Gesund ohne Aluminium

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1. Was kann Aluminium anrichten?
»Wir leben in einer aktiven Phase der Evolution« – Exley Interview Teil 1

Christopher Exley[1] ist Professor für bioanorganische Chemie an der britischen Keele University. Er gilt in der Branche als »Mr. Aluminium«, weil das Leichtmetall seit beinahe drei Jahrzehnten sein Forschungsschwerpunkt ist. Weltweit hat kein anderes wissenschaftliches Zentrum so viele Details zum aktuellen Kenntnisstand über die Einflüsse von Aluminium auf die Gesundheit beigetragen. Alle zwei Jahre veranstaltet er das »Keele Meeting on Aluminium«. 2013 wurde dieser »Weltkongress der kritischen Aluminium-Forschung« zum zehnten Mal abgehalten.

Ich habe Christopher Exley in den letzten Jahren mehrfach getroffen und mit ihm Interviews zu seinem Forschungsgebiet geführt. Ich schätze ihn sehr als Wissenschaftler und auch als Mensch.

Im ersten Teil unseres Gesprächs geht es um die Entdeckungsgeschichte von Aluminium und die Frage, was dieses Element so einzigartig macht.

Professor Exley, was ist denn das Besondere an Aluminium? Was unterscheidet es von anderen Metallen?

Christopher Exley: Das Besondere an Aluminium ist, dass es keine sinnvolle Rolle in der Biologie spielt. Es gibt keinen einzigen bekannten Mechanismus in der Biologie, für den Aluminium gebraucht und verwendet wird. Das ist das wahre Mysterium! Wir haben Aluminium aus seinem Erz extrahiert, wir haben daraus ein Metall gemacht, können Aluminiumsalze und vieles andere herstellen. Und langsam wird nun klar, dass wir mit Aluminium etwas ganz Spezielles aus der Erde geholt haben, das mit keinem anderen Element vergleichbar ist.

Und warum hat es keinerlei Aufgabe in biologischen Systemen?

Exley: Diese Frage habe ich mir oft gestellt. Jedes andere häufige Metall hat gleich eine ganze Reihe von Aufgaben. Warum Aluminium nicht? Darauf gibt es zwei mögliche Antworten: Entweder es war während der Entstehung des Lebens nicht verfügbar und konnte deshalb im Rahmen der natürlichen Selektion der Elemente gar nicht verwendet werden. Oder Aluminium wurde absichtlich nicht verwendet, weil es unbrauchbar war.

Und jetzt muss sich das Leben mit etwas auseinander setzen, das unbrauchbar ist?

Exley: Wir sind jedenfalls mit etwas konfrontiert, worauf das Leben nicht vorbereitet ist. Seine chemischen Eigenschaften greifen in so viele Prozesse ein. Und dies ist der Grund, warum ich den Ausdruck geprägt habe, dass wir jetzt im Zeitalter des Aluminiums leben. Wir hatten die Bronzezeit, die Eisenzeit, welche die Zivilisation und das Leben auf der Erde geprägt haben. Und nun leben wir in der Aluminiumzeit. Der Grund dafür ist seine unglaubliche chemische Vielfalt, man kann so viel damit anstellen. Und es ist so billig. Es gibt obendrein kaum Hindernisse bei seiner Anwendung. Du kannst Aluminium für alles verwenden, was Du gerade willst. Und niemand wird dich zurechtweisen, weil es eventuell toxisch ist.

Was charakterisiert denn das »Aluminium-Zeitalter«. Was ist denn das Typische, das Wesentliche für dieses Zeitalter?

Exley: Aluminium ist das häufigste Metall in der Erdkruste. Obwohl wir wissen, dass Aluminium unter vielen verschiedenen Umständen eine toxische Wirkung hat, ging es uns Menschen und den anderen Lebewesen trotz dieser Präsenz doch lange Zeit ganz wunderbar. Ein Grund dafür ist, dass das Aluminium in der Erdkruste nicht toxisch ist, sondern als Aluminiumsilikat vorkommt. Der Mensch holte das Element aber aus der Erdkruste heraus und begann Aluminiumsalze herzustellen. Darauf beziehe ich mich, wenn ich vom Aluminium-Zeitalter spreche. Wir haben Aluminium erstmals in der Geschichte der Menschheit in den biochemischen Kreislauf des Lebens herein geholt.

Wenn Aluminium in den Kreislauf des Lebens eingebracht wird, kann es nicht mehr entkommen. Es kann nirgends anders mehr hin, auch nicht zurück in das Erdgestein. Und jedes Jahr gelangt mehr und mehr Aluminium in den Kreislauf des Lebens und damit aller Lebewesen auf dieser Erde: von den Bakterien bis hin zum Menschen.

In der Erde findet sich Aluminium meist in Verbindung mit Silizium. Das nach Sauerstoff häufigste Element der Erde scheint eine besondere chemische Freundschaft mit Aluminium zu pflegen.

Exley: Silizium kommt meist als Kieselsäure in unsere biologischen Systeme. Das ist eine sehr schwache Säure. Diese Sauerstoffsäuren des Siliziums schauen aus wie Wasser und sind chemisch gesehen absolut passiv. Mit einer großen Ausnahme: ihrer Beziehung zu Aluminium. Darum besteht auch der Großteil der Erdkruste aus Alumosilikaten. Das Leben hat sich entwickelt während Aluminium in den Silikaten eingeschlossen war. Das Problem entsteht, wenn man Aluminium raus lässt. Und das passierte im späten 19. Jahrhundert – vor etwa 120 Jahren. Die Biologie hat Aluminium nicht gekannt, bevor es von Menschenhand frei gelassen wurde.

Sie schreiben, dass es im Verlauf der Evolution des Lebens zu einer natürlichen Selektion der Elemente kam. Im Lauf vieler Millionen Jahre wurden die Elemente für alle möglichen Funktionen ausprobiert. Was von Wert war wurde beibehalten und weiter entwickelt, evolutionäre Irrwege starben aus. Aluminium war dabei eines der wenigen Elemente, das vollständig ignoriert wurde. Aluminium war ja in der Erdkruste eingeschlossen. War es überhaupt für derartige Experimente verfügbar?

Exley: Die Ursache, dass es heute in biologischen Systemen keine Rolle spielt, liegt wohl darin, dass es nicht verfügbar war. Als wir vor 120 Jahren begannen, das Element aus den inerten Erzen und Gesteinsschichten zu entziehen und daraus Metall herzustellen, wurde Aluminium ins biologische System künstlich zurückgeführt. Mit all seinen unglaublich vielfältigen chemischen Eigenschaften.

Wie kann man sich das vorstellen?

Exley: Wo immer Magnesium in biologischen Abläufen beteiligt ist – und da gibt es hunderte lebenswichtige Funktionen – kann sich auch Aluminium einmischen. Manche dieser Prozesse werden vom Aluminium unterbrochen oder verlangsamt, andere vielleicht beschleunigt. Weil Aluminium sich chemisch vollständig anders verhält als Magnesium, werden alle diese biochemischen Mechanismen verändert und gestört.

In anderen Worten: Wenn Aluminium im Lauf der Evolution präsent gewesen wäre, hätte sich natürlich auch eine Form von Leben entwickelt. Aber es wäre eine andere Form gewesen mit anderen Lebewesen, wie wir sie heute haben. Und Aluminium würde in ihren biochemischen Systemen involviert sein.

Wir befinden uns mit der massiven Einführung von Aluminium in unser Ökosystem also mitten in einem weltweiten Experiment?

Exley: Ja, für mich ist das der faszinierendste Aspekt an diesem gesamten Thema. Wir sind alle Teilnehmer an diesem Experiment, dass Aluminium nun biologisch verfügbar ist. Aluminium nimmt nun teil im evolutionären Prozess und es wird sich vieles dadurch ändern.

Wir können aus der Geschichte lernen, wie verschiedene Elemente im Lauf der biochemischen Evolution ausgewählt wurden und welche enormen Auswirkungen das hatte. Calcium ist beispielsweise extrem toxisch für Zellen. Es bringt Zellen in beinahe jeder Konzentration um. Andererseits hat Calcium so fantastische Eigenschaften, dass das Leben darauf nicht verzichten wollte. Die Evolution ist diesem Prozess so begegnet, dass die Zufuhr von Calcium in die Zellen strengstens kontrolliert wurde. Calcium wurde aber – in minimalsten Konzentrationen – für Impulse verwendet, für die Signalübertragung von Zelle zu Zelle. Damit wurde es überhaupt erst möglich, dass so etwas Kompliziertes wie ein Nervensystem entstehen konnte. Überschüssiges Calcium wurde weggesperrt in Depots, wo es keinen Schaden anrichten konnte. Daraus entwickelten sich Knochen und ein Skelett, was wiederum die Entwicklung größerer Organismen ermöglichte.

Calcium hatte in der biochemischen Evolution also einen enormen Einfluss, dass so etwas wie wir Menschen überhaupt entstehen konnten. Aber als vor Milliarden Jahren die ersten Einzeller im Meer damit Bekanntschaft machten, war Calcium eine enorme Gefahr. Ein neu auftauchendes Element ist nahezu immer toxisch. Und das ist wahrscheinlich die Phase, in der wir uns heute mit Aluminium befinden.

Ein weiteres Beispiel für den Einstieg neuer Elemente war die große Sauerstoff-Katastrophe, die sich vor etwa zwei Milliarden Jahren ereignete. Damals begannen die Pflanzen mittels Photosynthese Sauerstoff zu erzeugen und die Erde mit diesem neuen Element zu überfluten. In der Folge starben 95 Prozent aller Lebewesen aus, für die Sauerstoff extrem toxisch war.

Exley: Und natürlich ist Sauerstoff bis heute noch toxisch. Auch für Lebewesen wie uns, die selbst auf Sauerstoff angewiesen sind. Wir haben aber im Lauf der Evolution biologische Systeme entwickelt, mit denen wir das Schadenspotenzial von Sauerstoff kontrollieren und einschränken können. Diese Systeme sorgen dafür, dass freie Radikale effizient unterdrückt werden, so dass sie nicht zu viel Schaden anrichten können. Wenn man allerdings diesem System Aluminium zuführt, arbeitet das Kontrollsystem bei weitem nicht mehr so effizient und der oxidative Schaden wird um ein Vielfaches größer.

Und was denken Sie, wird das Resultat dieses evolutionären Prozesses sein, den wir gerade durchmachen?

Exley: Auf Grund unserer Kenntnis wie sich das Leben auf dieser Erde entwickelt hat, wissen wir, dass sich das Leben der immer höheren Menge von Aluminium anpassen wird. Manche denken, dass die Evolution des Lebens lange zurück liegt und nun abgeschlossen ist. Doch das stimmt nicht. Mit dem Eintritt von Aluminium befinden wir uns derzeit in einer hoch aktiven Phase der Evolution. Das Ergebnis könnte durchaus negativ ausfallen. Denn zunächst einmal hat ja Aluminium keinerlei Nutzen für das Leben und ist toxisch. Vielleicht – aber das ist eine Frage von Jahrhunderten – werden Aluminium und Biologie einmal so chemisch miteinander verschmolzen sein, dass das Leben daraus sogar profitiert. Aber das wird höchst wahrscheinlich keine menschliche Lebensform sein. Das Problem ist nämlich, dass wir von unserer Biologie her nicht besonders gut mit Aluminium klar kommen. Es könnte also durchaus sein, dass es zu diesem Zeitpunkt, an dem Aluminium zu einem integralen Bestandteil des Lebens wird, vielleicht keine Menschen mehr gibt. Also eine spannende Frage.

 

Wir versuchen jene Systeme zu identifizieren, die bei uns am meisten verwundbar sind. Das sind vor allem die Energie-Systeme, wo Phosphate wichtige Aufgaben haben. Eines der wichtigsten Symptome einer Aluminiumvergiftung beim Menschen ist Lethargie und Energielosigkeit. Patienten, bei denen Aluminiumvergiftung nachgewiesen wurde, leiden am »Chronic Fatigue Syndrom«, an chronischer Müdigkeit. Das ist kein psychologisches Problem, das hat handfeste physische Ursachen.

Das zweite System, wo Aluminium massiv eingreift sind oxidative Prozesse. Es kann zwar selbst keinen oxidativen Prozess auslösen, aber es kann stattfindende Prozesse verstärken und um ein vielfaches schlimmer machen.

Also kann man Aluminium als eine Art Alien, einen Außerirdischen bezeichnen, den wir aus der Erde geholt haben und der nun hyperaktiv und unberechenbar seine Kontakte mit dem Leben macht.

Exley: Ja, das ist ein passendes Bild. Ich spreche diesbezüglich lieber von einem »silent visitor«, einem »stillen Besucher«. Wenn man beispielsweise ein Sandwich isst, das mit toxischem Cadmium kontaminiert ist, denn wird dein Körper sofort damit beginnen, bestimmte Proteine zu erzeugen, die versuchen das Gift möglichst schnell zu entsorgen. Das bedeutet allerdings, dass der Körper Cadmium kennt. Dass sich hier im Lauf der Evolution ein Mechanismus eingespielt hat, der uns vor Cadmium schützt – oder das zumindest versucht.

Bei Aluminium suchen wir so einen Mechanismus vergebens. Es gibt keine spezifischen Antworten auf Aluminium. Der Körper erkennt Aluminium nicht. Also ist es ein stiller Besucher. Ein Szenario ähnlich dem Trojanischen Pferd.

Wie reagieren denn Ihre Studenten, wenn Sie ihnen derartige Dinge erzählen?

Exley: Wenn ich meinen Studenten oder anderen Menschen erzähle, was wir bisher über Aluminium wissen und was es anrichten kann, so nehmen die Leute automatisch an, dass wir alles unternehmen, um das zu verstehen und uns vor dieser potenziellen Gefahr zu schützen. Sie sind dann völlig perplex, wenn sie rausfinden, dass wir in Wahrheit gar nichts tun.

Wird Ihnen manchmal vorgeworfen, Sie betreiben Angstmache. Was entgegnen Sie solchen Kritikern?

Exley: Ich bin nicht im Mindesten daran interessiert Panik auszulösen. Ich möchte die Geschichte auf Basis der Fakten erzählen. Und zwar deshalb, weil es eine wichtige Geschichte ist. Die Leute werden das zu schätzen wissen, wenn es gelingt, das gut zu vermitteln. Und dann werden sie zu fragen beginnen. Dann werden sie wissen wollen. Es sind die Behörden, die hier auf den Bremsen stehen – und einige Gruppen innerhalb der Gesellschaft. Sie sind es, die sich mit aller Macht sträuben, dass in diesem Bereich neues Wissen ans Tageslicht kommt.

Aluminium: Gift für das Nervensystem

»Wir machen Kochtöpfe und Verpackungen daraus, bauen Flugzeuge damit, verarbeiten es zu Medikamenten, Zusatzstoffen und Kosmetika: Die Rede ist vom Aluminium, das, so scheint es, zu einem unverzichtbaren Bestandteil unseres modernen Lebens geworden ist. Doch der breite Einsatz hat auch seine Schattenseiten. Seit langem wird ein Zusammenhang zwischen der Alzheimer-Demenz und der Aluminiumaufnahme vermutet. Eine Reihe von Gründen spricht für eine ursächliche Beziehung.«

Und dann zählt der Autor eine Reihe von Argumenten auf. Etwa die Tatsache, dass die Aluminiumspiegel im Gehirn von Alzheimerpatienten deutlich erhöht sind. Oder dass zu viel Aluminium bei Nierenkranken Demenz auslöst oder die Häufigkeit von Alzheimer ansteigt, wenn das lokale Wasserwerk Alu-Verbindungen benützt, um das Trinkwasser zu reinigen. Seit langem werde das diskutiert, schreibt der Autor. Und doch ist der Artikel, aus dem ich hier zitiere und den ich bei Recherchen zufällig fand, auch schon wieder fast zwanzig Jahre alt. Der ebenso streitbare wie unkonventionelle Lebensmittelchemiker und Publizist Udo Pollmer hat ihn geschrieben, im Jahr 1995. Damals war eine ganze Ausgabe des EU.L.E.N-Spiegel, dem »Wissenschaftlichen Informationsdienst des Europäischen Institutes für Lebensmittel und Ernährungswissenschaften« dem Schwerpunktthema »Aluminium und Alzheimer« gewidmet.[2]

»Aluminium galt lange als ›inertes‹ harmloses Material, das vom Darm nicht aufgenommen wird und die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden kann«, schreibt Pollmer weiter. »Wenn Tausende von Patienten jahrelang Magensäurebinder auf Aluminiumbasis ohne sichtbare Nebenwirkungen einnehmen können, so die Argumentation der Aluminiumbefürworter, kann das Leichtmetall doch so schädlich nicht sein.« – Die Frage ist nur, ob überhaupt jemand konsequent die gesundheitlichen Folgen untersucht hat. Die Hersteller der Medikamente hatten kein Interesse daran und die Gesundheitsbehörden haben nicht das Geld – und oft auch nicht den Willen, hier Industrie-unabhängige Studien zu finanzieren. »Das Thema Aluminium ist heute genauso brisant, wie vor 20 Jahren«, sagte Udo Pollmer als wir kürzlich darüber sprachen. »Das Problem ist nur, dass Jahrzehnte der Forschung verschlafen wurden und bis heute alles nach der Pfeife der Industrie tanzt.«

Dazu eine Episode aus den Recherchen zum Film »Die Akte Aluminium« der seit der Premiere im März 2013 (im Programm von ARTE) auf vielen Film-Festivals weltweit gelaufen ist. Wir haben damals versucht, einen Patienten zu finden, der noch in der Lage wäre, über seine Krankheit zu sprechen. So wie Rudi Assauer, der an Alzheimer erkrankte Fußballmanager, der eine Zeitlang mit bemerkenswertem Mut und der ihm eigenen Offenheit in den Medien auftrat.

Im Zuge der Vorbereitung habe ich mit zahlreichen Patienten-Organisationen Kontakt aufgenommen und schließlich auch eine ganze Reihe von Patienten bzw. deren Angehörige besucht oder zumindest mit ihnen telefoniert.

Bei den meisten war rasch klar, dass nichts mehr möglich ist. Mehrfach fand ich Männer und Frauen, die ihre Partner pflegten und liebevoll umsorgten, obwohl diese nicht einmal mehr zu einem Satz fähig waren. Man merkte diesen älteren Menschen oft an, wie sehr sie verzweifelten und auch vereinsamten neben ihrem einst geliebten Partner, von dem nur eine Hülle geblieben war. Und wo sich der Geist aufgelöst hatte, bis fast nichts mehr übrig blieb.

Unvergesslich ist mir die Szene, als ein etwa 70-jähriger Mann mich gar nicht mehr aus der Wohnung lassen wollte vor Redebedürfnis; wo er mir sogar noch die alten Fotoalben zeigte und Filme aus den 1970er-Jahren vorführen wollte. Und nebenan saß seine Frau und starrte in den Fernseher. Ohne Anzeichen, ob sie überhaupt wusste, wo sie war. »Schlagersendungen beruhigen sie«, sagte ihr Mann. »Früher hat sie das geliebt.« Früher. »Jetzt ist es auch schon wieder zwei Jahre her, dass sie den letzten Satz zu mir gesprochen hat.«

Was das war, frage ich. Und er sagte nachdenklich: »Ich soll nicht vergessen, die Heizung abzudrehen.« Dann fügte er noch traurig hinzu: »Da hatten wir Hochsommer.«

Er hob seine Frau auf, reinigte und wickelte sie, gab ihr dann Grießbrei, den sie mit Appetit verspeiste, legte sie ins Bett, als die Schlagersendung aus war und überlegte ständig, ob ihm nicht noch etwas einfällt, mit dem er mich ein paar Minuten länger halten könnte. Die Kinder, sagte er, kommen nur noch selten. Sie schaffen es nicht lange, die Mama so zu sehen.

Das war der typische Fall. Manchmal waren die Alzheimer-Patienten auch noch ansprechbar. Doch es wäre regelrecht gefährlich gewesen, sie zu filmen, sagten mir die Partner oder die Therapeuten. Sobald etwas nicht dem normalen Ablauf entspricht oder wenn Unbekannte auftauchen, werden viele der Alzheimer-Patienten extrem aggressiv.

In einer Therapiegruppe, die ausschließlich aus Angehörigen von Alzheimer-Patienten bestand, hörte ich die unglaublichsten Geschichten. Je nachdem, in welcher Gehirnregion der Verfall begann, zeigten sich bei ihren Partnern besondere Symptome, erzählten die Frauen. Einige entwickelten eine regelrechte kriminelle Energie. Sie begannen plötzlich, ihr ganzes Geld für bestimmte Vorlieben auszugeben. Manche kippten in die Pornographie, andere ins Glücksspiel oder in den Kaufrausch. Andere verfielen auf Süchte. Etwa auf Naschsucht. Ihre ganze Wohnung sei voll mit halb aufgegessenen Schokoladestücken, erzählte eine Frau. »Ständig kauft oder stiehlt er Schokolade, vergisst aber ständig, wo sie ist und versaut die ganze Wohnung. Er sitzt auf Schokolade, hat Schokolade im Bett oder im Bart.«, klagte sie. Es sei zum Verzweifeln.

Eine andere erzählte von ihrem Vorhaben, mit ihrem Mann – trotz der Demenz – auf Urlaub zu fahren, um ihren runden Hochzeitstag am Meer im Sommerhaus zu feiern. Sie sagt, sie verfluche ihre Offenheit. Sie hätte ihm nie etwas von der Idee erzählen sollen. In zwei Monaten wollen sie fahren. Und ihr Mann fragt nun alle paar Minuten, ob es schon so weit ist und ob er die Koffer zum Auto tragen soll.

Tja, meinte daraufhin der Therapeut. Das sollten sich alle zur Lehre nehmen: Nie vorzeitig etwas erzählen. Für den Alzheimer-Patienten ist alles Gegenwart. Die Zeiten verschwimmen, die Vergangenheit vernebelt sich und die Zukunft existiert nicht mehr.

Schließlich sprach noch eine Frau, die schon weinend in den Gruppenraum gekommen war. Sie erzählte von der unglaublichen Kälte ihres Mannes, der alles vergessen hat außer seinen Jähzorn; der sich jeden Tag wieder in absurde Ausbrüche reinsteigerte. Und in seiner Kälte und seinem Hass gleichzeitig vollkommen hilflos war. – »Wie soll ich das alles aushalten«, fragte die Frau unter Tränen. »Wie soll ich ihn pflegen, wenn er so zu mir ist. Ich habe schon seit Ewigkeiten kein gutes Wort oder eine liebevolle Berührung bekommen.« Und sie erzählte, dass sie seit Wochen an Selbstmord denkt.

Es ist eine unglaubliche Tragik, wenn sich alles, was geliebte Menschen ausmacht, auflöst und verschwindet. Als seien sie gestorben bei lebendigem Leib.

Schließlich haben wir doch einige wenige Alzheimer-Patienten gefunden, die über ihr Empfinden, ihre Krankheit, ihr Erleben des Verlustes und der Veränderung erzählen konnten und wollten.

Und hier ergab sich ein eigenartiges Bild, das den Behauptungen der von Udo Pollmer zitierten »Aluminiumbefürworter« diametral widersprach. Jener Aussage, dass »Tausende von Patienten jahrelang Magensäurebinder auf Aluminiumbasis ohne sichtbare Nebenwirkungen einnehmen können«. Denn drei der vier Personen, die wir fanden, waren langjährige Konsumenten dieser Mittel. Diese so genannten Antazida heben über die Abgabe von Aluminium den pH-Wert des Magens in einen neutralen Bereich und lindern damit Sodbrennen oder andere Magenbeschwerden.

Zwar ist das natürlich wegen der kleinen Zahl nun kein Beweis, doch auch auf der anderen Seite sieht es diesbezüglich finster aus. Denn abseits der Vermutungen, dass Antazida harmlos wären, gibt es keinerlei wissenschaftliche Belege für diese Annahme. Die Hersteller der Mittel kennen dieses Problem und sichern sich rechtlich ab, indem sie alle möglichen Risiken und Sicherheitstipps in ihre Beipacktexte schreiben. So sollen beispielsweise die Konsumenten des rezeptfreien Sodbrenn-Mittels Maaloxan »bei längerfristiger Einnahme« darauf achten, dass ihre Aluminiumspiegel im Blut regelmäßig kontrolliert werden. Oder es wird zynisch darauf hingewiesen, dass die Einnahme des Bayer-Bestsellers Talcid kontraindiziert ist, wenn ein Patient bereits an Demenz oder Alzheimer leidet. Ein Gipfel der Geschmacklosigkeit: dann, wenn es ohnehin schon zu spät ist, plötzlich eine mögliche Ursache der Krankheit zu verbieten.

Drei der vier Alzheimer-Patienten, die wir fanden, waren also langjährige Konsumenten von Mitteln gegen Sodbrennen. Einer hatte über viele Jahre immer wieder die aluminiumhaltigen Mittel genommen, bei zwei waren es sogar mehr als 20 Jahre. Hier sagten beide Ehefrauen, dass ihre Männer bereits die Mittel genommen haben, als sie sich kennen lernten. Sie habe das auch angesprochen, weil es ihr seltsam vorkam, so lange ein Medikament zu nehmen, sagte uns eine der Ehefrauen. »Doch mein Mann hat damit argumentiert, dass das Mittel ja rezeptfrei in der Apotheke abgegeben wird, da könne man ja wohl davon ausgehen, dass es total harmlos ist.«

 

Alle drei dieser langjährigen Antazida-Konsumenten waren sehr jung. Einer war 52 als er die Diagnose bekam, einer 57 Jahre alt. Bei beiden begannen die Symptome aber schon viel früher. Zuerst zeigten sie sich jeweils beim Autofahren. Die Orientierung verschwand. »Früher ist mein Mann beruflich quer durch Europa gefahren, jetzt war er schon unsicher, wenn er unsere Tochter vom Bahnhof abholen sollte.« Schließlich wurde es immer schlimmer. Die räumliche Orientierung ging als nächstes verloren, das Gefühl für Dreidimensionalität und Abstände. An den Fahrzeugen häuften sich die Blechschäden. »Als mein Mann zum dritten Mal beim Einparken in der Garage die Mauer streifte, habe ich an keine Zufälle mehr geglaubt.«

Günther P., der schließlich auch in unserem Film »Die Akte Aluminium« mitmachte, erzählte, dass er selbst seinen Führerschein abgegeben hat: »Ich war eine Gefahr geworden. Ich wusste nicht mehr wo die Straße ist, wo links und rechts ist. Manchmal bin ich sogar über den Bürgersteig gefahren.«

Rupert, der dritte Alzheimer Patient, der noch selbst über seine Krankheit und seine Situation reflektieren konnte, hatte seine Diagnose im Rekordalter von 47 Jahren bekommen. Er wurde mir von einem Wiener Alzheimer-Therapeuten vermittelt, der ganz begeistert war von seinem fitten Patienten. Man merkte Rupert auf den ersten Blick auch gar nichts an. Ein starker, kräftiger Mann. Doch als er den Uhrentest machen sollte, den vorrangig verwendeten Test zur Diagnostizierung der Alzheimer Krankheit, offenbarte sich das Desaster. Bei diesem Test werden die Patienten ersucht auf ein Blatt Papier in einem Kreis eine Uhrzeit einzuzeichnen. Also beispielsweise zehn Uhr dreißig. Oder zwanzig nach zehn. Als Rupert an der Reihe war, schrieb er alle Ziffern der Uhr in die rechte obere Ecke des Kreises. Für die Uhrzeit zwanzig nach zehn schrieb er die Ziffer zwanzig nach der Ziffer zehn irgendwo in den Kreis hinein. Als ihn der Therapeut darauf ansprach, dass er Zeiger verwenden sollte, um die Uhrzeit darzustellen, dass eine Uhr einen großen Minutenzeiger und einen kleinen Stundenzeiger habe, sah ihn Rupert verständnislos an: »Zeiger?« – Dieser Begriff war aus seinem Gehirn gelöscht.

Auf seine mehr als zwanzig Jahre andauernde Selbsttherapie gegen Sodbrennen hat Rupert während seiner zahlreichen Arztbesuche nie jemand angesprochen. Niemand interessierte sich für mögliche Auslöser der Krankheit. Aber alle wollten ihn therapieren.

Bloß bei einer medizinischen Studie zur Erprobung einer neuartigen Alzheimer-Impfung, von der sich Rupert und seine Frau sehr viel erhofften, gab es anfangs Probleme. Mit seinen 47 Jahren war er nämlich zu jung. An sich war das Einstiegsalter nämlich mit 50 Jahren festgelegt worden. Nach einiger Wartezeit und heftiger Korrespondenz mit der Studienzentrale in den USA konnte diese Hürde aber gemeistert werden. Rupert bekam die Anti-Alzheimer-Impfung und verstummte zusehends. Mittlerweile ist Ernüchterung eingekehrt. Sowohl bei Ruperts Frau als auch bei den Alzheimer-Therapeuten. Die Impfung gilt als Fehlschlag, die Abermillionen an wissenschaftlichen Forschungsgeldern verbraucht hat. Den Schaden im Gehirn konnte sie jedoch nicht reparieren.

Jeder, der sich die Mühe macht, ältere medizinische Studien zu durchsuchen, wird sich wundern, wie konkret Aluminium als Auslöser von Alzheimer bereits vorgeführt wurde. Etwa in einer Arbeit[3] von 1997, wo die Besonderheiten von Patienten mit Down-Syndrom in Bezug auf deren Aluminium-Aufnahme thematisiert wurden. Nach der Gabe von aluminiumhaltigen Sodbrennmedikamenten hatten die 15 teilnehmenden Down-Syndrom-Patienten nämlich eine vierfach höhere Konzentration von Aluminium im Blut als die 15 gesunden Teilnehmer aus der Kontrollgruppe. Die Autoren der Arbeit schreiben:

»Obwohl die Mechanismen der erhöhten Aufnahme unbekannt sind, belegen die Studiendaten, dass bei Down-Syndrom-Patienten ähnliche Abnormitäten in der Verarbeitung von Aluminium vorkommen wie bei Alzheimer-Patienten. Wir schlagen daher vor, dass es empfohlen werden sollte, bei allen Menschen mit Risiko für die Entwicklung der Alzheimer-Krankheit, die Aufnahme von Aluminium über Nahrungsmittel möglichst zu minimieren.«

Auf solche Formulierungen muss man erst einmal kommen. »Menschen, die ein Risiko für die Entwicklung der Alzheimer-Krankheit haben« – wie erkennt man die? Sind wir das nicht alle? Und sollten wir dann nicht auch alle darauf achten, »die Aufnahme von Aluminium möglichst zu minimieren«? Nicht nur »über Nahrungsmittel«, sondern überhaupt?

Konkret wurde die Frage gar nie beantwortet, ob nun aluminiumhaltige Magen-Medikamente Alzheimer auslösen oder nicht. Es ist erstaunlich, wie wenige Studien sich überhaupt dieser Forschungsfrage widmeten. Millionen von Patienten nahmen weltweit diese Mittel. Ob sie aber sicher waren, oder ob man in der Folge dement würde, das interessierte niemanden.

Am kuriosesten fand ich eine US-amerikanische Arbeit aus dem Jahr 1990[4]. In diese Studie wurden 130 Alzheimer-Patienten aufgenommen und mit einer gleichaltrigen Kontrollgruppe verglichen, die aus 130 Freunden, Partnern oder sonstigen, den Patienten nahestehenden Personen bestand. Daraufhin wurde über Fragebögen der lebenslange Gebrauch von Antazida und Deodorants erhoben. Dabei zeigten sich Resultate in geradezu achterbahnartiger Willkür. Aluminiumhaltige Deos erhöhten das Risiko, an Alzheimer zu erkranken um 60 Prozent mit einer Tendenz zu höherem Risiko, wenn die Deos nicht ab und zu sondern regelmäßig verwendet wurden. Dann war das Alzheimer-Risiko gleich dreifach höher. Bei jenem Drittel der Teilnehmer, welche den größten Verbrauch an Sodbrenn-Mittel hatten, war das Alzheimer-Risiko gar um das elffache erhöht. Doch waren hier auch alu-freie Medikamente dabei. Wenn nur die reinen Alu-Mittel gewertet wurden, so gab es keine signifikanten – das heißt gültigen – Resultate mehr.

Was sollte man aus so einer Studie schließen? Die Autoren beantworten die Frage folgendermaßen:

»Die Resultate sind herausfordernd – aber sie sind in sich nicht schlüssig wegen methodischer Probleme – und auch wegen der langen Zeitperiode der möglichen Exposition für die Entstehung der Demenz.«

Tja, Pech gehabt. Solche Arbeiten erbrachten also regelmäßig Null-Aussagen. Die lange Zeit, in der sich die Krankheit entwickelt und die Vielfalt der möglichen Einflüsse ergaben ein überwältigendes Messproblem. Und deshalb wurden die Geldgeber für solche Studien langsam rar.

Zu gewinnen war ja sowieso nie etwas, zumindest in Bezug auf finanzielle Einnahmen. Ein Geschäft wäre das nie geworden. Wenn sich eindeutig heraus gestellt hätte, dass Aluminium der Auslöser für die Alzheimer-Krankheit ist, so wäre daraus wahrscheinlich die Schlussfolgerung gezogen worden, aluminiumhaltige Arzneimittel abzusetzen.

Wenn aber bloß etwas vermieden wird, so verdient damit niemand etwas. Verdient wird mit der Neuentwicklung gut vermarktbarer Produkte, aber nicht mit deren Absetzung. Das bedeutet, dass von Seiten der Pharmazeutischen Industrie ohnedies nie Geld in diese Arbeiten investiert wurde.