Seewölfe - Piraten der Weltmeere 559

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Seewölfe - Piraten der Weltmeere 559
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-966-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

Kolonie der Griechen

Der Kampf um ihr Erbe entbrennt – die Seewölfe geraten ins Kreuzfeuer

Das Wasser rauschte und gurgelte an der Außenbeplankung.

Feindliches Wasser.

Schwitzend und leise fluchend harrten die Männer in den Unterdecksräumen der Karacke „Lucia“ aus. Es war stickig, die Luft zum Schneiden. Dieses verfluchte türkische Marmara-Meer zeigte sich gleich zu Anfang von seiner unangenehmsten Seite.

Dabei standen die wirklichen Schwierigkeiten erst noch bevor. Davon war jeder einzelne Mann an Bord der Karacke überzeugt.

Und es behagte ihnen absolut nicht, daß ihr Kapitän sie ausgerechnet jetzt unter Deck geschickt hatte, damit sie sich versteckten.

„Diese Türken“, flüsterte Paolo, der Segelmacher, seinem Nebenmann Guilielmo zu, „sind ganz verfluchte Hunde. Sie hacken ihren Gefangenen erst die Hände ab, und dann schneiden sie ihnen die Zunge heraus …“

Die Hauptpersonen des Romans:

Giovanni Trebbiano – Der venezianische Capitano kennt keine Skrupel, um sein geheimes Ziel an der westlichen Schwarzmeerküste anzusteuern.

Igor Kabanow – Der russische Kapitän einer Dubas hat das gleiche Ziel wie Trebbiano, und auch er geht über Leichen.

Esther – Das glutäugige Weib ist die Ursache, daß Trebbiano einen seiner Offiziere eigenhändig um Haupteslänge verkürzt.

Mehmet Gülün – Der feiste Kaufmann betreibt nebenbei Piraterie und hält sich für besonders gerissen, aber da gibt es für ihn ein böses Erwachen.

Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf muß erkennen, daß es an den Schwarzmeerküsten alles andere als friedlich zugeht.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Guilielmo, ein einfacher Decksmann, bekreuzigte sich erschrocken.

„Ist das wahr?“ fragte er.

„Bei meiner Seele“, erwiderte Paolo mit ernsthaftem Nicken. „Ich habe es mit eigenen Ohren gehört. Im ‚Leone d’oro‘. Kennst du die alte Spelunke?“

„Und ob!“ entgegnete Guilielmo, und seine Augen leuchteten dabei.

Der „Goldene Löwe“ mochte eine Spelunke sein, wie Paolo sagte, aber die Signorinas, die man dort mit Perlen oder Silberstücken sehr freundlich stimmen konnte, waren samt und sonders erste Klasse. So etwas fand man in ganz Venedig kaum ein zweites Mal.

„Ja“, fuhr Paolo fort, „also, im Leone habe ich diesen portugiesischen Kapitän berichten hören. Ist erst ein paar Monate her. Sprach zwar ein fürchterliches Kauderwelsch, der Bursche, aber man konnte das wichtigste verstehen. Er war es, der von den Greueltaten der Türken berichtete. Und er wußte, wovon er sprach, denn er war gerade vom Bosporus zurückgekehrt. Ihm zuzuhören, war richtig furchterregend. Da drehte sich einem der Magen um, Guilielmo.“

„Warum bist du dann nicht einfach weggelaufen?“

„Dazu war’s nun wieder zu spannend. Und – was für einen Eindruck macht denn das, wenn du eine hübsche Signorina auf dem Schoß hast! Was soll sie von einem Kerl denken, der wegläuft, nur weil so ein Kerl Schauergeschichten erzählt?“

„Stimmt“, sagte Guilielmo, der diesen Teil der Schilderung in vollem Maße nachvollziehen konnte. „Weglaufen konntest du wirklich nicht. Aber du brauchst mir auch nicht mehr zu erzählen. Ich habe genug gehört. Also haben die Türken trotz Lepanto schon wieder das große Wort?“

„Die Schlacht von Lepanto hat den Türken die Macht im Mittelmeer genommen“, sagte Paolo mit der Großspurigkeit des Wissenden. „Sie sind aber auch nie wieder richtig mit dem Hintern hochgekommen. Es geht ja auch gar nicht um türkische Seestreitkräfte, mein lieber Guilielmo. Es geht um Piraten. Blutrünstiges Piratenpack!“

„Ist denn sicher, daß wir überhaupt welchen begegnen?“ fragte Guilielmo mit zittriger Stimme. Im Kampf war er alles andere als ein Feigling. Nur wenn ihm jemand Schauergeschichten erzählte, das wußten seine Gefährten, überlief ihn regelmäßig eine Gänsehaut.

„Der Capitano hat eine Nase dafür“, erwiderte Paolo. „Wenn er sagt, wir kriegen es mit Piraten zu tun, dann stimmt es.“

„Dagegen habe ich auch gar nichts einzuwenden“, sagte Guilielmo. „Aber daß wir uns vor den Galgenstricken verkriechen müssen, geht mir mächtig gegen den Strich.“

Paolo hob schulmeisterhaft den Zeigefinger. „Capitano Trebbiano weiß, was er tut, Amico. Verlaß dich ganz auf ihn. Den Türken haut er die Jacke voll, das schwöre ich dir.“

„Hoffentlich“, brummte Guilielmo.

Diesem Höllenhund Trebbiano war so ziemlich alles zuzutrauen. Der würde es sogar fertigbringen, sich von Türken gefangennehmen zu lassen, damit er sie hinterher übers Ohr hauen und doch noch seinen großen Profit kassieren konnte.

Der Mann auf dem Achterdeck der „Lucia“ war eine stattliche Erscheinung. Er hatte breite Schultern, schmale Hüften und muskulöse Beine. Seinen massigen Schädel krönte ein scharlachrotes Barett. Mit seinem mächtigen schwarzen Vollbart erinnerte Giovanni Trebbiano entfernt an den früheren englischen König Heinrich VIII., soweit man ihn von Bildern kannte.

Auch das Wams Trebbianos war aus scharlachrotem Samt gefertigt. Die Knöpfe glänzten golden im Schein der Morgensonne über dem Marmarameer. Ein friedliches Bild. Die Küste an Backbord war zerklüftet. Wogen brachen sich dort an bizarr geformten Klippen, der auf stiebende Gischt glitzerte in allen Regenbogenfarben.

Trebbiano ließ jedoch respektvollen Abstand von diesen Klippen halten, auch wenn es ihn noch so gereizt hätte, sich an Land einmal ein wenig umzuschauen. An sicheren Küsten dieser Art lebten oftmals ganze Heerscharen von Strandräubern. Da lohnte es sich bisweilen, ein wenig von den Schätzen mitgehen zu lassen, die solches Gesindel anhäufte.

Trebbiano wandte sich seinem Ersten Offizier zu, einem sehr schlanken Mann namens Enrique Marchioni. „Was meinst du, Enrique? Was schnuppert deine untrügliche Nase?“

Marchioni strich über seinen dünnen Oberlippenbart und lächelte. Er hob den Kopf, tat dabei, als müsse er noch einmal Witterung aufnehmen und sah seinen Capitano dann an. „Wir bleiben nicht mehr lange allein, Giovanni. Sie beobachten uns mit Argusaugen, die verdammten Bastarde. Und in ihren nichtsnutzigen Hirnen rechnen sie sich schon jetzt aus, was sie diesmal an Beute zusammenraffen werden.“

Trebbiano zog die Brauen hoch, stülpte die Unterlippe vor und nickte mehrmals beeindruckt. „Das trifft haargenau meine Ahnungen. Ich sehe, wir ergänzen uns wieder einmal hervorragend. Interessant dürfte nun werden, ob wir beide recht haben oder uns beide irren.“

Marchioni behielt sein Lächeln bei. Natürlich verschwieg er, daß er es vor allem gelernt hatte, die Ahnungen und Gedankengänge seines Kapitäns nachzuvollziehen. So fügte es sich, daß Marchioni stets ziemlich genau fühlte, was Trebbiano gerade im Sinn hatte.

Und es schmeichelte dem alten Halunken, wenn man so tat, als hätte man einen gewissen Instinkt, der sich rein zufällig mit seinen eigenen Erwartungen deckte. Überdies wußte Enrique Marchioni aus Erfahrung, daß es nicht gut war, eine andere Meinung zu haben als Trebbiano. Das venezianische Schlitzohr konnte so etwas auf den Tod nicht leiden.

Marchioni deutete mit einer Handbewegung zum Hauptdeck. Der Zweite und der Dritte Offizier stolzierten dort wie Pfauen auf und ab – an der Backbordseite, von Land aus gut sichtbar. Zwei Decksleute, die auf dem Vorkastell mit dem Aufschießen von Tauen beschäftigt waren, taten, als amüsierten sie sich heimlich über die aufgeplusterten Gecken.

„Meinst du, daß sie darauf hereinfallen, Giovanni?“

Der Kapitän der „Lucia“ stieß ein grollendes Lachen aus. „Und ob, mein Lieber, und ob! Sie werden in ihrer Gier geradezu besessen davon sein, auf unsere kleine Vortäuschung falscher Tatsachen hereinzufallen. Es ist menschlich, Enrique, nur menschlich. Unsereiner möchte doch im Grunde am liebsten das sehen, was ihm am wünschenswertesten scheint. Und wenn sich dieses Wünschenswerte dann noch so augenfällig präsentiert – ja, was will man dann mehr?“

Marchioni nickte. Das Schlitzohr hatte recht. Die Türkenbastarde würden in der Tat auf den Leim kriechen, davon war auch er überzeugt. Die beiden Offiziere auf dem Hauptdeck waren gekleidet wie reiche venezianische Kaufleute. Kostbar verzierte Hüte beschatteten ihre gepuderten Gesichter und schützten sie auf diese Weise vor der schon arg sengenden Sonne.

 

Ihre dreiviertellangen Mäntel aus kostbarer Seide waren nach der neuesten Mode geschneidert. Die Beinkleider schillerten enganliegend, die Schnallenschuhe funkelten blitzblank. Wie ein duftiger Hauch lugten die Halstücher aus dem Mantelkragen. Was die Männer spazierentrugen, war die vielbeachtete italienische Mode, wie sie auch von Elizabeth I., der englischen Königin, so sehr geschätzt wurde.

Die vermeintlichen Kaufleute, die als Passagiere auf der Karacke zu reisen schienen, waren der eindrucksvollste Anblick, der sich dem ahnungslosen Beobachter bot. Was man nicht einmal mehr aus zehn Yards Entfernung erkennen konnte, waren die übrigen Maßnahmen, die Capitano Giovanni Trebbiano ergriffen hatte.

So schien das Schiff keinerlei Geschütze an Bord zu führen. Die insgesamt acht Stückpforten an jeder Seite waren sorgfältig verschlossen und mit Persenningen getarnt, die Trebbianos Männer in den Farben und Linien der Außenbeplankung bemalt hatten.

Die beiden Drehbassen – je eine vorn und achtern – waren aus den Gabellafetten genommen worden, und letztere hatten die Männer ebenfalls aus den Halterungen entfernt. Beide Hinterlader lagen jedoch an Ort und Stelle bereit, um notfalls in Sekundenschnelle einsatzbereit zu sein.

Unvermittelt ließ sich der Ausguck mit halblauter Stimme vernehmen: „Deck! Mastspitze Backbord voraus!“

Trebbiano und Marchioni sahen sich an und grinsten.

Der Capitano hob sein Spektiv und spähte in die angegebene Richtung. In der Tat. Ein schlanker Einmaster glitt da hinter einer größeren Klippe hervor. Wahrscheinlich hatten die Burschen dort sichtgeschützt auf der Lauer gelegen. Die Klippe eignete sich jedenfalls hervorragend für diesen Zweck. Und sie war nur eine knappe halbe Seemeile vom Ufer entfernt. Ideale Ausgangsbasis für Piratenpack.

Trebbiano ließ das Spektiv sinken und schob es zusammen. Er brauchte es nicht mehr. Was folgte, würde ablaufen wie ein Uhrwerk. Er trat an die vordere Querbalustrade des Achterdecks.

„He, ihr beiden Pfeffersäcke!“ rief er mit Reibeisenstimme. „Gleich müßt ihr zeigen, wie gut ihr wirklich seid – als Schauspieler!“

Die beiden Offiziere waren bereits auf den herannahenden Einmaster aufmerksam geworden. Dennoch drehten sie sich erstaunt zu Trebbiano um.

„Sind wir denn nicht gut genug?“ entgegnete der Zweite grinsend. „Sehen Sie uns an, Capitano!“ Er vollführte eine gezierte Verbeugung, und der Dritte tat es ihm feixend nach. „Kriegen Sie nicht das Kotzen, wenn Sie zwei so geschniegelte Affen ansehen müssen?“

Trebbiano und der Erste Offizier lachten.

„Ich habe nicht gesagt, daß ihr eure Sache schlecht gemacht hättet – bis jetzt“, sagte Trebbiano dann. „Was ich meine, ist dies: Werdet ihr glaubhaft darstellen können, die Hosen vollzuhaben? Kurz bevor die türkischen Halunken entern?“

Den beiden Offizieren glitt das Grinsen aus dem Gesicht.

„Giovanni“, sagte der Dritte vorwurfsvoll. „Davon war aber nun wirklich nicht die Rede! Wie sollen wir denn so was anstellen?“

Trebbiano kicherte vor Vergnügen und hieb dem Ersten auf die Schulter. „Hörst du das, Enrique? Hörst du das? Sie haben die Hosen voll, weil sie die Hosen voll haben sollen!“

Marchioni konnte nicht mehr, er mußte losbrüllen vor Heiterkeit. Seine aufgeplusterten Gefährten auf dem Hauptdeck stimmten nach einem Moment mit ein, als sie begriffen, daß Giovanni Trebbiano es doch nur scherzhaft gemeint hatte. Im Ernstfall konnte er wahrhaftig keine vollen Hosen von ihnen verlangen.

„Ruhe jetzt“, befahl der Capitano schließlich und rückte sein scharlachrotes Barett zurecht. „Sonst denken die Krummsäbelschwinger noch, wir halten sie für Witzfiguren! Dabei wollen wir sie doch ernst nehmen, nicht wahr?“ Er genehmigte seinen Mannen ein letztes Lachen. Dann war Schluß.

Der Dritte Offizier gab einem der beiden Decksleute auf dem Vorkastell einen Wink. Der Mann nahm einen Belegnagel aus der Nagelbank des Vormastes, enterte zum Hauptdeck ab und gab die vereinbarten Klopfzeichen.

Die Männer unter Deck wußten nun, daß es nur noch Minuten dauern würde, bis der Teufelstanz begann. Denn was Giovanni Trebbiano in Szene setzte, wurde immer teuflisch – für die anderen.

Mehmet Gülün verstand sich als Kaufmann – als ein Kaufmann, der sowohl mit konventionellen als auch mit unkonventionellen Methoden arbeitete. Zu Lande kehrte er die redliche Seite des Kaufmannswesens hervor, wie sich das für einen honorigen Bürger insbesondere im Umgang mit einflußreichen Persönlichkeiten ziemte. Zur See, wo ihn außer seinen eigenen Leuten niemand beobachtete, gab sich Gülün jener Art der Besitzvermehrung hin, die von ehrbaren Menschen als Piraterie bezeichnet wurde.

Mehmet Gülün hatte indessen nie einen besonders großen Unterschied zwischen den beiden kaufmännischen Wesensarten, wie er sie bezeichnete, gesehen. Auch die sogenannten Ehrbaren nahmen ihre Handelspartner letzten Endes nach Strich und Faden aus. Wer den anderen nicht übervorteilte, mußte ein schlechtes Gewissen haben, weil er kein guter Kaufmann war. Sie bissen sich selbst in den Schwanz, diese Pfeffersäcke, die sich dauernd selbst etwas vorgaukelten.

Mehmet Gülün hatte seine Spezialanfertigung auf das Achterdeck des Einmasters bringen lassen, als ihm die Späher vor einer Stunde das Herannahen einer venezianischen Karacke gemeldet hatten. Seit Lepanto wußte man zwischen spanischen und venezianischen Schiffen sehr gut zu unterscheiden.

Die Türken hatten in der Schlacht ausführlich Gelegenheit gehabt, die Schiffsbauweise der verfluchten Ungläubigen zu studieren. Jetzt war man gezwungen, sie in einem zermürbenden Kleinkrieg zu bekämpfen. Insofern beanspruchte Gülün für sich, schließlich auch noch ein gutes Werk zu tun.

Seine Spezialanfertigung war eine Art länglicher Sessel, auf dem er halb sitzen und halb liegen konnte. Das untere, waagerechte Ende war breit genug, um auch noch einem zärtlichen weiblichen Wesen Platz zu bieten.

Gülün sah nicht ein, warum er sich nicht auch noch auf See verwöhnen lassen sollte. Zum Kämpfen hatte er seine Männer, die er gut bezahlte und die für ihn die Christenteufel reihenweise von den Planken ihrer Schiffsdecks fegten.

Er beschäftigte einen eigenen Kapitän, Ravet Özdal. Dessen Kommandos ertönten kurz und präzise über das Deck. Der Einmaster war nur mittelgroß und daher von einer Wendigkeit, die jedem dickbäuchigen Segler aus dem Christenland das Fürchten beibrachte.

Özdal verstand es überdies hervorragend, die Kerle zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Fleck zu beordern. Die Seemanöver erfolgten so genau, als könnte der breitschultrige türkische Kapitän jede Bö und jede Änderung der Windrichtung im voraus ahnen.

Mehmet Gülün war stolz darauf, als Schiffseigner über so hervorragende Männer zu verfügen.

Esther, die glutäugige Schöne zu seinen Füßen, strich sein Seidengewand glatt. Gülün genoß ihre zarten Handbewegungen, die sich nicht scheuten, selbst an den schwammigsten Körperteilen noch sanft und liebkosend zu sein. Esther, deren Herkunft niemand kannte, wußte eben, was eine Frau für gute Bezahlung zu leisten hatte.

Mancher anderen, die bei seiner Berührung vor Ekel zurückgeschreckt war, hatte er einen Tritt in den hübschen Hintern verpassen müssen. Diese hochnäsigen Weibsbilder durften das Ergebnis ihres Verhaltens nun in Gesellschaft der gemeinen Decksleute auskosten.

Esther war denn auch die einzige, die trotz einer bevorstehenden Kampfhandlung an Deck bleiben und sich um ihren Herrn kümmern durfte. Alles übrige Weibervolk hatte in den Unterdecksräumen auszuharren, bis das Gefecht vorbei war.

Esther schmiegte sich an seinen mächtigen Bauch. Sie streckte den rechten Arm aus und kraulte sein Dreifachkinn. Auf seinem massigen Kopf wirkte der Turban wie eine zu klein geratene Krone.

„Soll ich dir dein Spektiv bringen, mein Gebieter? Ich weiß, du magst es, die Christenbastarde noch einmal anzusehen, bevor du sie zu den Fischen schicken läßt.“

Gülün griff in eine Schale mit gezuckerten Kirschen und stopfte sich eine in den Mund.

„Du bist eine Perle“, sagte er anerkennend. „Ich schätze es, wenn eine Frau einem Mann jeden Wunsch von den Lippen abliest.“

„Aber das ist doch die Aufgabe einer Frau, mein Gebieter“, flötete sie und richtete sich auf, wobei sie noch einmal seinen Bauch tätschelte.

Er raffte sich auf, ihr einen Klaps auf das eindrucksvolle Hinterteil zu geben, bevor sie sich mit wiegenden Schritten zu Kapitän Özdal entfernte. Sie war schon ein berauschender Anblick, die hübsche Esther. Er hatte sie an Bord eines gekaperten Christenschiffes aufgelesen.

Sie wußte nicht, aus welchem Land sie stammte. Denn sie war ein Findelkind gewesen, das Seeleute von Küste zu Küste mitgeschleppt hatten. Sie war aus Gefahrensituationen gerettet und in immer neue Gefahren gebracht worden. Jetzt, bei ihm, Mehmet Gülün, hatte sie das wohl angenehmste Leben, das sie sich auch nur hatte vorstellen können.

Sie brachte das Spektiv und hielt es so, daß er sich nur ein Stück aufzurichten und es ans Auge zu nehmen brauchte.

„Der Kapitän sagt, es sei ein Kauffahrer. Keine Armierung festzustellen. Die Kerle verlassen sich wohl auf ihren Hochmut und glauben, daß die Türken ein für allemal den Schwanz eingezogen hätten.“

Gülün lachte und gebot Esther mit einer Handbewegung, sich wieder an ihren angestammten Platz zu begeben. Sie gehorchte sofort und nahm ihre gewohnte Streicheltätigkeit erneut auf. Gülün sah unterdessen die Beobachtung seines Kapitäns bestätigt.

Diese blasierten Bastarde, die dort hinter der Verschanzung auf und ab stolzierten, würden in wenigen Minuten ihr blaues Wunder erleben. Bis jetzt schienen sie noch nicht einmal zu ahnen, was ihnen blühte.

Ravet Özdal gab Befehl, die Geschütze des Einmasters zu richten. Sechs Zwölfpfünder, drei auf jeder Seite. Wahrscheinlich würde man sie nicht einmal brauchen, denn in den meisten Fällen zeigten die zu Tode erschrockenen Handelsfahrer die weiße Flagge, bevor man ihnen ein paar häßliche Löcher in die Außenbeplankung stanzte.

Gülün kicherte voller Vorfreude, setzte das Spektiv ab und ließ sich schnaufend zurücksinken. Zur Belohnung für die anstrengende Tätigkeit des Beobachtens gönnte er sich eine weitere gezuckerte Kirsche.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?