Seewölfe - Piraten der Weltmeere 394

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 394
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Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-802-7

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

Der Haß der Black Queen

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Hasard packte die Kante des Felsvorsprunges, der sich fast schulterhoch vor ihm erhob. Mit einem kraftvollen Klimmzug erreichte er die kleine Plattform, bückte sich und hielt Siri-Tong die Hand entgegen.

Lächelnd warf die Rote Korsarin den Kopf in den Nacken.

„Ein Rest von diesem Denken hast du dir also noch aufbewahrt“, sagte sie. In ihren Augen blitzte es wie von Reflektionen winziger Kristalle.

„Von was sprichst du?“ entgegnete der Seewolf verdutzt.

Siri-Tong lachte leise.

„Vom Männlichkeitswahn. Obwohl du es eigentlich besser wissen solltest, hältst du mich offenbar doch für eine schwache Frau.“

Sein Blick fiel auf die Hand, die er ihr immer noch: hinhielt. Er blinzelte ungläubig – wie jemand, der bei einem Tun ertappt wurde, dessen Frevelhaftigkeit man ihm erst vor Augen führen mußte.

„Meine Gedanken kannst du nicht kennen“, sagte er reaktionsschnell und lächelte dabei. „Woher willst du also wissen, wie ich dich einschätze?“

„Aus deinem Verhalten.“

„Ah, du meinst, ich sollte unhöflich sein und dich allein heraufklettern lassen?“

„Haargenau. Wenn nun ein Mann an meiner Stelle wäre – Ed Carberry zum Beispiel …“

„Himmel, hör auf mit dem Spiel!“ unterbrach er sie lachend. Die Vorstellung des riesenhaften und narbengesichtigen Ed Carberry an Stelle von Siri-Tongs berückender Weiblichkeit reizte denn doch zur Heiterkeit. „Nimm zur Kenntnis, daß du für mich nach wie vor eine Frau bist, wie du es auch drehst und wendest. Für schwach und hilfebedürftig habe ich dich allerdings nie gehalten. Nur meine ich, daß Höflichkeit eine der Sachen ist, die wir Menschen pflegen sollten.“

„Unter anderem“, sagte die Rote Korsarin. Dann ergriff sie die dargebotene Hand des großen breitschultrigen Mannes und ließ sich auf den Felsvorsprung ziehen.

Einen Moment musterte der Seewolf seine Begleiterin nachdenklich. Sie trug eine scharlachrote Bluse, das Messer am breiten Gurt und eine enganliegende schwarze Hose, die in butterweiche hellbraune Stulpenstiefel mündete. Mancher Mann, der in ihr nur eine Augenweide gesehen hatte, war aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen, wenn er ihre kämpferischen Fähigkeiten miterlebt hatte. Und für manchen Gegner war eben jenes Staunen die letzte Empfindung seines Lebens gewesen. Denn als eisenharte Kämpferin stand die Rote Korsarin einem Mann in nichts nach.

„Langsam solltest du die Katze aus dem Sack lassen“, sagte Hasard. „Ich denke, du hast mich nicht zu diesem Bergspaziergang eingeladen, damit wir die schöne Aussicht genießen. Oder um mir eine Lektion in revolutionärem weiblichen Denken zu erteilen.“

Siri-Tong schüttelte den Kopf. Mit einer leichten Handbewegung strich sie eine Strähne ihres schwarzen Haars aus der Stirn.

„Hast du die Lektion etwa ernst genommen?“

„Nein. Aber so etwas kann durchaus zur Nachdenklichkeit anregen.“

„Dann vergiß es wieder.“ Sie legte ihm ihre schmale und doch recht kräftige Hand auf den Unterarm. „Laß dir gesagt sein, daß ich die Höflichkeit eines Mannes nach wie vor zu schätzen weiß.“

Hasard spielte den Aufatmenden.

„Dann bin ich beruhigt. Was hast du also wirklich auf dem Herzen?“

Die Rote Korsarin wurde ernst.

„Ich war gestern schon einmal hier oben und habe mich umgesehen. Von hier aus hat man den besten Überblick, wenn man an Strategie und ähnliche Dinge denkt.“

Der Seewolf begann zu ahnen, was Siri-Tong im Sinn hatte. Die kleine Plattform, auf der sie sich befanden, gehörte zu den höchsten Punkten des westlichen Felsmassivs der Schlangen-Insel. Etwa fünfhundert Yards entfernt befand sich – nach Norden ausgerichtet – der Felsendom als einzige Zufahrt zur großen Innenbucht der Insel. In der Nähe des südlichen Strandes lagen die Schiffe des Bundes der Korsaren.

Eine stolze Flotte war es, der neben der „Isabella“ der Schwarze Segler, die „Le Vengeur III.“, die „Pommern“, die „Wappen von Kolberg“, die „Caribian Queen“ und die „Empress of Sea“ angehörten. Lediglich die „Tortuga“ befand sich nicht in der Bucht, da die Mannschaft unter Kapitän Jerry Reeves den Patrouillendienst rings um die Schlangen-Insel und Coral Island versah.

Überall auf den Decks waren die Männer mit Löscharbeiten beschäftigt. Nach dem großen und erfolgreichen Raid gegen den spanischen Geleitzug waren noch längst nicht alle erbeuteten Schätze entladen worden.

Das Werftgelände lag ruhig und wie verlassen da. Hesekiel Ramsgate hatte seine Männer in Gruppen aufgeteilt. Auf jenen Schiffen, die am Raid beteiligt gewesen waren, arbeiteten sie nun, um die letzten kleinen Schäden zu beheben. Nur noch ein oder zwei Tage, und die Schiffe des Bundes der Korsaren würden wieder so makellos sein, als wären sie eben erst vom Stapel gelaufen.

In einem sonnigen, windgeschützten Winkel des östlichen Strandes hatten sich die Frauen versammelt. Gotlinde und Gunnhild hatten ihre Kleinen ins Freie gebracht, damit sie in ihren von Palmwedeln beschatteten Krippen die frische Luft genießen konnten. Anlaß genug für Mary O’Flynn, Arkana, Araua und etliche Schlangenkriegerinnen, sich in munterer Runde um den stolzen Nachwuchs zu versammeln und angeregt zu plaudern. Ihre hellen Stimmen wehten über die Bucht.

Auf dem Achterdeck des Schwarzen Seglers thronte der Wikinger wie ein Monument. Zweifellos erfüllte ihn Stolz, während er zu der kleinen Versammlung der Weiblichkeit hinüberspähte – wußte er doch, daß sein strammes Zwillingspärchen Thyra und Thurgil neben Smokys und Gunnhilds Sohn David im Mittelpunkt des Interesses stand.

„Ein Bild des Friedens“, sagte der Seewolf nachdenklich. „Ist es das, auf was du mich hinweisen wolltest?“

Siri-Tong nickte.

„So ungefähr. Ich denke schon seit langem darüber nach. Dem einen oder anderen von uns brennt es vielleicht weniger unter den Nägeln. Aber ich meine, daß unser Frieden sicherer werden muß. Das Bild, das wir vor uns sehen, könnte ein Trugschluß sein. Die Schlangen-Insel ist mehr denn je in Gefahr.“ Siri-Tong blickte den großen Mann beinahe beschwörend an. „Ich weiß, daß du mich nicht für ein lamentierendes Weib hältst. Wenn ich nicht wüßte, daß ich bei dir Gehör finde, hätte ich dich nicht um dieses Gespräch gebeten.“

Hasard erwiderte schweigend ihren Blick.

„Ich kann dir in keinem Punkt widersprechen“, sagte er dann. „Es gibt keine Lorbeeren, auf denen wir uns ausruhen können. Der Monat Juni geht bereits zu Ende. Es ist wirklich an der Zeit, daß wir etwas tun.“

„Ich bin froh, daß du das sagst“, entgegnete Siri-Tong aufatmend. „Die vielen ungelösten Probleme haben mir keine Ruhe gelassen. Wobei ich allerdings nicht verstehe, daß du das Problem Nummer eins nicht längst aus der Welt geschafft hast. Die Gelegenheit dazu hattest du.“

„Don Juan de Alcazar?“ Hasard schüttelte den Kopf. „Der Mann ist nicht der eiskalte Menschenjäger, der er nach dem Willen seiner Auftraggeber sein sollte. Ich glaube, daß ihm schon ein wenig die Augen geöffnet wurden.“

„Das verstehe ich sehr gut. Trotzdem ist er unberechenbar und immer noch kreuzgefährlich für uns. Und vergiß nicht, daß Arne dadurch in Havanna wie auf einem Pulverfaß sitzt.“

Der Seewolf nickte.

„Ich denke ständig daran. Hast du mich jemals für leichtsinnig oder oberflächlich halten müssen?“

„Um Himmels willen, nein!“

„Dann zur Sache. Du hast deine Überlegungen über die Schlangen-Insel angestellt. Laß hören.“

Die Rote Korsarin deutete mit einer knappen Kopfbewegung zu den südlichen und nördlichen Ausläufern des Felsmassivs.

„Bislang haben wir nur an diesen beiden Stellen Kanonen. Für die bisherigen Angriffe auf die Schlangen-Insel war das ausreichend, und wir waren ja im übrigen durch die Verteidigungskraft unserer Schiffe geschützt. Aber für die Zukunft sollten wir besser gerüstet sein. Ich meine, es müßten ringsum auf sämtlichen Landzungen Batterien errichtet werden.“

„Siehst du nicht ein wenig zu schwarz?“

„Ganz und gar nicht. Nimm den ungünstigsten Fall: Es findet ein Überraschungsangriff durch einen größeren Flottenverband statt. Unsere Schiffe hätten keine Möglichkeit mehr, durch den Felsendom auszulaufen. Was dann?“

Hasard blies die Luft durch die Nase.

„Ich muß dir die Antwort schuldig bleiben. Außerdem sehe ich für eine solche Situation noch ein weiteres Risiko.“ Er wies nach Norden, wo sich zwischen dem Felsmassiv und dem Felsendom die schmale, flache Landverbindung befand. „Wenn es Angreifern gelingt, dort zu landen, hätten sie eine verdammt gute Chance, sich hier im Felsen festzusetzen.“

 

Siri-Tong runzelte die Stirn.

„Warum wirfst du mir Schwarzmalerei vor, wenn du es selbst noch viel düsterer siehst?“

Er lachte leise.

„Weil ich weiß, daß deine Phantasie um so mehr angestachelt wird, wenn man dich herausfordert.“

Sie versetzte ihm einen freundschaftlichen Hieb gegen den mächtigen Brustkasten.

„Wirst du also den Rat einberufen?“

„Sicher. Aber sei auf lautstarke Gegenstimmen gefaßt.“

„Ich werde es verkraften können.“

Sie begannen den Abstieg. Hasard hatte in den vergangenen Tagen ähnliche Gedanken gehegt wie die Rote Korsarin. Im Grunde war er froh, daß sie den Anstoß gegeben hatte, über die Dinge offen zu sprechen. Denn Siri-Tong war es stets gewesen, der die Verteidigung der Schlangen-Insel besonders am Herzen lag. Es war der richtige Zeitpunkt, sich jetzt mit aller Intensität darum zu kümmern.

Nach den Wirren der zurückliegenden Geschehnisse war das Leben für den Bund der Korsaren einigermaßen geordnet – auch wenn eine stabile Sicherheit keineswegs gegeben war. Daran änderte auch die Tatsache des geglückten Beutezuges mit dem so unermeßlichen Ergebnis nichts.

Es stand nicht einmal fest, was aus Don Juan de Alcazar geworden war. Da Hasard ihm und seinen Männern auf Great Abaco die algerische Schebecke überlassen hatte, war jedoch anzunehmen, daß der Sonderagent der spanischen Krone zunächst einmal nach Havanna zurückkehren würde.

Nach der glücklich überstandenen Auseinandersetzung mit den algerischen Piraten hatten die Arwenacks die Mixteken an der Nordküste von Hispaniola abgesetzt. Hasard und seine Männer waren mit den Indianern in die Cordillera de Cibao aufgestiegen. In jenem Hochland hatten sie ein unzugängliches Tal gefunden – fruchtbar, geschützt und überdies noch mit einem Quellfuß versehen.

Die Indianer, von den Spaniern aus ihrer Heimat verschleppt, waren überglücklich gewesen. Besseres Land hatten sie sich zum Siedeln nicht wünschen können. Von den Arwenacks hatten sie Werkzeuge und Waffen erhalten und auch Saatgut, das von den Timucuas auf Coral Island stammte.

Hasard und seine Männer waren froh gewesen, sich der Pflicht entledigt zu haben, die sie mit der Rettung der Mixteken auf sich genommen hatten. In dem abgelegenen Hochtal hatten sie die besten Voraussetzungen, eine neue Heimat zu gründen.

Nach der Rückkehr zur Schlangen-Insel hatte Hasard seinen Vetter Arne von Manteuffel mittels Brieftaube über den Erfolg des Raids unterrichtet – ebenso aber auch über die Ereignisse im Zusammenhang mit Don Juan de Alcazar auf Great Abaco.

2.

Bereits eine halbe Stunde später versammelten sich die Verantwortlichen des Bundes der Korsaren auf dem Ratsfelsen. Über den Grund der Beratung hatten sich sowohl Hasard als auch Siri-Tong gründlich ausgeschwiegen. Denn sie wollten vermeiden, daß es vorgefaßte Meinungen oder gar Absprachen unter einzelnen Ratsmitgliedern gab. Jeder sollte in der Lage sein, sich wirklich unvoreingenommen ein Urteil zu bilden.

Neben dem Seewolf und der Roten Korsarin gehörten zur Versammlungsrunde Thorfin Njal, Jean Ribault, Karl von Hutten, die Schlangenpriesterin Arkana und ihre Tochter Araua, Oliver O’Brien, Renke Eggens und Old Donegal Daniel O’Flynn.

Nach einer Weile brach das allgemeine Gemurmel ab, und alle Blicke richteten sich erwartungsvoll auf den Seewolf.

„Es ist wieder einmal nötig, daß der Rat einen Beschluß faßt“, sagte Hasard und sah jeden einzelnen der Männer und Frauen nacheinander an. „Unsere heutige Versammlung findet auf Antrag von Siri-Tong statt. Sie hat es jedoch mir überlassen, die Gründe darzulegen. Denn wir stimmen in unserer Meinung überein.“

„Was sollen wir dann noch hier?“ sagte der Wikinger knurrend. Mißmutig kratzte er sich am Helm. „Wie ich euch kenne, setzt ihr beide euren Kopf doch durch.“

„In dieser Runde hat jeder das Recht und die Pflicht, seine eigene Meinung zu vertreten“, widersprach die Rote Korsarin scharf.

Die anderen nickten beifällig.

Thorfin Njal zog die breiten Schultern hoch, ließ sie wieder sinken und schnaufte dabei.

„Zur Sache also“, sagte Hasard. „Abgesehen von der ‚Tortuga‘-Mannschaft sind wir vollzählig. Ich halte es deshalb für einen günstigen Zeitpunkt, daß wir erstens über den weiteren Ausbau der Schlangen-Insel nachdenken und zweitens unsere Überlegungen auch in die Tat umsetzen. Was wir brauchen, ist eine wirksame Rundumverteidigung der Insel. Die Voraussetzungen dafür sind vorhanden. Ich erinnere an die Ladung Kanonen, die Siri-Tong damals von Bora-Bora mitgebracht hat. Und ich erinnere an die Ladung Pulver, Munition und Kanonenrohre, die wir mit der ‚Isabella‘ auf der Reede von Santiago de Cuba erbeutet haben. Mein Vorschlag – und der von Siri-Tong – lautet also, daß wir möglichst viele getarnte Stellungen schaffen, damit wir gegen einen eventuellen Großangriff auf die Schlangen-Insel gerüstet sind. Dazu müßten natürlich erst einmal jede Menge Lafetten gezimmert werden, und dann …“

„… sollen wir wohl unsere Kähne einmotten, was?“ rief der Wikinger dröhnend dazwischen. „Wenn ich deinen sogenannten Vorschlag richtig kapiert habe, sollen wir uns ins Mauseloch verkriechen und abwarten, bis uns irgendwer auf den Pelz rückt. Das treibt mir ja den Helm in die Höhe! Sollen wir zu Waschweibern verkümmern? Niemals, sage ich euch! Ran an den Feind, das ist immer noch das einzig Wahre. Nur wenn wir angreifen, können wir uns richtig verteidigen. Bei Odin und allen seinen Raben, wir haben genug Schiffe, um einen Gegner gar nicht erst an die Schlangen-Insel heranzulassen! Die werden draußen auf See zu Klump gehauen.“ Er holte tief Luft.

„Ich weiß, ich weiß“, sagte Hasard rasch, und er gab seiner Stimme dabei einen besänftigenden Klang. „Du kannst es dir beim besten Willen nicht vorstellen, aus der Landposition heraus zu kämpfen oder dazu gezwungen zu werden. Umgekehrt, auf See, haben schließlich schon deine ehrenwerten Vorfahren gekämpft, als sie ihre Landnahme betrieben.“

„Nichts gegen die Altvorderen“, entgegnete Thorfin grollend. „Bei denen hat immer der richtige Kurs angelegen. Außerdem gibt es noch einen wichtigen Punkt, Freunde.“ Er blickte beifallheischend in die Runde. „Wenn wir unsere schöne Insel als feuerspeiende Festung zu erkennen geben, dann wittert doch jeder Torfkopp von Angreifer sofort, daß es hier was Besonderes zu holen gibt. Und so was darf eben erst gar nicht passieren.“

Hasard erwiderte nichts darauf, obwohl er die Ansichten des Wikingers für mehr als naiv hielt. Die Diskussion sollte sich von selbst entwickeln, und dann würde es an Gegenargumenten nicht mangeln.

Siri-Tong erhob die Hand, und Hasard erteilte ihr das Wort.

„Ich denke“, sagte sie energisch, „Thorfins bemerkenswerte Äußerung war deutlich genug. Jedem von uns dürften jetzt wohl die Haare zu Berge stehen.“

„Das ist doch …“, polterte der Wikinger los.

„Jetzt bin ich an der Reihe!“ Die Rote Korsarin brachte ihn mit einer zornigen Handbewegung wieder zum Verstummen. „Fangen wir mal mit dem an, was an deinen Worten unlogisch war, verehrter Thorfin: Bei allem Wohlwollen weiß ich nicht, wie wir darauf bauen sollen, daß wir einen Großangriff rechtzeitig bemerken. Denn ein Großangriff ist genau das, womit wir in naher Zukunft zu rechnen haben, wenn sich die Lage weiterhin ungünstig entwickelt. Nehmen wir nur einmal den schlimmsten Fall für uns an: Nämlich den, daß es der Black Queen gelingt, Einzelheiten über die Schlangen-Insel der richtigen Adresse zu verraten. Jeder Angreifer, der diese Einzelheiten kennt, wird seine Taktik so auslegen, daß wir gar nicht in der Lage sind, mit unseren Schiffen rechtzeitig auszulaufen.“

„Verdammt, du hast recht“, sagte Jean Ribault betroffen. „Wenn der Mahlstrom ungünstig für uns steht, sitzen wir tatsächlich stundenlang fest. Und was dann? Helfen uns dann die beiden lächerlichen Kanonen, die wir jetzt in den Felsen stehen haben?“

Die anderen zogen bedenkliche Mienen. Thorfin Njal kratzte sich heftiger am Helm und wußte keine Antwort.

Der schlanke Franzose redete sich in Fahrt, und er griff den Wikinger jetzt direkt an.

„Außerdem, du neunmalkluger Nordmann, solltest du dir die Dinge erst mal gründlich durch den Kopf gehen lassen, bevor du deinen Blödsinn verzapfst. Hasard und Siri-Tong haben in allem recht, was sie gesagt haben. Hämmere das endlich in deinen Schädel: Wenn es einen neuen Angriff auf die Schlangen-Insel geben sollte, dann wird er in nichts mit dem Geplänkel zu vergleichen sein, das wir vorher hier hatten. Es gibt eine Menge Möglichkeiten, auf einer Insel zu landen. Das brauche ich wohl niemandem hier zu verklaren. Können wir denn beispielsweise jede der Buchten im Süden und im Südosten unter Kontrolle halten? Ein gewitzter Generalkapitän würde dort bei Nacht und Nebel jede Menge Soldaten mit Booten an Land setzen. Das ist nur eine Möglichkeit. Er könnte auch eine Galeone opfern und sie quer in den Felsendom legen. Wie wollen wir dann auslaufen, bitte sehr?“

„Die schießen wir zu Klump, und dann ist der Weg frei“, sagte der Wikinger maulend. Er hielt den Kopf gesenkt und winkte ab. „Ich hab’s ja gleich gesagt: Was soll ich hier? Ihr tut ja allesamt so, als ob es heutzutage eine Schande sei, wenn man sein Fell verteidigt.“

„Eben darum geht es, Thorfin“, sagte der Seewolf gelassen. „Wir wollen und müssen uns verteidigen, wenn die Schlangen-Insel weiterbestehen soll. Deine Art der Verteidigung, der Angriff auf See, ist eine von vielen Möglichkeiten, die wir natürlich auch in Betracht ziehen werden. Wenn so etwas aber wider Erwarten nicht klappt, wenn die Angreifer stärker sind als wir – willst du ihnen dann Gotlinde und deine Kinder schutzlos preisgeben?“

Thorfin starrte den Seewolf entgeistert an.

„Verdammt, male bloß nicht den Teufel an die Wand.“

„Besser vorher denken, als nachher jammern“, sagte Siri-Tong sarkastisch.

Jean Ribault grinste breit, und auch die anderen konnten sich ähnliche Mienen nicht verkneifen.

Thorfin Njal schoß wütende Blicke in die Versammlungsrunde, verzichtete aber auf weiteres Gepolter. Der Gedanke, Gotlinde samt Nachwuchs in Gefahr zu wissen, hatte ihn zu sehr aus der Fassung gebracht.

Arkana hob die Hand, und Hasard forderte sie mit einem Nicken auf, zu sprechen.

„Ich bin für den Vorschlag von Siri-Tong und Hasard“, sagte die Schlangenpriesterin. „Meiner Meinung nach wäre es sträflicher Leichtsinn, wenn wir die eigentliche Verteidigung der Schlangen-Insel vernachlässigen – nur weil wir uns für tapfer genug halten, einen etwaigen Feind draußen auf See zu bezwingen. Das wäre die falsche Art von Mut.“

„Mut?“ rief Old Donegal Daniel O’Flynn. „Hirnrissigkeit wäre das.“

„Keine Beleidigungen bitte“, sagte der Seewolf ernsthaft und konnte dabei doch den Anflug eines Grinsens nicht unterdrücken.

„Muß doch mal gesagt werden, so was“, entgegnete Old Donegal grimmig. „Soll denn hier immer nur einer das Recht haben, den anderen alles mögliche an den Torfkopp zu werfen?“

Die Anspielung auf den Wikinger war mehr als deutlich, und für einen beklemmenden Augenblick sah es aus, als wollte sich der riesenhafte Nordmann mit Zornesgebrüll auf den alten O’Flynn stürzen.

Hasard verhinderte es jedoch, indem er das Gespräch rasch in eine andere Richtung brachte.

„Nehmen wir einmal an, wir fassen tatsächlich einen Mehrheitsbeschluß“, sagte er gedehnt, „und nehmen wir weiter an, die Insel würde mit Kanonen nur so gespickt. Dann wäre eines natürlich absolut klar: Die Kanonen würden erst dann sprechen, wenn der Gegner eindeutig die Absicht hat, zu landen.“

Karl von Hutten meldete sich zu Wort.

„Ich beantrage, daß wir jetzt abstimmen. Es ist genug geredet worden.“

Hasard nickte.

„Ihr habt den Antrag gehört.“ Er wandte sich an die anderen. „Hat noch jemand etwas zu sagen? Oder hat jemand einen anderslautenden Antrag, über den wir abstimmen sollten?“ Er sah den Wikinger dabei fragend an.

Doch Thorfin schüttelte nur den Kopf. Ein wenig hatte er vielleicht begriffen, daß er in die falsche Richtung vorgeprescht war. Doch Hasard konnte sich andererseits nicht vorstellen, daß der Poltermann vollends vom Gegenteil überzeugt war.

„Also dann“, sagte der Seewolf entschlossen. „Wer für den Antrag Siri-Tongs ist, der hebe bitte die Hand.“

 

Es gab kein Zögern. Alle Anwesenden, bis auf Thorfin Njal, hoben spontan den rechten Arm.

„Wartet ab“, sagte der Wikinger dumpf in die Stille hinein, „ihr werdet noch an meine Worte denken.“

„Auf die eine oder andere Weise bestimmt“, sagte Jean Ribault spöttisch.

Anschließend jedoch stellte Thorfin Njal unter Beweis, daß er den Mehrheitsbeschluß trotz allem respektierte. Eben dies war das ungeschriebene Gesetz des Bundes der Korsaren. Entscheidungen wurden niemals autoritär getroffen, sofern es nicht in einer bestimmten Lage erforderlich war. Stets wurden alle Ratsmitglieder an notwendigen Beschlüssen beteiligt. Dabei galt es als unumstößliche Regel, daß sich eine etwaige Minderheit der Mehrheitsmeinung beugte.

Zähneknirschend zwar, beteiligte sich denn auch Thorfin Njal an den konkreten Schritten, die der Bund der Korsaren zur Verwirklichung seines Beschlusses unternahm.

Hasard begann damit, eine Skizze der Insel anzufertigen. Gemeinsam erörterten die Ratsmitglieder anhand der Zeichnung, wo Kanonen aufgestellt werden sollten. Man einigte sich nach kurzer Diskussion darauf, daß sämtliche Landzungen mit Geschützbatterien bestückt werden sollten.

Schon jetzt wurde deutlich, daß dieser Plan eine Menge Arbeit erfordern würde. Denn für die Kanonen waren Plattformen erforderlich, also ein ebener Untergrund. Außerdem mußten diese Plattformen versteckt liegen und den Geschützmannschaften Deckung bieten. Folglich mußten solche „Nester“ erst gesucht und dann in einen brauchbaren Zustand gebracht werden.

Die Ratsmitglieder entschlossen sich zu einem Rundgang um die Insel und erkannten dabei schon nach kurzer Zeit das ganze Ausmaß der Schwierigkeiten, mit denen man fertig werden mußte. In den wenigsten Fällen gab es Landzungen, die auch nur annähernd die natürlichen Voraussetzungen boten, um Geschützstellungen ohne großen Arbeitsaufwand einzurichten. Fast überall würden Sprengungen erforderlich sein, bevor Lafetten und Geschützrohre in Position gebracht werden konnten.

Während ihres Rundganges erörterten die Ratsmitglieder und die Begleiter, die sich inzwischen dazugesellt hatten, weitere Möglichkeiten, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen.

So war es Dan O’Flynn, der vorschlug, den Zugang zu den Buchten zu sperren. Wo es die Wassertiefe zuließ, konnte das durch Steinbarrieren geschehen, die man aufschüttete. In anderen Fällen ließ sich eine Sperrung durch Unterwasserketten vollziehen.

Alles in allem stand ein Arbeitsaufwand bevor, der nicht von heute auf morgen zu bewältigen war. Aber nachdem alle Crews über den Ratsbeschluß informiert waren, wurde die Arbeit sofort angepackt.

Al Conroy, der Stückmeister der „Isabella“, bereitete sich mit Feuereifer auf seine neue Aufgabe als Sprengmeister vor. Und Hesekiel Ramsgate und seine Werftarbeiter übernahmen es, die Lafetten für die zahlreichen Geschützstellungen zu zimmern.

Den übrigen Männern aus den Crews stand die schweißtreibende Aufgabe bevor, die vorhandenen Geschützrohre zu den vorgesehenen Stellungen zu transportieren. Doch es gab kein einziges Wort des Murrens. Jeder einzelne aus dem Bund der Korsaren schien zu ahnen, daß die Arbeiten wirklich dringend erforderlich waren.

Obwohl es niemand äußerte, beschlich manch einen von ihnen dabei doch das beklemmende Gefühl, daß sich drohende Wolken über dem Bund der Korsaren zusammenzogen.

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