Vom Imperiengeschäft

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Berthold Seliger



Vom Imperiengeschäft



Konzerne – Festivals – Soziales



Wie Großkonzerne die kulturelle Vielfalt zerstören



FUEGO




- Über dieses Buch -



Berthold Seliger, Publizist und seit über dreißig Jahren Konzertagent und Tourneeveranstalter, berichtet über die Neustrukturierung der Märkte in der Musikindustrie. Er nimmt die aktuellen Entwicklungen bei den Konzentrationsprozessen in der deutschen und internationalen Konzertbranche und die dubiosen Tricks im Ticketing zum Anlaß für konkrete Vorschläge, wie man mit konsequenter Gesetzgebung die Machenschaften der Konzerne eindämmen könnte, die die kulturelle Vielfalt gefährden. Seliger erklärt, wie unabhängige Musikclubs, soziokulturelle Zentren und Künstler-orientierte Festivals Möglichkeitsräume werden, in denen eine Kultur jenseits der Konzerne stattfinden kann, und wie das Musikstreaming funktioniert. Er beschreibt die soziale Situation von Musikern und Kulturarbeitern und schlägt Lösungen wie Mindestgagen vor. Der Grundgedanke seiner Überlegungen sind immer die Interessen der Musiker und der Konzertbesucher. Nur wenn sich diese gegen die Imperiengeschäfte der Kulturindustrie wehren, wird die kulturelle Vielfalt in unserer Gesellschaft erhalten bleiben.





»Seliger spricht Klartext, sein profundes Wissen über das Musikbusiness stammt aus erster Hand ...«

 





»Seliger ist ein Überzeugungstäter. Er liebt Musik, das merkt man seinen Texten an. Deswegen plädiert er heftig und oftmals hoch unterhaltsam dafür, dem regierenden neokapitalistischen Markt nicht kampflos das Feld zu überlassen.«

 






INHALT









Kapitel 1









Imperiengeschäfte













Kapitel 2









Hippies, kalifornische Ideologie und das Silicon Valley









Festivals von Monterey Pop bis Burning Man









Kapitel 3









Immobilienverwertung, Kulturorte und der öffentliche Raum









Clubs, soziokulturelle Zentren, Unterhaltungsviertel









Kapitel 4









Kulturelles Prekariat und konzeptive Ideologen









Zur sozialen Situation von Musiker*innen und Kulturarbeiter*innen











Epilog









Literaturverzeichnis






»Ich will nicht wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält.



Ich will wissen, wie sie abläuft.«


Heiner Müller





»Objekt ist nie der Gegner, sondern der Umstand, daß es ihn gibt.«

 Karl Kraus







Kapitel 1





Imperiengeschäfte





Endlose Wüste in New Mexico. Blauer Himmel, am Horizont Berge. Karger, steiniger Boden, vertrocknende Grasbüschel, die im Wind wehen. Wir sehen einen vielleicht vierzehnjährigen Jungen auf seinem Geländemotorrad durch die kleinen Hügel der Wüste rasen. Mal fährt er sandige Wege entlang, mal quer durchs Geröll, schließlich verlangsamt er seine Enduro und bleibt stehen. Er nimmt bei laufendem Motor seinen Helm ab, geht ein paar Schritte vom Motorrad weg und begibt sich in die Hocke. Schließlich sehen wir den Grund: Eine Aphonopelma chalcodes, eine etwa zehn Zentimeter große hellbraune Vogelspinne, englisch »Arizona blond tarantula«, kriecht durch den Sand. Der Junge hält seine Hand in ihren Weg und läßt sie hinaufklettern, bietet ihr abwechselnd beide Hände zum Weiterlaufen an, ehe er vorsichtig ein kleines Glasgefäß aus der Innentasche seiner Jeansjacke holt und die Vogelspinne hineingleiten läßt. Er dreht einen Deckel darauf und hält das Glas mit der Vogelspinne hoch. Wir sehen ihn und die Vogelspinne jetzt vor dem hellblauen Himmel, und ein leichtes Lächeln spielt um seinen Mund.



Der Junge geht zu seinem Geländemotorrad zurück, steckt das Glas mit der Spinne in die Innentasche seiner Jacke, steigt auf die Maschine und setzt seinen Helm auf. Sorgfältig schließt er den Riemen des Helms. In diesem Moment hören wir das Signalhorn eines nahenden Güterzugs der Union Pacific. Der Junge düst los, dem Zug entgegen.



Er wird den Tag nicht überleben. Drogenhändler, denen er zufällig bei einem Überfall auf den Güterzug in die Quere kommt, werden ihn erschießen ...



Walter »Walt« White, der Held der US-amerikanischen Fern­sehserie

Breaking Bad

, sitzt tief in der Tinte. Daß sein Schwager ihn verdächtigt, der gefürchtete »Heisenberg« zu sein, also der Kopf einer mafiösen Drogenbande, ist noch sein kleinstes Problem. Seine Frau Skyler hat sich von ihm abgewandt, und aus Sorge um die Sicherheit ihrer Kinder hat sie diese bei ihrer Schwester untergebracht. Walt darf seine Kinder nicht sehen. Skyler betrachtet sich als Walts Geisel, wäscht resigniert weiter sein Drogengeld und wartet darauf, daß Walts Krebserkrankung zurückkehrt und er endlich stirbt.



Walts Partner im Drogengeschäft, Jesse Pinkman und Mike Ehrmantraut, wollen aussteigen – Mike, weil er von der Drogenpolizei überwacht wird, Jesse, weil er, sowieso schon länger hadernd, nach der Ermordung des Jungen »das nicht mehr machen kann« und sich »zur Ruhe setzen« will. Jesse und Mike planen, ihren Teil des geraubten Methylamin für jeweils fünf Millionen Dollar an den Drogenboss Declan zu verkaufen. Der jedoch verlangt das gesamte Methylamin im Wert von 300 Millionen Dollar, denn er möchte seinen Marktanteil vergrößern und ein Monopol errichten, indem er das konkurrierende Blue Meth vom Markt nimmt. Walt verweigert den Verkauf seines Anteils und durchkreuzt so den Verkaufsplan von Jesse und Mike.



In dieser Situation kommt Jesse in Walts Haus, um mit ihm den Declan-Deal zu besprechen, um Walt zu überreden, dem Deal zuzustimmen. Er versucht, ihm den Verkauf schmackhaft zu machen: »Als du mit dieser Sache angefangen hast, hast du da auch nur davon geträumt, fünf Millionen Dollar zu haben?« Jesse verweist darauf, daß der Verkauf zur Folge habe, daß niemand mehr getötet werde. »Du hättest Zeit für deine Familie, müßtest dir keine Sorgen machen, daß jemandem was zustößt oder daß jemand was darüber rausfindet.«



Doch Walt bleibt stur: »Ich habe nicht so hart dafür gearbeitet, um das alles zu verschleudern. Wir haben gelitten und geblutet, buchstäblich, für dieses Geschäft.«



Jesse fragt Walt: »Wenn es hart auf hart kommt, sind wir dann lieber im Meth-Geschäft oder lieber im Geld-Ge­schäft?« Wollen wir lieber mafiöse Drogenhändler oder lieber korrupte und dubiose Bänker sein?



Und dann bleibt diese Folge von

Breaking Bad

 förmlich stehen, der Stillstand währt nur wenige Sekunden und doch eine Ewigkeit, bevor wir von Walt, dem gefürchteten und bewunderten »Heisenberg«, erfahren, worum sich alles, wirklich alles dreht. Wir hören die Gralserzählung des 21. Jahrhunderts:



»Hast du schon einmal von einer Firma namens Gray Matter Technologies gehört? Ich habe diese Firma noch als Student zusammen mit Freunden gegründet, von mir stammt sogar der Name der Firma. Damals war es zunächst ein Kleinstunternehmen, wir hatten ein paar Patente angemeldet, aber nichts Weltbewegendes. Natürlich wußten wir alle um das Potential der Firma. Ja, wir wollten die Welt im Sturm erobern ... Und dann hat ... also ... irgendwas ist zwischen uns dreien passiert. Ich gehe jetzt nicht ins Detail. Aber aus persönlichen Gründen entschloß ich mich, die Firma zu verlassen, und verkaufte meinen Anteil an meine beiden Partner. Ich wählte einen Buyout. Für 5000 Dollar. Zu diesem Zeitpunkt war das ein Haufen Geld für mich. Jetzt rate mal, was dieses Unternehmen heute wert ist.«



Jesse: »Millionen?«



Walt: »Milliarden! Und es wächst weiter: 2,6 Milliarden, Stand vom letzten Freitag, ich sehe jede Woche nach. Und ich habe meinen Anteil verkauft, mein Potential, für 5000 Dollar. Ich habe das Geburtsrecht meiner Kinder für ein paar Monatsmieten verkauft.«



Jesse: »Aber das ist doch überhaupt nicht das gleiche.«



Walt: »Jesse, du hast mich gefragt, ob ich im Meth-Geschäft oder im Geld-Geschäft wäre. Weder noch. Ich bin im Imperiengeschäft!« Und Walt führt bedeutungsvoll das Whiskyglas zum Mund.

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Die Fernsehserie

Breaking

 Bad von Vince Gilligan kann man als Beschreibung der dunklen Seite des Kapitalismus verstehen, eines neoliberalen Kapitalismus in einer aus den Fugen geratenen Welt. Der kapitalistische Realismus zeigt sich auf mehreren Ebenen: Der Chemielehrer Walter White ist schon von Haus aus nicht in der Lage, mit seinem Lehrergehalt seiner Familie das Leben zu bieten, das ihm als biederer amerikanischer Bürger vorschwebt, zumal sein Sohn an Cerebralparese leidet und die Therapie hohe Kosten verursacht. So ist er gezwungen, einem Zweitjob in einer Autowaschanlage nachzugehen.



Auch hierzulande besteht eine ständig wachsende Gruppe des »Prekariats« aus arbeitenden Vätern, die zwischen 25 und 54 Jahre alt sind und denen es auch bei regelmäßiger Erwerbsarbeit nicht gelingt, »gemeinsam mit der Partnerin die Familie sicher zu versorgen«, wie es in einer aktuellen Studie heißt.

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Walter White kollabiert kurz nach seinem 50. Geburtstag bei der Arbeit in ebendieser Autowaschanlage, und im Krankenhaus erhält er die Diagnose: Lungenkrebs, sehr ge­ringe Heilungschancen. Neben der existentiellen Bedrohung durch diese Krankheit an sich verschärft die neue Lebenssituation noch einmal die soziale Problematik seines Daseins: In den USA existiert bekanntlich nur eine marginale Krankenversicherung, und White kann die immensen, privat aufzubringenden Kosten der Chemotherapie von über 90 000 Dollar nicht aufbringen. Gleichzeitig will er seine Familie finanziell absichern, falls er bald sterben wird. Er berechnet die dafür benötigte Summe mit 737 000 Dollar. Geld, das er mit der Herstellung von Drogen, von besonders reinem und deshalb begehrtem Methamphetamin zu verdienen beabsichtigt.



Bereits die Grundkonstellation der prekären Existenz von in seriösen Jobs arbeitenden Menschen beleuchtet die Lebensbedingungen im kapitalistischen Realismus. Gleichzeitig zeigt uns

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 beispielhaft verschiedene Stadien und Formen dieses Wirtschaftssystems: Die Ideologie der Start-Ups etwa, der »ausgelagerten Testbienchen« (Diet­mar Dath), also kleiner Firmen mit Ideen und Patenten, von denen einige aus unterschiedlichsten Gründen groß werden und ihre Gründer, so sie denn nicht vorher die Segel gestrichen haben, reich machen. Microsoft wurde bekanntlich 1975 von Bill Gates, Paul Allen und Monte Davidoff gegründet. Die drei Microsoft-Gründer hatten die Programmiersprache Altair BASIC 2.0 für den Computer Altair 8800 des Unternehmens MITS (Micro Instrumentation Telemetry Systems) entwickelt, mit dem sie einen Distribu­tionsvertrag abschlossen, der ihnen neben einer Einmalzahlung von 3000 Dollar auch unterschiedlich hohe Umsatzbeteiligungen garantierte, wenn die Computerkäufer die von Microsoft entwickelte Software mit- oder nachbestellten. Der Firmensitz von Microsoft wie auch von MITS war ursprünglich Albuquerque, also just die Stadt, in der auch

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 spielt. Gates und Allen schlossen untereinander einen Vertrag, der die Aufgabenverteilung und die Gewinnausschüttungen innerhalb ihres jungen Unternehmens regelte. Der dritte Partner, Monte Davidoff, wurde mit einmalig 2400 Dollar ausbezahlt. Walt White in

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 erhält nach seinem Burnout etwas mehr – 5.000 Dollar –, was damals »ein Haufen Geld« für ihn war. Mittlerweile allerdings ist die Firma, die White mit gegründet hat, mehr als 2,6 Milliarden Dollar wert (und Microsofts Marktwert beträgt im Mai 2018 750,6 Milliarden Dollar).

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 Oder denken wir an Apple, den heute mit 926,9 Milliarden Dollar nach Marktwert größten Weltkonzern, der 1976, also ein Jahr nach Microsoft, von Steve Jobs, Steve Wozniak und Ronald Wayne mit einem Startkapital von 1300 Dollar gegründet wurde. Mitgründer Wayne, der sich um die juristischen Formalitäten der Firmengründung gekümmert und das erste Logo der neuen Firma gezeichnet hatte (Isaac Newton unter einem Apfelbaum, an dem ein einzelner Apfel hängt), verließ Apple nach kurzer Zeit. Er verkaufte seine Firmenanteile für insgesamt 2300 Dollar. Es handelt sich hier offensichtlich um eine der substantiellen Narrationen von Firmengründungen im digitalen Zeitalter.



Vor allem aber diskutiert

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 eine Existenzform des modernen Kapitalismus, die durch den gnadenlosen Neoliberalismus, wie wir ihn seit den siebziger Jahren erleben müssen, und die Digitalisierung erst ermöglicht wurde: das Imperiengeschäft. Man macht einen Laden nicht mehr auf, um einen Laden zu besitzen und ihn erfolgreich zu führen. Man gründet keine Firma mehr, um ein Produkt zu entwickeln und erfolgreich zu verkaufen. Nein, man macht heutzutage einen Laden auf, um einen zweiten aufzumachen, einen dritten, solange, bis man den örtlichen und den regionalen Markt beherrscht, dann den nationalen und schließlich den Weltmarkt. Es geht darum, ein Imperium zu errichten, ganz egal mit welchem Produkt (und es muß nicht einmal ein Produkt sein, im digitalen Kapitalismus betreiben die erfolgreichsten Unternehmen ja häufig nur Plattformen), und ganz egal in welchem Sektor. Die Frage, die Jesse stellt: »Sind wir lieber im Drogen- oder im Geldgeschäft?«, ist die falsche Frage, denn darauf kommt es nicht an. »

I’m in the empire business!

«, macht Walter White klar. Es kommt auf Größe, auf Markt- und letztlich auf Weltbeherrschung, auf Dominanz und auf Profit an, egal, ob man dies mit Drogen oder mit Bankgeschäften erreicht.



Oder mit Konzerten. Der Rapper Gucci Mane, der »Trap-Gott«, der die Karrieren von Weltstars wie Travis Scott, Young Thug und Migos befördert hat, erklärt in seiner Autobiographie,

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 daß das Geschäft mit Musik letztlich so läuft wie das Geschäft mit Drogen – und mit beidem hat Gucci Mane seine einschlägigen Erfahrungen, als Drogenhändler, der im Knast saß, ebenso wie als erfolgreicher Musiker, der zum Millionär wurde. In beiden Fällen »streckte« er sein Produkt – als Musiker, indem er jeden Monat ein Mixtape veröffentlicht und alte Hits neu aufkocht, mit neuen Musikern, anderen Rappern. Und sowohl als Drogenhändler wie auch als Musiker weiß Gucci Mane, worauf es ankommt: auf die Vertriebswege. Wer über die Distributionskanäle verfügt, der hat die Macht. Der kann den Markt mit seinen Produkten fluten.

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* Beispielsweise hat Microsoft 1991 laut einem US-Kartellverfahren eine Version von Windows 3.1 auf den Markt gebracht, die eine vorgetäuschte Fehlermeldung anzeigte, wenn Windows 3.1 auf einem Betriebssystem des Konkurrenten Digital Research installiert wurde. Microsoft verglich sich gegen eine Abfindung von mehr als 200 Millio­nen Dollar – vermutlich ein eher kleines Schmerzensgeld, wenn man den realen Schaden für den Konkurrenten betrachtet, der bald danach vom Markt verschwand.



Wer ein Imperium errichten will, dem sind alle Mittel recht, legale wie illegale. Ob Walt White in Albuquerque Crystal Meth herstellt, dann die Vertriebswege seiner Drogen kontrolliert und schließlich als »Heisenberg« zum Herrscher eines Imperiums wird, oder ob Microsoft in eben diesem Albuquerque eine Software schreibt, später ein Betriebssystem und eine grafische Benutzeroberfläche entwickelt (oder von Apple klaut, ganz wie man will),

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 seine Verdrängungspolitik gegenüber der Konkurrenz mit nicht immer legalen Mitteln vorantreibt,

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 öfter mit Ermittlungen des Kartellamts zu tun hat und am Ende als Monopolist und als »wertvollstes« Unternehmen der Welt dasteht – der Weg und das Ergebnis sind ähnlich: Man hat ein Imperium errichtet, das den Markt beziehungsweise die Welt dominiert – koste es, was es wolle.



Einen ähnlichen Weg sind die drei weltbeherrschenden Giganten des Konzertgeschäfts gegangen: die AEG, CTS Eventim und Live Nation.



Mit AEG ist nicht etwa die altehrwürdige, 1883 in Berlin gegründete »Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft« gemeint, die einmal einer der weltweit größten Elektrokonzerne (und vor und während des Ersten Weltkriegs nach Krupp zweitgrößter deutscher Rüstungsproduzent) war, die 1982 Insolvenz anmelden mußte, 1985 von der Daimler-Benz AG übernommen und 1996 endgültig aufgelöst wurde – sondern die »Anschutz Entertainment Group«, als Tochtergesellschaft der »Anschutz Corporation« eines der weltweit führenden Unternehmen im Bereich der Unterhaltungsindustrie und des Sports. Die AEG besitzt und betreibt einige der wichtigsten und größten Arenen und Theater wie das Staples Center in Los Angeles, »The O

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«

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 in London (ein Entertainment-Komplex mit dem größten Kuppelbau der Welt), die Cadillac Arena

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 in Beijing oder hierzulande die Mercedes-Benz (ehemals O

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) Arena in Berlin und die Hamburger Barclaycard Arena.



* Es ist schlechter Brauch, daß derartige Arenen heutzutage ähnlich wie Stadien nach demjenigen benannt werden, der dafür am meisten Geld bietet: Die Namensrechte für diesen Entertainment-Komplex in Greenwich (London) wurden 2007 durch das Mobilfunkunternehmen O

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 erworben und 2017 für umgerechnet etwa 148 Millionen Euro bis in das Jahr 2027 verlängert.



Jüngst hat die AEG ihre Tournee-Sparte »AEG Live« in eine globale Tourneeagentur umgewandelt: die »AEG Presents Global Touring and Talent«. Von der Zentralisierung der Tourneegeschäfte erhofft man sich, die AEG noch mehr als »leader in global touring«, als einen der Weltmarktführer im Tourneegeschäft, zu etablieren. Zusätzlich verbleiben die weiteren Konzertveranstalter und Agenturen, die AEG besitzt, unter dem Dach von »AEG Presents«. Dazu gehören die Firmen Goldenvoice (ein kalifornischer Großveranstalter von Konzerten und Festivals, unter anderem des Coachella und des Stagecoach Country Music Festivals), Concerts West (einer der größten Konzertveranstalter, zu dessen Klienten Céline Dion, The Rolling Stones, Katy Perry, Roger Waters und Justin Bieber gehören), die im Bereich der Country-Musik tätige Messina Touring Group (u. a. Taylor Swift, Ed

Sheeran), The Bowery Presents (einer der führenden Veranstalter und Betreiber von Konzerthallen in New York, Boston, Philadelphia, Atlanta und Maine) und die legendäre europäische Agentur Marshall Arts, die unter anderem Paul McCartney, Elton John, Herbie Hancock, José Carreras, Cher, Pink und Tina Turner vertritt und die Tourneen von Joe Cocker veranstaltet hat. Am Rande sei erwähnt, daß die Anschutz Entertainment Group mit AEG Sports auch eine Sportdivision unterhält. Der AEG gehören weltweit eine Vielzahl von Sportmannschaften, unter anderem die Eishockeyteams Los Angeles Kings und Eisbären Berlin (beide Teams können ihre Spiele praktischerweise in den AEG-eigenen Mehrzweckhallen austragen), das Fußballteam Los Angeles Galaxy (das 2006 mit der Verpflichtung von David Beckham für Aufsehen sorgte) oder die Los Angeles Lakers (an dem Basketballteam hält AEG eine 50-Prozent-Betei­ligung). Unternehmenschef Philip Anschutz unterstützt übrigens politische Gruppierungen aus dem evangelikal-konservativen Milieu, die unter anderem Homosexuelle dis­kriminieren,

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 was durchaus eine pikante Note hat: Mit dem Geld, das mit dem bekennenden Homosexuellen Elton John verdient wird, finanziert Anschutz Propaganda, die sich gegen Homosexuelle richtet.



In meinem Buch

Das Geschäft mit der Musik

 habe ich beschrieben, wie der 1996 verabschiedete US-amerikanische »Telecommunications Act« Wettbewerbsbeschränkungen aufhob mit dem vorgeblichen Ziel, die Angebotsvielfalt zu steigern, und genau den gegenteiligen und letztlich erwünschten Effekt erzielte, denn es kam zu massiven Konzentrationsprozessen. Zu den Unternehmen, die von diesem Gesetz profitiert haben, gehört die regionale texanische Radiostation Clear Channel aus San Antonio. Nach 1996 investierte Clear Channel mehr als 30 Milliarden Dollar und kaufte mehr als 1200 Radiostationen in den USA – aber auch führende Konzertagenturen, Veranstalter und Konzerthallen. Im Jahr 2005 mußte Clear Channel aus Wettbewerbsgründen die Konzertsparte aus dem Unternehmen herauslösen, die seitdem als »Live Nation« fungiert und heute der weltgrößte Konzertveranstalter ist.



Live Nation hat 2017 etwa 30 000 Konzerte in 40 Ländern veranstaltet und dabei 500 Millionen Tickets verkauft. Live Nation besitzt oder betreibt weltweit 222 Veranstaltungsorte und besitzt oder kontrolliert über Mehrheitsbeteiligungen etliche der wichtigsten Tourneeveranstalter und Festivals unter anderem in Großbritannien, Belgien, den Niederlanden, Skandinavien, Italien, Spanien und neuerdings auch in Deutschland. Live Nation managt weltweit mehr als 500 Künstler und Bands, darunter U2 und Madonna. Der weltweite Expansionskurs, das Imperiengeschäft, wurde mit gigantischen Verlusten finanziert: Zwischen 2005 und 2012 schrieb Live Nation Verluste in Höhe von 951 Millionen Dollar (allein im Jahr 2008 waren es 239 Mio.).



Seit dem Erscheinen von

Das Geschäft mit der Musik

 im Jahr 2013 hat Live Nation unter anderem die folgenden Firmen gekauft oder gegründet beziehungsweise Beteiligungen an ihnen erworben: Insomniac Events (ein auf »Electric Dance Music«, EDM, spezialisierter US-Veran­stal­ter, der zum Beispiel das Electric Daisy Carnival-Festi­val betreibt), C3 Presents aus Austin, Texas (die unter anderem das legendäre Austin City Limits Music Festival und das Lollapalooza Festival, das seit einigen Jahren auch in Berlin stattfindet, aber auch eine Managementfirma betreiben, zu deren Klienten The Strokes, Phoenix, My Bloody Valentine oder Justice gehören; zum Zeitpunkt der Übernahme durch Live Nation galt C3 Presents als der größte unabhängige Konzertveranstalter der Welt), marktdominierende Tourneeveranstalter in Südafrika und Israel sowie weitere Groß-Festivals, von New Orleans über das finnische Hip-Hop-Festival »Blockfest« bis zum brasilianischen »Rock in Rio«.

 



Last but not least wagte Live Nation im Sommer 2015 auch den Markteintritt nach Deutschland, den größten europäischen Musikmarkt. Hier gewann man den größten deutschen Konzertveranstalter der letzten Jahrzehnte, Marek Lieberberg (an dessen Marek Lieberberg Konzertagentur, MLK, die CTS Eventim AG seit dem Sommer 2000 eine Mehrheitsbeteiligung hält) als »Chief Executive Officer« von Live Nation Concerts Germany; Lieberberg brachte auch sein Führungsteam mit zu Live Nation. Marek Lieberberg war zum Zeitpunkt seines Eintritts in den Live Nation-Konzern laut eigenen Angaben der weltweit fünftgrößte Konzertveranstalter. Live Nation-Chef Michael Rapino kom­mentierte den deutschen Markteintritt seines Unternehmens und die Zusammenarbeit mit Marek Lieberberg wie folgt: »Dieser Schritt bildet die Fortsetzung der globalen Expansion unseres Unternehmens und bietet unseren Sponsoren Zugang zu den Fans in einem wichtigen europäischen Markt, während gleichzeitig das Inventar von Ti­cketmaster um mehrere Millionen Tickets wächst.«



Die »Fortsetzung der globalen Expansion unseres Unternehmens« – so nennt Rapino das Imperiengeschäft, dem er nachgeht. Und Marek Lieberberg stieß ins gleiche Horn: »Ein Teil von Live Nation zu werden, ist der Traum eines jeden Veranstalters. Der Zugang zur Plattform von Live Nation und dem Sponsorship-Team wird unser Business auf die nächste Ebene heben.«

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 Einigermaßen lustig ist es, daß nun die Firma, die Lieberbergs Namen trägt, nämlich die Marek Lieberberg Konzertagentur Holding GmbH, zu 100 Prozent der CTS Eventim AG gehört, während er, Lieberberg selbst, für Live Nation arbeitet. Besonders aufschlußreich an Rapinos und Lieberbergs Stellungnahmen zur Gründung von Live Nation Concerts Germany ist allerdings der doppelte Hinweis auf Sponsoren, denen man »den Zugang zu den Fans in einem wichtigen Markt« ermöglichen möchte, und auf das Ticketing. Auch wenn Rapino hier flunkert, denn Lieberbergs Konzertagentur war zuvor nicht für »mehrere Millionen« Tickets verantwortlich, sondern für zwei Millionen, und die gehen jetzt nicht automatisch an die Live Nation-Firma Ticketmaster, sondern zu einem guten Teil nach wie vor an die führende deutsche Ticketing-Plattform, nämlich an CTS Eventim, an der selbst der Weltmarktführer Ticketmaster offensichtlich nicht so einfach vorbeikommt. Jedoch kann man an diesen Statements ablesen, worauf es im globalen Konzert-Imperien­ge­schäft zuvörderst ankommt: Auf Sponsoring und Ticketing!



Betrachten wir etwa die Geschäftszahlen von Live Nation aus dem Jahr 2017:



● Der Konzertbereich hat 93,59 Millionen US-$ Verlust gemacht.



● Der Bereich »Sponsoring & Advertising« sorgte dagegen für Gewinne in Höhe von 251,49 Millionen US-Dollar (bei nur 445,15 Mio. Dollar Umsatz!).



● Im Bereich Ticketing wurden 90,9 Millionen US-Dollar Gewinn gemacht (wobei man faktisch die 110 Mio. Dollar hinzuzählen muß, die für einen Rechtsstreit zurückgelegt wurden).





Die Zahlen lassen interessante Rückschlüsse zu: Das eigent­liche Konzertgeschäft von Live Nation ist hochdefizitär, was nicht zuletzt an den überhöhten Gagen liegen dürfte, die der Konzern an Künstler zahlt, um diese für Live Nation zu gewinnen. Nicht selten werden mehr als 100 Prozent der Einnahmen aus dem Ticketverkauf als Künstlergage bezahlt, was absurd klingt, sich aber »rechnet«, wenn man bedenkt, daß die eigentlichen Gewinne im Konzertgeschäft längst durch Ticketing und Sponsoring gemacht werden. Live Nation ist der Weltmarktführer nicht nur im Konzertgeschäft, sondern auch beim Verkauf von Eintrittskarten.



Noch höhere Gewinne als beim Ticketing werden im Bereich »Sponsoring & Advertising« gemacht, insbesondere, wenn man die Erlöse ins Verhältnis zum Umsatz in dieser Unternehmenssparte setzt: Eine Bruttogewinn-Marge von 56,50 Prozent ist einigermaßen sensationell. Was aber bedeutet »Sponsoring & Advertising«? Da geht es längst nicht mehr um das gute alte Tour-Sponsoring. Nein, hier ist eine ganze Abteilung von Marketingprofis damit beschäftigt, exklusive Vorverkaufsrechte an andere Konzerne zu verkaufen. Es geht um die »Exclusive Presales«, eine Art von Vor-Vorverkauf: Ein Konzern wie die Deutsche Telekom AG erhält das Recht, bereits vierundzwanzig oder achtundvierzig Stunden vor Beginn des eigentlichen Vorverkaufs einen exklusiven Vor-Vorverkauf einzurichten. In der Regel verkauft der Konzern, der sich den Vor-Vorverkauf für hohe Beträge gesichert hat, die exklusiven Presales-Tickets ausschließlich an seine eigenen Kunden oder zumindest an Kunden, die sich auf der konzerneigenen Plattform registriert haben, über deren Daten der Konzern also verfügt. Telekom-Kund*innen konnten sich so zum Beispiel achtundvierzig Stunden vor Beginn des »offiziellen« Vorverkaufs für das Deutschland-exklusive Konzert des US-Rap­stars Eminem 2018 ihre Eintrittskarten sichern. Laut Aussage des Veranstalters, Live Nation-Deutschland-Chef Marek Lieberberg, durfte die Telekom »bis zu 50 Prozent der Ti­ckets verkaufen«, während »mindestens 50 Prozent in den offiziellen Vorverkauf zu den Anbietern Eventim und Ti­cketmaster« gingen.

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 Ein Telekom-Sprecher erklärte das Modell des exklusiven Vor-Vorverkaufs so: »Wir haben eine strategische Partnerschaft mit dem Veranstalter Live Nation. Dadurch können wir Prio-Tickets für unsere Kunden anbieten.«

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 Im Fall des Eminem-Konzerts in Hannover im Sommer 2018 bedeutete dies, daß die Telekom-Kun­d*innen über die Telekom-App »Megadeal« bis zu vier Tickets erwerben konnten. Der Preis: zwischen 93,90 und 122,65 Euro pro Karte. Der »Rohpreis« der Karten betrug in drei Kategorien 75,90 beziehungsweise 100 Euro, die Telekom schlägt also die üblichen Vorverkaufs- und Zusatzgebühren drauf oder, was wahrscheinlicher ist, übernimmt die Preise der Ticketingkonzerne, denn diese wickeln auch den kompletten Vorverkauf für die Telekom ab. Wofür die Telekom mit ihren »Magenta Music Prio Tickets« bezahlt, ist lediglich das exklusive Vor-Vorverkaufsrecht. Live Nation verkauft also für Millionen Euros »Zeitfenster« von vierundzwanzig oder achtundvierzig Stunden an »Branding-Part­ner« (und dieses Geld bezahlen letztlich die Kund*in­nen dieser Branding-Firmen). Der Konzertveranstalter gibt sozusagen die Attraktivität der Tickets von Stars wie Eminem & Co. an die Branding-Partner ab. Diese Firmen wiederum, die sich die exklusiven Presale-Rechte gesichert haben, versprechen sich davon einen Imagetransfer der coolen Superstars auf ihre Produkte und nutzen das Presale-Tool natürlich für die Neukundengewinnung. Und die Firmen freuen sich über die frei Haus gelieferten Nutzerdaten.



Was ein Konzern wie die Deutsche Telekom AG mit den Nutzerdaten anstellt, zeigte eine Recherche des

Spiegel

 Anfang 2019.

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 Es kam heraus, daß »die Telekom Mobilfunkdaten auswertet, um Bewegungsprofile zu erstellen«. Motionlogic heißt die Telekom-Tochter, die mit riesigen Datenmengen hantiert und »mit ihren Erkenntnissen die Werbebranche, Verkehrsbetriebe, Planer und Händler beliefert«. Ein Marketingmanager bei T-Systems wird mit den Worten zitiert, daß man »in Stadtzentren bis auf eine Fläche von 250 mal 250 Metern genau messen kann, wo Menschen sich aufhalten«. Und entsprechend wirbt Motionlogic damit, »daß sich sogar Erfolge einzelner Plakatkampagnen erfassen« lassen, weil man »durch Passantenanalysen genau fest­stellen kann, wie lange Menschen in der Nähe eines Plakats stehen geblieben seien – und welcher Gruppe diese Menschen angehörten«. Dies wird natürlich erst deswegen möglich, weil »die Telekom zudem auf Daten aus den Verträgen ihrer Kunden zurückgreift« wie das (gerundete) Alter, das Geschlecht und die ersten vier Stellen der Postleitzahl ihres Wohnsitzes. Und: Nach derzeit bestehendem Gesetz und den Telekom-Nutzungsbedingungen müssen die 40 Millio­nen Telekom-Kunden der Datennutzung (ich würde sagen: dem Datenmißbrauch und dem Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung) nicht einmal zustimmen. Die Kunden wissen sowieso nichts davon, wie die Telekom mit ihren Nutzerdaten dealt. Es handelt sich um ein weltweit explodierendes Geschäft mit extrem hohen Profitraten, weswegen man auf den Anzeigen des deutschen Live Nation-Konzerns mittlerweile ständig die Angabe von »Magenta Musik Prio Tickets« und deren Website findet, ob für die einschlägigen Tourneen oder sogar für die Großfes­tivals »Wireless Germany«,