu führen. Er bekam mehr Gewicht bei den federführenden Partnern als der Sohn Oxenstiernas, so kam es, dass Christina sich als Friedensstifterin feiern lassen konnte.

In der Pubertät geriet Christina wie jeder junge Mensch in Gefühlsverwirrungen, verliebte sich, war unsicher und erlebte auch Zurückweisung. Nicht von ihrer ersten Liebe, ihrem Cousin Karl Gustav, den sie lange heiraten wollte, sondern von Magnus De la Gardie, Sohn Ebba Brahes, der großen Liebe ihres Vaters, die er nicht heiraten durfte, aber von ebenso vornehmer Herkunft. Der überall glänzende Magnus schmeichelte ihr, nutzte sie und ihre Verliebtheit aus, liebte und heiratete aber ihre Freundin und Cousine, eine Tochter des Onkels, Pfalzgraf Johann, und von Katharina, der Halbschwester Gustav Adolfs. Christina ließ es sich nicht nehmen, den beiden bei der Trauung persönlich die Hände ineinander zu legen und den für ihre Umgebung zweideutigen Satz zu sagen, sie gäbe ihrer Freundin das Liebste, was sie habe. Der ausgesprochen gut aussehende Mann war der erste einer Reihe von Favoriten, der es schaffte, dass sie ihm trotz seiner Verschwendungssucht und obwohl er sie hinterging, weiterhin gewogen blieb. Erst als sie ihm ihre Gunst entzog, wurde er einer ihrer erbitterten Feinde nach ihrer Abdankung. Eifersüchtig hatte er beobachtet, wie andere, vor allem ausländische Gesandte wie der Spanier Pimentel oder der französische Arzt Bourdelot, ihm vorgezogen wurden. Inzwischen hatte sich auch eine neue Generation schwedischer Adeliger in ihre Gunst gedient. Er zettelte eine Intrige an, die aber für ihn schlecht ausging – er wurde vom Hof verbannt. Kein Wunder, dass er später, als Christina als Bittstellerin nach Schweden kam, ihr unversöhnlich entgegentrat.

In Schweden versammelte sich zur Zeit Christinas auf ihre Einladung hin ein Teil der besten Wissenschaftler und Künstler Europas. Kaum war der Westfälische Friede geschlossen, wurden Bibliothekare durch ganz Europa geschickt, um kostbare Bücher zu kaufen, wurden Gemälde aus Prag an den Hof gebracht, wurde Schweden Mittelpunkt im musischen Leben. Deutsche, italienische und französische Orchester spielten, Ballette wurden aufgeführt, bei denen Christina selbst mitwirkte, oft in der Rolle der Pallas Athene.

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