Buch lesen: «Streitlösung in der arbeitsrechtlichen Praxis»
Streitlösung in der
arbeitsrechtlichen Praxis
herausgegeben von
Dr. Burkard Göpfert, LL.M.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, München
und
Roland Lukas
Vizepräsident des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main a.D.
Mediator
Fachmedien Recht und Wirtschaft | dfv Mediengruppe | Frankfurt am Main
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ISBN: 978-3-8005-1742-8
© 2020 Deutscher Fachverlag GmbH, Fachmedien Recht undWirtschaft, Frankfurt am Main
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Printed in Germany
Vorwort
Modernes Arbeitsrecht ist „Einigungs-Recht“. In kaum einem Rechtsgebiet wird eine derart große Zahl an Möglichkeiten geboten, um den scheinbar unlösbaren Konflikt zwischen Kapital und Arbeit in sozialverträglicher, also einem Sozialstaat angemessener Weise zu lösen. Weithin bekannt sind die Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Urteils- und Beschlussverfahrens. Darüber hinaus hat sich in der Praxis aber eine Vielzahl weiterer Instrumente entwickelt, die in der juristischen Literatur allerdings bislang nur vereinzelt, jedes für sich, erörtert werden.
Der vorliegende Band stellt die Vielzahl der Schlichtungsmöglichkeiten im Arbeitsrecht einmal zusammen und gegenüber, wobei die Perspektive der Praxis gewählt wird. Schlichtung ist in erster Linie Praxis und wird von rechtlichen Instrumenten allenfalls begleitet. Der Blick der Beiträge ist daher vor allem gerichtet (1) auf die Indikation eines Verfahrens im konkreten Fall, (2) auf die Vorbereitung und Durchführung, (3) auf den Aufwand, die Kosten und die Kostentragung und (4) auf die Verbindlichkeit (Vollstreckbarkeit) einer gefundenen Lösung. Der vorliegende Band erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern versucht nur, Praktikern einen Überblick über die moderne Handhabung arbeitsgerichtlicher Streitlösungsinstrumente zu geben.
Die Verantwortung für den Inhalt der jeweiligen Beiträge liegt bei den Autoren. Die Herausgeber haben es lediglich übernommen, eine gewisse Einheitlichkeit in der Darstellung sicherzustellen und Querverweise zwischen den einzelnen Beiträgen zu geben. Da die Praxis von Menschen lebt, die im Idealfall ihre Persönlichkeit in den Konflikt einbringen und so zu einer Lösung beitragen, sind auch die Ansichten der Autoren teilweise nicht ganz übereinstimmend, was ausdrücklich so gewollt ist. Nur so lassen sich verschiedene Tendenzen der Praxis sinnvoll abbilden.
Frankfurt/München, April 2020 | Roland Lukas |
Burkard Göpfert |
Bearbeiterverzeichnis
Holger Dahl | Mediator, Königstein im Taunus |
Dr. Burkard Göpfert | Rechtsanwalt, LL.M., München |
Dr. Rüdiger Helm | Rechtsanwalt, LL.M., München |
Heinz Jiranek | Dipl.-Psych., Neufahrn |
Dr. Nicole Krüger | Rechtsanwältin, München |
Roland Lukas | Mediator, Frankfurt am Main |
Sascha Pessinger | Richter am Bundesarbeitsgericht, Erfurt |
Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück | Rechtsanwalt, Berlin |
Inhaltsverzeichnis
1 Vorwort
2 Bearbeiterverzeichnis
3 Inhaltsverzeichnis
4 A. Alternativen und Rechtsgrundlagen der Streitlösung im Arbeitsrecht I. Die Parteien Arbeitgeber – Arbeitnehmer 1. Der klassische Weg – ein Gerichtsverfahren a) Die erste „offizielle“ Chance zur Einigung: Der Gütetermin b) Das Güterichterverfahren als „Seitensprung“ c) Streitbeilegung nach einem Urteil 2. Alternative Wege a) Die außergerichtliche Mediation – es ist nie zu spät b) Außergerichtliche Streitschlichtung aufgrund von Kollektivvereinbarungen c) Außergerichtliche Schlichtung aufgrund von Individualvereinbarungen II. Die Parteien Arbeitgeber – Betriebsrat 1. Das gerichtliche Beschlussverfahren 2. Die Einigungsstelle 3. Alternative Wege a) Freiwillige Einigungsstelle/andere Schlichtungsverfahren b) Moderierte Verhandlungen c) Mediation zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat III. Die Parteien Arbeitgeber – Gewerkschaft 1. Das arbeitsgerichtliche Verfahren 2. Die Tarifschlichtung
5 B. Die Praxis der arbeitsrechtlichen Streitlösung I. Die Grundlage jeder Lösung: Psychologie der Verhandlungsführung 1. Die Fairness-Falle 2. Systemzustand 1: Rein in die Fairness-Falle 3. Systemzustand 2: Raus aus der Fairness-Falle durch Mediation a) Worum geht es? b) Die einzelnen Phasen aa) Die Rahmenbedingungen bb) Einführung durch den Moderator cc) Sammeln der Themen/Ordnen der Themen dd) Klären der Interessen ee) Ideensuche, Lösungsoptionen ff) Auswahl des Denkbaren gg) Vereinbarungen festhalten 4. Zusammenfassung II. Der „Klassiker“: Gütetermin im Urteils- und Beschlussverfahren 1. Gesetzliche Regelung und Zweck der Güteverhandlung 2. Erforderlichkeit der Güteverhandlung a) Urteilsverfahren b) Beschlussverfahren 3. Güteverhandlung als separater Termin 4. Vorbereitung der Güteverhandlung a) Gericht aa) Terminierung bb) Persönliches Erscheinen cc) Frist zur Erwiderung dd) Inhaltliche Vorbereitung b) Parteien, Beteiligte und ihre Bevollmächtigten aa) Terminierung bb) Terminswahrnehmung cc) Schriftsätzliche Erwiderung dd) Inhaltliche Vorbereitung ee) Außergerichtliche Vergleichsverhandlungen 5. Durchführung der Güteverhandlung a) Keine Antragstellung b) Sachverhaltsaufklärung, Erörterung und Lösungsmöglichkeiten aa) Erörterung bb) Sachverhaltsaufklärung cc) Gütliche Einigung dd) Andere Lösungsmöglichkeiten ee) Ergebnis der Güteverhandlung 6. Säumnis einer Partei 7. Gütetermin und Prozesskostenhilfe 8. Fazit III. Die gerichtliche Alternative: Das Verfahren vor dem Güterichter und Alternative Mediation 1. In welchen Konfliktsituationen welches Verfahren wählen? a) Grundkonstellation: Güteverfahren/Gütetermin b) Alternative Lösungen? aa) Güterichterverfahren bb) Mediation 2. Fazit: Maßgebliche Unterschiede zwischen Güterichter und Mediation IV. Einsatzmöglichkeiten der Mediation im Arbeitsrecht 1. Mediationstauglichkeit von arbeitsrechtlichen Konflikten 2. Mediation zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer a) Mediation im bestehenden Arbeitsverhältnis aa) Reorganisation/Fusion/Umstrukturierung bb) Streit um Vergütungsansprüche cc) Spannungsfeld Betriebsratstätigkeit und Arbeitsleistung dd) Gehaltsanpassung bei Betriebsräten b) Mediation während laufendem gerichtlichen Verfahren c) Mediation bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses aa) Mediation vor Ausspruch einer Kündigung bb) Mediation während des Kündigungsschutzprozesses 3. Mediation zwischen Arbeitnehmern 4. Mediation zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat a) Mediation zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat b) Mediation in Mitbestimmungsangelegenheiten 5. Mediation zwischen Betriebsräten 6. Mediation zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaften 7. Fazit V. Der kollektivrechtliche „Klassiker“: Einvernehmliche Errichtung und Anrufung einer Einigungsstelle und Einsetzungsverfahren 1. Bedarf für die Errichtung einer Einigungsstelle a) Errichtungsgründe aa) Erzwingbares Verfahren bb) Freiwilliges Verfahren cc) Ständige Einigungsstelle 2. Die Anrufung der Einigungsstelle 3. Die Errichtung der Einigungsstelle a) Die gerichtliche Errichtung einer Einigungsstelle aa) Antrag bb) Zuständigkeitsprüfung cc) Beschleunigtes Verfahren dd) Auswahl des Vorsitzenden ee) Anzahl der Beisitzer ff) Konsequenzen b) Die einvernehmliche Errichtung der Einigungsstelle aa) Vorteile der einvernehmlichen Errichtung bb) Verhandlungspunkte VI. Der „Good and Worst Case“ in einer Einigungsstelle 1. Der „Good Case“: Die Spruchvermeidung a) Aufgabe b) Zeitpunkt c) Ladung d) Arbeitsumgebung e) Inhaltliche Vorbereitung f) Beisitzer g) Haltung h) Vorsitzender i) Gerichtliche Bestellung j) Ablauf k) Interessenklärung l) Pendeldiplomatie (shutteln) m) Lösungsfindung n) Faktor Zeit 2. Der „Worst Case“: Die „schwierige“ Einigungsstelle a) Wann ist eine Einigungsstelle „schwierig“? b) Der Weg in eine „schwierige“ Einigungsstelle c) „Schwierige“ Zuständigkeitsfragen nicht aufschieben d) Entscheidungserheblichkeit, Entscheidungszuständigkeit und Spruchkompetenz e) Wenn es zuletzt zum „Schwur“ kommt: Der Spruch der Einigungsstelle VII. Neue Ansätze: Moderierte Verhandlungen bei Betriebsänderungen 1. Bisherige Praxisansätze a) „Vorfeld“-Moderation zur Vermeidung einer formalen Einigungsstelle b) „Mehr-Parteien“-Moderation bei komplexen Gremien-Situationen c) Moderation im Umfeld eines möglichen Tarifsozialplans d) Moderation bei komplexer Finanzierungs- und Eigentümer-Struktur 2. Indikation für eine Moderation a) Wunsch aller Parteien nach einem Ergebnis auf freiwilliger Basis b) Wunsch nach Informalität und Vertraulichkeit c) Wunsch nach Prozess-Transparenz („ordnende Hand“) d) Möglichkeit der Formalisierung von Ergebnissen 3. Rolle und Auswahl des Moderators a) Konsensfähig und neutral b) Profi ohne eigene Ambitionen c) Autorität durch bloße Präsenz im Prozess d) Ordnender Rechtsrat, ohne sich persönlich festzulegen e) Englischkenntnisse f) Autorität gegenüber Dritten g) Kein „Makler“, sondern nur Moderator h) Verschwiegenheit i) Bereitschaft zur formalen Lösung? j) Bereitschaft zur „Niederlegung“ 4. Moderationsvereinbarung a) Bestimmung der Parteien b) Bestimmung des Gegenstands c) Einvernehmliche Bitte um Moderation d) Beschreibung der wesentlichen Aufgaben im Prozess e) Niederlegungsrecht, Haftungsausschluss f) Vertraulichkeit und Entbindungsregelung g) Kostentragung, Aufwandsentschädigung, Vorschuss h) Laufzeit und Beendigung i) Überleitung in eine Einigungsstelle? 5. Vorbereitung und Ablauf der Moderation a) Vorbereitung b) Typischer Ablauf 6. Überleitung in ein Einigungsstellenverfahren? a) „Moderationswirkungen“ auf eine Einigungsstelle b) Moderationswirkungen im Einigungsstelleneinsetzungsverfahren 7. Fazit VIII. Tarifverträge als Mittel der betrieblichen Konfliktlösung 1. Warum Tarifverträge, es gibt doch Betriebsvereinbarungen? a) Der Betriebsrat als Teil des Unternehmens b) Regelungssperre für tarifübliche Regelungen c) Gestaltungsoptionen durch Tarifvertrag 2. Wann sollten tarifliche Lösungen mitgedacht werden? a) Mögliche Felder für tarifliche Regelungen b) Die zwei Perspektiven der Umstrukturierung aa) Umstrukturierungsmaßnahmen verunsichern bb) Den psychologischen Vertrag7 mitdenken cc) Die Absicherung ausscheidender Beschäftigter dd) Die Zukunftsperspektive unterstreichen ee) Über die Grenzen der Betriebsverfassung hinausdenken c) Entgeltgleichheit von Frauen und Männern d) Arbeits- und Gesundheitsschutz e) Die Qualifizierung der Qualifizierten f) Tarifverhandlungen sind stark lösungsorientiert 3. Abschließende Hinweise a) Vorteil durch Tarifvertrag b) Tarifschlichtung und moderierte Gespräche c) Aus Erfahrung: Tarifvertrag d) Formelles
6 Literaturverzeichnis
7 Sachregister Sachregister A Sachregister B Sachregister C Sachregister D Sachregister E Sachregister F Sachregister G Sachregister H Sachregister I Sachregister K Sachregister M Sachregister O Sachregister P Sachregister Q Sachregister R Sachregister S Sachregister T Sachregister U Sachregister V Sachregister Z
A. Alternativen und Rechtsgrundlagen der Streitlösung im Arbeitsrecht
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Bevor es im nächsten Teil anschauliche und zur Nachahmung ermunternde Praxisbeispiele und Tipps zur Vorgehensweise gibt, möchte ich vorweg die Basis erklären, auf die alle Praktiker zurückgreifen (müssen), ganz gleich, wie sehr im „Eifer des Gefechts“ sie gerade stecken. Der geltende rechtliche Rahmen muss bei allen noch so kreativen Auflösungen eines Streits beachtet werden. Denn falls nicht, hat am Ende womöglich keine der streitenden Parteien eine verlässliche Lösung und die investierte Zeit und Kosten waren umsonst. Die Zahl der Alternativen ist in jeder Konstellation endlich, ebenso die einzuhaltenden Formalia wie auch die vorgegebenen zeitlichen Abläufe. Daher kann dies, gewissermaßen als vor die Klammer gezogenes „Grundwissen der arbeitsrechtlichen Streitbeilegung“ bezeichnet werden.
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Bei der Frage, um welche Streitigkeit es sich handelt, ist im Arbeitsrecht die Antwort als erstes anhand der beteiligten Parteien zu suchen. Diese sind Arbeitgeber auf der einen, auf der anderen Seite entweder der Arbeitnehmer oder ein kollektives Gremium, namentlich ein Betriebsrat oder eine Gewerkschaft.1 Die Parteien zeichnen die potenziellen Ansprüche vor, um die es gehen kann und auch die Möglichkeiten der Streitbeilegung.
1 Es gibt zwar auch Streitigkeiten zwischen Kollektivgremien, wie zum Beispiel Betriebsrat gegen Betriebsrat und auch Streitigkeiten Arbeitnehmer gegen Betriebsrat, diese sollen jedoch aufgrund der geringen praktischen Relevanz außen vor bleiben. Letztlich finden sich hier die gleichen Alternativen zur Streitbeilegung wie dargestellt.
I. Die Parteien Arbeitgeber – Arbeitnehmer
1. Der klassische Weg – ein Gerichtsverfahren
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Sei es bei Streitigkeiten während des laufenden Arbeitsverhältnisses, sei es bei Beendigungsstreitigkeiten, der vorgeschriebene Weg führt hier zu den Arbeitsgerichten.2 § 5 ArbGG bestimmt eine ausschließliche Zuständigkeit. Das bedeutet, bei Erhebung einer Klage im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis vor einem anderen Gericht, beispielsweise einem Amtsgericht, muss dieses an das örtlich zuständige Arbeitsgericht verweisen. Anders als im „normalen“ zivilgerichtlichen Verfahren findet nahezu stets ein gesonderter Gütetermin statt. Neben dem besonderen Beschleunigungsgrundsatz in Bestandsstreitigkeiten und der Kostenneutralität in erster Instanz ist das sicher die herauszuhebende Besonderheit des arbeitsgerichtlichen Verfahrens. Es kann auch ein zweiter Gütetermin anberaumt werden, was in der Praxis nicht allzu selten auch vorkommt, wenn der Richter das Gefühl hat, eine gütliche Einigung könnte zustande kommen. Er wird dann womöglich auch etwas großzügiger terminieren.
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Vor Einleitung eines Gerichtsverfahrens muss – nicht nur im Arbeitsrecht – der streitbefangene Anspruch außergerichtlich geltend gemacht werden. Bei Parteien eines Arbeitsvertrages häufig bereits deshalb, um die Anforderungen einer individualrechtlichen oder kollektivrechtlich wirkenden Ausschlussklausel zu erfüllen. Bereits hier, quasi mit Offenbarung der Meinungsverschiedenheit, kann die andere Partei schlichtend tätig werden, muss es aber nicht.
a) Die erste „offizielle“ Chance zur Einigung: Der Gütetermin
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Mag es an den Parteien liegen oder am Richter oder an beiden – diese Chance zur Einigung verstreicht mangels Vorbereitung seitens der Parteien (und Anwälte) und mangels Einplanen von ausreichend Zeit durch den Richter („10-Minuten-Durchlauftermin“) oft ungenutzt. Da es hier ein gesondertes Kapitel im zweiten Teil gibt, soll der Verweis hierauf an dieser Stelle nicht fehlen.3 Aus der anwaltlichen Sicht muss die strategische Frage, ob eine Einigung im Gütetermin angestrebt wird, vor diesem mit dem Mandanten besprochen werden. Oftmals kommt eine Einigung nicht in Frage, egal was im Gütetermin passieren mag – so zumindest die unumstößliche Meinung der Partei (und des Anwalts). Manchmal macht es Sinn und entspricht dem Willen des Mandanten, die Sache möglichst schnell zu erledigen. Und dann kommt es im Gütetermin doch anders als geplant. Dies mag an einem geschickten Richter liegen oder, im umgekehrten Fall, an dem unnötig aggressiven Verhalten der Gegenseite. Aus diesem Grund sollte ein Anwalt versuchen, einen Entscheider auf Mandantenseite zum Termin mitzubringen oder – was manchmal aus atmosphärischen Gründen die bessere Lösung ist – eine telefonische Verfügbarkeit dieses Entscheiders während des Termins sicherzustellen. Idealerweise stimmt der Anwalt bereits vorher mit seinem Mandanten alle potenziellen Möglichkeiten ab, damit er seiner Rolle als Prozessbevollmächtigter gerecht werden kann.
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Der Gütetermin dient auch häufig als Wegbereiter für „Offline“-Gespräche zwischen den Anwälten oder den Parteien im Nachgang. Hilfreich kann hier ein kurzer, vorbereitender Schriftsatz als erste Einführung in die Sach- und Rechtslage sein. Vor allem auch in Kündigungsschutzstreitigkeiten wird dem Richter so eine Vorbereitung und eine erste Meinungsbildung in rechtlicher Hinsicht erleichtert und er kann im Gütetermin bereits der Risikoverteilung angemessenere Vergleichsvorschläge machen. Der (geringe) Aufwand lohnt sich tatsächlich häufig und in Massenverfahren ist ein vorbereitender Schriftsatz meines Erachtens ein Muss, selbst dann, wenn von vorneherein feststeht, dass eine Einigung im Gütetermin nicht in Frage kommt. Denn der Richter ist so von Anfang an „in der Spur“ und der gegnerische Anwalt kann gegebenenfalls bereits beginnen, seinen Mandanten auf Prozessrisiken aufmerksam zu machen und die Vergleichsbereitschaft so (mittelbar) zu erhöhen.
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Bei gut beginnenden Vergleichsgesprächen im Gütetermin kann das Verfahren dann ruhend gestellt werden. Danach kann weiterverhandelt werden, ohne dass ein störender, weil angreifender Schriftsatz folgen muss. Meiner Erfahrung nach wird immerhin circa die Hälfte der Verfahren dann nicht wieder aufgerufen. Die rechtliche Grundlage hierfür ist § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 251 ZPO.
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Natürlich kann auch eine Einigung direkt im Gütetermin erfolgen – was häufiger ist, als man glauben mag: So werden weit über 50 % aller anhängig gemachten Individualverfahren im ersten Termin verglichen, übrigens sehr oft auch dann, wenn eine oder beide Seiten (noch) nicht anwaltlich vertreten sind.
b) Das Güterichterverfahren als „Seitensprung“
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Das Güterichterverfahren kann nur im Rahmen eines förmlichen Arbeitsgerichtsprozesses eingeleitet werden, § 54 Abs. 6 ArbGG. Der Arbeitsrichter gibt das Verfahren an einen Güterichter ab und es kommt, wenn es dort nicht beendet werden kann, wieder zu ihm zurück. Dieses Verfahren hat immer noch eine Exotenstellung inne. Dies zum einen deshalb, weil es das Einverständnis beider Parteien in der Praxis voraussetzt und zum anderen sicher auch deshalb, weil viele Parteien (und deren Anwälte) es scheuen, sich mehrere Stunden oder gar einen Tag mit dem Gegner zusammenzusetzen. Die Rolle der Parteien ist im Güterichterverfahren eine deutlich stärkere. Der Anwalt tritt zurück und wird vom Prozessführenden und Vertreter zum Berater und Begleiter.4 Diese Rolle ist manchen Anwälten fremd – und bei einigen unbeliebt. Die rechtliche Grundlage und einige Praxisbeispiele folgen in Teil B, Kapitel III. An dieser Stelle sei erwähnt, dass für das Güterichterverfahren das Mediationsgesetz nicht gilt. Was auch ein wichtiger Unterschied zu einer Mediation ist: Die Parteien können sich die Person des Güterichters nicht aussuchen und, wenn keine Einigung erzielt wird, wird das Verfahren wieder in das reguläre Prozessverfahren übergeleitet.