Seewölfe - Piraten der Weltmeere 377

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 377
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Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-785-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

Kämpft sie nieder

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Das Morgengrauen des 6. April Anno 1594 kroch mit blassen Nebelschleiern auf die Küste der Bahamainsel Mariguana zu. Das Dickicht des tropischen Pflanzenwuchses schien die Dunstschwaden von See her in sich aufzusaugen, um die Feuchtigkeit zu speichern und damit für die Sonnenglut des bevorstehenden Tages gewappnet zu sein.

Die grüne Wand des Inselwaldes begann hinter einem schmalen Streifen weißen Sandstrands, auf den sich flache Wogen mit dünnen Schaumkronen nur wie zaghaft vorwagten. Unsichtbar, doch unüberhörbar erwachte das Leben in der üppigen Vegetation. Eine meist gefiederte Tierwelt begrüßte den Morgen in vielstimmig lärmender Freude. Da schrie und trällerte, keckerte und trompetete es, als hätte ein Wettstreit um die größte Lautstärke begonnen.

Nichts schien den Frieden zu trüben. Denn von menschlichen Bewohnern gab es auf diesem paradiesischen Eiland keine Anzeichen.

Doch aus den Nebelschwaden vor der Küste tauchten Konturen auf, die nichts Friedliches hatten. Ein mächtiger Bugspriet stach durch das milchige Grau, und die feuchten Schleier umwaberten die Beplankung des Schiffsrumpfes, der mit langsamer Fahrt auf Ostkurs dahinglitt. Nur Fock- und Großsegel der Galeone waren gesetzt. Das lohfarbene Tuch wurde von der mäßigen Brise aus Ostnordost nur scheinbar widerwillig gefüllt. Es schien, als sträube sich die Natur, dem drohend anmutenden Schiff den Vortrieb für seine Schleichfahrt zu gewähren.

Das trübe Licht des beginnenden Tages ließ die Bronzeleiber der ausgerannten Kanonen matt schimmern, die Männer, die kampfbereit hinter den Geschützen kauerten, wagten vor Anspannung nicht, sich zu bewegen.

Mit einer Distanz von nur vier Kabellängen tastete sich das dreimastige Kriegsschiff an der Inselküste entlang. Doch dort, im Dickicht, gab es offenbar niemanden, den die gefechtsbereiten Kanonen der beiden Geschützdecks hätten einschüchtern können.

Manchmal klangen Vogelstimmen durch den morgendlichen Lärm, die sich wie Hohngelächter anhörten.

Don Pedro de Harana, Capitán der dreimastigen Kriegs-Galeone „Granada“, wippte auf den Zehenspitzen. Seine Offiziere kannten das, und unter normalen Umständen hätten sie darüber gegrinst. Aber an diesem frühen Morgen mußte man damit rechnen, daß Don Pedro sogar Augen im Hinterkopf hatte. Wie er so dastand, an der Querbalustrade des Achterdecks, strahlten Wut, Gereiztheit und Aggressivität in geballter Form von ihm aus.

Ja, sie kannten ihn in solchen Momenten. Und sie hüteten sich, ihn anzusprechen. Denn er war wie ein Pulverfaß. Ein einziges falsches Wort konnte die Lunte sein, die ihn hochgehen ließ. Dann scherte er sich den Teufel darum, ob es korrekt war, einen Offizier in Anwesenheit von unteren Dienstgraden abzukanzeln. Dann vergaß er diesen wichtigen Punkt der militärischen Etikette, die er sonst so sehr schätzte.

Wippend und kerzengerade stand er dort, als hätte er einen Rohrwischer verschluckt. Geradlinig hingen die Arme nach unten, die Hände, die er über dem verlängerten Rückgrat zusammengelegt hatte, symbolisierten eine mühsam selbst auferzwungene Geduld. Don Pedros Uniform saß makellos wie stets. Der blinkende Helm und der Degen mit der kostbar ziselierten Griffschale verdeutlichten, daß er in aller Kürze mit einer kriegerischen Auseinandersetzung rechnete.

Auch in diesem Punkt wären die Offiziere zu einem Grinsen geneigt gewesen, rechneten sie nicht damit, daß ihr Vorgesetzter jegliche Art von Zweifel an seinen Entscheidungen sofort wittern würde. Doch sie teilten insgeheim die Meinung des Ersten, daß es auf dieser verträumten Insel keine Menschenseele gab, die auch nur daran dachte, so etwas wie Piraterie zu betreiben.

Don Pedro de Harana war allerdings von seinem Auftrag besessen. Das wußte jeder an Bord der „Granada“, vom Decksmann bis hinauf zum Ersten Offizier. Am liebsten hätte Don Pedro reihenweise Piratenschiffe aufgestöbert und auf den Meeresgrund geschickt. Seit sie den Stützpunkt Cartagena verlassen hatten, fieberte de Harana darauf, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.

Denn er wußte, daß er dem Generalkapitän Don Alonso de López y Marqués damit einen großen Gefallen tun würde. Letzterer kochte noch immer vor Wut, seit er einer Auseinandersetzung mit rätselhaft kampfstarken Korsarenschiffen westlich von Hispaniola mit knapper Mühe entronnen war. Mit dem Piratenunwesen in der östlichen Karibik sollte nun endgültig aufgeräumt werden. Don Pedro war stolz darauf, in dieser Angelegenheit gewissermaßen als Vorreiter auftreten zu dürfen. Als Kundschafter, der einen Schlupfwinkel nach dem anderen entdecken und für die Vernichtung bloßlegen würde.

Beide Marse waren mit Ausguckposten besetzt. Jede Bucht, und wenn sie noch so winzig war, wurde gründlich ausgespäht. Marodeure und Galgenstricke pflegten die unmöglichsten Orte als Verstecke zu benutzen. Letzten Endes war es gut möglich, daß das von dem „Franzmann“ bezeichnete Piratenschiff schon in eine andere Bucht verholt hatte.

Don Pedro de Harana zweifelte nicht im mindesten daran, daß seine Entscheidung richtig gewesen war. Nach der Flucht dieses Kerls, der sich Ernest Fabien nannte, hatte er zwei Landetrupps Seesoldaten ausgesetzt und mit der „Granada“ die Ankerbucht an der Südseite von Mariguana verlassen. Die Soldaten hatten den Auftrag, die Insel nach Norden zu durchqueren, um auf dem Landweg zu jener Bucht vorzustoßen, die der „Franzmann“ auf der Seekarte benannt hatte.

Die „Granada“ hatte unterdessen die Ostspitze der Insel gerundet und pirschte sich nun an der Nordküste auf westlichem Kurs voran. Etwa in der Mitte der Insel befand sich die Piratenbucht.

Aber welche Rolle spielte das schon! Don Pedro wippte bei diesem Gedanken heftiger auf den Zehenspitzen. Ha, er würde diese Hunde so oder so aufspüren, wohin auch immer sie sich verholt haben mochten. Denn daran, daß er durch den „Franzmann“ einer üblen Bande von Halsabschneidern auf der Spur war, gab es für ihn nicht den geringsten Zweifel.

Beweis dafür war die ungeheure Frechheit dieses Kerls.

Die Frechheit nämlich, einfach zu entwischen. Natürlich bewies das seine Gefährlichkeit. Und wenn einer von dieser Sorte war, dann konnte auch die ganze Bande nicht viel anders sein. Don Pedro bereute nachträglich, daß er diesen Fabien nicht in Eisen gelegt hatte. Seine Wut darüber, daß die Posten sich überrumpeln ließen, war noch immer nicht verraucht. Doch sein Jagdfieber hatte bereits die Oberhand gewonnen. Dieses Piratenschiff würde er unangespitzt in den Grund bohren. Mit einem Eisengewitter, das wie ein Höllengericht über die Galgenstricke hereinbrechen sollte.

Nach und nach lichteten sich mittlerweile die Nebelschwaden, zunehmende Helligkeit erfaßte den Küstenbereich. Unbändige Freude erfüllte den Capitán der „Granada“. Auch das Wetter war auf seiner Seite. Sehr bald würde die Sonne aufgehen, dann würde nicht einmal der Allmächtige mehr Gnade mit dem Piratenpack haben.

Aus einem plötzlichen Entschluß heraus wandte sich Don Pedro abrupt um. Mit hoch erhobenem Kopf, die Hände weiter auf dem Rücken, stelzte er auf die drei Offiziere zu, die vor der Heckbalustrade Aufstellung genommen hatten.

Kaum, daß er sich ihnen zugewandt hatte, gingen sie in Habtachtstellung. Nachlässigkeiten duldete er bei niemandem. Am allerwenigsten bei seinen Offizieren, die den Gemeinen ein ständiges Vorbild zu sein hatten.

In herrischer Pose blieb Don Pedro vor den drei Männern stehen, sah den Ersten an und reckte auffordernd das Kinn vor.

„Ich will noch einen Blick auf die Karte werfen“, sagte er knarrend. „Es muß doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir diese verdammte Bucht nicht bald erreicht haben.“

„Sofort, Capitán.“ Der Erste griff nach dem zusammengerollten Pergament, das er in der Tasche seines Wamses verstaut hatte. Er rollte die Karte auseinander und hielt sie mit beiden Händen senkrecht hoch.

„Und?“ Don Pedro bellte das eine Wort, daß es wie ein Pistolenschuß klang.

Der Dritte Offizier, der zugleich Navigator war, beeilte sich, einen Schritt näher heranzutreten. Mit dem Zeigefinger deutete er auf einen Punkt im nördlichen Küstenverlauf der Insel.

„Wir befinden uns jetzt ungefähr hier, Capitán. Die Piratenbucht …“

„Ungefähres will ich nicht wissen“, schnaubte Don Pedro. „Die genaue Position brauche ich, Mann! Wenn Sie Ihres Postens als Navigator nicht würdig sind, brauchen Sie es nur zu sagen. Vielleicht fühlen Sie sich überfordert. Wie? Habe ich recht?“

„Nein, Capitán.“ Der Dritte zog unwillkürlich den Kopf ein Stück tiefer zwischen die Schultern, als erwarte er eine körperliche Züchtigung.

 

„Widersprechen Sie mir nicht, Kerl!“ Don Pedro wippte mit einem energischen Ruck auf und ab. „Ich rate Ihnen, leisten Sie sich während dieser Fahrt keine weitere Schlampigkeit. Sonst sind Sie spätestens bei unserer Rückkehr nach Cartagena die längste Zeit Navigator auf diesem Schiff gewesen.“

„Jawohl, Capitán“, sagte der Dritte so klar und deutlich, wie er es trotz seiner Wut im Bauch zustande brachte.

„Und? Wie ist nun unsere genaue Position?“

Der Dritte tippte noch einmal auf die Stelle des Küstenverlaufs, die er zuvor schon angezeigt hatte.

„Genau hier, Capitán. Es kann sich folglich nur noch um genau zwei Minuten handeln, bis wir die besagte Piratenbucht in Sichtweite haben.“

Natürlich war diese genaue Zeitangabe hoffnungslos übertrieben. Aber der Dritte sah keinen anderen Ausweg, um Don Pedros Bedürfnis nach Genauigkeit zu erfüllen. Und eine gütige Fügung des Schicksals bestätigte die Angabe des Offiziers im nächsten Augenblick, noch bevor dieser Eisenfresser von einem Kapitän zu einer Entgegnung ansetzen konnte.

Die Stimme des Ausgucks ertönte aus dem Großmars.

„Deck! Größere Bucht Backbord voraus!“

Don Pedro de Harana vollführte eine zackige Kehrtwendung und stelzte voller Spannung zur Querbalustrade zurück. Am Backbordniedergang beugte er sich vor und starrte in das noch immer trübe Morgenlicht.

Wie um ihn zu besänftigen, brach in diesem Moment die Sonne über der östlichen Kimm hervor. Und von einer Minute zur anderen ergoß sich strahlende Helligkeit über die Karibische See.

Der Einschnitt im Küstenverlauf war jetzt überdeutlich zu erkennen.

„Backbordgeschütze klar zum Feuern!“ schrie Don Pedro. Er mußte sich bemühen, nicht gleichzeitig seine Freude hinauszubrüllen. Jetzt ging es dem Piratengesindel an den Kragen! Hier und jetzt, an diesem herrlichen Aprilmorgen, der sich von keiner besseren Seite hätte zeigen können. Im Handumdrehen würde dieser Fall erledigt sein, und dann konnte Punkt eins auf der Erfolgsliste abgehakt werden.

„Backbordgeschütze klar!“ meldete der Stückmeister vom Niedergang zur Back, wo er Stellung bezogen hatte.

Die Geschützmannschaften lauerten hinter den Bronzerohren, die Decksleute, die die Segel im entscheidenden Moment backzubrassen hatten, standen auf dem Sprung. In wenigen Augenblicken, so dachte Don Pedro voller Stolz, würde sich die „Granada“ in eine feuerspeiende schwimmende Festung verwandeln, gegen die niemand auch nur die geringste Chance hatte.

Ohnehin würde er das Gesindel im Schlaf überraschen. Mit Gegenwehr war praktisch nicht zu rechnen. Dieses faule Pack lag meist bis in die Mittagsstunden auf dem Ohr, fraß sich dann den Wanst voll und verbrachte den Rest des Tages bis in die späte Nacht damit, zu saufen und herumzuhuren. Für diesen lasterhaften Lebenswandel sollte sie jetzt das Gottesurteil treffen – und für ihre Frechheit, im Machtbereich der spanischen Krone ihr Unwesen zu treiben.

Die „Granada“ glitt auf die Mündung der Bucht zu. Auch die drei Offiziere waren jetzt an die Querbalustrade geeilt. Ungewollt hatten auch sie sich von der allgemeinen Spannung packen lassen. Absolute Stille war auf den Decks der Galeone eingekehrt. Mit zusammengepreßten Lippen wartete der Stückmeister auf das Zeichen, das ihm der Capitán jeden Moment geben mußte.

Die Weite der Bucht schob sich mehr und mehr ins Blickfeld der Männer.

Gähnende Weite! Paradiesisch leer!

Don Pedro de Harana war versucht, einen Fluch auszustoßen. Ein Capitán Seiner Allerkatholischsten Majestät, Philipp II, von Spanien, fluchte jedoch nicht, vor allem nicht in Anwesenheit von niederen Chargen.

Dann erblickte er die winkenden Soldaten am Strand. Ihre Helme und Brustpanzer schimmerten im strahlenden Schein der Morgensonne.

„Lassen Sie vor Anker gehen“, wandte sich Don Pedro mit müder Stimme an den Ersten Offizier. „Lassen Sie die Boote zu Wasser bringen und die Männer an Bord holen.“

„Jawohl, Capitán“, antwortete der Erste und salutierte. Dann hallte seine energische Befehlsstimme über die Decks.

Don Pedro drehte sich um, stelzte zur Heckbalustrade und starrte auf die See hinaus. Die freudige Erregung, die ihn vor Minuten noch erfüllt hatte, war düsteren Gedanken gewichen. Es konnte nicht sein, es durfte nicht sein. Nie und nimmer war er vom Pech verfolgt. Das Schicksal konnte sich nicht gegen ihn gewandt haben. Die Gerechtigkeit war doch auf seiner Seite. Es durfte einfach nicht angehen, daß es eine andere, fatale Gerechtigkeit gab, die auf der Seite des ostkaribischen Lumpenpacks stand. Don Pedro schickte einen flehentlichen Blick zum Himmel. Inbrünstig bat er den Allmächtigen, ihn mit gerechtem Zorn auf seinem dornenvollen Weg zu begleiten.

Unvermittelt durchzuckte ihn ein Gedanke. War das etwa schon ein Wink des Himmels? Warum hatte er nicht eher daran gedacht?

Die Buchten westlich von hier!

Natürlich. Dorthin konnten die Piraten verholt haben. Es gab nur diese eine Möglichkeit, denn sie konnten sich ja nicht in Luft aufgelöst haben.

Wenig später jedoch folgte die endgültige Ernüchterung für Don Pedro. Der Truppführer der Soldaten, ein Teniente, meldete sich auf dem Achterdeck, nachdem seine Männer an Bord gebracht worden waren.

„Ich bitte darum, meinen Bericht erstatten zu dürfen“, sagte der Teniente in jenem barschen Ton, den Don Pedro so sehr schätzte.

„Ich höre“, entgegnete de Harana gnädig.

„Wir haben die Bucht bereits vor mehr als einer Stunde erreicht, Capitán. Weder im Inneren der Insel noch am Strand der Bucht gab es die geringsten Anzeichen von menschlichem Leben. Nicht einmal Fußspuren haben wir entdeckt. Da wir genügend Zeit zur Verfügung hatten, haben wir die Trupps noch einmal geteilt und in vier Gruppen sämtliche Nebenbuchten nach Westen hin abgesucht. Ohne Ergebnis! Ein Piratenschiff gibt es hier nicht.“

Don Pedro de Harana starrte den Teniente an und brachte kein Wort hervor. Er hatte das Gefühl, als zöge ihm jemand die Planken unter den Füßen weg.

Der Erste Offizier konnte sich nun nicht mehr zurückhalten. Autorität hin, Autorität her – Unsinnigkeiten durften nicht die Oberhand gewinnen. In seinem Piratenwahn war Don Pedro ganz offenkundig einen Schritt zu weit gegangen.

„Es scheint sich also zu bestätigen“, sagte der Erste mit fester Stimme. „Der Franzose war ein harmloser schiffbrüchiger Seemann. Seine Aussage über das Piratenschiff war ganz einfach eine Notlüge, damit er vom Mast losgebunden wurde. Und weil wir das nicht getan haben, ist er eben aus Trotz über diese Behandlung geflohen. Seien wir ehrlich, Señor Capitán, jeder normale Mann hätte an seiner Stelle genauso gehandelt.“

Don Pedros Kopf ruckte herum. Mit funkelnden Augen starrte er den Offizier an.

„Was erlauben Sie sich!“ zischte er tonlos. „Ich verbitte mir solche unqualifizierten Bemerkungen. Daraus spricht ein gefährlicher Defätismus, den ich an Bord dieses Schiffes nicht dulde. Ich will das eben Gesagte nicht gehört haben. Haben Sie mich verstanden?“

Innerlich konnte der Erste nur den Kopf schütteln über soviel Verbohrtheit. Aber er begriff, daß er zu weit vorgeprescht war. In seinem derzeitigen Zustand war Don Pedro zu allem fähig. Wenn man ihn zu sehr reizte, würde er es unter Umständen sogar fertigbringen, einen Offizier in Ketten legen zu lassen.

„Jawohl, Señor Capitán“, erwiderte der Erste daher fügsam.

Don Pedro nickte grimmig.

„Wir können uns nicht die geringste Nachlässigkeit erlauben“, ereiferte er sich. „Denken Sie daran, Señores, welche Verantwortung auf unseren Schultern ruht. Die spanische Krone erwartet von uns, daß wir die verfluchten Piratenhorden ausrotten, wo immer wir sie antreffen. Und die Herrschaft Spaniens in dieser neuen, großartigen Welt ist gottgewollt. Der Allmächtige blickt also auf uns hernieder, und wir werden uns seinen Zorn zuziehen, wenn wir nicht die Erwartungen erfüllen, die das königliche Spanien in uns setzt.“ Er holte Luft.

Der Erste nutzte die Atempause, um ihn auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen. In dieser Stimmung brachte es Don Pedro fertig, noch eine stundenlange Predigt zu halten.

„Welchen Kurs schlagen Sie also vor, Capitán? Werden wir den weiteren westlichen Teil der Küste absuchen?“

Einen Moment blinzelte Don Pedro irritiert, da er in die Wirklichkeit zurückfinden mußte. Dann nickte er entschlossen.

„Selbstverständlich. Die Suche zu Lande kann die Suche zu Wasser nicht ersetzen. Ich brauche absolute Gewißheit, denn ich denke nicht daran, mich von primitiven Piraten hereinlegen zu lassen.“

„Und wenn wir keinen Erfolg haben sollten?“

„Auch damit muß man rechnen“, sagte Don Pedro gefaßt. „Nun, in einem solchen Fall werden wir dorthin zurückkehren, wo wir dieses gefährliche Subjekt namens Fabien in seiner Jolle gesichtet haben – zu den nördlichen Caicos-Inseln.“

Die Offiziere nahmen es hin. Sie wußten, daß es vertane Zeit war, noch den weiteren Küstenverlauf abzusuchen. Die „Granada“ ging ankerauf und setzte ihre Schleichfahrt fort. Insbesondere den Teniente wurmte es, daß man sein Erkundungsergebnis für nicht ausreichend hielt. Für nichts und wieder nichts waren seine Männer über die Strände marschiert. Aber er verzichtete auf eine entsprechende Bemerkung. Denn er wußte nur zu gut, daß Don Pedro de Harana sturer war als ein andalusischer Esel.

Es hatte überhaupt keinen Zweck, dem hochwohlgeborenen Capitán in irgendeiner Weise dreinreden zu wollen. So hofften die Männer an Bord der „Granada“, daß sich in allerkürzester Zeit eine noch unbekannte Macht erbarmte und ihm ein paar Piraten zum Fraß vorwarf. Denn erst dann würde er zufrieden und wieder ansprechbar sein.

Wie die Offiziere erwartet hatten, verlief die weitere Suchfahrt der Kriegsgaleone ohne jeden Erfolg. Der Teniente warf Don Pedro heimlich schadenfrohe Blicke zu. So erging es eben einem, der sich auf die Zuverlässigkeit anderer nicht verlassen wollte, weil er nur sich selbst für das Maß aller Dinge hielt.

Als die „Granada“ schließlich auf Ostkurs ging, waren seit der Flucht des „Franzmanns“ an die sechs Stunden vergangen – wertvolle Zeit, die man auf der Suche nach einem Phantomschiff vertrödelt hatte. Doch wenn es Don Pedro für sich selbst auch einsah, so würde er es den Männern gegenüber doch niemals zugeben. Seine „offizielle Meinung“ war und blieb, daß sich die Piraten in letzter Minute verdrückt haben mußten.

Im gleißenden Licht der Nachmittagssonne zeichnete sich jene bizarre Felsformation über der östlichen Kimm ab, die einem Fremden nichtssagend und eher abweisend erschienen wäre.

Für die drei Männer in der Jolle war der Anblick jedoch Anlaß genug, freudiges Gebrüll von sich zu geben. Immerhin war es seit Mel Ferrows wahnwitziger Haiverfolgung mehr als ungewiß gewesen, ob sie jemals wieder gemeinsam auf die Schlangen-Insel zurückkehren würden.

„Wie heißt es bei euch Engländern?“ sagte Roger Lutz, der schwarzhaarige Franzose. „Home, sweet home, stimmt’s?“

Mel Ferrow, der Mann mit dem Haizeichen, nickte. Die riesige Bißwunde eines Haies zog sich von seiner Schulter über den ganzen Rücken. Wenn es etwas gab, das der dunkelblonde Mann mit den wasserhellen Augen haßte, dann waren es Haie.

„Haargenau“, erwiderte er. „Unsere Muttersprache ist eben eine bildhafte Sprache, die für alle Lebenslagen etwas Passendes bereit hat.“

„Gib nicht so an“, knurrte Grand Couteau, der keinen anderen Namen hatte als eben diesen – „Großes Messer“. Er war klein und dunkelhaarig, und ein dünnes Bärtchen zierte seine Oberlippe. Als Messerkämpfer war er nicht zuletzt durch seine Schnelligkeit unübertroffen. Gegner, die das zu spüren gekriegt hatten, konnten allerdings nichts mehr darüber berichten, da sie nicht mehr am Leben waren.

„Was heißt angeben?“ sagte Mel Ferrow und grinste. „Es spricht zu euch Ernest Fabien, der ‚Franzmann‘, als Fachmann. Eure Sprache ist leider zu armselig, Messieurs. Tut mir aufrichtig leid, das sagen zu müssen.“

„Trautes Heim, Glück allein“, entgegnete Grand Couteau aufbrausend. „Ist das nichts?“

„Das trifft es nicht.“ Mel Ferrow grinste noch breiter.

Die vielen Punkte in der Iris von Grand Couteaus Augen funkelten wild.

„Französisch ist die Sprache der vornehmen Menschen“, erklärte er. „He, Roger, dir muß es doch einfallen. Was sagen wir für ‚Home, sweet home‘?“

Roger Lutz rieb sich das Kinn.

„Hm, ehrlich gesagt, ich bin zwar auch ein vornehmer Mensch, aber ich muß leider passen. Zu Hause ist da, wo das Herz ist, meine ich. Nenne mir einen Ort, an dem es eine schöne Frau gibt, und ich fühle mich da sofort heimisch.“

 

„Weiberheld“, sagte Grand Couteau abfällig. „Was hätte ich von dir anders erwarten sollen.“

„Aber ein vornehmer Weiberheld“, sagte Mel Ferrow lachend.

Roger Lutz stimmte mit ein, und schließlich ließ sich auch Grand Couteau von der Heiterkeit mitreißen. Die Wogen seines Temperaments glätteten sich. Letzten Endes war die immer näher ins Blickfeld rückende Schlangen-Insel Grund genug, friedlich und zufrieden zu sein.

Die Zeit verstrich nun sehr rasch, und bald darauf ragte der mächtige Felsendom zum Greifen nahe vor ihnen auf. Roger Lutz, der an der Ruderpinne saß, brachte die Jolle nach einem letzten Kreuzschlag auf Position und konzentrierte sich auf die Aufgabe, die ihm bevorstand. Zwar war es mit dem kleinen Boot wesentlich einfacher, den tückischen Mahlstrom zu überwinden, als mit einer Galeone. Dennoch erforderte es ein beträchtliches Maß an Geschicklichkeit.

Sie hatten einen günstigen Zeitpunkt erwischt. Der Mahlstrom zog in die Inselbucht. Mary O’Flynn, geborene Snugglemouse, würde nicht mehr lange auf die Krabben und Fische warten müssen, die sie für ihre kreolische Spezialität „Calaloo“ brauchte. Sehr bald würde es in der Inselkneipe „Old Donegals Rutsche“ also wieder jene scharfe Spezial-Suppe geben, nach der sich die Männer alle zehn Finger leckten. Wahrscheinlich hatte der alte O’Flynn recht, wenn er behauptete, daß „Calaloo“ selbst einen drei Tage scheintoten Seemann wieder auf die Planken brachte.

Schäumend und wirbelnd, mit unberechenbarem Sog, rauschte der Mahlstrom über das Höllenriff und durch die enge Dompassage. Mel Ferrow dachte an die Worte des Seewolfs, der davon gesprochen hatte, daß man hier erst das Tor zur Hölle durchsegeln müsse, um ins Paradies zu gelangen.

Der Wind füllte die beiden kleinen Segel der Jolle, und Ferrow steuerte sie mit eiserner Hand am Höllenriff vorbei. Jetzt, in der Gewalt des Mahlstroms, begann die Jolle zu tanzen und zu schlingern. Die unbekannten Kräfte aus der Tiefe schienen das Boot mitsamt seiner Fisch- und Krabbenladung gegen die Felsen donnern zu wollen.

Mit immer rascherer Fahrt jagte die Jolle auf die Passage zu. Roger Lutz und Grand Couteau klammerten sich an den Duchten fest und duckten sich. Dann war das hohe Rund des Felsendoms direkt über ihnen. Das Tosen und Gurgeln der Fluten verstärkte sich durch den Widerhall zu einem Brüllen. Einmal war die linke Wand des Felsendoms so nahe, daß Roger Lutz unwillkürlich zum Mast hin wich. Aber Mel Ferrow schaffte es. Der Mahlstrom spie die Jolle in die Bucht, wo sie gleich darauf an Fahrt verlor und auf die vor Anker liegenden Schiffe zuglitt.

Es war ein anheimelndes Bild für die drei Männer. Die Masten erinnerten sie ein wenig an die vertrauten Häfen im alten, finsteren Europa. Doch dorthin sehnten sie sich nicht mehr zurück. Die neue Heimat, die sie hier gefunden hatten, war wahrhaft paradiesisch, und das in jeder Beziehung. Jederzeit würden sie ihr Leben in die Waagschale werfen, wenn es darum ging, um die Freiheit dieser Insel zu kämpfen.

Fast alle Schiffe des Bundes der Korsaren lagen in trautem Beieinander in der Bucht. Da war die „Isabella“, von deren Hauptdeck die dröhnende Reibeisenstimme Edwin Carberrys herübertönte. Von „Affenärschen“ und „gelbgestreiften Bilgenratten“ war die Rede, und es bestand kein Zweifel, daß der Profos die Arwenacks in gewohnt zartfühlender Weise auf Trab zu bringen suchte.

Gleich neben der schlanken Galeone des Seewolfs lag der Schwarze Segler, Thorfin Njals düster wirkendes Schiff, das schon so manchen Gegner zur See das Fürchten gelehrt hatte. Weiter waren da Jean Ribaults „Le Vengeur III.“ und das Schwesterschiff „Tortuga“, die beiden letzten Neubauten, die auf Hesekiel Ramsgates Werft in Plymouth entstanden waren.

Jetzt hatte Ramsgate eine neue Werft in der Bucht der Schlangen-Insel, und der alte Schiffsbaumeister war glücklich, hier in Frieden und Freiheit seine Schaffenskraft einsetzen zu dürfen. Das jüngste Ergebnis seiner Arbeit war die „Empress of Sea“, der wendige kleine Spezial-Neubau für den alten O’Flynn. Außerdem gab es noch die „Santa Clara“, die, mit Silber beladen, von den Seewölfen vereinnahmt worden war, nachdem Arne von Manteuffel per Brieftaube einen entsprechenden Hinweis aus Havanna übermittelt hatte.

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