Perfect Imperfections

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Perfect Imperfections
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Perfect Imperfections



von Cardeno C.





Aus dem Englischen von Erin Sommer




Impressum



© dead soft verlag, Mettingen 2021





http://www.deadsoft.de







© the author



Titel der Originalausgabe: Perfect Imperfections





Übersetzung: Erin Sommer





Cover: Irene Repp





http://www.daylinart.webnode.com





Bildrechte:



© Darssaievisk – stock.adobe.com





1. Auflage



ISBN 978-3-96089-476-6



ISBN 978-3-96089-477-3 (epub)




Inhalt:



Die Hollywoodgröße Jeremy Jameson lebt ein geschütztes Leben, die Musik ist Jeremys einziger Sinn und Freund. Vor der nächsten internationalen Tour geht er in eine Bar, von der er glaubt, dass ihn dort niemand kennt, und lernt dort den Barkeeper Reg kennen. Reg ist eine Frohnatur und er hat Spaß daran, sich mit „dem“ Jeremy Jameson zu unterhalten und mit ihm zu trinken.



Am Ende kann er einfach nicht Nein sagen, als der vermeintlich heterosexuelle Rockstar ihm das Angebot seines Lebens macht: ihn auf seiner Tour zu begleiten und den Part des schwulen Lovers zu spielen.



Musik zu hören und um die Welt zu touren ist ein Abenteuer. Sich zu verlieben sogar noch besser. Aber um mit Jeremy zusammen zu bleiben, auch wenn die Bühnenlichter aus sind, dazu braucht Reg einiges an Überzeugungskraft.




Widmung



Für J. Moore: Danke, dass du dieses Buch aufgespürt hast. Nichts ehrt mich mehr als dein Vertrauen.





Für Reggie T-S: Liest du das in einem Flugzeug auf dem Weg zu irgendeinem aufregenden Ort?




Kapitel 1



Mit einer abgewetzten Baseballkappe tief im Gesicht, betrat Jeremy Jameson die Bar. Zumindest nahm er an, dass es eine Bar war angesichts des schiefen Schilds, auf dem schlicht Bar in abblätternder, roter Farbe gestanden hatte, und angesichts des Gestanks nach Bier und Zigarettenrauch. Der Innenraum war kein Stück sauberer oder moderner als der Parkplatz. Jeremy versuchte, sich daran zu erinnern, wann er zum letzten Mal in einem Club, einer Bar oder einem Restaurant gewesen war, das sich nicht mit sorgsam angebrachter Beleuchtung oder einem gepflegten Außenbereich gezeigt hatte. Nie. Die Antwort auf diese Frage lautete: nie. Selbst Musiker, die sich von ganz unten hocharbeiteten, wären wahrscheinlich nicht in eine solche Absteige gegangen. Sie war zu klein, zu abgelegen und verfügte über keine Bühne oder einen Raum, um Equipment aufzubauen.



Während er sich innerlich Vorträge darüber hielt, dass er an die Arbeit dachte, während er sich eigentlich Zeit für sich nehmen sollte, zwang er sich, sich nicht mehr auf die Musik, sondern auf Bier zu konzentrieren. Ein Ort wie dieser hatte wahrscheinlich keine Importe oder Biere kleiner Brauereien. Vielleicht fragte er nach was auch immer sie vom Fass hatten und das war’s. So war es einfacher, sich unerkannt unter die Leute zu mischen.



»Was kann ich Ihnen bringen?«, fragte der Barmann mit einer Whiskeystimme, kaum dass Jeremy seinen Hintern auf dem Hocker platziert hatte.



»Ein Pint vom Fass.«



»Kommt sofort.«



Jeremy zog den Hut tiefer, um sicherzustellen, dass seine berühmten grünen Augen im Schatten lagen, und blickte sich um. Es war früh, sieben Uhr an einem Dienstagabend, daher war die Bar leer, abgesehen von einem Tisch, an dem sich ein Paar zu streiten schien. Die Bar könnte jede Nacht so leer sein. Er würde es nie herausfinden, weil er nicht vorhatte, jemals nach Munds Park, Arizona, zurückzukehren. Die Stadt hatte keine Konzertarena und Jeremy konnte sich keinen anderen Grund vorstellen, hier zu sein.



»Bitte schön, Mann.« Der Barkeeper schob ihm das kühle Glas entgegen und wischte sich dann die Hände an dem Tuch ab, das in seiner locker sitzenden Levi’s steckte. »Was führt Sie heute Abend her? Sind Sie auf der Durchreise oder wollen Sie sich vor der Welt verstecken?«



Eigentlich sowohl als auch, und dass der Fremde das ahnte, ließ Jeremys Magen absacken. Er riss den Kopf hoch, was bedeutete, dass der Mann seine Augen sehen konnte, und dann blickte er sich in der Bar um und erwartete ernsthaft, eine Horde Paparazzi zu entdecken, die mit Kameras und Mikrofonen ausgestattet war. Stattdessen sah er immer noch dieselben heruntergekommenen, braunen Wände, zerkratzten Holztische und den klebrigen Betonboden.



»Hey, ich wollte damit auf nichts anspielen«, sagte der Barkeeper gutmütig. Er tätschelte Jeremys Schulter. »Hab Sie nur aufgezogen, wissen Sie?« Er wies ausladend auf die Bar. »Es ist ziemlich wenig los hier.«



Weil seine Überreaktion auf den harmlosen Kommentar offensichtlich war, spürte Jeremy seine Wangen glühen. Sein Versuch, sich normal zu verhalten, hatte bisher weitgehend daraus bestanden, sich an weniger glamourösen Orten als an seinen üblichen zu verstecken und auf dem Fahrersitz einer gemieteten Limousine zu sitzen, anstatt auf der Rückbank eines Luxusautos, Tourbusses oder Privatflugzeugs. Dasselbe Leben, eine andere Szenerie.



Tief einatmend, begegnete er dem Blick des Barkeepers und fragte sich, ob er seinen Versuch, inkognito zu bleiben, bereits vermasselt hatte, oder ob das schwache Licht im Raum, kombiniert mit seinem clever platzierten Hut, genügend Deckung bot, um sein Gesicht zu verbergen. »Tut mir leid. Ich wollte nicht …« Er hatte keine Ahnung, wie er seinen Satz beenden sollte, ohne den Grund für sein seltsames Verhalten preiszugeben.



»Kein Ding, Mann«, sagte der Barkeeper gelassen. Er rieb sich über die kurz geschorenen, braunen Haare und grinste. »Jeder braucht ab und zu mal seine Ruhe.« Er begann, auf das andere Ende der Bar zuzugehen, vermutlich um Jeremy genau diese zu geben. »Sagen Sie Bescheid, wenn Sie bereit für einen weiteren Drink sind.«



Die Stiefel hatten sich nur zwei Schritte von ihm entfernt, als Jeremy unerklärlicherweise sagte: »Beides.«



Seine Augenbrauen hoben sich fragend, der Typ blickte über seine breite Schulter zurück, seine braunen Augen waren auf Jeremy gerichtet.



Normalerweise mochte er es nicht, wenn Leute ihn anstarrten, aber der Barkeeper schien wirklich daran interessiert zu sein, sich mit ihm zu unterhalten. Er wusste nicht, wer Jeremy war, also bedeutete das, dass sein Interesse nicht darin bestand, Informationen an Zeitungen zu verkaufen oder sie zu sammeln wie ein Wissenschaftler, der einen Käfer untersuchen wollte. Er wollte nur reden. Es war erfrischend.



»Sie haben gefragt, ob ich auf der Durchreise bin oder ob ich mich vor der Welt verstecken möchte.« Jeremy senkte seinen Blick, schluckte hart und sagte: »Ich mache beides.«



»Ja?« Der Mann machte kehrt und kam zu ihm zurück. »Cool. Woher kommen Sie?«



Eine einfache Frage. Er entspannte sich angesichts dieses ungewohnten Gefühls und sah dem Kerl wieder ins Gesicht. »Kalifornien.«



»Norden oder Süden?«, fragte der Barkeeper. »Ich war in einer Studentenverbindung auf dem College und wir hatten ein paar Leute aus Kalifornien dabei.« Er zuckte mit den Schultern. »Schätze, die Studiengebühren sind bei uns niedriger als in Ihrem Bundesstaat. Wie auch immer, die Rivalität zwischen Nord und Süd war legendär.«



Jeremy hätte aufs College gehen können, er hätte die Möglichkeit gehabt, obwohl seine Noten in der Highschool nicht so gut gewesen waren, aber er hatte nie den Wunsch gehabt oder einen Sinn darin gesehen. Musik war sein Leben, war es schon immer gewesen, und er hatte gedacht, kein Professor könne ihm so viel darüber beibringen, wie er bereits wusste oder von den Freunden seines Vaters lernen konnte. Vierzehn Jahre Alben aufzunehmen, um die Welt zu reisen und Auszeichnungen zu gewinnen, hatten ihm recht gegeben. Mit einunddreißig stand er an der Spitze seines Business. Kein Abschluss erforderlich.



»Also gut, hören Sie sich das an«, sagte der Barkeeper und ging darüber hinweg, dass Jeremy seine Frage nicht beantwortet hatte. »In diesem einen Semester war der Typ, der für die Neuen verantwortlich war …« Er hielt inne und runzelte konzentriert die Stirn. »Feltus war sein Name, glaube ich. Wie auch immer, er kam aus Palo Alto und es gab ungefähr fünf Typen in der Klasse von OC.« Er kicherte. »Eines Nachts, während der Klausurenwoche, bringt Feltus die Neuen in die Wüste raus, das war in Tempe, ich bin zur ASU gegangen, und er lässt sie Löcher in den Boden graben. Dann sagt er den Jungs aus dem Süden, sie sollen reinsteigen, lässt die anderen Neuen sie bis zum Hals eingraben und alle anderen in ihre Autos steigen und zurück zum Campus fahren.« Der Barkeeper schüttelte den Kopf. »Verdammt verrückte Rivalität, Mann, das sag ich Ihnen.«



Die Leute behaupteten, Rockstars wären wild, aber Jeremy hatte nie mit angesehen, wie jemand lebendig begraben wurde. Merkwürdig fasziniert von der Geschichte, legte er seine Unterarme auf die Bar, beugte sich vor und sagte: »Was ist dann passiert? Wurde jemand verletzt?«



»Nee.« Der Barkeeper schüttelte den Kopf. »Es klingt schlimmer, als es war. Es ist nicht so, als sei die Erde fest geworden oder so. Die Jungs konnten sich befreien und gleich danach fuhren einige der anderen Neuen zurück und holten sie ab.«



»Sie müssen Todesangst gehabt haben«, meinte Jeremy und schüttelte den Kopf.



»Es war Prüfungswoche«, erwiderte er mit einem Schnauben. »Sie waren zu besoffen, um Angst zu haben.«



Jeremy gluckste, trank von seinem Bier, seufzte zufrieden und fühlte sich zum ersten Mal seit langer Zeit entspannt. Es war schön, einfach so mit jemandem über irgendetwas zu plaudern.

 



»Ich bin übrigens Reggie.« Der Barkeeper wischte sich die Hand am Handtuch ab und streckte sie dann über die Bar. »Reggie Moore. Aber jeder nennt mich Reg.«



Nachdem Jeremy seine Handfläche an der grauen Röhrenjeans abgerieben hatte, streckte er die Hand aus und schüttelte Regs. »Schön, dich kennenzulernen, Reg. Ich bin …« Er hielt inne und versuchte, zu entscheiden, ob er einen falschen Namen nennen oder ehrlich sein sollte. Er entschied sich für die goldene Mitte. »Jeremy.«



»Was führt dich an diesem wundervollen Dienstagabend nach Munds Park, Jeremy?« Reg schnappte sich das beinahe leere Glas, hielt es unter den Wasserhahn und füllte es wieder auf. »Bist du auf dem Weg zum Flag?«



»Äh …«



Jeremys verwirrter Gesichtsausdruck schien Reg Antwort genug sein. »In Ordnung, also keine Reise zum Nationalpark.« Er lehnte sich über den Bartresen und musterte Jeremy, oder zumindest so viel von ihm, wie er sehen konnte, obwohl er direkt vor ihm saß, aber die Beleuchtung war beschissen. »Kein Dreck an deinen Klamotten, also kannst du nicht vom Canyon zurück sein …«



»Eigentlich schon«, korrigierte Jeremy ihn.



»Oh, wirklich? Cool. Bist du am Südrand entlanggewandert? Ich begehe diesen Trail ein paarmal im Jahr. Bist du zu den Supai Falls gegangen?«



»Nein, ich war nicht wandern. Hatte keine Zeit. Ich wollte ihn mir nur ansehen. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens im selben Staat verbracht und war noch nie dort.« Jeremy hob die Hand, um sich durchs Haar zu fahren, und traf dabei die Baseballkappe, die ihn daran erinnerte, gegenüber eines Fremden vorsichtig mit zu vielen Informationen zu sein, egal wie unbedeutend sie waren. Die Leute hatten die Angewohnheit, die Dinge zu verdrehen, wenn sie sie an den Höchstbietenden verkaufen wollten auf der Suche nach einer packenden Schlagzeile: Jeremy Jameson springt sturzbetrunken in den Grand Canyon.



»Du siehst aus, als seiest du sportlich, Mann. Das nächste Mal musst du durchwandern«, sagte Reg aufgeregt. »Die Wasserfälle sind unglaublich.«



Nacht für Nacht über die Bühne zu springen, kostete verdammt viel Energie und Ausdauer, was für ihn in seinen Dreißigern nicht mehr so einfach war wie einst in seinen Zwanzigern. In etwas mehr als einer Woche stand eine Konzerttour an, also hatte Jeremy seine übliche Trainingsroutine intensiviert. Scheinbar sah man das Ergebnis seiner Mühen, was ihn stolz machte. »Das werde ich machen«, sagte er, mehr um höflich zu sein, als es so zu meinen. In Wahrheit wusste er nicht, wann er das nächste Mal Freizeit zur Verfügung haben würde, und einen Wandertrip einzuplanen, würde bei seinem Manager wahrscheinlich einen Herzinfarkt auslösen.



»Cool.« Reg strahlte. »Lass mich nach diesen Typen schauen«, er wies mit seinem Kinn in Richtung der einzigen anderen Personen in der Bar, »und dann verrate ich dir den besten Ort zum Campen.«



Aus dem einen Drink wurde ein ganzer, an der Bar verbrachter Abend, wo er mittelmäßiges Bier trank und großartige Gespräche führte. Die Leute kamen und gingen, tranken etwas, jammerten Reg die Ohren über den Stand der Politik voll oder welches Team diese Saison eine Chance hatte oder welches Problem sie mit ihrer Freundin oder Frau hatten. Und zwischen all diesen Gesprächen kehrte Reg immer wieder zu Jeremy zurück, lächelte und plauderte, teilte lustige Geschichten mit ihm und stellte Fragen, die auf nichts anderes abzuzielen schienen, als ihn kennenzulernen. Jeremy konnte sich nicht erinnern, sich je so gut amüsiert zu haben.



Nach einem gemeinsamen Lachanfall über noch eine von Regs Collegegeschichten, bereitete Reg Jeremys Freude ein Ende, indem er sagte: »Hey, Jeremy, Mann, ich will dich nicht hetzen, aber wir schließen unter der Woche normalerweise um Mitternacht, und es ist fast eins.«



»Oh.« Plötzlich fühlte Jeremy sich wieder nüchtern und angespannt. Er rieb sich über die Nase und griff nach seiner Lederjacke, die er Stunden zuvor über den leeren Barhocker neben sich geworfen hatte. »Klar. Ja. Tut mir leid.« Er zog eine Handvoll Scheine aus seinem Geldbeutel und legte sie auf den Bartresen, ohne sie zu zählen. »Behalt den Rest.« Mit dem Autoschlüssel in der Hand, kletterte Jeremy von seinem Hocker in der Absicht, die Bar zu verlassen. Er war überrascht, als Reg sich vorbeugte und ihm die Schlüssel aus der Hand riss.



»Warte mal, Mann. Es ist spät und du bist betrunken. Gibt es jemanden, der dich abholen kann?«



Jeremy schnaubte. »Nein. Ich bin im, äh …« Er versuchte, sich an den Namen der kleinen, unbedeutenden Stadt zu erinnern. »Im Was-auch-immer-Park.« Er verdrehte Augen. »Woher sollte ich hier jemanden kennen?«



»Wow. Ich habe schon erlebt, dass Leute gewalttätige Arschlöcher werden, wenn ich sie rauswerfe, aber die versnobte Diva ist mal was Neues.« Reg schleuderte sein allgegenwärtiges Geschirrtuch in die Spüle der Bar und sperrte die Kasse ab. »Ich wollte dir meine Couch für heute Nacht anbieten, weil es keine Motels in Gehweite gibt, und ich habe besseres Bier, als wir hier auftischen, aber du kannst deinen Rauch auch gern in deinem Auto ausschlafen, Superstar. Ich bringe dir deine Schlüssel morgen früh vorbei.«



»Oh.« Zu hören, dass Reg ihn nicht rauswarf, sondern stattdessen versuchte, ihm zu helfen, linderte Jeremys zurückgekehrte Anspannung. Mit der Erleichterung kam die Erkenntnis, dass er sich genau wie all die Arschlöcher verhalten hatte, die er nicht ausstehen konnte. »Scheiße.« Jeremy verfiel in eine nervöse Angewohnheit aus seiner Kindheit, die er nicht ganz abschütteln konnte, nahm den Kragen seines lachsfarbenen T-Shirts in den Mund und kaute darauf herum. »Ich wollte nicht, ähm …« Er rieb sich mit der Hand über die Augen. »Es tut mir leid, dass ich …« Ein Gedanke traf ihn, ließ ihn zusammenzucken und dann Reg anstarren. »Du hast mich Superstar genannt.«



»Ich habe dich auch eine versnobte Diva genannt.« Reg hob die Augenbrauen. »Bist du bereit dafür, dir einen Platz auf meiner Couch und eine Flasche Kilt Lifter zu verdienen, indem du dich benimmst?«



»Ja, ich, ähm, weiß nicht, warum ich das gesagt habe. Normalerweise bin ich nicht, äh …«



»Mit einem Stock im Arsch unterwegs?« Reg grinste, während er das aussprach, und irgendwie klang es deshalb eher wie freundliches Necken als wie eine derbe Beleidigung. »Ein privilegierter Idiot?« Er trat am Bartresen vorbei zu ihm und lächelte immer noch.



Da beide nun standen, erkannte Jeremy, dass Reg mindestens einen halben Fuß größer war als er.



»Ein weichgespülter Depp?« Er stieß spielerisch mit dem Arm gegen Jeremys Schulter. »Sag jederzeit stopp, Mann. Mir gehen hier gerade die Begriffe aus.«



»Weißt du, wer ich bin?«, fragte Jeremy, während sie Seite an Seite zur Tür gingen.



»Bist du jetzt wieder ein eingebildeter Arsch?«



»Nein, nein.« Jeremy hielt beide Hände protestierend in die Höhe. »Ich meine es ernst. Du nanntest mich …« Er seufzte, nahm seine Kappe ab und rieb sich damit über die Stirn. »Vergiss es.«



»Lila, hm?«, fragte Reg und betrachtete Jeremys Haare. Er schaltete das Licht aus, drückte dann die Tür auf und hielt sie mit dem ausgestreckten Arm fest, sodass Jeremy vorbeikonnte. »Sieht gut aus. Du stehst auf so Zeug, oder? Haare färben und so? Ich erinnere mich an ein Bild, auf dem es noch grün war.«



Jeremy stand in der kühlen Nachtluft und sah dabei zu, wie Reg abschloss. »Du weißt also doch, wer ich bin?«



»Mann, ich lebe nicht hinter dem Mond. Natürlich weiß ich, wer du bist.« Er drehte sich um, ging weiter und schob den Schlüsselring über seinen Finger. »Zuerst habe ich es nicht begriffen, weil es dunkel war, aber wir haben uns unterhalten. Wie lange? Sechs Stunden am Stück?« Er schüttelte den Kopf. »Es ist nicht so, dass ich dein Gesicht nicht sehen kann.«



Jeremy, der ein paar Schritte hinter ihm zurückblieb, verarbeitete nach und nach diesen Kommentar. Die Tatsache, dass Reg ihn erkannt hatte, war keine Überraschung. Tatsächlich wäre das Gegenteil schwer zu glauben gewesen. Aber Reg benahm sich nicht wie die meisten, oder eher alle, wenn sie den Jeremy Jameson trafen. »Warum flippst du nicht aus?«



»Alter.« Reg schüttelte den Kopf und lachte. »Du bist wirklich total eingebildet.«



»Nein, bin ich nicht.« Jeremy eilte voran, um Reg einzuholen. »Es ist nur so, dass Leute normalerweise anders drauf sind, wenn sie mich treffen.«



»Oh.« Reg hielt kurz inne. »Weil du berühmt bist?«



Berühmt. Reich. Mächtig. Attraktiv. Und, wie er gern annahm, extrem talentiert. »Ja.«



»Jepp.« Reg nickte, als würde er verstehen, was jedoch keinen Sinn machte, weil ein Barkeeper aus der Pampa nicht im Geringsten nachvollziehen konnte, wie es war, ein Ausnahmekünstler mit mehreren gewonnenen Platin-Schallplatten und Grammys zu sein. »Menschen sind komisch.«



Na ja, das war etwas, worauf sie beide sich einigen konnten. »Also, ähm, wohnst du in der Nähe?«, fragte Jeremy, während sie den Parkplatz hinter sich zurückließen.



»Mhm. Ich wohne gleich da drüben.« Reg zeigte auf ein winziges Haus. »Ich wohne auf der rechten Seite und mein Vermieter und seine Frau wohnen auf der linken.«



Zuerst machte die Beschreibung keinen Sinn, aber als sie näher kamen, erkannte Jeremy zwei Haustüren und dass das kleine Haus eigentlich ein Doppelhaus war.



»Warum bist du nach dem College wieder hierhergezogen?«, fragte Jeremy in der Hoffnung, dass die Frage nicht wie eine Verurteilung klang, denn er wollte wirklich verstehen, warum jemand, der so charismatisch und sympathisch war wie Reg, beschlossen hatte, sich in einer Stadt mitten im Nirgendwo niederzulassen. »Ich meine, ich weiß, dass du gesagt hast, deine Mutter und dein Bruder seien noch hier, aber Phoenix ist nicht weit weg, oder? Man könnte dort leben und sie jederzeit besuchen.«



»Ja. Aber es ist teurer, dort zu leben, und ich wollte mir was ansparen, also bin ich nach Hause gekommen.« Er schloss seine Tür auf und trat beiseite, um Jeremy zuerst ins Haus zu lassen.



Das Innere sah aus wie das Äußere: alt, heruntergewohnt und nicht weiter erwähnenswert. Reg hatte ihm gesagt, er hätte seinen Abschluss in Buchhaltung gemacht. Das musste mehr einbringen als alles, was er als Barkeeper in dieser Absteige verdiente.



»Aber du könntest doch in deinem Metier wahrscheinlich einen Job finden, wenn du in einer größeren Stadt leben würdest. Dann würdest du mehr verdienen und könntest mehr sparen.«



»Das habe ich versucht.« Reg folgte ihm nach drinnen und trat die Tür zu. »Ich habe nach dem Abschluss in einer der großen Buchhaltungsfirmen gearbeitet.« Er ging zum Kühlschrank, der in die Ecke des Raumes eingeklemmt war, das als Küche diente. »Ich habe dort keine zwei Jahre überstanden.«



»Warum nicht? Du scheinst ziemlich klug zu sein.«



»Summa cum laude«, erwiderte Reg, als er ein paar Bier hervorkramte.



»Wie bitte?«



»Vergiss es.« Kichernd schlug Reg die Bierkappen ab, indem er sie an der Seite der Theke runterhaute, ging dann zu Jeremy und hielt ihm eine Flasche hin. »Ich habe die Buchhaltung verlassen, weil ich kein Morgenmensch bin. Und mich den ganzen Tag in einem Büro einzukerkern, hat mich umgebracht.« Er hielt die Flasche an seine Lippen und nahm einen langen Schluck. »Also kehrte ich zurück nach Hause, mit dem Schwanz zwischen den Beinen, bekam einen Job in der Bar und fing an, zu sparen, damit ich irgendwo Backpacken kann. Das war vor anderthalb Jahren. Ich denke, in ein paar Jahren werde ich genug beisammen haben, um für eine Weile abzuhauen und zu wandern.« Er ließ sich auf seine Couch fallen und die Federn quietschten.



»Wo willst du hin?« Jeremy ließ seinen Blick durch den Raum wandern und ging auf einen braun karierten Sessel gegenüber der Couch zu.



»Ich weiß noch nicht«, antwortete Reg mit einem Schulterzucken. »Alaska vielleicht. Ich habe gehört, es sei cool da, es gebe viele tolle Wanderwege. Ich habe genug Zeit, um es herauszufinden.«



Jeremy sank auf den Sessel und nahm einen Schluck von seinem Bier. »Das klingt gut.«



»Ja. Das Bier dort ist auch genial. Ich habe welches im Kühlschrank, wenn du bereit für eine weitere Flasche bist.«



Er sah sich das Etikett an. »Four Peaks? Noch nie gehört.«



»Die sind regional, außerhalb von Tempe.« Reg fuhr mit dem Daumen über den langen Flaschenhals. »Was ist mit dir?«



»Was soll mit mir sein?«



»Gefällt dir, was du machst?«



»Vieles davon«, erwiderte Jeremy aufrichtig, lehnte sich zurück und streckte die Beine aus. »Der Teil mit der Musik, den liebe ich.«



»Du bist Musiker«, sagte Reg. »Ist nicht alles Teil der Musik?«

 



»Nee.« Jeremy schüttelte den Kopf. »Ich meine, die Musik kommt an erster Stelle, ja. Aber es gibt auch den ganzen Publicity-Kram. Interviews, Events, Fotografen überall.« Er nahm einen tiefen Atemzug und ließ ihn langsam entweichen. »Es ist echt scheiße.«



»Kein Menschenfreund, was?«, fragte Reg und sein halbes Grinsen fing an, vertraut auszusehen.



Es gab nichts zu leugnen. »Ich bin wirklich, wirklich kein Menschenfreund.«



»Ich habe einen Witz gemacht, Mann.« Reg ließ seinen Kopf gegen die Rückseite der Couch fallen. »Du bist total cool.«



»Cool, ja«, stimmte Jeremy zu. Er hielt den Flaschenhals zwischen Zeigefinger und Daumen, schwang die Flasche von einer Seite zur anderen und beobachtete die restliche Flüssigkeit. »Aber normalerweise pissen mich die Leute an, was wahrscheinlich eine gute Sache ist, denn dann werde ich nicht wütend, wenn sie abhauen.« Whoa. Das war bitterer und ehrlicher geworden, als er beabsichtigt hatte.



»Was meinst du damit?«



»Nichts.«



Reg bohrte nicht weiter nach. Gelassen wirkend, nahm er noch einen Schluck Bier.



Plötzlich war Jeremy danach, sich ihm anzuvertrauen. Es lag wahrscheinlich am ganzen Alkohol, der späten Stunde und der Tatsache, dass Reg eine dieser Barkeeperpersönlichkeiten hatte, die die Menschen dazu brachte, sich ihm zu öffnen. »Was ich meine, ist, dass ich nie lange an einem Ort bin. Ich soll bei allen möglichen Veranstaltungen auftauchen und ich muss mich mit Fotografen, Journalisten und Fernsehleuten treffen. Frauen genießen das für eine Weile, besonders wenn sie auffallen wollen, richtig? Ich meine, wenn sie bei mir sind, denken sie, ihre Bilder werden irgendwo auftauchen und dann werden sie berühmt. Aber dann fällt ihnen auf, dass es nicht wirklich so cool ist. Meistens müssen sie herumstehen und darauf warten, dass ich das erledige, was ich eben tue, und wenn sie nicht bereits berühmt sind, werden sie von den Leuten ignoriert. Oder wenn sie fotografiert werden, dann, wenn sie nicht damit rechnen, und jemand erwischt sie ohne Make-up oder an einem Tag, an dem sie sich fett finden, was auch immer das heißt, und sie flippen aus und geben mir die Schuld.«



»Du solltest mit einer anderen berühmten Person ausgehen«, schlug Reg vor. »An all das wäre die dann schon gewöhnt.«



»Habe ich versucht«, sagte Jeremy. »Mehr als einmal. Ich habe sie nie gesehen. Ich war damit beschäftigt, mein Ding zu machen, und sie waren damit beschäftigt, ihr Ding zu machen.« Er schüttelte den Kopf und trank sein Bier aus. »Es war hoffnungslos.« Er legte sich seinen Unterarm über die Augen und seufzte. »Es ist in Ordnung. Was auch immer. Manchmal wird es nur einsam, das ist alles. Und ich bin kurz davor, auf eine große Tour zu gehen, um das neue Album zu promoten, was das Schlimmste ist. Das wird mehr als sechs Monate dauern.«



»Du magst keine Touren?«, fragte Reg ungläubig. »Wirst du nicht zu einem Haufen neuer Orte gehen und neue Dinge sehen?«



»Ja, ich schätze, schon. Ich meine, das werde ich.« Es war schwer, zu erklären. Für ihn bestanden Touren nicht aus abgewetzten Bussen und billigen Motels. Er blieb an großartigen Orten und flog die meiste Zeit hin und her, vor allem auf internationalen Touren, so wie die, die er vor sich hatte. Und obwohl es nicht viele Verschnaufpausen gab, konnte er vor einer Show oder zwischen den Shows Sehenswürdigkeiten bewundern. Aber was auch immer er tat, er musste es allein tun.



»Du hast Glück«, sagte Reg wehmütig. »Das klingt fantastisch.«



»Du solltest mich begleiten«, scherzte Jeremy. »Ich sage allen, dass ich aufgehört habe, mit It-Girls auszugehen, und du mein Neuer bist.«



»Mann, ich wünschte, das ginge.« Reg stand auf. »Willst du noch ein Bier?«



»Sicher.« Er gab Reg seine leere Flasche. »Es klingt jetzt gut, aber glaub mir, du würdest es hassen.« Jeder, den er mitnehmen wollte, hasste es. Als er das letzte Mal getourt war, hatte seine Freundin, mit der er acht Monate lang zusammen gewesen war und die behauptet hatte, ihn zu lieben, nach nur zwei Monaten mit ihm Schluss gemacht und war mit einem aufstrebenden Schauspieler ausgegangen.



»Auf keinen Fall. Wie könnte es jemand hassen, die Welt zu bereisen?« Reg gab ihm sein Bier und setzte sich wieder.



»Ständig unterwegs zu sein und herumzusitzen, während ich auf der Bühne stehe. Tagsüber gibt es Zeit, etwas Sightseeing zu betreiben, oder was auch immer, und manchmal haben wir ein paar freie Nächte zwischen d

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