Redewendungen: Politisches Treiben

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Redewendungen: Politisches Treiben

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Episode 19: Politisches Treiben

Morgendlich kann man sich in der Tageszeitung am Frühstückstisch über das Tun und Unterlassen der Politiker informieren und amüsieren. Das Treiben unserer werten Volksvertreter lässt sich hierbei trefflich mit diversen Redewendungen beschreiben, und die Redakteure machen von dieser Möglichkeit auch regen Gebrauch. So wäre z.B. die Ökosteuer eine Abgabe ohne Hand und Fuß (was übrigens Personen bestätigen, die sich mit der Internalisierung negativer externer Effekte wirklich auskennen!). Und wenn beim Atomausstieg und beim staatlichen Waffenhandel die Grünen auch weiterhin den Kürzeren ziehen, so sind sie bald ganz weg vom Fenster. Dann verprellen sie auch noch den letzten Stammwähler (i.d.R. ist dies ein emanzipiert häkelnder Sozialpädagoge älteren Semesters). Wenn etwas Hand und Fuß hat, dann ist es gut durchdacht, wenn etwas ohne beides daherkommt (wie die sogenannte Ökosteuer), dann ist es weniger gut durchdacht und überhaupt nicht, wenn weder Hand noch Fuß bescheinigt werden. Ursprünglich war mit dieser Wendung gemeint, dass eine Person nicht verstümmelt, sozusagen vollständig ist – oder eben nicht (ganz). Die Verstümmelung von Delinquenten war schon immer eine schlagkräftige Strafe für jene Delikte, die noch nicht ganz für die Hinrichtung ausreichten; im Mittelalter sollen bevorzugt die rechte Hand, mit der man i.d.R. das Schwert führte, und/oder der linke Fuß, den man i.d.R. zuerst zum Aufsitzen in den Steigbügel setzte, abgehauen worden sein. In der mittelhochdeutschen Verserzählung „Meier Helmbrecht“ (um 1270) endete dementsprechend des Bauernsohnes Raubritter-Karriere ohne Hand und Fuß (und Augen), was dazumal eine Begnadigungsauflage war. Die aus demselben Jahrhundert stammende Heldendichtung „König Laurins Rosengarten“ nahm auf Linkshänder Rücksicht; der im Südtiroler Hochgebirge Rosen züchtende Zwergenkönig forderte von unerwünschten Gartenbesuchern „den rehten vuoz, die linken hant“ als Pfand, das erst in späteren neuhochdeutschen Versionen mehrheitsgerecht rechtshändig und linksfüßig ausfiel. Die zurechtweisende Überkreuzamputation scheint sich in die ebenso grausame Neuzeit gerettet zu haben; in der „KriegsOrdnung zu Wasser und Landt“ (1594) wird mit der „verbussung der rechten hand, und lincken fuß“ gedroht. An einer anderen Stelle stehen „Hals unnd Handt“ auf dem Spiel, aber vorher sollen Richter „dem Verbrecher wol mehr peinliche schmertzen oder Tödte zuerkennen, als mit der Zungen unnd rechten Handt oder linken Fuß, ...“ – was wohl auf Folter hinausgelaufen ist. Der (nicht mehr) kriegstüchtige Mann kommt als Metapher für (un)sinnige Aktionen spätestens seit dem 16. Jh. zum Einsatz. Zunächst war sogar der heute ungewöhnliche Plural gängig. Georg Hauer (1484-1536) notierte in seinem Grammatik-Werk „Hauerius“ (1515) bei der lateinischen Redewendung „sine capite fabula“ die frühneuhochdeutschen Erläuterungen: „Es hat weder hend noch füß. Es hat weder trum noch end.“ Aufs Rhetorische bezog sich auch Johannes Agricola (1494-1566), der in „Deutsche Sprüchwörter“ (1529) unter der Überschrift „Es hat hende und füsse, was der mann redet“ ferner alle Varianten der Paarformel erläuterte: „Es hat weder hende noch füsse, das ist, Es in unvolkommen, Denn dem leibe des menschen kan keyn grössere beschwerung zufallen, …“ Das heutzutage selten gewordene Lob: „Es hat hende unnd füsse, was der thut und redet, das ist, er ist rechtschaffenn, es hat einen Bestandt, es ist wolgestalt ...“ Und nochmals die inzwischen bevorzugte Kritik: „Es hat weder hende noch füsse, es ist unvolkommen, es hat kein art noch bestand, es ist flickwerck und gestummelt ding.“ In seiner nachträglich veröffentlichten unaussprechlichen Sprachpredigt „Sÿrach Mathesii“ (1586) warnte der Luther-Biograph Johannes Mathesius (1504-1565) vor gesprochenem Flickwerk und gestammelt Ding: „Es hat weder hende noch füsse, es ist plauderwerck, und wenns wol geret, Mundwerck.“ Närrisches Gerede vermochte er bei einem (anderen) bekannten Reformator dagegen nicht erkennen:„WEnn der Herr Melanthon etwas redet oder schreibet, das hat Hende und füsse, ...“ – der gleichwohl Melanchthon oder Schwartzerdt geschrieben wird und wurde. Adam Olearius (1599-1671) lästerte in „Persianischer Rosenthal“ (1654) über ein aufgeblasenes und übermütiges Völkchen: „Sie (…) bilden sich grosse Klugheit ein, was sie aber reden, hat offt weder Hände noch Füsse.“ Da hätte eventuell Justus Georg Schottel (1612-1676) helfen können, der in seiner „Teutschen HaubtSprache“ (1663) die rare Wunderumkehrung notierte: „Er weis dem Dinge Hände und Füsse zugeben.“ Bei Johann Georg Seybold (1617-1686), der in seiner Sammlung „Lust-Garten von auserlesenen Sprüchwörtern“ (1677) lateinische durch deutsche Phrasen zu erläutern versuchte, spürt man die Tendenz zum neuhochdeutschen Singular: „Os inest orationi illi, Es hat Händ und Füß, was der Mann redt.“„Scopae dissolutae, Das weder Händ noch Füß, weder Safft noch Krafft hat.“„Sine capite fabula, Es hat weder Händ noch Füß. Es reimt sich nichts.“ Das bemerkt der altkluge Lateiner sofort, denn hier ist ohne Hand und Fuß etwas mit Hand und Fuß „übersetzt“ worden. Bis die Paarformel vorwiegend bis ausschließlich derart verstümmelt verwendet wurde, dauerte es noch ein Weilchen. Der Ältere Theodor Gottlieb Hippel (1741-1796) drückte im zweiten Teil seiner „Lebensläufe nach aufsteigender Linie“ (1779) die gemutmaßte positive Korrelation zwischen Werk und Autor einfach aus: „Das Buch hat Hand und Fuß, der Mann hat Hand und Fuß, ...“ Diese Extremitätenreduktion konnte sich wohl erst Anfang des 19. Jahrhunderts vollständig durchsetzen. Franz Xaver Sperl führte in seiner Kollektion „Sprichwörtliche Redensarten der deutschen Sprache“ (1824) nur noch die heutzutage gängigen Singulare auf: „Die Sache hat Hand und Fuß, hat Gewicht, ist brauchbar.“„Es hat weder Hand noch Fuß, es hat kein Geschick, ist schlecht gemacht.“

Wer den Kürzeren zieht, der unterliegt oder wird (zuvor) benachteiligt. Diese Wendung kommt vom Losen mit Grashalmen oder Hölzchen. Eines der Objekte war jeweils etwas kürzer. Wer das dann zog, hatte verloren. Ob Sie es glauben oder nicht, in früheren Phasen der Justiz wurde auf diese Weise auch schon mal so manches Urteil gesprochen. Das Losergebnis wurde dann als unanfechtbares Gottesurteil hingestellt. Hoffentlich wird diese altertümliche Rechtsprechungsvariante nicht im nächsten Sommerloch von einem Hinterbänkler als Entlastungsvorschlag für die deutsche Justiz reanimiert.

Wie umstandslos diese Lotterie einst genauso im Zivilleben funktionierte, ist dem Gedicht „Der Traum“ zu entnehmen, das uns der Oberförster Joseph von Laßberg (1770-1855) in seiner alten Handschriftensammlung „Lieder Saal“ (1820) lückenhaft überlieferte: „… so ziech wir zwai gräsalin (…) Ich mach ains kurtz daz ander lanck (…) Daz lenger sol gewunnen han ...“ Dergestalt läuft das neckische Spielchen immer noch ab; der oder die Glücklichere darf dann was (mit dem anderen) machen oder bekommt was (von dem anderen) gemacht. Als Verlierer-Redewendung wird das kurze Losziehen zumindest seit dem 17. Jh. benutzt. Julius Wilhelm Zincgref (1591-1635) hat das schlechtere Los in seiner Geschichtensammlung „Apophthegmata“ (1631) vermutlich versehentlich personalisiert: „Als er mit Churfürst Moritzen von Sachsen den kürtzeren gezogen, flohe er nach Hanouer ...“ – den Markgrafen Albrecht von Brandenburg (1490-1545) soll einst dieses Schicksal ereilt haben. Kaspar von Stieler (1632-1707) hatte ebenfalls irgendwelche Kriegs- und Liebesprobleme, die er uns gereimt in einer von „Filidors Geharnschter Venus Sinnreden“ (1660) hinterließ: „Verrähtrisch Licht, du hast mich zwar betrogen, daß ich so offt den Kürzeren gezogen ...“ Der katholische Barockprediger Abraham a Sancta Clara (1644-1709) war ein großer Anhänger des redensartlichen Gottesloses; in allen vier Bänden seines Hauptwerkes „Judas Der Ertz-Schelm“ zog immer wieder irgendwer was Kürzeres, bevorzugt in körperlichen Auseinandersetzungen, wobei der Artikel meist auf das analoge Hölzchen oder ein anderes ziehbares Neutrum abgestimmt war. Von einem Schlagabtausch unter hebräischen Verwandten berichtete er im ersten Band (1686): „Wolan, das Gefecht nimbt ein Anfang in der Wüsten Ephraim, die Armee deß Absaloms übersteigt weit die Mannschafft deß Davids, diser wird ungezweifflet das Kürtzere ziehen, dann vil Hund seynd deß Haasen Todt.“ Im dritten Band (1692) gelang dem redseligen Barfüßer sogar ein großer Wortwitz: „Goliath ist zwar nit so groß gewesen, aber gleichwol viermal grösser als der David, und gleichwol hat der Längere das Kürtzere gezogen, ...“ Im abschließenden vierten Teil von 1695 wählte er beim Fiebern die äußerst seltene Gewinner-Analogie: „ob die Hitz oder Kälte werde das längere ziehen.“ Der Längere ist in diesem redensartlichen Zusammenhang heutzutage belanglos.

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