Buch lesen: «LEBENSAUTOBAHN»
Caroline Sehberger
LEBENSAUTOBAHN
Letzte Ausfahrt Richtung LIEBE
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Inhalt
In Liebe
Gedanken des Anfangs
Prolog: „Carolines eigene, kleine Erklärung des Lebens“
1: „Millennium – Ein Sommer, den man nie mehr vergisst“
2: „Leben oder Sterben“
3: Jahr 1 nach Thomas – „Eine Seherin – ein magisches Erlebnis“
4: Jahr 2 nach Thomas – „Firmenjubiläum und Lothar“
5: Jahr 3 nach Thomas „Neue Ära Lothar“
6: Jahr 4 nach Thomas – „Immer wieder Thomas“
7: Jahr 5 nach Thomas – „Undank ist der Weltenlohn“
8: Jahr 6 nach Thomas – „Bruder und Schwester“
9: Jahr 7 nach Thomas – „Der Anruf – ein Hilferuf?“
10: Jahr 8 nach Thomas „Die Geister, die ich rief“
11: „Wer bin ich? Wohin geht diese Reise? Und vor allem, mit wem?“
12: „Allem Anfang wohnt ein Zauber inne“
13: „Thomas Entscheidung“
14: „Carolines Entscheidung“
15: „Geballtes Leben – Scheidung des Jahres“
16: „La Mer mon Amour“
17 „Das Leben ist jetzt“
18: „Rendezvous mit der Ewigkeit“
Schlusswort
Impressum neobooks
Inhalt
Was Du liebst, lass los. 3
Gedanken des Anfangs 8
Prolog: „Carolines eigene, kleine Erklärung des Lebens“ 9
1: „Millennium – Ein Sommer, den man nie mehr vergisst“. 11
2: „Leben oder Sterben“. 126
3: „Eine Seherin – ein magisches Erlebnis 147
4: „Firmenjubiläum und Lothar“. 197
5: „Neue Ära Lothar“. 222
6: „Immer wieder Thomas“. 231
7: „Undank ist der Weltenlohn“. 239
8: „Bruder und Schwester“. 252
9: „Der Anruf – ein Hilferuf?“. 270
10: „Die Geister, die ich rief“. 282
11: „Wer bin ich? Wohin geht diese Reise? Und vor allem, mit wem?“ 300
12: „Allem Anfang wohnt ein Zauber inne“. 311
13: „Thomas Entscheidung“. 326
14: „Carolines Entscheidung“. 349
16: „La Mer mon Amour“. 424
17 „Das Leben ist jetzt“. 444
18: „Rendezvous mit der Ewigkeit“. 463
Schlussgedanken. 490
In Liebe
In Liebe für:
Thomas, die Liebe meines Lebens. Ohne ihn würde es diese Geschichte so nicht geben.
Meine Kinder, mein größter Erfolg, die ich unendlich liebe!
Meine verstorbenen Eltern, die keine Besseren hätten sein können!
Meine alten und neuen Weg Begleiter, die in all der Zeit mir und meinen Lieben beigestanden haben.
Tausend Dank an Wilma und Harry. Grandiose Freunde bis heute zu.
Die stets treffsicheren Vorhersagen. Meinen Dank an die beste Seherin Deutschlands.
Meinen Dank.
Eure Caroline Sehberger
Gedanken des Anfangs
Liebe Leserinnen und Leser,
das Buch soll kein Resilienz Ratgeber in Sachen Lebenshilfe sein. Und doch hofft Caroline, dass diese Lektüre, Ihre turbulente, berührende Liebesgeschichte, allen Lesern Mut macht und Zuversicht gibt. Dass sie nie aufhören mit der Liebe und dem Leben. Es ist zu lebenswert.
Es ist ein auf teilweise autobiografischen Elementen basierender erster Roman. Die Geschichte von Caroline und der Liebe ihres Lebens, Thomas. Ihre Lebensautobahn. Heute sind sie glücklich verheiratet.
„Es wird nicht anspruchslos, aber es klappt“, sagte ihr damals eine berühmte deutsche Seherin. Und wahrlich, es war ein weiter, steiniger Weg. Endgültige Abschiede waren die Folge und das einzig Richtige.
Carolines Lebensautobahn.
Wir trafen uns in einem gemütlichen Straßencafé in ihrer Stadt und sie fing Ihre Geschichte an, zu erzählen ……
Prolog: „Carolines eigene, kleine Erklärung des Lebens“
Wir Menschen sind Statisten auf der Bühne des Lebens und begeben uns mit dem ersten Atemzug auf die individuelle Reise unserer Lebensautobahn. Wir schreiben eine Geschichte, kreieren den persönlichen Lebensweg. Mit jedem Jahr wird der Einfluss, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen, selbständig Entscheidungen zu treffen, zunehmen. Hierbei bietet die Autobahn uns diverse Möglichkeiten. Es sind Abfahrten zu Stationen, die wir ansteuern, ausprobieren und sie bereichern im gegebenen Moment das Leben. Eines Tages ist womöglich eine hiervon genau die Richtige und der Mensch ist an seinem Bestimmungsort angekommen. Manche Abfahrten sind zum Verweilen aber nicht so erfüllend, um es freundlich auszudrücken. Diese „Irrtümer“, so habe ich sie genannt, sind weniger bereichernd. Sie sind im besten Fall lehrreich, auf der Fortsetzung unserer Reise. Vorsorglich hat die Lebensautobahn hierfür Autobahnauffahrten geschaffen, die dazu dienen, den sogenannten Irrtum zu korrigieren und auf seiner Straße des Lebens wieder in neue und aufregende Richtungen weiterzufahren. Im Laufe dieser Reise trifft der Mensch individuell genau diese Entscheidungen. Für ein kleineres Kind übernehmen das die Eltern, die in puncto Kindergarten und Schule nur das Beste anvisieren. Ab dem Erwachsenenalter entscheidet Mann und Frau dann eigenständig. Kein anderer, weder Eltern oder der spätere Partner, nehmen einem die wichtigsten Wahlen ab. Abfahrten für das Studium oder die Ausbildung, die erste eigene Wohnung, die erste oder gar zweite Liebe. Und genau die Liebe ist die Autobahnausfahrt, die unsere rationale Ebene in die Emotionale hebt. Es gesellt sich ein uns bis zu dem Moment unbekannter Mensch hinzu. Das ist der Zeitpunkt, der die individuellen Entschlüsse in gemeinsame Entscheidungen wandelt, was den Idealfall darstellt. Und genau hier fängt es an, das Experiment Leben, das Abenteuer Liebe. Nicht immer ist die erste Liebe, sagen wir, die „Richtige“. Für manche Menschen, und hierzu zählen Caroline und Thomas, brauchte es eine Debütausfahrt, eine Debütliebe, eine erste Ehe, um die „wahre Liebe“, wenn sie später vor einem steht, schon eingangs am Blick zu erkennen, und sie dann für den Rest seines Lebens wert zu schätzen und festzuhalten.
1: „Millennium – Ein Sommer, den man nie mehr vergisst“
Es war Sommer im neuen Jahrtausend und es sollte ein unvergleichlicher Samstagmorgen im Juni werden. Die Vorfreude auf Thomas war riesengroß. Wir hatten uns verabredet, für ein Picknick im Grünen. Er entschloss sich, mir seinen Lieblingsplatz zu zeigen, an dem er immer wieder in Ruhe Kraft tankte. Ich war gespannt. Sonniger Samstagmorgen, ausgezeichnet geschlafen, Vorfreude auf Thomas, schon gut gelaunt im Bad, erst recht nach dem ersten Kaffee am Morgen. Meine Einkaufsliste für das Liebespicknick hatte ich schon im Kopf. Auf dem Weg zu Thomas nahm ich mir vor, im nahegelegenen Markt einzukaufen: Brot, Käse, Erdbeeren. Alle Leckereien, die wir so brauchten. Logischerweise durfte der vollmundige Wein nicht fehlen. Das Kribbeln im Bauch setzte ein, je näher die Abfahrt rückte. Meine beiden Kinder spielten vergnüglich, ausgelassen im Garten, hatten gute Laune und planten, ihr Frühstück bei Oma und Opa auf der Terrasse einzunehmen. Das Essen bei Oma und Opa am Wochenende war den beiden heilig. Bei allen im Hause herrschte Wochenendstimmung. Glücklich über das sonnige Wetter, meine Kinder und der langsam in mir aufsteigenden Sehnsucht, verabschiedete ich mich von allen mit dem Zauberwort: „Freundinnentreffen“ und schlenderte in die Garage zu meinen Traumwagen, das Cabrio. Eine geraume Zeit vor dem beruflichen Wiedereintritt im vergangenen Jahr, nach der berühmten Babypause, hatte ich vom eigenen Auto geträumt. In der Zwischenzeit stand er in der Garage: Mein langersehnter Traum. Mitternachtsblau, mit schwarzem Verdeck, ausgezeichneter Ausstattung, rundum perfekt. Nachdem ich den Einkaufskorb im Wagen verstaut hatte, stieg ich ein. Die Autotür zog ich leise zu. Den Zündschlüssel ins Schloss steckend, ließ ich den Motor an. Auf Knopfdruck öffnete sich das elektrische Verdeck und der Wagen fuhr mit mir rückwärts aus der Garage. Allen winkend, die lang gezogene Einfahrt hinunterrollend bis zum großen, zweiflügeligen Holztor, das unseren Garten vor Unbefugten schützte. Ich drehte das Radio an, lauschte der Musik und fuhr Richtung Einkaufsmarkt. Alle Sachen waren rasch besorgt und verstaut. Doch bis es zu meinem Liebespicknick mit Thomas an diesem sonnig warmen Junitag kam, war einiges im Rückblick in unseren beiden Leben passiert. Wir schauen zurück.
Bei mir entfachte die Liebe zum Cabrio zwei Sommer zuvor, bei einer Ausfahrt mit dem neuen Wagen meiner damaligen Freundin Claudia. Wir fuhren an einem sonnig warmen Sonntagmorgen los und hegten die Absicht, um die Mittagszeit herum zurück zu sein. Der gute Vorsatz der frühen Rückkehr am Mittag blieb aber ein gutgemeinter Vorsatz. Es kam völlig anders. Fasziniert von der Cabrio Fahrt war dieses Erlebnis so überwältigend, dass ich mir vorkam wie Grace Kelly bei einer Ausfahrt über die grünen Hügel von Monaco. Ich erinnere mich noch genau, was ich anhatte. Ein langes, dunkelgrünes, Figur betontes Kleid. Einen weinroten Seidenschal, der galant umschmeichelnd den Kopf vor Fahrtwind schützte. Hinzu gesellten sich die betörenden Gerüche, die von den frisch gemähten Weiden, gepaart mit den Blütendüften der Blumen, den Weg in meine Nase fanden. Das war der Tag, an dem ich beschloss: So einen Wagen werde ich kaufen! Für diesen Traumwagen aber war es erforderlich, zu allererst den Wiedereinstieg in den Beruf zu erlagen, da ich mir das Leben und den Luxus bis heute immer eigenständig finanziert hatte. Das hat für mich klar den Vorteil, nie in Abhängigkeit zu geraten, grundsätzlich selbst zu entscheiden und ein Stück Unabhängigkeit zu leben. Egal, wie einvernehmlich eine Partnerschaft, eine Ehe ist. Solange aber ein neuer Job und das nötige Kleingeld nicht in Sicht waren, blieb es bei einem Zukunftstraum. Ich stehe auf dem Standpunkt: „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum, weil Träume und Ziele sind da, um verfolgt und gelebt zu werden“. Dass mir das Hausfrauen- und Mutterdasein auf Dauer nicht genügte, war mir schon immer klar. Für mich, im Gegensatz zu meiner Mutter, kamen nur Familie, Kinder und Beruf in Frage. Der göttliche Zufall war es, dass unsere Cousine in genau diesem Sommer zur Stippvisite mit Kind und Kegel vorbeikam. Sie erzählte mir, dass sie einen Mitarbeiter in der Verwaltung für ihre Firma suchen. Sofort stand mein Entschluss fest, diesen Job hole ich mir. Die Bewerbung war erfolgreich und mir gelang der Wiedereinstieg. Zwar vorerst halbtags, aber mit eigenem Verdienst. Ziel 1 war erreicht und das zweite, mein Cabrio, glasklar anvisiert. Im Februar des laufenden Jahres, nach Karneval, trat ich den Dienst an, 11 Monate vor dem Millennium. Das erste Halbjahr verging, dank Einarbeitung und dem Erlernen der firmenspezifischen Software wie im Fluge. Die Zeit glitt förmlich durch meine Finger. Ich fühlte mich rundum glücklich und leistete wieder etwas für das frauliche Ego. Die Familie, sprich Großeltern und die Kinder, zogen ebenfalls problemlos mit. Beide Omas passten nach Schule und Kindergarten für die Zeit bis zum Nachmittag auf die Kleinen auf. Sie vermissten Ihre Mutter, so glaube ich, nicht existenziell oder wenn, dann nur äußerst selten. Mit ihren Spielkameraden aus dem benachbarten Umfeld hatten sie keine Zeit, mich zu vermissen, zu ausgefüllt war ihr Alltag. Bei jedem nach Hause kommen gab es für die arbeitende Mutter eine stürmische Begrüßung. Sie waren bester Laune und das stimmte mich glücklich. Bestätigte mir gleichzeitig, dass Muttis das Recht auf ihren eigenen beruflichen Lebensweg haben, trotz oder gerade wegen der Kinder. In sich ruhende Mütter haben ausgeglichene kleine Erdenbürgerin. Mein damaliger Mann Martin war ebenfalls mit seinem Job voll ausgelastet, so dass er morgens um 06.00 das Haus verließ, und nicht von 19:00 Uhr zurückkam, trotz Gleitzeit. Ergo genug Freiraum für den Job, den Rest der Familie und mich. Die neue Anstellung komplettierte mein Inneres ich und das Gefühl, nur ein Heimchen am Herd zu sein und gepflockt zu Hause auf jeden zu warten, kam nicht mehr auf, obwohl ich das Mutterdasein liebte und liebe. Jedwede Aktivitäten habe ich mit meinen Kindern erlebt: Schwimmkurse, Radfahren lernen, Fußball, Laternenbasteln, St. Martinszüge und vieles mehr. Habe für die wichtigste Zeit der Erziehung, bis zum Kindergarteneintritt und der Einschulung, gerne auf meinen Beruf verzichtet. Es heißt nicht umsonst: „Wer liebende Erwachsene mit Rückgrat, Selbstvertrauen, Respekt, Liebe und Menschlichkeit gegenüber anderen aus dem Elternhaus entlässt, der verzichtet für sie und bringt ihnen in den ersten, wichtigen Jahren alles das bei, was einen liebenswerten Menschen ausmacht.“ Erziehung heißt Vorbild leben. Die Regeln kommen da ganz von alleine. Genauso habe ich es in der eigenen Kindheit erfahren. Dafür bin ich meinen Eltern äußerst dankbar und habe es, so hoffe ich, beiden Kindern vermittelt. Im April des darauffolgenden Jahres, im Millennium, war es dann endlich so weit. Die Kasse stimmte, das Autohaus war gefunden, in dem mein Traumwagen stand. Mitternachtsblau mit allem, was das Frauenherz begehrte. Voller Stolz saß ich dann, zwei Monate später, in diesem meinem Cabrio und rollte nach dem Einkauf der Leckereien zum verabredeten Liebespicknick mit Thomas. Zur Autobahnauffahrt war es nicht allzu weit und ab dann hatte ich eine knappe Stunde Autofahrt vor mir, um ihn endlich sehnsüchtig in die Arme zu schließen. Genug Zeit, um auf der Anfahrt situationserklärend in die Vergangenheit zurückzublicken.
Thomas kam im Herbst des zurückliegenden Jahres zu uns in die Firma mit dem Prädikat: der „NEUE“. Wir schreiben das Kalenderjahr vor dem Millennium. Alles fing damit an, dass der Chef Entlastung brauchte. Die Umstrukturierungen innerhalb der Firma liefen auf Hochtouren. Die Stellenanzeige wurde geschaltet. Wir suchten einen dynamischen Mitarbeiter mit Führungsqualitäten und einer Menge technischem Verstand. Eine Vielzahl von Anwärtern bewarb sich, kamen zu Vorstellungsterminen und verließen das Haus wieder. Der „NEUE“, wie ihn alle nannten, sollte im selben Jahr, im November, die Stelle antreten und den Mitarbeiterstamm vergrößern. Gewiss hatten einige andere Bewerber einen bleibenden Eindruck hinterlassen, aber Thomas erhielt den Zuschlag. Es trug sich wie folgt zu. Es war ein diesiger Dienstagmorgen Anfang Oktober. Das Telefon schellte und ich hob ab. „Kramer. Guten Morgen Frau Sehberger. Ihr Chef wünscht, mich ein weiteres Mal zu sprechen, und ich würde mit Ihnen gerne einen Termin in Ihrem Hause festlegen. Sind Sie in der Lage, mir schon einen Möglichen zu nennen?“ Fragte er. „Guten Morgen Herr Kramer. Das freut mich zu hören. Gerne. Ich öffne nur rasch den Kalender und lege Sie mitsamt dem Telefonhörer kurzzeitig zur Seite“, antwortete ich und legte den ihn auf den Schreibtisch. Öffnete den Terminkalender auf dem Bildschirm und nahm den Hörer wieder in die Hand. „So, Herr Kramer. Kalender geöffnet. Mein erster Vorschlag für sie wäre der morgige Mittwoch, um 14.00 Uhr. Passt das?“ Fragte ich. „Gerne, das ist perfekt. Richten Sie Ihrem Chef bitte freundliche Grüße aus und wir sehen uns demnach am morgigen Tag um 14.00 Uhr. Bis dahin frohes Schaffen“, so seine Zusage. „Ja, dann bis morgen. Richte Ihre Grüße gerne aus. Auf Wiederhören.“ Nach Beendung des Telefonats stieg ich die Treppe hinauf, betrat das Büro des Chefs, um ihm von seinem morgigen Bewerbungstermin mit Herrn Kramer zu berichten. Alles passte perfekt. Seine Bewerbung lag schon auf seinem Schreibtisch, dem Termin stand nichts mehr im Wege. Am nächsten Tag, so gegen Mittag, kündigte Herr Kramer mit einem weiteren Anruf seine pünktliche Ankunft an. Wie immer war ich die Erste am Telefon. „Guten Tag Frau Sehberger. Kramer hier. Ich avisiere Ihnen kurz die Ankunftszeit in Ihrem Hause, die ich auf meinem Navi ablese. Wenn nichts dazwischenkommt, bin ich um 13:50 Uhr bei Ihnen, demnach in 20 Minuten,“ kam aus dem Hörer. „Vielen Dank für Ihre Info, Herr Kramer. Der Chef wird da sein. Wir freuen uns,“ erwiderte ich. „Auf Wiederhören.“ Er kam pünktlich, so wie sich das gehört. Genau 20 Minuten später bog sein Wagen auf unseren Firmenparkplatz. Punktlandung. Er stieg aus, zog am Auto sein Sakko an, holte seine Aktentasche aus dem Kofferraum, schloss die Pkw-Türe hinter sich und trat ein. „Hallo Herr Kramer. Ich hoffe, die Anreise war stressfrei. Bitte folgen Sie mir. Der Chef wartet im Konferenzraum“. „Gerne. Vielen Dank junge Frau“. Beide schritten wir aus meinem Büro die Treppe hinauf. Das Gespräch dauerte geschlagene eineinhalb Stunden, bis endlich die Türe aufging und sich beide mit einem Lächeln und per Handschlag verabschiedeten. Schnellen Schrittes kam er die Treppe hinunter und lächelte mir beim Vorübergehen zu. Dann fuhr er los und alle waren gespannt, was das Resultat des ausgiebigen Gesprächs war. Zum Leidwesen der Kollegen vergingen zwei lange Tage voller Ungewissheit und Anspannung, auf wen die Wahl des Chefs wohl gefallen war. Am dritten Morgen präsentierte man mir das Ergebnis. Ich genoss das Vertrauen der Chefetage, war die Erste, die eingeweiht wurde. Das stärkte. Ich brütete wieder über eine größere Submission, bevor die Bürotür aufging, die Frau des Firmeninhabers, hereinschneite und mir einen kleinen Klebezettel auf den Tisch legte. Mit der eindeutigen Geste – „Zeigefinger auf den Mund“ – teilte sie mir freudig mit, dass ich die Erste bin, die es erfahren wird. Möge aber bitte hierüber Stillschweigen bewahren. Mit einem riesigen Fragezeichen auf dem Kopf las ich, was auf dem Zettel stand. In großen Lettern las ich: „Kramer kommt!“ Im November war sein Amtsantritt. Dieser nette, attraktive Herr wird demnach der „NEUE“. Ich für meinen Teil fand ihn reizend. Freute mich auf eine fruchtbare Zusammenarbeit. Der Rest des Tags verlief nach der positiven Nachricht wie alle anderen. Arbeitsreich, kollegial und ausgefüllt.
Bevor der „NEUE“ seinen Job aber antrat, den Mitarbeiterstamm der Firma vergrößerte und uns kennenlernte, stand das alljährliche Firmenfest an. In regelmäßigen Abständen wurde ausgiebig gefeiert. In diesem Jahr würde es zünftig zugehen. Mitte Oktober, in einem alteingesessenen Lokal in unserer Stadt unter dem Motto „O zopft is!“ Eine Art Oktoberfest, mit Trachten, Brezeln, Weißbier, Weißwurst und zuzeln, bayrisch eben. Der „NEUE“, Herr Kramer, war schon eingeladen. Er kam mit Anhang. Ein erstes unbeschwertes Kennenlernen der zukünftigen Mitarbeiter gelingt in einer lockeren Atmosphäre wesentlich besser, so die Meinung der Chefetage. Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren. Das Herrichten des Festsaals übernahm der Gastwirt. Wir waren gespannt. Am Festtag erwarteten wir unsere Gäste ab 19:00 Uhr. Die Aufregung war groß. Ein jeder war bemüht, dass das fest gelingt. Der Wirt hatte die Räumlichkeiten des Lokals in Blauweiß geschmückt. Auf den Tischen positionierte er Brezeln, Senf und zünftige, bayrische Dekorationen. Die Saaltische waren zum Mittelgang schräg angeordnet, damit alle Gäste den einmarschierenden Bühnenstars schon beim Einzug ihre Aufmerksamkeit schenkten. Der Chef hatte drei Unterhaltungskünstler engagiert, die hinter der Bühne auf Ihren Auftritt in den Startlöchern standen. Die Uhr schlug 19.00 und die ersten Gäste trudelten ein. Eine Stunde später waren alle vollzählig erschienen und waren entsprechend dem Motto bayrisch gekleidet. Die Mitarbeiter hatten ebenfalls im Vorfeld beschlossen, sich passend zum „Oktoberfest“ zu kleiden. Wir waren vollzählig in Trachten erschienen. Die Damen trugen teilweise Dirndl, zumindest aber eine edelweißbestickte Trachtenbluse. Die Herren hatten hirschbedruckte Trachtenhemden an. Auf Lederhosen aber verzichteten die männlichen Exemplare, Gott sei Dank. Es war eine ausgezeichnete Bühnenshow mit bemerkenswerten Gästen. Unser Boss hatte einen edlen Geschmack bei der Wahl der Bühnen Interpreten bewiesen. Der Erste war ein altbekannter Bauchredner, der die Gäste permanent zum Lachen brachte. Es folgte ein bekanntes Gesangstrio aus dem Kölner Karneval, dass die Menge rockte und zum Schunkeln einlud, bis hin zu einem Sänger, der mir zwar gänzlich unbekannt war, aber mit seinen stimmungsvollen Schlagern zum Tanzen aufforderte. Nacheinander traten die Stars bis weit nach Mitternacht auf. Das Fest endete erst am kommenden Morgen. Es wurde ausgiebig gefeiert, getanzt und gelacht. Ein rundum gelungenes und geschmackvolles Oktoberfest. Der harte Kern, zu dem ich gehörte, stand lange zusammen an der Theke der Gaststätte und feierte. Wir hatten zu vorgerückter Morgenstunde im kleinen Kreis jede Menge Spaß. In der Zeit, in der ein Kollege einen Witz nach dem anderen zum Besten gab, schweifte mein Blick durch den Raum, um festzustellen, wer zu so später Stunde unter uns weilte. Er blieb an einer „älteren“ Dame hängen, die mit einem Weltuntergangsgesichtsausdruck auf einer Eckbank an einem Tisch saß. Das Kinn hing bildlich gesprochen bis zum Boden, ihr starrer Blick schaute ins Leere. Die personifizierte Langeweile diagnostizierte ich, auf irgendeine Weise unheimlich. Sie saß dort Mutterseelen allein. So eine Mimik hatte ich bis dato bei keinem anderen Menschen je gesehen. In Ihrem Gesicht spiegelte sich eine irre Traurigkeit wider, fast schon die Stimmung einer tiefen Depression, so empfand ich es. Langeweile war hier das Harmloseste, was ich hineininterpretieren vermochte. Ein wenig leidgetan hat sie mir schon, war es doch so ein lustiges Event und trotz der späten Stunde eine heitere und humorvolle Stimmung. Aber Spaßbremsen gibt es eben auf jedem Fest. Nur nicht weiter vertiefen, schoss es mir durch den Kopf. Trotzdem ließ mich die Dame gedanklich nicht los. Ich stellte mir die Aufgabe, zu ergründen, zu wem dieser Trauerkloß denn gehören würde. Und schon hörte ich eine mir bekannte Stimme genau diese Frage stellen. Es war mein Tonfall und ich hatte laut den Gedanken geäußert. Der Kollege, der mit seinem Bierglas in der Hand neben mir stand, antwortete prompt: Das ist die Frau von unserem „NEUEN“, dem Kramer. „Oh mein Gott“, sagte ich, „der Arme“. Manche Menschen sind eben vom Leben gestraft und sehen es nicht, formulierte ich in Gedanken. Im Gegensatz zu seiner Gattin war der „NEUE“ die komplette Feier über äußerst gesellig, lebensfroh, lustig und begeistert vom stimmungsvollen Bühnenprogramm. Er scherzte den ganzen Abend mit den neuen Kollegen. Ich betrachtete ihn immer wieder, sah ihn oft herzhaft lachen. Ich beobachtete auf dem Fest einen Mann, so schien es mir, der das Leben mit allem, was es zu bieten hatte, zu leben verstand. Und wieder schwirrte die Frage in meinem Kopf herum: „Wie kommt ein solch lebensbejahender Mensch an so eine Frau?“ Wie man eine Vorliebe für Spaßbremsen entwickelt, entzog sich mir vollends. Na ja, er hatte sich die Dame ja in früher Jugend selbst ausgesucht und über Geschmack lässt sich bekannterweise nicht streiten. Wo die Liebe hinfällt. Außerdem stand es mir nicht zu, einen Menschen nur nach einer Momentsituation zu beurteilen, gar zu verurteilen. Das war nie mein Stil. Ich lernte die Erdenbürger immer erst gerne kennen, um mir ein Urteil zu bilden. Denkbar, dass sie ja nur einen deprimierenden Tag hatte, was durchaus vorkommet. Angesichts der glücklichen Stimmung im Lokal, hing ich nicht länger der Dame nach, ließ Kopfkino, Kopfkino sein und wandte mich wieder den Kollegen zu. Im Trubel war die komische Vertreterin des schönen Geschlechts schnell vergessen und draußen wurde es längst hell. Eine letzte Brezel und das letzte Glas Wein, dann aber ab nach Hause. Das Bett ruft.
Der Sonntagmorgen war längst angebrochen. Die Wochenenden sind nach einer ausgiebigen Feier immer äußerst kurz. Geschlafen wurde bis zum Nachmittag. Wir krabbelten aus dem Bett. Die Kinder waren bei den Großeltern bestens versorgt, so dass wir den restlichen Sonntag in Ruhe haben ausklingen lassen. Am frühen Abend trotteten wir mit den Kindern zeitig zu Bett. Schlafdefizit nachholen. Kaum wieder Montag rasten die letzten Tage des Oktobers nur so dahin. Aufträge satt, Schreibtisch voll. Alle waren gespannt auf unseren „NEUEN“. Getuschel an jeder Ecke und einzelne Kollegen versuchten, in ihrer Neugierde irgendetwas über ihn heraus zu bekommen. Beim Oktoberfest haben wir ihn äußerst gesellig kennengelernt. Er knüpfte schnell Kontakt und schien ein echter Sonnenschein mit Humor zu sein. Aber das war der inoffizielle neue Kollege. Meistens sind die private und die berufliche Seite eines Menschen belegt von zwei unterschiedlichen Personen. Wie wird er so sein, fragten sich die Kollegen, die ihm ab November unterstellt waren, denn sie waren angehalten, mit ihm in Zukunft zu arbeiten. Gott sei Dank, zerbrach ich mir hierüber den Kopf nicht. Mein Chef war und blieb der Eigentümer. Den Kollegen wünschte ich nur ein sozialverträgliches Kerlchen. Ein Bär von Mann war er ja schon, und Bären sind ja die friedlichen und kuscheligen Vertreter in der Tierwelt. Nur bitte nicht reizen, es heißt, das sei ungesund. Alle waren wir gespannt. Der November, einer der nicht so angenehmen Monate, brach an. Niesel, Nebel, Niesen – eben ein Monat mit vielen N-Wörtern. Und was passt da perfekt hinein: Der NEUE! Es war Montag, die erste volle Arbeitswoche im November. Nicht nur ein diesiger Tag, nein, sondern einer, wo jeder es liebt, eher im Bett zu bleiben. Stattdessen setzen sich alle in irgendein Auto und fahren ins Büro. Aber wer lässt sich schon den „NEUEN“ entgehen. Pünktlich, 10 Minuten vor Arbeitsbeginn, traf er ein und der Chef stellte ihn jedem einzelnen Mitarbeiter mit Handschlag vor. Meine Bürotür öffnete sich und beide traten an den Schreibtisch. Jetzt war ich an der Reihe. „Caroline, ich darf dir Herrn Kramer vorstellen. Er wird der Manager der technischen Abteilung.“ Der Chef drehte sich zu ihm und sprach weiter: „Und für Sie, Herr Kramer. Das ist Frau Sehberger. Meine rechte Hand.“ Wir reichten die Hände zur Begrüßung und schauten uns dabei tief in die Augen. Es war kein Gefühl, sondern ein Gefühlschaos, das der Blick in der Sekunde in mir auslöste. Herzrasen, Pulschlagerhöhung und eine wärmende, aufsteigende Hitze durchströmten den gesamten Körper. Auf mystische Art sank mein Blick tief hinab in seine Männerseele. Alles war so vertraut, fast geheimnisvoll. Es war ein Wechselbad der Gefühle. „Guten Morgen, Frau Sehberger. Freue mich außerordentlich auf unsere Zusammenarbeit“, sagte er mit weicher, sanft klingender Stimme. „Guten Morgen Herr Kramer. Herzlich willkommen und ich freue mich ebenfalls auf eine angenehme Teamarbeit“, sagte ich leise, völlig irritiert und hypnotisiert. Der Klang seiner Stimmbänder war erotisierend. Ja, eine erotische Stimme hatte er. Sie zog mich auf irgendeine Art und Weise unerklärlich in ihren Bann. Chef und Kramer waren fast wieder auf dem Weg zur Türe hinaus, da holte ein Telefonklingeln mich aus meinen verwogenen Gedanken. Kunden haben eben Vorrang. Ab heute gehörte also Herr Kramer zum Mitarbeiterstamm und leider hatte der reizende Arbeitsbeginn des „NEUEN“ für mich einen unschönen Beigeschmack. Ich wurde vorab höflich aufgefordert, mein heißgeliebtes Büro auf der ersten Etage zu räumen. Alleinlage/Ruhe/Küche direkt gegenüber/Kaffee so oft mir nach dem Heißgetränk war und das auf dem kürzesten Weg. Das Büro war Luxus pur. Jetzt zog Kramer dort ein und mich platzierte man ins Erdgeschoß. Seine Augen und seine erotische Stimme trösteten über den „kleinen Verlust“ hinweg. Sie stimmten versöhnlich mit dem Umzug in die neuen Räumlichkeiten. Na ja, man kann eben nicht alles haben. Bis heute ist es nicht erklärbar, was mich bei ihm so in den Bann gezogen hatte. Es wurde nicht nur der berufliche Start eines neuen Kollegen! Es wurde der Beginn meines neuen Lebens. Etwas, dass sich lange Zeit nicht in Worte kleiden ließ. Rückblickend, heute, nach all den Jahren der gemeinsam gelebten Zeitreise, beschreibe ich es treffend mit einem Wort: Liebe. Aber dazu später. Die Zeit verging an Kramers Premierentag wie im Flug. Ebenso der Monat November. Die Auftragsbücher waren voll, der Büroalltag ausgefüllt. Schon stand der Dezember und der 1. Advent vor der Tür. Das ist immer meine Lieblingszeit, erst recht in der Firma. Die Adventszeit. Das Ende eines stressigen Jahres rückt mit der Vorweihnachtszeit in greifbare Nähe. Herr Kramer hatte in der kurzen Phase seiner Zugehörigkeit eine Neuerung eingeführt. Jeden Montagmorgen um 09.00 Uhr fand eine Besprechung, ein Jour Fix statt, bei dem alle Mitarbeiter anwesend waren und Bericht erstatteten. Firmentransparenz nannte er das. Ich kannte solche wöchentlichen Auftaktbesprechungen aus meiner beruflichen Vergangenheit. Eine sinnvolle Einführung zum Wochenauftakt, aber ich glaube, dieser Meinung waren nicht alle. Ebenso an diesem Montag nach dem 1. Advent. Die Büros waren geschmackvoll weihnachtlich geschmückt. Die Chefin hatte ein Händchen für das Dekorative und holte zu den alljährlichen Festzeiten ihre phantasievollen Dekorationen heraus und schmückte die gesamten Räumlichkeiten der Firma. Im aktuellen Jahr hatte ich den Eindruck, dass die Büros festlicher und erleuchteter schienen. Woran das lag? Ich war in Hochstimmung. Alle Räume waren mit hellen Lichterketten und dunklem Tannengrün dekoriert. Sogar ein Tannenbaum stand in der Eingangshalle. Atmosphäre schaffen nannte sie das. Für die Mitarbeiter war es das Einstimmen auf das private Weihnachtsfest. Mein Handy summte und erinnerte mich an den neu eingeführten Fixtermin. 08.45 Uhr Montagsbesprechung. Es wurde Zeit, die nötigen Unterlagen zusammenzupacken und sich im Besprechungsraum zum Jour Fix zu versammeln. Ich schaltete die Rufumleitung ein und sprintete die Treppe hinauf. Auf dem Weg zum Konferenzraum schritt ich an einer Anzahl von Büros vorbei, in denen meine Kollegen so gar keine Anstalten unternahmen, aufzubrechen. Am Sitzungszimmer angekommen war ich wie immer die Erste, die das Wort Pünktlichkeit mit der Muttermilch aufgesogen hatte und den Besprechungsraum 10 Minuten vor der Zeit betrat. Mein Blick fiel auf Herrn Kramer, der schon am oberen Kopfende des langen Konferenztisches seinen Platz eingenommen hatte. Entsetzt starrte ich hinterher auf den in der Mitte des Tisches stehenden Holzkranz, der den Adventskranz symbolisierte. Es war nicht irgendeiner, mitnichten. Eine Kollegin hatte den hölzernen Geburtstagskranz ihrer Kinder mit 4 dünnen Kerzen mitgebracht und diesen zum weihnachtlichen Dekoschmuck erklärt. Der stand in mickriger Pracht auf dem Besprechungstisch. Na ja, über Geschmack lässt sich ja nicht streiten. Hierüber aber schon. Ich verfiel beim Anblick des Kranzes sofort in lautes Gelächter. „Was ist das denn?“, sagte ich. „Wir haben Advent, nicht Kindergeburtstag. Dicke rote Kerzen, Tannengrün und Schleifen. Das ist Advent. Oder Herr Kramer?“ Kaum hatte ich meinen Unmut darüber rausgelassen, schauten wir beide uns kurz, aber intensiv an und schenkten uns dazu ein einvernehmliches Lächeln. Es durchströmte wieder der gleiche Schauer meinen Körper. Welch ein verführerisches Lachen dieser Bär von Mann hatte. Und ich ertappte mich dabei, wie meine Inspirationen versuchten, von mir Besitz zu ergreifen. Stopp, es ist Wochenbesprechung, ein kollegiales Lächeln, sagte ich gedanklich. Etwas verlegen wendete ich den Blick ab und setzte mich zur Besprechung ihm gegenüber am zweiten Kopfende des Tisches. Ein Zweiergespräch kam zwischen uns nicht so recht in Gang. Dafür tauschten wir weitere, intensive Blicke aus. Wir warteten auf die Kollegen, die langsam aus ihren Büros im Konferenzraum eintrudelten. Pünktlichkeit ist nicht jedermanns Sache. Die Besprechung dauerte eine knappe Stunde. Alle brachten ihre Anliegen vor. Das letzte Wort hatte Herr Kramer. Zum guten Schluss verteilte er seine Arbeitsanweisungen und entließ uns in den Arbeitsalltag. Wir beide liefen uns an diesem Montag noch mehrmals über den Weg und hatten kleine, zaghafte, unverfängliche Gespräche. Mit Kaffee, Keksen und ein letztes Telefonat am späten Nachmittag, läutete ich für mich den Feierabend ein. Wünschte dem Restkollegium einen stressfreien Abend und fuhr zu Mann und Kindern. Am nächsten Morgen stand zu meiner Verwunderung der Wagen von Herrn Kramer schon auf dem Parkplatz. Ich parkte direkt daneben. Eifriges Kerlchen, beurteilte ich die Lage und erzeugte in meinem Büro erst einmal eine produktive, gemütliche Atmosphäre. Ich zündete eine Kerze an und nahm mir einen Kaffee. Nach der zweiten Tasse mit Weihnachtskeks brauchte ich für einen Vorgang ältere Akten und Unterlagen aus dem Besprechungszimmer. Halbwegs wach trabte ich die Treppe hinauf, bog links um die Ecke, marschierte den Gang hinunter und betrat den Konferenzraum. Wie angewurzelt blieb ich stehen und traute meinen Augen nicht. Auf dem Tisch stand ein richtiger Adventskranz mit dicken roten Kerzen, großen Schleifen und echtem Tannengrün. Der ganze Raum duftete nach Tanne und Weihnacht. „Lieber Gott“, sagte ich laut, „wer war das denn?“ Und, während meine Wenigkeit so vor sich hindachte, stand urplötzlich und überraschend Herr Kramer neben mir. Schweigend und lächelnd. Unsere Blicke trafen sich. Da war er wieder, der Schauer. In seinen Augen, an seinem bärigen Lächeln las ich die Antwort auf meine Frage: ER hatte den Kranz am gestrigen Tag nach Feierabend gekauft und in aller Frühe heute Morgen hierhergestellt. Dann sagte er mit stolz geschwellter Brust, äußerst selbstbewusst: „ICH“. Knisternde Stille. Wir schauten uns an. Lange an. Ich kombinierte. Am gestrigen Morgen hat Herr Kramer mein Selbstgespräch mitbekommen und ist dem aufmerksam gefolgt. Aber warum besorgte er den Kranz? Nur weil Frau Sehberger das sagt? Ich löste mich von seinem Blick und gab behutsam, zögerlich lobend, etwas verlegen, zur Antwort: „Vielen Dank. Das war doch nicht nötig.“ „Es überkam mich aber eine große Lust, Ihnen diese Freude zu bereiten. Das habe furchtbar gerne für Sie gekauft“, antwortete er. Verlegenheit stieg auf. Mir wurde warm. Leicht verwirrt, aber mit unheimlicher Freude über seine geglückte Überraschung, seiner Geste, nahm ich die gesuchten Akten und sprang förmlich die Treppe hinunter, zurück ins Büro. Apropos mein Büro! Wie vorhin erwähnt, räumte ich genau wegen dieses Mannes die erstklassigen Räumlichkeiten auf der ersten Etage, um mich ab dem Tag an mit meinem „Lieblingskollegen“ in einem im Erdgeschoß liegenden Zimmer wiederzufinden und einzurichten. Die Hauptaufgabe des Kollegen war die Auftragsakquise und so war er, zu meiner großen Freude, das gebe ich gerne zu, mehr draußen unterwegs. Er rückte mir daher nicht permanent auf die Pelle und beglückte mich nur selten mit seiner körperlichen Anwesenheit. Bei dem Amtsantritt im vergangenen November unterstützte Herr Kramer an seinem ersten Tag den Umzug. Dem „Lieblingskollegen“ half er beim Schreibtische schleppen. Der Kollege setzte bei der Aktion kein allzu erfreutes Gesicht auf. Das fiel Herrn Kramer auf. Unsere Sympathie füreinander hielt sich in Grenzen. „Was schauen Sie denn so, Herr Müller. Schätzen Sie sich doch glücklich, ab heute mit einer so schönen Frau zusammen ein Büro zu teilen. Ich würde sofort mit Ihnen tauschen!“ Hörte ich Herrn Kramer reden. Indem er die Sätze sagte, schaute er mich – wie beschreibe ich es – mit dem für ihn typischen, erotisch, bärigen Lächeln und einem Blick an, der mir tief in die Seele drang. Kalt und heiß lief es mir erneut den Rücken hinunter und das im November. Dabei waren nicht einmal mal 4 Stunden nach seinem Amtsantritt vergangen. „Nein“, sagte ich in Gedanken, „das bildest du dir ein. Verbanne die Worte! Bleibe auf dem Teppich, junge Frau. Nicht alle Männerherzen liegen dir zu Füßen“. Nicht alle, aber seins? Er verwirrte mich immerzu. Solche seltsamen Augenblicke gab es ab seinem Amtsantritt viele mit uns. Die Situationen schlüssig einzuordnen gelang mir nicht. Es war mehr eine fast wortlose Kommunikation, so eine Art unsichtbares Band, eine stille Post. Wenn wir in einem Raum zusammen waren, hatte er Gedanken im Kopf, die ich dann laut aussprach oder umgekehrt. In den Jour Fixen der nächsten Wochen verstanden wir uns immer mehr, und wie gesagt, fast wortlos. Ungewöhnlich oft zog es mich, zum Kaffee holen, in die 1. Etage. Hierbei ist anzumerken, dass die kleine Küchenzeile der oberen Büroetage direkt gegenüber von seinem, sorry, meinem alten Büro, lag. Die meiste Zeit über arbeitete er mit offener Türe, so dass mir jedes Mal ein kleiner Blick auf ihn gegönnt war. „Männer sind etwas Wunderbares“, signalisierte mein Bauch-Engelchen! „Nicht doch, nein“, sagte der Kopf-Teufelchen. „Das bildest du dir ein!“ Indes der Kaffee so vor sich hin kochte, entlockte ich ihm immer, zwar nur ein kurzes, aber intensives Gespräch, den liebevollen Blick inklusive. Ich bin eine treue Seele, trotzdem zog er mich unerklärlich an. Gute Chemie unter Kollegen, diagnostizierte ich. Beste Voraussetzungen für eine effiziente Zusammenarbeit bei den gemeinsamen Projekten. Man versteht sich ausgezeichnet, mehr nicht. Wir haben dieselben Gedanken, teilen die gleichen Ideen und er sorgte endlich für den ach so berühmten „ROTEN FADEN“ in dem, was man Firmentransparenz nennt. Der Leitfaden war hier aus meiner Sicht, bis zu seinem Eintritt und der neu eingeführten Organisation, nicht vorhanden, nicht zu erkennen, geschweige denn, dass die Gesamtstruktur und deren Abläufe transparent für jeden klar nachzuvollziehen waren. Nur, dass eine solche Transparenz unbedingt erforderlich ist, um effizient und effektiv zu arbeiten, das hatte hier bis heute keinen gestört. Darüber hinaus ebenso wenig begriffen. Sein neu eingeführtes System wird von einem, meinem damaligen Lieblingskollegen, bis heute zu weitergeführt. Tja, erfolgreiche Strukturen werden eben beibehalten und übernommen, so ist das manches Mal. Die letzten Adventstage vergingen schnell und schon stand das Weihnachtsfest vor der Tür. Der verdiente Weihnachtsurlaub setzte ein. Das Fest der Liebe verlief bei uns durch meine Kindheit geprägt, traditionell. Am Heiligen Abend war unsere Mutter Gast im Hause ihres ältesten Kindes, weil unser Vater leider zu früh, am Anfang er 90-iger Jahre, verstarb. Mama blieb an Weihnachtsabenden nie alleine. Mein Geschwister ist verheiratet, hat aber keine Kinder und lebt mit Mann und Hund in einem großen Haus. Und weil der Schwiegermutter das gleiche Schicksal ereilte, waren beide Mütter grundsätzlich am Heiligen Abend dort. Bei uns war es lebhafter, weil sich zu unseren Kindern meine Schwiegereltern gesellten. Seit dem Hauskauf Mitte in den 90er Jahre, wohnten wir zusammen, aber in getrennten Wohnungen. In einem von uns umgebauten großen Zweifamilienhaus mit riesigem Garten und jeder Menge Platz für tobende Kinder. Zuhause war ich nach Feierabend in der Vorweihnachtszeit mit Dekorieren, Geschenke verpacken, Essen vorbereiten und vielem mehr beschäftigt. An Heilig Abend war es für unsere Kleinen wieder einmal ein gelungenes Fest. Christmesse besuchen, Präsente auspacken und das weihnachtliche Essen genießen. Unbeschwert ausgelassen unter dem Tannenbaum. Kinder Heilig Abend eben! Was ich von meinem Mann geschenkt bekommen habe, ist mir entfallen. An den Weihnachtsfeiertagen waren wir stets mit einer Art Rundreise beschäftigt. Am 1. Weihnachtstag zur ersten Oma zum Mittagessen bis in den Abend hinein. Der 2. Feiertag gehörte meiner Schwester mit Frühstücksbuffet am Morgen und zu guter Letzt reservierten wir den Nachmittag des 2. Tages endlich für unsere kleine Familie. Entspannung pur und jeder hatte Zeit für sich. Der weihnachtliche Feiertagsstress war geschafft. Die Woche zwischen den Tagen verging mit dem Treffen der Vorbereitungen auf das Millennium Silvester. Alles lief auf Hochtouren. Ein einmaliges Jahrtausendereignis, und wir waren dabei! Das Glück der passenden Geburtsstunde! Lange beschäftigte ich mich mit dem Gedanken, mit wem wir denn das bedeutende Ereignis feiern werden. Es bereitete Kopfzerbrechen. Mit den Omas und Opas, oder lieber mit Freunden? Die ältere Generation, die Großeltern, waren eingeladen und somit versorgt. Es fehlte eine Person für mich, die zu feiern verstand, was der Mann an meiner Seite nicht begriff. Ausgelassen die Nacht zum Tagemachen, tanzen und die Alltagssorgen für eine Weile vergessen. Folglich wurde eine meiner Freundinnen mit ihren Töchtern eingeladen, um das einmalige Silvester überschäumend feiernd zu erleben. Die Welt verabschiedet ein Jahrhundert und begrüßt zeitgleich gar ein neues Jahrtausend. Ohne zu erahnen, welch eine Wende das Leben nach diesem Fest für mich nehmen wird, plante ich ein großes Millennium Silvester. Die Planung bereitete mir Freude und was das neue Jahr alles bereithielt, war mir bis dato einerlei. Eine Jahrhundert-, gar eine Jahrtausendwende mitzuerleben war emotional gigantisch und aufregend. Vorab verrate ich eines: Das neue Jahr wird für mich das Ereignisreichste werden, das ich in den Letzten zehn erlebt habe. Zukunftsweisend in jeder Hinsicht. Eine Kommunion stand ins Haus und ich war glücklich. Der Job bereitete Freude, die Kinder entwickelten sich prächtig, gegenseitig befruchtende Freundschaften, die Mädels, die netten Kollegen und der „NEUE“, Herr Kramer, inspirierten mein Leben. Aber woran lag das eigentliche, unerklärliche Hochgefühl, das ich seit dem Herbst in mir empfand? Nur nicht zu oft darüber nachdenken. Lieber unbeschwert diese Euphorie genießen. Einige meiner Wünsche und Ziele hatte ich bis dato erreicht. Tiefe Dankbarkeit war zu spühren und ich ruhte in mir. Mitte dreißig - absolut ich und das war mehr, als ich mir erträumt hatte.