Das Geheimnis um das Tatzmannsdorfer Wunderwasser

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Das Geheimnis um das Tatzmannsdorfer Wunderwasser
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Das Geheimnis um das Tatzmannsdorfer Wunderwasser

1  Zusammenfassung

2  Impressum

3  Titel

4  Widmung

5  I

6  II

7  III

8  IV

9  V

10  VI

11  VII

12  VIII

13  IX

14  X

15  XI

16  XII

17  XIII

18  XIV

19  XV

20  XVI

21  XVII

Der Arzt Martin entdeckt im 13. Jahrhundert in den Jormannsdorfer Sümpfen zufällig eine Heilwasserquelle. Er erkennt die positive Wirkung des Wassers auf den menschlichen Körper und nützt die Möglichkeit, sich selbst daran finanziell zu bereichern. Immer häufiger reitet er heimlich in finsteren Nächten in das düstere Moor, um Wasser zu beschaffen und dieses teuer weiter zu verkaufen. Dies stößt den Bürgern sauer auf, die viel Geld für den Wundertrank bezahlen müssen und beobachten wie der Reichtum des Arztes stetig wächst. Auch die Kirche will ihren Teil an dem Heilwasser mitverdienen und droht damit, den Arzt als Ketzer zu verurteilen, sollte er nicht die Hälfte seines Verdienstes im Gegenzug für die priesterliche Weihung des Wassers abliefern. Als ein verzweifelter, armer Knecht, der sich das Wasser für seinen schwerkranken Sohn nicht leisten kann, fest entschlossen ist, selbst die Quelle zu finden, um seinen Sohn zu retten, droht dem Arzt das Geheimnis um das Wunderwasser über den Kopf zu wachsen . . .

Über die Autorin Barbara Trattner (Jahrgang 1987) ist promovierte Neurowissenschafterin und arbeitet als internationale Beamtin. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sie ist glücklich darüber, Bad Tatzmannsdorf seit ihrer Kindheit ihre Heimat nennen zu können.

Texte: © Copyright by Barbara Trattner

Umschlaggestaltung: © Copyright by Dietmar Trattner

Verlag: Barbara Trattner, Batthyany-Allee 23, 7431 Bad Tatzmannsdorf; barbaratrattner@hotmail.com (Bitte Buchtitel im Betreff angeben!)

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin, gedruckt auf FSC-zertifizierten, chlorfrei gebleichtem Papier

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung der Autorin reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Anmerkung Dieser Roman basiert in groben Zügen auf einer alten Sage über Bad Tatzmannsdorf. Es versteht sich von selbst, dass die darin genannten Namen der Personen, Unternehmen und Institutionen reine Erfindungen sind und keinerlei Bezug zur Wirklichkeit haben.

Barbara Trattner

Das Geheimnis um das Tatzmannsdorfer Wunderwasser

Roman

Für meine Familie

I

Minnerl ist eine Frau von robuster Natur. Sie war eigentlich noch nie ernsthaft krank. Sie ist das einzige Kind ihrer Mutter, das die Kindheit überlebte. Zu ihren Lebzeiten ließ ihre Mutter keine Gelegenheit ungenützt, die Tatsache hervorzuheben, dass die Gesundheit ihrer Tochter praktisch unverwüstlich war. Der Tod ihres ältester Bruder im Jahr 1214 im Alter von sechs Jahren am Fieber, der ihrer beiden älteren Schwestern im Jahr 1216 an andauernden Durchfällen und der ihrer beiden jüngeren Brüder innerhalb weniger Wochen nach deren Geburt am Husten – sie waren eben im Winter geboren worden- machte Minnerl im Alter von 10 Jahren wieder zu einem Einzelkind und Nesthäkchen ihrer armen Mutter, die zu diesem Zeitpunkt bereits von den Strapazen des alltäglichen Lebens und den vielen Schicksalsschlägen, die sie hatte über sich ergehen lassen müssen, gezeichnet war. Kurz bevor sie starb, heiratete Minnerl einen wohlhabenden Bauerssohn, der die Wirtschaft seines Vaters nach dessen Tod übernommen hatte.

Es war aus Minnerls Sicht zwar keine wirkliche Liebesheirat, aber sie gewann den grobschlächtigen Mann und seine kantige und doch gutmütige Art über die Jahre sehr lieb. Sie gebar drei gesunde und starke Kinder, kümmert sich um ihre Schwiegermutter, macht den Haushalt, organisiert die Arbeit der Mägde und Knechte auf dem Hof und hilft bei der Viehwirtschaft.

Der Bauernhof ihres Mannes Mathes liegt inmitten der Jormannsdorfer Sümpfe, zwischen Tatzmannsdorf, Mariasdorf und Oberschützen. Der Boden um den Hof ist fruchtbare Torferde, die selbst an heißen Sommertagen nicht ganz austrocknet und reiche Ernten an Obst und Gemüse abwirft. Direkt am Gemüsegarten und die hinter dem Haus liegenden Obstbäume grenzt das Jormannsdorfer Moor. Die Ackerflächen für Getreide liegen etwas abseits auf der anderen Seite des Hofs und grenzen an den Waldbach, der die Grenze der Wirtschaft markiert. Der ehemalige Waldboden, der von Mathes Vater gerodet wurde, ist etwas trockener und daher für den Getreideanbau gut geeignet. Wenn ein wirklich heißer Sommer das Getreide zu vertrocknen droht, so haben die Bauersleute die Möglichkeit, die Feldfrüchte durch die Nähe zu dem Waldbach relativ einfach zu bewässern. Der Jormannsdorfer Forst, der auf der anderen Seite des Waldbaches beginnt, ist ein dichter Mischwald, den die Bauersfamilie zur Holzbeschaffung und Hasenjagd nutzen darf. Der Waldbach selbst ist voller Forellen und besonders an heißen Sommertagen kann man oft Kinder und Knechte mit Stoffnetzen beim Fischen beobachten.

Vom Hof aus sieht man hinauf auf den Sulzriegel, eine Anhöhe, die oberhalb des Ortsgebietes von Tatzmannsdorf liegt. In Jormannsdorf selbst gibt es nicht viele andere Häuser, so dass Minnerl und ihre Familie eigentlich keine richtigen Nachbarn haben. Zum Hof führt nur ein matschiger Lehmweg, der an der Stelle wo er durchs Moorgebiet führt mit Holzpfählen befestigt ist. Dieser Weg ist auch die Durchzugsstraße von Mariasdorf und Oberschützen in Richtung Tatzmannsdorf oder weiter nach Oberwart. Daher ist der Weg einigermaßen frequentiert und die Bauersleute haben regen Kontakt zur Außenwelt, trotz ihrer abgeschiedenen Lage.

Das Leben am Hof ist hart, anstrengend und erbarmungslos. Die Bauersleute sind von der Witterung abhängig und wenn sie die Wetterlage falsch einschätzen, kann es geschehen, dass das gemähte Gras, das als Heu zum Trockenen aufgelegt ist, im Regen verdirbt und die Tiere über den Winter verhungern. Oder noch schlimmer: Gibt es starke Einbußen bei der Getreideernte, dann droht der Familie selbst ein hartes Auskommen über den Winter. Jedoch hat die Familie des Bauern Mathes Glück im Unglück. Zumindest das Land, auf dem sie leben und arbeiten, gehört ihnen selbst. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, denn viele Bauern sind Leibeigene und müssen von dem Wenigen, das sie haben, Abgaben an die Ritter leisten. Jedoch rettete Mathes Vater das Leben eines Ritters, als dieser gekleidet in seine Rüstung nach einem Sturz vom Pferd in einen Teich gefallen war und beinahe ertrunken wäre. Zum Dank dafür, war Mathes Vater Herr seines Landes geworden. Durch vorausschauendes Wirtschaften, harte Arbeit und auch etwas Glück blieben die Bauersleute bisher von Hungersnöten verschont und brachten auch ihre Tiere - das waren vier Kühe, ein Pferd, eine Menge Schafe, Schweine, Hühner und eine Gänseschar – gut übers Jahr. Minnerl ist trotz der stetigen Unsicherheit was die Zukunft bringt und der schweren körperlichen Arbeit stets guter Dinge und ihr Optimismus und ihre schier unendliche Lebensenergie schlagen jede aufkeimende Krankheit normalerweise binnen weniger Tage in die Flucht.

Seit nunmehr zwei Wochen aber beherrschen hartnäckige Bauchkrämpfe die Minnerl, so dass sie mittlerweile nur noch ein Schatten ihrer selbst ist. Zwar kleingewachsen, aber von stämmiger Natur, werfen mittlerweile ihre Backenknochen Schatten in ihr blass gewordenes Gesicht. Wo früher zwei Speckröllchen ihren Kindern ein weiches Kuschelnest boten, stehen nun die Beckenknochen aus dem eingefallenen Bauch hervor. Sie liegt in der hinteren Stube auf einer Holzpritsche, neben ihr steht ein Bottich gefüllt mit Auswurf und übelriechenden Exkrementen. Ihre Haut ist fahl und an der Stirn haben sich kleine, kalte Schweißtropfen gebildet. Sie fröstelt unter der stinkenden Wolldecke. „Der nächste Fieberschub kommt“, denkt sie. Ihre Lippen sind aufgesprungen, die Augen glasig und die Haare fallen ihr aus. „Ich halte nicht mehr lange durch“, denkt sie und presst die Augenlieder fest zusammen, um nichts sehen zu müssen. Sie wundert sich, dass keine Tränen mehr kommen obwohl ihr zum Heulen ist, wenn sie an ihre Kinder denkt.

 

In der Küche hat die Magd inzwischen den Ofen angeheizt, denn die klirrende Kälte dringt an jenem Novemberabend durch Ritzen in den strohverstopften Fenstern. An den Strohhalmen hat sich der erste Frost in diesem Jahr gebildet. Der Bauer, seine Mutter und die drei Kinder sitzen eng gedrängt um den Tisch und warten, dass die Magd den Topf mit der Rahmsuppe aufträgt. Sie bereitete die Suppe mit Brotbrocken und getrockneten Pilzen und kochte darin ein großes Stück Speck mit, weil die Kinder gar so traurig sind. Unter normalen Umständen würde das kleine Lieserl Luftsprünge beim Anblick dieser Suppe machen, doch heute nimmt sie die Delikatesse gar nicht wahr. Die Suppe dampft den guten Geruch in die Stube und trotzdem hat niemand Appetit darauf. Die Kerze flackert im Zugwind, der permanent durch die Stube weht, und wirft lange Schatten an die Wand. Die Magd verlässt wortlos den Raum und der Bauer legt den Kopf in seine Hände und betet: „Lieber Gott, bitte nimm uns nicht die Minnerl.“ Der kleinen Lieserl, die mit ihren drei Jahren immer noch an der Mutterbrust hängt, kullern die Tränen übers Gesicht und sie bohrt ihren Kopf in den Schoß ihrer älteren Schwester Kathi, die die Hände von Lieserl und ihrem Bruder Hans fest drückt. Hans´ Gesicht ist verquollen vom vielen Weinen und er schluckt heftig, als er die Worte des Vaters vernimmt.

Der Bauer schöpft sich Suppe in seine Schüssel und nimmt einen ersten Bissen. Lustlos zerdrückt er ein erstes aufgeweichtes Brotstück mit der Zunge am Gaumen. Die Kinder halten schweigsam die Köpfe in den Suppendampf. Lieserl klettert auf Kathis Schoß. Sie kann nicht essen, ihr steckt ein Kloß im Hals. „So geht das nicht weiter“, sagt die Mutter des Bauern nachdenklich und schaut tief ins Gesicht ihres Sohnes. Die Falten um ihre Augen zucken. „Anna!“, ruft sie mit schriller Stimme nach der Magd, die sofort verängstigt in die Stube tritt, den Blick nervös nach unten senkt und die Hände unter ihre löchrige Schürze steckt. „Hat die Minnerl gegessen?“, fragt die alte Frau die Magd und dreht ihr dabei das rechte Ohr zu, da sie auf dem anderen nichts mehr hören kann. „Nein“, erwidert die Magd schüchtern, „auch nichts getrunken. Sie kann nichts behalten. Ihr Körper stoßt alles wieder aus.“ Die Magd wartet etwas unschlüssig im Türrahmen und verlagert ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Nach einer Weile geht sie wieder zurück zum Herd. „Ich muss den Arzt kommen lassen“, murmelt der Bauer und legt sein Gesicht in Falten. Kathis Augen blitzen kurz auf. „Hoffnung für die Mutter“, denkt sie. „Morgen ist der Arzt ohnehin bei der Mutter vom Schmied im Ort. Ich werde den Knecht schicken, dass er bestellt, dass der Arzt nach dem Krankenbesuch dort bei uns vorbeikommt“, brummt der Bauer, legt seinen Löffel nieder und geht seufzend in den Stall, um den Knecht zu suchen. „Esst jetzt, Kinder“, sagt die Mutter des Bauern, als er den Raum verlassen hat und streicht Lieserl über die fettigen Haare, „sonst werdet’s ihr auch noch krank!“. Aus Dankbarkeit ihrer Großmutter gegenüber stecken die Mädchen hastig einige Brotbrocken und Schwammerl in den Mund. Hans´ Magen krampft und er hat das Gefühl, dass er sich aus Angst um die Mutter übergeben muss, doch auch er schlürft artig etwas Suppe.

Der Bauer und seine Mutter legen sich in die Betten, die am anderen Ende der Stube stehen, die drei Kinder teilen sich eine Pritsche, über die ein Laken gespannt ist. Lieserl und Hans rollen sich eng aneinander und fallen sofort in einen tiefen, seligen Schlaf, mit Hans‘ Daumen in Lieserls Mund. Nur Kathi kann nicht einschlafen. Die Luft in der kleinen Stube ist mittlerweile aufgeheizt von der Abwärme des großen Ofens in der Rauchkuchl und feucht von den Suppendämpfen und den Ausdünstungen der vielen Menschen, die darin schlafen. Vorsichtig richtet sich Kathi auf und lauscht andächtig in die leise Nacht. Das Lieserl gibt Sauggeräusche von sich, der Bauer grunzt und schnarcht leise. Im Nebenzimmer hört Kathi ihre Mutter würgen und stöhnen. Kathi hält den Atem an und schleicht auf Zehenspitzen über den knarzenden Holzboden hinüber in die hintere Stube, wo ihre Mutter liegt. Die Luft hier ist kalt und durch das dürftig mit Stroh vermachte Fenster zieht es frostig, als Kathi die Holztür aufschiebt und den kleinen Raum betritt. Der Geruch von Essig sticht Kathi in die Nase. „Anna hat der Mutter Essigpatscherl gemacht“, denkt sie und verzieht das Gesicht. Auf dem rauen, kühlen Holzboden kniet Kathi nieder und nimmt zaghaft die Hand der Mutter zwischen die ihren. Minnerl registriert die Berührung nicht. „Gib nicht auf Mutter!“, sagt Kathi während ihr die Tränen die Wangen hinunterkullern, „Morgen kommt der Arzt.“ Von den Gesprächen aufgeschreckt, flattern einige Hühner auf, die ebenfalls in der hinteren Stube überwintern. Eine Henne ist in ihrer nächtlichen Verwirrtheit auf der Nase eines der vier Schafe gelandet, die neben den drei Ziegen durch den Winter gefüttert werden müssen und die kühlen Nächte ebenfalls mit der Bauersfamilie im Haus verbringen. Die Abwärme der Tiere ist eine Wohltat in solch eisigen Nächten und tröstet einen über den Gestank, der von ihnen ausgeht, hinweg. Das Schaf schüttelt energisch den Kopf und blökt kurz, um den Vogel zu verscheuchen. Kathi, unbeeindruckt von den vielen Tieren, wringt einen Lappen in dem Bottich mit Wasser aus, der neben der Pritsche steht, und legt ihn der Mutter auf die Stirn. Minnerl seufzt kurz auf und sackt dann wieder zusammen. Kathi zieht eine gefilzte, von Erbrochenem verschmutzte Decke hoch bis zum Kinn ihrer Mutter. Minnerl stöhnt und wirft kraftlos den Kopf hin und her. Neben dem Bottich steht noch der Lindenblütentee, den Anna gebracht hat. Kathi nimmt einen Löffel und benetzt die Lippen ihrer Mutter mit dem Tee. „Bitte Mutter“, schluchzt sie mit zitternder Stimme, „ich hab dich doch so lieb. Noch ein Löffel.“ Minnerl schluckt. Noch ein Löffel. Und noch einer. Minnerl schluckt wieder, drückt schwach die Hand ihrer Tochter und schläft dann ein.

II

Früh am nächsten Morgen, lang bevor die Sonne aufgegangen ist, bricht Knecht Linhart auf und macht sich auf den Weg zum Schmied. Unter dem Arm hat er drei tote Hühner, die er geschlachtet hat, um sie später am Dorfplatz zu verkaufen. „Der Bauer braucht das Geld, um den Arzt zu bezahlen“, denkt er. Linhart ist ein junger Bursch von 16 Jahren und seit etwa drei Jahren Knecht am Hof des Bauern. Sein Vater ist Wagner in Oberwart und hat noch vier andere hungrige Mäuler allein zu versorgen, nachdem seine Mutter vor eineinhalb Jahren einer schweren Krankheit erlag. Da klar war, dass nur der älteste Sohn die Wagnerei übernehmen kann, musste Linhart die Familie verlassen, um für sich selbst zu sorgen. Obwohl das Leben in seiner Familie nicht immer harmonisch verlief, kommen Linhart die Tränen, wenn er an seine Eltern und Geschwister denkt. Er vermisst sie so! Es war nicht immer einfach zu Hause und oft stritten sie sich um das wenige das sie hatten, aber am Ende hielten sie immer zusammen wie Pech und Schwefel. Er schluckt und unterdrückt den Gedanken an sein zu Hause.

Linhart fröstelt in der bitterkalten Morgenluft. Am beinah schwarzen Himmel sind ja noch die Sterne zu sehen! Er zurrt seinen wollenen Umhang enger um den Körper und wandert entlang des Waldes von Jormannsdorf hinauf auf den Sulzriegler Hügel, wo das Haus des Schmieds steht. Schließlich lichten sich die Bäume des Waldes und die Landschaft verwandelt sich immer mehr in ein Sumpfgebiet. Der Weg wird matschiger und Linhart vernimmt das Knatschen des Bodens unter seinen Füßen. Rechts huscht ein Wiesel in die Büsche. Hoch oben in der Tanne ruft ein Käuzchen: „Schuhu! Schuhu!“ Linhart schaudert. Die Sumpfgebiete von Jormannsdorf sind wirklich ein gespenstischer Ort! „Es kommt nicht von ungefähr, dass man sagt, dass hier der Teufel zu Hause ist“, denkt er. Oft hörte Linhart, wie die Bäuerin den Kindern einprägte, ja niemals allein ins Moor zu gehen. Man sagt, es spuke dort und dass das Moor voll unwirtlicher Gestalten wäre. Der Boden hätte schon so manche unschuldige Seele zu sich genommen und nicht mehr frei gegeben. Linhart erinnert sich, dass auch der Jormannsdorfer Pfarrer schon mehrmals in der Sonntagspredigt darauf hinwies, dass das Moor vor allem arme Sünder in sich verschlingen und dem Teufel preisgeben würde.

Als der Himmel sich langsam lichtet, sieht Linhart wie die Nebelschwaden aus der Moorlandschaft aufsteigen. Der ganze Sumpf dampft in der frostigen Kälte. Nur schnell raus aus dieser Gegend! Linhart ist froh, dass zumindest der Gehweg mit Holzlatten befestigt ist, die unter seinen Schritten knarzen. Die Geräusche des Moors machen ihm Angst. Nervös beißt er sich die Lippe blutig und krallt sich mit den schmutzigen Fingernägeln in die Körper der toten Hühner. Jedes Rascheln in den Büschen des Sumpfes lässt ihn erstarren. Sein Herzschlag beschleunigt und er beginnt zu schwitzen, obgleich ihm fröstelt. Da ruft wieder das Käuzchen! „Schuhu! Schuhu!“ Linhart stolpert über einen Stein, richtet sich hastig wieder auf und merkt gar nicht, dass er sich die Beinlinge zerrissen hat und am Knie blutet. Er will nur weg von hier und schickt ein Stoßgebet zu Gott dem Herrn. „Bitte lass mich hier unversehrt wieder herauskommen!“, japst er mit aufgerissenen Augen und eilt kopflos den Weg entlang.

Langsam geht im Osten die Sonne auf und färbt den Himmel hellblau. Linhart denkt an Anna, um sich abzulenken, während er das Sumpfgebiet hinter sich lässt und den Sulzriegel hinaufwandert. Insgeheim ist Linhart in die Magd verliebt. Wenn er sie sieht, fängt sein Herz wild zu pochen an und in seinem Bauch rumort es. Ihre warme Stimme, ihre strahlende Haut, ihr gutherziges Wesen. Er möchte ihr so viel sagen, aber sobald er sie sieht, verschlägt es ihm die Sprache. „Das wäre eine Frau für mich“, denkt Linhart und ein sanftes Lächeln huscht über sein Gesicht. Schnell verwirft er jedoch den Gedanken und schüttelt den Kopf, denn er weiß, dass die Chancen zur Heirat eines Knechts und einer Magd schlecht stehen.

Oben am Gipfel sieht Linhart das Haus des Schmieds bereits beleuchtet. „Die arbeiten schon in der Werkstatt!“, denkt Linhart. Das Feuer in der Schmiede brennt und aus dem Rauchfang raucht es gen Himmel. Im Hof der Schmiede tummeln sich Gesellen, Mägde und Kinder. In der Schmiede hämmert und klopft der Schmied bereits glühendes Metall im Lichte des Feuers. Linhart klopft zaghaft an die alte, schwere Holztür. Der Schmied schaut vom Feuer auf, unterbricht das Klopfen und mustert Linhart. „Wer bist du? Was willst du?“, fragt er knapp. Sein derbes Gesicht ist rußverschmiert. Die schwarzen Stirnfransen lugen hinter der Leinenhaube, die er am Kopf trägt, hervor und kleben am Schweiß der Haut fest. Der Schmied legt das Metallstück ab, klopft mit den schwarzen, kräftigen und von Schwielen übersäten Händen auf seine dicke Lederschürze und geht langsam auf Linhart zu. „Der Bauer Mathes aus Jormannsdorf schickt mich“, sagt Linhart, „Ich bin sein Knecht. Die Frau des Bauern ist schwer krank und braucht dringend einen Arzt. Der Bauer glaubt zu wissen, dass der Arzt Martin aus Oberwart heute Ihrer Mutter einen Krankenbesuch abstattet und bittet Sie den Arzt im Anschluss zu uns zu schicken.“ „Hmm, hmm, geht in Ordnung“, brummt der Schmied in seinen buschigen Schnurrbart und zuckt zweimal rasch mit den Augenwinkeln. „Was willst du mit den Hendln?“, fragt er und schielt mit den Augen auf das Federvieh, das Linhart sich über die Schulter geworfen hat. Er leckt mit der Zunge über seine Lippen. „Die soll ich in Tatzmannsdorf verkaufen“, antwortet Linhart. Der Schmied bewegt seine klobige Hand unter die schwere Schürze und vergräbt sie in der Tasche seiner Tunika. Er bringt ein paar Münzen hervor, hält sie gegen das Feuer und zuckt dabei wieder mit den Augenliedern. Dann drückt er mit dem Daumen und Zeigefinger zwei Münzen in Linharts Hand und steckt die restlichen zurück in die Tasche seiner Tunika. „Hier hast du zwei Silberpfennige! Bring ein Huhn zu meiner Frau in die Küche. Ich brauche Fleisch, sonst verlier ich meine Kraft!“ Dann dreht er sich grußlos wieder um, schiebt das Metallstück in die Glut und beginnt aufs Neue zu klopfen. Linhart steckt das Geld in seine Tasche und geht über den Innenhof zum Wohnhaus. Er klopft an die angelehnte Küchentür, die sich sogleich knarzend öffnet. Eine alte Magd sitzt am Tisch, knetet einen Teig und summt dazu beiläufig ein Lied. Ihre Schürze ist derart verschmutzt, dass sich die ursprüngliche Farbe des Stoffes nicht mehr feststellen lässt. Das Gesicht der Magd ist verschwitzt und ihre gräulichen Haare, die hinter der Leinenhaube hervorstehen, sind voller Mehl. Sie unterbricht die Arbeit, lässt die Hände im Teig ruhen und sieht Linhart fragend an. „Der Schmied hat ein Hendl von mir gekauft. Ich soll es in die Küche bringen.“ Die Magd weist mit ihren Augen auf eine Kredenz gegenüber der Küchentür. Linhart legt ein Hendl dort ab. „Auf Wiedersehn“, verabschiedet er sich. Doch die Magd nimmt keine Notiz mehr von ihm und ist bereits wieder summend in das Kneten des Teigs vertieft.

 

Mittlerweile ist der blaue Himmel von weißen Quellwölkchen übersäht. „Es scheint ein schöner Tag zu werden“, denkt Linhart frohen Mutes als er den Sulzriegel hinab marschiert, um nach Tatzmannsdorf zu gelangen, wo allmorgendlich die Straßenhändler ihre Waren feilbieten. Es ist ein kurzer Spaziergang von etwa zwanzig Minuten, entlang Wiesen und Felder. „Der Schmied hat Glück, dass er nicht so entlegen wohnt und bei seinen täglichen Besorgungen nicht das Moor queren muss!“, denkt Linhart. In der Ferne sieht er wie die ersten Feilbieter am Dorfplatz ihre Waren arrangieren. Er setzt sich auf einen Baumstamm am Ende des Platzes und legt die Hühner vor sich auf den Boden. Es kommen bereits die ersten Mägde zum Platz, um Waren fürs Mittagessen zu besorgen. „Hendln! Frische Hendln!“, ruft Linhart so laut er kann. Er hofft, dass er das Fleisch bald los wird und nicht allzu lang herumsitzen muss, bis sich ein Käufer findet. Linhart haucht in seine kalten Hände und reibt dann eifrig die Handflächen aneinander, um sie aufzuwärmen. „Ich muss einen guten Preis raushandeln, damit die Bäuerin behandelt werden kann“, denkt er. „Der Schmied war wirklich ein Glücksgriff!“ Ein Lächeln huscht über Linharts Gesicht.

„Ja, bist du das Linhart?“, ruft eine kleingewachsene, alte Frau ihm zu und klatscht in die Hände. Grübchen bilden sich auf ihrem lachenden Gesicht, während sie sich emsig an den anderen Menschen vorbeischiebt und ihm näher kommt. Seine Tante! „Mutters Schwester“, denkt Linhart und sein Gesicht hellt auf. Er hätte fast vergessen, dass sie in Tatzmannsdorf lebt. Sie hatte den hiesigen Bäcker geheiratet, lange bevor Linhart zur Welt kam. Die grobgliedrige, stämmige Frau, mit dem dickgeflochtenen, schwarzen Zopf, durch den sich schon weiße Strähnen ziehen, umarmt Linhart stürmisch. Sie erinnert ihn an seine eigene Mutter und die Tränen schießen ihm in die Augen. Er presst heftig die Augenlider aneinander, um sich nichts anmerken zu lassen. „Was für eine Freude dich zu sehen, mein Kind! Bist du groß geworden!“ Sie klopft ihm auf den Rücken und reibt mit der Hand seinen Oberarm. „Was machst du denn hier?“, fragt sie ihn und schaut tief und eindringlich in seine Augen. „Ich soll die Hühner hier für den Bauern verkaufen“, sagt er mit belegter Stimme. „Die Bäuerin ist krank und der Bauer braucht das Geld, um den Arzt zu bezahlen.“ „Was für eine Schande!“, sagt Linharts Tante und schüttelt ihren Körper. „Die arme Frau! Gib mir ein Huhn! Mein Mann hat heute Geburtstag. Er wird sich über das Fleisch freuen!“ Die Tante drückt Linhart zwei Silberpfennige in die Hand. Linhart steckt das Geld ein und gibt ihr ein Huhn. „Wie geht es dir, Linhart?“, fragt sie ihn freundlich und legt ihre kleine Hand sanft auf seine Schulter. „Gut“, sagt er leise. Obwohl er ihr gerne sagen möchte wie einsam er sich fühlt, wie sehr er sich freut sie zu sehen, bringt er keine Worte hervor. „Wenn du mal frei hast, komm mich doch besuchen, Linhart!“ Sie zeigt mit dem Zeigefinger auf ein kleines Haus am Ende der Straße. „Dort vorne ist die Bäckerei! Du bist uns immer willkommen! Ich würde mich wirklich sehr freuen!“ Sie drückt Linhart fest an sich und küsst ihn auf die Stirn. Linhart lässt sich für einen Augenblick in ihren weichen Körper versinken und atmet ihren Geruch ein. „Danke, Tante!“, sagt er. Die Tante nimmt das Huhn an den Krallen und geht beschwingt in Richtung Bäckerei. Sie dreht sich noch einmal um und winkt ihm lächelnd zu. Linhart hebt die Hand. Er sinkt auf dem Baumstamm zusammen und denkt an seine eigene Mutter. Wie sie ihn als Kind am Schoß hielt und drückte und dazu so lange summte bis er einschlief. Wie besorgt sie war als es ihm eines Winters nicht gut ging. Nächtelang saß sie an seinem Bett und hielt seine kleine Hand fest. Er erinnert sich noch an ihren sanften Blick, der auf ihm wachsam ruhte, wann immer er aus seinen Fieberträumen wieder zu sich kam. „Ist das Huhn zu verkaufen?“, wird Linhart aus seinen Tagträumereien gerissen.“ Ja, für zwei Silberpfennige!“ Linhart schaut auf in das Gesicht einer hageren, komplett in schwarz gekleideten Frau. „Zwei Silberpfennige?“, fragt sie ungläubig und hebt demonstrativ die Augenbrauen. „Das ist doch Wucher für so einen kleinen Vogel!“, regt sie sich auf. „Ich hab schon zwei um den Preis verkauft“, entgegnet Linhart ruhig und zuckt mit den Schultern. Die hagere Frau bläst Luft durch die gespitzten Lippen. „Na gut, dann gib mir halt das Hendl für zwei Silberpfennige“, und drückt ihm mürrisch zwei Silberpfennige in die Hand. „Danke“, sagt Linhart, „Vergelt’s Gott!“ Dann streckt er seine eingefrorenen Beine durch, steht auf und macht sich auf den Weg zurück zum Hof.

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