Der Fluch des Rhododendrons

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Der Fluch des Rhododendrons
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Der Fluch des Rhododendrons



Paula und die Feuertänzerin





Barbara.A.Ropertz












Der Fluch des Rhododendrons



Paula und die Feuertänzerin





Barbara.A.Ropertz





Impressum



Alle Rechte vorbehalten





Dieses Buch ist ein Roman.



Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und sind von der Autorin nicht beabsichtigt.





Kontakt:

Paula.I.Gehring@gmx.de



Kontakt: B.A.Ro@gmx.de



Facebook: FluchdesRhododendrons





Copyright 2019 © by Barbara Ropertz



1.Auflage





Lektorat: Anke Unger





ISBN E-Book: 978-3-





Buchcoverdesign: Sarah Buhr / www.covermanufaktur.de



Unter Verwendung von Bildmaterial





Druck: epubli -




Der Fluch



des Rhododendrons





Teil 2 - Paula und die Feuertänzerin





~ Prolog ~





 Vor unvorstellbar langer Zeit, als die Lüneburger Heide noch ein einsamer, geheimnisumwitterter Ort war, dessen Moore lebensgefährlich waren und über denen oft tagelang die unheimlichen Nebelschleier hingen, lebten nahe Suderburg zwei Frauen, Bernadette und ihre Tochter Elisabeth, die beide als Hebammen, Kräuterkundige und weise Frauen galten.



 Sie wurden allgemein die „Waldhexen des Hexentobels“ genannt und waren weit über das Suderburger Land hinaus berühmt.



 Bernadette, die Mutter soll eine Feuertänzerin gewesen sein. Eine der Frauen, die Feuer besprechen, es an sich ziehen, es anfachen oder die Flammen beschwichtigen und in den Schlaf tanzen konnten.



 Frauen, die große Macht über Blitze besaßen und sie nach Belieben zu lenken wussten. Sie tanzten mit dem Feuer zum Segen oder manchmal auch zum unermesslichen Schaden für Land und Leute, wenn es Verbrechen zu sühnen gab.



 Das Erscheinen einer Feuertänzerin soll Unglück, Brand oder Krieg nach sich ziehen, so fürchten manche Leute bis auf den heutigen Tag.



 Andere schwören darauf, dass die Feuertänzerin sich stets am Beginn einer großen, unstillbaren Liebe zeigt, die weder das Leben noch der Tod beenden kann.



 Die bekannteste Prophezeiung berichtet, dass sich die Feuertänzerin in jedem Jahrhundert einmal erneuern und wieder für einige Zeit auf die Erde zurück kehren kann, um ihre verlorene Liebe zu finden und die versäumte Erfüllung dieser Liebe mit Feuergewalt nachzuholen.



~~~



Im 21. Jahrhundert - Februar 2016 -  



 Die junge Paula Gehring hatte 2015 überraschend und völlig unvorbereitet das Grundstück „Hexentobel“, auf dem einst Bernadette und Elisabeth lebten, geerbt.



 Es war ein schwieriges Erbe, denn auf dem Grundstück wohnten in alter Zeit nicht nur die beiden sogenannten Waldhexen, sondern darauf liegen auch noch immer äußerst gefährliche und sogar tödliche Flüche.



~ 1 – Paula – Michael – Ruth ~



 T

rotzdem

 hatte sich Paula spontan entschlossen auf den Hexentobel zu ziehen. Zu ihrem Glück lernte sie gleich zu Anfang die pensionierte Lehrerin Ruth Hellwig kennen, die ein kleines Heimatmuseum betrieb und viel über die Geschichte und Vergangenheit Suderburgs wusste. Nur mit ihrer Hilfe hatte Paula es geschafft, ihren Pakt mit dem Hexentobel zu erfüllen und dem Garten den Fluch zu schenken, der einen bestimmten, schuldig gewordenen Mann bestrafen würde, sobald er das Grundstück betrat. Ihr tödlicher Fluch galt dem Schuldigen Michael Gabler, der seine elfjährige Stieftochter Leonie mit Hexensalbe betäubt und an mindestens einen Mann verkauft hatte. Für diese grausame Tat hatte er die harte Strafe verdient.



 Paula war fest davon überzeugt, dass er noch nie auf dem Hexentobel gewesen war. Insgeheim hatte sie sogar etwas Angst davor, dass Michael ihr Grundstück betreten könnte, denn dann würde er noch in derselben Nacht auf dem Tobel, wo Paula lebte, unter unermesslichen Qualen sterben. So hatte sie es in ihrem Fluch, den sie fast wie in Trance geschrieben und gebunden hatte, festgelegt. Und so würde es sich erfüllen, wenn die Zeit gekommen war.



 Doch der Verfluchte war, ohne dass Paula das ahnte, schon oft auf ihrem Grundstück gewesen. Und bald, wenn der Mond günstig stand, würde er wieder kommen müssen, um Pflanzen zu holen, die nur auf Paulas Grundstück wuchsen und die er für die von ihm entwickelte Salbe zwingend benötigte.



 Michael Gabler wohnte am Ortsrand von Suderburg und betrieb mit Kathrin, seiner Frau eine kleine Gärtnerei. In den letzten Jahren war er viel öfter, als ihm lieb war, in Vollmond- und sogar auch in den ungleich gefährlicheren Neumond- oder Dunkelnächten zum Hexentobel geschlichen. Die Kräuter, die dort so zahlreich wuchsen, waren wesentlich stärker und wirkungsvoller, als jene, die er in seinen Gewächshäusern selbst zog, oder die im Wald oder auf den Wiesen an der Hardau gesammelt wurden und die allenfalls für einen Tee oder einen wohltuenden Aufguss ausreichten. Die immens starken und geheimnisvollen Kräfte des Tobels waren Michael durchaus bewusst und er fürchtete sie sehr. Pflanzen, die zu bestimmten Zeiten dort gesammelt wurden, enthielten erheblich stärkere Wirkstoffe, die sich nicht mit normalen Kräutern vergleichen ließen. Die Zutaten, die er für die Hexen- oder Flugsalbe benötigte, mit der er seine Frau und seine Stieftochter, die kleine Leonie, immer wieder so zuverlässig ins Reich der Träume schickte, waren aus den modernen, vergleichsweise schwach und kraftlos gewordenen Pflanzen nicht herstellbar.



 Michael hatte sehr lange an dem Rezept für die Salbe gearbeitet. Er hatte diese und jene Zutat dazu gemischt, andere weggelassen oder die Menge verändert, bis es ihm endlich gelungen war, genau die Salbe herzustellen, die er für seine Zwecke benötigte. Auch gab es auf dem Tobel einen Pilz, eine Röhrlings-Art, die er noch nirgendwo anders gefunden hatte und deren Gift sich nur im genauen Zusammenspiel mit bestimmten anderen Pflanzen entfalten konnte. Viele der Pflanzen, die hier wuchsen, wie Eisenhut. oder Nachtschatten, Bilsenkraut oder der Stechapfel hatten im Laufe der Zeit hochwirksame Substanzen entwickelt und in ihren Blättern, Blüten und Wurzeln gespeichert. Es waren reine Arten, die sich über Jahrhunderte ohne abschwächendes Saatgut erhalten hatten, denn der Hexentobel war bei den Leuten gefürchtet und sie betraten ihn nicht.



 Der sogenannte Tobel war seit jeher das Gebiet der „Waldhexen“ und es war nicht ratsam, sich dort hinein zu wagen. Michael wusste das sehr genau und er bezahlte jedes Mal einen sehr hohen Preis dafür, wenn er sich Pflanzen vom Tobel besorgte, um die hochwirksame Salbe herzustellen, die zuverlässig ihre überwältigende, stark berauschende Wirkung entfaltete. Er litt vor jeder seiner Exkursionen unter unerträglichen Ängsten, denn es war besonders in den Neumond-Nächten sehr gefährlich, das Grundstück auch nur zu betreten und viel riskanter war es noch, dort Pflanzen zu entnehmen. In diesen so genannten Dunkel-Nächten waren nicht nur die Pflanzen wirksamer, es erwachten auch die geheimen Wächter des Waldgartens, öffneten wachsam ihre Augen und lauerten Michael kampfbereit auf. Es gab so weit Michael wusste, Beschützer, die die Grenzen bewachten und andere Späher mit unzähligen winzigen und nimmermüden Augen direkt auf dem Gelände. Gesehen hatte Michael sie noch nie, doch voller Schrecken und in namenloser Angst gefühlt, hatte er sie jedes Mal. Er hatte ihre Anwesenheit gespürt, ihre Blicke, die ihn lähmten, ihren Atem, der unsichtbar, doch umso gefährlicher reines Gift verströmte, das die pflanzlichen Wächter über ihre Wurzeln wieder aufnahmen.



 Michael hatte auch stets ihre nur mühsam und widerwillig unterdrückte Wut auf ihn gefühlt, die jederzeit ausbrechen und ihn töten konnte. Michaels Hände waren jedes Mal, nachdem er in der Nacht den Tobel betreten und Pflanzen daraus entnommen hatte, tagelang von einem brennenden, juckenden, feuerroten Ausschlag bedeckt, der nur zögernd zurück ging und bei jedem neuen Besuch länger andauerte. Eitergelbe Knötchen bildeten sich in seinen Augenwinkeln und er fürchtete immer wieder von Neuem, eines Tages zu erblinden. Stets, wenn Michael wieder Pflanzen von dem Grundstück geholt hatte, dehnte sich der Ausschlag weiter als beim vorigen Mal aus. Zuerst waren es nur die Hände gewesen, dann die Arme und beim letzten Mal hatte die Rötung bereits auf den gesamten Oberkörper übergegriffen und sich unerträglich juckend und qualvoll schmerzend ausgebreitet.



 Auch seine Arme und Schultern waren von dem juckenden, nässenden Ausschlag befallen worden, von dem sich nach einigen Tagen riesige durchlöcherte Hautfetzen ablösten und dann eine dünne, rote, wie vernarbt aussehende Haut, wie nach einem heftigen Sonnenbrand zurückließen. Auch seine Augen waren beim letzten Besuch stärker als je zuvor betroffen gewesen. Noch tagelang waren die Augenlider dick angeschwollen und die Knötchen in den Augenwinkeln hatten ständig eklig stinkenden Eiter abgesondert.



 Kathrin hatte ihn entsetzt angestarrt und ihn drängend aufgefordert, endlich zum Augenarzt zu gehen. Noch etwas war nach seinem letzten Besuch auf dem Tobel anders gewesen. Er hatte zunächst, wie gewöhnlich, keine Tiere auf dem Grundstück gesehen oder gehört. Nur die Anwesenheit der Wächter hatte er übermächtig gefühlt, stärker, viel stärker als bei den vorigen Besuchen. Der Garten war sehr viel gefährlicher geworden, seit diese neue Hexe dort eingezogen war. Michael hatte zitternd vor Angst die Kräuter eingesammelt und war wie von Furien gehetzt von dem gefahrvollen, nächtlichen Grundstück geflohen. Am nächsten Tag waren sein Hals und sein Körper über und über von winzigen Bissen übersät gewesen. Zahnabdrücke und kleine Wunden durch nadelspitze Zähne fanden sich überall auf seiner Haut. Es waren giftige Bisse, die unerträglich juckten und ein Fieber hervorriefen, das ihn tagelang stark schwächte und nachts schweißgebadet und voller Angst erwachen ließ.

 



 Michael fürchtete sich nach dieser bisher schlimmsten Nacht bis zum Erbrechen vor einem neuen Besuch auf dem Gelände. Doch die Pflanzen verloren, einmal gepflückt, in seinen Händen stets rasch an Wirksamkeit. Er konnte sie nicht auf Vorrat sammeln, sondern musste jedes Mal von Neuem den Tobel betreten, der ihn mehr und mehr in boshafter Freude zu erwarten schien. Wäre es nach Michael gegangen, hätte er das Sammeln der Pflanzen und ihre Verwendung längst aufgegeben, doch er hatte keine Wahl. Er hatte immens hohe Schulden, seine Gärtnerei war längst verpfändet und er war vollkommen in der Hand, der Leute, die verlangten, dass er weiterhin seine Stieftochter und auch Kathrin für ihre Zwecke zur Verfügung stellte. Michael würde bald wieder gezwungen sein zu dem Waldgarten zu kommen, denn er war ihm längst verfallen und hatte keine andere Wahl mehr. Doch nun gab es etwas, wovon Michael noch nichts ahnte. Bei seinem nächsten Besuch auf dem Grundstück würde er zwangsläufig Paulas tödlichen Fluch dort vorfinden. Den Fluch, den Paula geschrieben und gebunden hatte und der ungeduldig darauf brannte sich zu erfüllen und Michael zu vernichten.



~~~




 Für Paula

 waren diese besonderen Kräuter des Tobels und ihre geheimnisvolle Magie mehr denn je ein Kriterium für die Stimmungen des Grundstücks geworden. Sie achtete genau auf alle Pflanzen und notierte ihren Wandel und sie nahm die Signale, die sie spürte sehr ernst. Es gab ständige Veränderungen zu beobachten. Die Wandlungen der Kräuter mit dem Wechsel des Mondes, neue Pflanzen, die zuwanderten. Andere Pflanzen die den Garten verließen, und solche, die stärker oder schwächer wurden.



 Paula wurde im Laufe der Zeit mehr und mehr zu einer wahren Hüterin und Expertin ihres Grundstückes. So wie es wohl auch die Hüterinnen vor ihr gewesen waren. Schon seit einiger Zeit hatte Paula bemerkt, dass gewisse Pflanzen ihre Standorte manchmal zu ändern schienen. Zuerst dachte sie sich nicht viel dabei. Sie notierte die Veränderungen, so wie sie alles penibel notierte was auf dem Grundstück geschah. Doch dann stellte sie verblüfft fest, dass ein sehr genaues System dahinter steckte. Sie fotografierte zunächst alles was ihr aufgefallen war mit dem Handy und bekam prompt ihre Quittung dafür. Die Pflanzen, die normalerweise ihre Anwesenheit wohlwollend zur Kenntnis nahmen, reagierten abweisend, ja sogar wütend. Blütenkelche schlossen sich blitzschnell, Dornen richteten sich aggressiv auf, Blätter wandten sich abrupt von ihr ab und manche rollten sich sogar abweisend zusammen. Paula war verblüfft doch sie verstand rasch. Handyfotos als Dokumentation der Wanderungen lehnte ihr Garten strikt ab. Daraufhin gab sie diese Beobachtungen erst einmal erschrocken auf, bzw. ließ die Dokumentation ruhen. Sie wollte erst einmal mit Ruth, ihrer Freundin, darüber reden und deren Meinung einholen. Paula war innerlich beunruhigt. Etwas Geheimnisvolles ging auf dem Tobel vor sich. Oder eigentlich eher in seiner unmittelbaren Umgebung. Es war so, als dehnte der Garten sich und seine Kräfte aus, als reiche der Platz auf Paulas Grundstück nicht mehr und die Pflanzen und Tiere benötigten mehr Raum, den sie für sich eroberten.



 Vielleicht war es aber auch so, dass die Wurzeln der Pflanzen, und ganz besonders des Rhododendrons sich in aller Stille und ohne, dass Paula zunächst etwas davon bemerkte, immer weiter ausgebreitet hatten. Beunruhigt dachte sie, er wächst und nimmt bald das angrenzende Grundstück, den sogenannten Wehrkamp und vielleicht sogar den anstoßenden Wald in Beschlag. Paula konnte nicht genau sagen, was sie auf diesen Gedanken gebracht hatte. Es war mehr ein Gefühl, als eine belegbare Tatsache, da sie die Wurzeln der Pflanzen ja nicht sehen, sondern nur ahnen konnte. Es war aber der deutliche Eindruck, wenn sie den Wehrbrink entlang ging und neuerdings sogar, wenn sie mit dem Auto entlangfuhr, dass sie sich bereits auf ihrem eigenen Gebiet, also auf ihrem Grundstück befand, obwohl das noch nicht der Fall war. Sie hatte diese Vermutung schon eine Weile gehabt, hatte aber nicht weiter darauf geachtet doch nun war es sehr deutlich geworden. Paula machte sich also auf den Weg zu Ruth. Es nieselte und sie hatte zuerst überlegt, ganz gegen ihre Gewohnheit mit dem Auto zu fahren. Doch dann beschloss sie den Wehrbrink, die gerade Straße, die durch den Wald führte, Richtung Hardau entlangzugehen und dieses Mal genau auf alles zu achten, was sie fühlte.



 Sie zog ihre Wald-Jeans und eine gefütterte Kapuzenjacke, die ihr etwas zu groß, dafür aber herrlich bequem war, über. Paula liebte diese Jacke, weil man darunter auch einen dickeren Pullover tragen konnte und schon ein gutes Gefühl beim Hinein kuscheln hatte. Als Paula vor dem Spiegel im Flur stand erschrak sie über den besorgten Ausdruck in ihren Augen. Das war nicht das Bild, das sie gerne von sich sah. Sie band ihre inzwischen deutlich längeren, blonden Haare straff zurück und zog entschlossen die Kapuze hoch.



 Zu Ruth konnte sie ohne weiteres in diesem Aufzug kommen. Paula verließ rasch ihr Grundstück und ging mit entschlossenen Schritten nach links den Wehrbrink entlang. Doch schon nach wenigen Schritten blieb sie verblüfft stehen. Bereits, als sie die hohe Hecke, die ihren Garten vom Nachbargrundstück trennte passiert hatte, bemerkte sie die Veränderung deutlich. Die Macht und die Kräfte des Tobels beschränkten sich offenbar schon länger nicht mehr nur auf ihren Garten. Sie hatten sich ausgebreitet und auf den Nachbargarten übergegriffen. Selbst als Paula weiterging, konnte sie noch immer die Auswirkungen des Tobels fühlen. Auch am letzten Grundstück auf dem Wehrbrink waren sie für Paula noch deutlich spürbar. Sie war geschockt. Soweit also hatte der Garten sich ausgebreitet und sie hatte nichts davon bemerkt oder es einfach nicht beachtet. Dabei hatte sie gedacht, dass sie inzwischen eine verantwortungsbewusste Hüterin war. Etwas ängstlich stieg sie die flachen Stufen im Wald hinunter, die zu der kleinen Brücke über das Flüsschen Hardau führten. Ja, auch hier war der Einfluss des Tobels noch immer deutlich spürbar. Erst als sie die kleine Brücke über die Hardau überquerte, endete die Macht ihres Grundstücks. Fließendes Wasser, natürlich, kam es Paula sofort in den Sinn. Fließendes Wasser hob fast jegliche Magie auf. Paula ging zur Probe noch einmal einige Schritte zurück und sofort griff der Tobel wieder gierig nach ihr. Ja, es gab keinen Zweifel. Der Einfluss des Gartens reichte bereits bis unmittelbar an die Hardau heran.



 „Wie blind bin ich eigentlich gewesen, dachte Paula entsetzt. Rasch ging sie noch einmal über die Brücke, dann an den Feldern entlang und an der Gärtnerei vorüber, in der noch immer Michael Gabler mit seiner Frau Kathrin und der elfjährigen Leonie wohnte. Zu Leonies Schutz hatte Paula den Fluch gegen deren Stiefvater Michael ausgesprochen. Immer wenn Paula an sie dachte, fühlte sie fast so etwas wie Zärtlichkeit für dieses Kind und auch den Wunsch, Leonie zu schützen.



 Leonie war ein außergewöhnlich schönes Mädchen. Sie war zierlich und hatte leuchtend blaue Augen, die durch lange, dunkle Wimpern ausdrucksvoll betont wurden. Ihr Lächeln war so unwiderstehlich, dass man mit lächeln musste, ob man wollte oder nicht. Die dunkelblonden Haare mit den sonnenhellen Strähnen fielen seidig und leicht gewellt bis über die Schultern. Meist hatte sie die seitlichen Strähnen geflochten oder trug eine Spange, um die Haare aus dem Gesicht herauszuhalten. Paula hatte Leonie sprachlos angestarrt, als sie das Mädchen zum ersten Mal gesehen hatte. Doch da sie inzwischen ja von Leonies dunklem Schicksal wusste, sah Paula die seltene Schönheit des Mädchens nun mit sehr zwiespältigen Gefühlen. Aufatmend klingelte Paula bei Ruth, die sofort öffnete, als habe sie ihr Kommen bereits erwartet. „Was ist los?“, fragte Ruth sofort und Paula streifte rasch ihre durchnässte Jacke ab und hängte sie an die winzige Garderobe in dem schmalen Flur. Bewundernd glitten ihre Blicke über die wunderschönen honigfarbenen Holzdielen und die als Rhombus dazwischen eingelassenen blau-weißen Fliesen.



 Rasch zog sie nach einem missbilligenden Blick Ruths ihre schmutzigen Schuhe aus und stellte sie ordentlich nebeneinander auf die Matte, die unter der Garderobe lag. Dann schlüpfte sie ungeduldig in die Pantoffeln, die bei Ruth immer für sie bereit standen. Ruth hatte ihren Lehrerinnen-Blick aufgesetzt und es war das Beste diese Dinge rasch hinter sich zu bringen. “Also was gibt es?“, fragte Ruth noch einmal, als Paula endlich in dem bequemen Sessel saß, den sie stets bevorzugte.



 Paula beugte sich nervös vor und sagte mit zitternder Stimme: „Der Tobel breitet sich weiter aus. Es muss schon länger so sein. So etwas passiert doch nicht von heute auf morgen.“ „Ja“, nickte Ruth, die nicht sonderlich überrascht schien. „Natürlich ist das so. Die Pflanzen und ihre Wurzeln wachsen nun einmal. Und der Einfluss einer Pflanze erstreckt sich über ihr gesamtes Wurzelgebiet und den ganzen Raum, den ihre Blätter oder Zweige überdecken. Bei Bäumen sogar soweit der Schatten reicht. Das weißt du doch“, setzte Ruth belehrend hinzu und sah Paula über den Rand der runden Brillengläser hinweg streng an. „Ja, sicher“, murmelte Paula, „ja natürlich, aber, ich habe nicht gedacht, dass sie über die Grundstücksgrenzen hinaus…“, Paula zögerte kurz, dann setzte sie nachdenklich hinzu: „Ich weiß, es ist merkwürdig“, sie dachte einen Moment nach, „als würde er in aller Stille Land erobern“, setzte Paula dann hinzu. „Ich weiß nicht ganz genau wie weit das geht. Auf der einen Seite auf alle Fälle bis zur Hardau hinab, da kann ich es noch deutlich spüren“, sagte sie und verstummte gedankenvoll. Paula war ein bisschen enttäuscht. Sie hatte gedacht, mit einer wichtigen Nachricht zu kommen und nun nahm Ruth die Botschaft so gelassen und selbstverständlich auf. „Wie stark spürbar ist das denn und wie weit reicht es?“, fragte Ruth nun doch und sah Paula nachdenklich an. Paula holte tief Luft. „Sehr stark ist es am direkten Nachbargrundstück, sag mal, wem gehört eigentlich das Grundstück neben dem Tobel, du weißt schon, das mit der hohen Hecke, ich habe dort noch niemals jemanden gesehen.“ Ruth war alarmiert.“Ich weiß es nicht, aber das kann ich sicher herausfinden“, sagte sie grübelnd.



 „Ich nehme stark an, dass es einer Frau gehört“, sagte Ruth leise, konnte diese Annahme aber nicht begründen. „Ich werde mal die Frau von Pastor Mechler fragen, die weiß das sicher.“ „Also“, fuhr Paula mit einem kurzen Nicken fort, „kann die Eigentümerin auch gar nicht fühlen was dort vor sich geht.“ „Ja“, stimmte Ruth zögernd zu, „aber das wird sich ändern, glaube mir. Du solltest diese Ausbreitung nicht auf sich beruhen lassen. Nur du kannst das machen. Du fühlst es am ehesten. Du gehst nach allen Richtungen um dein Grundstück und erspürst ganz genau wie weit diese Ausbreitung reicht und wie stark sie ist. Bitte mach es so schnell wie möglich.“ Paula nickte zögernd und blickte verdrießlich zu dem Niesel hinaus, der unaufhörlich über die Scheiben des kleinen Häuschens am Katzensteg perlte. „Ruf mich heute Nachmittag an oder komm wieder her, dann weiß ich sicher mehr“, sagte Ruth entschlossen und ihr Ton duldete keinen Widerspruch.



~~~



 Paula versuchte also, trotz des unablässig fallenden kalten Nieselregens noch einmal genauer herauszufinden, wie weit diese Ausdehnung ihres Grundstücks schon reichte. Paula, die tatsächlich auch bei intensivem Nachdenken sicher war, noch nie zuvor Personen auf dem Grundstück bemerkt zu haben, war gespannt, was Ruth in Erfahrung bringen würde. Abends rief Ruth an und berichtete etwas verärgert, dass auch die Frau des Pastors, die sonst über alles was in und um Suderburg geschah, genau Bescheid wusste, erst Erkundigungen einziehen wollte. Ruth schwieg einen Moment und dachte angestrengt nach. Dann sagte sie: „Vielleicht solltest du eine Landkarte mit Straßen und Wanderwegen nehmen und alles genau einzeichnen was dir auffällt, ich meine damit die Ausdehnung und die Bewegungen des Tobels.“ Paula stimmte sofort zu. „Natürlich, sagte sie, ich habe schon mal damit begonnen, die Bewegungen und Wanderungen der Pflanzen aufzuzeichnen. Ich habe auch Fotos gemacht, aber das war anscheinend keine so gute Idee. Alle Pflanzen haben sich sofort von mir abgewandt und mir sozusagen die Stachel gezeigt.“



 „Ja, dein Garten weiß genau was er will“, bemerkte Ruth mit ihrem für solche Aussagen üblichen schrägen Lächeln, das Paula, direkt vor sich zu sehen meinte. Paula zeichnete also noch am selben Abend angestrengt und sorgfältig einen Grundriss ihres Gartens und übertrug ihn maßstabgetreu auf Millimeterpapier. Sie zeichnete die Pflanzen ein, alle Pflanzen und ihre Wanderungen, soweit sie dokumentiert waren. Es war verblüffend. Paula hatte den Gartenplan an der Wand neben ihrem Schreibtisch angebracht und zeichnete Kreuze für all ihre schriftlichen Aufzeichnungen ein. Auf diese Weise wurden die Wanderungen der Pflanzen deutlich sichtbar. Mehrere Pflanzen und zwar in erster Linie die gefährlichsten Giftpflanzen wie Digitalis, Eisenhut, Tollkirsche und schwarzes Bilsenkraut bildeten offenbar in letzter Zeit kräftige Ableger aus, die sich alle obwohl von verschiedenen Standorten ausgehend, langsam aber unaufhörlich auf ihr Nachbargrundstück zu bewegten.

 



 Aber nicht nur die Gifte sandten Ableger, auch Heilpflanzen wie Johanniskraut und die sanfte Kamille machten sich scheinbar allesamt auf den Weg dorthin. Paula war fasziniert. „Was hat das denn zu bedeuten?“ murmelte sie ungläubig. Sie begann Fähnchen zu setzen und mit Schnüren die täglichen Strecken zu markieren. Keine Frage, der Tobel schickte Gift- und Heilpflanzen auf den Weg zum Wehrkamp, und zwar in beeindruckendem Tempo. Als sie aus dem Fenster sah, stellte sie missmutig fest, dass der Nieselregen mittlerweile in Schneegriesel übergegangen war. Da würden wohl in den nächsten Tagen keine weiteren Pflanzenbeobachtungen möglich sein. Paula dachte, dass auch der Vorschlag von Ruth ziemlich interessant war. Vielleicht sollte sie die Ausdehnung wirklich auch noch in eine Wanderkarte übertragen. Als sie mit Ruth telefonierte, erzählte sie: Ich habe bisher Millimeter-Papier und Fähnchen benützt. Die Pflanzen wandern rasch. Viel schneller, als ich mir das jemals hätte vorstellen können. Ich werde die Bewegungen auch noch auf eine Wanderkarte übertragen.



 Ruth nickte nachdenklich und entgegnete „Oh ja“, das solltest du wirklich. „Pflanzen haben einen starken Willen und sind oft sehr zielgerichtet.“ „Aber was haben sie vor?“ fragte Paula verwirrt. „Sie alle wandern eindeutig zum Wehrkamp. Der ist doch unbewohnt. Weißt du denn jetzt, wem das Grundstück gehört?“ „Nein, Frau Mechler hat sich noch nicht gemeldet. Ich werde mich gleich morgen nochmal darum kümmern“, sagte Ruth entschlossen und schob energisch ihr Kinn vor. Paula konnte es förmlich vor sich sehen und grinste. Sie vermutete, dass sie spätestens am nächsten Tag wissen würde, wem der Wehrkamp gehörte. Paula war mittlerweile doch ziemlich verwirrt von den Vorgängen auf dem Tobel und dem Wehrkamp, obwohl sie eigentlich gar keine Zeit für diese Vorgänge hatte, denn noch immer war sie ausreichend mit dem Fluch beschäftigt, den sie für Michael angefertigt hatte, und der noch immer unerfüllt war. Und nun bereitete der Tobel offensichtlich bereits eine neue Aufgabe für sie vor. Paula hatte den tödlichen Fluch für Michael natürlich nicht leichtfertig erstellt und aktiviert.



 Zusammen mit ihrer Freundin Ruth hatte Paula nach einem eher zufällig aufgekommenen Verdacht Nachforschungen angestellt und mit viel Spürsinn herausgefunden, dass die elfjährige Leonie, die Tochter von Michaels Frau Kathrin mit hoher Wahrscheinlichkeit unter Drogen gesetzt und missbraucht wurde. Paula hatte


trotz der erdrückenden Beweise einige Zeit quälende Zweifel gehabt, ob sie einen Mann wie Michael, den sie kaum kannte, mit einem solchen Fluch belegen durfte. Doch ein Teil des bindenden Paktes mit dem Grundstück „Hexentobel“, den sie bei Antritt des Erbes unterschrieben hatte, forderte die Erfüllung einer ihr gestellten Aufgabe. Es hatte eigentlich kaum einen Zweifel daran gegeben, dass es Paulas Bestimmung war, den Fluch anzufertigen, der Michael Gabler für seine Taten bestrafen würde. Paula hatte damals immer wieder gezögert und war vor der Aufgabe zurück geschreckt. Erst als die Schuld Michaels zweifelsfrei feststand und sie sich durch Bildmaterial der übelsten Sorte eindeutig von seiner Täterschaft überzeugen konnte, hatte sie die nötige Wut und auch den Mut aufgebracht und in einer langen Nacht wie in Trance den tödlichen Fluch geschrieben, der seither auf Michael wartete und ihm bei seinem nächsten Besuch auf dem Tobel zum todbringenden Verhängnis werden würde. Paula versuchte diese belastenden Vorgänge rund um den Fluch zu verdrängen, so gut es ging, und doch fürchtete sie sich unsäglich vor der tatsächlichen Erfüllung ihres Fluches. Und nun begann auch noch der Tobel sich auszudehnen und sie hatte keine Ahnung weshalb. Nur dass es einen zwingenden