Warm gewechselt - kalt erwischt

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Aus der Reihe: EHP-Kompakt
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Warm gewechselt - kalt erwischt
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Bernhard Riedl

Warm gewechselt – kalt erwischt



Bernhard Riedl, MA, studierte Erziehungs- und Religionswissenschaft. Seine nach langer Beziehung persönliche, lehrreiche Trennungserfahrung – die er nach eigener Aussage nicht missen möchte – liegt etliche Zeit zurück. Nicht getrennt ist er – zu seinem Glück – von seinem Interesse an der Psychologie und seiner langjährigen Leidenschaft für die Philosophie und die Musik.

Bernhard Riedl

Warm gewechselt – kalt erwischt

Ein psychologisch-philosophischer Streifzug durch die Trennungslandschaft

–2020 –

© 2020 EHP – Verlag Andreas Kohlhage, Gevelsberg

www.ehp-verlag.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagentwurf: Uwe Giese

– unter Verwendung eines Bildes von Rainer Sturm / pixelio.de –

Satz: MarktTransparenz Uwe Giese, Berlin

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

Alle Rechte vorbehalten

All rights reserved. No part of this book may be reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying, recording or by any information storage and retrieval system, without permission in writing from the publisher.

print-ISBN 978-3-89797-137-0

epub-ISBN 978-3-89797-682-5

PDF-ISBN 978-3-89797-683-2

Inhalt

1 Einleitung

2 Um Enttäuschungen zu vermeiden …

3 Trügerische Sicherheit und zu Bedenkendes

4 Einander finden

5 Ähnlichkeit, Gegensätze und der Sand im Getriebe

6 Augenhöhe sowie rechte und linke Schuhe

7 Gleitflug in die Niederungen des Alltags

8 Die Stunde der Wahrheit – Überraschung will geplant sein

9 Nahtloser Übergang – Warmwechseln

10 Der freie Fall und der Irrgarten

11 Allem ein Ende machen?

12 Das Grübelkabinett – Fragen über Fragen

13 Der Selbstwert … woher ihn nehmen?

14 Wut und Zorn – Jacke wie Hose?

15 Alles verstehen … und verzeihen?

16 Verantwortung & Co.

17 Wertfragen – Gut und Böse

18 Aufgeben … oder lieber kämpfen?

19 Nachverhandlungen

20 … in guter Gesellschaft?

21 Schluss und Epilog … und: Wo ist der Ausgang?

Ausgewählte Literatur

… mit großem Dank an die spitzfindigen Testleser; an den, der den Text mit unzähligen gelben Zetteln versah; und an meinen Lehrer, der einmal kleiner war und nun größer ist als ich.

1 Einleitung

Ein bekannter Popsong aus den 70er-Jahren hieß: Fifty ways to leave your lover. Lange ist es her, bald ein halbes Jahrhundert. Trotz allem hat sich vermutlich an der Anzahl der Möglichkeiten, seinen Partner zu verabschieden, bis heute kaum etwas geändert. Vielleicht liegt es daran, dass man bei fünfzig Wegen schon von einer erschöpfenden Themenbehandlung sprechen kann. Im Folgenden geht es jedoch nur um eine, wenngleich recht verbreitete Variante aus der Vielzahl der Möglichkeiten.

Anders als in besagtem Song allerdings nicht aus der Perspektive des Gehenden, sondern der des Verlassenen. Und zudem eingeschränkt auf Fälle langer, mitunter jahrzehntelanger Partnerschaft, bei denen sich die Verlassenen wie aus dem Nichts über Nacht als alleinstehend wiederfinden, wohingegen oft die Zuflucht der Gehenden schon vorbereitet ist. Mit der Folge, dass die Zukunftsperspektiven der Beteiligten sich deutlich unterscheiden. Für den Verlassenen ein Albtraum, für den Gehenden ein fliegender Wechsel in ein neues, schon angebahntes Glück.

Ein Schicksal, das sehr konzentriert individuell erlebt wird, aber als Phänomen gesellschaftlich durchaus recht verbreitet ist. Deshalb soll der einzelne – nach der näheren Beleuchtung der damit zusammenhängenden Misslichkeiten – gewissermaßen nicht allein gelassen, das heißt schlussendlich im Verband »seiner Großfamilie« gesehen werden.

2 Um Enttäuschungen zu vermeiden …

Vorweg scheinen zwei Hinweise angebracht zu sein. Natürlich ist sprachlich je nach Fall die männliche beziehungsweise weibliche Form austauschbar. Denn aufgrund des viel gelobten Fortschritts hat sich das »klassische Modell«, dass also der Mann geht und die Frau die Verlassene ist, längst überholt.1 Ausschließlich zur besseren Lesbarkeit wird auf umständliche Formulierungen verzichtet.

Der aber wichtigere Hinweis ist, dass der Text kein Ratgeber ist der Art: Loslassen, leicht gemacht!, Neustart als Chance oder So entrinnen Sie dem Jammertal. Sollten Sie selbst als Zurückgebliebener oder eben Zurückgebliebene vom Thema tangiert sein, dann wäre eine nicht gerade abwegige Hoffnung verständlich, sie ginge aber völlig fehl. Denn Ermutigendes oder Aufbauendes werden Sie kaum finden, nicht einmal Mitfühlendes. Wenn doch, dann ist es unterlaufen, nicht beabsichtigt. – In Bezug auf Ratschläge bzw. implizite Empfehlungen habe ich mich in gleicher Richtung (sie also zu vermeiden) nach Kräften bemüht, muss aber selbstkritisch zugeben, dass es mir nicht immer gelungen ist. Wenn etwas Ihnen entsprechend vorkommt, verstehen Sie es als Anregung, es sich von der Sache her, also ohne Konnotation, durch den Kopf gehen zu lassen.

Sie finden darüber hinaus auch nichts anderes, was Ihnen helfen könnte, wie etwa ein Programm zur Stabilisierung des Selbstwertgefühls oder Achtsamkeitsübungen. Auch keine Hinweise auf die Erkenntnismöglichkeiten imaginierter Familienaufstellungen und dergleichen; nicht einmal Wellness-Empfehlungen zu Frisör- und Saunabesuchen.

Vielmehr ist eine kleine Exkursion beabsichtigt, ein hoffentlich bisweilen auch unterhaltsamer Blick auf das Thema Paarbeziehung und Trennung mit dem Fokus im Besonderen auf den Fall, dass der sich Trennende einen nahtlosen Übergang von einer Beziehung in die nächste vollzieht, dem Fachbegriff nach also ein sogenannter Warmwechsler ist.

»Exkursion« meint gleichzeitig, dass eine stringente Systematik keinesfalls beansprucht wird. Vergleichbar eher mit einer individuellen Stadtrundfahrt, einer solchen, wo Sie unterwegs an beliebiger Stelle ein- und aussteigen und für Sie Uninteressantes schlicht auslassen können. Allerdings ist zu sagen, dass nicht alle Stadtviertel, also alle Varianten des Warmwechselns mit ihren unterschiedlichen Nuancen berücksichtigt werden können. Sicher gibt es Unterarten, die in ihrem spezifischen Zuschnitt vom Standardmodell abweichen. Sie dürften aber von der Anzahl her eher randständig sein.

Betrachtet wird demnach nur das Modell von der Stange, das aus der Massenproduktion. Wie gesagt, es liegt nicht in der Absicht, die umfassend vorhandene Ratgeberliteratur zu erweitern. Sollte Ihnen dennoch irgendetwas erhellend, einleuchtend oder nützlich vorkommen, liegt es an Ihnen, nicht am Text. Dann nehmen Sie sich, was Ihnen plausibel und brauchbar erscheint. Sollten Ihnen andererseits einige Wege innerhalb eines Viertels zu steinig bzw. zu kopflastig sein, können Sie diese einfach übergehen, als belanglos, unverständlich oder was auch immer. – Aber unterschätzen Sie nicht Ihren Kopf!

1 Im Jahr 2017 wurden in etwas mehr als der Hälfte der Fälle die Scheidungsanträge von den Frauen gestellt. https://www.familienhandbuch.de/aktuelles/neue/39107/index.php (letzter Zugriff: 16.10.2019)

3 Trügerische Sicherheit und zu Bedenkendes

Bei der eigenen Beziehung sich in Sicherheit zu wiegen, ist so selbstverständlich wie die Annahme, dass nur andere überfahren werden. Überraschend sind Trennungen heutzutage jedoch kaum. Für die im Individualfall jeweils Betroffenen mag das so sein, doch früher oder später wird gut ein Drittel aller Ehen geschieden,2 was Schätzungen nach im Groben ebenso auf die Trennungsrate eheähnlicher Gemeinschaften zutrifft. Der wohl häufig wankende Boden, auf dem sich noch vermeintlich intakte Paarbeziehungen befinden, wird deutlich, wenn man einer Untersuchung Glauben schenkt, wonach nicht gerade wenige parallel zu ihrer Ehe-Partnerschaft die Augen für eine Alternative aufhalten.3 – Das wäre nicht unbedingt überraschend, ginge man mit Thomas Meyer darin überein, dass die Mehrzahl der Paarbeziehungen (er spricht von 80 Prozent) »nichtpassend« sind. (in: Trennt euch! Ein Essay über inkompatible Beziehungen und ihr wohlverdientes Ende4)

Hauptwohnsitz des Zeitgeistes sind augenscheinlich die großen Städte, denn in Ballungszentren liegt die Chance aufs Wohl oder Wehe5 – je nach der Position im zukünftigen Geschehen – bei bis zu fünfzig Prozent.6

Ein unaufhaltsam scheinender Trend. Das ehemalige »Bis dass der Tod euch scheidet« verliert seine Gültigkeit als allgemeine Norm oder auch nur als Regel. Die zuvor der letzten Instanz überlassene Entscheidung ist ihr aus der Hand genommen, sozusagen für ein zweites, drittes oder viertes Leben vor dem Tod.

 

Wenn man sich den gesellschaftlichen Zwang vergegenwärtigt und das individuelle Leid, das vormals mit der Ächtung von Scheidungen verbunden war, dann ist die Veränderung zweifellos ein Schritt zum Besseren. Die Frage ist, ob sich mit dem Fortschritt neue Normen und Leitbilder einschleichen, die mit den traditionellen Auffassungen gemeinsam haben, dass es sich um breit akzeptierte Selbstverständlichkeiten handelt, die fraglos für richtig und gut gehalten werden. Anders gesagt, ob nicht dabei Bewahrenswertes blind aufgegeben wird.

Näheres dazu findet sich an späterer Stelle (in Kapitel 20), deshalb zurück zum Thema im engeren Sinne.

2 Online-Quelle. Statistisches Bundesamt, nach: https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/statistisches-bundesamt-mehr-als-jede-dritteehe-wird-geschieden-a-913849.html (letzter Zugriff: 16.10.2019)

3 Entsprechend einer Studie der Sozialwissenschaftler Kim Marie Lloyd und Scott J. South von1994. Vgl. Sven Hillenkamp (2014): Das Ende der Liebe – Gefühle im Zeitalter unendlicher Freiheit. Frankfurt a. M.– Zürich–Wien: Büchergilde Gutenberg, S. 271

4 Thomas Meyer (2018), Zürich: Diogenes, S. 12

5 Seltene Ausnahmefälle dürften die sein, bei denen beide Partner im Grunde kein Interesse mehr an der Fortsetzung der Beziehung haben, bei denen sich die Frage nach Wohl oder Wehe nicht stellt; wo nur eben einer die Initiative ergreift.

6 Online-Quelle: in Ballungszentren bis zur Hälfte. Nach: https://w-h-l.de/familienrecht/scheidung/warum-ein-gerechter-ausgleich-beieiner-trennung-der-beste-weg-ist (letzter Zugriff: 16.10.2019)

4 Einander finden

Beginnen wir von vorne. Jede Tragödie hat einen Anfang, der vom Ende noch nichts ahnen lässt. Am Anfang steht die Partnerwahl, landläufig so genannt, obwohl von einer üblichen Wahl, bei der man sich etwa für diesen oder jenen Urlaubsort oder Job entscheidet, nicht die Rede sein kann. Leute, die sich aufgrund einer gedanklichen Strichliste verlieben, haben vermutlich Seltenheitswert. Vielmehr scheint das Zusammenfinden ein himmlischer Glücksfall zu sein, weniger überirdisch ausgedrückt, die Folge schlichten Hingerissen-Seins, unwiderstehlich, einem Einzelnen der Beteiligten nicht zuzuordnen: »halb zog sie ihn, halb sank er hin«. (Goethe)

Derart Rätselhaftes außer Acht gelassen, bleibt als Wegweiser nur die Intuition, eine Art von Handlungswissen, bei dem Bewusstheit nicht erforderlich ist; mehr noch, bei dem der Kopf das untrügliche Gefühl eher stören würde.

Zweifellos, der Beginn ist ungebrochen ergreifend. Er ließe sich in den wunderschönsten Farben ausmalen, worauf aber verzichtet sei. (Sie werden sich erinnern.) – Kurz und weniger beteiligt ließe er sich beschreiben als Zeit der Euphorie und der Idealisierung des anderen, begleitet von einem bis an Erlösung erinnernden Gefühl der Befreiung von der Last und den Sorgen des Alltags. Und darüber hinaus vielleicht sogar überhaupt vom Ich, das in einem Wir aufgeht. Sich auflösende Grenzen, ein Herz und eine Seele.

Vollkommen planlos scheint Amor jedoch nicht vorzugehen. Vielleicht wird er in der römischen Mythologie nicht umsonst als Halbwüchsiger mit einem Anteil schalkhafter Bosheit7 gesehen. Es scheint, dass das Ergreifende System hat, wenn auch unterm Strich nicht eindeutig. Was der Volksmund sagt, scheint beides zu stimmen: »Gleich und Gleich gesellt sich gern« und ebenso: »Gegensätze ziehen sich an«.

Von Äußerem abgesehen – was schließlich nicht alles ausmacht – sind es oft gemeinsame Interessen, berufliche Überschneidungen und ähnliche Lebens- und Werteinstellungen, die einander näher bringen. Seltener dürfte eine große Ähnlichkeit hinsichtlich des Temperaments und der Persönlichkeit sein. Häufiger ziehen sich hier wohl die Gegensätze an. Es ist, als ob man bewusst oder unbewusst gesucht und schließlich gefunden hätte, was zur eigenen Vervollständigung fehlt. Schlicht, dafür noch anschaulicher, als ob zum Topf der passende Deckel gefunden wäre.

7 Vgl. etwa Wikipedia

5 Ähnlichkeit, Gegensätze und der Sand im Getriebe

Die Volksweisheiten von Gleich und Gleich und den sich anziehenden Gegensätzen finden sich in der Wissenschaft wieder, freilich etwas ausgearbeiteter. Gewissermaßen übersetzt handelt es sich um symmetrische bzw. komplementäre Beziehungen.8 Damit ist die jeweils vorherrschende Art miteinander umzugehen gemeint.

Paul Watzlawick zufolge zielen symmetrische Beziehungen auf die Verminderung von Unterschieden, auf Positionsgleichheit der Beteiligten, wobei es kein fest abgegrenztes Terrain gibt. Dagegen ergänzen sich in einer komplementären Beziehung die Rollen und somit Verhaltensweisen wechselseitig. Man kann auch von Konkurrenzmodell bzw. von Ergänzungsmodell sprechen.

Wie es aussieht, sind das keine schlechten Arrangements, zur Wahl je nach Persönlichkeitstyp. Auf Dauer jedoch sind sie nicht ganz ohne Fallstricke. In Bezug auf mögliche Konflikte lässt sich sagen: Fußt die Ergänzungsvariante geradezu auf den Unterschieden, sind diese beim symmetrischen Modell hingegen Störfaktoren, sozusagen der Sand im Getriebe.

Andererseits führt zunehmende Gleichheit in einer Komplementärbeziehung zu Komplikationen. Wobei für beide Konstellationen gilt: ein bisschen Sand belebt. Er kann aber auch, wenn es zu viel wird, früher oder später zum Totalschaden führen, ökonomisch ausgedrückt: Er kann die jeweilige Geschäftsgrundlage existenziell ins Wanken bringen.

8 Paul Watzlawick, Janet H. Beavin, Don D. Jackson (1985): Menschliche Kommunikation. Bern: Hans Huber, S. 68 ff.

6 Augenhöhe sowie rechte und linke Schuhe

Die Unterteilung in Ergänzungs- und Konkurrenzmodell ist freilich idealtypisch gemeint. Bis auf wohl sehr wenige Ausnahmen handelt es sich »im richtigen Leben« um Mischformen. Es geht bei dieser Unterscheidung lediglich um den vorherrschenden Stil in Sachen Kommunikation, um unterschiedliche Modelle der Selbst- und Fremddefinition.

Anschaulich kann man sich unter der Rubrik »symmetrisch« ein Paar vorstellen, bei dem regelmäßig im Grunde unbedeutende Dinge Anlass zur Austragung von Kontroversen bieten. Nach fast endlos streitendem Hin und Her könnte die Auseinandersetzung um des lieben Friedens willen enden mit dem einvernehmlichen Statement: »Na gut, wir sind beide gleich schuld«, mit dem beidseitig allerdings nur gedachten Zusatz: »Aber du ein bisschen mehr«.

Um die Sache geht es nicht wirklich, sie ist zweit- oder drittrangig, oder wenn nötig an den Haaren herbeigezogen, sondern es geht, an irgendetwas aufgehängt, um Selbstbehauptung, um die Sicherung einer in der Beziehung ebenbürtigen Position. Letztlich – an Orwells »Farm der Tiere«9 erinnernd – um gleichere Gleichheit.

Das komplementäre Gegenbild wird wohl jeder kennen, Paare mit den Gegensätzen introvertiert vs. extrovertiert, spontan vs. bedacht, rational bzw. emotional, vielleicht auch den cholerischen Haustyrannen und das »Heimchen am Herd«. Und schließlich, man wird es erraten, als Extrem quasi ins Auge springend, der Sadist und der Masochist. Was wäre der eine ohne den anderen?

Es handelt sich hier in der Wirtschaftssprache ausgedrückt um Komplementärgüter, also solche, die nur zusammen wie linke und rechte Schuhe ihren Zweck erfüllen und deshalb paarweise gekauft bzw. gelebt werden. – Ein Beispiel dafür, dass unterschiedliche Rollen in verschiedenen sozialen Feldern gelebt werden können, wäre der resolute Firmenchef als Pantoffelheld. Zudem kann es innerhalb einer Beziehung verschiedene Bereiche geben, wo jeweils der eine oder eben andere das Sagen hat.

Wie oben schon angesprochen, ergibt sich ernsthaftes Konfliktpotential für eine symmetrische Beziehung, wenn eine Eskalationsspirale in Gang kommt, bei komplementären Beziehungen dann, wenn jemand die bislang eingenommene und vom Partner zur Selbstdefinition gebrauchte Rolle deutlich zu modifizieren sucht bzw.

gar aufkündigt. Recht selten dürfte über die Zeit hin ein Rollentausch sein.10

Es scheint eine verzwickte Angelegenheit zu sein, in Zufriedenheit beider eine Beziehung in Balance zu halten, vergleichbar der Aufgabe eines Seiltänzers, mit ständigem Austarieren. Nur hat dieser ein physikalisch berechenbares Gegenüber, kein eigenwilliges.

Es wäre vielleicht noch handhabbar, denn Übung macht den Meister. Aber dieser Aspekt beschreibt nur die äußere, die beobachtbare Seite, nicht die innere der Beteiligten. Man kann entsprechender Literatur entnehmen, dass so einfach und durchschaubar ein Seelenleben nicht ist, und ein mögliche Schwierigkeiten noch potenzierendes Beziehungsleben schon gar nicht. Was im letzten Fall noch hinzu kommt, erinnert an Woody Allens Beschreibung der Ehe, sie sei ein Versuch, zu zweit mit Problemen fertig zu werden, die man alleine nicht hätte.

Ob allein oder zu zweit, viel Unbekanntes ist bzw. viele »Strippenzieher inkognito« sind am Werk. Um Aufklärung und Hilfe bemühen sich zum Beispiel Tiefen- und Verhaltenspsychologen, systemische Ansätze, unzählige Heilpraktiker verschiedener Couleur, Coaches, Lebensberater sowie Esoteriker, Letztgenannte mitunter mit direkter Standleitung ins Jenseits.

Je nachdem, ob es sich um einen wissenschaftlichen Ansatz handelt oder um einen Eigenbau, so vieles ist zu berücksichtigen: Projektionen, Übertragungen, ein Ich in der Klemme zwischen Es und Über-Ich, sprachlose innere Kinder, misslungene Kommunikation oder auch die versäumte Versöhnung mit den Ahnen der siebten Generation.11

Hinzu kommt bei Paaren mit Kindern, dass quasi eine »Dreiecksbeziehung« besteht, die ein erweitertes Konfliktpotential bietet. Bei so vielen Faktoren nimmt es kaum Wunder, dass man leicht den Überblick verlieren kann und dass am Ende kommt, woran man nicht glaubte.

Das verwickelte wie tiefgründige Seelenleben außer Betracht lassend, vom Oberflächlichen, vom Sichtbaren ausgehend scheint eine paradox klingende Folgerung zuzutreffen. Nämlich, dass in Bezug auf ihre Haltbarkeit ihrem Muster nach stabile Beziehungen instabiler sind, hingegen instabile stabiler. Kurz, dass ein offenes, flexibles Miteinander, pendelnd von hier nach dort, die gelungene Mischung zu sein scheint.

Beweglichkeit im Sinne von ständigem Ausbalancieren scheint ebenso in Bezug auf die innere Seite, die seelische Nähe der Beteiligten vonnöten. Förderlich scheint es, sich wie Arthur Schopenhauers überwinternde Stachelschweine zu verhalten: Nicht zu nah beieinander, um Verletzungen zu vermeiden, aber wiederum nah genug, um einander zu wärmen.12

Abgehoben formuliert wirkt das einleuchtend. Doch konkret: wie geht das? Zum Glück ist dies hier nicht das Thema. Wir können uns also wieder dem Totalschaden zuwenden bzw. erst einmal dem Ende des beeindruckenden Anfangs.

9 George Orwell (2017): Farm der Tiere. Zürich: Diogenes

10 Ein gleichsam aufgezwungener Rollentausch könnte sich beispielsweise ergeben, wenn ein zuvor dominanter Partner ernsthaft krank wird.

11 Stefan Limmer (2015): Versöhnung mit den Ahnen: Mit der 7-Generationen-Aufstellung zu ungeahnter Kraft. München: Arkana

12 Vgl. Online-Quelle: https://gutenberg.spiegel.de/buch/die-stachelschweine-9831/1; (letzter Zugriff: 16.10.2019)

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