Seewölfe - Piraten der Weltmeere 363

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 363
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Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-760-0

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

Kanonendonner vor Tortuga

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Eine freudige Schar von Menschen erwartete die Heimkehrenden in der Bucht der Schlangen-Insel. Winkend und lachend bevölkerten die Daheimgebliebenen den Strand. Allem Anschein nach gab es Grund zur Erleichterung.

Denn die drei Schiffe, die in kurzen Abständen den Felsendom passierten und in die Bucht einliefen, wiesen keine erkennbaren größeren Schäden auf. So schien die Mission des Seewolfs und seiner Gefährten also erfolgreich verlaufen zu sein.

Indessen konnten weder Arne von Manteuffel, noch Hesekiel Ramsgate, Jerry Reeves, Oliver O’Brien oder Thorfin Njals Ehefrau Gotlinde und all die anderen ahnen, daß niemand an Bord der drei Segler an das Wort „Erfolg“ auch nur zu denken wagte.

Lediglich Arkana, die Schlangenpriesterin, stand ein wenig abseits. Sorgenfalten furchten ihre Stirn, denn seit ihrer letzten Zwiesprache mit dem Schlangengott wußte sie, daß das volle Ausmaß des Verdrusses für Hasard und seine Männer erst noch bevorstand. Gewiß, sie waren mit heiler Haut zurückgekehrt. Doch das bedeutete noch keinen Anlaß zum Aufatmen:

Mit jeder Faser ihrer Sinne spürte Arkana, welche Stimmung an Bord der Schiffe herrschte.

Für Philip Hasard Killigrew verhielt es sich nicht anders als für die meisten seiner Gefährten. Da stand im Vordergrund zunächst die Wiedersehensfreude. Es war wohltuend, die „Wappen von Kolberg“ und die „Tortuga“, das Schwesterschiff der „Le Vengeur III.“, am vertrauten Liegeplatz in der Bucht zu sehen.

Und Old Donegal Daniel O’Flynn bekam feuchte Augen beim Anblick der „Empress of Sea“, die vor der Werft des alten Ramsgate zur Ausrüstung lag. Das schmucke kleine Schiff war präzise nach den Wünschen des alten Donegal gebaut worden, und Hesekiel hatte sich wieder einmal selbst übertroffen.

Jetzt hatten die Männer auf der „Isabella“, auf der „Le Vengeur III.“ und auf dem Schwarzen Segler alle Hände voll damit zu tun, die Segel zu bergen und die Anker zu setzen. Die Begrüßungsrufe vom Strand wurden mit heiserem Gebrüll erwidert.

Vom Achterdeck der „Isabella“ aus erblickte der Seewolf die Schlangenpriesterin. Trotz der Entfernung blieb ihm ihr Gesichtsausdruck nicht verborgen. Plötzlich spürte er die Gedankenströme, die von der hochgewachsenen schlanken Frau ausgingen.

Ja, dachte er mit einem Anflug von Erbitterung, wir haben versagt. Es ist uns nicht gelungen, die Gefahr abzuwenden. Vielleicht wird unser aller Existenz eines Tages bedroht – auf eine schlimmere Art und Weise, als wir uns das vorstellen können.

Die Black Queen war auf dem besten Weg, ihr Ziel zu erreichen. Sie hatte sich vorgenommen, die gesamte Karibik zu beherrschen. Dazu gehörten auch die Schlangen-Insel und Coral Island.

Tortuga war für das schwarze Teufelsweib bereits zum Brückenkopf geworden. Dort hatte sie sich mit ihrer rasch angewachsenen Schar von Gefolgsleuten festgesetzt. Die wenigen Vertrauten, die Hasard und seine Freund auf Tortuga noch hatten, konnten nichts an den neuen Machtverhältnissen ändern.

Jean Ribault wirkte an diesem sonnigen Novembertag des Jahres 1593 ernster und verschlossener als in den vorangegangenen Tagen und Wochen. Er hatte die Geschehnisse von Anfang an hautnah miterlebt – und das im wahrsten Sinne des Wortes.

Caligula, der engste Vertraute der Black Queen, hatte ihn ausgepeitscht und gedemütigt. Jean hatte es Caligula heimgezahlt und ihm die schlimmste Niederlage seines Lebens zugefügt. Doch danach hatte das machthungrige Frauenzimmer die Gunst der Stunde zu nutzen gewußt. Es stand zu befürchten, daß auch die Schlangen-Insel und Coral Island in ernsthafte Gefahr gerieten.

Siri-Tong, die Rote Korsarin, wußte nur zu gut, was den schlanken Franzosen bewegte. Sie war von Anfang an auf der „Le Vengeur III.“ dabeigewesen, als Jean zu seinem Rachefeldzug aufgebrochen war.

Siri-Tong selbst hatte keinen geringen Grund, die Black Queen bis aufs Messer zu bekämpfen. Es schmerzte, die Schiffe in der Bucht der Schlangen-Insel versammelt zu sehen und dabei nicht auf den eigenen Planken stehen zu dürfen.

„Roter Drache“ fehlte in dieser stolzen kleinen Flotte, und auch diese Tatsache ging auf das Konto der Black Queen. Siri-Tong litt unter dem Verlust ihres Schiffes – an diesem Tag mehr als je zuvor.

Die Heimkehr hatte für sie etwas Unvollständiges. Doch niemand sollte ihr das anmerken. Sie würde an der Seite von Hasard, Jean und den anderen mit noch größerer Entschlossenheit kämpfen, um die Gefahr endgültig abzuwenden.

Von ähnlicher Willenskraft war auch jener Mann beseelt, der neben der Roten Korsarin und Jean Ribault auf dem Achterdeck der „Le Vengeur III.“ stand. Carlos Rivero hatte erfahren, was es bedeutete, sich der Black Queen nicht zu unterwerfen.

Jean Ribault hatte ihn aus den Klauen der machtbesessenen Schwarzen befreit und ihm das Leben gerettet. Gemeinsam hatten sie dann die Hölle von El Triunfo durchgestanden und einander schätzen gelernt. Aus vielen Gesprächen mit Jean und der Roten Korsarin wußte Carlos um die Bedeutung der Schlangen-Insel.

Er war sich des Vertrauens bewußt, das seine neugewonnenen Freunde in ihn setzten. Sie weihten ihn in ihr Geheimnis ein. Niemals, das schwor er sich, würde er dieses Geheimnis preisgeben.

Carlos Rivero sah die winkenden Menschen am Strand, und ein Lächeln kerbte sich in seine kantigen Gesichtszüge. Sie kannten ihn nicht, und sicherlich hielten sie ihn nicht für einen Spanier, der er war.

Wie unbeabsichtigt fuhr er sich mit den Fingern der Rechten durch das mittelblonde Haar, das es Fremden stets schwerfallen ließ, seine Herkunft zu erraten. Mit den blauen Augen hielten ihn die meisten für einen Skandinavier, bis sie erfuhren, daß seine Wiege im nordspanischen Aragon gestanden hatte.

Weniger still ging es auf dem Schwarzen Segler zu. Nachdem die Segel aufgetucht waren und der Anker gefaßt hatte, versammelten sich die Männer am Steuerbordschanzkleid. Mit wildem Gebrüll beantworteten sie die frohen Begrüßungsrufe vom Strand.

Lediglich Thorfin Njals Donnerstimme ließ sich ausnahmsweise nicht vom Achterdeck vernehmen. Im allgemeinen Trubel fiel niemandem auf, daß der riesenhafte Kerl einfach nur stumm und ergriffen dastand und zum Ufer starrte.

Die Worte, die er in seinen rötlichgrauen Bart murmelte, verstand natürlich keiner der Männer an Deck. Da sie ihn nicht beachteten, fanden sie auch keine Zeit, sich über ihn zu wundern. Hätten sie ihn gesehen, wie er trotz aller Nachdenklichkeit darauf verzichtete, sich am Helm zu kratzen, dann wären sie doch höchst besorgt um seinen Gemütszustand gewesen.

Thorfin Njal hatte nur Augen für seine Ehefrau Gotlinde. Groß und wohlgewachsen, stolz und mit einem Lächeln in den ebenmäßigen Gesichtszügen erwartete sie ihn dort am Strand. Thorfin wußte, daß dieses Lächeln nur ihm galt. Und er wußte auch, welche Gedanken Gotlinde bewegten.

Eben diese Gedanken waren es, die dem Wikinger vor Rührung die Kehle zuschnürten. Bei Odin, Hasard hatte recht gehabt. Auf seine Anweisung hin war Gotlinde auf der Schlangen-Insel geblieben. In ihrem Zustand, so hatte der Seewolf entschieden, konnte man ihr nicht mehr zumuten, gefahrvolle Schiffsreisen zu unternehmen.

Thorfin schloß sekundenlang die Augen und atmete schwer. Er schalt sich einen Narren, daß er überhaupt noch daran gedacht hatte, Gotlinde mitzunehmen.

Der kleine Wikinger, den sie ihm schenken würde, bedurfte äußerster Schonung. Nichts durfte die Entwicklung dieses jungen, hoffnungsvollen Lebens beeinträchtigen. Thorfin öffnete die Augen wieder und sah, wie der sanfte karibische Wind im langen blonden Haar seiner Gotlinde spielte.

Die Rückkehr zur Schlangen-Insel erschien dem Wikinger auf einmal wie die Rückkehr ins Paradies. Ein Paradies war es ja wohl auch, erst recht dank Gotlindes Anwesenheit.

Er, der bärenstarke Klotz von einem Kerl, schämte sich seiner rührseligen Gedanken nicht. Erstens gingen sie keinen etwas an, und zweitens erfuhr ja auch keiner davon.

Unvermittelt sah er, wie Gotlinde begann, ihm zuzuwinken. Sein Herz vollführte einen Freudenhüpfer, und er wollte die Rechte heben, um ihr Winken zu erwidern.

Im selben Moment bemerkte er eine andere Bewegung aus den Augenwinkeln heraus. Er ruckte herum und hatte das Gefühl, einer der Blitze des Donnergottes Thor habe ihn getroffen.

 

„Stör!“ brüllte er, und ein Wutausbruch des Donnergottes hätte nicht gewaltiger klingen können.

Der Mann mit dem beängstigend langen Gesicht zuckte zusammen, hielt mit dem Winken inne und zog den Kopf tiefer zwischen die Schultern. Langsam, das Unheil ahnend, wandte er sich dem Achterdeck zu.

„Ist was?“ Seine Stimme hörte sich kläglich an.

„Hierher!“ brüllte Thorfin mit unverminderter Lautstärke. „Ich will mit dir von Mann zu Mann reden, du Nordpolaffe!“ Er wußte sehr wohl, daß er einen von Ed Carberrys sinnigen Ausdrücken benutzte. Aber in diesem Moment erschien ihm das durchaus passend.

Die übrigen Männer waren inzwischen aufmerksam geworden. Sie grinsten sich eins, als der Stör wie ein geprügelter Hund den Niedergang hinaufschlurfte.

„Was ist denn jetzt schon wieder quergelaufen?“ Er quetschte die Worte zwischen den Zähnen hervor.

Die Zornesadern des Wikingers schwollen an. Er stemmte die Fäuste in das Fell über seinen Hüften und wippte drohend auf den Zehenspitzen.

„Das fragst du noch, du Unglücksrabe? Welcher merkwürdige Wurm sitzt in deinem Hirn und flüstert dir zu, daß du Gotlinde zuwinken sollst? Meiner Frau!“

Der Stör duckte sich unter der Wortgewalt, die wie ein Gewitter über ihn hereinbrach.

„Wurm im Gehirn“, murmelte er dennoch. „Gotlinde zuwinken …“

„Und das hört mir auch auf!“ brüllte Thorfin, noch einen Grad lauter.

„… hört mir auch auf.“ Der Stör hob den Kopf. Sein langes Gesicht spiegelte Begriffsstutzigkeit. „Meinst du jetzt den Wurm oder das Winken?“

Einen Atemzug lang sah es aus, als explodiere der Wikinger.

„Dein verdammtes Nachgequatsche“, sagte er jedoch mit mühsam erzwungener Ruhe. „Wann kapierst du das endlich, du Klippfisch? Du sollst mir nicht immer jedes Wort nachquatschen!“

„Aye, aye, Kapitän“, sagte der Stör dienstbeflissen, „nicht immer jedes Wort nachquatschen.“

Die Männer an Deck hielten sich den Bauch, und sie mußten sich abwenden, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen.

„Hoffentlich klappt das jetzt“, brummte Thorfin. Er schnaufte. „Jetzt zur Sache selbst. Was fällt dir ein, Gotlinde zuzuwinken, wenn sie mir zuwinkt?“

Die Kinnlade des Störs klappte herunter. Verdattert starrte er sein riesenhaftes Gegenüber an.

„Aber – ich – ich …“

„Recht so“, entgegnete der Wikinger wutschnaubend und mit grimmigem Nicken. „Bei soviel Hirnrissigkeit muß einer ja anfangen zu stottern. Mann, was soll ich bloß mit dir anfangen? Soll ich jetzt ein ernstes Wort mit dir reden, oder soll ich es dir in deinen wurmstichigen Schädel hämmern?“

„… Schädel hämmern“, wisperte der Stör erschrocken.

Dem Wikinger entging es trotzdem nicht. Jäh zuckten seine mächtigen Fäuste vor. Er packte den anderen am Kragen und schüttelte ihn durch. Wäre der Stör ein dürrer Baum gewesen, hätte er in diesem Augenblick jegliches Laub verloren.

„Ein für allemal!“ brüllte Thorfin Njal und schüttelte weiter. „Du hast Gotlinde nicht zuzuwinken. Du hast sie nicht anzuglotzen. Du hast ihr keine schönen Augen zuzuwerfen. Du hast nicht hinter ihr herzuschielen wie ein Dorftrottel. Du hast sie überhaupt nicht zu beachten.“ Er hielt inne, um Luft zu holen. „So! Das wirst du jetzt nachquatschen. Wort für Wort, damit ich weiß, ob dein Hirnwurm es gefressen hat.“ Er beendete das Schütteln, lockerte seinen Griff jedoch kein bißchen.

Das Gesicht des Störs war grau geworden.

„Aye, aye, Sir, nachquatschen“, erwiderte er ächzend. „Du hast Gotlinde nicht zuzuwinken. Du hast …“

„Ich nicht!“ donnerte der Wikinger entnervt. „Du! Los, noch mal von vorne!“

„Ich habe Gotlinde nicht zuzuwinken?“

„Ja, zum Teufel. Weiter!“

Der Stör ließ ein gequältes Stöhnen hören. Dann haspelte er die Anweisungen Thorfins Wort für Wort in der Ich-Form herunter.

„Na also“, brummte der Wikinger und entließ ihn aus seinem eisenharten Griff. „Schreib dir das jetzt hinter die Löffel. Und laß dich bloß nicht noch mal beim Winken erwischen.“

Erleichtert wandte sich der Stör ab. Er sah die grinsende Meute auf der Kuhl und tippte sich an die Stirn.

„… bloß nicht noch mal beim Winken erwischen“, murmelte er, während er über den Niedergang abenterte.

Aber zu seinem Glück hörte es der Wikinger diesmal nicht. Denn Thorfin hatte sich wieder an der Achterdecksverschanzung aufgebaut und schwenkte beide Arme hoch über dem Kupferhelm. Als Gotlinde sein zweifaches Winken erwiderte, war der Stör schon aus seinem Gedächtnis entschwunden.

Bereits eine Stunde später fand eine Lagebesprechung auf dem Ratsfelsen statt. Hier war vor nicht allzu langer Zeit der Bund der Korsaren gegründet worden, der das Leben auf der Schlangen-Insel und auf Coral Island in geordnete und gesicherte Bahnen lenken sollte.

Diesmal hatte der Seewolf die Versammlung einberufen. Daß die Zeit drängte, war zumindest denen klar, die die letzten Begegnungen mit der Black Queen vor Gran Cayman und Tortuga miterlebt hatten. Aber auch Arne von Manteuffel und die anderen, die auf der Schlangen-Insel geblieben waren, begriffen im Verlauf des Gesprächs sehr schnell, daß eilige Entscheidungen unumgänglich waren.

Zur Teilnehmerrunde auf dem Ratsfelsen gehörten Arkana und ihre Tochter Araua, deren Schönheit mit jedem neuen Tag ihres Lebens vollendeter zu werden schien. Außer Hasard und seinem blonden Vetter Arne waren Jean Ribault, Siri-Tong, Thorfin Njal, Carlos Rivero, Karl von Hutten und Jerry Reeves, der Kapitän der Galeone „Tortuga“ anwesend.

„Es gibt nur einen Punkt auf unserer Tagesordnung“, sagte der Seewolf und blickte in die Runde. „Maßnahmen gegen die Black Queen. Oder hat jemand noch etwas zu ergänzen?“

Die anderen schwiegen. Dann hob Carlos Rivero zögernd die Hand.

„Ich will mich nicht hervortun“, sagte er leise, „aber denen, die mich noch nicht kennen, würde ich gern sagen, wer ich bin, zumal ich eigentlich nicht in diese Runde gehöre.“

„Ich bin auch nicht stimmberechtigt“, sagte Jerry Reeves. Es sollte eine Aufmunterung für den Spanier sein, der in seiner Bescheidenheit bei allen den Eindruck eines aufrechten und grundehrlichen Mannes erweckte.

„Schon gut“, sagte Hasard, „ich hätte es erwähnen sollen. Carlos ist auf meine ausdrückliche Bitte dabei, weil er uns einige wichtige Informationen geben kann. Ich schlage vor, daß er über seine persönliche Geschichte zum Schluß berichtet. Einverstanden?“

Zustimmendes Nicken.

„Also gut“, fuhr der Seewolf fort, „ich gebe euch erst einmal einen Überblick über die Ereignisse der letzten Tage. Was vorher geschehen ist, schildern euch Jean Ribault, Siri-Tong, Thorfin und natürlich Carlos Rivero.“

Nachdem Hasard über die erfolglosen Auseinandersetzungen mit der Black Queen berichtet hatte, schlossen sich Jean, Siri-Tong und Thorfin an. Eingehend erläuterten sie die Geschehnisse um El Triunfo und Gran Cayman.

Carlos berichtete dann über die Meuterei auf der „Aguila“ und seine Begegnung mit der Black Queen, die für ihn um ein Haar tödlich geendet hätte. Deutlich war ihm anzusehen, wie schwer es ihm fiel, die blutigen Ereignisse auf der spanischen Kriegsgaleone noch einmal in seiner Erinnerung wachzurufen.

„Ich habe schwere Schuld auf mich geladen“, schloß er, „der Kapitän und die Offiziere hätten nicht sterben dürfen. Ich hätte damit rechnen müssen, als ich die Decksleute zur Meuterei anstiftete.“

„Anstiften ist das falsche Wort“, sagte Jean Ribault energisch, „nach den ungeschriebenen Gesetzen der Menschlichkeit waren deine Beweggründe richtig. Auch die Leute auf der ‚Aguila‘ müssen davon überzeugt gewesen sein, denn sonst wären sie dir nicht gefolgt. Ihr wolltet letztlich die Ungerechtigkeiten nicht mehr dulden, die im Namen der spanischen Krone ständig verübt werden. Daß dann Menschen sterben mußten, ist schlimm. Aber es fällt nicht unter deine Verantwortung. Du konntest die Meute in ihrer plötzlichen Blutgier nicht zurückhalten.“

Carlos preßte zweifelnd die Lippen aufeinander.

„Jean hat recht“, sagte Hasard, „die Mannschaft der ‚Aguila‘ hat ihre wahre Einstellung schließlich bewiesen. Als Piraten und Marodeure haben sie sich auf die Seite der Black Queen geschlagen. Über kurz oder lang werden sie ihre gerechte Strafe erhalten. Das steht für mich schon jetzt fest. Jedenfalls solltest du endlich aufhören, dich mit Selbstvorwürfen zu plagen, Carlos. Die Bewährungsprobe, vor der wir alle stehen, gilt auch für dich.“

Der Spanier warf dem Seewolf einen dankbaren Blick zu und lächelte kaum merklich.

Die Schlangenpriesterin räusperte sich vernehmlich und blickte mit ernster Miene in die. Runde.

„Eure ganze Kraft wird erforderlich sein“, sagte sie, „die schwarze Frau ist wie ein Fluch, der auf der Welt der karibischen Inseln lastet. Viele Menschen werden sterben müssen, wenn es überhaupt gelingen soll, diesen Fluch abzuwenden.“

Hasard erwiderte Arkanas Blick.

„Ich weiß“, sagte er, und in seinem Gesicht bildeten sich harte Linien. „Aber wir dürfen das Risiko nicht scheuen. Denn unser aller Leben wird nichts mehr wert sein, wenn die Black Queen ihr Ziel erreicht.“

„Sie ist auf dem besten Wege dazu“, sagte Siri-Tong erbittert, „mit jeder Stunde, die verrinnt, baut sie ihr Nest auf Tortuga besser aus. Wenn wir nicht aufpassen, wird sie die Insel fest in ihrer Hand haben. Ich schätze, sie wird Tortuga in eine uneinnehmbare Festung verwandeln.“

„Warum tut denn auf Tortuga niemand etwas dagegen?“ fragte Karl von Hutten. „Ich verstehe das nicht. Wir haben doch viele Freunde dort. Ich denke nur an Diego und jene, die auf seiner Seite sind.“

Hasard forderte Jean Ribault mit einer Kopfbewegung auf, zu antworten.

„Für jemanden, der es nicht selbst gesehen hat, ist es schwer, sich das vorzustellen“, sagte der Franzose. „Karl, du mußt dir vor Augen halten, daß sich die Queen mit einigen hundert Gefolgsleuten auf Tortuga eingenistet hat. Diego und die anderen müßten Selbstmörder sein, wenn sie sich dagegen auflehnen wollten. Sie haben nicht die geringste Chance. Die Queen hat vier gut ausgerüstete Schiffe mitsamt Besatzungen. Und dann noch die Siedler aus El Triunfo.“

„Ihre Rechnung ist aufgegangen“, sagte Siri-Tong und nickte. „Sie hat die Siedler aus den Klauen der Spanier befreit. Dafür erwartet sie ewige Dankbarkeit, und die wird sie auch erhalten.“

„Vergeßt die kleinen Mädchen aus Paris nicht“, sagte Thorfin mit dröhnender Stimme. „Die könnten sämtlichen Kerlen den Kopf verdrehen, und dann stünde dieses schwarze Höllenweib plötzlich ganz allein da.“

„Schön wär’s“, sagte der Seewolf mit dem Anflug eines Lächelns. „Aber ich fürchte, das bleibt reines Wunschdenken. Wir müssen wohl eher damit rechnen, daß die Black Queen nicht lange fackelt, auch ihr nächstes Ziel in Angriff zu nehmen.“

„Und das wäre?“ Karl von Hutten beugte sich gespannt vor.

„Tortuga ist eine Art Brückenkopf für sie. Sie wird versuchen, so viele Siedler wie möglich nach Hispaniola hinüberzuschaffen. Auf diese Weise wird sie auch dort Fuß fassen. Immer weiter breitet sie ihren Herrschaftsbereich aus, bis sie die gesamte Karibik unter Kontrolle hat.“

Carlos Rivero hob die Hand.

„Eines möchte ich dabei aber doch zu bedenken geben“, sagte er, nachdem Hasard ihm zugenickt hatte. „Ich glaube nicht, daß alle dreihundert Siedler aus El Triunfo auf der Seite der Queen stehen werden, wenn es auf Tortuga hart auf hart geht. Die meisten sind froh, dem Tod entronnen zu sein. Da haben sie keine Lust, sich schon wieder in Gefahr zu begeben.“

„Du meinst, das wäre der Fall, wenn wir Tortuga angreifen?“ fragte der Seewolf.

Carlos nickte. „Davon bin ich überzeugt.“

„Ich auch“, sagte Jean Ribault, der gemeinsam mit dem Spanier in El Triunfo gewesen und dabei in eine teuflische Falle geraten war. „Ich stelle mir beispielsweise Emile Boussac vor, den französischen Schankwirt. Der wird sich vor allem überlegen, wie er gegen Diego konkurrieren kann, aber nicht, wie er am besten die Queen unterstützt.“ Jean schüttelte entschieden den Kopf.

„Also gut“, sagte Hasard, „wir müssen diesen Punkt auf jeden Fall berücksichtigen, wenn wir einen Angriffsplan ausarbeiten. Diejenigen Siedler, die sich nicht auf die Seite der Queen schlagen, müssen aus allem herausgehalten werden. Genau wie die übrigen Bewohner von Tortuga. Das erschwert die Sache ungeheuer.“

Einen Augenblick blieb es in der Gesprächsrunde still. Die nachdenklichen Mienen zeigten, wie sehr sich jeder über die Schwierigkeit der bevorstehenden Aufgabe im klaren war. Auf keinen Fall durften Unbeteiligte in Gefahr gebracht werden. Darüber gab es nicht den geringsten Zweifel.

 

„Schluß der Debatte!“ rief Thorfin Njal schließlich. „Wir brauchen nicht mehr herumzureden. Diesmal schnappen wir uns das Satansweib, und wir versohlen ihr den schwarzen Hintern, daß sie sich nie wieder davon erholt.“

Die anderen konnten sich eines Lächelns nicht erwehren.

„Es stimmt, was Thorfin sagt“, erklärte Hasard, „jeder von uns kennt die entscheidenden Einzelheiten, und wir wissen in etwa, was uns bevorsteht. Deshalb beantrage ich Abstimmung: Wer ist dafür, daß wir mit allen Mitteln gegen die Black Queen vorgehen?“

Es gab kein Zögern. Alle Stimmberechtigten erhoben sofort die rechte Hand.

Zum Schluß meldete sich Carlos Rivero noch einmal zu Wort.

„Wenn alles vorüber ist“, sagte er bedächtig, „würde ich mich gern auf Tortuga niederlassen. Vielleicht könnte ich euch dort von Nutzen sein. Als euer Verbindungsmann.“

Niemand hatte etwas einzuwenden. Hasard legte dem Spanier wortlos die Hand auf die Schulter und lächelte.

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