Seewölfe - Piraten der Weltmeere 446

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 446
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Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-854-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

Der Pulverturm

Sie sprengten den Turm – aber drei ihrer Männer blieben zurück

Der Franzose Le Testu führte den kleinen Trupp, der nach Arica aufgebrochen war, um zu erkunden, wo man die Dons ein bißchen zwicken konnte. Und so sickerten sie in die Hafenstadt ein und hatten sehr schnell spitz, wo sie ansetzen konnten. Da war zum Beispiel der Gefängnishof an der Plaza, der in diesen Tagen dazu diente, dort die Indios zu sammeln, die nach Potosi verschleppt werden sollten. Diese Tatsache hatten Roger Lutz und Grand Couteau herausgefunden, wobei ein Sargento über die Klinge gesprungen war, die Roger Lutz bravourös geführt hatte. Dann brannte es plötzlich vor Mitternacht am Hafen, und als die Dons dorthin stürzten, um zu löschen, war der Weg für Le Testus Männer zum Gefängnishof frei, um die Indios zu befreien …

Die Hauptpersonen des Romans:

Ferris Tucker – der riesige Schiffszimmermann läßt sich von einer Kopfwunde nicht weiter beeindrucken.

Al Conroy, Batuti und Roger Lutz – die drei Männer geraten in die Gewalt der Spanier und werden an den Pranger gestellt.

Diego de Xamete – der Bürgermeister von Arica meint, einer großen Sache auf der Spur zu sein.

Le Testu – der Hugenotte läßt keinen seiner Kameraden im Stich.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Ein unvergleichlich würziger Geruch wehte den Männern in der Jolle entgegen, hüllte sie buchstäblich ein und ließ ihnen das Wasser im Mund zusammenlaufen. Auflandiger Wind drückte die Luftströmungen in die Felsenbucht hinunter, so daß die feinen Rauchschwaden dicht über der Wasseroberfläche schwebten und daran gehindert wurden, himmelwärts zu zerfasern.

Der Ursprung jener Rauchschwaden war den Männern unter dem Kommando von Gustave Le Testu nur zu gut bekannt. Ein regelrechtes Heimkehrgefühl stellte sich bei ihnen ein, und ohne daß sie es selbst bemerkten, pullten sie schneller. Hingebungsvoll schnupperten sie nach dem Räucherduft. Roger Lutz schloß dabei sogar verzückt die Augen.

Grand Couteau, der neben seinem schwarzhaarigen Landsmann auf der Ducht saß, bemerkte es mit einem Seitenblick und schüttelte grinsend den Kopf. Dann knuffte er Roger mit dem Ellenbogen in die Seite, ohne dabei das Pullen einzustellen. Hier, zwischen den hohen Felswänden, hing das Segel schlaff nach unten wie ein nasser Lappen.

Roger zuckte zusammen und blinzelte unwillig. Giftig fauchte er den kleinen Mann mit dem Namen „Großes Messer“ an.

„Was fällt dir ein, mich in meinen Tagträumen zu stören? Paß auf, daß ich dir nicht gleich die Ohren langziehe und über deinem häßlichen Schädel zusammenknote.“

Le Testu und die anderen grinsten. Roger Lutz, der große Charmeur vor dem Herrn, litt noch immer unter der Tracht Prügel, die er wegen seines amourösen Alleingangs zur Galeone der Komödianten erhalten hatte. Auch Grand Couteau, sein bester Freund, hatte sich seinerzeit an der Maßregelung beteiligt – gerechterweise.

Wenn Roger auch inzwischen vielfache Gelegenheit zur Besserung gehabt und sie eifrig genutzt hatte, so würde er dank seines Temperaments doch zweifellos nicht die Chance vertun, sich ein bißchen zu revanchieren. Grand Couteau zog es deshalb vor, sich in gemäßigter Form zu äußern.

„Wollte nur sagen, wie schön der Himmel heute ist. Klar und blau und ohne ein Wölkchen. Da kann man doch nicht einfach die Klüsen abschotten.“

„Was interessiert mich der Himmel“, entgegnete Roger und legte theatralisch den Kopf in den Nacken, wobei er besagte Klüsen verdrehte. „Sinnliche Genüsse sind es, die einen Mann in Verzückung bringen. Aber davon habt ihr Holzköpfe natürlich keinen blassen Schimmer.“

„Mein Gott!“ Montbars, der hochgewachsene Korse mit den jettschwarzen Augen, seufzte. Sein graues Haar glänzte wie Silber, obwohl das Sonnenlicht an dieser Stelle der Einfahrt zur Bucht lediglich von den Felswänden reflektiert wurde. „Jetzt fängt er wieder mit seinen Weibergeschichten an.“

„Narr“, sagte Roger mit einem verächtlichen Zischlaut. „Hab’s doch immer gewußt, daß ihr Inselaffen nichts anderes versteht, als eure Schafe zu rupfen.“

Furchen des Zorns kerbten sich in das kantige Gesicht des Korsen. Wie viele seiner Landsleute konnte er aufbrausend und unbeherrscht werden, wenn es um die Ehre seiner Heimat ging. Seine Fäuste krampften sich um den Riemen. Es fehlte nicht viel, und er wäre aufgesprungen, um das Schandmaul zu stopfen. Doch der warnende Blick Le Testus traf ihn von der Achterducht her. So begnügte sich Montbars damit, sich ruckartig umzuwenden, da er dem schwarzhaarigen Franzosen den Rücken zuwandte.

„Erstens, du Festlandratte, werden Schafe nicht gerupft, sondern geschoren. Und …“

„Wollte nur mal sehen, ob du aufpaßt“, sagte Roger glucksend.

„… den Festlandsratten“, fuhr Montbars mit erhöhter Stimme fort, „zieht man zweckmäßigerweise das Fell über die Ohren.“

„Du hast was vergessen“, sagte Roger mit beharrlichem Feixen. „Wenn du schon Ed Carberry nachäffst, dann mußt du wenigstens dran denken, daß das Fell in Streifen abgezogen wird. Klar?“

„Ich verstehe sehr gut“, entgegnete der Korse leise und drohend. „Ich verstehe auch, daß du – zweitens – verdammt schlecht über die Geschichte Bescheid weißt. Korsika ist bekanntlich eine Insel im Mittelmeer.“ Montbars sah sich mit schulmeisterhafter Miene um, drehte sich wieder nach vorn und sprach weiter, wobei er Roger Lutz den Rücken zuwandte, während er pullte. „Es ist richtig, daß auf Korsika Affen gelebt haben, allerdings nur bis vor etwa tausend Jahren. Die Biester vermehrten sich so rasend schnell, daß meine Vorfahren beschlossen, sie aufs Festland umzusiedeln. Gesagt, getan. Korsika war frei von Affen, und La Grande Nation entstand – Frankreich. Wenn man einen gewissen Monsieur Lutz betrachtet, kann man seine Abstammung noch sehr genau erkennen: an den Resten des schwarzen Affenpelzes, das seinen Schädel bedeckt – wie in den meisten Fällen.“

„In den meisten Fällen?“ fragte Albert kichernd. Einst war er als der „Bucklige von Quimper“ seinen trüben Geschäften nachgegangen. Den hölzernen Buckel trug der hagere Mann mit dem wirren Haar aber schon lange nicht mehr. „Es gibt ja auch Leute, die den Affenpelz auf der Brust tragen.“

Roger Lutz drehte sich wütend zu ihm um.

„Du Affenarsch! Bist du Franzose? Oder was? Mußt du dich selber lächerlich machen?“

„Wieso denn?“ erwiderte Albert mit verblüfftem Stirnrunzeln. „Ich habe doch nur gesagt …“

„Nichts kapiert hast du“, knurrte Roger aufgebracht. „Daß dein korsischer Kumpel versucht, uns eins unterzujubeln, ist dir wohl nicht klargeworden, was?“

„Mir ist nur klar, daß du mal wieder keinen Spaß verstehst“, entgegnete Albert, verzog sein furchterregend häßliches Gesicht zu einem Grinsen und wechselte einen zwinkernden Blick mit seinem Nebenmann Donald Swift, dem langhaarigen Engländer mit dem Kinnbart.

Montbars grinste zufrieden.

„Jetzt reicht es“, sagte Gustave Le Testu energisch. Mit der freien Hand strich er über sein schmales Oberlippenbärtchen und sah die Männer mit forsch funkelnden Augen an. Er war stolz, das Erkundungsunternehmen Arica erfolgreich zu Ende geführt zu haben. Dieser Erfolg sollte jetzt nicht durch seine streitsüchtigen Landsleute getrübt werden. „Ihr reißt euch gefälligst zusammen, verstanden? Monsieur Carberry in allen Ehren, aber ihr braucht ihm nicht nachzueifern und euch mit seinen Kraftausdrücken zu messen. Das kann er selbst am besten.“ Le Testu knurrte grimmig, und er war zufrieden, daß ihm keiner widersprach.

Ihm bedeutete es sehr viel, daß er von Ben Brighton mit der Führung des Unternehmens betraut worden war. Als Hugenotte war Le Testu in Frankreich verfolgt und zum Wegelagerer geworden. Jetzt, bei den Männern um Philip Hasard Killigrew, fühlte er sich zum ersten Male als Gleichberechtigter, dessen Leistungen man anerkannte.

Trotzdem mußte Roger Lutz das letzte Wort haben.

„Es ändert nichts daran, Freunde, daß ihr keine Genießer seid. Ihr begreift nicht, was im Leben wichtig ist. Ich dagegen genieße in vollen Zügen.“ Er hob den Kopf und schnupperte abermals mit geschlossenen Augen. „Zur Zeit ist der Gaumen angesprochen. Was kann man sich in dieser Wildnis Schöneres vorstellen als geräucherten Fisch? Seht ihr, das ist es, was man mit all seiner Vorstellungskraft auskosten muß. Und dann denkt mal an das Sprichwort, daß Liebe durch den Magen geht. Merkt ihr was? Die sinnlichen Genüsse liegen sehr nahe beieinander: ein schmackhaftes Essen und eine schöne Frau sind durchaus zu vergleichen.“

 

Ferris Tucker knurrte mißbilligend. Der rothaarige Schiffszimmermann aus der Crew des Seewolfs hob die Linke vom Riemen und tippte sich an die Stirn.

„Mister Lutz, du spinnst.“

„Ihr Engländer versteht sowieso nichts von ‚l’amour‘!“ rief Roger aufbrausend. „Euch fließt doch nur Fischblut in den Adern!“

Ferris pullte unverdrossen weiter.

„Wenn man diese Franzmänner faseln hört, sollte man meinen, daß die ganze Welt bald nur noch aus Franzosen besteht.“ Er grinste Al Conroy an, seinen Nebenmann. Der schwarzhaarige Stückmeister grinste zurück.

„Was soll denn das nun wieder heißen?“ sagte Roger Lutz knurrend.

„Ist das so schwer zu kapieren?“ entgegnete Al anstelle seines hünenhaften Duchtnachbarn. „Nur ihr Frenchies versteht was von Liebe, hast du gesagt. Also müßtet ihr die einzigen sein, die überhaupt fähig sind, Nachwuchs in die Welt zu setzen. Von daher müßte unsereins schon längst ausgestorben sein, stimmt’s?“

„Interessanter Gedanke“, entgegnete Roger Lutz nachdenklich. „So unrecht hast du gar nicht, glaube ich. Wie das mal in ein paar Jahren aussieht auf der Welt …“

Le Testus energische Stimme fuhr dazwischen.

„Gerede einstellen! Man erwartet ernsthafte Berichte von uns. Monsieur Brighton und die anderen müssen ja denken, daß wir einen Spaziergang hinter uns haben.“

„Viel mehr war’s doch auch nicht“, erklärte Roger Lutz großspurig. „Mir hat es jedenfalls mächtig Spaß bereitet. Vor allem, daß dieser Misthund von einem Sargento seine gerechte Strafe empfangen hat.“

„Ruhe jetzt“, herrschte Le Testu ihn an. „Ich gebe Befehle nicht gern zweimal.“

Roger tat respektvoll und zog den Kopf zwischen die Schultern.

Die anderen grinsten. In der Tat hatte er in Arica eine beachtliche Leistung vollbracht, als er jenen Sargento im Säbelduell tötete. Anacoana, das Indiomädchen aus dem Tacna-Tal, hatte ein Porträt des Menschenschinders gezeichnet.

Niemand vermochte genau zu sagen, wie viele der unschuldigen Ureinwohner dieses Landes der Sargento auf dem Gewissen hatte. Wahrscheinlich hatte er es selber nicht genau gewußt. Doch Anacoanas gelungene Zeichnung hatte ihn durch Roger Lutz der gerechten Strafe zugeführt. Und zur Flucht hatte ihm wiederum eine Frau verholfen – Margarita, das Hafenmädchen, das einen so klugen Kopf bewiesen hatte.

Le Testu gab Order, die Riemen binnenbords zu nehmen. Geschickt steuerte er die Jolle an der Backbordseite der „Estrella de Málaga“ längsseits. Freudige Begrüßungsrufe ertönten. Auch drüben, auf der „San Lorenzo“ beugten sich die Männer über die Verschanzungen und winkten. Sie alle hatten längst gesehen, daß die Jollenbesatzung vollständig war. Wenigstens hatte es keine Verluste gegeben. Jeder konnte sich ausrechnen, daß das Erkundungsunternehmen zumindest in diesem Punkt erfolgreich verlaufen war.

Über die Decks der „San Lorenzo“ klangen Befehle. Ein Beiboot wurde gefiert und bemannt. Während Le Testu seinen Männern voran über die Jakobsleiter aufenterte, näherte sich das Beiboot der Galeone mit rascher Fahrt.

Jan Ranse hatte den Platz auf der Achterducht eingenommen. Der untersetzte Holländer mit dem wüsten blonden Vollbart vertrat Jean Ribault als Kommandant der „San Lorenzo“. Das Oberkommando über beide Schiffe führte indessen Ben Brighton in seiner Eigenschaft als Stellvertreter des Seewolfs.

Auf dem Achterdeck der „Estrella de Málaga“ gab es eine freudige Begrüßung. Auch Philip und Hasard, die Söhne des Seewolfs, waren anwesend, desgleichen Araua, die gemeinsame Tochter von Philip Hasard Killigrew und der Schlangenpriesterin Arkana.

Big Old Shane, der hünenhafte Schmied von Arwenack, hieb den Zurückgekehrten auf die Schultern, daß es krachte. Und Batuti, der schwarze Riese aus Gambia, entblößte seine perlweißen Zähne zu seinem unvergleichlichen Lächeln. Nachdem auch Jan Ranse eingetroffen war, forderte Ben Brighton den Hugenotten auf, mit seinem Bericht zu beginnen.

Roger Lutz und die anderen konnten sich unterdessen gelegentliche Blicke zum Ufer nicht verkneifen, wo die Fischräucherei in Betrieb war. Saftige Anchovetas wurden dort vom Kutscher und Mac Pellew fachkundig gegart. Höchste Zeit, daß der goldfarbene Gaumenkitzel aufgetischt wurde!

Le Testu schilderte, wie sie einen Unterschlupf außerhalb von Arica gefunden hatten und dann im Zweiertrupp auf Erkundung gegangen waren. Im Gefängnishof waren Indios zusammengepfercht und für den Abtransport nach Potosi vorbereitet worden. Nach den Erkundungen, wozu auch Rogers Säbelduell mit dem Sargento gehört hatte, waren Le Testu und seine Männer übereingekommen, das Waffendepot und die nahe gelegenen Vorratsschuppen anzuzünden. Alles hatte planmäßig geklappt. Im Durcheinander während der Brände war es ihnen gelungen, zum Gefängnishof vorzudringen und die Indios zu befreien.

„Auf dem Rückzug“, schloß Le Testu lächelnd, „hat auch noch ein besonders ehrenwerter Señor sein Fett abgekriegt. Aber das solltest du besser selbst erzählen, Monsieur Tucker.“

Der Schiffszimmermann winkte ab.

„Unsinn. War doch nicht der Rede wert. Braucht man doch nicht extra zu erwähnen, so was.“

Ben Brighton sah ihn an und schüttelte tadelnd den Kopf.

„Soll das jetzt eine besonders raffinierte Art sein, uns auf die Folter zu spannen? Heraus damit, Ferris!“

„Na ja, also …“ Tucker zog die Schultern hoch und grinste. „Da mußte uns doch ausgerechnet noch so eine feine Prunkkarosse in die Quere geraten. Ich konnte einfach nicht widerstehen. Was soll ich sagen, die Flaschenbombe rollte genau wie vorgesehen, und heraus flog ein Fettsack namens Diego de Xamete. Seine Schrammen und Beulen konnten wir leider nicht mehr zählen.“

Ben Brighton und die anderen lachten, wurden aber sehr bald wieder ernst.

„Ihr habt eure Aufgabe hervorragend bewältigt. Alle Achtung.“ Er nickte dem Hugenotten anerkennend zu.

Le Testu straffte stolz seine Haltung und wurde tatsächlich ein wenig rot um die Ohrläppchen.

„Man konnte es kaum mit ansehen, wie die armen Geschöpfe am Pranger mißhandelt wurden“, sagte er. „Es war schon fast so etwas wie eine Pflicht, die armen Kerle zu befreien.“

„Für die Dons mehr als ein Piekser mit der Nadel“, sagte Big Old Shane mit grimmiger Genugtuung. „Daß sie in ihrem verdammten Silberberg in Potosi nicht genug Arbeitskräfte haben, wissen wir ja. Sonst hätten sie nicht den Hundesohn Carrero auf Sklavenfang losgeschickt.“

„Und sie hätten sich erdreistet, auch noch gegen die Padres im Tacna-Tal vorzugehen“, sagte Ben Brighton. „In Europa würde uns das kein Mensch glauben, daß sich die Spanier in der Neuen Welt an Mönchen vergreifen, um sie in ihren Minen schuften zu lassen.“ Er räusperte sich und blickte in die Runde. „Noch irgendwelche Fragen zu diesem Teil der Erkundung?“

Jan Ranse meldete sich zu Wort.

„War schon eine feine Sache“, sagte er dröhnend. „Aber ich denke, das reicht noch nicht. Damit sind wir doch wohl nicht zufrieden, oder? Jetzt sollten wir den Dons in ihrem verlausten Hafen erst richtig die Jacke voll hauen.“

„Dabei bleibt es auch“, entgegnete Ben Brighton und nickte. Er sah Le Testu fragend an. „Wie steht es also mit den weiteren Maßnahmen?“

„Das sollte Monsieur Conroy erklären“, erwiderte der Hugenotte. „Er ist der Fachmann.“

Ben gab ihm einen Wink, und der schwarzhaarige Stückmeister legte mit einer Schilderung los, die seine Zuhörer in blankes Erstaunen versetzt hätte, wenn ihnen sein unübertroffenes Erinnerungsvermögen und seine Liebe zum Detail nicht geläufig gewesen wären.

Für jene, die Arica noch nicht gesehen hatten, entwarf Al Conroy mit seiner Schilderung ein so plastisches Bild, daß sie sich jede Einzelheit genau vorstellen konnten. Im Mittelpunkt dieses Bildes stand der Pulverturm auf der Landzunge am Südende des Hafens von Arica.

„Das wird eine höllisch harte Nuß“, sagte Big Old Shane, nachdem der Stückmeister geendet hatte. „Aber daran, daß wir diesen Turm in die Luft jagen, führt kein Weg vorbei.“

„Gar keine Frage“, sagte Ben Brighton. „Oder ist jemand anderer Meinung?“ Er sah die Männer an und wartete auf eine Äußerung, doch da gab es keine Widerrede. Ben nickte zufrieden und fuhr fort: „Also ein einstimmiger Beschluß. Wie ihr wißt, hat Hasard vor, die Schiffe im Hafen von Arica zusammenzuschießen, bevor wir endgültig abziehen. Damit wollen wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Erstens schalten wir gleich auf Anhieb mögliche Verfolger aus. Und zweitens mindern wir den Schiffsraum, den die Spanier auf der Pazifikseite der Neuen Welt zur Verfügung haben.“

Die Männer murmelten Zustimmendes. In ihren Augen begann das verwegene Feuer zu glimmen, das ihren Mut und ihre Entschlossenheit widerspiegelte. Ja, sie waren versessen darauf, den Menschenschindern und Ausbeutern eine empfindliche Schlappe zuzufügen, bevor sie wieder zur Schlangen-Insel zurückkehrten.

„Keine Schiffe – keine Schatztransporte nach Panama“, sagte Jan Ranse strahlend. „Was Besseres könnte uns gar nicht gelingen!“

„Eben drum“, sagte Ferris Tucker. „Wenn wir die Schiffe zu Klump schießen wollen, ist uns das Befestigungswerk der Dons im Wege. Hübsch mit Kanonen gespickt ist die ganze Anlage, und oben auf dem Pulverturm haben sie jede Menge Drehbassen. Wenn die Dons uns damit unter Feuer nehmen, haben wir nichts mehr zu lachen.“

„Ist doch klar“, sagte Batuti. „Den Pulverturm blasen wir um. Das haben wir beschlossen. Also was redest du noch herum, Mister Tucker?“

„Wollte das nur noch mal richtig verklaren“, brummte der Schiffszimmermann.

„Vor allen Dingen wird das bestimmt kein Spaziergang“, fügte Al Conroy hinzu. „Da marschieren wir dem Gehörnten direkt vor den Schürhaken, wenn wir Pech haben.“

„Wie ist das mit der Mauer?“ fragte Ben Brighton. „Führt die um das ganze Befestigungswerk?“

„Rundherum“, erwiderte der Stückmeister. „Ursprünglich war die Landzunge ja mit dem Ufer verbunden. Die Dons haben aber einen Graben herausgehauen und eine Zugbrücke gebaut. Das ist auch der einzige Zugang zur Anlage. Nachts wird die Brücke hochgezogen. Das Ganze sieht dann aus wie eine richtige Wasserburg. Und mittendrin steht unser Pulverturm. Ja, Flügel müßte man haben, dann wäre alles kein Problem.“

„He, da fällt mir was ein!“ rief Smoky mit aufleuchtenden Augen. „Das wäre eine Aufgabe für unseren Papagei- und Hühnerfachmann. Wenn wir schon mal in der Gegend sind, könnte der gute alte Ed die Gelegenheit nutzen und einen kleinen Kondor fangen. Den nimmt er an seine Mutterbrust, päppelt ihn auf und dressiert ihn für den Transport von Flaschenbomben. Wäre das nichts, was, wie?“ Er blickte seine Gefährten an, einen nach dem anderen, doch seine Begeisterung wollte nicht recht überspringen.

„Zur Zeit wird unser Profos in Potosi andere Sorgen haben, als an Viehzeug zu denken“, sagte Ben Brighton. Womit er sich gründlich irrte, denn er konnte natürlich nicht wissen, daß Ed Carberry mittlerweile mit dem Maulesel Diego ein vierbeiniger Freund ans Herz gewachsen war.

„Bleiben wir mal auf dem Boden der Tatsachen“, sagte Big Old Shane. „Wenn wir den Pulverturm knacken wollen, müssen wir in die Befestigung rein. Da gibt’s keine andere Lösung.“

Gustave Le Testu meldete sich erneut zu Wort, indem er die Hand hob und sich vernehmlich räusperte. Ben gab ihm ein zustimmendes Handzeichen.

„Wenn es diese verdammte Zugbrücke nicht gäbe“, sagte der Hugenotte, „dann hätten wir es uns schon überlegt, ob wir mit der Befreiung der Indios in einem Zug nicht auch den Turm abräumen. Denn ohne die Zugbrücke könnte man sich ja von Land her an die Befestigung heranschleichen. Auf der Landzunge gibt es unterhalb der Mauer schließlich jede Menge Felsbrocken, die man als Deckung ausnutzen kann.“

„Das ist auf jeden Fall ein Vorteil“, entgegnete Ben Brighton. „Uns bleibt so oder so nur die Möglichkeit, von See her mit einer Jolle zur Festung vorzudringen – und zwar bei völliger Dunkelheit. Dann heißt es eben, ungesehen über die Wehrmauer zu klettern und an den Pulverturm zu gelangen. Was hältst du davon, Al?“ Er wandte sich dem Stückmeister zu.

„Immer noch riskant genug“, sagte Al Conroy. „Auf der Turmplattform stehen nämlich Posten, und zwar die ganze Nacht über, da bin ich völlig sicher. Auf der Plattform haben sie Drehbassen, wie gesagt, und hinter den Mauerzinnen Kanonen verschiedenen Kalibers. Ein paar schwere Brummer sind dabei, wohl gleichzeitig mit für die Verteidigung der Hafenbucht gedacht.“

 

„Gibt es eine Verbindung zwischen Pulverturmplattform und den Geschützen der Festungsmauer?“ fragte Ben Brighton.

Al Conroy schüttelte den Kopf.

„Nichts dergleichen. Wir haben uns den Bau von allen Seiten angesehen. Das wäre uns aufgefallen.“

„Gut“, sagte Ben und nickte. „Ferris und Al, ihr zeichnet uns das Ganze auf, und dann überlegen wir, wie wir am besten vorgehen.“

Die Zwillinge liefen bereits los, um Papier und Feder zu holen. Wenige Minuten später waren Ferris Tucker und Al Conroy auf den flanken des Achterdecks damit beschäftigt, eine Skizze vom Befestigungswerk in Arica zu entwerfen. Ben Brighton und die anderen blickten ihnen dabei über die Schultern.

Schon bald darauf, noch bevor sie die Zeichnung vollendet hatten, war sich der Erste Offizier darüber im klaren, wo bei dem Unternehmen der wunde Punkt lag.

„Die kritische Phase ist das Annähern mit der Jolle und das Eindringen in den Pulverturm“, sagte Ben. „Wir können uns dabei nicht allein auf den Schutz der Dunkelheit verlassen. Das reicht nicht aus. Der Trupp, der in das Befestigungswerk vordringt, braucht zusätzliche Sicherheit.“

„Da hilft nur Ablenkung“, sagte Big Old Shane, und die übrigen Männer nickten beipflichtend.

„Also werden wir im Hafen wieder ein bißchen zündeln“, sagte Le Testu mit breitem Grinsen. „Das hat beim erstenmal prächtig geklappt. Warum nicht auch beim zweitenmal?“

„Eben“, entgegnete Ben Brighton und nickte. „Eine bessere Lösung gibt es nicht. Die Posten auf dem Pulverturm werden ihre Aufmerksamkeit auf den Hafen richten, wenn es dort rumort. Für den anderen Trupp wird dann das Annähern, Landen und Eindringen über die Mauer möglich sein.“

„Trotzdem sollten wir aber eine stockfinstere Nacht abwarten“, schlug Roger Lutz vor. „Doppelt genäht hält bekanntlich besser.“

Nachdem die Zeichnung fertig war, beratschlagten die Männer nicht mehr lange. Der Plan stand fest, und es ging daran, Einzelheiten zu erörtern. Rasch einigten sie sich. Le Testu würde den Trupp der „Zündeier“ übernehmen, während Ferris Tucker den zweiten Trupp mit Stoßrichtung Pulverturm leiten sollte.

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