Einführung Gerontopsychologie

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Aus der Reihe: PsychoMed compact
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EEG und MEG

Im Gegensatz zu fMRT, PET oder NIRS, die die Aktivität des Gehirns indirekt über die Messung von Stoffwechselaktivität messen, lässt sich mit der Elektroenzephalografie (EEG) und der Magnetenzephalografie (MEG) die elektrische bzw. magnetische Aktivität von Nervenzellen im Gehirn direkt beobachten. Beim EEG wird über auf dem Schädel platzierte Elektroden das elektrische Feld gemessen, das durch die Aktivität der Nervenzellen im Gehirn entsteht. Das MEG misst demgegenüber mit hochempfindlichen Sensoren, die in einem geschlossenen, helmartigen System über dem Kopf positioniert werden, das magnetische Feld, das durch den elektrischen Strom im Gehirn generiert wird. Beide Methoden messen dabei mit hoher zeitlicher Auflösung sowohl endogen generierte elektrische Oszillationen als auch aufgaben- oder reizabhängige Veränderungen in den Amplituden und Latenzen der elektrischen und magnetischen Signale.

Für MEG müssen die Sensoren mit flüssigem Helium gekühlt werden, um Supraleitfähigkeit zu garantieren. Aus diesem Grund sind die Sensoren, die sogenannten Squids („superconducting quantum interference devices“) in geschlossenen, helmförmigen Apparaturen untergebracht, die an den Kopf angelegt werden.

Die räumliche Auflösung von EEG und MEG hängt von der Anzahl der verwendeten Elektroden bzw. Sensoren ab. Gebräuchlich sind heutzutage beim EEG 64 – 128 Kanäle, beim MEG ca. 256 bis zu 512. Die begrenzende Größe beim EEG ist der zur Verfügung stehende Platz auf dem Schädel, beim MEG die Größe der Sensoren. Wenn man nur an der elektrischen Aktivität in bestimmten Arealen des Gehirns interessiert ist, verwendet man häufig nur wenige, spezifisch über den entsprechenden Orten befestigte EEG-Elektroden. Problematisch ist mit EEG und MEG die Lokalisation von neuronaler Aktivität in tiefen Regionen des Gehirns. Da mit beiden Methoden nur das elektrische bzw. magnetische Feld an der Oberfläche gemessen werden kann, muss die mögliche Quelle (oder die möglichen Quellen) für dieses Feld berechnet werden. Dieses sogenannte „inverse Problem“ hat jedoch in der Regel keine einzelne eindeutige Lösung. Aufgrund von Vorannahmen oder Messungen mit anderen bildgebenden Verfahren (z. B. der fMRT) wird dann die wahrscheinlichste Lösung bestimmt.

Auch wenn das EEG schon Anfang des letzten Jahrhunderts eine bedeutende Rolle in der Hirnforschung gespielt hat und routinemäßig eingesetzt wurde, gab es auch hier in den letzten Jahren methodische Entwicklungen, die zu einer Art Renaissance dieser Methode in der Neuropsychologie geführt haben. Dazu gehören sowohl technische Fortschritte, mit immer mehr und gegenüber den Nervenimpulsen immer empfindlicheren Elektroden, sowie auch enorme Fortschritte in Bezug auf die Analyse der gewonnenen Daten. Letzteres gilt genauso natürlich auch für die oben genannten bildgebenden Verfahren.


Inzwischen gibt es EEG-Systeme zu kaufen, die drahtlos im Feld und auch in Bewegung genutzt werden können, ohne das EEG-Signal maßgeblich zu beeinflussen.

Gehirnstimulation

Neben der Messung von Gehirnfunktionen versuchen Forscher heute auch zunehmend, Gehirnaktivität von außen zu beeinflussen, um etwas über die zugrunde liegenden Mechanismen und die Arbeitsweise des Gehirns zu erfahren. Verbreitete Verfahren sind in der Forschung die transkranielle Magnetstimulation (TMS) und die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS; transcranial direct current stimulation).

Transkranielle Magnetstimulation

Bei der TMS nutzt man die Tatsache, dass durch Stromfluss in einer Spule ein Magnetfeld erzeugt wird. Durch ein sehr schnelles Umschalten der Stromrichtung in der Spule und damit des Magnetfeldes wird wiederum unterhalb der Spule ein schwaches elektrisches Feld erzeugt. Die Stärke dieses elektrischen Feldes reicht aus, um die Nervenfortsätze (Axone) in dessen Bereich zu aktivieren oder zu inhibieren. Ob es zu Aktivierung oder Hemmung kommt, hängt insbesondere von der Stimulationsfrequenz ab – Frequenzen von 5 Hz und höher sind aktivierend, während Frequenzen um 1 Hz oder niedriger inhibierend wirken. TMS kann zum Beispiel genutzt werden, um ganze Hirnareale kurzzeitig ganz auszuschalten. Mit parallel durchgeführten Verhaltensexperimenten kann man dann untersuchen, ob die betreffenden Areale an einer bestimmten Aufgabe oder Funktion beteiligt oder sogar für diese unbedingt notwendig sind. Beide Arten der TMS werden überdies in der Therapie genutzt, um Über- oder Unteraktivierung von Gehirnbereichen zu behandeln (z. B. bei Depression oder Lernstörungen). TMS ist bei sachgerechter Anwendung nicht schmerzhaft oder invasiv. Wird es in der Nähe von Muskeln, z. B. des Gesichts oder des Nackens, angewendet, kann es jedoch zu vorübergehenden Kopf- oder Muskelschmerzen kommen. Auch aus diesem Grund wird TMS zunehmend durch tDCS ersetzt.

Transkranielle Gleichstromstimulation

Bei der tDCS wird über zwei Elektroden auf dem Schädel ein schwaches elektrisches Feld direkt im Gehirn induziert. Dieses elektrische Feld reicht gerade aus, um die elektrische Aktivität an den Synapsen im Gehirn zu verstärken oder abzuschwächen. Die Ströme sind in der Regel allerdings zu schwach, um direkt Nervenimpulse zu induzieren. Deshalb wird tDCS als Methode der Neuromodulation bezeichnet. Vor allem für den Patienten oder Probanden ist diese Methode noch weniger unangenehm als die TMS. Heute ist sie deshalb und wegen der geringen Kosten sowohl in der klinischen Forschung als auch in der Grundlagenforschung sowie in der Therapie weit verbreitet.

Kombination verschiedener Methoden

Strukturelle oder anatomische Daten sind in der Regel eng mit den neurobiologischen Mechanismen kognitiven oder psychologischen Alterns verknüpft. So ist es sehr wahrscheinlich, dass Atrophie im Gehirn Leistungseinbußen hervorruft. Andererseits lassen sich strukturelle Maße in Altersstudien nur schwer direkt mit Verhaltensdaten verknüpfen. Sie zeigen zum Messzeitpunkt das Ergebnis einer längeren oft lebenslangen Entwicklung mit entsprechend zahlreichen internen und externen Einflüssen.

Funktionelle Aktivierungsstudien lassen sich hingegen direkt zum Verhalten in Beziehung setzen und sind damit im Besonderen geeignet für die Untersuchung von funktionellen Reorganisations- und Kompensationsprozessen im alternden Gehirn. Im Unterschied zu strukturellen Methoden fällt es bei funktionellen Messungen allerdings schwer, zwischen neurogenen (biologisches Altern) und psychogenen (verändertes Verhalten) Ursachen zu unterscheiden.

Der Königsweg der neuropsychogerontologischen Forschung besteht heute darin, verschiedene Methoden, zum Beispiel (f) MRT und EEG miteinander zu kombinieren und somit die jeweiligen Vorteile der einzelnen Methoden zu nutzen. Allerdings erhöht dieses Vorgehen auch den Aufwand für die Untersuchenden und die Untersuchten.

Biologisches Altern wird trotz moderner Verfahren in Medizin und Neuropsychologie auch heute noch überwiegend an Tieren untersucht, wie zum Beispiel an Fruchtfliegen (Drosophila) oder Fadenwürmern (Nematoden). Aus Sicht der Forschung betrachtet ist der Vorteil dabei, dass diese Tiere sehr schnelle Generationszyklen haben, also schnell altern. Auch ist ihr Genom bereits sehr gut entschlüsselt und weniger komplex als bei Säugetieren, sodass altersbezogene Gene einfacher identifiziert werden können. Häufig werden auch Mäuse untersucht. Mäuse sind mit dem Menschen näher verwandt und Untersuchungen an Mäusen bieten die Möglichkeit, bestimmte Gene an- oder abzuschalten (Knock-out-Mäuse).

3.4 Zusammenfassung

In der Altersforschung gibt es eine Reihe von methodischen Rahmenbedingungen, die beachtet werden müssen und die über diejenigen bei üblichen neuropsychologischen Studien an Studenten oder jungen Erwachsenen hinausgehen. Besonders längsschnittliche Untersuchungen und Kohortendesigns haben in der Altersforschung eine große Bedeutung. Da der Alterungsprozess über Jahrzehnte von internen (biologischen, genetischen) und externen (Umwelt, Verhalten) Faktoren beeinflusst wird, altert im Prinzip jeder Mensch unterschiedlich. Für diese individuellen Faktoren muss ebenso kontrolliert werden, wie für eventuelle Kohorten- oder Selektionseffekte.

Experimentelle Designs und Testaufgaben müssen an die veränderte Leistungsfähigkeit und das Erfahrungswissen älterer im Vergleich zu jüngeren Probanden angepasst werden, um valide Ergebnisse zu erhalten. Gerade ältere Menschen leiden oft an multiplen Erkrankungen, die neuropsychologische Testergebnisse beeinflussen oder verfälschen können. Auch bei der Anwendung neurowissenschaftlicher Methoden zur Untersuchung des Gehirns müssen Erkrankungen berücksichtigt werden.

Weiterführende Literatur


Leonhart, R. (2008). Psychologische Methodenlehre / Statistik. Ernst Reinhard, München, Basel.

Toga A. W. & Mazziotta J. C. (2002). Brain Mapping: The Methods. Academic Press, San Diego.

3.5 Fragen zum Kapitel


1. Weshalb wird in der Altersforschung häufig von quasi-experimentellen Designs gesprochen? Wie unterscheiden sich diese gegenüber „rein“ experimentellen Designs?

2. Welche Variablenarten spielen in der (Alters-)Forschung eine besondere Rolle?

3. Inwiefern können Kohortenzugehörigkeiten Alterseffekte vorspiegeln?

4. Wie wird bei einer Querschnittsuntersuchung vorgegangen?

5. Welche Vor- und Nachteile bringt ein querschnittliches Untersuchungsdesign mit sich?

 

6. Worüber können Korrelationsstudien Aussagen treffen und wo liegen die Grenzen bezüglich des Aussagegehalts solcher Studiendesigns?

7. Welche statistischen Verfahren zur weiteren Auswertung einfacher Korrelationsstudien gibt es?

8. Was versteht man unter längsschnittlichen Designs? Welche Vor- und Nachteile bringen diese mit sich?

9. Welche unterschiedlichen Datentypen gibt es und was zeichnet den jeweiligen Typus aus?

10. Welche Schwierigkeiten können bei der Datengewinnung aus der Selbstbeurteilung auftreten?

11. Geben Sie ein Beispiel für quantitative Daten. Wo liegen die Vorteile dieser Daten?

12. Welche Vor- und Nachteile bringt die Datenerfassung per Laborexperiment mit sich und wo liegt der Unterschied zu Feldstudien?

13. Wofür eignen sich Fokusgruppen und wo liegen die Schwierigkeiten dieser Methode?

14. Worin unterscheiden sich MRT und EEG bezüglich der Art der Datengewinnung und welche Aussagen lassen sich über die räumliche und zeitliche Auflösung der jeweiligen Methode treffen?

15. Worin unterscheiden sich strukturelle von funktionellen Untersuchungsmethoden des Gehirns?

4 Physisches Altern

Altern geht mit einer Reihe biologischer Veränderungen einher, verbunden mit einer Reduktion der physischen Reservekapazität (Abbildung 4.1). Diese Altersveränderungen beruhen auf strukturellen (Gewebe, Organe, Zellbausteine) und physiologischen (Zellteilung, Hormone, Immunsystem etc.) Alterungsprozessen. Mit zunehmendem Alter kommt es u. a. zu Veränderungen des Bewegungsapparates (z. B. Knochendichte, Muskel-Fett-Verteilung), des Herz-Kreislauf-Systems (z. B. maximale Herzfrequenz und maximale Sauerstoffaufnahme, Blutdruck), der Funktionsfähigkeit der inneren und äußeren Organe (z. B. Magen- und Darmtrakt, Harn- und Geschlechtstrakt, Auge, Ohr) und des Stoffwechsels. In der Folge können wichtige Körperfunktionen ebenso beeinträchtigt sein wie sensorische oder motorische Funktionen.


Auch das Gehirn bleibt vom biologischen Altern nicht verschont. In der Folge können Einbußen der kognitiven Leistung, der Wahrnehmung oder der motorischen Kontrolle auftreten (s. auch Kapitel 5).

Altersveränderungen resultieren oft auch in Veränderungen des äußeren Erscheinungsbildes und prägen damit unsere Vorstellung vom Altern. Viele physiologische Veränderungen, wie z. B. die Abnahme der maximalen Herzfrequenz, sind allerdings nach außen kaum sichtbar und treten erst in extremen Belastungssituationen in Form von Funktionseinbußen in Erscheinung.

Ursachen des biologischen Alterns

Die Ursachen der biologischen Veränderungen im Alter liegen in intrinsischen (genetischen, Kapitel 1) und extrinsischen (z. B. toxische Substanzen, Lebensstil) Faktoren. Damit treten viele Altersveränderungen weder zwangsläufig mit gegebenem Umfang auf noch sind sie unwiderruflich. Sie können durch einen geeigneten Lebensstil oder Interventionen durchaus verzögert, vermieden oder kompensiert und teilweise sogar wieder rückgängig gemacht werden. Umgekehrt können z. B. beruflich bedingte Belastungen, wie chronischer Stress, fehlende Pausen und monotone Anforderungen, entscheidend zum Altern beitragen.

Altersveränderungen beginnen früh

Die Veränderungen der körperlichen Erscheinung und der Abbau von Körperfunktionen beginnen in der Regel bereits ab dem mittleren Erwachsenenalter, also etwa ab dem 30. bis 40. Lebensjahr (Abbildung 4.1). Die Prozesse verlaufen allerdings so langsam, dass viele Veränderungen noch nicht oder kaum bemerkbar sind, sondern erst im späteren Leben, oftmals auch erst im hohen Alter, deutlich in Erscheinung treten. Besonders im sogenannten vierten Alter (ab ca. 80 Jahre) nimmt die Verletzlichkeit des Organismus, d. h. die Anfälligkeit für gesundheitliche Störungen und funktionelle Einbußen, erkennbar zu.


Abb. 4.1: Altern verschiedener Körpersysteme (nach Whitbourne & Whitbourne, 2001).

In der Folge betrachten wir insbesondere die nachstehenden physischen Funktionen, da sie auch für das psychologische Altern und das Altern des Gehirns und seiner Funktionen relevant sind:

sensorische Funktionen (u. a. Sehen, Hören, Tastsinn),

motorische Funktionen (u. a. Haltungs- und Bewegungsapparat, Gleichgewicht, Gang, Handgeschicklichkeit)

Herz-Kreislauf-Funktionen (u. a. maximale Sauerstoffaufnahme, Vitalkapazität).

4.1 Sensorische Funktionen

Sehen

Schon ungefähr ab dem 30. Lebensjahr kommt es allmählich zu altersbedingten Veränderungen im Sehsystem. Diese Veränderungen betreffen sowohl die Struktur und Funktion des Auges und der Lichtrezeptoren als auch den Sehnerv, also die Reizweiterleitung zum Gehirn. Der Großteil der Menschen mit schweren Sehbeeinträchtigungen (ca. 70 %) ist jedoch 60 Jahre oder älter, und es bestehen große interindividuelle Unterschiede. Etwa 30 % der Menschen im Alter von 85 Jahren und älter erleben eine so starke Verringerung des Sehvermögens, dass dadurch ihr Alltag beeinträchtigt wird.

Altersweitsichtigkeit

Eine Verdickung und Versteifung der Linsen und eine Schwächung der Augenmuskeln führt zu einer Abnahme der Akkomodationsfähigkeit, also der Fähigkeit, durch entsprechende Krümmung der Linse das Bild scharf auf der Netzhaut abzubilden. Der nächste Punkt des schärfsten Sehens („Nahpunkt“) rückt dabei weiter in die Ferne. Ist der Nahpunkt so weit vom Auge entfernt, dass ein scharfes Sehen von nahen Gegenständen oder in der Hand gehaltenen Texten ohne optische Hilfsmittel (z. B. Lesebrille) nicht mehr möglich ist („die Arme werden zu kurz“), spricht man von Alters(weit)sichtigkeit (Presbyopie).

Dämmerungssehen

Eine ganze Reihe von Veränderungen am Auge führen im Alter zu weiteren Sehschwierigkeiten. So schrumpft der maximale Durchmesser der Pupille bei geringen Lichtintensitäten von 7 – 8 mm im Alter von etwa 20 Jahren auf ca. 4 mm im Alter von etwa 80 Jahren. Hinzu kommt, dass Glaskörper und Linse weniger lichtdurchlässig werden und besonders das kurzwellige (blaue) Licht verstärkt absorbieren. Diese Veränderung in der Lichtabsorption äußert sich dann in einer leichten Gelbfärbung der Linse, die auch von Laien mit bloßem Auge erkennbar ist. Trübt sich die Linse grau oder wird gar teilweise undurchsichtig, spricht man von einem Katarakt (s. u.). Insgesamt ist die Menge des Lichts, das die Netzhaut erreicht, im Alter um bis zu 2/3 reduziert. Somit wird das Sehen im Dämmerlicht schwieriger und ältere Menschen benötigen zum Lesen eine stärkere Beleuchtung. Die Sehfähigkeit bei dämmrigem Licht nimmt zweimal so stark ab wie am Tage.

Farbensehen

Die geringere Lichtausbeute des Auges hat auch Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Helligkeits- und Farbkontrasten. Da gerade in der Fovea (dem Bereich des schärfsten Sehens) ausschließlich die für das Farbensehen zuständigen Zapfen vorhanden sind, diese aber besonders viel Licht benötigen, sind insbesondere das Farbensehen, die Unterscheidung von Objekten und Gesichtern und das Lesen betroffen. Auch die Tiefenwahrnehmung ist von guten (Farb-)Kontrasten abhängig und damit im Alter schwieriger. Probleme mit der Farbunterscheidung treten allerdings bis zum 80. Lebensjahr hauptsächlich bei geringer Beleuchtung auf, ansonsten scheint das visuelle System einschließlich des Gehirns über Mechanismen zu verfügen, um diese Einbußen durch zusätzliche Verrechnungsschritte kompensieren zu können.


Ein besonders eindrückliches Beispiel für die veränderte Farbwahrnehmung im Alter ist oftmals bei älteren Frauen mit blondierten Haaren zu beobachten: Sie färben ihr Haar häufig bis in den Blaubereich hinein, weil dieser ihnen (noch) blond erscheint.

Dunkeladaptation und Blendung

Veränderungen in der Linse und dem Glaskörper wie z. B. eine höhere Lichtdurchlässigkeit der Hornhaut des Auges führen zu einer stärkeren Lichtstreuung im Auge. Dies erhöht die Empfindlichkeit für grelles Licht (Blendung). Auch die Adaptation an die Dunkelheit, z. B. beim Wechseln von einer hell erleuchteten zu einer dämmrigen Umgebung, wird schwieriger und dauert länger, weil die Pupille weniger flexibel ist.

Auswirkungen im Alltag

Alle Veränderungen am Auge führen zu Seheinbußen, die unmittelbare Auswirkungen auf die Alltagsgestaltung besitzen. So bereiten z. B. Probleme des Nahsehens Schwierigkeiten beim Lesen kleiner Schriftgrößen. Probleme älterer Menschen mit der Tiefenwahrnehmung und der Adaptation an Dunkelheit erhöhen die Wahrscheinlichkeit zu stolpern (das Betreten eines Kinos nach Beginn der Vorstellung wird schwieriger), beim Autofahren wird es in der Dämmerung und nachts schwieriger, Fußgänger zu erkennen. Die erhöhte Lichtempfindlichkeit führt zu einer verstärkten Blendung durch entgegenkommende Fahrzeuge. Für die Wahrnehmung und Wiedererkennung von Gesichtern sind unter anderem Farben und Kontraste sehr wichtig, sodass sich Auswirkungen auch auf soziale Interaktionen ergeben.

Während die sogenannte Altersweitsichtigkeit durch das Tragen einer Brille kompensiert werden kann, sind die weiteren beschriebenen Veränderungen gar nicht oder nur operativ zu behandeln.

Zur Unterstützung der Sehleistung sollte auf eine gute Beleuchtung der Arbeitsplätze, kontrastreiche Bildschirme, ausreichend große und gut lesbare Schriften (z. B. 12 Punkt, keine Serifen) (Adams & Hoffman, 1994) sowie auf deutliche Kontrastmarkierungen (z. B. an Bedienelementen und auf der Tastatur) geachtet werden. Weiterhin sollten grelles Licht sowie bestimmte Farbzusammenstellungen wie Blau-Grün-Kontraste vermieden werden.

Pathologische Veränderungen des Auges

Die oben beschriebenen Veränderungen in der Funktion des Auges und ihre Folgen für das Sehen sind mit zunehmendem Alter normal und müssen von pathologischen (krankhaften) Veränderungen abgegrenzt werden. Krankhafte Veränderungen, die mit zunehmendem Alter häufig zu beobachten sind, sind Katarakt, Glaukom und altersbedingte Makuladegeneration (AMD).

Beim Katarakt (auch Grauer Star genannt) handelt es sich um eine unnatürlich starke Trübung der Linse, die langsam immer weiter voranschreitet. Die Linse wird undurchlässig für Licht und das Bild dadurch matt und verschwommen, die Farbintensität und die Kontraste gehen verloren.

Glaukome (auch Grüner Star genannt) sind Schädigungen des Sehnervs, die z. B. durch erhöhten Augeninnendruck oder Durchblutungsstörungen verursacht werden. Es kommt zu Gesichtsfeldausfällen in den von den geschädigten Sehnerven betroffenen Bereichen der Retina.

Die Altersbedingte Makuladegeneration AMD bezeichnet eine Zerstörung von Sinneszellen in der Fovea (Sehgrube), also dem Bereich des schärfsten Sehens und der Farbwahrnehmung. Diese beiden Funktionen sind deshalb besonders betroffen: Genau dort, wo man gezielt hinschaut, verschwindet das Bild. Die etwas seltenere „nasse“ Form der AMD wird durch eine krankhafte Vergrößerung der Blutgefäße und ein Ausbluten aus den Gefäßen verursacht. Bei der häufigeren „trockenen“ AMD degenerieren die lichtempfindlichen Pigmentzellen in der Retina, die Zapfen und Stäbchen werden unwiderruflich geschädigt.

Hören

Etwa 30 % aller Personen im Alter von 65 Jahren oder älter leiden unter Einschränkungen des Hörvermögens. Dabei nimmt das Hörvermögen von Männern im Allgemeinen früher und etwa doppelt so schnell ab wie das von Frauen. Ein Unterschied, den man auf eine stärkere Lärmbelastung in einigen von Männern dominierten Berufen zurückführt (Brant & Fozard, 1990).

 

Ursachen für eine Schwerhörigkeit sind in allen Bereichen der beteiligten Organe zu finden: im Außenohr (Ohrmuschel und Gehörgang), im Mittelohr mit den Gehörknöchelchen, im Innenohr, der sogenannten Hörschnecke oder Cochlea, in der sich die auf die Schallempfindung spezialisierten Haarsinneszellen befinden, und auch im Bereich der Hörnerven oder der Hörrinde im Gehirn. Je nach Ursprung oder Ursache spricht man deshalb auch von einer Schallleitungsschwerhörigkeit, wenn Außen- und Mittelohr gestört sind, einer Schallempfindungsstörung, wenn das Innenohr betroffen ist, und von einer neuralen bzw. zentralen Schwerhörigkeit, wenn Veränderungen des Hörnervs oder des Gehirns ursächlich sind.

Schallleitungsschwerhörigkeit

Altersbedingte Ursachen für eine Schallleitungsschwerhörigkeit sind Veränderungen im Außen- und Mittelohr, die die Effektivität der Weiterleitung der Schallwellen ins Innenohr vermindern. Dazu gehören:

Die vermehrte Produktion von Ohrenschmalz und Verstopfung des Gehörgangs,

die Versteifung und geringere Flexibilität von Trommelfell (Übergang vom Außen- zum Mittelohr) und Basilarmembran (Übergang vom Mittel- zum Innenohr),

und die Abnahme der Beweglichkeit der Gehörknöchelchen.

Altersschwerhörigkeit

Im Falle einer Schallempfindungsstörung in Folge von altersbedingten Veränderungen des Innenohrs spricht man von der Altersschwerhörigkeit (Presbyakusis). Ursächlich hierfür ist vor allem ein sich mit der Lebenszeit akkumulierender Verlust von Haarsinneszellen durch mechanische Beschädigungen in Folge zu lauten Schalls, durch sogenannte ototoxische Substanzen (manche Antibiotika), durch Infektionen des Innenohrs oder auch durch eine reduzierte Blutversorgung.

Haarsinneszellen können schon durch einmalige sehr laute Geräusche mechanisch geschädigt werden. Da diese Schäden irreversibel sind, ist es zur Vorbeugung der Altersschwerhörigkeit ratsam, von Kindheit an die Ohren vor zu lauten Geräuschen (z. B. beim Musikhören mit „In-Ear-Kopfhörern“ oder in der Disko) zu schützen. Wichtig ist ggf. auch ein Gehörschutz am Arbeitsplatz.

Zu den funktionellen Einbußen in Folge einer Presbyakusis gehören:

ein Absinken der Hörschwelle (Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung leiser Töne, besonders bei hohen Frequenzen),

eine erhöhte Lautstärkeempfindlichkeit,

eine erhöhte Empfindlichkeit für Hintergrundrauschen und Echos,

Störungen des Sprachverständnisses und

Ohrgeräusche (Tinnitus).

Erstes Anzeichen einer beginnenden Altersschwerhörigkeit ist ein bemerkbarer Gehörverlust hoher Frequenzen. Allmählich geht die Beeinträchtigung auf alle Frequenzen über, so dass es im späteren Leben schwieriger wird, menschliche Sprache und leise Geräusche zu erkennen (Abbildung 4.2).

Obwohl die betroffenen Personen Probleme im leisen bis mittleren Lautstärkebereich haben, reagieren sie häufig sehr empfindlich im lauten Bereich (Rekrutierung, Lautheitsausgleich), d. h. trotz eines Hörverlustes bleibt die „Unbehaglichkeitsgrenze“ im Bereich eines „Normalhörers“ (Hellbrück, 1996).


Abb. 4.2: Altersbedingte Schallempfindungsstörungen bei Männern (schwarz) und Frauen (dunkelgrau). Bei der Altersschwerhörigkeit sind vor allem die hohen Frequenzen des Sprachbereichs (hellgrau) betroffen. Dadurch ist das Verständnis von Konsonanten erheblich gestört, was z. B. zu Schwierigkeiten beim Verständnis ähnlich lautender Wörter führt (z. B. Unterscheidung von schlägt und pflegt) (nach Schmidt, Unsicker & Birbaumer et al., 2003).

Komplexe Tonmuster

Zusätzlich wird das Unterscheiden komplexer Tonmuster schwieriger. Das kann z. B. dazu führen, dass im Getöse des Verkehrs gesprochene und nicht gesprochene (z. B. Hupen) Warnungen nicht immer korrekt verstanden und interpretiert werden. Sobald der Fernseher oder das Radio läuft, kann einer Unterhaltung nicht mehr gefolgt und das Telefonklingeln oder das Klopfen an der Tür nicht gehört werden (s. Kasten Cocktail-Party-Effekt).

Schwierigkeiten bei der auditiven Sprachwahrnehmung können häufig durch andere Faktoren kompensiert werden. So kann in einer Unterhaltung der Kontext des Gesprochenen genutzt werden, um undeutlich oder gar nicht wahrgenommene Wörter im Geiste zu korrigieren oder zu ergänzen. Ein mit Alter und Erfahrung anwachsender Wortschatz und ausgeprägtes Sprachvermögen sind hier von großem Vorteil (Kapitel 6).

Eine andere Möglichkeit zur Kompensation von Problemen beim Sprachverständnis aufgrund von Altersschwerhörigkeit ist die Nutzung visueller Informationen. Lippenbewegungen gehen dem Schall bis zu 250 ms voraus. Auch ungeübte Lippenleser können mithilfe ihrer Erfahrung aus unzähligen persönlichen Gesprächen unter Augenkontakt diese Information nutzen, um den zu erwartenden Laut unbewusst vorherzusehen und diesen, auch wenn er rein auditiv nicht eindeutig wahrgenommen werden kann, richtig zu deuten.

Mislokalisation

Ein Beispiel für eine neurale Störung im Alter sind Probleme bei der Lokalisierung von Schallquellen. Die Schalllokalisation beruht auf unterschiedlichen Entfernungen der beiden Ohren zur Schallquelle und damit auch Unterschieden in den Laufzeiten der entsprechenden Signale von den beiden Ohren zum Gehirn. Da im Alter oftmals die Geschwindigkeit der Reizweiterleitung in den peripheren Nerven reduziert ist, kann es zu Fehlern in der Berechnung und damit zu Mislokalisationen kommen. Hier können visuelle (oder auch taktile) Signale bei der Lokalisation helfen.

„Cocktail-Party-Effekt“

Unter dem „Cocktail-Party-Effekt“ versteht man die Fähigkeit, in einer Umgebung mit mehreren sich überlagernden Schallquellen, z. B. einer Cocktail-Party, einzelne Geräusche der jeweiligen Quelle zuzuordnen, die Geräusche einer Quelle zu verstärken und diejenigen anderer Quellen zu unterdrücken. Auf diese Weise kann man z. B. den Worten eines bestimmten Sprechers folgen, auch wenn mehrere Menschen gleichzeitig und gleich laut sprechen. Für diesen Effekt ist das binaurale (also das beidohrige) Hören unbedingt erforderlich, weil es die genaue Lokalisation der ausgewählten Schallquelle erfordert. Ältere Menschen haben deshalb zunehmend Schwierigkeiten, den Cocktail-Party-Effekt zu erzielen.

Hörverlust hat zwar einen geringeren Einfluss auf die Selbstversorgung als Sehverlust, kann aber ebenfalls die Alltagsgestaltung beeinträchtigen. Auch wirkt er sich negativ auf viele Bereiche der Kognition aus (Kapitel 6). Bei Schwerhörigkeit sind Hörgeräte und niedrige Hintergrundgeräusche hilfreich. Außerdem hilft langsames, deutliches Sprechen und guter Augenkontakt. So können ältere Menschen durch die Beobachtung des Gesichtsausdrucks, der Gesten und Lippenbewegungen das gesprochene Wort interpretieren. Bei allen Maßnahmen sollte unbedingt die Lautstärkeempfindlichkeit beachtet werden.

Tastsinn

Ebenso wie beim Sehen und Hören beginnt die Alterung des Tastsinns, also der taktilen Wahrnehmung, schon ab dem frühen bis mittleren Erwachsenenalter. Der Abbau beschleunigt sich jedoch ab einem Alter von ca. 45 Jahren und ab dem 70. Lebensjahr sind fast alle älteren Menschen von Veränderungen des Tastsinns betroffen (Reuter et al., 2012).

Altersbedingte Veränderungen der taktilen Wahrnehmung haben eine große Bedeutung für die Selbstständigkeit im Alter. Ob beim Greifen von Objekten, beim Schnüren von Schuhbändern oder bei der Orientierung im Dunkeln kommt dem Fühlen im Alltag eine Schlüsselrolle zu. Gerade der Tastsinn an den Fingerspitzen ist dabei von großer Wichtigkeit, um zum Beispiel Berührungen wahrzunehmen, kleine Objekte zu unterscheiden, Oberflächen zu identifizieren oder auch Bewegungen von Objekten zwischen den Fingern oder in der Hand zu erkennen.

Wie beim Hören lassen sich auch in Bezug auf den Tastsinn altersbedingte Veränderungen in der Peripherie (also der Haut), in der Reizweiterleitung und in der zentralnervösen Verarbeitung feststellen. Mit zunehmendem Alter kommt es zu einem Verlust von Rezeptoren in bestimmten Hautregionen und zu einer Verlangsamung der Blutzirkulation in den Extremitäten. Zusammengenommen können diese Veränderungen zu einer reduzierten Empfindlichkeit gegenüber Berührungen, Vibrationen und Bewegungen, besonders an den Fingerspitzen, aber auch an Armen, Schultern und Wangen (Stuart et al., 2003) führen.

Auch wird die Haut mit dem Alter weniger elastisch und bekommt Falten. Ob und wie sich diese Veränderungen auf die Empfindlichkeit der Haut und die Verarbeitung taktiler Reize auswirken, ist aber noch ungeklärt. Die wissenschaftlichen Befunde sind diesbezüglich widersprüchlich.

Im Bereich der Reizweiterleitung lässt sich mit zunehmendem Alter ebenfalls eine Abnahme der Zahl und Dichte der Nervenfasern beobachten. Da dadurch unter anderem auch die Leitungsgeschwindigkeit abnimmt, kann weniger Information mit geringerer Genauigkeit verarbeitet werden.


Studien zeigen, dass die Fähigkeit, schnelle Vibrationen auf der Hautoberfläche zu erkennen und zu unterscheiden, stärker vom Alter beeinträchtigt ist als die Unterscheidung langsamer Vibrationen (z. B. Gescheider, 1997). Da unterschiedliche Rezeptoren in der Haut auf schnelle und langsame Vibrationen spezialisiert sind, deuten diese Befunde darauf hin, dass bestimmte Rezeptor-Typen von den Altersveränderungen stärker betroffen sind als andere.

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