Zwischen Sommer, Heu und Weihnachten

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Zwischen Sommer, Heu und Weihnachten
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Zwischen Sommer, Heu und Weihnachten

Erzählungen für Klein und Groß

Beatrice Dosch


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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2020 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2018.

Cover gestaltet mit Bildern von © Thorsten Meier, © Heike Georgi sowie

© Yuri Trots (Hintergrund) – Adobe Stock lizensiert

Herstellung und Lektorat: Redaktions- und Literaturbüro MTM

ISBN: 978-3-86196-764-4 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-338-5 - E-Book

*

Inhalt

Fuchs, hast du das Huhn gestohlen?

Der Wald soll bleiben

Sommer, Sonne, Strand und Meer

Ein Sommertag am See

Ein Sprung zu viel

Wie Merle zu ihrem Pony kam

Auch Mädchen können Fußball spielen

Geister gibt es nicht

Freitag, der 13.

Die Zooparty

Es war einmal ...

Über sieben Brücken musst du gehen

Der Planet der Einhörner

Der Adventskalender

Fröhliche Weihnachten?

Weihnachten mit Hufgetrappel

24. Dezember

Am Tag

Erlkönig reloaded

Frei nach Kafkas „Kleine Fabel“

Die Autorin

Unser Buchtipp

*

Fuchs, hast du das Huhn gestohlen?

Meister Lampe saß in seiner Werkstatt und bemalte fleißig weiße Eier mit bunter Farbe. Von draußen drang Vogelgezwitscher herein und die Sonne schien durch das geöffnete Fenster direkt auf sein halb fertiges Meisterwerk. „Wenn der Tag schon so gut anfängt,“ dachte Meister Lampe, „kann er ja nur besser werden.“ Wenn er sich da mal nicht getäuscht hatte. Seine Kinder spielten fröhlich im Garten und seine Frau hing Wäsche auf. Das Ei auf der Halterung vor ihm bekam einen letzten Pinselstrich und war endlich fertig. Meister Lampe griff in den Korb, um das nächste weiße Ei bemalen zu können.

Doch seine Hand griff ins Leere. Er fuhr mit der Hand durch den gesamten Korb, doch er fand kein Ei. Irritiert wendete Meister Lampe den Kopf und setzte seine Brille ab. Es lag wirklich kein Ei im Korb. Er setzte seine Brille wieder auf, doch der Korb blieb leer. Meister Lampe rief seine Frau und bat sie, im Hühnerstall nach Nachschub zu fragen. Seine Frau machte sich sofort auf den Weg und Meister Lampe machte sich daran, die fertiggestellten Eier zu sortieren. Schließlich waren es nur noch wenige Tage bis Ostern und es sollte doch alles perfekt vorbereitet sein.

Jedes Kind bekam ein Nest mit bunt bemalten Eiern geschenkt, dass er, Meister Lampe, persönlich verstecken würde. Für die Kleineren etwas leichter und für die Größeren etwas schwerer, wie jedes Jahr. Gerade legte er das letzte Ei an seinen vorgesehen Platz, als seine Frau aufgeregt rufend in den Garten stürzte. Sie rief: „Die Hühner sind weg, die Hühner sind weg.“

Meister Lampe verließ seine Werkstatt und kam seiner Frau entgegen. „Wie, die Hühner sind weg?“, fragte er.

„Na, weg. Nicht in ihrem Stall und auch nicht auf der Wiese“, antwortete seine Frau. Sie war immer noch ganz aus dem Häuschen.

„Und sie haben keinen Brief dagelassen?“ Meister Lampe stutzte. Seine Frau schüttelte den Kopf. Normalerweise hinterließen die Hennen ihm immer eine Nachricht, wenn sie ein paar Tage nicht im Stall anzutreffen waren.

Aber dass sie so kurz vor Ostern und ohne Nachricht einfach verschwanden, das hatte Meister Lampe noch nie erlebt. „Was machen wir denn jetzt? In ein paar Tagen ist Ostern“, fragte seine Frau aufgeregt.

„Wir müssen die Hennen suchen“, entgegnete Meister Lampe und trommelte seine Kinder zusammen.

Als alle versammelt waren, schlug Meister Lampe einen ernsten Ton an und erklärte: „Die Hühner sind verschwunden. Wir wissen nicht, wo sie hingegangen sind, deshalb werden wir sie jetzt suchen gehen. Ihr geht immer zu zweit und sucht alles ab. Wer die Hühner findet, geht zur Klopfschale und gibt das Klopfzeichen. Verstanden?“

Die Kinder nickten und seine älteste Tochter fragte: „Und wenn der Fuchs die Hühner geholt hat?“

Einer seiner Söhne lachte und begann Fuchs du hast die Gans gestohlen zu singen. Das ließ sich Meister Lampe nicht gefallen und strafte seinen Sohn mit einem bösen Blick. Dieser verstummte sofort und zog seine langen Löffel schuldbewusst ein.

Für eine Zurechtweisung war keine Zeit und so schickte er seine Hasenkinder suchen. Er verschloss die Werkstatt und machte sich ebenfalls mit seiner Frau auf die Suche. Der Tag wurde doch nicht immer besser, wie er gedacht hatte. Eher entwickelte sich dieser Tag zu einem Albtraum.

„Und wenn Lilli recht hat?“, riss seine Frau Meister Lampe aus seinen Gedanken.

„Dann kann der Fuchs neue Eier besorgen. Du weißt, dass er wenigstens vor mir Respekt hat“, antwortete Meister Lampe.

„Die armen Hennen“, murmelte seine Frau.

Sie suchten noch einmal im Hühnerstall nach Hinweisen für den Verbleib der Hühner. Doch außer ein paar Federn fanden sie nichts. Auch die Wiese, auf der die Hühner so gerne scharrten, war leer. Weit und breit konnte das Ehepaar Hase keine Hühner entdecken. Und so machten sie sich auf den Weg in den Wald. Vielleicht hatten die Hennen einen kleinen Ausflug unternehmen wollen.

Im schattigen Wald begegneten sie einem roten Eichhörnchen, das gerade dabei war, schon wieder neue Nüsse für den nächsten Winter zu sammeln. Dabei war der letzte Winter doch gerade erst zu Ende und der Frühling erst wenige Tage alt.

„Guten Tag, liebes Eichhörnchen. Hast du die Hühner gesehen?“, grüßte Meister Lampes Frau.

Das Eichhörnchen verneinte, meinte aber: „Heute früh gab es eine ganz schöne Aufregung im Hühnerstall. Keine Ahnung, was da los war.“

„Danke“, sagte Meister Lampe und wechselte einen sorgenvollen Blick mit seiner Frau. Das Eichhörnchen verschwand auf den nächsten Baum und Meister Lampe und seine Frau setzten die Suche fort. Sie waren noch nicht weit gekommen, da lief ihnen der Hirsch des Waldes über den Weg.

„Guten Tag, Herr Hirsch“, grüßte Meister Lampe. „Hast du vielleicht die Hennen gesehen?“

Der Hirsch nickte. „Ich habe mich schon gewundert. Sie sind wie die Wilden in den Wald gerannt. Aber wo sie jetzt sind, kann ich euch nicht sagen.“

„Trotzdem vielen Dank und einen schönen Tag“, verabschiedete sich Meister Lampes Frau. Also war tatsächlich etwas Schlimmes passiert. „Wir müssen die Hühner schnell finden“, sagte er deshalb zu seiner Frau. Diese nickte und sie gingen weiter in den Wald hinein.

Plötzlich raschelte es hinter einem Busch. „Hast du das gehört?“, fragte seine Frau ängstlich. Meister Lampe nickte und wollte sich den Busch genauer ansehen.

„Sei vorsichtig“, flüsterte seine Frau.

Gerade wollte Meister Lampe die Zweige beiseiteschieben, da sprang ein Huhn hinter dem Busch hervor. Die beiden Hasen erschraken und auch das Huhn gackerte laut. Nach dem ersten Schrecken, fragte Meister Lampe: „Was machst du denn hier ganz alleine im Wald?“

„Der Fuchs, er hat gedroht, uns zu fressen. Und da sind wir in den Wald gegangen, um uns zu verstecken“, erklärte das Huhn.

„Aber warum seid ihr denn nicht zu mir gekommen?“, fragte Meister Lampe.

Die Henne zuckte mit den Schultern und meinte: „Wir waren in Panik, da haben wir ganz vergessen, dir Bescheid zu geben.“

„Kannst du die anderen zusammenrufen? Ich regele das mit dem Fuchs. Ein paar wehrlose Hennen anzugreifen. So was Feiges! Und dann auch noch meine Osterhennen! Der kann was erleben.“ Meister Lampe war richtig wütend geworden.

 

„Jetzt beruhige dich doch bitte wieder. Es ist doch noch nichts Schlimmes passiert“, bat seine Frau. Meister Lampe seufzte und das Huhn ließ einen lauten Schrei hören.

Kurz darauf waren alle Hennen wieder beisammen und Meister Lampe führte sie zurück zum Stall. „Hier kann euch nichts passieren. Meine Hasenkinder werden Wache halten und den Fuchs knöpfe ich mir auch noch vor“, versicherte Meister Lampe. Seine Frau war unterdessen zur Klopfschale gehüpft und hatte ihren Kindern das Klopfzeichen gegeben. Sie kamen auch sogleich herbei und freuten sich, dass die Hennen wieder da waren. Meister Lampe konnte seine Eier fertig bemalen und das Osterfest war gerettet.

Und der Fuchs? Der hatte sich kleinlaut in seinen Bau zurückgezogen, als Meister Lampe ihm ordentlich die Leviten gelesen hatte. So war alles wieder in bester Ordnung.

*

Der Wald soll bleiben

Wenn ich aus meinem Fenster schaue, sehe ich den Waldrand. Hohe Bäume, im Sommer mit grünem Blätterdach und im Winter kahl wie die Glatze meines Vaters. Ich sitze oft vor meinem Fenster und starre in den Wald. Wenn das Fenster offen ist, kann ich die Vögel hören und nachts hin und wieder einen Uhu. Abends trauen sich häufig Rehe in unseren Garten, der nicht umzäunt ist, und genießen das saftige, bewässerte Gras. Das Bild wirkt auf den ersten Blick idyllisch.

Doch wenn ich durch den Flur in das Zimmer meiner Schwester gehe, komme ich in eine andere Welt. Von ihrem Fenster aus sieht man die Autobahn, die nicht weit entfernt die Landschaft zerschneidet wie eine Schere das Papier. Und rechts und links neben dem großen Gehöft uns gegenüber klaffen Baugruben.

Früher hatte ich mir immer gewünscht, dass es mehr Kinder in unserem Dorf gibt, doch mit den Jahren habe ich die Ruhe zu schätzen gelernt. Nun ist sie zur Ruhe vor dem Sturm geworden. Der Wald soll weg. Man braucht das Gebiet für andere Zwecke. Das einzig Konstante in meinem Leben soll nun einfach ausgelöscht werden.

In der Schule wird uns allen Nachhaltigkeit gelehrt, doch sobald jemand das nötige Kleingeld mitbringt, wird dieser Aspekt hinten angestellt. Das Leben besteht aus Veränderungen, das bekomme ich nun einmal mehr zu spüren.

Ich wende meinen Blick von der unberührten Natur ab und gehe zu meinem Schreibtisch. Das Vokabelheft liegt aufgeschlagen da und fordert mich auf, zu lernen. „Nachher“, denke ich und verlasse den Raum.

Meine Mutter steht in der Küche und bereitet das Abendbrot vor. „Wo willst du denn jetzt noch hin?“, fragt sie lauernd.

Ich verdrehe heimlich genervt die Augen und sage nur: „Ostwind.“

Meine Mutter seufzt, lässt mich aber ziehen.

Ostwind ist mein Wallach, mehr oder weniger benannt nach dem gleichnamigen Kinofilm. Allerdings hat mein treuer Gefährte wenig mit dem anmutigen schwarzen Hengst Mikas gemein. Vielmehr ist er das komplette Gegenteil, treuherzig und brav. Vor ein paar Jahren, als der erste Ostwind-Teil in die Kinos kam, hatte ich das gescheckte Pony auf einer Auktion entdeckt. Das arme Tier war völlig verwahrlost und eigentlich zum Schlachten freigegeben. Es hat mich damals einige Überredungsarbeit gekostet, meinen Eltern Ostwind aufzuschwatzen. Doch da er zu einem Spottpreis zu haben war und unser Nachbar einen neuen Gefährten für sein Pferd brauchte, stimmten sie zu. Vermutlich hofften sie, das Pferd sofort wieder bei unserem Nachbarn loszuwerden, doch Ostwind ist mein Pferd geblieben.

An der Weide angekommen, wiehert mir mein gescheckter Wallach schon zu und trabt auf mich zu. Er hat tatsächlich mittlerweile erschreckende Ähnlichkeit mit Archibald, dem Pony von Tinka. Weshalb ich mich ernsthaft frage, warum ich ihn Ostwind genannt habe. Ich hake den Panikhaken im Halfter ein und fange auch seinen besten Kumpel Oskar. Dafür, dass ich die Stallarbeit übernehme, steht Ostwind hier fast kostenlos.

Als beide Pferde bedächtig mampfend in ihren Boxen stehen, lehne ich mich an die gegenüberliegende Wand und beobachte die beiden. Pferd müsste man sein. Die bekommen gar nicht mit, was sich in der nächsten Zeit alles verändern wird. Sie sind für den Moment glücklich.

Mit einem Mal durchzuckt mich das Bild einer gelben Blüte, die aber auch weiße Blätter mit brauner Maserung trägt. Diese Blume war mir bei meinem letzten Ausritt besonders ins Auge gestochen und ich hatte mir eigentlich vorgenommen, nach ihr im Internet zu suchen. Schnell verabschiede ich mich von Ostwind und renne zurück in mein Zimmer.

Ungeduldig trommele ich mit den Fingern auf der Tastatur herum, während mein Laptop in der Schnelligkeit einer Schnecke hochfährt.

Endlich leuchtet mir Ostwinds Kopf entgegen und ich klicke hastig auf das Internet-Symbol. Google öffnet sich und ich tippe gelbe Blume mit weißen Blüten und brauner Maserung ein. Sofort erkenne ich die Pflanze wieder, die rechts auf einem kleinen Bild zu sehen ist.

Ich klicke den Wikipedia-Artikel an. Die Bunte Schwertlilie hatte ich also im Wald entdeckt. Mein Herz macht einem Hüpfer, als ich lese, was darunter steht:

Die Bunte Schwertlilie steht in Deutschland unter strengem Schutz.

Vielleicht konnte ich den Wald ja doch noch retten. Wenn Vögel ein Konzert von Ed Sheran verhindern können, kann eine Pflanze auch die Abholzung meines Waldes verhindern. Ich würde diese Neuigkeiten beim Abendbrot sofort meinem Vater erzählen, der würde schon wissen, was jetzt zu tun ist. Beruhigt griff ich nach dem noch immer aufgeschlagenen Vokabelheft und begann zu lernen.

*

Sommer, Sonne, Strand und Meer

Endlich, die Sommerferien waren da und wir genossen den Urlaub an der Ostsee. Das Wetter war seit Tagen super und der Strand der schönste Platz der Welt.

Gleich nach dem Frühstück ging es ans Meer, und wenn ich mal nicht im Wasser war, spielte ich Volleyball oder Boccia mit meinen Geschwistern. Manchmal las ich sogar ein Buch, was bei mir wirklich selten vorkommt. Doch unter Mittag war es auch mir manchmal zu warm und ich legte mich in den Schatten unseres Sonnenschirms.

„Hey, kommst du mit ins Wasser?“, fragte Finn, mein jüngeren Bruder.

„Na klar“, antwortete ich und sprang auf. Ich hatte mir extra vor dem Urlaub einen neuen Bikini gekauft, den ich jetzt das erste Mal trug.

Ich jagte meinen kleinen Bruder ins Wasser und sprang hinter ihm in die Wellen. Das Meer war angenehm kühl. Ich tauchte durch eine Welle hindurch und mein kleiner Bruder fing an zu lachen, als ich mit einer Alge auf dem Kopf wieder auftauchte.

„Igitt“, angewidert nahm ich die Pflanze von meinem Kopf und schmiss sie zurück ins Meer. „Das ist gar nicht lustig“, sagte ich zu meinem Bruder, der immer noch lachte. Als er nicht aufhören wollte, spritzte ich ihn nass, woraufhin er die Flucht ergriff. Ich jagte ihm nach und er jauchzte und schrie vor Spaß. Irgendwann wurde es mir zu anstrengend und ich gab auf.

„Fang mich doch“, rief mir Finn zu und versuchte, mich zum Weitermachen zu animieren.

„Ich brauch mal eine Pause“, rief ich zurück und suchte mir eine Sandbank, wo mir das Wasser nicht mehr bis zum Kinn stand.

„Wollen wir Ball spielen“, fragte meine jüngere Schwester Karla.

„Gerne“, antwortete ich und Finn rief ich zu: „Spielst du mit?“ Finn ließ sich das nicht zweimal sagen und kam zu uns.

Eine Weile spielten wir Ball, bis unsere Eltern uns wieder aus dem Wasser scheuchten, damit wir eine Pause einlegten.

Es war halb eins und meine Mutter fragte: „Wer hat alles Hunger auf ein Fischbrötchen?“

Das ließ sich niemand entgehen und alle riefen begeistert: „Ich“ oder „Ja.“

„Soll ich gehen?“, bot ich mich an. „Ich muss eh mal zur Toilette.“

„Das wäre nett.“ Meine Mutter drückte mir einen Zehner in die Hand und ich machte mich auf den Weg zum Hafen. Dieser lag nicht weit entfernt und besaß einen kleinen Kutter, von dem aus Fisch verkauft wurde. Im Hafen angekommen, verdrückte ich mich erst schnell auf Toilette und stellte mich dann hinten in die Schlange für die Fischbrötchen.

Heute war sie besonders lang und es dauerte eine Viertelstunde, ehe ich die fünf Fischbrötchen für meine Familie in der Hand hielt. Ich beeilte mich, zurück zum Strand zu kommen, wobei ich mit jemanden zusammenstieß.

„Kannst du nicht aufpassen“, murrte ich, denn die Tüte mit den Fischbrötchen war im Sand gelandet.

„Tschuldige“, war die genuschelte Antwort.

Ich blickte auf und sah direkt in das Gesicht eines blonden Jungen mit Sommersprossen. Er wurde rot, als er mich ansah, und auch ich spürte ein Glühen in meinen Wangen.

„Sorry, ich hätte auch besser aufpassen können“, sagte ich, griff mir die Tüte mit den Fischbrötchen und verschwand Richtung Strand.

„Das hat aber lange gedauert“, beschwerte sich mein kleiner Bruder Finn, als ich bei meiner Familie angekommen war.

„Tut mir leid, aber die Schlange war heute echt lang“, entschuldigte ich mich und reichte meiner Mutter die Tüte. Sie verteilte die Brötchen und nahm das Restgeld entgegen.

Ich legte mich nach dem Essen entspannt auf mein Handtuch und sonnte mich ein wenig. Doch die Ruhe hielt nicht lange an.

„Spielst du mit uns Volleyball?“, fragte Karla hoffnungsvoll.

„Na gut.“ Ich wusste, dass sie solange quengeln würde, bis ich nachgab. Also stand ich auf und griff mir den Ball.

Eine Weile spielten wir immer im Dreieck. Meine Geschwister konnten, trotz dass sie erst acht und zehn Jahre alt waren, erstaunlich gut Volleyball spielen. Unser Vater hatte es uns von klein auf am Strand beigebracht und es gehörte einfach zu unseren Familienurlauben dazu.

Finn nahm den Ball gerade von unten, doch er sprang ihm weg, sodass ich keine Chance hatte, noch ranzukommen.

„Ich geh schon“, sagte ich und stapfte davon. Ich bückte mich, doch als ich aufstehen wollte, stieß ich mit jemanden zusammen. „Aua“, stieß ich hervor und blickte auf.

Es war derselbe Junge wie vorhin am Kutter. „Du?“, brachte ich hervor.

Er zuckte nur mit den Schultern und stammelte eine Entschuldigung zusammen. „Schon okay.“ Wir sahen uns an. Seine blauen Augen hatten viele dunkle Einsprenkelungen, die im Licht glitzerten. „Äh, magst du mitspielen?“, fragte ich. Oh Gott, wie bescheuert war das denn jetzt?

„Klar, gerne.“ Der Junge wurde schon wieder rot.

„Ich bin übrigens Mia“, stellte ich mich vor. Der blonde Junge antwortete nicht. Ich sah in erwartungsvoll an, doch seinen Namen nannte er nicht. Ich hakte nach: „Und wie heißt du?“ „Äh, ach so, ja. Ich … äh, bin Paul“, stammelte er.

„Kommst du endlich, ich will weiterspielen“, rief Finn ungeduldig.

„Na komm. Das sind meine Geschwister Finn und Karla“, stellte ich die zwei Nervensägen vor und Paul folgte mir.

Wir spielten eine Weile zu viert, doch Finn und Karla wurde es bald zu blöd, weil Paul den Ball häufig fallen ließ und nicht weiterspielte. Darum schlug ich vor, dass die beiden alleine spielen sollten, und setzte mich mit Paul in den Sand. Wir schwiegen eine Weile.

„Magst du ein Eis essen?“, fragte Paul unvermittelt.

„Gerne, ich sag nur kurz meinen Eltern Bescheid.“

Er nickte und wurde schon wieder ein wenig rot. Schnell gab ich meinen Eltern Bescheid, die nichts dagegen hatten, und zusammen liefen wir zur Eisdiele hinter der Düne.

Paul nahm eine Kugel Vanille und eine Kugel Erdbeere. Ich blieb bei meinem heiß geliebten Schokoladeneis. Wir setzten uns an einen der Tische. Unauffällig versuchte ich, Paul zu beobachten. Eine Strähne seiner blonden Haare fiel ihm immer wieder ins Gesicht und er musste sie hinters Ohr streichen.

Er bemerkte, wie ich diese Geste fasziniert beobachtete, und fragte: „Was ist?“

Jetzt wusste ich nicht, was ich sagen sollte, und fing an zu stottern: „Ähh ... nichts.“ Ich bemerkte, wie meine Wangen zu glühen begannen und lächelte unsicher. Still aßen wir weiter. Als wir beide fertig waren, machten wir uns langsam auf den Rückweg. Unsere Arme berührten sich aus Versehen und ein angenehmes Kribbeln ging durch meinen Körper.

Kurz vor der Düne griff Paul nach meiner Hand. Sie war warm und angenehm. Ich sah ihn von der Seite an und überlegte, was er wohl gerade dachte. Als wir den Strand erreichten, ließ er meine Hand los und Enttäuschung machte sich in mir breit. Ich hätte ewig so weiterlaufen können. Warum war der Weg zum Strand nur so kurz? Früher war mir das nie aufgefallen.

 

„Äh … wollen wir vielleicht heute Abend dem Sonnenuntergang zusehen?“, fragte er und ich merkte, dass ihn das große Überwindung gekostet hatte.

„Ja, gerne. Um neun hier?“, antwortete ich und mein Herz machte einen Aussetzer, als er nickte. Wir standen uns ein paar Sekunden wortlos gegenüber.

„Also dann, bis heute Abend“, verabschiedete ich mich.

„Ja, bis heute Abend“, antwortete Paul und wir gingen zurück zu unseren Familien.

„Wie heißt er denn?“, fragte meine Mutter, als ich bei ihr ankam.

„Paul“, antwortete ich.

Meine Mutter grinste.

„Was ist denn?“, fragte ich genervt.

„Nichts“, sagte sie.

„Ich treffe mich mit ihm heute Abend noch mal am Strand. Ist okay, oder?“, fragte ich trotzig.

„Ich glaube, unsere Tochter hat ein Date“, flüsterte mein Vater.

„Gar nicht“, sagte ich pampig.

„Mia ist verliebt, Mia ist verliebt“, sang Finn und meine Mutter musste lachen.

„Na warte“, rief ich und jagte Finn ins Wasser.

Der konnte was erleben, auch wenn er sicherlich nicht ganz unrecht hatte.

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