Rummel im Dschungel

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Rummel im Dschungel
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Bill Cardoso

Rummel im Dschungel

Mit einem Nachwort von Klaus Bittermann

Aus dem Amerikanischen und mit Fußnoten versehen von Franz Dobler

FUEGO

- Über dieses Buch -

Ein Reportage über den Jahrhundert-Boxkampf Muhammad Ali gegen George Foreman in Kinshasa vor genau 40 Jahren.

Bill Cardoso war der Mann, der das Markenzeichen »Gonzo« für Hunter S. Thompson erfand. »Das ist reiner Gonzo«, schrieb er an Thompson, als er dessen berühmten Artikel über das Kentucky-Derby gelesen hatte. Bill Cardoso wusste, wovon er redete, denn er schrieb selbst Gonzo. »Er war ein hell leuchtender Komet«, sagte Warren Hinckle. Im September/Oktober 1974 reiste Cardoso nach Kinshasa, um über den Boxkampf Muhammad Ali gegen George Foreman zu berichten.

Cardoso schrieb dabei weniger über den Boxkampf selbst, sondern vielmehr über die Hitze und den Durst, die absurden Umstände und den Presserummel, über Budd Schulberg und Norman Mailer, über das Land und den Diktator Mobutu mit seiner Leopardenfellmütze und die authenticité, das Zauberwort für das neue Selbstbewusstsein der Schwarzen, über den großen Gesang »Ali Boma Ye« (Ali, töte ihn), der überall in Zaire zu hören war.

To the people who helped

When my lips were chapped

Fünfzig Tage und fünfzig Nächte im Kongo. Ich habe alles gesehen: die Mitglieder einer High-Life-Band zeigten mir eine Kobra in einem offenen Abwasserkanal im Stadtteil Zone Lemba; ein Taxifahrer zeigte mir das Pygmäen-Haus; ein Mann brachte mir die sechs Meter lange Haut einer Python, die er neulich gekillt hatte, und war wirklich enttäuscht, als ich sie nicht kaufen wollte. Sie zeigten mir Sachen und gaben mir Sachen und nahmen mich zu bestimmten Orten mit. Die Menschen aus dem Volk machten das. Sie nahmen mich mit zu sich nach Hause. Auf der anderen Seite war es die Regierung, die mir Sachen wegnahm. Ein Regierungsbeamter hielt mich eines Tages ziemlich unfreundlich auf, als ich an seinem Tisch im Intercontinental vorbeiging, und sagte: »Sie sind hier, um über einen Boxkampf zu schreiben, und nicht über ein Volk!« Die Regierung nahm mir meinen Pass weg und gab ihn mir nie zurück. Und die Regierung nahm mir mein Rückflug-Ticket weg, das von der New Times im Voraus bezahlt worden war und achthundert Dollar gekostet hatte. Co-Promoter John Daly brachte mich am Tag nach dem Kampf auf seine eigenen Kosten raus. Den Vater von John Daly hielten sie am Flughafen auf. George Foreman hielten sie am Flughafen auf, vielleicht weil er den Kampf verloren hatte. Sie hielten auch die Muhammad-Ali-T-Shirts auf, die Bundini verkaufen wollte, weil in Zaire nur für einen Führer Platz ist: Mobutu, unterstützt vom CIA. Ich bin davon überzeugt, dass mir der örtliche CIA-Chef, in der Tarnung eines AID-Offiziellen1, bei einem Abendessen einen mit Drogen versetzten Cocktail untergeschoben hat. Wahrlich, das glaube ich.

Ich kann mich erinnern, wie Budd Schulberg hektisch mit der Botschaft telefoniert, und wie dann der für politische Fragen zuständige Diplomat ankommt, um Budd und Harold Conrad vom Memling Hotel zum Flughafen zu eskortieren. Ich stehe in dem Moment im Hoteleingang, und Budd und Harold schreien zu mir rüber, ich solle mit ihnen abhauen. Wie aus dem Nichts taucht ein gut gekleideter Europäer neben mir auf, stößt mich am Ellbogen und lenkt mich ab. Ah ja! Das hatte ich ganz vergessen! Ein in Kinshasa geborener portugiesischer Geschäftsmann, der mich für diesen Abend zum Essen in sein Haus eingeladen hat. Ich gehe mit ihm. Die Botschafts-Karosse stößt raus und reiht sich in den Verkehr ein, und Schulberg und Conrad starren mich mit offenem Mund an.

Wir spielen Blackjack in der Präsidentenvilla, die man Angelo Dundee zur Verfügung gestellt hat. Ich stoße meinen Kelch um, der mit dem St. Émilion des Präsidenten gefüllt ist. Ein Butler wechselt das Leintuch. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht mehr als einen Drink umgestoßen. Aber in dieser Nacht habe ich dreimal diesen Rotwein verschüttet. Dreimal wechselte der Butler das Tischtuch. Meine Mitspieler meinten, ich wäre stoned vom Kongo-Gras. Nein, sagte ich zu ihnen, das ist Voodoo. In diesen Tagen verschütte ich ständig Drinks, und einmal die Woche setze ich, wenn’s passiert, ein Grinsen dazu auf und erkläre: »Voodoo.« Die Leute scheinen das zu verstehen. Die immerwährende Macht des Voodoo.

Dann, wie ein Wunder, der Abflug. Der eher wie eine Flucht abläuft. Am Tag danach Mittagessen in New York mit Jon Larsen, dem Chefredakteur der New Times. Wie hättest du’s denn gerne von mir geschrieben, Jon? Mach’s genau so, wie du willst, Bill. Okay. Schließlich entschied ich mich, dass die beste Art, diese Story zu erzählen, die wäre, sie müde zu erzählen. Ja, das wäre die perfekte Erzählerstimme: müde. Müde wie ein ausgebrannter Kampfpilot bei der Einsatzbesprechung am Air Force-Stützpunkt Clark, nachdem sie ihn in letzter Sekunde aus dem Hanoi Hilton rausgeholt haben.2

Ich nahm mir ein Zimmer im Chelsea Hotel, und als ich mich hinsetzte, um mit dem Schreiben anzufangen, passierte etwas Merkwürdiges: Ein Zahn fiel aus meinem Kopf. Als ich den Artikel ablieferte, machte ihn Larsen als blödes Geschwafel nieder. Ich stritt mich herum, aber ich kam damit nicht durch. Novak und seine afrikanische Frau holten mich ab. In ihrem Haus auf dem Land in Connecticut wollte ich versuchen, eine gängigere Fassung zu schreiben. 3 In Greenwich legten wir einen Stopp ein, um in einem Steakhaus zu abend zu essen. Ich erzählte ihnen von dem Zahn. »Nein, Cardooze«, versuchte mich Victoria zu beruhigen. »Kein Voodoo. Kein Voodoo.« Sie schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. Hör nicht auf sie, sagte später Novak ganz im Vertrauen zu mir. Von ihrem Cousin haben sie acht Zähne genommen. Ich weiß es, weil sie es mir erzählt hat.

Danny Ray alias Big Black, ein Congaspieler aus South Carolina, der seit vielen Jahren in Hollywood lebt, tauchte eines Tages Ende September in der Sporthalle in N’Sele auf, und mit dem Segen von Muhammad Ali fing er an, für ihn zu spielen, in der Hoffnung, damit Alis Gefühl für Rhythmus und Timing zu verstärken. Mehr als einen Monat lang spielte Big Black jeden Tag für Ali. Big Black ist achtunddreißig, und wir haben in dieser Zeit viele Stunden freundschaftlich zusammen verbracht. Er erzählte gern von der Zeit, als er mit Dizzy Gillespie auf dem Newport Jazz Festival 1968 spielte und sie das Ding aufmischten. An einem Tag Ende Oktober versammelten sich eine Menge Sportjournalisten aus der ganzen Welt im Trainingscamp in N’Sele, denn der Kampf sollte, jetzt schon zum zweiten Mal, in Kürze stattfinden. Einer der Schreiber, ein Typ aus London, ging zu Big Black und sagte: »Pardon, Citoyen, Ihr Name, bitte; vous prenom?« Und Big Black drehte sich zu ihm um, ohne einen Beat zu verpassen, und antwortete: »Big Black, Mann, aus L.A.« Der Londoner war fassungslos, setzte aber nach einem angemessenen Schweigen nach und fragte: »Und wie nennt man die Trommeln, die Sie spielen?« Und Big Black antwortete: »Congas, Mann – und das mit ‘nem K.« Mit dem Gefühl, seine Pflicht erfüllt zu haben, kehrte der Schreiber ins fünfzig Meilen entfernte Kinshasa zurück, und im Pressezentrum des Hotel Memling in Downtown schrieb er über seine wunderbare Begegnung mit einem Amerikaner, den er fälschlicherweise für einen hochgewachsenen Zairois gehalten hatte. Der Bericht, den der Londoner bei der Telex-Stelle ablieferte, wurde natürlich von Citoyen N’golo abgefangen, dem Sous-Chef de Presse, oder schlicht Zensor des Gastgeberlandes. Der Schreiber hatte geschrieben, Big Black spiele die Kongo-Trommeln; was vielleicht was über den Stellenwert aussagt, den Trommeln in London haben. Es war klar, dass N’golo das inakzeptabel fand. »Nein, nein, nein, nein«, ermahnte er den Londoner. »Das Sie können nicht sagen – heißt Zaire-Trommeln!« Und am nächs­ten Tag konnten die Leute in London etwas über Zaire-Trommeln lesen. In Zaire bekommen sie’s auch nicht anders serviert, denn das ist Authenticité.

Authenticité ist etwas, das du in diesem Moment erkennen kannst, im nächsten jedoch nicht. Es ist irgendwas Altes, irgendwas Neues, was Entliehenes oder Blaues. Es ist das, was eben grade passt … und mach dir keine Gedanken über die Karten, die schon abgelegt wurden. Es war vor drei Jahren, als Präsident Joseph Desire Mobutu eines Tages seinen Namen änderte, zu Mobutu Sese Seko Kuku Ngbendu wa Za Banga, was soviel heißt wie, wurde mir jedenfalls gesagt: Der Hahn mit Feuer in seinen Augen, der Blah-Blah und Bloo-Bloo macht und keine Henne unberührt lässt. Und Mobutu befahl allen seinen 19,5 Millionen (oder 22,5 Millionen) Bürgern, ihre christlichen Namen abzulegen, was natürlich die Missionare aufbrachte, die inzwischen seit etwa hundert Jahren im Land waren; sie haben jedoch nicht mehr viel zu sagen, Gott sei Dank. Zusätzlich befahl Mobutu, dass das Land, das in der Vergangenheit viele Namen gehabt hatte, seinen bis zuletzt benutzten Namen Demokratische Republik Kongo, oder auch Kongo-Kinshasa, im Interesse der Authenticité in Zaire änderte. Manche vermuten jedoch, dass man’s eher umbenannt hat, um die Verwirrung im Rest der Welt zu beenden, zwischen diesem Land und dem Land auf der anderen Seite des Flusses Zaire (ursprünglicher Name: Kongo), das Volksrepublik Kongo genannt wird, oder auch Kongo-Brazzaville, der erste maoistische Staat Afrikas und der Erzfeind dieses Landes.4 Zum Beispiel war George Foreman in Brazzaville einfach nur deshalb extrem beliebt, weil Ali in Kinshasa so beliebt war. Ich glaube auch, dass George Foreman taktisch gesehen großen Mist gebaut hat, als er seinen Deutschen Schäferhund Daggo mit in dieses Land brachte, weil ich sicher bin, dass die Leute dabei an die Belgier denken mussten, die dieses Land einmal besessen hatten und es Belgisch-Kongo nannten zu der Zeit als Kinshasa Léopoldville hieß. Der erste dokumentierte Name für dieses Gebiet lautete Nsadi, was auf Kikongo Fluss heißt, eine Sprache, die heute in der Gegend nicht mehr oft benutzt wird. Das sagte man damals, als das Königreich Bakongo blühte, zu dem eine Menge Gebiete des heutigen Angola, Cabinda, Kongo-Brazzaville, Zaire, Ruanda, Burundi und Uganda gehörten. Eines Tages im Jahre 1482 war der portugiesische Schiffskapitän Diego Cao (Cao heißt auf portugiesisch Hund) der erste Weiße, dessen Augen diesen Strom erblickten, den siebt­längsten der Welt, der von der Quelle nahe der Grenze zu Sambia auf einer Länge von 4374 Kilometer bis zum Atlantik fließt, dabei zweimal den Äquator überquert und die (nach dem Amazonas) zweitgrößte Wassermasse ins Meer entlädt, und zu dem mehrere Streckenabschnitte gehören, die wegen der langen und gefährlichen Stromschnellen noch nie befahren wurden, einige sind bis zu hundert Meilen lang und behindern seine Reise zum Meer. Dieser Fluss, der durch Sümpfe und dichten Dschungel fließt, wurde nie ganz erforscht und niemand hat ihn je von seinem Ursprung bis zum Meer befahren. Und die am Fluss liegenden Gebiete wurden zwar kartographiert, zu Fuß jedoch bis heute nicht vollständig erforscht, sie haben immer noch Geheimnisse vor den Menschen, und auch ihren Reichtum an Bodenschätzen hat man noch nicht vollständig erfasst. Viele indigene Krankheiten führen bis heute immer noch zu großem Elend, und das Verkehrsnetz könnte, wie schon in den Tagen von Diego Cao, verbessert werden. Als Cao das erste Mal auf den Fluss starrte, wandte er sich an König Bakongo und sagte: »Vass dis?« Und Bakongo sagte: »Das ist der Nsadi, mein Freund.« Da zückte der Schiffskapitän seinen Bic-Kugelschreiber und den Spiralblock und trug nicht Nsadi ein, sondern Nzadi, was nachfolgende Portugiesen dann weiter verunstalteten, zu Zaire, und fragen Sie nicht, wie’s dazu kam, denn wie ich Ihnen schon sagte, hat dieses Land immer noch Geheimnisse vor der Menschheit. Nichtsdestoweniger ist also Zaire der authentische Name, für den sich Präsident Mobutu entschieden hat. Und ich bin mir sicher, das sagt etwas aus über Authenticité und Bullshit.

 

Es gibt jedoch zwei Erscheinungsformen von Authenticité, die meinen uneingeschränkten Beifall haben: dass Mobutu die Schlinge per Gesetz verboten hat (aber führt es zu mehr Authenticité, wenn die Krawatte durch das Ascot-Halstuch er­setzt wird?), und die Anerkennung, dass das seit uralten Zeiten beliebte Rauchen von wildem Hanf authentisch ist … solange es keine Ausmaße annimmt, die der Schaffung eines vereinigten Zaire, eines großen Zaire im Weg stehen.

Davon abgesehen ist alles, woran ich mich erinnern kann, dass ich im Hotel Memling Zimmer 263 hatte und meine Telefonnummer 601 war; und ich bin davon überzeugt, dass sogar das irgendwas über Zaire sagt. Ich kann mich auch daran erinnern, dass die Mitglieder der Pressetruppe aus der ganzen Welt, wenn sie zurückkamen, ihre Berichte ausnahmslos mit den Hyazinthenbüscheln und anderem Strandgut anfingen, das auf dem Zaire unaufhaltsam dem Meer entgegenströmte … so gut wie jeder schrieb dieses Zeug, und versäumte es dabei, den Leser zu informieren, dass unter jedem Hyazinthenbüschel ein Krokodil grinste. Dies hier sollte – zumindest gab’s die Hoffnung – eine Story über den größten »Kampf des Jahrhunderts« aller Zeiten werden, der am bizarrsten Schauplatz aller Zeiten ausgetragen wurde, mit der größten Kampfbörse aller Zeiten, nie dagewesene zehn Millionen amerikanische Dollar, das Doppelte der alten Rekordsumme. Ich hatte geplant, euch mit lustigen Liedern von meinen äquatorialen Krankheiten aufzuwärmen … meine Malaria, meine Gonorrhoe, Ruhr, Hepatitis, Lebensmittelvergiftung; vom stärksten Marihuana der Welt, das Bangi auf Lingala heißt, der Verkehrssprache in Kinshasa und der offiziellen Militärsprache im französisch sprechenden Zaire, und das eine Verballhornung des nordafrikanischen arabischen Worts Bhang ist; von Ritalin und Opium, die in den Apotheken von Kinshasa über den Tresen verkauft werden; von der seltsam funktionierenden Gang, die ich während der Flaute mit Cassius Clay Senior bildete, und wie wir uns Bar um Bar und Nacht um Nacht näherkamen und uns durch die Diskotheken tanzten bis zur Morgendämmerung; wie ich aus Versehen mit Alis Trainer Angelo Dundee Affenschädel verspeiste, bis Gene Kilroy, Alis weißer Knecht für alles (»My boy, Gene Kil-roy!«), bemerkte, dass die mageren Hühnerbrüste, über die wir uns beschwerten, während wir sie abnagten, Augenhöhlen hatten und Zähne und uns angrinsten; vom Aufwachen an meinem siebenunddreißigsten Geburtstag – 24. September, der Termin, an dem der Kampf ursprünglich angesetzt war – in einem Pool in Zairehea, und wie ich ihn damit beendete, dass ich im Kinshasa-Casino bewusstlos wurde, weil Tshimpumpu wa Tshimpumpu (was »Sohn von« heißt), der oberste Pressechef des Gastgeberlandes, ein Stammesmitglied der Buluba aus dem zweitausend Meilen entfernten, früher so genannten Katanga, ehe es authentisch in Provinz Shaba umbenannt wurde, mir zu oft mit Champagner zugeprostet hatte, weil es an diesem Tag wegen dem verschobenen Kampf und dem ganzen Drumherum sowieso nicht allzuviel anderes zu tun gab, und weil ich mir zwischen dem Zuprosten zuviele Bangi-Hits verpasste; davon, wie mich ein Musiker von Veve, der besten Band des Landes, mitnahm, um mir eine fauchende Kobra zu zeigen, die es ein paar Tage zuvor irgendwie geschafft hatte, ihr Lager in einem Abwasserkanal in Zone Lemba aufzuschlagen, einem der vierundzwanzig Stadtbezirke von Kinshasa, zehn Meilen vom Zentrum entfernt; davon, wie es mir mit den guten Beziehungen eines hier permanent (hah!) wohnenden Portugiesen gelang, das Haus zu beobachten, in dem die Pygmäen leben; davon, wie der amerikanische Box-Clan Afrika hauptsächlich aus dem Inneren des Hotel Intercontinental (das PanAm und Mobutu gemeinsam gehörte) betrachtete, das im reichen und prächtigen Gombe lag, einem Vorort von Kinshasa, und davon, dass sie sich fast nie in meinen Teil der Stadt, nach Downtown vorwagten, außer um den Elfenbeinmarkt zu besuchen, um Elfenbein zu kaufen, damit diese Bastarde wieder rausgehen und Elephanten, auch Elephantenbabies abschlachten konnten, um die Lager zu füllen und den Gleichgültigen mehr Elfenbein zu verkaufen; davon, wie der Rest des Box-Mobs Afrika von N’Sele aus betrachtete, dem Rückzugsort von Präsident Mobutu, den man in einen Trainings-Komplex für die Boxer umgewandelt hatte und in dem es viele nette klimatisierte Villen gab und viele Amerikaner, mit denen sich die Amerikaner anfreunden konnten; davon, wie Donald King, ein resozialisierter Killer5 aus Cleveland und der erste ganz große schwarze Box-Promoter, irgendwie dann doch eines Mittags das Intercontinental verließ, das auch nur irgendein Transit-Hotel irgendwo an irgendeinem Flughafen in irgendeinem Cleveland oder Kuweit ist, und mit seinem Gefolge aus Dolmetschern und Sekretären und Mitgliedern der Boxkommission von Zaire in das Café de la Paix rauschte, während ich an der Bar saß, Bier trank und Samosas aß, kleine indische Fleischtaschen, und darauf wartete, ihn auf mich aufmerksam zu machen, damit er sagen konnte, »Cardo-zah! Mein Mann! Mein Bruder! Überall, wo ich hingehe, treffe ich dich!«, damit ich dann sagen konnte, »Donald King … was machst ‘n du in meinem Viertel!«, damit wir gemeinsam darüber lachen konnten, denn es ist so, manchmal, wenn ich in die großen braunen Augen dieses Mannes sehe, erkenne ich eine Liebe zu allen Menschen, und nicht einfach nur einen Schläger und Zahlenverdreher und schwarzen Rassisten aus Ohio, nicht nur einen 193 cm großen Mann, der hier auffallend fehl am Platz ist, mit seinem dreistöckigen Afro und seinen langen westafrikanischen Roben (mein Gott, Mann!, wir waren hier in Zentral-Afrika … Donald King hätte hier genausogut ein Marsmensch sein können), sondern ich erkenne auch einen verletzlichen Mann, der Tag für Tag kleiner gemacht und langsam aufgefressen wurde von Mobutus Drecksack für’s Grobe, Bula Mandungu, und anderen, wie wir alle kleingemacht wurden, sowohl individuell als auch kollektiv, unserer menschlichen Würde beraubt von den Beamten eines schwarzen, faschistischen Polizeistaats – und überhaupt, was ist denn schon Freiheit? Freiheit ist, was du damit anstellst; auch wenn dann fünfzehn Jahre nach dem Abzug der Belgier ein schwarzer Hitler mit einer Eisenfaust dabei rauskommt … aber gib nicht mir die Schuld, Jack, kapiert? –, und ich erkenne auch einen unheilbaren Romantiker, denn es stimmt, dass Donald King im Knast, während er vier Jahre auf seine Entlassung auf Bewährung wartete, Shakespeare gelesen hat und was er »Schopenhowzer« und »Sar-tee« nennt, und allein Norman Mailer war bei einem Besäufnis, das die ganze Nacht dauerte, so sensibel, ihn zu korrigieren und sagte »Sart«.

Ich kann mich auch vage an Drew Bundini (Bo-dini ausgesprochen) Brown erinnern, Alis Sparringspartner6 für Witze, der gegen das ganze Foreman-Camp eine Zwei-zu-Eins-Wette laufen hatte und dreißigtausend Dollar gewann, die er nach dem Kampf jedoch nicht eintreiben konnte, und wie er in der Lobby des Intercontinental hinter ihnen her war, und wie ich Dick Sadler, Foremans reichen Manager (und wirklich kein schlechter Kerl), auf der Flucht vor Bodini behaupten hörte, er hätte keine Ahnung, von was zur Hölle er redete.

Aber alles, woran ich mich mit Sicherheit erinnern kann, ist, dass ich im Memling Zimmer 263 hatte und meine Telefonnummer 601 war.

Es war nicht eine der größten Partys aller Zeiten, wie’s hätte sein sollen, weil es in dieser Welt Leute gibt, wie den niemals lächelnden Zigarrenraucher und in Moskau geschulten Bula Mandungu und seinen Boss, den angeblich gebildeten und weitgereisten Mobutu, die bewusst das Kom­mando gaben, die Party zu zerstören. Ich war auf dem Berg, und der Berg ist ein Gangster, und die einzige Farbe, die er kennt, ist das, was wir grün nennen. Es heißt, dass Mobutu innerhalb von zehn Jahren zum siebtreichsten Mann der Welt wurde. Weißt du was? Ich geb einen Scheiß drauf. Wenn ich die Macht hätte, würde ich ihn und diese Sorte Typen in den Wind schießen, ihre zynischen Ärsche aus den U.N. rausschmeißen und die Leute Party machen lassen. Natürlich kann meine Macht nicht mit der von Reynolds Aluminum mithalten, die eine große Fabrik in Zaire planen, oder mit General Motors, die bereits eine hier haben. Das Lingala-Wort für Geld lautet Mbongo, und das M ist fast nicht zu hören. Wenn Sie es korrekt aussprechen wollen, summen Sie das M nur und gleiten schnell zum b von bongo. Mbongo ist das A und O und alles, was dazwischen ist. Lingala ist die Sprache, die aufgrund kommerzieller Notwendigkeit entstanden ist, weil es in Zaire über zweihundert Stämme gibt, die alle ihren eigenen Dialekt sprechen, und die ers­ten Händler wussten, dass eine gemeinsame Sprache nötig war. Lingala wird entlang des gesamten Flusses und in Kinshasa gesprochen und sonst nirgendwo, obwohl das Wort Kinshasa selbst ein Kikongo-Wort ist, und wenn du fragst, was es bedeutet, kannst du mächtigen Ärger mit der Geheimpolizei bekommen, die wissen will, warum du so viele Fragen stellst und dich daran erinnert, dass du hier bist, um über einen Boxkampf zu berichten und nicht über soziale Bedingungen … und alles, was du gottverdammt noch­mal tust, ist zu fragen, was Kinshasa bedeutet … und warum ausgerechnet dieser Ort erste Wahl für den Kampf ist, während ich in meinen Notizen eine Liste mit fünf oder sechs Möglichkeiten habe, von denen keine einzige wirklich plausibel erscheint, und warum der Mensch unmenschlich ist, und warum der Mensch den Kopf in den Sand steckt, und schließlich, will Gott, oder Allah, oder Werauchimmer für uns verantwortlich ist, denn niemals in Erscheinung treten und das Böse besiegen … und wer ist die dunkle Macht, die ständig die Party sprengt?

Aber alles, woran ich mich mit Sicherheit erinnern kann, ist, dass ich Zimmer 263 hatte und meine Telefonnummer 601 war – Sir. Und abgesehen davon ist alles, woran ich mich erinnern kann, dass ich drei Stunden nach dem Kampf in Angelo Dundees Villa in N’Sele saß und Cognac trank, weil ein paar Minuten nachdem Ali Foreman niedergestreckt hatte der Regen kam und uns erwischte und einweichte und wir uns gegen die Lungenentzündung schützen wollten, von der ich mit Sicherheit wusste, dass wir sie kriegen würden, denn, zur Hölle, hatte die meisten von uns denn nicht schon alles andere erwischt? Dr. Ferdie Pacheco, Alis Arzt, hatte seine Schuhe ausgezogen und sich auf dem Sofa ausgestreckt, und wir waren glücklich, weil der Kampf für den richtigen Mann so gut gelaufen war, und Angelo Dundee, der größte Cut-Man7 der Welt, schüttete sich den Cognac rein, und der Box-Historiker Budd Schulberg schrie mich an, weil – weil ich, mein Gott! Ich nahm diese Freude auf Band auf und verletzte damit unwissentlich irgendeine Tradition, die zum Besäufnis nach einem Kampf gehörte, irgendwas, das ich nicht kannte. Nein, nichtmal Schulbergs moralisches Gewitter verpasste der Freude einen Knacks. Das passierte erst, als ich zu Angelo Dundee sagte, dass er eine Stunde zuvor in der fröhlichen Stimmung in Alis Umkleideraum das Unmögliche geschafft hätte: Bula Mandungu, die Nummer drei in der Regierung, zum Lächeln zu bringen. Angelo Dundee hatte nie eine Chance, darauf zu antworten. Gene Kilroy, der weit weg am anderen Ende des Wohnzimmers in einem Sessel saß, schnappte zu: »Gott verdammt! Fängst du schon wieder mit Politik an!« Ich sah Kilroy an, sagte ihm, er solle sich doch selbst ficken und fragte mich, was er für ein Problem hatte und warum er jedesmal, wenn er mich traf, zu mir sagte, mein Mädchen, die eine weiße Frau war, die hier lebte und sowieso nicht wirklich mein Mädchen, weil ich in ihrem Leben nur eine kleine Affäre war, würde mit einem Nigger (aus New Haven!) ficken. Und während ich zu Gene Kilroy schaute und überlegte, was sein Problem war, warf mir Angelo Dundee einen misstrauischen Blick zu … und wieder einmal war ich der Spieler, der keine Spielberechtigung hatte, der Typ, der das Spiel kaputtmachte statt es zu sichern, der Typ, der erst nach dem Kampf eine Reportage für ein Magazin schreiben würde und deshalb nichts dazu beitrug, anders als etwa die Daily News, dass alle gebannt mit dem Arsch im Sessel klebten, wie man es in der Branche nannte. Es ist eben cool, wenn man ein Zugpferd für ein Spiel ist. Fragen Sie bloß nicht, wo Beau Jack abgeblieben ist und was aus seinem Pensionsplan8 wurde, und lachen Sie mit ihnen, wenn sie Joe Louis9 »Amerikas Gast« nennen, was wirklich ein verächtlicher und erbärmlicher Ausdruck ist.

 

Ich werde es nie schaffen, über die freundlichen Zairer zu schreiben, denen ich begegnet bin, über ihre Herzlichkeit, Großzügigkeit, Gastfreundschaft und Offenheit, weil sie kleine Menschen sind, Individuen, die nicht viel zu melden haben … denn immer, wenn ich sie heraufbeschwöre, legt sich Bulas hässliche und brutale Fresse über meine Erinnerungen. Jeden Tag bekommt der Fernsehzuschauer bei Programmbeginn – Zaire und Zanzibar sind die einzigen afrikanischen Länder mit Farbfernsehen – Bilder von Wolken und Himmel serviert. Aus den Wolken kommt ein Fleck in die Bildschirmmitte gekrochen, wird größer und größer, bis er sich schließlich in Mobutu verwandelt. Mobutu! Überlebensgroß! Das ist krank; der Mann ist überall. Er ist auf der Währung, auf dem Zaire-Geldschein … auf allen, auf den Einer-, Fünfer- und Zehner-Zaire-Scheinen. Alles in Zaire heißt Zaire; Währung, Zigaretten, Benzin … wird alles unter dem Namen Zaire gehandelt. Was für eine Superidee! Ich schätze, dass Mobutu Medien-Manipulation und Propaganda-Technik bei Sears & Roebuck10 studierte. Wenn man einen Zaire-Schein gegen das Licht hält, um das gegen Fälschung schützende Wasserzeichen zu erkennen (das Geld wird von Giesecke & Devrient in München gedruckt), dann entpuppt sich das Wasserzeichen natürlich als Mobutu mit seinem Pillbox-Fez aus Leopardenfell, und das alles ist schon ein wenig unwirklich. Ich habe jetzt dreimal in einem faschistischen Unterdrückungssystem gelebt, zweimal in Portugal, sowohl unter dem Salazar- als auch dem Caetano-Regime, und hier im Kongo unter dem allgegenwärtigen Mobutu. Die Straßen von Lissabon, 1963. Ein Portrait mit dem scheißefressenden Grinsen von Salazar erstrahlte in jeder Schau­fens­terscheibe, jedem Restaurant, jeder Hotellobby, Diskothek, Taverne. Die Leute voller Angst, verstummt im Angesicht des Bösen. Traurig, Mann, traurig. Was ist die dunkle Macht, die diese Party zerstört? Ich weiß schon, warum ich freiwillig so viele Stunden in Zimmer 263 des Memling verbrachte, wo ich die Telefonnummer 601 hatte. Weil es da kein Bild von Mobutu gab. Um ihn zu sehen, hätte ich einen Zaire-Schein aus meiner Rolle ziehen müssen. Wozu ich in meinem eigenen Zimmer keine Lust hatte. Da rollte ich mir lieber einen dicken Kinshasa-Joint. Ein Zaire ist bei legalem Umtausch zwei Dollar wert, aber auf dem Schwarzmarkt bekommst du für deinen Dollar siebzig bis achtzig Makuta, und hundert Makuta sind ein Zaire. Es wird mit dem Dezimalsystem gerechnet, wie bei unserem Geld. In Brüssel kannst du für 500 amerikanische Dollar 540 Zaire bekommen. Wenn das Fernsehprogramm nachts beendet wird, bleibt eine Karte des afrikanischen Kontinents stehen, die sich allmählich in eine Pistole transformiert. Zaire wird plötzlich zum Abzug und der Lauf ist auf Süd-Afrika gerichtet.

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