Sieben Tage bis zur Hochzeit

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Sieben Tage bis zur Hochzeit
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Bettina Reiter

Sieben Tage bis zur Hochzeit

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

Epilog

Anmerkung der Autorin

Impressum neobooks

Vorwort

Satire/Heiterer Roman

Für meine Freundin Heidi im fernen Kanada,

die humorvoll, offen, ehrlich, flott, geistreich, charmant, knallhart und

sowas von spontan ist. Aber lesen Sie selbst …

7

Manchmal leben wir zusammen und es trennen uns Welten.

Manchmal trennen uns Welten und doch finden wir zusammen.

Für alle Verliebten auf dieser Welt.

Einerlei woher, einerlei wohin,

einerlei ob Mann oder Frau,

am Ende ist es immer dasselbe:

Ein Mensch liebt einen Menschen.

Ohne Wenn und Aber.

Ohne Fragen, ohne Antworten.

Einfach so.

So einfach.

Buch: © Bettina Reiter

Grafiken: Pixabay, Coverdesign: Bettina Reiter

Website der Autorin: www.bettinareiter.at

Alle Rechte liegen bei der Autorin.

Sämtliche Texte sowie das Cover sind urheberrechtlich geschützt.

Eine Nutzung in jeglicher Form (Fotokopie, Mikrofilm, Verbreitung, Textauszug, Vervielfältigung oder anderes)

ist ohne die schriftliche Genehmigung der Autorin nicht zulässig und daher strafbar!

Prolog

Oktober 1998, Yellowknife/Kanada,

62° 26′ 38″ N, 114° 23′ 47″ W

Mit dreizehn Jahren erlebte man die härteste Prüfung aller Zeiten. Keiner konnte nachfühlen, wie schwer es war, sich durch den Tag zu quälen. Die Schulbank zu drücken und sich pausenlos zu fragen, ob sich Sonnyboy Freddy in einen verliebt hatte. Gleichzeitig überlegte Elisha, ob ihre Eltern schon immer so schwierig gewesen waren. Gut, bei ihrer Mutter stellte sich die Frage weniger, aber bei ihrem gutmütigen Dad? Immerhin hatte er sich vor einigen Tagen auf die Seite der Mutter geschlagen. Er hätte seine Zigaretten ja weglegen können. Jugendliche waren eben neugierig, doch das schien er zu verdrängen. Oder er wollte es verdrängen, weil seine Nachlässigkeit wie eine Aufforderung gewesen war, heimlich hinter dem Haus zu rauchen. Wer konnte ahnen, dass man danach stank wie ein Aschenbecher. Aber trotz der Standpauke, cool war’s allemal gewesen.

Elisha merkte, dass sie grinste und richtete sich auf. Irgendwie fühlte man sich mit diesem Ding in der Hand furchtbar erwachsen. Leider verschwand ihr Hochgefühl sofort, als sie den Blick über die Köpfe ihrer Mitschülerinnen schweifen ließ. Die meisten hatten längst ihre Periode, sogar den ersten Kuss oder Sex hinter sich und trugen die Brüste stolz vor sich her. Sie hingegen hätte den Rücken getrost vorne haben können.

„Elisha McBryan, schließe den Mund und richte deine Augen zu uns!“ Mrs. Carter klatschte in die dünnen Hände. „Miss Burgstaller ist eure neue Mitschülerin und wir sollten uns von der besten Seite zeigen. Also hör gefälligst zu, junge Dame.“ Wohlwollend glitt Mrs. Carters Blick über den dicken Import aus Deutschland namens Heidi, die neben ihr vor der Tafel strandete. Mit einer blonden Dauerwelle, als hätte man ausprobiert wie der Super-GAU aussehen könnte. Gezwängt in ein Seidenblüschen und in eine schwarze Stoffhose. Mit ihrem Vater war Heidi vor kurzem aus Berlin hergezogen. Unverständlich. Wie konnte man diese tolle Stadt verlassen um im subarktischen Yellowknife zu leben?

Elishas Blick kreuzte sich mit Heidis.

Ganz schön dick für dein Alter, hallte es in Elisha wider.

Heidis braune Augen funkelten. Wer spricht denn da mit mir? Ach, jetzt sehe ich dich, du Hungerhaken.

Lieber dünn als fett.

Neidisch?

Kein bisschen.

Leg dich besser nicht mit mir an.

Oh, jetzt habe ich aber Schiss.

Solltest du auch. Meine Familie ist stinkreich und handelt mit Gold.

Das sieht man. Du scheinst viele Barren verschluckt zu haben …

Das war der erste Tag ihrer Begegnung. Offene Feindseligkeit, erhärtete Fronten und das Wissen, dieses Mädchen bis ans Lebensende abgrundtief zu hassen. An Tag zwei wechselten sie weitere giftige Blicke, am dritten Tag ebenso. Am vierten übersahen sie sich geflissentlich, doch das vergaß Elisha am Nachmittag. Freddy rief an, um sich die Hausaufgaben abzuholen. Sie war ein As in Sprache, er eine Niete - was ihn ungemein sexy machte.

Ganze fünf Minuten verbrachte Elisha mit ihrem heimlichen Schwarm. Es war wahnsinnig schmeichelhaft, dass er sich so viel Zeit für sie nahm. Spätestens jetzt wusste sie: Freddy war in sie verknallt.

An Tag fünf fiel ihr Heidi buchstäblich vor die Füße. Brandon hatte ihr ein Bein gestellt. Heidis Schulbücher waren aus der Tasche gerutscht, das rote Blümchenkleid über das Hinterteil und die rot-gold-schwarz gestreifte Unterhose rückte unweigerlich in den Fokus der Mitschüler. Mit hochrotem Kopf rappelte sich Heidi auf. Unter dem nicht enden wollenden Gelächter und Worten wie Wal, Elefant, fette Kuh

Mitleid! Wo kam das blöde Ding plötzlich her? „Hört auf, sie zu beleidigen. Heidi kann nichts für ihre Figur.“

„Natürlich nicht, Elisha“, meldete sich Brandon zu Wort und strich sich über die steife Haartolle. „Man führt ihr das Essen sicher gewaltsam ein.“

Heidi bückte sich nach ihren Büchern. Freddy stand grinsend hinter ihr, holte mit dem Fuß aus und tat so, als ob er ihr einen Tritt verpassen wollte. Erneut brandete Gelächter auf. Was nun? Elisha liebte Freddy, wie sie nie wieder einen Jungen lieben würde können. Sollte sie das aufgeben, nur um ihrer Todfeindin zu helfen? Wer würde an ihrer Seite sein, wenn sie anschließend an Liebeskummer starb? Dahinvegetierte? Dem Leben Adieu sagen musste?

„Wie bist du eigentlich über das Meer gekommen? Als Qualle? Siehst aus, als hättest du den Pazifik leergesoffen.“ Freddy klopfte sich selbst auf die Schulter. „Die bauen sicher gerade eine Eisenbahn nach Europa. Entlang der Schneise, die du hinterlassen hast.“

Die Schulbücher krachten auf den Boden. Im selben Moment wirbelte Heidi mit Tränen in den Augen herum, packte Freddy am Kragen und drängte ihn gegen die Tafel.

„Halt sofort dein Maul, du Arsch!“, tobte sie mit deutschem Akzent. „Oder ich prügle dich windelweich.“

„Und wenn schon. Sogar mit eingeschlagenem Schädel wäre ich eine Augenweide, im Gegensatz zu dir.“

Wie ein Bulldozer rammte sich Heidis Knie in Freddys Genitalien. Es war zu befürchten, dass sie auf ein Mindestmaß zusammengeschoben oder zerquetscht wurden. Jedenfalls seinem Schrei nach zu urteilen. Im selben Augenblick begrub Elisha ihren Traum, von Freddy entjungfert zu werden. Das würde er in den nächsten Jahren nicht mehr schaffen, so lange konnte und wollte sie nicht warten. Deswegen endete Tag sechs damit, dass sie Heidi beim Rektor zur Seite stand, der Freddy anschließend verwarnte.

Am siebten Tag trafen Heidi und sie um Punkt sieben Uhr morgens im Flur aufeinander. Wie üblich hatten sie ihr Frühstück noch im Mund: Einen Kaugummi. Zaghaft lächelten sie sich an. Irgendwie seltsam. Eigentlich hätte Elisha stinksauer sein müssen. Immerhin hatte Heidi sie um ihr Lebensglück gebracht. Trotzdem, mit Freddy Schluss gemacht zu haben, fühlte sich nicht so schlimm an wie anfangs gedacht. Auch wenn er angeblich keine Ahnung gehabt hatte, dass sie zusammen gewesen waren. Verleugnung war wohl seine Art, mit der Trennung fertig zu werden.

„Weißt du, was ich gerade denke?“, fragte Heidi.

Elisha zuckte mit den Achseln. „Woher sollte ich?“

„Na ja, als mich Mrs. Carter vorstellte, haben wir uns gedanklich unterhalten. So etwas nennt man Telepathie. Wir zwei scheinen irgendeine kosmische Verbindung zu haben.“ Heidi hüstelte. „War übrigens nicht gerade freundlich, was du von mir gedacht hast. Von wegen fett und so …“

Nett meinte ich.“ Elisha lachte gekünstelt. „Gedankenübertragung ist wie stille Post. Kam wohl falsch bei dir an. Ich habe dich nämlich von Anfang an gemocht.“

„Hab dich auch auf Anhieb klasse gefunden.“ Heidi streckte ihr die Hand entgegen. „Freundinnen?“

 

„Meinetwegen.“ Elisha ergriff die verschwitzten Finger und kaute an ihrem Wrigley, dass die Kiefer schmerzten. Dann machte sie eine Blase.

„Bis wir alt sind?“, hakte Heidi nach.

Die Blase platzte. Elisha überlegte. „So in zehn Jahren?“

„Wie wäre es mit sieben?“

„Sieben Jahre sind eine verdammt lange Zeit.“

„Deswegen frage ich ja.“ Ihre Hände lösten sich voneinander.

„Wir können es probieren.“

Heidi lächelte. „Tauschen wir den Kaugummi?“

„Ich wäre eher für Blutsbrüderschaft. Schneiden wir uns die Pulsadern auf?“

„Lieber Kaugummi.“

„Meinetwegen.“ Wie cool und lässig musste sie auf Heidi wirken. „Lass uns tauschen.“

Gesagt, getan. Am siebten Tag hatten sie ihre Freundschaft mit einem Kaugummi besiegelt, zumindest für die nächsten sieben Jahre …

1. Kapitel

30. Juni 2015 - 17 Jahre später

Drogheda, County Louth, Irland - 53° 42′ 50″ N, 6° 21′ 1″ W

Schrilles Geschrei hallte durch die Mauern. Kleine Satansbraten - auch Nichten und Neffen genannt - liefen durch das ganze Haus. Seit Stunden! Genauso lange sehnte sich Ray nach der Ruhe in seinem Loft in Dublin. Er hasste Familientreffen. Doch einmal im Jahr verdammte sein Vater Steve die gesamte Familie dazu, sich auf dem Landsitz einzufinden. Ihm zur Seite stand Rays Onkel Grant, mit dem sein Dad zu gleichen Teilen einige Stahlfirmen führte.

„Ich würde mich jetzt gerne in einem Pub vollschütten“, flüsterte Rays korpulenter Cousin Tommy, der mit ihm vor den hohen Verandafenstern stand. Gelbe Vorhänge waren in Wellen darüber drapiert, schwere Perserteppiche auf dem Steinboden schluckten jeden Schritt. Überall standen Kostbarkeiten. Rays Dad und Grant waren leidenschaftliche Kunstsammler. An der Wand drängten sich Werke namhafter Künstler, moderne und antike Möbel verliehen dem Wohnraum etwas Besonderes. „Waren die Stimmen deiner Schwestern schon immer so schrill? Ich fühle mich, als würde man mich laufend durch den Fleischwolf drehen.“

„Wem sagst du das.“ Ray trank einen Schluck Guinness. „Ich beneide dich, dass du als Einzelkind aufwachsen konntest. Mit sieben Schwestern hat man es nicht einfach.“

„Zumal sieben Schwager hinzukommen und einundzwanzig Neffen und Nichten“, pflichtete ihm Tommy bei. „Ihr könntet eigentlich eine Kommune gründen.“

„Gott bewahre, ich bin froh, wenn ich wieder meine Ruhe habe.“

„Nun ja, deine Wohnung ist nicht weniger gut frequentiert“, säuselte Tommy mit anzüglichem Lächeln und neidischem Unterton. „Die Frauen geben sich förmlich die Klinke in die Hand. Wie machst du das nur?“

„Ich kann nichts dafür, dass sie mir in Scharen hinterherlaufen und mich manchmal mit irgendeinem Hollywoodstar verwechseln.“ Ray lehnte sich mit der Schulter an die Wand und schaute aus dem Fenster. Die nähere Umgebung Droghedas war zwar ein schöner Flecken Erde, doch für seine Begriffe viel zu einsam. Die Stadt selbst lag an der Mündung des Flusses Boyne. Als er noch klein gewesen war, hatten sie öfter Ausflüge zu einigen Bodendenkmälern wie den ´Hill of Taraˋ oder ´Newgrangeˋ gemacht, das besonders zur Wintersonnenwende gerne aufgesucht wurde. Auch Forscher verirrten sich oft zum Hügelgrab.

Das Schloss, das seit Urgedenken in Familienbesitz war, lag etwas außerhalb der Stadt. Es war von Weideland und einem dichten Nadelholzwald umgeben. Schafe grasten oder lagen träge auf der Erde, bewacht vom alten Lester. Ein Jugendfreund des Vaters, der auf die schiefe Bahn geraten und beinahe an einer Überdosis Heroin gestorben wäre. Eines Tages hatte er vor der Tür gestanden und den Vater um Arbeit gebeten. Seitdem kümmerte er sich das ganze Jahr über um das Anwesen. Ein verlässlicher Mann mit Dreadlocks, ruhig und bescheiden, der mit seinem alten Leben abgeschlossen hatte.

„Ich werde das Gefühl nicht los, dass unsere Väter etwas aushecken.“ Tommy stellte das leere Glas auf den Biedermeiertisch neben sich, auf dem viele Familienportraits standen. Darunter gab es auch einige Bilder ihrer Mütter. Tommys Mom lebte für die Bühne und tingelte derzeit mit einem Laientheater durch die Lande, schwor auf Vegan und liebte Grant, trotzdem waren sie die meiste Zeit getrennt. Aber wenn sie ihn für einige Tage aufsuchte, kamen sie tagelang nicht aus dem Schlafzimmer. Das hatte zumindest Tommy erzählt.

Rays Mutter war vor vier Jahren mit ihrem Wagen tödlich verunglückt. An einem regnerischen Tag stürzte sie in Termonfeckin über die Klippen. Sie wollte zum Cottage - das ebenso zum Familienbesitz gehörte - und das auf einem Hochplateau lag. Früher war Ray ständig dort gewesen, aber seit ihrem Tod hatte er die Hütte gemieden, im Gegensatz zum Rest der Familie.

Der Kloß im Hals erschwerte Ray das Atmen, weil er auch unweigerlich an Miranda denken musste. Zügig leerte er sein Glas, verdrängte die Gedanken und versuchte sich die letzte Nacht vorzustellen. Gwen, Candy, wie hieß sie doch gleich? Er hatte keine Ahnung. Aber sie war nicht schlecht gewesen und wie üblich hatte er heute Morgen versprochen, sich zu melden. Danach war er aufgebrochen und nun langweilte er sich zu Tode. Das würden harte zwei Wochen werden.

Etwas klirrte.

Tommy und er drehten sich gleichzeitig um. Ihre Väter hielten jeweils ein Kristallweinglas mit dem Familienwappen in der Hand und klopften mit dem Löffel sacht dagegen. Cara, Mary, Mildred, Susan, Helen, Emma und Frida scheuchten ihren Nachwuchs hinaus, inklusive Ehemänner.

„Geht zu den Schafen aufs Feld“, ordnete Cara an. Sie war mit fünfundvierzig die Älteste. Kinder nebst Ehemännern jubelten und sausten davon. Ray atmete tief durch.

Sein Vater und Grant stellten gleichzeitig die Gläser auf den langen Eichentisch. Nicht umsonst nannte man sie hinter vorgehaltener Hand ´die zwei sizilianischen Patenˋ. Sie glichen sich nicht nur äußerlich mit ihrer korpulenten Figur, den zurückgegelten grauen Haaren, meist dunklen Anzügen und dem Erbring am kleinen Finger. Auch im Charakter unterschieden sie sich kaum. Beide waren hart wenn es um Geschäftliches ging, weich und nachgiebig sobald es die Familie betraf.

„Setzt euch bitte, Kinder.“ Rays Vater und Grant deuteten auf die Stühle. Es dauerte, bis alle seiner Aufforderung gefolgt waren. Ein vertrautes Gefühl durchströmte Ray, während er die leere Bierflasche von sich schob. Wie früher hatten alle ihre alten Plätze eingenommen. Auch Tommy, der von Kindesbeinen an die Sommer hier draußen verbracht hatte. Oft hatten sie sich um diesen Tisch herum versammelt um zu essen, zu plaudern, zu streiten oder Spiele zu spielen. Fast glaubte Ray, das Lachen seiner Mutter zu hören.

„Ich freue mich sehr“, begann Rays Vater, dessen Timbre dunkel und rau klang, „dass ihr unserer Einladung vollzählig gefolgt seid und ich möchte euch sagen, wie stolz ich bin.“ Nach der Reihe blickte er Rays Schwestern an, die mit sanft geröteten Wangen lächelten. „Cara, du bist meine Erstgeborene. Kaum haben die Wehen eingesetzt, warst du da. Nie werde ich diesen Moment vergessen, als ich dich zum ersten Mal im Arm hielt.“ Tränen glitzerten in seinen Augen. Du lieber Himmel, stimmte etwas nicht mit seinem Vater? War er krank? Ging es den Firmen schlecht? „Dann kamen deine Schwestern. Jede nach zwei Jahren, jede nach zwei Stunden. Mit einer Ausnahme: Frida, du bist Spitzenreiterin mit zwanzig Minuten.“ Die jüngste der sieben strahlte über das ganze Gesicht, während der Vater einen schnellen Blick mit Grant wechselte. „Raymond, du hingegen hast bereits bei der Geburt lange auf dich warten lassen. Diese zwanzig Stunden waren die längsten meines Lebens.“ Sein Vater lockerte die gelbe Krawatte. „Deine Mutter war zwar erschöpft, aber überglücklich und meinte, du wärst das schönste unter all ihren Babys.“

Grinsend nahm Ray die finsteren Blicke seiner Schwestern zur Kenntnis und hob dann kurz die Schultern an. „Ich kann nichts dafür.“

„Du hast dich ständig vor allem gedrückt“, warf Cara ihm prompt vor, die mit Vorliebe Petticoats trug wie auch Frisuren aus den 60er Jahren. „Entschuldige, Dad, aber musstest du das unbedingt sagen? Ray war bereits als Baby ein Player und ist es bis heute geblieben. Nun wird dein jüngster Spross seine Nase noch höher tragen.“

„Cara hat recht“, mischte sich Frida ein und richtete sich den Rollkragen ihres grauen Kaschmirpullovers. Sie kaufte sich alles prinzipiell eine Nummer kleiner und verzichtete auf einen BH. Wollte man wissen welche Temperaturen vorherrschten, brauchte man ihr bloß auf die winzige Brust zu schauen. „Ray wurde immer verwöhnt, während wir von Mutter und dir ziemlich hart rangenommen wurden.“

„Was euch gestärkt hat“, versicherte der Vater. „Jede einzelne von euch hat in unseren Firmen von der Pike auf gelernt, was es heißt, Verantwortung zu tragen. Mittlerweile sind wir ein einflussreicher Familienbetrieb und ich freue mich, dass meine Töchter trotz Nachwuchs am härtesten von allen arbeiten. Auch meine Schwiegersöhne identifizieren sich mit unserem Unternehmen und verschaffen euch genügend Freiraum, damit ihr eurer Pflicht nachkommen könnt.“

Weicheier, dachte Ray. Seine sieben Schwäger führten den Haushalt, kümmerten sich um die Kinder und waren Mitglied im Elternverein. Kein Leben, wie es ihm vorschwebte. Doch allmählich fragte er sich, worauf sein Vater hinauswollte.

„Steve hat das große Glück, sieben gelungene Töchter zu haben“, ergriff Grant das Wort und lockerte seine grüne Krawatte, „die allesamt eine vorbildliche Ehe führen. Ich hingegen könnte jeden Tag weinen, weil mein einziger Sohn außer Essen und dem Herumlungern auf der Couch keine weiteren Interessen hat. Obwohl er Jura studiert hat und wir einen fähigen Anwalt bräuchten, zieht er es vor, von Beruf Sohn zu sein.“ Ach, um Tommy ging es? Ray lehnte sich zurück. „Schmarotzt sich auf meine Kosten durch das Leben und denkt nicht daran, sich jegliche Annehmlichkeiten selbst zu verdienen.“

Tommy war mit jedem Wort blasser geworden. „Aber Dad, ich arbeite doch im Unternehmen.“

„Arbeiten nennst du das?“ Speichel landete auf dem Tisch. „Du kommst und gehst, wann es dir passt.“

„Hör auf zu grinsen, Ray“, forderte dessen Vater mit herrischem Ton, „dasselbe gilt auch für dich. Grant und ich haben es satt, euch durchzufüttern. Du bist ebenfalls Anwalt, mit einem verdammt guten Schulabschluss. Möchtest du dein Talent tatsächlich vergeuden? Wo sind deine Karrierepläne geblieben? Kommt endlich beide zur Vernunft und bringt euch im Unternehmen mit ein, sonst …“

„Sonst?“, hakten Tommy und Ray gleichzeitig nach.

Beide Väter verengten die Augen. „Sonst drehen wir euch den Geldhahn zu. Grant und ich möchten uns aus dem Geschäftsleben zurückziehen. Das bisschen Leben, das wir noch vor uns haben, endlich genießen. Schon lange träumen wir davon, mit unserem Segelboot eine Weltreise zu machen. Ende des Sommers stechen wir in See.“

„So schnell?“, erschrak Mary und zog sich den silbernen Haarreif vom Kopf. Ihre Vorliebe galt der Esoterik und Woodstock. Felsenfest war sie davon überzeugt, zu dieser Zeit schon einmal gelebt zu haben. Deswegen führte sie eine offene Ehe und liebte Schlaghosen, Häkeljacken und weite Blusen. Mit ihrem blonden Lockenhaar war sie der Mutter am ähnlichsten. Die anderen hatten dunkleres Haar, doch die blauen Augen hatten alle von ihr geerbt. „Wie soll das funktionieren, Daddy?“

„Mit euch im Boot und einem fähigen Kapitän am Steuer“, kam umgehend die gelassene Antwort.

„Mit Kapitän meinst du hoffentlich nicht Ray“, stieß Frida aus und versuchte die Ärmel ihres Pullis zurückzuschieben, was misslang. Am Ärmelsaum wölbte sich die Haut, vermutlich ein Blutstau. „Dann werden binnen kürzester Zeit alle weiblichen Mitarbeiterinnen kündigen.“ Als benötige sie die Zustimmung der Schwestern, schaute sie eine nach der anderen an. Allgemeines Nicken war die stumme Antwort. „Wir haben viele Freundinnen verloren, weil dieser Nimmersatt alles vögelt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.“

„Also hör mal“, warf Ray ein.

„Ist doch wahr!“ Frida griff zur Weinflasche auf dem Tisch. So schnell wie sie auf die Welt gekommen war, so schnell leerte sie alles Alkoholische. „Und was rede ich da? Selbst auf den Bäumen ist keine sicher vor dir. Ich wundere mich, dass du nicht regelmäßig im Leichenschauhaus aufschlägst, wo haufenweise devote Frauen herumliegen.“

„Bewegen sollten sie sich schon. Außerdem, ich laufe keiner hinterher. Das habe ich nicht nötig. Immerhin nennen mich meine Verflossenen einen Sexgott.“ Alle am Tisch rollten mit den Augen. Ray zog grinsend die Zigarettenpackung aus seiner Hosentasche und schob den Aschenbecher zu sich.

 

„Sexgott“, äffte Frida ihn nach. „Du bist ein Casanova der übelsten Sorte. Jeder versprichst du die große Liebe. Es gibt weder in Drogheda noch in Dublin ein Herz, das du nicht gebrochen hast.“

Ray warf die Schachtel auf den Tisch, steckte sich die Zigarette in den Mund und zündete sie an. Das Feuerzeug steckte er in die Hosentasche zurück. „Du übertreibst“, er blies den Rauch aus, „jede alte Frau hat Ruhe vor mir und mit alt meine ich alles über fünfundzwanzig.“

Plötzlich brach der Krieg aus. Ohne Punkt und Komma redeten seine Schwestern auf ihn ein. Nannten ihn unflätig, sorglos, Macho und zeigten mit dem Finger auf ihn. Dazwischen schenkte ihnen Frida ständig Wein nach und trank schließlich aus der Flasche. Sicher, Ray liebte seine Schwestern über alles, doch in diesem Moment hätte er sie kaltlächelnd umbringen können. Nie hatte er sich derart bloßgestellt gefühlt. Selbst von Tommy kam keine Hilfe, der in sich zusammengesunken auf dem Stuhl saß und vor sich hinstarrte.

„Ruhe“, brüllte der Vater nach zehnminütiger Schlammschlacht. Ray dämpfte die dritte Zigarette im Aschenbecher aus. Er rauchte nicht regelmäßig, doch in Gegenwart der Schwestern würde er zum Kettenraucher werden. „Ich denke, Ray hat den Ernst der Lage erkannt.“

„Was ich auch für Tommy hoffe.“ Grant schob die Hände in die Hosentasche seiner Nadelstreifhose. „Leider kann ich nicht wie Steve aus dem Vollen schöpfen und deshalb nur auf dich als Kapitän zurückgreifen, Sohn.“

„Was erwartet ihr von uns?“, fragte Tommy stockend. Vermutlich sah er sich in Gedanken vor einem leeren Kühlschrank stehen. Als ob sie im Moment keine größeren Probleme hätten!

„Wir können nicht sagen, dass ihr dumm seid“, antwortete Grant. „In der Schule habt ihr euch zusammengerissen. Auch in der Firma sind wir mit euren Leistungen immer zufrieden gewesen. Zumindest mit dem bisschen, das ich in meiner Erinnerung zusammenkratzen kann.“ Sein Gesicht verschloss sich noch mehr. „Steve und ich geben euch vierzehn Tage Zeit, um eine Entscheidung zu treffen. Entweder werdet ihr wie wir in den letzten vierzig Jahren jeden Tag euren Mann stehen - und zwar mit einem Stapel Akten auf dem Schreibtisch, Ray, und nicht mit einem Stapel Mädchen im Bett - oder euch wird der Zugang zu sämtlichen Firmen sowie den Konten untersagt. Selbstverständlich erbt ihr nur den Pflichtteil, falls wir im Atlantik ersaufen sollten.“

„Du klingst, als wäre an diese Bedingung eine weitere geknüpft“, sprach Tommy aus, was Ray ahnte.

„Unserer Meinung nach ist es Zeit, einen sicheren Hafen anzusteuern.“ Auf der Stirn von Rays Vaters zeigten sich Schweißperlen. „Jeder Mann braucht eine Frau hinter sich. Ihr beide eine, die euch die Flausen aus dem Kopf treibt. Nur wer für jemand anderen sorgen muss, weiß um Verantwortung.“

„Willst du damit sagen, dass wir heiraten sollen, Onkel Steve?“, entfuhr es Tommy.

Über Rays Rücken fuhr ein kalter Schauer nach dem anderen. Seine Schwestern grinsten schadenfroh. „Tut mir leid, Dad, aber im Augenblick habe ich keine passende Braut bei der Hand“, empörte sich Ray. Was sollte das? Niemals im Leben würde er heiraten, nicht nachdem …

„Am vierzehnten Juli präsentiert ihr uns eine Antwort bezüglich des Unternehmens“, forderte Rays Vater mit harter Stimme, „oder wir stellen die Zahlungen für eure Wohnungen, die Sportwägen, Restaurantbesuche und was weiß ich noch alles, ein.“

„Das ist Erpressung, Dad!“ Ray konnte es nicht fassen.

„Nein, Sohn. Das ist das Leben.“ Sein Vater runzelte die Stirn. „Grant und ich möchten, dass ihr euch bis zum Tag eurer Entscheidung ernsthaft nach einer adäquaten Frau umschaut. Vor allem du, Ray, solltest dir in dieser Hinsicht eine Chance geben.“

Sein Vater hatte ja keine Ahnung!

„Am vierzehnten ist mein Geburtstag“, stöhnte Tommy. „Wollt ihr mir den Tag versauen?“

„Dad, was die Firmen betrifft, darüber können wir reden“, wandte Ray um Ruhe bemüht ein. „Aber eine Frau? Wie soll man binnen weniger Tage die Richtige fürs Leben finden?“

„Nie agiert man besser als unter Zeitdruck, und ihr sollt ja nicht gleich heiraten. Es geht uns nur darum, dass ihr auch in dieser Hinsicht Ernsthaftigkeit zeigt.“

„Wie du willst.“ Ray schaffte es nicht mehr, seinen Zorn zu unterdrücken. „Aber beklag dich nicht, wenn dir meine Wahl missfällt. Womöglich verlobe ich mich mit einer Nutte.“

„Die arbeitet wenigstens. Im Gegensatz zu dir. Was also deine Zukünftige betrifft, ich werde dir nicht reinreden, versprochen.“ Wie gönnerhaft er sich gab. Von wegen weich und nachgiebig. „Hauptsache, du lernst endlich worauf es im Leben ankommt.“

„Was nur mit einer Frau funktioniert?“

„So ist es. Eine Familie erdet. Viel Glück, Jungs.“

Verdattert schauten sich Tommy und Ray an. Die meinten es tatsächlich ernst!

„Um euch in Ruhe nachdenken zu lassen, werdet ihr jetzt eure Sachen packen und nach Termonfeckin fahren“, informierte Grant sie.

„Nach Termonfeckin?“, entsetzte sich Ray.

„Genau. Unsere Gastfreundschaft ist erschöpft. Auf dem Weg dorthin könnt ihr euch Lebensmittel besorgen. Falls ihr vorhabt nach Hause zu fahren, verwerft den Plan. Eure Wohnungen werden von schweren Jungs bewacht, die Steve und mir noch einen Gefallen schulden.“

„Außerdem wird euch die Einsamkeit guttun.“ Rays Vater setzte sich und schob Frida sein Glas zu, die ihm den kläglichen Rest der Weinflasche einschenkte.

„Ich war nicht mehr dort seit Mutters Tod.“ Ray schluckte hart.

„Deswegen wird es Zeit. Deine Mutter wusste immer auf alles eine Lösung. Ich bin mir sicher, sie wird ein Auge auf dich haben. Wo könnte sie dir näher sein als in jenem Cottage, das sie zeitlebens geliebt hat?“

„Ich kann nicht dorthin.“

„Dann überwinde dich. Seit ihrem Tod hast du dich verändert. Bist rastlos geworden, unzuverlässig, hast jeglichen Respekt vor Frauen und dem Leben verloren. Als ob das nicht genug wäre, ziehst du auch Tommy mit in diesen Abgrund. Früher war er ein Mustersöhnchen.“

„Genau. Du bist schuld, Ray!“, fiel ihm sein Cousin in den Rücken.

„Das hättest du wohl gern. Nein, mein Freund, den Schuh …“

„Wie auch immer“, wurde Ray von seinem Vater unterbrochen, „Termonfeckin ist der einzige Ort, um dich endlich wieder selbst zu finden.“

„Eine Frau“, stotterte Tommy, als binde ihm jemand einen Strick um den Hals, „mich will doch keine. Im Gegensatz zu Ray bin ich kein Weiberheld.“

„Jeder Topf findet seinen Deckel.“ Grant zog die Hände aus den Taschen und schaute abwesend auf seinen Siegelring.

„Und ihr denkt, in dieser Einöde finden wir einen?“ Tommy fuhr sich mit beiden Händen durch das gekrauste kupferfarbene Haar.

„Einen Versuch ist es wert“, beharrte Grant. „Ich weiß ja nicht wie es euch geht“, er setzte sich ebenfalls, „aber ich habe einen Bärenhunger. Darum solltet ihr aufbrechen, Jungs, damit wir in Ruhe das Festmahl genießen können.“ Tommy und Ray standen fast gleichzeitig auf. Im Gesicht seines Cousins spiegelte sich die eigene Wut wider. Andererseits hoffte Ray, dass sein Vater die Farce damit beendete, dass sie lediglich einen Scherz gemacht hatten. Doch dessen Mund blieb verschlossen. „Eine Sache noch: Eure Sportwägen bleiben hier. Ihr hättet ohnehin kein Benzin mehr. Wir haben alles rauspumpen lassen. Lester leiht euch seinen Pick-up. Gute Fahrt.“

Ray schnappte die Packung Zigaretten, dann hetzte er Tommy hinterher.

„Die sind doch übergeschnappt!“, brauste sein Cousin auf, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten. Mit großen Schritten durchquerten sie die riesige Eingangshalle mit dem Granitsteinboden.

„Wem sagst du das. Am liebsten würde ich es ihnen heimzahlen und eine anschleppen, die ihnen so missfällt, dass sie uns ein paar Millionen zahlen um sie loszuwerden.“

„Warte mal“, Tommy hielt Ray am Ärmel zurück, „das ist es. Sie wollen eine Braut? Die können sie haben.“

„In Termonfeckin werden wir kaum fündig werden. Da habe ich alle durch.“

„Aber nicht im Google.“

„Du meinst …?“

„Genau“, sprach Tommy aufgeregt weiter. „Lass uns zwei Dumme finden, die uns heiraten. Natürlich wird die Hochzeit rechtzeitig platzen.“

„Spinnst du? Von Heirat war nie die Rede. Unsere Väter wollen lediglich, dass wir ernsthaft nach einer Frau suchen.“

„Aber wir liefern ihnen das Gesamtpaket.“

„Dein Plan ist reiner Selbstmord“, gab Ray zu bedenken. „Am Ende kommen wir nicht mehr aus dem Grab heraus, das wir uns schaufeln.“

„Vertrau mir. Im äußersten Fall können wir uns ja scheiden lassen.“

„Und verlieren einen Haufen Kohle!“

„Schon mal von einem Ehevertrag gehört? Wozu sind wir Anwälte?“

„Das kann nur nach hinten losgehen.“ Ray stapfte die Steinstufe hinauf. „Außerdem, so dumm kann keine Frau sein.“

„Wetten?“

7

Elisha gähnte verhalten und blickte sich im Wood & Steel um. Das Cafe in der Altstadt war mäßig besucht. Mit den vielen Fenstern und dem Glasdach wirkte es beinahe wie ein Gewächshaus. Im Inneren dominierten Holz und Stahl. Letzteres von der Bar bis hin zu den Stühlen und dem Dekor. Nur der Fußboden und die Tische waren aus hellem Holz. Trotz einer fast statischen Einrichtung war es behaglich im Cafe. Sicherlich auch bedingt durch die vielen Grünpflanzen. Jedenfalls war das Wood & Steel im Laufe der Zeit zu Elishas zweitem Wohnzimmer geworden, wie es auch das Wildcat Cafe ein paar Häuser weiter war. Ebenfalls ein gemütliches Lokal, das sogar zum Kulturerbe der Stadt gehörte.