Skrupellos

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Skrupellos
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Bärbel Junker

Skrupellos

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Inhaltsverzeichnis

Titel

ZUM BUCH

PROLOG

VERGANGENER RUHM

MISSTRAUEN

DAVID UND FABIO

RÜCKBLICK

HERZRASEN

ELENA FLIEGT

NÄCHTLICHE STÖRUNG

DER UNBEKANNTE

GESPRÄCH MIT ARLENA

BENJAMIN GRAF

FEHLEINSCHÄTZUNG

BESUCH BEI ARLENA

FATALE NEUIGKEITEN

DIE GELIEBTE

BEGEGNUNG

AUS DER RESERVE LOCKEN

DER ANRUF

UNGEBETENER BESUCH

RECHERCHEN

ENTTÄUSCHUNG

BESUCH IM HOSPITAL

BÖSE PLÄNE

REINGELEGT

IN LETZTER SEKUNDE

DIE FALLE

SORGE UM DAVID

ÜBLER VERRAT

AUF DER SUCHE

GNADENLOSER ZORN

BÖSES ERWACHEN

ZUGRIFF

WAHRHEITEN

LEBENSBAHNEN

EPILOG

Impressum neobooks

ZUM BUCH

Ohne Liebe, misshandelt von ihrem Mann, missachtet von ihrem sechzehnjährigen Sohn Stefan, stirbt die zarte, herzensgute Sophie Ziegler durch die Brutalität Paul Zieglers, ihres primitiven, gewalttätigen Mannes.

Sie hinterlässt außer ihrem Sohn Stefan dessen achtjährigen Bruder Kevin, der den Mord an seiner geliebten Mutter gesühnt sehen will. Doch dieses Verlangen bedeutet Kevins Tod, beschließen Vater und Bruder des unglücklichen Knaben.

Sie treiben ihn ins Meer. Nicht ein Einziger bemerkt ihre ruchlose Tat. Keine Menschenseele zieht sie zur Verantwortung für dieses skrupellose Verbrechen.

Aber vielleicht wird die Zukunft sie lehren, dass manches verabscheuungswürdige Verbrechen auch dann noch Vergeltung nach sich zieht, wenn viel Zeit vergangen ist.

Der Erfolg seines Romans liegt schon einige Jahre zurück, und die Tantiemen fließen nur noch spärlich. Geldsorgen quälen Adrian Verhoeven und seine Frau Elena, die sich weigert ihr Erbe, eine Villa in einer der teuren Gegenden Hamburgs, zu verkaufen.

Da naht Hoffnung in Gestalt des amerikanischen Verlegers David Malone und dessen Freund Fabio Lopez Garcia, der nach seinem in Deutschland spurlos verschwundenen Bruder Alejandro sucht.

David Malone bietet Verhoeven an, seinen Erfolgsroman in Amerika zu veröffentlichen, falls dieser zustimmt, eine Fortsetzung des Romans zu schreiben.

Doch Adrian Verhoeven lehnt Malones Angebot trotz seiner Geldsorgen kategorisch ab.

Warum? fragt sich seine Frau Elena verständnislos, die mit der Trauer um ihre durch einen schrecklichen Unfall ums Leben gekommene Mutter Anna Kaiser zu kämpfen hat.

Und dann stirbt Elena und über dem Autor Adrian Verhoeven bricht alles zusammen.

Zu viele Tote in zu kurzer Zeit, denkt Hauptkommissar Heckert und ermittelt. Zusammen mit seinem Freund und Kollegen Kommissar Markus Jansen versucht Heckert hinter die Geheimnisse der betroffenen Personen zu gelangen. Zum Teil gelingt es ihm, doch seine Erkenntnisse sind haarsträubend und werfen ständig neue Fragen auf.

Unfälle, Tote und Verletzte. Wo ist der rote Faden, der diese Vorkommnisse verbindet?

Wo ist Alejandro Lopez Garcia?

War der Tod Anna Kaisers ein Unfall oder war es Mord?

Wie starb Elena Verhoeven, Anna Kaisers Tochter?

Von wem und womit wird Adrian Verhoeven erpresst?

Welches Geheimnis umgibt die kapriziöse Jana Lorenz?

Und wer oder was gefährdet deren Schwester Arlena?

Aber dann wird David Malone entführt und die Ereignisse, Wahrheiten und Lebensbahnen überschlagen und vereinen sich.

Doch die Erkenntnisse sind erschreckend. Die Wirklichkeit schauderhaft und unabänderlich.

PROLOG

„Bitte nicht, Paul“, schluchzte Sophie. „Lass uns doch in Ruhe darüber reden.“

Mit zum Schlag erhobener Faust starrte Paul Ziegler seine Frau aus blutunterlaufenen Augen an.

„Bitte!“, flüsterte Sophie ängstlich.

„Verdammt noch mal, Weib! Du gehst mir mit deiner ewigen Nörgelei auf die Nerven. Ich will, dass aus deinem verweichlichten Sohn Kevin endlich ein richtiger Junge wird. So einer wie Stefan!“

„Kevin ist auch dein Sohn, Paul.“

„Schlimm genug“, knurrte ihr Mann. „Mit dem Weichei kann man doch nichts anfang’. Der hockt doch nur bei dir und deinen blödsinnigen Büchern rum. Kunst! Wenn ich den Scheiß schon hör!“

„Du hast dich früher doch auch dafür interessiert.“

„Hab ich nich’, du dummes Stück. Ich hab nur so getan, um dich rumzukriegen“, erwiderte ihr Mann grinsend. „Ich wollte den Laden von deinem Alten. Dich hab ich dabei in Kauf genommen. Hat ja auch gut geklappt. Konnte ja nich’ wissen, dass der blöde Laden so wenig abwirft.“

„Du hast mich nie geliebt, oder?“, fragte Sophie leise.

„Hast aber lange gebraucht, um das zu merken“, entgegnete ihr Mann grinsend.

Sophie sah ihn stumm an. Wie konnte ich diesen Mann nur heiraten? Wie konnte ich mich so irren? dachte sie verzagt.

„Na, alte Trauertante. Willst du nich’ ‘n büschen rumjammern?“, sagte Paul grinsend.

„Ich will nicht, dass Kevin so wird wie sein Bruder“, flüsterte Sophie.

Sie hatte noch nicht ganz ausgesprochen, da schlug ihr Paul seine Faust so hart ins Gesicht, dass sie das Gleichgewicht verlor, mit dem Genick gegen den schweren Eichentisch prallte und zu Boden fiel.

Ihr Mann starrte mitleidlos auf sie herab. „Stell dich nich’ so an“, knurrte er.

Doch seine Frau regte sich nicht. Sein Schlag hatte ihr das Nasenbein gebrochen. Blut lief über ihr fein geschnittenes Gesicht, versickerte im Ausschnitt ihrer Bluse und tauchte den Ying Yang-Anhänger, den sie an einer Goldkette um den Hals trug, in blutiges Rot. Sie bewegte sich nicht, würde es auch niemals wieder.

Sie hatte sich an der harten Tischkante das Genick gebrochen.

„Verdammter Mist!“, fluchte Paul, als sein schwerfälliger Verstand nach einer Weile endlich begriff, was geschehen war. „Was, zum Teufel, mach’ ich jetzt? Nich’ die Bull’n! Die lochen mich bei meinen Vorstrafen glatt ein!“

Die Haustür klappte. Paul Ziegler fuhr erschrocken zusammen. Doch es war nur sein Sohn Stefan, der in die Küche trat.

„Was ist denn hier los? Hast du unsere Alte endlich abgenibbelt, oder was?“ Er ging zu einem Stuhl und setzte sich rittlings darauf. „Was is’, Alter? Bist du stumm?“

„Ich glaub’, die wird nich’ wieder“, murmelte Paul.

„Echt?“

„Ja, echt, du Arsch. Das is’ nich’ zum Lachen. Wenn mich die Bull’n erwischen, bin ich dran.“

„Na und? Dann dürfen sie dich eben nich’ erwischen. Wir schaffen die Leiche weg“, erwiderte sein feiner Sohn ungerührt.

Paul Ziegler musterte seinen Sohn bewundernd. Das war ein Junge nach seinem Geschmack. Nich’ so’n Weichei wie sein jüngerer Sohn.

 

Ach ja, Kevin! Verdammt!

Wie sollte er dem den Tod seiner geliebten Mutter beibringen? Der rannte doch glatt zu den Bullen!

„Und Kevin?“, fragte er aus diesem Gedanken heraus. „Was machen wir mit dem?“

„Wenn er nich’ mitzieht, schicken wir ihn eben seiner geliebten Mami hinterher“, erwiderte Stefan gefühllos. „Es ist draußen schon schummrig. Am besten, wir bring’ sie erstmal weg. Um meinen lieben Bruder können wir uns danach immer noch kümmern.“

Sein Vater nickte. „Fass mal mit an, Stefan. Nimm ihre Beine. Wir legen sie in Kofferraum und versenken sie nachher im Meer. Wir fahr’n sofort zu unserm Boot.“

„Alles klar“, entgegnete sein Sohn ungerührt.

Sie zogen die tote Frau weg vom Tisch und hoben sie hoch. „Die is’ leichter, als ich dachte“, sagte Stefan herzlos. Sie hatten fast die Haustür erreicht, als diese geöffnet wurde. Kevin war es, der eintrat. Der dunkelblonde, schlanke Junge blieb abrupt stehen. Seine blauen Augen blickten verständnislos auf den Körper, den sein Vater und sein Bruder zwischen sich trugen.

„Mama? Was ist mit dir? Was hast du?“, fragte Kevin besorgt. Er trat näher und entdeckte das Blut auf ihrem Gesicht.

„Mama?“

Er griff nach ihrer leblos herunterhängenden Hand. Und langsam krochen Furcht und Entsetzen in dem Jungen hoch. Er sah in ihr geliebtes Gesicht. Sah die Verletzung, sah das Blut.

„Was habt ihr mit Mama gemacht?“, stieß er hervor. „Ihr habt sie getötet! Ihr seid Mörder! Ich gehe zur Polizei!“, rief er. Und die schreckliche Erkenntnis löste eine Tränenflut bei ihm aus.

„MÖRDER! Ihr seid MÖRDER!“, schluchzte er.

„Lass sie runter, Stefan“, befahl Paul Ziegler. „Ich schnapp mir den Bengel.“

Und dann lag Sophie Ziegler auf dem Fußboden, und Paul zog seinen achtjährigen Sohn zu sich heran.

„Wenn du nich’ sofort die Klappe hältst, folgst du deiner Mutter so schnell, dass du nich’ mal mehr Piep sagen kannst. Hast du das verstanden?“, zischte er.

Kevin starrte ihn an.

„Ob du das verstanden hast, Weichei?“

„Ihr habt Mama getötet“, brachte der Junge schluchzend hervor. „Ihr müsst bestraft werden!“

Kevin fürchtete sich weder vor seinem Vater, noch vor seinem Bruder. Über dieses Stadium war er durch den Tod seiner Mutter hinaus.

Er war verzweifelt!

Er hatte seine stille, zärtliche Mutter über alles geliebt, hatte jede freie Minute bei ihr im Buchladen zugebracht. Sie hatte ihn den schönen Künsten zugeführt. War immer für ihn da gewesen. Hatte ihn mit ihren schwachen Kräften vor seinem gewalttätigen Vater beschützt. Ohne sie war er einsam und verloren. Ohne seine geliebte Mutter hatte das Leben für ihn keinen Sinn.

„Es hat keinen Zweck, Alter“, sagte Stefan. „Die Knalltüte hält nich’ dicht.“

„Dann nehm‘ wir ihn mit. Bring ihn zum Wagen. Ich komm’ gleich nach.“

„Warte noch, ich will die Kette, oder hast du was dagegen?“, fragte Stefan. Sein Vater schüttelte den Kopf. Da beugte sich Stefan über seine tote Mutter und löste die goldene Kette von ihrem Hals. Er hatte schon lange einen Blick auf das Schmuckstück geworfen. Endlich gehörte es ihm. Voller Besitzerstolz musterte er den Ying Yang-Anhänger, ein ausgefallenes Schmuckstück in Rot- und Weißgold gehalten mit einer schwarzen Perle in der weißgoldenen Hälfte und einer weißen Perle im rotgoldenen Teil, eine eher unübliche Zusammenstellung.

„Nein!“, wimmerte Kevin. „Das ist Mamas Kette!“ Schluchzend stürzte er sich auf seinen Bruder. Er versuchte ihm die Kette zu entreißen, hatte jedoch gegen Stefan keine Chance.

„Blöder Wichser“, knurrte dieser verächtlich. Er packte seinen Bruder und drehte ihm den Arm auf den Rücken. Mit einem gehässigen Grinsen hängte er sich die Kette um den Hals. „Mach voran“, knurrte er und stieß seinen weinenden Bruder vor sich her.

In der Garage des kleinen Einfamilienhauses verfrachtete er seinen Bruder in den hinteren Teil des hier abgestellten Lieferwagens, schlug die Tür hinter ihm zu und schloss ab.

Im selben Moment betrat sein Vater die Garage, mit einer Teppichrolle, in die er seine tote Frau gewickelt hatte, auf den Schultern.

„Gute Idee“, meinte Stefan grinsend und schloss die Wagentür wieder auf.

Ohne seinen jüngsten Sohn zu beachten, schob Paul Ziegler die Teppichrolle neben Kevin und schlug die Tür wieder zu. Und nachdem Stefan wieder abgeschlossen hatte, setzte Paul sich hinters Steuer und fuhr los.

Vor Kummer wie erstarrt, saß Kevin neben der Teppichrolle, in der seine tote Mutter lag. Er rührte sich nicht, auch nicht, als der Wagen nach etwa einer halben Stunde Fahrtzeit anhielt. Selbst als die Wagentür geöffnet wurde, reagierte er nicht. Erst als sein Bruder die Teppichrolle zu sich heranzog, blickte er hoch.

„Was habt ihr mit Mama vor?“, flüsterte er.

„Na, was wohl, Weichei? Wir versenken sie im Meer und dich am besten gleich mit. Dann seid ihr endlich auf ewig vereint“, erwiderte Stefan höhnisch grinsend.

Er hatte seine Alte nie gemocht. Immer dieses kultivierte Getue. Was interessierten ihn Bücher und Kunst, ‘ne Pulle Schnaps war ihm weitaus lieber. Allerdings konnte er seinen Alten auch nicht leiden. Der war von Jahr zu Jahr primitiver geworden, so primitiv, dass es selbst ihn abstieß. Er hatte nie begriffen, wie die beiden zusammengefunden hatten. Er wusste nur, dass sein Vater die Alte reingelegt hatte.

Er hatte sich verstellt, einen auf armen, benachteiligten Jungen gemacht. Und seine Mutter, zu gut für diese Welt, war ihm auf den Leim gegangen. Irgendwie hatte er sie dann wohl rumgekriegt und geschwängert. So hatte er sie und den Buchladen sicher. Er, Stefan, war das Ergebnis dieser Aktion.

Kurze Zeit später waren dann seine Großeltern verunglückt, und seine Eltern hatten auch noch das kleine Einfamilienhaus geerbt. Und dann, als keiner mehr damit rechnete, war seine Alte mit Kevin schwanger. Wieso sein Bruder jedoch so gar nichts von seinem Vater mitgekriegt hatte, das verstand er nicht.

Manchmal beneidete er seinen achtjährigen Bruder um sein Aussehen und seine kultivierte Art. Aber zugegeben hätte er das niemals.

Obwohl erst sechzehn Jahre alt, war Stefan groß, breit und schon ziemlich muskulös. Die dunklen Haare hatte er ebenso von seinem Vater geerbt wie die kalten grauen Augen, die füllige Figur und das dickliche Gesicht.

Er hasste seinen Bruder, neidete ihm die Eleganz, mit der sich dieser bewegte, missgönnte ihm das schmale, gut geschnittene Gesicht mit der edlen Nase und dem schön geschwungenen Mund. Ja, Kevin kam ohne Zweifel der Familie seiner Mutter nach. Alles Spinner wie sein Alter abfällig sagte. Stefan wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sein Vater ihn anrempelte.

„Was is’? Willst du hier übernachten? Nein? Dann fass gefälligst mit an. Wenn wir fertig sind, saufen wir zu Hause ordentlich einen“, versprach Paul.

„Was machen wir mit Kevin?“, wollte Stefan wissen.

„Allein sind wir beide zusammen wohl besser dran, oder?“, knurrte sein Vater.

„Und wie?“, fragte Stefan und griff nach seinem Springmesser, das er stets in der Hosentasche bei sich trug.

„Das, oder Genickbruch wie bei deiner Alten“, meinte Paul.

„Is’ noch besser“, erwiderte Stefan und steckte das Messer wieder ein.

Kevin sah wie erstarrt zu, als sie seine in den Teppich eingerollte tote Mutter aus dem Wagen zogen. Er hatte gehört, was sein Vater und sein Bruder gesagt hatten. Aber die Gefahr, in der er schwebte, drang nicht zu ihm durch.

Doch plötzlich war ihm, als spräche seine Mutter zu ihm:

Liebling, du bist in Gefahr. Du musst fliehen, sonst töten sie dich. Ich liebe dich und werde immer bei dir sein. Flieh, Liebes! Tu es mir zuliebe.

„Mama?“, flüsterte Kevin. „Mama, bist du es?“

Ja, mein Herz. Ich bin bei dir, werde immer bei dir sein. Aber jetzt musst du gehen. Warte nicht länger. Geh! Geh sofort!

Und Kevin sprang auf. Drei Schritte und er hatte die Öffnung erreicht. Er sprang in den Sand und lief davon.

„Er haut ab!“, grölte Stefan und jagte hinterher.

Kevin lief wie im Traum. Immer weiter, immer weiter. Doch wohin? Links von ihm wogte das Meer, vor ihm und rechts von ihm war nichts als Sand. Kein Mensch, kein Haus weit und breit. Wo sollte, wo konnte er hin?

Und hinter ihm keuchte sein gewaltbereiter Bruder heran.

Komm zu uns, Kevin, lockten die Wellen. Bei uns ruhst du wie in einem Daunenbett so friedlich und so weich. Zögere nicht. Lass dich fallen, fallen wie in die weichen Arme deiner Mutter. Komm Kevin, komm.

Und Kevin zögerte nicht. Er lief einige Meter weit ins Wasser hinein, warf sich in die sanft wogenden Wellen und schwamm davon.

„Mama?“, flüsterte er. „Mama, ich komme zu dir.“

Ja, mein Herz, wisperte es. Komm in meine Arme.

Kevin schloss glücklich die Augen und lächelte wie im Schlaf.

Stefan stand am Wasser und starrte aufs Meer hinaus. Von seinem Bruder war in der hereinbrechenden Dunkelheit nichts zu sehen. Wahrscheinlich war er bereits ertrunken, denn wohin hätte der Blödmann auch schwimmen sollen.

So viel Courage hätte er dem Weichei gar nicht zugetraut. Nahm sich so mir nichts dir nichts das Leben. Na ja, sie hätten ihn ja sowieso ertränkt! Stefan drehte sich um und ging zurück.

„Das wäre erledigt“, sagte er.

Paul Ziegler nickte. Gemeinsam gingen sie zum Wagen, vor dem noch immer die Teppichrolle lag. Sie holten ihr Boot, legten den Wagenheber und die Teppichrolle hinein und fuhren ein Stück hinaus aufs Meer.

Nachdem alles erledigt war, ruderten sie zurück zum Strand, stiegen in den Lieferwagen und fuhren zurück.

VERGANGENER RUHM

„Kommst du mit deinem Buch voran, Liebling?“, fragte Elena ihren Mann beim Frühstück. „Ich bin schon wahnsinnig gespannt darauf, um was es in deinem neuen Roman geht.“

Adrian Verhoeven musterte seine Frau schweigend.

„Was ist? Habe ich einen Fleck auf der Nase?“, scherzte Elena.

„Nein, hast du nicht“, erwiderte er lächelnd. „Du siehst in diesem Kostüm einfach fantastisch aus. Es passt perfekt zu deinen blauen Augen und deinem langen blonden Haar.“

„Du Schmeichler. Aber ich freue mich über das Kompliment“, erwiderte Elena. Sie schob den Stuhl zurück und stand auf.

Adrian musterte ihre schlanke Figur und die langen Beine, die in den hochhackigen Pumps besonders gut zur Geltung kamen. Alles an Elena war freundlich und hell.

Adrian, ebenfalls schlank, fast schon hager, zupfte einen Fussel von seinem schwarzen Pullover und sah auf seine eleganten Schuhe, schwarz, wie fast alles, was er trug. Er lächelte.

„Ich muss los“, sagte Elena. „Ich muss den Laden heute aufschließen, weil Arlena einiges für unseren Besuch vorzubereiten hat. Du weißt schon, dieser amerikanische Verleger. Ich erzählte dir von ihm. Arlena lernte ihn damals bei ihrem Besuch in Amerika kennen.“

Adrian nickte.

„Ich hoffe, dein zweites Buch wird ein genauso großer Erfolg wie dein erster Roman“, sagte Elena. „Wir könnten das Geld gut gebrauchen.“

Adrians Gesicht verschloss sich. „Ich tue mein Bestes“, murmelte er.

„Das weiß ich doch, Liebling“, erwiderte Elena. Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss und eilte davon.

Wenige Minuten später hörte Adrian ihren Wagen die Auffahrt runterfahren. Er trank seinen Kaffee aus und ging ins Wohnzimmer hinüber.

Stolz musterte er die elegante Einrichtung. Die schwarze Designer Ledergarnitur und der handgeknüpfte Seidenteppich waren ebenso exquisit wie die dunklen Schrankelemente und die modernsten Geräte aus dem Bereich der Unterhaltungselektronik. Echte Gemälde und kostbares Dekor rundeten das Ganze ab.

Oh ja, er hatte es weit gebracht. Sein erster Roman war ein unerwarteter Erfolg gewesen, war innerhalb einer Woche unaufhaltsam in den Charts hochgeklettert. Allerdings war das nun schon gut zwei Jahre her. Ein weiterer Erfolg war dringend nötig, denn so langsam ging ihnen das Bargeld aus.

Adrian seufzte. „Nur gut, dass Elena als Geschäftsführerin bei ihrer Freundin Arlena untergekommen ist“, dachte er laut. Die bekannte und beliebte Buchhandlung hatte zehn Angestellte und lief ausgesprochen gut. Elenas Gehalt deckte zwar die Kosten, große Sprünge konnten sie jedoch nicht machen.

 

Allerdings leben wir trotzdem weitaus besser, als so manch anderer, dachte Adrian so einsichtig wie selten. Und außerdem besitzen wir ja immerhin auch noch das Haus. Er runzelte die Stirn bei dem Gedanken, dass ein Verkauf der Villa sie auf einen Schlag aller Sorgen entledigen würde. Zu seinem Ärger war Elena jedoch strikt dagegen. In dieser Sache war nicht mit ihr zu reden.

Er begab sich zu der Fensterwand hinüber. Nachdenklich starrte er in den parkähnlich angelegten Garten. Elena hatte das Haus, welches auf einem weitläufigen Grundstück in einer der besten Gegenden Hamburgs stand, von ihrer Mutter geerbt, die kurz nach der Hochzeit ihrer einzigen Tochter tödlich verunglückt war.

Er mochte die Bauweise, die etwas verspielt wirkende Architektur des mit Balkonen und Erkern verzierten Bauwerks, fühlte sich wohl in dem kleinen Turm, der die Villa krönte und in dem sich sein Arbeitszimmer befand. Aber obwohl er das Wohnen in dieser angesehenen Gegend genoss, würde er, wenn es nach ihm ginge, die Villa sofort verkaufen, um endlich die Geldsorgen loszuwerden.

Anna Kaiser, seine verstorbene Schwiegermutter, würde sich zwar im Grabe umdrehen, denn sie hatte die Villa geliebt. Doch das tangierte ihn nicht, denn sie hatte ihn von der ersten Sekunde ihrer Begegnung an abgelehnt. Mehr noch, sie war regelrecht entsetzt über Elenas Entschluss gewesen, ihn zu heiraten.

Doch Elena hatte zu ihm gehalten.

Da seine Schwiegermutter ihn jedoch auf keinen Fall um sich haben wollte, hatte sie es Elena und ihm verwehrt, nach der Hochzeit bei ihr zu wohnen, obwohl die Villa mehr als groß genug war. Notgedrungen waren sie daraufhin in eine Mietwohnung in der Stadt gezogen.

Doch seine Schwiegermutter hatte ihm auch noch über ihren Tod hinaus misstraut. Sie hatte Elena zwar die Villa vererbt, in der diese aufgewachsen war, jedoch alle übrigen Vermögenswerte nicht. Diese hatte sie Gemeinnützigen Institutionen unter Bedingungen vermacht, die Elena insbesondere im Alter absicherten.

Er würde davon allerdings zu keiner Zeit profitieren, selbst dann nicht, wenn Elena vor ihm starb. Anna Kaiser hatte ihm noch über ihren Tod hinaus ihre Abneigung deutlich gemacht.

Es hatte ihn bei der Testamentseröffnung große Mühe gekostet, seinen Zorn zu beherrschen. Innerlich tobend hatte er die Kanzlei bereits nach kurzer Zeit verlassen, ohne das Ende der Ausführungen des Notars abzuwarten. Wozu auch, er hatte von seiner Schwiegermutter nichts Gutes zu erwarten.

„Ich brauche Geld“, flüsterte Adrian in die Stille des Raumes. „Aber woher nehmen? Meine Bucheinnahmen sind fast aufgebraucht, neue kommen kaum herein, und ein zweiter Erfolg ist nicht in Sicht.“

Elena hatte keine Ahnung, dass er an keinem neuen Roman arbeitete. Bislang hatte er noch keine einzige Zeile geschrieben. Er schüttelte die trüben Gedanken ab, drehte sich um und ging hinaus zum Briefkasten.

Mit mehreren Briefen und einem braunen DIN A4-Umschlag kehrte er zurück. Wahrscheinlich Rechnungen, vermutete Adrian. Der braune Umschlag war an Elena gerichtet. Adrian drehte ihn neugierig um. „Nicht frankiert und kein Absender“, murmelte er. „Jemand muss ihn persönlich eingesteckt haben.“

Er ging zurück ins Haus und legte den braunen Umschlag auf einen Beistelltisch. Nachdem er die übrige Post durchgesehen hatte – natürlich waren es wie stets in letzter Zeit überwiegend Rechnungen – fiel ihm der braune Umschlag wieder ein. Er holte ihn und nahm ihn mit hinüber ins Wohnzimmer.

Nachdenklich fuhr er mit dem Finger über die zugeklebte Umschlaglasche. Sie klebte nicht sehr fest. Und da Adrian Verhoeven ein sehr neugieriger und misstrauischer Mann war, hatte er keinerlei Skrupel ihn zu öffnen. Vorsichtig fuhr er mit einem schmalen Messer an der Klebestelle entlang und schlug die Lasche hoch. Mit spitzen Fingern zog er einen dünnen Stapel Papier heraus, auf dem ein Anschreiben lag.

„Na sowas“, murmelte Adrian verblüfft. „Was hat Elena denn mit einer Privatdetektei zu schaffen?“ Er las das Anschreiben und wurde blass. Lange starrte er mit unbewegtem Gesicht vor sich hin. Endlich erhob er sich. Mit dem Umschlag in der Hand stieg er die Wendeltreppe zu seinem Arbeitszimmer hinauf.