Freie Liebe ist für Feige

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Freie Liebe ist für Feige
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Birgit Schmid,

geboren 1972 in Aarau, studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Komparatistik an der Universität Zürich und wurde 2004 promoviert. Anschließend arbeitete sie als Filmkritikerin, u. a. für die »Neue Luzerner Zeitung«, und als freie Journalistin für diverse Schweizer Zeitungen, war stellvertretende Chefredakteurin beim »Magazin«, bevor sie 2015 in die Redaktion der »Neuen Zürcher Zeitung« wechselte, wo sie den Wochenendbund mitverantwortet und wöchentlich eine Kolumne zum Thema Beziehung schreibt.

BIRGIT SCHMID

Freie Liebe ist für Feige

Lob der Eifersucht


zu Klampen

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Von der Poesie einer Qual

Abgehängt – störende Gefühle

Liebe, ein heiliger Wahnsinn

Die Eifersucht hilft zu überleben

Niemand anderer darf dich haben

Ein Antrieb im Tanz der Talente

Die Utopie von der freien Liebe

Eine Männerphantasie als Frauenwunsch

Verdrängung einer Leidenschaft in der Literatur

Der rundum faire Deal des frühzeitlichen Paars

Eifersucht als Beschützerin der Liebe

Immer diese Angst vor dem Vergleich

Du gehörst mir – Rückeroberungen

Literaturhinweise

Von der Poesie einer Qual

Sobald man jemanden liebt, ist sie da, die Eifersucht. Man sieht den kleinen Korb mit den Streichholzschachteln, die sie über die Jahre aus Restaurants und Bars mitgenommen hat, und denkt im stillen: Mit wem war sie dort? Und warum war das nicht mit mir? Es kann zu frühen Verwandlungswünschen kommen, indem man den andern nicht nur haben, sondern dieser auch sein möchte. Man geht zusammen durch die Straßen und folgt seinem Blick, um zu sehen, was er sieht. Mit seinen Augen begegnet man fremden Augen, wie eine Kamera nimmt man auf, wenn er sich einer Dritten zuwendet, als dürfte einem nicht entgehen, von ihm für die Länge eines Augenblicks vergessen zu werden. Und so bemerkt man Jahre später auch seine aufgesprungene Lippe, die einem ohne Eifersucht nicht aufgefallen wäre. Und war das wirklich ich damals? Die eines Abends ins Kino gegangen ist im Wissen, dass er mit seiner Frau in eben diesen Film geht. Man setzt sich drei Reihen hinter sie, starrt im Schein der Leinwand auf die beiden Köpfe, spürt das Herz bei jeder Neigung der Gesichter zueinander stärker schlagen. Vielleicht ist man heute zusammen, ist aus dem heimlichen Geliebten die eine Hälfte eines offiziellen Liebespaars geworden, aber auch dann betritt man noch keine Sicherheitszone: die Schuhe, die aus dem Fenster fliegen, damit sie nicht gehen kann; die Reiskörner, die den Küchenboden überfluten, um ihn zum Reden zu bringen. Eifersucht hat die Kraft des Dramas.

Man ist nie grundlos eifersüchtig, denn wer liebt, ist gefährdet. Man setzt sich aus, offenbart sein Innerstes und hat jetzt alles zu verlieren. Die Eifersucht soll dabei helfen, sich weniger schutzlos zu fühlen. Es gibt keine Liebe ohne Eifersucht. Und daran wird sich nie etwas ändern, so aufgeklärt die Menschen leben, so liberal sich eine Gesellschaft gibt. So sehr die romantische Liebe überwunden werden soll und ihre Forderung nach Ausschließlichkeit. Eifersucht hat einen Sinn, und auch wo sie scheinbar sinnlos ist und auf nichts anderem als auf Einbildung beruht, prägt sie die Liebe. Die Liebe, diese ungeordnete und unvernünftige Erfahrung, bringt Eifersucht mit sich. Eifersucht ist deren quälende Variante.

Man kann niemanden gewinnen, zuerst den Vater, später eine Frau oder einen Mann, wenn man nicht weiß, was es heißt, eifersüchtig zu sein. Die Eifersucht treibt einen zu kämpfen an, immer wieder an den Punkt zu gelangen, wo es keinen Grund mehr gibt, eifersüchtig zu sein. Es gibt den erlösenden Moment von diesem zehrenden Gefühl, eine Pause von der Angst, nicht die Erste und Einzige zu sein, abgehängt, überwunden und ersetzt zu werden. Doch fühlt man sich eben noch versichert, spürt man bald wieder die Stiche, die vielleicht zum bohrenden Zweifel werden. Die Eifersucht sucht sich Nahrung und findet sie auch.

Nicht jeder Mensch ist eifersüchtig wie der andere. Manchmal steigert sich der Leidende in einen Wahn. Was aber unveränderlich alle erfahren: Es geht letztlich immer darum, die ungeteilte Liebe zu erhalten. Das gehört zum Selbstverständnis, überhaupt auf der Welt zu sein, dadurch erhält das Leben eine Bedeutung. Man möchte eine Exklusivität darstellen als Liebespaar. Du und ich.

Eifersucht eröffnet einen Phantasieraum, das fesselt an ihr, trotz der Qual, die sie verursacht. Man beginnt beim Warten auf den Anruf des andern im Telefon ein Orakel zu sehen. Ist eifersüchtig auf die Zeit, in der man nichts von ihm hört. Ihr hätten die »Injektionen von Wirklichkeit gefehlt«, sagt die Ich-Erzählerin in Ingeborg Bachmanns Roman »Malina«, nachdem sich Ivan eine Woche lang nicht bei ihr gemeldet hat und ihr spöttisch vorhält: »Eifersüchtig sind wir aber hoffentlich nicht, mein Fräulein.« Eifersüchtige stellen sich alles vor und beweisen geradezu ein Talent, zum Dichter oder Opernregisseur zu werden. Was wäre die Oper ohne die »dunkle Schwester der Liebe«, als die die Eifersucht bezeichnet wird? Sie erst bewirkt den Überschwang, wofür man Opern liebt. Was wäre eine Tosca oder ein Rigoletto ohne die Eifersucht? Nichts triebe die Handlung voran, es gäbe keine Steigerung, keine Verwicklungen. Die verschiedenen Kräfte zerrten nicht an den Protagonisten, es entwickelte sich keine Dynamik. »Le nozze di Figaro« oder »Die lustige Witwe« wären nach einem Akt zu Ende, zumal auch die Intrige, von der die Oper lebt und die als Katalysator der Eifersucht funktioniert, sich als wirkungslos erwiese. Gräfinnen, Pagen, Diener würden sich langweilen und lebten auf der Bühne gleichgültig dahin. Das will niemand sehen. Und die Kultur wäre um viele großartige Erzeugnisse ärmer.

Das lässt sich genauso an Beispielen aus der Literatur und dem Film illustrieren. Shakespeare hätte Othello zwar auch mit Desdemona verheiratet. Aber statt des »grünäugigen Ungeheuers«, als das die Eifersucht in dieser Tragödie bezeichnet wird, führten vielleicht Standesunterschiede oder Othellos dunkle Hautfarbe zu Hindernissen, die knapp genug Stoff für ein Drama hergegeben hätten. Auch wenn das keine wahren Geschichten sind, so sagen sie doch etwas über die Möglichkeiten der Liebe aus, wie sie das Leben größer machen. Sie bilden die Gefühle ab, die einem dann filmisch oder der Literatur entnommen vorkommen. Die Gefühlen finden in den Geschichten eine Resonanz.

Das versuchte vor ein paar Jahren eine Literaturprofessorin ihren Schülern zu vermitteln. Die wichtigste Sache im Leben sei, verkündete sie in ihrer Vorlesung, das eigene Leben zu leben, als wäre es ein guter Roman – als handle es sich um ein gutes, aufregendes Drehbuch. »Würde das Publikum während des Films eures Lebens hinauslaufen?« fragte sie ihre Studentinnen und Studenten. Die meisten antworteten insgeheim mit »Ja«.

Man könnte der Lehrerin vorwerfen, sie handle verantwortungslos, indem sie junge Leute dazu anhalte, sich in der Liebe nicht zufriedenzugeben. Nehmt euch »In the Mood of Love« zum Vorbild, besagt ihre Aufforderung, haltet die Sehnsucht wach und feiert den Verzicht wie das Paar im Film von Wong Kar-Wai. Macht es wie Elizabeth und Mr. Darcy bei Jane Austen und kämpft umeinander, als wäret ihr füreinander bestimmt. Versucht euch als Lady Chatterley, seid gefährlich wie Murakamis Geliebte! Damit könnte die Literaturprofessorin viele junge Menschen unglücklich machen, weil diese irgendwann merken, dass das wirkliche Leben kleiner ist als ein Roman oder ein Drama auf der großen Leinwand.

Diese Erkenntnis hat unzählige Beziehungsratgeber hervorgebracht und beschäftigt heute Kulturkritikerinnen und Paartherapeuten. Sie klingen immer gleich ernüchternd: Erfülle die Phase der Verliebtheit meistens noch alle Merkmale der romantischen Liebe, merke man spätestens nach ein paar Jahren, dass der Wunsch nach Aufregung, Leidenschaft und Begehren sich nicht mit der Dauer vertrage. Die Erwartung an die Liebe, ewig zu sein und ewig leidenschaftlich, bedeute gerade ihre vorzeitige Endlichkeit. Deshalb endeten die großen Liebesgeschichten meistens tragisch, wie Louis Aragon mit einem einzigen Vers klargemacht hat: »Il n’y a pas d’amour heureux«. In den meisten Leben aber führe fast jede Liebesgeschichte in die geregelte Beziehungsform der Ehe und finde ein vergleichsweise banales Ende. Derjenige, dem man das Träumen auf trage, könne also nur scheitern.

 

Und doch gibt es keinen Grund, die romantische Professorin zu schelten, die ihre Schüler zu größeren Erwartungen ermutigen will. Im Gegenteil, zu loben wäre sie für ihre Absicht, mehr Bedingungslosigkeit und Hingabe zu fordern und von der Literatur, der Kunst, dem Film fürs Leben abzuschauen. Damit schlägt sie nicht einmal etwas Neues vor. Schon im 19. Jahrhundert schulte der Liebes- und Eheroman Frauen und Mädchen aus der breiten Bevölkerung darin, wie Liebe, Treue und Ehe zusammengehen und was die explosive Kraft der Eifersucht anrichten kann. Sie erfuhren, wie sich eine Frau in eine außereheliche Affäre und damit ins Verderben stürzte. Auch eine Frau hat ein Anrecht auf ein eigenes Begehren, lernten sie daraus. Sie bekamen vor Augen geführt, wozu ein guter Mann fähig ist und was die Liebe mit ihm anrichtet.

Hielten die Leserinnen damals die Verschmelzung der Seelen in der Ehe für die Wirklichkeit, so wurden sie zwar desillusioniert, sobald sie selber heirateten. Doch das war immer noch früh genug. Wären sie hingegen gar nicht erst von der Literatur verführt worden, hätten sie nie erfahren, dass sich das Dasein nicht in Kochen und Stricken erschöpft und es eine andere Möglichkeit von Existenz gibt. Und darum geht es im Liebessehnen bis heute. Mittlerweile wird der Roman als Vorschule der Ehe noch um den Film ergänzt, und zudem müsste es jetzt Vorschule des Liebens heißen, da die eheliche Beziehung endgültig zum Synonym für Liebe geworden ist. Gleichzeitig ist die Ehe nur noch eine Option für andere Formen des Zusammenlebens als Paar und fast gleichwertig mit dem Konkubinat. Die Kunst vermittelt aber weiterhin ein Gefühlswissen, wie es die Lehrsätze aus der Psychologie nie vermochten. Diese ermahnen uns nur mehr, den andern nicht mit Liebe zu erdrücken, seine Grenzen zu respektieren, ihn frei zu lassen.

Die Allgegenwärtigkeit der Liebesvorbilder in Kultur und Literatur sagt allerdings noch nichts darüber aus, wie es um die Liebesbegabung heute steht. Die oben zitierte Professorin vermisst diese bei ihren Studenten, wie ihre rhetorische Frage und die Antwort darauf deutlich machen. Was sie meint: Die Ehe anzustreben, ist nicht gleichbedeutend mit dem Mut, sich einzulassen, und zwar auch dann, wenn ein gemeinsames Leben aussichtslos scheint. Dieses Streben nach der Ehe als Ziel hat nichts mit der Bereitschaft zu tun, auf jemanden zu warten, ihn zu vermissen, eine Asymmetrie auszuhalten wie zum Beispiel im Falle ungleich starker Gefühle. Sich eine gleichwertige Beziehung zu wünschen, heißt noch nicht, dass man Gleichheit in jedem Bereich fordern muss, diesen Fetisch unserer Zeit. Die Liebe schert sich nicht um ein partnerschaftliches Verhältnis. Ungleichheit erst kann Leidenschaften wecken, und dazu zählen auch die quälenden. Zu ihnen gehört die Eifersucht. Werden die Ansprüche an die Liebe gleicher, muss man um die Einzigartigkeit der Liebe fürchten.

Abgehängt – störende Gefühle

Als Anfang Dezember 2017 darüber diskutiert wurde, ob im Metropolitan Museum in New York ein Gemälde des französischen Malers Balthus abgehängt werden sollte, fand in der Dependance des Met gleichzeitig eine Ausstellung zu Edvard Munch statt. Ich konnte nicht durch die Munch-Schau im Met Breuer gehen, ohne dass sich das Bild des Anstoßes drüben beim Central Park dazwischenschob. Balthus’ »Thérèse, träumend« von 1938, das ein Mädchen in lasziv-selbstvergessener Pose auf einem Stuhl sitzend zeigt, hatte zwei junge New Yorkerinnen zu einer Petition bewogen. Darin forderten sie, das Kunstwerk zu entfernen oder wenigstens erklärend einzuordnen, denn es verkläre die kindliche Sexualisierung. Es sei verletzend und anstößig – »verstörend«.

Wie viele Werke von Munch müssten auch mit dieser Warnung versehen werden? Dieser Gedanke beschäftigte mich beim Gang durch die Ausstellung »Between the Clock and the Bed«, bis ich schließlich vor Munchs Gemälde »Eifersucht« stand. Das 1907 vom norwegischen Künstler erschaffene Werk über die umstrittene besitzergreifende und oftmals tödliche Leidenschaft interessierte mich bei diesem Museumsbesuch besonders. Doch bereits auf dem Weg in den Saal, wo es hing, ließ sich erfahrbar machen, was in diesen Wochen die öffentliche Debatte bestimmte und die Kunstwelt beschäftigte. Wie viele von Munchs Werken hier an den Wänden wären auch als politisch unkorrekt, da aufwühlend oder frauenfeindlich, einzustufen?

Da war das sterbende Kind, dem dokumentierenden Pinsel des Künstlers ausgesetzt. Da starrte mich dieser vom Selbstbildnis an, übernächtigt und von einem inneren Aufruhr gequält. Dort räkelte sich eine barbusige Madonna. Der unendliche Schrei vor gleißendem Himmel. Und was genau hatte sich zwischen dem Maler und seinem Modell abgespielt, die vor einem ungemachten Bett im Hintergrund stehen? Sie leicht bekleidet, mit glühendem Gesicht und wirrem Haar. Er schon wieder angezogen.

Das Gemälde »Der Künstler und sein Modell« bildete einen #MeToo-Moment ab, bloß trug hier das Modell den Morgenmantel und der Mann mit dem verkniffenen Mund Frack und Fliege. Die Szene wies ins Heute, auf das, was nach dem Harvey-Weinstein-Skandal die Öffentlichkeit erregte. Nachdem ans Licht kam, wie der Hollywood-Produzent, zu dessen Insignien wiederum der Morgenmantel und die Besetzungscouch gehörten, seine Macht schamlos ausgenutzt hatte und Schauspielerinnen bedrängte und sogar vergewaltigt haben soll, begannen Frauen weltweit über erfahrene sexuelle Belästigungen zu reden. Doch dann begann #MeToo Kreise zu ziehen, die auch die Freiheit der Kunst bedrohen könnten. Das »aktuelle Klima um sexuelle Übergriffe«, auf das sich die »Thérèse«-Petition in Anspielung auf #MeToo bezog, brachte eine Zensur von unten hervor. In diesem tief moralisch gefärbten Klima geht es nicht mehr nur um Vorwürfe der sexuellen Belästigung oder des Sexismus an die Adresse prominenter Männer aus dem Kultur- und Kunstbereich. Sondern am Pranger stehen die Kunstwerke selbst, die für die Neigungen ihrer Schöpfer verantwortlich gemacht werden.

In der New Yorker Munch-Ausstellung hingen noch alle Bilder, und ich erfuhr, was Kunst vermag und was man bisher an ihr liebte: zu berühren, aufzuwühlen und eben auch zu verstören. Man sieht sich der Angst, dem Begehren und dem Zerfall gegenüber, tritt mit den je eigenen Fragen an ein Bild heran, erkennt die Zeitlosigkeit einer Empfindung. Vielleicht war zwischen dem Künstler und seinem Modell auch alles ganz anders in besagtem Gemälde von Munch, und das Bett mit den zerwühlten Laken, von dem die Decke zu Boden floss, beschrieb eine harmlose Szene. Aber das ist es ja: Man stellt sich beim Betrachten alles vor. Sieht darin zum Beispiel die Abhängigkeit einer jungen Frau von 1921, die vom Künstler zweifach in Besitz genommen wird: im Bett und auf der Leinwand, wo er sie – mit seinem männlichen Blick – noch einmal erschafft, um seinen künstlerischen Ruhm zu mehren. Falls ich mir beim Museumsbesuch also ein paar Gedanken mehr als üblich machte, so hätte die Sexismus-Debatte einen Zweck erfüllt.

Auch Munchs Gemälde »Eifersucht« verlangt vom Betrachter, eine ästhetische Mehrdeutigkeit auszuhalten. Wenn etwas eine Asymmetrie des Begehrens zeigt, dann die Eifersucht. Eifersucht deutet meist auf ein emotionales Ungleichgewicht hin. Sie gründet in der Angst, dass man weniger oder gar nicht mehr geliebt wird, der wichtigste Mensch einen anderen begehrt. Hinzu kommt der Besitzanspruch dieser Leidenschaft, was ihr Ansehen in der aktuellen Debatte nicht gerade erhöht. Eifersucht ist ein anderes Wort für Übergriff.

Auf dem Bild aus dem Jahr 1907 stehen im Hintergrund eines grün tapezierten Raumes ein Mann und eine Frau unter der Tür. Sie trägt ein langes rotes Kleid, die beiden Körper scheinen in einem Kuss zu verschmelzen. Im Vordergrund blickt das bleiche Gesicht eines Mannes aus dem Bild, den die Szene in seinem Rücken aufzuzehren scheint. Die ganze Pein spricht aus dem Ausdruck des Eifersüchtigen. Es soll der Dichter Stanislaw Przybyszewski sein und die Frau in der fremden Umarmung seine Frau. Munch war mit dem polnischen Schriftsteller befreundet, der die Frauen liebte; es kam vor, dass sich beide für dieselbe Frau interessierten. So taucht der Rivale auf weiteren Eifersuchtsgemälden auf, von denen Munch zwischen 1895 und 1930 insgesamt elf schuf. Es sind Variationen der Dreieckskonstellation mit einer Frau – dargestellt oft als Verführerin – zwischen zwei Männern, immer ähnlich im Raum angeordnet mit dem Eifersuchtsgrün als Hintergrund. Munch erzählt hier von der Eifersucht, die jeder kennt. Er hebt das Gefühl auf eine überpersönliche Ebene, auch wenn er auf manchen Bildern als dritter Anwesender auszumachen ist. Er selber war ein eifersüchtiger Mann, sah aber auch, wie die Eifersucht die Liebesgeschichten in den Künstlerkreisen in Berlin prägte, in denen er verkehrte.

Die Debatte über emotionale Korrektheit hatte die Literatur erreicht, noch bevor infolge der #MeToo-Bewegung über anstößige Gemälde in den Museen gestritten wurde. Bemerkbar macht sich die neue Empfindlichkeit seit längerem an amerikanischen Colleges, doch deutliche Anzeichen gibt es auch bei uns, wie der Aufstand von Berliner Studentinnen gegen Eugen Gomringers Liebesgedicht an der Fassade der Alice-Solomon-Schule zeigt. Romane und Dramen, die von unmöglicher Liebe und ungezähmtem Begehren erzählen, werden an Schulen in den Vereinigten Staaten wegen vermeintlich verletzenden oder anstößigen Inhaltes von der Liste der Lehrmittel gestrichen oder an entsprechenden Stellen mit Warnungen versehen. »Lolita«, »Othello« oder Ovids »Metamorphosen« werden den Studentinnen und Studenten nicht mehr zugemutet, ohne davor zu warnen, dass die Werke Szenen einer Vergewaltigung enthalten, von Pädophilie handeln, aus Eifersucht gemordet wird oder sich Frauen herabgesetzt fühlen könnten.

Den Wunsch, verschont zu werden, formuliert diese junge Generation selbst. Eine neue Empfindsamkeit prägt ihre Angehörigen, die sich eine reine Kunst guter Menschen zu wünschen scheinen. Wohlbehütet aufgewachsen, hätten die sogenannten Millennials nie gegen Widerstände anzukämpfen gelernt, so jedenfalls lautet eine soziologische Erklärung. Deshalb hielten sie auch andere Sichtweisen weniger gut aus, es brauche mithin ein betreutes Sehen und Lesen. Die Empfindlichkeit ist narzisstisch geprägt: Alles, was zählt, ist das eigene Fühlen und nicht mehr das Unglück der Heldin in einem Liebesdrama. Man fühlt nicht mit der liebeswütigen Penthesilea, sondern fühlt sich durch sie traumatisiert. Vor allem junge Frauen verkörpern diese Mentalität, die auch der Radikalisierung der #MeToo-Bewegung zugrunde liegt. Jedes In-Frage-Stellen des eigenen Weltbildes wird als Angriff auf die persönliche Integrität erlebt, als übergriffig und patriarchal. Statt der Konfrontation sucht man gegenseitige Bestätigung. Alles soll weich und angenehm sein. Nichts weh tun, nichts stören.

Diese Entwicklung zeugt von geringem Wissen über das Wesen des Menschen. Man tut so, als ließe sich mit dem Ausschalten unliebsamer Gefühle auch die Phantasie kontrollieren. Und zwar sowohl jene des Künstlers, der seine dunklen Seiten besser nicht mehr zeigt – obwohl es ihm das Kunstschaffen gerade ermöglichen würde, mit ihnen umzugehen, sie, wie Freud es nannte, zu sublimieren. Genauso erhalten die Phantasien der Beschauerin oder des Lesers keinen Raum mehr, wenn ihnen durch ein Zeig- oder Lektüre-Verbot anstößiger Werke die Möglichkeit entzogen wird, sich auch als Triebwesen zu erfahren. Unser Phantasieleben sei den Ansprüchen der Realitätsprüfung entzogen, schreibt Freud in »Das Unbehagen in der Kultur«. Weiterhin bleibe dieses Phantasieleben aber »für die Erfüllung schwer durchsetzbarer Wünsche bestimmt«. Das sind Wünsche, die der Lustvermehrung dienten, die aber nicht ausgelebt werden könnten, weil sie dem gesellschaftlichen Zusammenleben zuwiderlaufen würden. Auch für den Nicht-Schöpferischen bietet die Kunst laut Freud nun eine Phantasiebefriedigung: Sie sei »Lustquelle und Lebenströstung«. Wobei er eher das ungetrübte Kunsterlebnis meint, wenn er von der »milden Narkose« spricht, in die uns die Kunst versetze. Durch sie könnten wir uns kurz ablenken vom Unglück, das der notwendige Verzicht auf Lusterfüllung mit sich bringe. Es gäbe keine Kultur, wenn wir unsere sexuellen und aggressiven Triebe nicht beständig einschränkten.

Der momentane Kulturkampf weckt noch ein viel größeres Unbehagen, weil er sich jetzt auch ins Phantasieleben einmischt. Leidenschaften werden für überwindbar gehalten, als gehörten sie nicht zum Menschen. Man hält die eigene Widersprüchlichkeit nicht mehr aus. Indem der Trieb verdrängt wird, besetzt man dafür um so mehr die Moral.

 

Dass ein peinigendes Gefühl wie die Eifersucht als unangemessen, unzeitgemäß betrachtet wird, zeigt sich darin, dass mittlerweile bereits Opern umgeschrieben werden. Kritisiert wird infolge von #MeToo in erster Linie die Frauenfeindlichkeit dieser Kunstform, weil deren Protagonistinnen meistens sterben müssen. So wird in einer Florentiner Aufführung von Bizets »Carmen« die Titelheldin nicht mehr vom rasend eifersüchtigen Don José erdolcht, sondern sie greift nun selber zur Pistole. Am Ende stirbt Don José. Damit, so Regisseur Leo Muscato, wolle er ein Zeichen gegen Gewalt gegen Frauen setzen.

Zwar lassen sich Werke aus der bildenden Kunst nicht gut übermalen, will man sie nicht zerstören. Aber stellen wir es uns auch hier vor: Das zerwühlte Bett bei Munch wäre gemacht, die Decke hochgezogen, das Leintuch gespannt, damit man ja nicht auf den Gedanken kommt, der Künstler sei mit seinem Modell darin gelegen. Um den Betrachter nicht zu verstören, schaute der Eifersüchtige im Gemälde »Eifersucht« nicht mit diesen aufgerissenen Augen aus dem Bild, während das Paar sich hinter ihm küsst. Sondern er würde in die Umarmung der beiden aufgenommen. Alle wären friedlich vereint. Und lebten den Traum von der freien Liebe.

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