Seewölfe - Piraten der Weltmeere 590

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 590
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Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-004-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

Gerissene Füchse

In der Not frißt der Teufel Fliegen – oder greift zu einer Kriegslist …

Batuti rollte mit den Augen und entblößte seine perlweißen Zahnreihen.

„Mann!“ sagte Carberry beeindruckt. „So genau habe ich noch nie darauf geachtet. Aber du siehst wirklich zum Fürchten aus.“

Der schwarze Herkules grinste stolz.

Dann, als der Kutscher begann, ihm den weißen Stoff um den Kopf zu wickeln, kniff Batuti das linke Auge zu. Denn das turbanartige Gebilde erhielt einen kunstvollen schrägen Fortsatz, der das linke Auge anstelle einer Lederklappe zudeckte.

„Nun?“ fragte der Kutscher, nachdem er die Stoffbahnen verknotet hatte. Batuti rollte mit dem rechten Auge.

„Ich kriege das Zittern“, erklärte Carberry. „Das ist ja noch viel schlimmer!“ Die anderen nickten und spielten angstvolles Erschauern.

„Jetzt bin ich dran“, sagte Old Donegal Daniel O’Flynn energisch und stampfte mit dem Holzbein auf. „Nun mach mal einen richtigen Halunken aus mir.“

„Wie denn das?“ entgegnete der Kutscher todernst. „Da brauche ich doch gar nichts zu verändern.“

Old Donegal stand mit offenem Mund da, und die Arwenacks konnten mit ihrem brüllenden Gelächter kaum aufhören …

Die Hauptpersonen des Romans:

Don Armando de Zarzuela – der Hafenkommandant von La Coruña ist eitel Wohlwollen, seinen „Landsleuten“ auf der „Fidelidad“ helfen zu können.

Rodrigo Delcante – der unschuldig zum Galeerendienst gepreßte Mann ahnt nicht, daß die Stunde der Freiheit naht.

Ben Brlghton – der Erste Offizier der Arwenacks schlüpft in die Rolle eines algerischen Schnapphahns und ärgert die Spanier.

Phillip Hasard Killigrew – der Seewolf wiederum schlüpft in die Rolle des Capitáns – und ärgert die Spanier noch mehr.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Dieser Tag im März des Jahres 1598 hatte auf eine Weise begonnen, die nichts Bedeutungsvolles vorhersehen ließ.

Die Galeone „Fidelidad“, von den Arwenacks erbeutet, und die vertraute Schebecke lagen auf Nordkurs vor Nordwest-Spanien. Ein handiger Wind aus südlichen Richtungen füllte die Segel der beiden so unterschiedlichen Schiffe.

Die Schebecke, schnell und wendig aufgrund ihrer besonderen Konstruktion, fuhr nur das Großsegel. Am vorderen und am achteren Pfahlmast hatte der Seewolf das Tuch bergen lassen. Denn die Galeone konnte bei allen Bemühungen ihrer Besatzung unter Don Juan de Alcazar nicht mithalten. Und das lag beileibe nicht nur daran, daß die Laderäume der „Fidelidad“ bis obenhin voll waren mit edlen Metallen.

Philip Hasard Killigrew und Ben Brighton, sein Erster Offizier, beobachteten das traurige Bild mit wachsender Sorge. Die Galeone lief unter Vollzeug, doch mochte man es kaum so nennen.

Klägliche Lappen waren das bestenfalls, die da von den Rahen hingen. Der Wind pfiff durch Risse und Löcher, die sich zusehends vergrößerten. Selbst die Flicken, die Will Thorne und seine Helfer aufgenäht hatten, lösten sich teilweise wieder. Das Segeltuch war durch und durch morsch und hatte zu sehr gelitten. An dieser Tatsache konnte keiner der Arwenacks mehr vorbei.

„Wenn ich an die Biscaya denke“, sagte der Seewolf kopfschüttelnd, „und an den Kanal – nein, das hat keinen Zweck. Wir könnten den Eimer ebensogut selbst versenken.“ Er deutete mit einer Kopfbewegung zu der Galeone, die von der Bauweise her nicht einmal zu den plumpen spanischen Seekühen zählte.

„Die Biscaya muß nicht immer stürmisch sein“, entgegnete Ben. „Man sollte nicht allzu schwarz sehen.“

Hasard sah ihn an und grinste. „Das mußt du gerade sagen.“

Ben pflegte sich gewöhnlich zurückhaltend und kritisch zu äußern, was sich aber stets als Vorteil erwiesen hatte, zeigte er doch stets unmißverständlich auf zweifelhafte Punkte, die den übrigen Arwenacks nicht unbedingt gleich auffielen.

Ben erwiderte das Grinsen seines Kapitäns. „Was bleibt mir übrig, wenn du mir den Wind aus den Segeln nimmst? Aber im Ernst: Es könnte durchaus klappen, sofern wir Glück mit dem Wetter haben. Und zum Schutz der Galeone haben wir immer noch unsere feine Schebecke.“

Hasard nickte. „Stimmt. Aber das Risiko ist trotzdem zu groß. Ich will das Silberschiff heil nach London bringen. Dafür brauchen wir vernünftige Segel.“

„Klar, daß du recht hast“, sagte der Erste. „Aber woher nehmen und nicht stehlen? Wenn das alles so einfach wäre, hätte ich nicht erst versucht, deine Argumente zu entkräften.“

Der Seewolf schien es nicht gehört zu haben. „Und die Provianträume sind auch so gut wie leer. Es hilft alles nichts, Ben, wir müssen uns etwas einfallen lassen.“

„Wie du meinst“, erwiderte Ben und spielte gelassene Bereitwilligkeit. „Dann laufen wir eben den nächstbesten Hafen an und bitten unsere Freunde, die Dons, uns mit dem Nötigsten zu versorgen. Bestimmt werden sie überglücklich sein, uns helfen zu dürfen.“

Hasard lächelte. Einen Moment blickte er hinüber zur Galeone. „Dazu könnten wir sie bringen.“

„Wozu?“ Ben sah ihn stirnrunzelnd an.

„Zu ihrem Glück.“

„Tu mir einen Gefallen und drück dich deutlicher aus. Ich sehe dir an der Nasenspitze an, daß du etwas im Schilde führst.“

Hasard ließ die Katze aus dem Sack. „Wir laufen La Coruña an – frech und gottesfürchtig, wie wir sind. Dort versorgen wir uns mit Proviant und vor allem mit Segeltuch – Und dann auf in die Biscaya!“

„Begriffen“, sagte Ben. „Jetzt solltest du mir freundlicherweise noch verraten, wie du die Dons dazu bringen willst, so verdammt entgegenkommend zu sein. Vergiß nicht, was sich Drake und Norris vor neun Jahren in La Coruña geleistet haben. Die Dons werden wirklich nicht naiv genug sein, uns für ihresgleichen zu halten, wenn wir nur ein bißchen Spanisch sprechen. Das ist es doch, was du vorhast, oder?“

„Du hast nicht ganz zu Ende gedacht“, erwiderte Hasard.

In der Tat hatten Drake und Norris im Hafen von La Coruña ziemlich gehaust – seinerzeit, als die bittere Niederlage der Armada bei den Spaniern noch frisch in der Erinnerung gewesen war. Aber auf der anderen Seite der Argumente stand eben die Tatsache, daß La Coruña der einzige rasch erreichbare Hafen war, in dem man sich Segeltuch und Proviant verschaffen konnte.

Der Seewolf fuhr fort: „Wir werden ihnen ein Schauspiel liefern, von dem sie noch ihren Enkelkindern erzählen.“

„Du verstehst es immer besser, einen auf die Folter zu spannen.“

Der Seewolf lachte leise. „Verzeihung, Ben, das hatte ich nicht vor. Für das Schauspiel müssen wir nur die Rollen richtig verteilen. Wir werden Jäger und Gejagte spielen. Das ist alles.“

Ben Brighton zog die Brauen hoch. „Dann vermute ich also richtig, wenn die ‚Fidelidad‘ die Gejagte sein wird?“

„Haargenau.“

„Und ihr Zufluchtsort ist der Hafen von La Coruña.“

„Auch richtig.“

„In Ordnung. Ist dir eines klar? Die Galeone hat praktisch keine Chance, der Schebecke davonzulaufen. Meinst du nicht, daß die Dons das spitzkriegen werden?“

Hasard wiegte den Kopf. „Wir müssen es nur glaubhaft darstellen. Gut wäre es, wenn wir ein bißchen Nebel hätten. Und dann halten wir die Schebecke einfach mit den Drehbassen der ‚Fidelidad‘ auf Distanz. Das gibt eine wilde Schießerei, bis wir mit knapper Mühe den Hafen erreichen.“

„Ich höre heraus, daß du die Galeone übernehmen willst.“

„So stelle ich mir das vor“, erwiderte der Seewolf und nickte.

„Und Don Juan brauchst du zur sachkundigen Unterstützung.“

„Du kannst dich wie immer bestens in meine Gedankengänge versetzen.“

Ben verzog das Gesicht. „Dann brauche ich kaum noch zu fragen, wer die Schebecke übernehmen soll.“

„Stimmt, Mister Brighton, das wirst du sein, wenn du nichts dagegen hast.“

Der Seewolf und Don Juan de Alcazar ließen auf ihren Schiffen sämtliches Tuch wegnehmen. Hasard ging mit der Schebecke an Steuerbord der Galeone längsseits, Treibanker wurden ausgebracht, und es folgte eine Lagebesprechung an Bord der „Fidelidad“.

Die Männer waren vom Vorschlag des Seewolfs auf Anhieb begeistert. Keine einzige Stimme des Widerspruchs erhob sich. Bill, der für die Dauer der Besprechung in den Großmars der „Fidelidad“ aufgeentert war, blieb stumm. Es waren also keine fremden Segler in der Nähe.

 

„Wir können uns Zeit lassen“, sagte Hasard daher und wies noch einmal darauf hin, wie wichtig es bei dem geplanten Schauspiel sein werde, aus dem Nebel heraus auf die Hafeneinfahrt zuzustoßen. „Treffen wir unsere Vorbereitungen also in aller Ruhe.“

„Was für Landsleute werden wir darstellen?“ schnitt Ben Brighton den einzigen Punkt an, der noch nicht erörtert worden war.

„Algerier“, erwiderte Hasard, ohne lange zu überlegen. „Die Schebecke führt die Flagge des Bundes der Korsaren, und die Männer an Bord werden unverwechselbar als Algerier herausgeputzt. Das wird die Dons in La Coruña nicht gerade glücklich stimmen.“

„Weil sich die Algerier so weit nach Norden vorwagen?“ fragte Dan O’Flynn.

Der Seewolf nickte.

„Die schwarze Flagge sollten wir besser nicht zeigen“, wandte Carberry ein. „Könnte sein, daß da irgend so ein spanisches Rübenschwein schon mal vom Bund der Korsaren gehört hat. Und dann nehmen sie uns die Algerier nicht ab, wenn wir Pech haben.“

„Das halte ich für unwahrscheinlich“, entgegnete der Seewolf und sah Don Juan an. „Wie beurteilst du das?“

„Genau wie du“, antwortete der Spanier, der damals – in Havanna – Hasards Todfeind gewesen war. „La Coruña hat nicht die Bedeutung von Cádiz, wo die Gold- und Silbertransporte aus Neuspanien hauptsächlich eintreffen. Hätten wir es mit Cádiz zu tun, würde ich nicht empfehlen, die Flagge mit den goldenen Säbeln zu setzen. Dort unten dürfte es zu viele Seeleute geben, die schon einmal den Atlantik überquert und vom Bund der Korsaren gehört haben.“

„Es bleibt also dabei“, sagte Hasard entschieden. „Die Flagge wird gesetzt. Sonst noch Fragen?“

„Die wichtigste für mich“, entgegnete Ben Brighton. „Wer fährt unter meinem Kommando?“

Hasard hob die Hand zum Zeichen, daß auch er die Aufstellung der Crew jetzt für angebracht hielt. Er hatte Don Juan bereits erklärt, daß er vorhatte, für die Dauer des La-Coruña-Raids das Kommando an Bord der „Fidelidad“ zu übernehmen.

„Algerische Piraten“ wurden außer Ben Brighton der Gambianeger, Pete Ballie, Gary Andrews, Matt Davies, Old Donegal Daniel O’Flynn, Jeff Bowie, Sam Roskill, Mac O’Higgins, Big Old Shane, Bill und die Zwillinge. An Bord der Schebecke blieb außerdem das Viehzeug – Plymmie, die Wolfshündin, Arwenack, der Schimpanse, und Sir John, der Papagei.

Mit insgesamt einundzwanzig Mann wurde die „Fidelidad“ besetzt. Neben Hasard gehörten zur Crew der Galeone: Dan O’Flynn, Don Juan de Alcazar, Edwin Carberry, Ferris Tucker, Smoky, Blacky, Al Conroy, Roger Brighton, Paddy Rogers, Will Thorne, der Kutscher, Mac Pellew, Luke Morgan, Bob Grey, Stenmark, Jack Finnegan, Piet Straaten, Jan Ranse, Sven Nyberg und Nils Larsen.

Der Segelmacher mußte dabei sein, weil er in der Hafenstadt die Beschaffung des Tuchs zu überwachen hatte. Und die beiden Kombüsenmänner waren hinsichtlich des Proviants nicht weniger wichtig.

Der Kutscher, als gebildeter Mann mit weitreichenden Detailkenntnissen, übernahm es zuvor, die Maskerade der „Algerier“ zu planen und in die Tat umzusetzen. Zum Abschluß zeigte er der gesamten Schebeckencrew das Ergebnis in einem Spiegel.

Auch Old Donegal hatte seine besondere Kostümierung zu guter Letzt erhalten. Mit einem roten Kopftuch, hinten zusammengeknotet, und einer naturgetreu aufgemalten Messernarbe, die quer über sein Gesicht verlief, glich er den übrigen Männern an Bord der Schebecke auf frappierende Weise. Der alte O’Flynn und die anderen „Algerier“ trugen zusätzlich gekreuzte Gurte über der Brust, an denen Krummsäbel und Dolche in ihren reich verzierten Scheiden baumelten.

Die orientalischen Blankwaffen stammten noch aus der ursprünglichen Ausrüstung der Schebecke, die letzten Endes von Algeriern „übernommen“ worden war. Bei Brindisi war das gewesen, wo der Seewolf im Dezember des Vorjahres den Entschluß gefaßt hatte, die Schwarzmeerdubas zu opfern. Er hatte den algerischen Dreimaster kurzerhand gerammt. In einem mörderischen Enterkampf waren die Piraten aus Nordafrika dann besiegt worden.

Jene zwölf Arwenacks unter dem Kommando von Ben Brighton hatten die Schebecke also gewissermaßen in ihren Urzustand zurückverwandelt. Bessere Voraussetzungen hatten sie sich dafür nicht wünschen können, denn jeder von ihnen hatte die wüste Horde der ursprünglichen Schiffseigner noch bestens in Erinnerung.

Ben Brightons Kopfschmuck bestand aus zusammengerolltem gelbem Stoff. Sobald er den Mund öffnete, wurden zwei vermeintliche Zahnlücken sichtbar, die der Kutscher einfach dadurch produziert hatte, daß er zwei Vorderzähne des Ersten geschwärzt hatte.

Batuti, als einäugiger schwarzer Hüne, ergänzte das Bild der Crew auf höchst wirkungsvolle Weise. Auch Bill und die Zwillinge hatte der Kombüsenmann zu malerisch aussehenden Gestalten herausgeputzt. Zum Gesamtbild der Verwandlung gehörte ebenso die Unordnung an Deck, wie sie zur Zeit der früheren Eigner bestanden hatte.

Matt Davies und Jeff Bowie schlenderten grinsend über die Decksplanken und versetzten den sorgfältig aufgeschossenen Tauen Fußtritte. Sam Roskill und Pete Ballie holten das noch nicht gereinigte Geschirr aus der Kombüse und verteilten es wahllos bei den Verschanzungen. Gary Andrews und Big Old Shane beförderten leere Fässer auf das Hauptdeck.

Nach und nach entstand ein Durcheinander, das selbst den scharfäugigsten Hafenbewachern nicht als mutwillig hervorgerufen erscheinen konnte.

Weniger aufwendig war die Verwandlung der Männer an Bord der „Fidelidad“. Da es sich bei der Galeone um ein reines Transportschiff handelte, das zudem in einem Geleitzug gefahren war, hatten sich keine Soldaten an Bord befunden. Den Arwenacks genügten also wenige Kleidungsstücke aus dem in den Unterdeckskammern gelagerten Bestand, um sich äußerlich der früheren Schiffsbesatzung anzupassen.

Philip Hasard Killigrew übernahm die Rolle des Capitáns Manuel Redrojo, der nicht nur wegen eines Sturms jegliche Orientierung verloren hatte. Das Brautpaar, das als Passagiere auf seinem Schiff mitgereist war, hatte ihn zumindest in geistige Verwirrung gestürzt. Die Begierde, mit der er sich der jungen Frau genähert hatte, war verhängnisvoll gewesen.

Das Eifersuchtsdrama an Bord der „Fidelidad“ hatte vermutlich den Ausschlag gegeben. Nachdem sich die Galeone hoffnungslos versegelt hatte, hatte Redrojos Starrsinn das Faß zum Überlaufen gebracht. Seine Offiziere waren trotz ernsthafter Bemühungen nicht in der Lage gewesen, das Schiff noch zu retten. Den Arwenacks hatten sie bei aller verbissener Gegenwehr letztlich unterliegen müssen.

Don Juan de Alcazar spielte den Ersten Offizier, Jorge Labastida, der zusammen mit weiteren Überlebenden an Land gepullt war. Das war unmittelbar nördlich von Lissabon gewesen.

Der Seewolf und seine Männer brauchten folglich nicht zu befürchten, daß in La Coruña etwas über Labastidas Schicksal bekannt war. Wenn die Amtspersonen in der nordspanischen Hafenstadt überhaupt etwas über die „Fidelidad“ wußten, dann bestenfalls, daß sie erst seit wenigen Tagen dieses Monats als vermißt galt.

Hasard überzeugte sich bei einem Rundgang auf beiden Schiffen davon, daß sämtliche Maßnahmen, die sie getroffen hatten, einen überzeugenden Eindruck erweckten. Die „Fidelidad“ würde im Topp des Großmastes wieder die spanische Flagge mit den rot-weiß-gelben Streifen und dem gekrönten schwarzen Adler führen. Auf der Schebecke wurde unterdessen die Flagge des Bundes der Korsaren bereitgelegt, die an der Besanrute gesetzt werden würde.

Noch war die Sicht klar. Die wenigen Schönwetterwolken ließen nicht auf eine allgemeine Verschlechterung schließen. Wenn sie denn keinen Nebel kriegten, so überlegte der Seewolf, würde schon ein wenig Dunst genügen, der die Kimm verschleierte.

2.

„Eine verdammte Schikane ist das!“ Francisco Perez stieß es wütend hervor und rückte seinen Helm mit einer ärgerlichen Bewegung zurecht. Das blanke Metall schimmerte im matten Licht der Spätnachmittagssonne, die sich mit einem Schleier umgeben hatte.

Der junge Soldat lehnte mit dem Rücken an den seewärtigen Quadersteinen der Geschützstellung. Aus schmalen Augen blickte er zu den Dächern der Stadt, und er sah dabei aus, als füge ihm diese Aussicht seelische Schmerzen zu.

Er fügte hinzu: „Damit machen sie einen absichtlich fertig, sage ich dir! Hast du diesen Dienst ein paar Monate oder ein Jahr lang geschoben, bist du nicht mehr du selbst. Dann bist du bloß noch ein Werkzeug – ohne eigenen Willen. Ich frage dich, was unterscheidet uns eigentlich von den armen Hunden, die sie als Galeerensträflinge knechten?“ Mit dem Daumen deutete er nach Norden, wo sich mit verschwommenen Konturen ein mächtiges Gemäuer hoch über der Steilküste erhob.

Der zweite zur Geschützwache auf Stellung drei eingeteilte Soldat war ein untersetzter Mann mit kantigen Gesichtszügen und blauschwarzem Haar, der Pedro de Andalucia genannt wurde, da außer seiner landschaftlichen Herkunft nichts über ihn bekannt war.

Er kannte weder seinen Vater noch seine Mutter. Nonnen hatten ihn als Findelkind vor einem Kloster in Andalusien entdeckt und großgezogen. Dann, als er frühzeitig angefangen hatte, den jüngeren Nonnen mit beginnendem Männlichkeitsdrang nachzustellen, hatte ihn die Äbtissin einem Rekrutierungskommando übergeben.

Seitdem war Pedro Soldat, und er hatte den Beinamen „de Andalucia“ erhalten, weil es in den Reihen der spanischen Streitmacht niemanden geben durfte, der lediglich einen Vornamen hatte.

Während seiner anfänglichen Dienstzeit in Cádiz hatte Pedro mehrfach Reißaus genommen, um bei den Hafenhuren – wesentlich erfolgreicher – jene Studien fortzusetzen, die er unter der Obhut der Nonnen nur unzulänglich hatte beginnen können. Die Offiziere hatten sich das nicht lange mitangesehen.

Statt Pedro den Vorzug einer Atlantiküberquerung als Seesoldat zu gewähren, hatten sie ihn in den Norden verbannt, wo er den stinklangweiligen Dienst in den Forts von La Coruña zu leisten hatte.

Die Geschützstellung drei, die er an diesem Tag gemeinsam mit Francisco Perez besetzt hatte, gehörte zu den Festungsanlagen nördlich der Hafeneinfahrt. Ähnliche Anlagen gab es an der Südseite.

Pedro de Andalucia lehnte sich mit den Unterarmen auf das mächtige Geschützrohr, knapp oberhalb des Zündlochs. Er blickte seinen Kameraden an und feixte. „Bist du jetzt fertig mit deinem Klagegesang?“

Francisco verzog den Mund. „Mach dich nur über mich lustig. Dabei bist du derjenige, der sonst am meisten jammert.“

„Ich habe auch Grund dazu. Stell dir vor, ich könnte es jetzt mit gutgebauten Indianerinnen ausprobieren. Weißt du, was man sich von denen erzählt?“

„Nein.“ Francisco seufzte und schickte einen entnervten Blick zum Himmel. „Ich war nie in Cádiz, und ich habe nie mit Seesoldaten gesprochen, die schon mal in Neu-Spanien waren.“

Pedro überhörte die Andeutung, die besagte, daß er seine Indianerinnengeschichte schon zigmal zum besten gegeben hatte.

„Diese bronzehäutigen Schönheiten“, sagte er schwärmerisch, „sind ganz wild auf weiße Männer. Also auf unsereinen.“

„So weiß bist du gar nicht“, entgegnete Francisco, und er freute sich, dem anderen mit dieser Eingebung eins auswischen zu können. „Du bist ein richtiger Andalusier, Amigo. Deine Haut ist dunkler als meine. Ich wette, in deinen Adern fließt Maurenblut. Ich hätte da schon eher Chancen bei den kleinen Indianerinnen.“ Er lachte und schien seine Erbitterung über die vermeintliche Schikane bereits vergessen zu haben.

Pedros Augen verengten sich. „Blödsinn! Habe mich vielleicht falsch ausgedrückt. Für die roten Weiber sind Spanier Spanier – und was das Beste ist: Sie halten uns für Götter! Ja, für richtige Götter! Kannst du dir vorstellen, was das bedeutet, wenn du abends mit ihnen in eine Hütte kriechst?“

„Sie verwöhnen dich göttlich“, entgegnete Francisco grinsend.

„Du hast es erfaßt“, erwiderte Pedro entsagungsvoll. „Also kapierst du hoffentlich, was mir durch die Lappen gegangen ist – nur weil so ein paar dämliche Offiziere meinten, ein Soldat müsse erbärmlicher leben als ein Klosterschüler. Deshalb hör gefälligst auf, in meiner Gegenwart zu jammern. Was ist es denn für eine Schikane, die dir so zusetzt?“

Francisco deutete zu den Dächern der Stadt. „Das sehen zu müssen! Das Leben im Hafen und in der Stadt – das Leben von freien Menschen, die den ganzen Tag tun und lassen können, was sie wollen, während unsereiner geknechtet wird und keinen eigenen Willen hat. Ich sage es doch: Wir sind im Grunde genauso beschissen dran wie die Galeerensträflinge da oben.“ Abermals wies er mit einer knappen Handbewegung nach Norden.

 

„Ansichtssache“, entgegnete Pedro de Andalucia. „Freiheit ist gut und schön. Aber da hast du auch deine liebe Last damit, dich selbst durchzubringen. Immer mußt du zusehen, daß du was zu beißen kriegst. Wir dagegen haben unser Auskommen, empfangen auch noch Sold und können uns in der Freizeit die Weiber suchen, für die das Geld reicht. Mir genügt das, Francisco, wirklich. Was du Schikane nennst, ist für mich ein sanftes Ruhekissen. Stell es dir doch mal so vor: All die armen Irren da unter den Dächern schuften zu wissen, ist ja wohl das reinste Vergnügen. Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist doch, daß wir uns ein bißchen die Beine in den Bauch stehen. Gib zu, daß ich recht habe.“

„Du bist ein anderer Mensch als ich“, sagte Francisco Perez. „Du hast die nützliche Eigenschaft, aus einer miserablen Lage immer noch das Beste für dich herauszuholen. Ich wäre froh, wenn ich genauso denken könn…“ Er unterbrach sich.

Donnergrollen wehte von See herüber.

Pedro de Andalucia hob mit gelangweilter Miene den Kopf und schickte einen trägen Blick über die Brustwehr nach Westen.

„Ein fernes Gewitter“, sagte er wegwerfend. „Nicht, was du denkst.“

Das Donnergrollen nahm zu.

Francisco Perez hatte sich umgedreht und spähte über die See.

„Im Gegensatz zu dir“, sagte er, ohne das Spähen zu unterbrechen, „habe ich mich nicht nur darauf konzentriert, wo man die hübschesten und preiswertesten Huren findet. Ich kann Gewitter von Geschützdonner unterscheiden.“

Pedro richtete sich ruckartig von dem Vierundzwanzigpfünder auf. „Sag mal! Was fällt dir ein! Wer ist der Dienstältere von uns beiden? Nennst du das Respekt? He, antworte gefälligst!“

Francisco dachte nicht daran, denn seine Anspannung wuchs. Überdies sah er sich mittlerweile in seiner Vermutung bestätigt, denn auch die übrigen Geschützwachen waren bereits aufmerksam geworden. Ein allgemeines Starren nach Westen hatte eingesetzt, wobei auch die Wachsoldaten auf den Wehrgängen keine Ausnahme bildeten.

Eindeutig war jetzt, daß es sich um das Rumoren von Schiffsgeschützen handelte. Und verblüffend erschien zunächst die Tatsache, daß der rollende Donner immer mehr an Lautstärke zunahm, was zweifelsfrei bedeutete, daß sich die gegnerischen Parteien der Küste näherten. Noch war im Dunststreifen über der Kimm nichts zu sehen. Doch das änderte sich innerhalb von Minuten.

Die Umrisse einer Galeone tauchten aus dem Dunst auf.

Pedro de Andalucia hatte die eher scherzhaften Vorwürfe gegen seinen Freund längst vergessen. Auf der anderen Seite des Geschützrohrs war Pedro gleichfalls an die Brustwehr getreten, und seiner Miene war anzusehen, daß er sich wegen der Behauptung in Sachen Gewitter am liebsten selbst in den Hintern getreten hätte.

Die Galeone hatte beträchtlichen Tiefgang und hielt geradewegs auf die Hafeneinfahrt von La Coruña zu. Ein Dreimaster. Der Geschützdonner dauerte an und verdichtete sich eher noch. Keine Frage, daß sich die Galeone auf der Flucht befand. Mündungsblitze zuckten aus dem Dunststreifen, und Wassersäulen stiegen bedrohlich nahe neben der Außenbeplankung des Dreimasters auf. Auch auf dessen Achterdeck wurde gefeuert. Mittels der Drehbassen, so schien es, gelang es den Fliehenden immerhin, die Verfolger auf Distanz zu halten.

Auf den Geschützstellungen und Wehrgängen der Hafenforts wurden alarmierende Rufe laut.

In jenem Moment, in dem man auf den Appellplätzen der Forts das Alarmsignal blies, wurde draußen auf See auch der Verfolger der Galeone erkennbar.

Der kleine, wendige Dreimaster erinnerte an einen geifernden Hund, der immer wieder versuchte, einen zusammengerollten Igel zu packen und sich jedesmal eine blutige Nase holte.

Denn die Drehbassenschützen an Bord der Galeone leisteten allem Anschein nach hervorragende Arbeit. Und die Verfolger schienen es auch nicht zu riskieren, sich einer Breitseite des Fliehenden auszusetzen. Ihre Versuche, die Ruderanlage der Galeone zu zerschießen, waren mangels Reichweite offenbar zum Scheitern verurteilt.

„Jetzt bin ich gespannt, wie der Kommandant reagiert“, flüsterte Francisco Perez, ohne den Blick vom Geschehen vor der Küste zu wenden. „Er sollte seine Kriegsschiffe hinausschicken, damit sie der Galeone helfen.“

„Narr!“ entfuhr es Pedro de Andalucia. „Dazu reicht die Zeit doch nicht. Bis die Eimer seeklar sind, ist die Sache da längst entschieden. Man merkt, daß du von Seefahrt keinen blassen Schimmer hast.“

Francisco wandte den Kopf und tippte sich an die Stirn. „Hältst dich wohl selber für den großen Fachmann, was? Dabei hast du in Cádiz den Hafen doch bloß im Vorbeigehen gesehen, als du zu deinen käuflichen Weibern unterwegs warst. Ich wette, du hast niemals auch nur einen Fuß auf eine Schiffsplanke gesetzt.“

Die gellende Befehlsstimme des Wachhabenden übertönte den Kanonendonner und hinderte Pedro an einer passenden Antwort.

„Geschützstellungen klar zum Gefecht!“

„Da haben wir den Salat“, knurrte de Andalucia. „Diese Schwachköpfe glauben allen Ernstes, daß sie einer Schebecke mit Landgeschützen was verpassen können!“

Francisco Perez sah ihn erstaunt an, während sie den Vierundzwanzigpfünder klarierten. „Eine Schebecke? Was ist denn das?“

„Warum fragst du?“ entgegnete Pedro spöttisch. „Warum fragst du einen, der von Seefahrt keine Ahnung hat?“

„Himmel, sei keine Mimose!“

Den kleineren Dreimaster schienen die Küstenbefestigungen von La Coruña nicht zu schrecken. Denn unverdrossen hielt er mit und wartete anscheinend immer noch auf eine Feuerpause seines erhofften Opfers, die lang genug war, um den Vorstoß auf die Ruderanlage endlich durchzuführen. Die Galeone wurde von den Wassersäulen des Verfolgers jetzt buchstäblich eingerahmt. Von den Forts aus war nicht zu erkennen, wie viele Treffer der spanische Dreimaster im Bereich des Hecks bereits kassiert hatte.

Unablässig hämmerten die Bordgeschütze beider Schiffe.

An Land warteten die Geschützmannschaften fieberhaft darauf, daß die Galeone in Sicherheit und die Verfolger in Reichweite gelangten.

„Eine Schebecke ist ein Mittelmeerschiff“, erklärte Pedro de Andalucia, nun doch stolz, sein Wissen an den Mann bringen zu können. „So ein Kahn kann auch gerudert werden, obwohl er die drei Masten mit den Lateinersegeln hat. Stammt ursprünglich aus Nordafrika. Der Bursche dort dürfte ein Algerier sein. Niemand außer den algerischen Piratenhunden bestückt Schebecken mit je sechs Kanonen an Backbord und Steuerbord.“

Francisco Perez zog anerkennend die Augenbrauen hoch. „Ich nehme alles zurück.“

Pedro grinste. Dann blieb beiden keine Zeit mehr, auch nur noch ein einziges Wort von sich zu geben.

Die Galeone war nur noch wenige hundert Yards von der Hafeneinfahrt entfernt. An Land warteten die Geschützmannschaften – wie Pedro de Andalucia und Francisco Perez – und die inzwischen auf den Wehrgängen postierten Musketenschützen auf die Feuerbefehle.

Jeden Moment mußte es soweit sein, denn die Piratenhorde an Bord der Schebecke legte eine geradezu ungeheure Frechheit an den Tag. Es hatte den Anschein, als wollte der wüst aussehende Dreimaster gemeinsam mit der Galeone in den Hafen von La Coruña segeln.

Deutlich war bereits zu erkennen, welches erbärmliche Bild die Galeone abgab. Am eindrucksvollsten zeigte der Zustand der Segel, was dieses Schiff hinter sich haben mußte. Im Grunde waren es nur noch Fetzen, die da von den Rahen hingen. Es grenzte an ein Wunder, daß das schwerbeladene Schiff überhaupt noch Fahrt lief.

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