Resilienz im Erwachsenenalter

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biologische Stresskonzepte

Der amerikanische Physiologe Walter Cannon und der in Wien gebürtige Mediziner Hans Selye begründeten die Stressforschung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Cannon, 1932; Selye, 1936), noch bevor es ein Resilienzkonzept gab, wie es heute in der Psychologie verwendet wird. Beide interessierten sich vor allem für neurobiologische Abläufe in Stress- oder Gefahrensituationen.

Cannon prägte das Fight-or-flight-Syndrom, das die schnellen und unmittelbaren körperlichen und psychischen Anpassungsformen in Gefahrensituationen beschreibt. Kämpfen oder die Flucht ergreifen sind Reaktionsformen eines Organismus, bei denen Energie für ein Verhalten bereitgestellt wird, welches das Überleben in Gefahrensituationen sichert.

Hans Selye entwickelte in den 1930er Jahren die Grundlagen für die Stressforschung (Szabo et al., 2012). Er begründete den Begriff Stress und das allgemeine Adaptationssyndrom, ein Reaktionsmuster auf länger anhaltenden Stress. Ist ein Organismus längere Zeit Stressoren (z.B. Hunger, Hitze, Leistungsdruck etc.) ausgesetzt, kann dies kurzfristig zu einer erhöhten Widerstandskraft führen, langfristig jedoch zu körperlichen Schäden und Erschöpfung. Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol sowie körperliche Anpassungsreaktionen verursachen zwar eine erhöhte Leistungsbereitschaft, aber ihre Aufrechterhaltung kostet den Organismus Kraft. Körperliche Anpassungen von Lebewesen in Gefahrensituationen als Stressreaktion beinhalten die Freisetzung von Adrenalin sowie Veränderungen des Herzschlags, der Atmungsfrequenz und der Muskelanspannung. Eine Dauerbelastung führt zum Nachlassen der Körperkraft und zum Zusammenbruch des Organismus. Die Funktionstüchtigkeit der biologischen Prozesse ist aus der biologischen Perspektive wesentliches Kennzeichen von Resilienz.

Salutogenese

Das Konzept der Salutogenese (Antonovsky, 1987; Bengel & Lyssenko, 2012) ist ein Rahmenkonzept, das sich mit der Entstehung und der Erhaltung von Gesundheit beschäftigt und in den Sozialwissenschaften sowie in der Medizin weit verbreitet ist. Der Sozialmediziner Aaron Antonovsky prägte den Begriff und stellte der westlichen medizinischen Forschung in Abgrenzung zur Pathogenese ein Konzept entgegen, das sich auf positive Gesundheits- und Entwicklungszustände konzentriert (vgl. auch die positive Psychologie; Seligman & Csikszentmihalyi, 2000). Im Vordergrund steht die Suche nach Antworten darauf, was Menschen gesund hält, und nicht die Frage, warum man erkrankt, wie es im biomedizinischen Denkmodell verbreiteter ist. Auch das Konzept der Resilienz betont positive Umstände, d.h. Faktoren, die zur Widerstandsfähigkeit beitragen, während das Konzept der Vulnerabilität die negativen Aspekte stärker fokussiert.

Kohärenzgefühl

Antonovsky entwickelte einen Fragebogen zur Lebensorientierung, der das Kohärenzgefühl (sense of coherence, SOC), also ein Gefühl der Stimmigkeit des Lebens als Grundhaltung oder Zielgröße erfasst. Das Kohärenzgefühl hängt mit Gesundheitsvariablen zusammen und beinhaltet drei Komponenten:

a die Verstehbarkeit (sense of comprehensibility; konsistente und geordnete kognitive Verarbeitung),

b die Bewältigbarkeit (sense of manageability; wahrgenommene Ressourcen, um den Anforderungen zu begegnen) und

c die Sinnhaftigkeit (sense of meaningfulness; das Ausmaß, in dem man das Leben emotional als bedeutsam ansieht).

Die drei Faktoren weisen eher Gemeinsamkeiten auf und lassen sich empirisch nicht scharf trennen, so dass man sie häufig inhaltlich zusammenfasst.

Kohärenzsinn ähnelt den bereits beschriebenen Konzepten (vgl. Hardiness; Coping). Die Fähigkeit oder Bereitschaft, sich sog. „positiven“ Konzepten zuzuwenden, kann durchaus förderlich im Stress-Bewältigungsprozess sein und zu einer erhöhten Lebensqualität beitragen. Antonovsky betont Zusammenhänge zwischen Kohärenzsinn und organismischen Funktionen (Immunsystem, Zentralnervensystem, Hormonsystem). Dass Kohärenzsinn mit gesundheitsbezogenen Variablen zusammenhängt, ist zwar noch kein überzeugender Beleg dafür, dass Kohärenzsinn auch zu Gesundheit führt, allerdings ein Ausgangspunkt für die Untersuchung von Resilienz.

Will man den Kohärenzsinn verändern, bedeutet das eine Veränderung der eigenen Ziel- und Wertestruktur. Dies ist, neben der Fähigkeit zur Einsicht in die relevanten Strukturen, eine Schlüsselvariable, wenn man die eigene Resilienz steuern oder beeinflussen möchte. Die psychologischen Prozesse und die Definition von Gesundheit werden im Folgenden noch ausführlicher behandelt. Zunächst wird ein Arbeitsmodell der Resilienz als Rahmen vorgestellt, anhand dessen sich die beteiligten Prozesse ordnen und empirisch untersuchen lassen.

1.4 Die Struktur der Resilienz

Die unterschiedlichen disziplinären Zugänge zu Resilienz (vgl. auch Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011; Knoll et al., 2013), die bisher nur kurz und sehr selektiv angesprochen wurden, lassen bereits erkennen, dass das Thema fächerübergreifend von Bedeutung ist. Dabei wird deutlich, dass Resilienz unterschiedlich aufgefasst werden kann: als biologisch-körperliche Veränderungen und als psychische Anpassungen an die jeweiligen Umstände. Soziale Prozesse und ökologische Systeme wurden bislang zwar nicht weiter ausgeführt, sind jedoch auch mit dem Resilienzkonzept verflochten. Überhaupt liegt mittlerweile eine Vielzahl an theoretischen Überlegungen, empirischen Befunden und Übersichtswerken zum Thema vor (Glantz & Johnson, 1999; Reich et al., 2010), so dass vieles, auch wenn man sich auf die psychologische Literatur im Erwachsenenalter beschränkt, nicht erschöpfend rezipiert, geschweige denn in einem einführenden Buch erwähnt werden kann. Das hier Vorgestellte in eine geordnete Struktur zu bringen ist schon deswegen nicht einfach, weil die vorliegenden Arbeiten trotz Überschneidung teilweise doch sehr unterschiedliche Schwerpunkte setzen, wo die entscheidenden Faktoren zu suchen sind, die zu Resilienz beitragen. Es soll im nächsten Schritt ein ordnungsgebender Rahmen als Arbeitsmodell der Resilienz vorgestellt werden, anhand dessen eine Vielzahl der vorliegenden Befunde und Überlegungen eingeführt und diskutiert wird.

Arbeitsmodell der Resilienz

In Anlehnung an theoretische Überlegungen (Garmezy, 1991; Greve & Staudinger, 2006; Rutter, 1993) wird der Vorschlag gemacht, Resilienz als relationales Konstrukt aufzufassen. Dadurch soll zum Ausdruck gebracht werden, dass sich Resilienz aus mehreren Komponenten zusammensetzt und dass eine Dynamik zwischen den Komponenten besteht, also Kräfte bzw. (adaptive) Prozesse unterstellt werden. Es werden, wie bereits angesprochen wurde, Risikofaktoren bzw. Vulnerabilitätsfaktoren angenommen, die einen Organismus längerfristig schädigen und die sich auf andere Lebensbereiche auswirken können bzw. mit diesen verflochten sind. Resilienz ist demnach keine stabile Eigenschaft und umfasst nicht allein internale Vorgänge.

Inwieweit sich die „Krisen“ (Stress, wahrgenommene Diskrepanzen) ausbreiten und andere Lebensbereiche belasten, hängt von Prozessen der Adaptation ab, über die Personen verfügen. Diskrepanzen treten beispielsweise dann auf, wenn man man feststellen muss, dass die Lebensumstände nicht den Ansprüchen genügt. So kann man gesundheitliche Veränderungen registrieren und dies zum Anlass nehmen, seinen Lebensstil zu ändern. Ob die eigenen Bemühungen zur Entwicklung einer Widerstandsfähigkeit führen, ist eine empirisch offene Frage. Menschen, denen dies gelingt, bezeichnen wir als resilient. Wenn man neben gesundheitlichen Problemen noch Familienangehörige hat, um die man sich kümmern muss, und zudem noch berufstätig ist, kann es allerdings sein, dass sich die Situation ungünstig auf die Konzentrationsfähigkeit am Arbeitsplatz auswirkt. In Abbildung 1.3 ist ein – aus Gründen der Übersichtlichkeit zunächst sehr vereinfachtes – Resilienzmodell dargestellt.


Abbildung 1.3: Relationales Resilienzmodell: Dargestellt ist das Resilienzphänomen, dass Risikofaktoren (z.B. starker Stress am Arbeitsplatz) zu einer Widerstandsfähigkeit führen und nicht zu Burnout. Dies kann durch adaptive Prozesse gelingen, indem man etwa zum Ausgleich andere Hobbies oder Identitätsprojekte verfolgt.

In dem Modell ist der relationale Charakter von Resilienz zentral, wonach Resilienz durch eine bestimmte Person-Situations-Konstellation definiert wird, die aus drei Komponenten besteht.

Demnach wird angenommen, dass Resilienz aus dem Zusammenspiel von Risikofaktoren und adaptiven Prozessen entsteht. In zahlreichen empirischen Studien wurde das Zusammenspiel untersucht, sehr häufig in Querschnittstudien, seltener im Längsschnitt. Um die Befunde besser interpretieren zu können, werden zwei methodische Grundgedanken erläutert.

1.5 Methodische Grundkenntnisse

Die adaptiven Prozesse vermitteln, so wurde häufig argumentiert, ob und wie stark die Risikofaktoren zu negativen Konsequenzen führen (Greve & Staudinger, 2006; Staudinger et al., 1995). In der Literatur wird häufig danach unterschieden, ob die Wirkung direkter oder indirekter Art ist und wie man sich die Wirkmechanismen der adaptiven Prozesse dabei vorstellen kann. Dies soll an dieser Stelle schon kurz vertieft werden, weil später auf zahlreiche empirische Studien und deren Ergebnisse verwiesen wird. Um den Gehalt der Ergebnisse und die Vor- und Nachteile der Studien besser beurteilen zu können, erscheint es wichtig, die Machart der gängigen Studien zu verstehen, mit denen man das Resilienzphänomen empirisch stützt. Schließlich würde man gerne wissen, was Menschen resilient macht - und man bezieht sich deswegen auf empirische Studien, um sich im günstigen Fall dem Ursache-Wirkungs-Gefüge nach dem Vorbild der sog. exakten Wissenschaften und Naturwissenschaften anzunähern.

 

Es werden nun zwei methodische Zugänge anhand ihrer Grundidee vorgestellt. Wir unterscheiden zunächst nur korrelative Studien von Experimentalstudien, in denen Personen bestimmten Gruppen zugewiesen werden. Dabei wird die jeweilige Argumentationsstruktur erläutert und auf Vor- und Nachteile hingewiesen, ohne dass fortgeschrittene Statistik- und Methodenkenntnisse vorauszusetzen sind. So können die Befunde zumindest in Grundzügen nachvollzogen werden.

1.5.1 Korrelative Studien

In korrelativen Studien werden Ausprägungen von Merkmalen erhoben, wie man sie zum Zeitpunkt der Messung vorfindet, und in einer statistischen Auswertung miteinander in Beziehung gesetzt. Wenn mehrere Personen zu einem Messzeitpunkt befragt werden, lassen sich Korrelationen (Eid et al., 2013, Kap. 15) zwischen Variablen berechnen.


So lässt sich z.B. ermitteln, ob es in der untersuchten Stichprobe einen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß einer gefühlten Belastung und regelmäßiger sportlicher Betätigung gibt. Sport könnte also zu Resilienz beitragen, indem er den „Kopf frei macht“ und von temporären Schwierigkeiten ablenkt. Andererseits ist es aber auch nicht unplausibel, dass eine geringere Belastung die sportliche Aktivität begünstigt.

Querschnitt Längsschnitt

Wenn zudem Menschen unterschiedlichen Alters untersucht werden und das Lebensalter mit sportlicher Aktivität oder gefühlter Belastung korreliert wird, spricht man auch von Querschnittstudien. Um eine Längsschnittstudie (Schmiedek & Lindenberger, 2012) handelt es sich dann, wenn Ausprägungen oder Merkmale derselben Studienteilnehmer zu mehreren Untersuchungszeitpunkten erhoben werden (mindestens zweimal, besser häufiger). Man kann dann von Veränderungen oder Verläufen sprechen, z.B. von einem Genesungsverlauf nach schwerer Krankheit. Auch längsschnittliche Studien sind Korrelationsstudien, weil die Vorhersage der Veränderungen über die Zeit auch auf Korrelationen beruht.

Korrelative Studien zählen zu den am häufigsten durchgeführten in der aktuellen psychologischen Resilienzforschung. In korrelativen Studien werden beispielsweise das Ausmaß möglicher Stressoren (z.B. chronische Erkrankungen, finanzielle Engpässe, erfahrene Gewalt), aber auch mögliche protektive Faktoren (z.B. individuelle Ressourcen wie Selbstvertrauen, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, soziale und emotionale Unterstützung, Medikamente oder eine Therapie) zu einem oder zu mehreren Untersuchungszeitpunkten erhoben. Man kann damit zeigen, ob etwa das Ausmaß eines oder mehrerer (wahrgenommener) Risiken mit einer unerwünschten Konsequenz wie einer erhöhten Depressivität korreliert.

Das Vorliegen von Risiken und unerwünschten Folgen oder Begleiterscheinungen wird in vielen Studien als Ausgangspunkt herangezogen, um sich dem Resilienzproblem zu nähern. Man interessiert sich für statistisch bedeutsame Zusammenhänge zwischen Risiken und Konsequenzen, die in querschnittlichen und längsschnittlichen Studien untersucht werden. Als Hinweis für Resilienz wird es gewertet, wenn sich zeigen lässt, dass die Zusammenhänge zwischen Risiken und Konsequenzen geringer werden bzw. sich ganz auflösen, wenn bestimmte protektive Faktoren oder adaptive Prozesse vorliegen. Im Folgenden werden zwei Wirkmechanismen der adaptiven Prozesse vorgestellt, die üblicherweise als Mediation und Moderation bezeichnet werden (Baron & Kenny, 1986; Eid et al., 2013). Auf diese Unterscheidung wird hier kurz eingegangen, weil die Begriffe in vielen Studien (teilweise unterschiedlich) verwendet und als empirische Evidenz dafür herangezogen werden, inwieweit die adaptiven Prozesse den Zusammenhang zwischen möglichen Risiken und Konsequenzen regulieren. Es handelt sich um verfeinerte korrelative Auswertungsmethoden.

Mediation

Wenn eine Mediation vorliegen soll, erwartet man, dass, methodisch ausgedrückt, erstens ein bedeutsamer Zusammenhang zwischen einem Prädiktor (z.B. Risiko, Stressor, wahrgenommene bedrohliche Situation) und einem Kriterium (z.B. Depressivität) besteht, d.h. es muss eine Korrelation zwischen beiden Größen bestehen (Baron & Kenny, 1986). Zweitens muss die potentielle Mediatorvariable (die „vermittelnde“ oder erklärende Variable, z.B. Coping, soziale Unterstützung) sowohl mit dem Prädiktor als auch mit dem Kriterium korrelieren. Wenn in einer Studie noch drittens gezeigt werden könnte, dass ein Risiko mit sozialer Bewältigung (z.B. die Suche nach emotionaler Unterstützung) korreliert und soziale Bewältigung mit weniger Depressivität einhergeht, wären die Voraussetzungen für eine Mediation erfüllt. Wenn sich nun darüber hinaus zeigen lässt, dass die soziale Unterstützung über den eben beschriebenen Weg dazu führt, dass der Zusammenhang zwischen Risiko und Depressivität geringer wird bzw. gar nicht mehr vorhanden ist (d.h. statistisch bedeutungslos ist), würde man soziale Unterstützung als Mediator interpretieren. Mit sozialer Unterstützung steht und fällt in diesem Beispiel der Zusammenhang zwischen Risiko und Depressivität. In Abbildung 1.4 ist eine Mediation anhand eines weiteren Beispiels dargestellt.


Abbildung 1.4: Beispiele für Mediation und Moderation

Meditation: Schwarzer und Knoll (2007) haben gezeigt, dass das Ausmaß an erhaltener sozialer Unterstützung nach einer schweren Operation nicht direkt mit einer Symptomreduktion zusammenhängt (der Pfad von sozialer Unterstützung zu der Reduktion körperlicher Krankheitssymptome war nicht signifikant), sondern über den Weg der Selbstwirksamkeit. Sie interpretieren, dass Selbstwirksamkeit durch soziale Unterstützung mobilisiert wird und diesen Zusammenhang vermittelt.

Moderation: Der Zusammenhang zwischen Stress und eingeschränkter Funktionstüchtigkeit ist bei Personen, die über wenige Ressourcen verfügen, besonders stark. Bei Personen mit vielen Ressourcen ist er hingegen schwächer.

Moderation

Nun ist es aber fraglich, inwieweit Risiken tatsächlich mit sozialer Unterstützung zusammenhängen bzw. zu deren Erhöhung führen, wie man genauer formulieren müsste. Es kann doch sein, dass Menschen in einer ähnlichen Risikosituation sind und über ein mehr oder weniger gutes soziales Netzwerk verfügen, ohne dass man annehmen muss, dass das Risiko die soziale Unterstützung mobilisiert. In diesem Falle kann man in der Studie prüfen, ob ein Moderator vorliegt.

Wenn unterschiedlich starke statistische Zusammenhänge zwischen Risiko und Kriterium vorliegen, je nachdem, wie eine dritte Variable (eben der Moderator, z.B. die soziale Unterstützung oder andere Ressourcen) ausgeprägt ist, kann man sagen, dass die Drittvariable den Zusammenhang moderiert. Wenn man, anders ausgedrückt, zwei Gruppen unterscheiden kann, wobei in der einen mit wenig sozialer Unterstützung das Risiko mit Depressivität korreliert, in der anderen mit viel Unterstützung nicht, dann wird die soziale Unterstützung als Moderator bezeichnet.

Kausalität

Hinter den Begriffen „Mediation“ und „Moderation“ steht letztlich die Frage nach (bzw. das gewichtige Problem) der Kausalität. Man würde gerne die relevanten Faktoren und Prozesse kennen, um zu verstehen, warum sich Vulnerabilität oder Widerstandskraft entwickelt. Es geht um das Verhältnis von Ursache und Wirkung und um die wissenschaftstheoretische Diskussion des hinreichenden und notwendigen Grundes. Neben dem reinen Erkenntnisinteresse bemüht man sich auch um das kausale Verständnis der Ursachenketten, um die Entwicklungsverläufe nach Möglichkeit positiv zu gestalten.

Bewertung von Korrelationen

Ohne an dieser Stelle eine differenzierte Methodenkritik führen zu können, sollen einige Vor- und Nachteile korrelativer Studien genannt werden.

Querschnittsstudien sind vergleichsweise ökonomisch; mit Fragebogenstudien lassen sich Personen einer großen Altersspanne erfassen, was den Forderungen nach repräsentativen Stichproben leichter genügen sollte. Wenn man stattdessen medizinische Diagnosen stellt oder Interviews führt und die Ergebnisse anschließend mathematisch quantifiziert, ist das zwar aufwendiger, ändert aber nichts an der Aussagekraft. Es wird geprüft, ob es statistisch bedeutsame Zusammenhänge zwischen möglichen Stressoren und Kriterien gibt, und ob diese abnehmen (bzw. sich erklären lassen), wenn Moderatoren oder Mediatoren berücksichtigt werden.

Die Kritik, die hier angeführt wird, ist, dass man an die Kausalität nur unzureichend heranreicht, weil die Richtung der Interpretation offen und uneindeutig ist. Zudem kann soziale Unterstützung ihrerseits mit Extraversion oder Offenheit für neue Erfahrungen zusammenhängen (und manche sind geneigt, hier den Genen das Haupt-Erklärungspotential zuzusprechen), und/oder sie kann auf frühere Lernerfahrungen, Erziehungsstile oder berufliche Sozialisation zurückzuführen sein. Man kann sich zwar bemühen, möglichst viele Einflussfaktoren zu erheben und deren Rolle als Moderatoren bzw. Mediatoren in der statistischen Auswertung zu prüfen, aber es bleiben zu viele alternative Erklärungsmöglichkeiten übrig. Somit gilt die gängige Merkregel aus dem Statistik-Grundkurs, dass man aus Korrelationen keine Kausalität ableiten kann. Auch Veränderungen lassen sich in Querschnittstudien nicht beobachten. Umso wichtiger erscheint die Formulierung theoretischer Annahmen darüber, durch welche Faktoren sich welche Konsequenzen erklären lassen, d.h. die Formulierung von Annahmen der Wirkrichtung, die dann anhand der Stichprobendaten empirisch überprüft werden können (Pedhazur, 1997, Kap. 18; Schmiedek & Lindenberger, 2012).

In längsschnittlichen Studien kann man zwar die zeitliche Reihenfolge von Lern- und Entwicklungsprozessen berücksichtigen, aber zahlreiche Alternativerklärungen oft nicht ausschließen. Man hat neben dem hohen Erhebungsaufwand noch das Problem, dass mit zunehmender Studiendauer mit einem Stichprobenausfall zu rechnen ist. Wenn dieser nicht nach dem Zufallsprinzip geschieht und sehr groß ist, entstehen durch Selektionseffekte ernsthafte Probleme bei der Interpretation und Generalisierbarkeit der Ergebnisse. Emmy Werner (2007a, S. 54) erinnert daran, dass gerade in Längsschnittstudien zu Resilienz, die eine lange Zeitspanne umfassen und ins höhere Alter der Probanden hineinreichen, Personen mit der größten Resilienz überrepräsentiert sind, weil Personen mit höherer Vulnerabilität wegen Krankheiten nicht mehr teilnehmen können oder bereits gestorben sind. Wenn dies der Fall ist, muss man fragen, für welche Personengruppen die Ergebnisse der Längsschnittstudie repräsentativ sind.

Ebenso kann es sein, dass durch die mehrmalige Bearbeitung derselben Fragen Übungseffekte entstehen, d.h. dass die Beantwortung durch eine häufige Präsentation des Aufgabenmaterials erlernt wurde.

Gleichwohl ist es möglich, dass korrelative Studien Hinweise auf kausale Mechanismen geben, die sich in alternativen methodischen Zugängen wie Experimenten oder Interventionsstudien erhärten lassen.

 

1.5.2 Studien mit systematisch variierten Gruppen

Bei einem Experiment handelt es sich um eine Studie, bei der bestimmte Faktoren systematisch variiert werden, von denen man annimmt, dass sie eine zentrale Rolle bei der Vorhersage von bestimmten Zuständen spielen. Gleichzeitig wird versucht, störende Faktoren konstant zu halten. Menschen werden deswegen mitunter in Laborbedingungen untersucht, in denen nach Möglichkeit nur die zu untersuchenden Bedingungen variiert werden. Wenn alles andere vergleichbar ist und nur einer Gruppe ein Medikament oder eine Instruktion gegeben wird, einer anderen Gruppe aber nicht, können die möglichen Unterschiede in der sog. abhängigen Variable, nur auf die Manipulation zurückzuführen sein. Um diese Interpretation plausibel zu machen, ist die Randomisierung (zufällige Zuweisung) der zu untersuchenden Personen in die Experimental- oder Kontrollbedingungen die wichtigste Kontrollform. So sollten sich auch biografische Unterschiede, die die Personen mitbringen, auf die Gruppen gleichmäßig verteilen oder „ausmitteln“, damit möglichst eindeutig erkennbar wird, ob die systematisch herbeigeführte Variation der Bedingungen zu Veränderungen führt.

Interventions- vs. Evaluationsstudie

In entwicklungsorientierten Interventionsstudien wird der Versuch unternommen, geplante und gewünschte Veränderungen herbeizuführen, die Alterns- und Entwicklungsprozesse beeinflussen (Wahl et al., 2012). Man ist dabei bemüht, altersbezogene Abbauprozesse zu verlangsamen, zu kompensieren und bestimmte Fähigkeiten zu optimieren. In Evaluationsstudien werden die Effekte einer kritischen Bewertung unterzogen. Häufig führt man die Studien mit Kontrollgruppen durch, um einen Vergleichsstandard für die möglichen Effekte von Interventionen zu erhalten. In der angewandten Forschung ist eine zufällige Zuweisung zur Interventions- bzw. Kontrollgruppe z.B. aus ethischen Gründen nicht immer möglich, was dann die Interpretation der Intervention als Ursache von Verhaltensänderungen problematisch macht. Falls sich die Intervention über einen längeren Zeitraum erstreckt (z.B. Therapie), kann man schwer vermeiden, dass unkontrollierbare Nebeneinflüsse wirksam werden, was sich ebenfalls erschwerend auf die Interpretation der Befunde auswirkt.

Bewertung von Experimenten

Vergleicht man die Aussagekraft eines sauber kontrollierten Experiments (mit randomisierter Bedingungszuweisung) mit einer korrelativen Studie, so ist der empirische Nachweis einer kausalen Wirkung bestenfalls in einem exakten Experiment gewährleistet. Allerdings steckt der Preis dafür in einer künstlich geschaffenen experimentellen Situation, welche das Problem aufwirft, inwieweit das Ergebnis auf alltägliche Situationen übertragbar ist.

In der anwendungsbezogenen Forschung, wozu Studien zu Resilienz oder Gesundheitsförderung gehören, stößt man allerdings auf Schwierigkeiten. Manche Medikamente verändern ihre Wirkung, wenn gleichzeitig andere Medikamente eingenommen werden. Bestimmte Wirkungen von Interventionen zeigen sich vielleicht nur im Experiment, aber nicht mehr, wenn Personen ihren Alltagsaktivitäten nachgehen und sich in ihrem gewohnten Milieu befinden, das möglicherweise den erwarteten Effekten abträglich ist. Nicht zuletzt ist es häufig eine Kombination aus verschiedenen Behandlungsformen, die zu Synergieeffekten führt.

Es ist wichtig, die Wirkweise von Interventions- und Behandlungsformen unter vergleichbaren und unterschiedlichen Bedingungen zu replizieren, um dem komplexen Zusammenspiel der Prozesse, die zu Resilienz oder Vulnerabilität führen, gerecht zu werden. Man kann von einzelnen empirischen Studien nicht zu viel verlangen: Sie können nur in einem begrenzten Umfang spezifische Faktoren untersuchen und Bedingungen realisieren und hinterlassen Fragen, die in weiteren Forschungsarbeiten geklärt werden müssen. Gleichwohl bedarf es gut kontrollierter Studien, welche substanzielle Effekte aufzeigen und somit die Struktur der Resilienz genauer beleuchten.

Die zugegebenermaßen sehr knappe methodische Behandlung hatte den Zweck, auf einige Vor- und Nachteile der gängigsten Untersuchungsdesigns aufmerksam zu machen, weil im Folgenden empirische Befunde vorgestellt und diskutiert werden und es hilfreich erscheint, die Aussagekraft besser beurteilen zu können. Dies sollte eine gründlichere Auseinandersetzung mit Methoden der aktuellen Entwicklungspsychologie nicht ersetzen. Dazu sei beispielhaft auf die Arbeit von Schmiedek und Lindenberger (2012) verwiesen.

1.6 Zusammenfassung

Resilienz bezeichnet die Fähigkeit, trotz widriger Umstände in einer komfortablen Situation weiterzuleben, und es ist und bleibt eine spannende Herausforderung, die Prozesse und Faktoren zu identifizieren, die zu Resilienz beitragen.

Die Resilienzforschung ist ein fächerübergreifendes Anliegen: Neben der Psychologie sind es die Fächer der Biologie und der Medizin (aber auch die Soziologie und Gesundheitswissenschaften), die sich mit Resilienz beschäftigen. Es wurden Konzepte vorgestellt (z.B. Stress, Bewältigungsformen/Coping, hardiness, Ich-Resilienz), die für das Thema relevant sind und auf die wir zurückkommen werden, wenn theoretische Überlegungen und empirische Befunde im Detail behandelt werden. Mittlerweile liegen zahlreiche empirische Befunde vor, die sehr häufig in korrelativen oder Kontrollgruppendesigns identifiziert wurden. Aufgrund der Vielfalt der Beiträge wurde ein Arbeitsmodell vorgeschlagen, anhand dessen sich die weitere Darstellung des Themas orientiert. Es werden im Folgenden Risikofaktoren und Kriterien für Resilienz vorgestellt sowie adaptive Prozesse, denen eine Vermittlerrolle im Zusammenhang zwischen Risiko (z.B. Stress) und Konsequenzen zugeschrieben wird.

1.7 Fragen zum Stoff


1. Was versteht man in der Psychologie unter Resilienz?

2. Was sind Prozesse der Adaptation?

3. Welche methodischen Zugänge sind in der psychologischen Resilienzforschung verbreitet?