Erlebnispädagogik und ADHS

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2.2. Prävalenz

Die Prävalenz, also die Häufigkeit einer Krankheit in der Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt, von ADHS variiert weltweit sehr stark und reicht von angeblich 0,09% in England bis zu 28% in Israel15. Die Werte hängen davon ab, wie man ADHS jeweils definiert, welche Bevölkerungsgruppe untersucht wird und inwieweit Eltern, Lehrer*innen und Fachleute mit der Diagnose übereinstimmen.

Auch in Deutschland sind verschiedene Werte zur Prävalenz von ADHS zu verzeichnen, die meisten seriösen Studien stellen allerdings eine Prävalenz von 4,2-5,0 % fest. Aktuelle Daten liefern die Querschnittergebnisse aus der KIGGS („Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“) Welle 2 (2014 – 2017) – der zweiten Folgeerhebung der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland im Alter von drei bis siebzehn Jahren. In der KIGGS Welle geben 4,4% der Eltern an, dass ihr Kind jemals eine ADHS-Diagnose durch einen Arzt oder Psychologen erhalten hat. Dabei ist zu beobachten, dass mehr als doppelt so viele Jungen (6,5%) als Mädchen (2,3%) betroffen sind. In anderen Umfragen sind Jungen sogar viermal so häufig betroffen wie Mädchen. Während im Kindesalter noch eine niedrige Prävalenz herrscht (0,2%), steigt diese mit dem Schuleintritt, wohl aufgrund der größeren benötigten Konzentration (2,1% ab sechs Jahren) und erreicht ihren Höhepunkt in der Jugend mit einer Prävalenz von 6,9%. Weiterhin ist zu beobachten, dass Kinder und Jugendliche, die in Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status aufwachsen, signifikant häufiger von ADHS betroffen sind als Gleichaltrige aus sozial bessergestellten Familien. Vergleicht man KIGGS Welle 1 und 2 miteinander ist allerdings ein leichter Rückgang der ADHS-Diagnosehäufigkeit festzustellen. Als Quelle dafür dienen Abrechnungsdaten der Krankenkassen16.

Grobe stellt fest, dass ein junges Alter der Eltern bei der Geburt sowie der Bezug von Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe das Risiko einer ADHS-Diagnose erhöhen. Kinder von Eltern mit Universitäts- oder Hochschulabschluss haben dagegen ein etwa geringeres Risiko, eine ADHS-Diagnose zu bekommen17. In Deutschland sind außerdem starke regionale Unterschiede bei der ADHS-Prävalenz zu beobachten. In Unterfranken erhält im deutschen Vergleich die höchste Anzahl an Kindern und Jugendlichen eine F90-Diagnose18. Während in den restlichen Gebieten von Deutschland die Diagnoserate F90 bei 11-jährigen Jungen durchschnittlich bei 12 % liegen, so sind in Unterfranken mehr als 18 % der Jungen betroffen. Bei den Mädchen liegt die deutschlandweite Diagnoserate bei etwa 4 %, in Unterfranken sind es wiederum 8,5 % der Mädchen im Alter von 11 Jahren, die eine F90-Diagnose erhalten.19.

2.3. Erklärungsmodelle

Es gibt in der Medizin noch keine deutliche Klarheit über die tatsächliche Ursache der Störung. Organische Faktoren in Form von diskreter Hirnfunktionsstörung seien ebenso beteiligt wie pränatale Traumata. Auch genetische Faktoren seien aufgrund des unausgeglichenen Geschlechterverhältnisses denkbar20. Es existieren verschiedene Theorien zu der Entstehung von ADHS, welche im Folgenden dargestellt werden. Eine endgültige Ursache wird die zukünftige Forschung belegen müssen.

2.3.1. Dopaminmangeltheorie

Eine erhöhte Dopamintransporterdichte (DAT) im Gehirn von ADHS-Patienten gilt hierbei als biologische Ursache der Krankheit. Wenn DAT erhöht ist, wird zu viel Dopamin zurücktransportiert, sodass im synaptischen Spalt ein dauernder Dopaminmangel herrscht. ADHS sei also eine Dopaminmangelkrankheit. Diese Theorie wurde allerdings widerlegt, da andere Studien teilweise gegenteilige Ergebnisse, also eine niedrigere Dopamintransporterdichte oder gar keinen Unterschied der ADHS-Klienten zu gesunden Menschen, aufzeigten21.

2.3.2. Hirnentwicklungsstörung

Andere Forschungsergebnisse wollen die Ursache von ADHS auf die Hirnaktivität zurückführen. Eine verringerte frontale Hirnaktivität ist auf eine weniger starke Durchblutung des Nucleus caudatus zurückzuführen. Der Nucleus caudatus ist eine zum Striatum gehörende Struktur, welche den vorderen Teil des Gehirns mit dem limbischen System verbindet. Nucleus caudatus spielt eine Rolle bei Verhaltenshemmung und Konzentration. Das limbische System wiederum ist teilweise für die Steuerung von Emotion, Motivation und Gedächtnis zuständig. Die Hirnbereiche, die für die Kontrolle und Steuerung des eigenen Verhaltens und die Kontrolle der Emotionen zuständig sind, werden folglich beeinträchtigt. Das reduzierte Hirnvolumen, ein zu geringes Maß an chemischer Aktivität oder eine zu geringe Durchblutung der genannten Hirnbereiche bilden die Grundlage für die Entstehung von ADHS22. Die Ursachen für die anomale Hirnentwicklung sind nicht genau bekannt. Es wird vermutet, dass Alkohol- und Nikotinkonsum während der Schwangerschaft, aber auch die genetische Vererbung von bestimmten „ADHS-Genen“ dazu beitragen23. Dieser Ansatz blendet Erziehungsfehler und ein schwieriges familiäres Umfeld aus und beharrt darauf, dass ein resultierendes schwieriges häusliches Umfeld nicht die Ursache für das ADHS sei, sondern die Erbanlagen, die Eltern und Kinder gemeinsam haben. Dabei bezieht sich Barkley (2005) vor allem darauf, dass Kinder von Eltern mit ADHS auch eher mit ADHS diagnostiziert werden24. Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen erhöhen das Risiko einer ADHS. Vor allem zu früh geborene Kinder haben ein stark erhöhtes Risiko, an ADHS zu erkranken. Außerdem würde durch einen „negativen, kritischen und autoritären Umgangsstil von Seiten der Mutter gegenüber ihren hyperaktiven Kindern“25 das Fortbestehen einer Verhaltensproblematik befürwortet werden, dies sei aber nicht der Auslöser einer ADHS.

2.3.3. Umwelteinflüsse

Schmidt (2019) wählt einen Ansatz zur Erklärung, der vor allem auf Erfahrungen in der Familie Wert legt. Familiäre Beziehungsstörungen seien die Ursache für eine spätere Entwicklung von ADHS. Er stellt ähnlich wie in der KIGGS Welle aus Kapitel 2.2. fest, dass Kinder von Eltern mit schlechter Schulbildung ein erhöhtes Risiko haben, mit ADHS diagnostiziert zu werden26. Auch Kinder, die in Familien mit chronischen Eltern-Kind-Konflikten aufwachsen, sind eher davon bedroht, an ADHS und anderen Verhaltensstörungen zu erkranken27. Schmidt knüpft an der Neurowissenschaft an und betont, dass das „Gehirn weniger programmatisch fertig und verhaltensverursachend sei, sondern zeitlebens >plastisch<“, also je nach Input ständig veränderbar“ ist28. ADHS sei keine vererbte genetische Disposition, sondern „ein Wechselspiel von (nicht ADHS-spezifischer) genetischer Grundausstattung und anschließendem Input“29. Der Input meint dabei die Erziehungs- und Umwelteinflüsse, die auf das Kind einwirken. Hirnfunktion und Hirnstrukturen verändern sich also durch neue Erfahrungen. Psychische Prozesse, zum Beispiel Lernerfahrungen, haben einen messbaren Einfluss auf hirnfunktionelle Vorgänge30. Daraus resultiert eine zu erreichende dauerhafte Verhaltensänderung als Ziel der Psychotherapie zur Behandlung der ADHS mit der Folge einer Hirnfunktionsänderung. So könnten Psychopharmaka nicht nur ersetzt werden, sondern im Gegensatz zu ihnen, eine über die Behandlung hinaus andauernde Verhaltensänderung bewirken. ADHS-Kinder können, wenn sie in einem günstigen sozialen Milieu aufwachsen, keine oder nur minimale Symptome der ADHS entwickeln. Deswegen fordert Schmidt31, dass auch die Umwelt in eine Behandlung eines ADHS-Kindes mit eingebunden werden müsse. Es müsse das störende Milieu des Kindes, also Familie, Kindergarten oder Schule mit behandelt werden.

2.3.4.Ganzheitlicher Ansatz

Neurobiologe Gerald Hüther (2006), einer der großen Kritiker im Umgang mit ADHS, sieht die Ursache nicht rein biologisch oder genetisch, sondern geht von einem ganzheitlichen Ansatz aus. Er vermutet, dass gestörte Bindungsbeziehungen, fehlende Strukturen und Rituale, Stress und inkompetente Erziehungsstile, Überlastung der Eltern und die daraus resultierende übermäßige und stressige Reizexposition aufseiten der primären Bezugspersonen dafür verantwortlich sind, dass eine zu frühe und zu starke Stimulation dopaminerger Neurone im Mittelhirn stattfindet und einen Kreislauf zwischen neuronalen Strukturen und Umwelterfahrungen auslöst. Dieser führt später zu übermäßig expansivem Verhalten und mangelhafter autonomer Impulskontrolle. Kinder, die bereits in jungen Jahren gestresst sind, entwickeln also ein überentwickeltes dopaminerges System. Wenn sie dann weiterhin unter ungünstigen psychologischen Bedingungen heranwachsen, unter denen ihre erhöhten, zerebralen Angebote nicht genutzt und stabilisiert werden können, kommt es zu einer Rückbildung nicht genutzter Strukturen und damit zu einer unzureichend entwickelten exekutiven Frontalhirnfunktion32. Die Folgen sind demnach Defizite in der Impulskontrolle, Handlungsplanung und Folgenabschätzung. Hüther bezeichnet dies als „Teufelskreis übersteigerten Antriebs und gleichzeitig mangelhafter Antriebskontrolle“33.

 

Die deutsche Ärztekammer fasst zusammen, dass die Ursachen und Entstehungsbedingungen von ADHS noch „nicht vollständig geklärt“34seien. Man gehe aber davon aus, dass ADHS nicht auf eine einzige Ursache zurückzuführen sei, sondern mehrere Komponenten an der Verursachung beteiligt seien. Das Auftreten von ADHS sei nicht auf die Veränderung einzelner Gene zurückzuführen. Eine multifaktorielle Genese verschiedener Gene und/oder die Wechselwirkung zwischen genetischen und exogenen Faktoren (zum Beispiel DAT-10, ein Gen, das mit ADHS in Verbindung gebracht wird, aber auch mütterliches Rauchen oder Trinken) seien eventuell die Ursache35.

Abschließend kann resümiert werden, dass die Wissenschaft sich weiterhin uneinig bei der eigentlichen Ursache der ADHS ist. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen jedoch eine Tendenz zu einer multifaktoriellen Ursache, sprich einer Mischung aus ungünstigen Umweltfaktoren als auch genetischen Dispositionen.36

2.4. Gibt es ADHS wirklich?

Insgesamt betrachtet lassen sich zwei Lager in der Diskussion um ADHS stets wiederfinden:

Die Seite, die von der Existenz von ADHS absolut überzeugt ist und Handlungsanweisungen für betroffene Eltern und Lehrer*innen schreibt. Dazu gehört zum Beispiel der amerikamische Psychologe Russel A. Barkley. Barkley ist der Ansicht, dass ADHS eine genetisch bedingte und vererbte Erkrankung ist37 und blendet bei seinen Werken die Rolle der Eltern und der Familie weitestgehend aus. Bereits auf dem Cover von Barkleys Buch „Das große ADHS-Handbuch für Eltern“ entdeckt man den folgenden Kommentar: „Es geht nicht mehr darum, <<Schuldige>> zu finden: ADHS ist primär genetisch bedingt und kann medikamentös beeinflusst werden“38. Diese Strömung schließt eine Entwicklung von ADHS durch falsche Erziehung, Ernährung, als Folge von Drogen oder Alkoholkonsum während der Schwangerschaft, als auch durch Traumata, aus39. Diese Bewegung verteidigt in der Regel die medikamentöse Behandlung und blendet die Nebenwirkungen der Medikamente weitgehend aus. Viele Eltern unterstützen diese Theorie und erfreuen sich darüber, wenn ihr Kind wegen ADHS hochintelligent oder besonders kreativ ist, obwohl dafür keinerlei Belege vorliegen40.

Auf der anderen Seite der Debatte stehen die Kritiker des „Konstrukt ADHS“, die daran zweifeln, dass ADHS tatsächlich eine reelle Erkrankung ist und nicht nur ein bequemer Weg, um Kinder mit Medikamenten zu sedieren, damit sie für ihre Umgebung weniger Anstrengung verursachen. Kritik wird hier vor allem auch gegenüber der Diagnose geäußert. Die Fragebögen seien zu vage formuliert und Angaben wie „oft“ oder „exzessiv“ würden einen zu großen Spielraum für den Diagnostiker darbieten. Verhaltensweisen, die für die Eltern und Lehrer*innen als „ärgerlich“ gelten, würden als Grundlage für eine angebliche Hirnstörung hingestellt, während kulturelle, schulische und familiäre Kontexte bei der Diagnose vollständig ausgeblendet werden würden41. Der Kriterienkatalog von ADHS sei eine „Liste von Wertungen von Verhaltensweisen, die für bestimmte Vertreter der Gesellschaft als unerwünscht gelten, was eine normative Setzung und keine medizinische Datenerhebung darstelle“42. Diese Strömung in der ADHS-Forschung steht vor allem der Verwendung von Ritalin als präsenteste Behandlungsmethode kritisch gegenüber. Hier wird eher eine multimodale Behandlung oder ein psychotherapeutischer Ansatz ohne Psychopharmaka verfolgt. Zu den präsentesten Vertretern dieser Ausrichtung gehören unter anderem der deutsche Neurobiologe Gerald Hüther und die amerikanische Ärztin Lydia Furman. Moderne Forschungsergebnisse zeigen, dass nur bei einer geringen Zahl der mit ADHS diagnostizierten Kinder und Jugendlichen tatsächlich eine Aufmerksamkeitsstörung vorliegt43. Das, was aus dem Umfeld des Kindes als Aufmerksamkeitsstörung beschrieben wird, sei motivational, durch Über- und Unterforderung und seelische Belastungen zu erklären. Es gäbe überhaupt keine ADHS-typischen Symptome. Alle ADHS-Symptome seien unspezifisch und eigentlich nur normale charakterliche Eigenschaften oder Teil einer anderen Störung, die durch unsorgfältige Ausschlussverfahren nur nicht gefunden wurden44.

2.5. Methylphenidat - Ritalin und Medikinet
2.5.1. Wirkung, Nebenwirkung und Verschreibung

Ritalin und Medikinet sind die in Deutschland am häufigsten verschriebenen Mittel zur Behandlung von ADHS45. Der Wirkstoff von Ritalin und Medikinet ist Methylphenidat. Methylphenidat gehört zur Gruppe der substituierten Phenylethylamine und ist ein psychomotorisches, verhaltensbeeinflussendes Stimulans. Die chemische Struktur ist mit der von Amphetamin verwandt. Methylphenidat blockiert den Dopamintransporter, woraufhin eine Wiederaufnahmehemmung von Dopamin aus dem synaptischen Spalt stattfindet46. Methylphenidat ist betäubungsmittelpflichtig, es ist also nur auf Rezept in der Apotheke zu erhalten und nicht frei zugänglich. Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehören Schlafstörungen, Appetitminderung, Tachykardie, Blutdruckerhöhung und Bauchschmerzen. Weiterhin besteht ein gewisses Missbrauchs- und Abhängigkeitsrisiko47. Methylphenidat hat eine Wirkung, die sehr ähnlich zu der von Amphetaminen wie zum Beispiel Kokain ist. Die Wirkung variiert aufgrund der Form des Konsums - Kokain wird in der Regel geschnupft, Ritalin wird als Pille konsumiert48.

Die Barmer GEK stellt im Jahr 2011 fest, dass 44,6% aller mit einer hyperkinetischen Störung diagnostizierten Klienten Methylphenidat zu sich nahmen, während vergleichsweise 9,5% Kontakt zu einem Psychotherapeuten hatten49.

Zu Beginn der Behandlung wird eine Dosis von 5-10mg am Tag verabreicht, diese kann bis auf maximal 60mg am Tag gesteigert werden. Das Medikament wird über den Tag verteilt in ein bis drei Tagesdosen konsumiert. Diese sollten so liegen, dass der Betroffene die „kritischen Tagesanforderungen“50 wie Schule oder Hausaufgaben bewältigen kann. Die Wirkungsdauer von Ritalin liegt bei etwa vier Stunden. Damit das Medikament über den gesamten Tag wirkt, gibt es auf dem Markt retardiert wirkende Präparate, die eine langfristigere Wirkstofffreisetzung ermöglichen. Diese erreichen eine Wirkung von bis zu zwölf Stunden. Dazu gehören Ritalin LA (longacting, lange wirkend) und Ritalin SR (sustained release, Freisetzung mit konstanter Geschwindigkeit)51. Stimulanzien werden verschrieben, wenn eine Diagnose nach ICD-10 Kriterien gegeben ist, die Symptomatik ausgeprägt ist und eine psychoedukative oder psychotherapeutische Hilfe nicht umsetzbar oder innerhalb einiger Wochen nicht hilfreich war. Wenn die Symptomatik sich hauptsächlich im schulischen Bereich zeigt, können Therapiepausen, zum Beispiel in den Ferien, eingelegt werden. Wird mit Methylphenidat keine ausreichende Wirkung beobachtet, werden d-l-Amphetamine empfohlen. Falls das Medikament die erwünschte Wirkung zeigt, wird eine mehrjährige kontinuierliche Medikation empfohlen52.

Als Amphetamin-Abkömmling sorgt Ritalin dafür, dass der Benutzer wach bleibt. Gleichzeitig vermindern sich die Aufmerksamkeitsstörungen, Hyperaktivität, Impuls-Kontroll-Störungen und aggressives Verhalten53. Das Stimulans Ritalin erhöht die Verfügbarkeit von Dopamin und Noradrenalin im Gehirn und erhöht somit die Aktivität der Hirnzellen, die wie oben beschrieben, für die Hemmung von Verhalten und Konzentration zuständig sind54. Die Sinne werden geschärft und der Benutzer wird ruhig. Dabei sind die Effekte allerdings nicht nur bei ADHS-Patienten zu beobachten, sondern auch bei Menschen ohne ADHS55. Nach einer Absetzung der Medikation hält die symptomreduzierende Wirkung abgeschwächt weiter an56.

Bei 50 bis 95 % der Kinder und Jugendlichen mit ADHS ist eine Verbesserung in den Bereichen „allgemeines Verhalten“, „schulische Leistung“ und „soziale Integrationsfähigkeit“ als Folge einer Medikation zu beobachten57.

Die Menge an verschriebenem Ritalin ist seit der ursprünglichen Einführung immens gestiegen. In Deutschland bekommen knapp 7% aller elfjährigen Jungen Methylphenidat verordnet58. Aus Abbildung 2 ist zu entnehmen, dass während 1994 noch deutschlandweit 42 kg Ritalin verschrieben wurden, es 2012 schon 1839 kg waren.


Abbildung 2 Abgabe von Methylphenidat durch Apotheken in Deutschland in den Jahren von 1994 bis 2014 (in Kilogramm)59

Quelle: In Anlehnung an Bundesintitut für Arzneimittel und Medzinprodukte (2015)60, zitiert nach de.statista.com


Es ist eine mehr als 40-fache Erhöhung an Ritalinkonsum seit dessen Einführung als Medikament zu beobachten61. Das Jahr 2013 zeichnet das erste Jahr mit rückläufigem Ritalinkonsum seit 199362. Dabei ist es fraglich, ob die Anzahl der ADHS-Diagnosen gesunken ist, oder Familien auf alternative Behandlungsmethoden umgestiegen sind. In Deutschland bestehen starke Unterschiede bezüglich Methylphenidat-Behandlungen. Die Region, in der deutschlandweit am meisten ADHS-Diagnosen und folglich Ritalin-Verordnungen gestellt werden, ist Unterfranken. Bei den Jungen aus Unterfranken in der Altersgruppe zehn bis zwölf erhalten 18,8 % die Diagnose ADHS, während 13,3 % auch Ritalin verschrieben bekommen. Auch hier sind wieder starke regionale Unterschiede zu beobachten, da Unterfranken mit der Menge an verschriebenem Ritalin deutlich über dem deutschen Schnitt von 6,5 % liegt. Es wird vermutet, dass dies einer Ballung von spezialisierten Zentren und ADHS-Experten zu verdanken ist63. Auch wenn der Ritalinkonsum rückläufig ist, wird in Abbildung 3 dargestellt, dass seit 2013 eine steigende Vergabe von Lisdexamfetamin zu beobachten ist64.


Abbildung 3 - Anzahl der Verordnungen von Mehtylphenidat, Atomoxetin und Lisdexamfetamin in Deutschland in den Jahren 2006 bis 2018(in Millionen DDD65)

Quelle: In Anlehnung an Lohse und Müller-Oerlinghausen (2019)66, zitiert nach de.statista.com


Lisdexamfetamin ist ein Abkömmling des Dexamfetamins und wird Kindern ab 6 Jahren verschrieben, die nur unzureichend auf eine Behandlung mit Methylphenidat reagieren. Seit seiner Einführung im Jahr 2013 erfreut sich das Medikament an Popularität - die Anzahl der Verordnungen steigt kontinuierlich an. Neben Ritalin und Lisdexamfetamin wird Kindern und Jugendlichen zudem Atomoxetin (Strattera) verschrieben. Es hat mit gehäuften Leberschäden und Angst, Depressionen und Aggressionen67 im Vergleich zu Ritalin sehr starke Nebenwirkungen, stellt aber auch nur die zweite Wahl bei der ADHS-Behandlung dar68. Im Vergleich zu Methylphenidat und Lisdexamfetamin wird Atomoxetin relativ selten verschrieben. Eine weitere medikamentöse Behandlung stellt die Vergabe von Amphetamin, hierzulande in Form von Attentin, dar. Auf dem amerikanischen Markt findet man außerdem Adderall, ein Gemisch aus Amphetamin-Salzen69.

 
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