Seewölfe - Piraten der Weltmeere 366

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Seewölfe - Piraten der Weltmeere 366
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-763-1

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

El Tiburon, der Haitöter

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

1.

Der karibische Wind war ungewöhnlich frisch an diesem Dezembertag des Jahres 1593. Es fehlten jene laue Luft und der Sonnenschein, die dem Leben in diesen Breiten zumeist etwas Paradiesisches gaben. Und immer wieder störten Haß, Mißgunst und Machtgier der Menschen den Frieden.

Joaquin Solimonte hegte solche düsteren Gedanken an diesem Tag. Wenn er nicht den wahren Grund dafür gekannt hätte, wäre er geneigt gewesen, dem wolkenverhangenen Himmel die Schuld für seine Stimmung zu geben.

Der breitschultrige Spanier aus Hispaniola stützte sich mit beiden Händen auf die Achterdecksbalustrade, als trüge er auf einmal besonders schwer an der Last seines muskelbepackten Oberkörpers. Nachdenklich starrte er in das Heckwasser des Zweideckers. Strudel und perlende Schaumkreise zogen sich als breite weißlich-blaue Bahn bis hin zur nördlichen Kimm.

Die Stimme, die plötzlich über die Decks tönte, riß Solimonte aus seiner Nachdenklichkeit.

„Ich glaube, ich sehe nicht richtig! Wer hat euch gestattet, herumzulungern? Bewegt euch gefälligst, ihr faulen Säcke, oder ihr kriegt’s mit der Neunschwänzigen! Und erzählt mir nicht, es gäbe nichts zu tun. Ich will diesen Dreckeimer glänzen sehen, verstanden? Los, los, das geht ein bißchen schneller!“

Ein dumpfer Schlag folgte, und einer der Männer schrie empört auf. Dann aber waren nur noch hastige Schritte von nackten Fußsohlen auf den Decksplanken zu hören.

Natürlich hatte sie einem der Kerle einen Fußtritt versetzt. Solimonte drehte sich nicht um, er wollte es nicht sehen. Es war schlimm genug, diese Frau zu hören.

Frau?

Ihrer barschen Stimme, ihrer Ausdrucksweise und ihrem ganzen Auftreten nach hatte sie mehr männliche als weibliche Eigenschaften. Und ihr Körper, den sie so ungeniert und herausfordernd zur Schau stellte, wirkte auf ihn kein bißchen verführerisch. Er begriff die Kerle nicht, die bei ihrem Anblick Stielaugen kriegten.

Doch er mußte weiter so tun, als sei er ihren Reizen hoffnungslos erlegen. Es fiel ihm schwer, höllisch schwer. Es mochte an der trüben Stimmung liegen, daß ihm allein der Gedanke an ihre körperliche Nähe eine Gänsehaut über den Rücken jagte.

Er vernahm ihre kaum hörbaren Schritte und wußte, daß sie sich in einem Anflug von kindlich-mädchenhaftem Spieltrieb an ihn heranschlich. Allein die Vorstellung widerte ihn an. Aber er durfte sie nichts spüren lassen und mußte weiter den Verliebten spielen, wobei er sich wie ein Trottel fühlte.

Nach allem, was er bisher mit ihr erlebt hatte, zweifelte er aber an einer Tatsache nicht mehr: Sie hatte einen Narren an ihm gefressen. Mehr als das. Das schwarze Teufelsweib war bis über beide Ohren in ihn verliebt. Und es kümmerte sie einen Dreck, was ihr eigentlicher Gefährte darüber dachte, dieser Bursche, der Caligula hieß.

Joaquin Solimonte hörte die leise tastenden Schritte nun schon nahe hinter sich, und plötzlich mußte er grinsen. Wenn du meine Gedanken lesen könntest, würden dir die Spielchen rasch vergehen, dachte er in einem Anflug von grimmigem Humor. Er versuchte sich vorzustellen, wie ihr haßverzerrtes Gesicht in einem solchen Moment aussehen mochte.

Aber es würde ihr niemals gelingen, seine wahren Absichten zu erraten. Er hatte sich so gut in der Gewalt, daß sie nicht die Spur eines Verdachts geschöpft hatte. Sein Verlangen nach Rache verlieh ihm eine fast übermenschliche innere Kraft. Er würde sie töten. Früher oder später. Doch bis zu dem Moment ihres Todes würde sie nicht ahnen, daß er dies plante.

Sein Zorn begann in wilder Glut aufzuwallen, sobald er sich nur daran erinnerte, wie ihre Schergen Nazario und Sarraux versucht hatten, ihn umzubringen. Ein Menschenleben bedeutete ihr wahrhaftig nichts. Es interessierte sie nicht, was aus dem Portugiesen und dem Franzosen geworden war.

Und wenn sie gewußt hätte, daß er an den beiden längst Rache geübt hatte, dann würde sie auch das vermutlich nur mit einem Achselzucken quittieren. Sie setzte alle Hoffnungen in ihn, Joaquin Solimonte. Sie rechnete fest damit, daß er für sie auf Tortuga spionieren würde.

Unvermittelt spürte er ihren Atem in seinem Nacken. Dann legten sich zwei Hände blitzschnell über seine Augen. Harte Hände, die das Zupacken gewohnt waren. Ihre Armmuskeln spannten sich auf seinen Schultern, und ihre festen Brustspitzen drückten in seinen Rücken.

Es gelang ihm, überrascht zusammenzuzucken und einen Laut des Erstaunens auszustoßen.

„So in Gedanken versunken?“ hauchte ihre rauhe Stimme in sein Ohr. „Nun rate mal, wer dich hier in die Wirklichkeit zurückholt?“

Er entspannte sich und zwang sich, ihre körperliche Nähe zu ertragen. Ja, er schaffte es, auf ihr frivoles Spiel einzugehen.

„Hm, mal sehen.“ Er nahm die Rechte von der Balustrade, tastete hinter sich und begann, ihre rückwärtigen Rundungen zu erforschen. „Könnte dieser Kreole sein, dieser Decksmann mit dem dicken Achtersteven.“

Ihr Kichern stach in sein Trommelfell.

„Leidest du an Geschmacksverirrung, mein süßer kleiner Joaquin?“

„Ah!“ rief er in gespieltem Erstaunen. „Jetzt hast du dich verraten. So eine katzenweiche Stimme hat natürlich nur meine hochverehrte Queen. Meine Gebieterin, der ich die Füße küssen würde, wenn sie es von mir verlangt.“

Sie ließ die Hände sinken, beugte sich neben ihm über die Balustrade und blickte ihm verblüfft in die Augen.

„Würdest du das wirklich tun?“

„Aber ja. Ich habe keine Krone, aus der ich mir einen Zacken brechen könnte.“

„Jetzt mal im Ernst, Joaquin. Du kannst doch nicht wirklich so verrückt sein, mir die Füße zu küssen.“

„Es kommt auf die Situation an“, sagte er und grinste.

Ihre Miene erhellte sich. „Dem Himmel sei Dank. Ich dachte schon, du hättest tatsächlich solche merkwürdigen Anwandlungen. Du bist doch mein stolzer Spanier, Joaquin, und das sollst du immer bleiben.“

Sie strich mit den Fingerkuppen über seinen linken Unterarm und genoß es, seine entstehende Gänsehaut zu beobachten.

Sie lächelte. „Du reagierst auf mich. Das ist gut. So soll es möglichst lange sein. Mit diesem einfachen Mittel“, sie verstärkte den Druck ihrer Fingerkuppen, „werde ich immer leicht feststellen können, was du für mich fühlst.“

„Nimm’s mir nicht übel“, entgegnete er vorsichtig, „aber ich fürchte, daß Caligula solche Feststellungen nicht unbedingt gern miterlebt.“

Ihre Augen verengten sich. „Du kennst meine Meinung dazu. Wir haben darüber gesprochen. Zwischen mir und Caligula ändert sich nichts. Er muß die Dinge eben so hinnehmen, wie sie sind.“

„Also ist er die Nummer eins, und ich stehe an zweiter Stelle.“ Joaquin spielte den Schmollenden.

„Aber nicht doch, mein Süßer.“ Sie hauchte ihm einen Kuß auf die Wange. „Caligula ist Caligula. Und du bist Joaquin, mein stolzer Spanier. Zwischen euch liegen Welten. Da gibt es nichts zu vergleichen und schon gar keine Rangordnung.“

„Dann bin ich genausoviel wert wie dein …“

Sie legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen.

„Du bist unvergleichlich, Joaquin. Wann wirst du das begreifen?“

Er lächelte geschmeichelt. „Warten wir ab, bis Caligula wieder an Deck ist. Vielleicht wird er mich hinterrücks erdolchen.“

„O nein. Er frißt mir aus der Hand, wenn ich das verlange. Also wird er dich in Frieden lassen.“

„Und dir auch die Füße küssen, wenn du es willst?“

„Du bist ein Halunke!“ Sie lachte schallend, beugte sich zurück, und das Gelächter ließ ihre Brüste wippen.

„Wie geht es ihm übrigens?“ fragte Joaquin und tat so, als empfände er Mitgefühl für den Mann, der eigentlich sein Rivale sein mußte.

„Er hat aufgehört, zu phantasieren“, erwiderte die Black Queen, immer noch belustigt. „Also ist er auf dem Weg der Besserung. So eine kleine Schnittwunde haut ihn auf die Dauer nicht um.“

Joaquin Solimonte, der von seinen Freunden El Tiburon genannt wurde, nickte. Die Black Queen sorgte sich nicht sonderlich um ihren Gefährten, der in seiner Achterdeckskammer mit einem dicken Schulterverband zur Untätigkeit verdammt war. Jedenfalls zeigte sie nach außen hin keine solchen Gefühle. Warum aber hatte sie ihn, Joaquin, dann in Punta Gorda daran gehindert, den Neger zu töten?

Er mußte auf der Hut sein. Denn er traute ihr zu, daß sie ein falsches Spiel spielte, um ihn einzulullen. Wahrscheinlich tat sie ihm gegenüber nur so, als sei ihr an Caligulas Wohlergehen nicht sonderlich viel gelegen.

Aufgeregtes Gebrüll aus dem Großmars änderte die Situation an Bord der „Caribian Queen“ schlagartig. Der Ausguck fuchtelte wie wild mit den Armen.

 

„Deck, Deck! Mastspitzen an der Kimm! Nordost!“

Auch die Haltung der Black Queen änderte sich von einem Atemzug zum anderen. Hatte sie eben noch versucht, ein verliebtes kleines Mädchen darzustellen, so war sie jetzt die harte und unnachgiebige Befehlshaberin des Zweideckers – die Frau, die eine Meute von wild-verwegenen Kerlen herumkommandierte und immer noch danach strebte, die ganze Karibik zu beherrschen.

Ihr Größenwahn war ungebrochen.

Das hatte El Tiburon, der die Geschehnisse auf Tortuga als Unbeteiligter miterlebt hatte, inzwischen erkannt. Die Black Queen war eine Frau, die sich sogar von den schlimmsten Niederlagen erholte – auch in dieser Beziehung glich sie eher einem hartgesottenen Kerl.

Joaquin musterte sie forschend von der Seite, wie sie angestrengt nach achteraus starrte. Ihre Augen waren Schlitze, und ihre Wangenmuskeln bewegten sich in der Anspannung.

Plötzlich begriff er, daß der Augenblick nahe war.

Die Voraussetzungen waren günstig. So unverhofft, daß er Minuten brauchte, um diese Erkenntnis zu verarbeiten. Eine bessere Chance, seine Rache zu verwirklichen, würde er so bald nicht erhalten.

Diese Schiffe, die an der Kimm aufgetaucht waren, mußten schnell sein, viel schneller als die „Caribian Queen“. Der Plan reifte jetzt in Sekundenschnelle in seinem Kopf. Und er sagte sich, daß es kein Zurück mehr gab. Er durfte nicht zaudern.

Nach einer Weile löste sich die Black Queen aus ihrer Erstarrung. Sie wandte sich ab und kehrte kurz darauf mit einem Spektiv zurück, das sie hastig ansetzte und justierte.

„Verdammter Mist!“ stieß sie hervor, während sie durch die Optik spähte.

„Was kannst du erkennen?“ fragte Joaquin in scheinbar gespannter Neugier.

„Zwei Dreimaster. Bislang sehe ich nur die Segel und die Masten. Aber auf alle Fälle scheinen diese beiden Schiffe verteufelt schnell zu sein.“

„Schneller als die ‚Caribian Queen‘?“ Joaquin gab seiner Stimme einen ungläubigen Klang.

„Stell nicht solche blöden Fragen. Wir segeln schon mit Vollzeug, oder? Siehst du das nicht? Was kann ich aus dem Kahn also noch herausholen?“ Sie wandte sich ihm zu, ihre Augen funkelten giftig.

Etwas zerriß in Joaquin Solimonte. Der bösartige Klang ihrer Stimme bewirkte es. Die Maske, die er sich schon seit Tagen auferlegt hatte, fiel von seinem Gesicht ab.

„Ich werde dich töten“, sagte er leise und ohne besondere Betonung. Es klang wie eine beiläufige Bemerkung.

Sie war im Begriff, das Spektiv wieder anzusetzen. Langsam, wie zögernd, ließ sie es auf halbem Weg wieder sinken. Denn sie brauchte eine Sekunde, bis ihr die Bedeutung seiner Worte bewußt wurde.

Ungläubig starrte sie ihn an. „Was hast du gesagt? Du willst was?“

„Dich töten. Du hast richtig gehört.“ Er stand an ihrer Seite, blickte sie nur an und rührte keinen Finger.

„Du bist verrückt!“ entfuhr es ihr. „Fängst du jetzt an, zu phantasieren? Mir reicht es, daß ich Caligulas Fieberfaseleien anhören mußte. Außerdem habe ich im Moment andere Sorgen. Diese beiden Galeonen …“, sie streckte den linken Arm aus, „… schauen verdammt danach aus, als hätten sie es auf uns abgesehen. Die halten nämlich haargenau unseren Kurs.“

„Ich meine es ernst“, sagte Joaquin, und seine Stimme war spröde wie dünnes Eis. „Wehr dich. Ich will dich nicht niederschießen wie eine räudige Hündin.“

Das Ungläubige in ihrer Miene verschwand. Ein hellwaches Lauern trat statt dessen in ihre Augen. Ihr Blick forschte in seinen Gesichtszügen. Etwas darin verriet ihr, daß sie seine unfaßbaren Worte ernster nehmen mußte als die Verfolgerschiffe.

Jäh zuckte ihre Hand zur Hüfte. Die Bewegung hatte keinen erkennbaren Ansatz.

Dennoch reagierte Joaquin blitzschnell. Seine Rechte erreichte den Kolben des Radschloßdrehlings in dem Moment, in dem die Black Queen den Knauf ihres Messers umfaßte. Er wollte die Waffe herausreißen.

Doch plötzlich entspannte sich ihre Haltung. Das alte verführerische Lächeln erschien auf ihren Gesichtszügen. Ihre Hand wechselte vom Messergriff auf seinen Unterarm und hinderte ihn sanft daran, blank zu ziehen.

„Joaquin, mein Schatz“, sagte sie weich, „was ist denn plötzlich in dich gefahren?“ Ihr Blick bohrte sich tief und unergründlich in den seinen, und ein seltsames Feuer loderte tief in ihren Pupillen. „Hast du vergessen, was du mir bedeutest? Bist du etwa eifersüchtig? Wenn du Caligula nicht dulden kannst, dann werden wir einen Weg finden, glaube mir. Ich schätze dich so sehr, daß ich niemals auf dich verzichten würde.“

Alles in ihm sträubte sich gegen ihre süßen Worte. Einen Atemzug lang beging er den Fehler, an das zu glauben, was sie sagte. Sie hatte ja keine Ahnung, warum er wirklich den Kontakt mit ihr gesucht hatte. Lag es da nicht nahe, daß sie ihn für eifersüchtig hielt?

Es war zu spät, die Hinterlist der Negerin zu begreifen.

Er mußte es in dem Moment erkennen, in dem die irritierenden Gedanken in ihm aufkeimten.

Plötzlich krallte sich ihre Hand wie eine eiserne Klaue um seinen Unterarm. Ihm blieb keine Zeit, seine Überraschung abzuschütteln. Ein jäher Ruck riß ihn aus dem Gleichgewicht und schleuderte ihn nach vorn, vorbei an der Black Queen, die geschickt zur Seite wich. Er konnte sich nicht halten und schlidderte der Länge nach über die Planken. Doch in dem Moment, in dem er den schrammenden Schmerz in seinen Armen spürte, konnte er wieder reagieren. Er warf sich herum, bereit, hochzufedern.

Fauchend wie eine Tigerin war die Black Queen über ihm. Die breite Klinge ihres Messers schimmerte im trüben Tageslicht. Ihr Gesicht war von tödlichem Haß verzerrt.

Ihm blieb der Bruchteil einer Sekunde, um auszuweichen. Mit aller Kraft warf er seinen Oberkörper nach rechts.

Die Klinge zischte an ihm vorbei und hackte mit dumpfem Klang ins Holz.

Im selben Moment wurde er von der Last ihres muskulösen Körpers auf die Planken gerammt. Er hatte nicht mehr viel Zeit. Vielleicht noch Sekunden. Jeden Augenblick konnten die Decksleute aufmerksam werden.

Er spannte seine Armmuskeln an und ließ sie explodieren. Mit angewinkeltem Arm hieb er ihr den Ellenbogen in den Bauch. Ihr Körper wurde locker und fiel von ihm ab. Sie stieß einen gurgelnden Schmerzenslaut aus und krümmte sich neben ihm, das verzerrte Gesicht nahe vor dem riesigen Messer, das im Plankenholz federte.

Blitzartig war El Tiburon auf den Beinen. Das eigene Messer flog wie von selbst in seine Rechte. Mit einem Fußtritt schleuderte er die Blankwaffe der Black Queen aus ihrer Reichweite. Dann hielt er ihr die Klinge drohend vors Gesicht, während sie sich gerade halb aufgerichtet hatte.

„Ich bin kein Mörder“, sagte er leise und drohend, „du brauchst nicht zu denken, daß ich dich jetzt absteche wie ein Tier. Ich bin nicht von deiner Sorte, denn ich töte keinen wehrlosen Gegner.“

„Warum?“ keuchte sie. „Warum, verdammt noch mal?“

„Deine Handlanger“, entgegnete er eisig, „Nazario und Sarraux. Sie haben auf Tortuga versucht, mich umzubringen. Dafür haben sie inzwischen ihr Leben gelassen. Du bist an allem schuld. Deshalb wirst du sterben.“

Ihr Gesicht versteinerte. Schlagartig begriff sie, was dieser Mann von Anfang an wirklich vorgehabt hatte. Die Erkenntnis, derart getäuscht worden zu sein, war wie das Eingeständnis eines furchtbaren Fehlers. Ihre eigene Unzulänglichkeit hatte zu dieser Situation geführt, die für sie entwürdigend war. Sie empfand in diesem Augenblick nichts anderes als Wut auf sich selbst.

Und sie wußte, daß sie ihn nicht noch einmal überlisten konnte. Eine einzige falsche Bewegung, nur ein Muskelzucken, und er würde zustechen.

„Das hast du fein eingefädelt“, flüsterte sie tonlos, „erst hast du Caligula außer Gefecht gesetzt, und jetzt bin ich an der Reihe. Ich gestehe, ich habe dich nicht durchschaut.“

„Dein Fehler. Wenn du am Leben bleiben würdest, könntest du daraus lernen, daß du deine Gefühle besser unter Kontrolle halten mußt.“

Ihre Augen flackerten ihn über die tödliche Klinge hinweg an.

„Auf was wartest du? Bring es hinter dich. Aber ich schwöre dir, du wirst dieses Schiff nicht lebend verlassen.“

„Zerbrich dir nicht meinen Kopf.“ Sein Grinsen hatte eine solche Eiseskälte, daß jetzt sie es war, die ein Schaudern verspürte. „Du wirst jetzt aufstehen und meine Anweisungen befolgen. Ich habe gesagt, daß ich keinen wehrlosen Gegner töte.“

Sein Messer wechselte so blitzschnell von der Rechten in die Linke, daß sie die Bewegung mit ihren Augen kaum verfolgen konnte. Dann zog er den Drehling und spannte den Hahn. So nahe vor ihrem Gesicht sah die Waffe riesenhaft aus. Das mächtige stählerne Laufbündel gähnte sie mit seinen kreisförmig angeordneten Mündungen an.

Sie schalt sich eine Närrin, daß sie sich für diese Waffe nicht früher interessiert hatte. Es war eine Seltenheit. Nur wenige Leute besaßen ein solches Monstrum, mit dem man sechs Schüsse hintereinander abfeuern konnte, ohne nachladen zu müssen. Warum, zum Teufel, hatte sie ihm das Ding nicht abgeluchst?

Zu spät, über solche Fehler noch nachzudenken.

Langsam, vorsichtig, begann sie, sich aufzurichten.

Joaquin wich einen Schritt zurück. Er schob das Messer in die Scheide und ließ sie dabei nicht einen Lidschlag lang aus den Augen. Die schußbereite Waffe war auf ihre Brust gerichtet, ohne daß das Laufbündel auch nur um eine Haaresbreite schwankte.

Erst in diesem Augenblick hörte er eilige Schritte und aufgeregte Stimmen. Es erleichterte ihn fast, denn er hatte längst damit gerechnet, daß die Kerle aufmerksam werden würden. Jetzt klärten sich die Fronten. Aus den Augenwinkeln heraus sah er die ersten Gestalten beim Niedergang an Steuerbord auftauchen. Fast im selben Moment auch an Backbord.

„Zurück!“ brüllte er, ohne den Blick von der Black Queen zu wenden. „Zurück, oder eure Anführerin stirbt auf der Stelle!“

Die Kerle prallten wie gegen eine unsichtbare Wand. Fassungslos, mit weit aufgerissenen Mündern, sahen sie die Szene, die sie nicht zu begreifen vermochten. Wie sollten sie das auch verstehen, wenn es selbst die Queen viel zu spät erkannt hatte? Niemand an Bord hatte auch nur den leisesten Verdacht gehegt, daß Joaquin Solimonte ein falsches Spiel getrieben hatte.

Das Getrappel der Schritte verklang nach und nach. Auch jene, die von der Kuhl aus nicht einmal sehen konnten, was sich abspielte, verharrten. Die unglaubliche Nachricht wurde ihnen hastig von denen zugeflüstert, die schon den Niedergang erreicht hatten.

Auch der Rudergänger hatte entsetzt den Kopf herumgedreht. Er war außer der Black Queen und El Tiburon der einzige auf dem Achterdeck.

Die Negerin bewegte sich einen Schritt seitwärts, und sie sah, wie das Laufbündel des Drehlings präzise ihrer Bewegung folgte.

„Tut, was er sagt!“ herrschte sie die Meute an. „Ich brauche keine Hilfe, verstanden? Und du hältst den Kahn auf Kurs! Sieh nach vorn!“

Der Rudergänger begriff, daß er mit den letzteren Worten gemeint war. Gehorsam wandte er den Kopf.

Joaquin Solimonte schob sich kaum merklich rückwärts, ohne dabei die Waffe aus der Visierlinie zu nehmen. Dann spürte er die Heckbalustrade im Rücken. Er sah, wie die Black Queen zögerte. Vier oder fünf Schritte hatte sie erst hinter sich gebracht.

„Weiter“, befahl er mit eisigem Lächeln, „auf diese Entfernung treffe ich sogar eine Fliege.“

„Dein Edelmut muß grenzenlos sein!“ zischte sie. Eine Spur von Hohn schien bereits wieder in ihr aufzuflackern. „Du willst es dir nicht zu leicht machen, wie? Sieht fast so aus, als ob du Angst hast, mich über den Haufen zu schießen.“

„Geh weiter“, sagte er, ohne auf ihre bissigen Worte einzugehen. „Aber sieh zu, daß der Rudergänger aus der Schußlinie bleibt.“

„Das soll ein richtiges Duell werden, was?“ Grinsend begann sie, die Schritte abzuzählen. Dann, als sie bei fünfzehn angelangt war, blieb sie stehen. „Reicht das?“

„Ja. Du darfst dir jetzt eine bestimmte Waffe aussuchen und sie dir bringen lassen.“

„Wie gnädig! Deine Fürsorge rührt mich zu Tränen. Ehrlich gesagt, du gibst dir viel zuviel Mühe, mein lieber Joaquin. Meine Waffe habe ich bei mir. Eine bessere kenne ich nicht.“ Sie klopfte mit der flachen Hand auf den Knauf der Pistole in ihrem Gurt.

„In Ordnung.“ El Tiburon nickte und schob den Drehling zurück unter seinen Gurt, wobei er den Hahn entspannte.

Über die Ruhe, die ihn erfüllte, war er selbst erstaunt. Jetzt, da der alles entscheidende Moment unmittelbar bevorstand, war die Last von seinen Nerven genommen. Er konzentrierte sich auf seinen Willen, dieses Ungeheuer von einem Weibsbild zu töten. Sie, die andere Menschen eiskalt über die Klinge springen ließ, hatte nichts anderes verdient als den Tod.

 

„Na?“ ertönte ihre Stimme von neuem. „Welche weiteren Bedingungen hast du für unser feines Duell vorgesehen, mein Schatz?“

Er wußte, daß sie ihn mit ihrem Hohn nur reizen wollte, damit seine Aufmerksamkeit nachließ. Aber in dem Punkt sollte sie sich verrechnen.

„Ich bin ein höflicher Mensch“, entgegnete er und ahmte den höhnischen Klang ihrer Stimme nach. „Ich lasse dir den Vortritt. Du darfst deine Waffe ziehen und feuern, wenn du es für richtig hältst.“

Für einen Atemzug stutzte sie. Dann verzerrte sich ihr Gesicht zu einer abfälligen Grimasse.

„An deinem Größenwahn wirst du dich verschlucken“, fauchte sie.

Sie hatte die letzte Silbe noch nicht ausgesprochen, als ihre Rechte abwärts zuckte.

El Tiburon reagierte im selben Sekundenbruchteil. Der schwere Radschloßdrehling flog buchstäblich unter seinem Gurt hervor.

Auch die Black Queen hatte ihre Pistole im Anschlag. Das Knacken des Hahns drang überlaut durch die Stille.

Joaquin Solimontes Bewegungen gingen fließend ineinander über. Anvisieren und Spannen des Hahns waren fast eins. Er stand breitbeinig, den Oberkörper leicht gekrümmt, sein rechter Arm mit der mächtigen Waffe war unverrückbar ausgestreckt wie der Ast eines Eichbaums.

Er blickte in die Mündung der Flintlock-Pistole und sah die haßerfüllte Glut der dunklen Pupille über Kimme und Korn.

Ihrer beider Zeigefinger krümmten sich gleichzeitig, und die Aufschläge der Hähne vereinten sich zu einem einzigen Laut.

Der Flint des Drehlings prallte auf das Reibrad, und die sprühenden Funken stießen wie winzig kleine Pfeile in den Zündkanal.

Zwanzig Schritte entfernt schlug der Feuerstein auf Reibstahl, und das Zündkraut puffte mit einer blassen Rauchwolke.

Joaquin spürte den Rückstoß seines Drehlings. Die schwere Waffe wummerte ohrenbetäubend. Er ließ sich fallen, da die Kugel durch nichts mehr aus der Bahn gebracht werden konnte.

Das Krachen der Steinschloßpistole vereinte sich mit dem Nachhall seines Schusses.

Ein feiner, schrammender Schmerz zuckte von der rechten Schulter aus durch seinen Oberkörper. Er achtete nicht darauf, denn es war fast nebensächlich. Seine Sinne funktionierten noch. Er lebte. Diese Erkenntnis durchzuckte ihn mit aufwallendem Triumphgefühl.

Das Donnern der Schüsse verhallte. Der Pulverrauch stieg in wabernden Schwaden höher. El Tiburon federte auf die Beine, den Drehling erneut im Anschlag.

Die Black Queen stand starr wie eine Statue. Eine unerfindliche Macht schien ihre Augen von innen her aus den Höhlen zu pressen. Langsam, unendlich langsam, sank ihr Arm mit der noch rauchenden Pistole nach unten.

Ihre linke Brusthälfte war nur Blut.

Joaquin wußte, welche furchtbaren Wunden die großkalibrigen Geschosse des Drehlings verursachten.

Sie starb.

Unendliche Genugtuung erfüllte ihn angesichts dieser Erkenntnis. Und er sah, daß die Meute noch nichts begriffen hatte. Lähmende Stille lastete auf den Decks der „Caribian Queen“. Es war die Ruhe vor dem Sturm.

Unvermittelt sackte der eben noch wie versteinerte Körper der Schwarzen in sich zusammen. Mit einer Drehbewegung schlug sie auf die Planken. Erst jetzt erkannten die Decksleute das Ausmaß der Wunde.

Wilde Schreie wurden laut. Die Meute geriet in Bewegung und drängte von der Kuhl nach.

El Tiburon jagte einen Warnschuß über ihre Köpfe. Die Kugel klatschte in den Großmast.

„Hinunter mit euch!“ brüllte er. „Das nächste Blei trifft einen von euch.“

Erst jetzt schien ihnen klarzuwerden, daß er nicht nachzuladen brauchte. Fassungslos blickten sie ihn an und dann den reglosen Körper der Black Queen. Einigen von ihnen dämmerte, daß die Niederlage ihrer Anführerin zu einem beträchtlichen Teil mit der Präzision der Waffe zusammenhing, die dieser schlanke, muskulöse Spanier besaß.

Einer der Kerle auf dem Backbordniedergang griff zur Pistole.

Joaquin zögerte nicht. Es ging um sein Leben, um seine Flucht, die noch bevorstand. Gnadenlos jagte er die nächste Kugel aus dem Laufbündel, gezielt diesmal.

Der Mann brachte die Waffe nicht mehr hervor. Die Wucht des Einschusses schleuderte ihn zurück, gegen seine Kumpane, mit denen zusammen er in einem schreienden Menschenknäuel den Niedergang hinunterstürzte.

Joaquin schwenkte den Drehling nach Steuerbord. Aber dort hatten sie bereits die Flucht ergriffen. Dennoch feuerte er die restlichen drei Schüsse ab. In rascher Folge jagte er das Blei in das Holz der Querbalustrade. Ein Regen von Splittern wirbelte den Kerlen um die Ohren.

Der Rudergänger hatte sich zu Boden geworfen. Die „Caribian Queen“ drohte aus dem Ruder zu laufen.

Joaquin ließ den Drehling fallen. Er brauchte ihn nicht mehr. Nur Sekunden blieben ihm. Mit einem Satz schnellte er auf die Heckbalustrade, nutzte den Schwung und stieß sich noch einmal mit aller Kraft seiner Beinmuskeln ab.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?