Heimliche Liebe

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Heimliche Liebe
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Heimliche Liebe

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2016

Copyright Cartland Promotions 1985

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

Heimliche Liebe

„Ich will ihn nicht heiraten, Mama.“

„Virginia, du wirst tun, was man dir sagt“, kam die scharfe Antwort. Mrs. Clay erhob sich aus ihrem Sessel und ging erregt in dem großen, überladenen Salon auf und ab.

„Weißt du überhaupt, was du da ausschlagen willst, Mädchen?“ fragte sie. „Du weigerst dich, einen Engländer zu heiraten, der in absehbarer Zeit Herzog wird. Herzog! Hörst du? Es gibt nicht mehr viel von der Sorte. Der Tag, an dem du die Kirche als zukünftige Herzogin verläßt, wird der glücklichste in meinem Leben. Das dürfte dann Mrs. Astor lehren, mich über die Schulter anzusehen.“

„Aber Mama, er kennt mich doch nicht einmal“, wandte Virginia ein.

„Was hat das damit zu tun?“ wollte Mrs. Clay wissen. „Wenn wir auch das Jahr 1902 zählen, so hat sich eines doch nicht geändert. Sowohl in Europa wie auch hier werden Ehen von den Eltern der Braut und des Bräutigams beschlossen. Das ist eine sehr vernünftige Methode, die sich für beide Teile als ausgesprochen erfolgreich erwiesen hat.“

„Du weißt so gut wie ich, daß dieser Mann ...“

„Der Marquis von Camberford“, unterbrach Mrs. Clay sie tadelnd.

„Also gut, der Marquis“, fuhr Virginia fort, „mich nur um meines Geldes willen heiratet. Das ist alles, was ihn interessiert.“

„Meine liebe Virginia, erspare mir dieses lächerliche Geschwätz. Die Herzogin ist eine alte Freundin von mir. Dein Vater und ich haben sie vor ungefähr zehn Jahren auf unserer Europareise kennengelernt, und sie war so liebenswürdig, uns zu einem Ball auf ihr Schloß zu bitten.“

„Und dann mußtest du Eintritt bezahlen“, warf Virginia dazwischen.

„Darum geht es nicht“, rief Mrs. Clay erregt aus. „Es handelte sich um einen Wohltätigkeitsball, und ich habe nie etwas anderes behauptet. Ich blieb mit der Herzogin in Verbindung und konnte ihr bei der Verwirklichung einiger ihrer Lieblingsprojekte behilflich sein, wofür sie mir sehr dankbar war.“

„Du meinst, daß sie dein Geld gern entgegennahm“, sagte Virginia ruhig.

Mrs. Clay tat, als hätte sie ihre Worte nicht gehört.

„Wir setzten unseren Briefwechsel fort“, erzählte sie weiter. „Ich sandte ihr regelmäßig zu Weihnachten Geschenke, für die sie sich überschwenglich bedankte. Eines Tages erkundigte sie sich nach dir und ob du nicht schon im heiratsfähigen Alter wärst. Endlich erbrachten die Tausende von Dollars, die ich Jahr für Jahr ausgegeben habe, Dividende.“

„Ich habe nicht das geringste Verlangen danach, als Dividende betrachtet zu werden, Mama. Mag die Herzogin auch noch so charmant sein, ihren Sohn kennst du doch gar nicht.“

„Ich habe Bilder von ihm gesehen, und er sieht sehr gut aus, das kannst du mir glauben. Er ist kein Milchbart mehr, sondern ein Mann von achtundzwanzig Jahren. Um so besser kann er sich um das Vermögen kümmern, das dein Vater unbegreiflicherweise dir hinterlassen hat, obwohl es rechtmäßig bis zu deiner Eheschließung mir zustünde.“

„Ach Mutter, müssen wir schon wieder darüber diskutieren? Du bist doch reich, schrecklich reich sogar. Die Tatsache, daß Vater uns sein Vermögen zu gleichen Teilen vermacht hat, kann dir doch nichts ausmachen. Du kannst gern alles haben, was mir gehört. Dann wirst du im Übrigen sehen, ob der Marquis noch Interesse für mich zeigt.“

„Virginia, du bist wirklich ein undankbares Geschöpf“, rief ihre Mutter. „Dir wird eine Gelegenheit geboten, von der jedes Mädchen nur träumen kann. Alle deine Freundinnen werden vor Neid erblassen, wenn sie von deinem Glück hören. Stell dir vor, du wirst in den Buckingham-Palast eingeladen und mit dem König und der Königin dinieren. Und dabei trägst du eine Krone auf dem Kopf.“

„Eine Tiara“, verbesserte Virginia.

„Meinetwegen, nenne es wie du willst. Jedenfalls werde ich dafür sorgen, daß du bei deiner Hochzeit die größte und schönste trägst, die ich auftreiben kann. Ist dir eigentlich klar, welchen Wirbel die Zeitungen um deine Hochzeit machen werden?“

„Ich will nicht einen Mann heiraten, den ich nicht kenne“, sagte Virginia beharrlich.

„Du wirst genau das tun, was man dir sagt“, erwiderte ihre Mutter ärgerlich. „Mrs. Rosenburg soll damals ihre Tochter mit der Peitsche bedroht haben, weil sie den Herzog von Melchester nicht heiraten wollte. Aber wie immer sie es angestellt hat, der Erfolg gab ihr recht. Wenn Pauline auch die erste amerikanische Herzogin in der englischen Gesellschaft ist, so gibt es Raum genug für eine zweite, nämlich dich.“

„Ich habe nicht den geringsten derartigen Wunsch, Mama. Kannst du das eigentlich nicht verstehen? Außerdem haben sich die Zeiten geändert.“

„Inwiefern?“ fragte Mrs. Clay scharf. „Heutzutage kommen höchstens mehr Engländer nach Amerika und mehr reiche amerikanische Familien reisen nach Europa als früher. Vor wenigen Tagen erzählte dein Onkel noch, daß neue Dampfer gebaut werden sollen, die alle diese Menschen über den Atlantik bringen. Im Jahr 1907 dürften wir vermutlich einen Höhepunkt im Schiffsbau erleben.“

„Und wenn wir dabei Geld investieren, werden wir noch mehr Dollar machen, als wir schon haben. Wofür eigentlich?“ fragte Virginia.

Mrs. Clay machte eine ungeduldige Handbewegung.

„Du solltest wirklich aufhören, in so verächtlicher Weise über Geld zu sprechen, sondern dankbar sein, daß du es in so reichem Maße besitzt.“

„Das bin ich nicht, wenn ich dadurch gezwungen bin, einen Mann zu heiraten, den ich nicht kenne und der einzig und allein an meiner Mitgift interessiert ist.“

„Ganz so ist es nicht“, versuchte Mrs. Clay ihre Tochter zu beruhigen. „Ich habe dir doch erzählt, daß die Herzogin und ich langjährige Freundinnen sind. In ihrem Brief schrieb sie, daß sie eine Verbindung zwischen ihrem Sohn und meiner Tochter als reizende Besiegelung dieser Freundschaft empfände.“

„Wieviel mußt du für das Privileg bezahlen, daß ich in die englische Aristokratie einheiraten darf?“ wollte Virginia wissen.

„Diese Frage werde ich nicht beantworten. Eine derartige Bemerkung klingt von den Lippen eines jungen Mädchens ausgesprochen vulgär. Du kannst die geschäftlichen Arrangements unbesorgt deinem Onkel und mir überlassen.“

„Ich möchte den Preis wissen“, sagte Virginia beharrlich.

„Von mir erfährst du ihn nicht“, fuhr ihre Mutter sie an.

„Es ist also so, wie ich dachte“, sagte Virginia. „Die Herzogin verlangt eine bestimmte Summe und gibt sich nicht nur mit meinem Vermögen zufrieden, das mein zukünftiger Mann verwalten will. Wieviel will sie haben?“

„Ich habe dir bereits gesagt, daß dich das nichts angeht“, erwiderte Mrs. Clay.

„Wie kannst du das behaupten“, protestierte Virginia. „Schließlich bin ich doch das Opfer, das auf dem Altar eurer Eitelkeit dargebracht werden soll.“

„Derartige sarkastische Bemerkungen dürften dich in der englischen Gesellschaft nicht gerade beliebt machen“, warnte Mrs. Clay. „Warum habe ich keine nette, brave und folgsame Tochter wie dieses Belmont-Mädchen, das dich ab und zu besucht.“

„Sie kommt auf deine Einladung hin“, bemerkte Virginia. „Meine Freundin ist sie wirklich nicht. Wenn jemand geistig etwas minderbemittelt ist, dann Bella Belmont.“

„Na wenn schon. Jedenfalls ist sie hübsch und gut erzogen“, erwiderte ihre Mutter. „Mehr würde ich von meiner Tochter gar nicht verlangen.“

„Und da hast du ausgerechnet mich!“

„Ja, ich habe dich“, wiederholte Mrs. Clay. „Und du, meine liebe Virginia, wirst den Marquis von Camberford heiraten, und wenn ich dich an den Haaren vor den Altar schleifen muß. Und damit sollten wir diese Diskussion beenden und anfangen, uns mit deiner Aussteuer zu beschäftigen. Wir haben nicht viel Zeit, da der Bräutigam in drei Wochen eintreffen wird.“

„Dann wollen wir warten, bis er da ist, Mama. Ich werde dir meine Entscheidung mitteilen, wenn ich ihn kennengelernt habe.“

„Das ist nicht der springende Punkt“, sagte Mrs. Clay ein bißchen unbehaglich.

„Wie meinst du das?“

„Der Marquis ist sehr in Eile. Er trifft am 29. April hier ein, und am nächsten Tag soll die Hochzeit stattfinden.“

Virginia stieß einen ungläubigen Schrei aus.

„Bist du verrückt geworden, Mama? Ich werde diesen Glücksjäger am 30. April genauso wenig heiraten, wie ich zum Mond fliege. Wie kannst du mir so etwas zumuten?“

Als sich die in die Enge getriebene Mrs. Clay jetzt zu ihrer Tochter umwandte, sah sie, wie das Mädchen mit einem leisen Stöhnen in einen Sessel sank und die Hand vor die Augen legte.

„Was ist los, Virginia? Hast du wieder Kopfschmerzen?“

„Ich fühle mich elend. Die Arznei, die mir der neue Arzt verschrieben hat, scheint mir nicht zu bekommen.“

„Er hält dich für blutarm und möchte deine Kräfte neu aufbauen“, sagte Mrs. Clay. „Hast du wenigstens um elf Uhr dein Glas Wein getrunken?“

„Ich habe es versucht, aber es ging nicht.“

„Aber du weißt doch, daß Rotwein die roten Blutkörperchen vermehrt. Wie wäre es mit einem Glas Sherry vor dem Mittagessen?“

„Nein, ich will nicht“, protestierte Virginia. „Mit meinen Kopfschmerzen fühle ich mich außerstande, eine Mahlzeit zu mir zu nehmen.“

„Du mußt vernünftig essen“, sagte Mrs. Clay bestimmt. „Der Küchenchef hat die Eclairs gemacht, die du so gern ißt, und zum Tee gibt es Buttercremetörtchen.“

„Ich will nicht, Mama, mir wird nur schlecht davon.“

 

Virginia weinte fast.

„Wir müssen etwas für deine rosigen Wangen tun, bevor der Marquis kommt.“

Ihre Tochter seufzte.

„Hör zu, Mama, wir wollen uns nicht die nächsten drei Wochen streiten. Ich heirate diesen Engländer auf keinen Fall, mag er nun Herzog werden oder nicht. Schließlich kannst du mich nicht dazu zwingen.“

Gespanntes Schweigen herrschte zwischen den zwei Frauen, das nach geraumer Zeit von Mrs. Clay unterbrochen wurde: „Wie du meinst, Virginia. Wenn dem so ist, habe ich andere Pläne mit dir.“

„Hast du das wirklich?“ fragte Virginia spürbar erleichtert. „Ach, Mama, warum quälst du mich dann so? Du weißt doch, daß ich nicht heiraten möchte.“

„Wenn du dich meinen Wünschen nicht fügst“, fuhr Mrs. Clay fort, „dann betrachte ich dich nicht länger als meine Tochter und schicke dich zu Tante Louise.“

Virginia glaubte ihren Ohren nicht zu trauen.

„Aber Tante Louise ist Nonne und leitet eine Besserungsanstalt.“

„So ist es“, bestätigte ihre Mutter. „Und dort wirst du bis zu deinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr bleiben. Immerhin dürfte dir nicht entgangen sein, daß dein Vater mich zu deinem Vormund bestimmt hat, auch wenn du die Hälfte seines Vermögens geerbt hast.“

„Aber Mama, das kannst du mir doch nicht antun“, rief das Mädchen verzweifelt.

„Wer sollte mich daran hindern? Du bist noch ein Kind, und vermutlich habe ich dich von frühester Jugend an viel zu sehr verzogen. Entweder du willigst in diese brillante Heirat ein, oder du fährst zu deiner Tante. Das ist mein letztes Wort.“

„Ich kann es einfach nicht glauben“, sagte Virginia leise.

„Du wirst schon sehen. Vielleicht denkst du, daß ich mein Wort nicht halte, weil ich dich bisher immer verwöhnt habe. Andererseits solltest du eines wissen: wenn ich mir einmal etwas in den Kopf gesetzt habe, bekomme ich es gewöhnlich auch. Während all der Jahre, in denen ich deinen Vater solange antrieb, bis er endlich Millionär war, habe ich etwas gelernt. Ein Mensch mit einem starken Willen kann auf dieser Welt alles erreichen. Du hast mein Ultimatum gehört, Virginia. Ich warne dich. Ich werde nicht zögern, meine Drohung wahrzumachen.“

Virginia schlug die Hände vor das Gesicht.

„Und wie lautet deine Antwort?“ fragte Mrs. Clay nach einiger Zeit mit harter Stimme.

Das Mädchen blickte ihre Mutter entsetzt an.

„Ich kann es einfach nicht glauben, Mama.“

„Wenn du älter bist, wirst du mir dankbar sein“, versicherte Mrs. Clay. „Gibst du mir nun dein Wort, daß du den Marquis sofort nach seiner Ankunft heiraten und ihm als seine Frau nach Europa folgen wirst?“

„Ich kann es nicht, Mama. Wie kann ich mich an einen Mann binden, den ich noch nie gesehen habe und der mich nur um meiner Mitgift willen begehrt? Natürlich will ich eines Tages heiraten, aber nur jemand, der mich liebt und den auch ich liebe.“

Mrs. Clay warf den Kopf zurück und lachte spöttisch.

„Jemand, der dich liebt“, wiederholte sie. „Hältst du das wirklich für möglich? Bist du tatsächlich so verbohrt, daß du annimmst, irgendein Mann würde dich um deiner selbst willen heiraten? Komm doch einmal her.“

Sie packte ihre Tochter am Arm und zog sie vor einen großen Spiegel.

„Schau dich an“, sagte sie grausam. „Und dann nenne mir einen einzigen Mann, der dich nicht nur heiratet, weil du reich bist.“

Virginia gehorchte und blickte wie hypnotisiert in den Spiegel, in dem ihre schlanke Mutter in einem eleganten Kleid und Juwelen um Hals und Handgelenk zu sehen war. Eine schöne Frau, die überall Aufsehen erregte. Daneben sah sie sich selbst. Klein und so dick, daß sie schon grotesk wirkte. Ihre Augen lagen zwischen rosigen Speckfalten versteckt, ihre Wangen wölbten sich und das Doppelkinn reichte bis zum Hals. Der dünne Stoff der Ärmel an ihrem Kleid umspannte fest die prallen Arme. Die Finger waren rot und wurstähnlich. Die Taille fehlte völlig. Ihr Haar hatte eine so undefinierbare Farbe, daß die modische Frisur völlig überflüssig war.

Sie starrte und starrte, bis sie ihre Mutter fast angewidert sagen hörte: „Verstehst du jetzt, was ich meine?“

Virginia bedeckte ihre Augen mit der Hand.

„Ich weiß doch, wie schrecklich ich aussehe“, sagte sie gebrochen. „Die Ärzte versprechen ständig, daß ich eines Tages schlanker werde, und täglich fühle ich mich elender.“

„Die können viel versprechen“, rief Mrs. Clay wütend aus. „Ich weiß schon gar nicht mehr, wieviel tausend Dollar ich in den letzten fünf Jahren für diese Herren ausgegeben habe, und wie man sieht, ohne jeden Erfolg.“

Virginia wandte sich ab und sagte hoffnungsvoll: „Vielleicht weigert er sich, mich zu heiraten, wenn er mich zu Gesicht bekommt.“

„Keine Sorge, das wird er nicht.“

„Was macht dich so sicher?“

„Weil die Herzogin das Geld verzweifelt notwendig braucht, sonst hätte sie mir nicht geschrieben.“

„Wieviel bezahlst du ihr?“ wollte Virginia wissen.

„Zwei Millionen Dollar“, sagte Mrs. Clay langsam und betont. „Wenn du das in englische Währung umrechnest, sind das über vierhunderttausend Pfund.“

Virginia sank mit leisem Stöhnen auf das Sofa.

„Schluß jetzt mit deinen hysterischen Ausbrüchen“, rief ihre Mutter. „Du wirst am 30. April heiraten. Wenn nicht, schicke ich dich zu Tante Louise und teile den Leuten mit, daß sich meine Tochter aus gesundheitlichen Gründen für die nächsten Jahre in ein Kloster zurückgezogen hat. Dort hast du dann genug Zeit, über die Vorzüge eines Lebens als englische Herzogin nachzudenken.“

Vom Sofa her kam keine Antwort. Virginia lag, den Kopf in den Seidenkissen verborgen, und schluchzte vor sich hin.

Während der folgenden Tage nahm Virginia kaum wahr, was um sie herum vor sich ging. Der Schock über die erzwungene Heirat schien ihr das letzte bißchen Kraft entzogen zu haben.

Der Arzt kam täglich, und fast genauso oft wurde ihre Diät geändert. Man zwang ihr alle Arten von nahrhaften Gerichten auf, und die ausgefallensten Delikatessen wurden herbeigeschafft. Gegen ihre Anämie mußte sie Ochsenblut trinken. Frische Milch von Jerseykühen kam direkt von der Clayschen Farm und Gemüse und Obst vom Landsitz der Clays in Virginia. Champagner aus Frankreich, Sherry aus Spanien, Kaviar aus Rußland, Gänseleberpastete aus Straßburg war nur einiges von dem, was sie täglich zu sich nahm.

Manchmal hatte sie das Gefühl, sich wie in Trance zu bewegen. Was immer sie tat und sagte, schien unwirklich zu sein. Stundenlang probierte sie ihre neuen Kleider an und war dann so müde, daß sie förmlich ins Bett fiel. Allein in ihrem Schlafzimmer suchte sie verzweifelt nach einem Ausweg, doch sie fand keinen. Manchmal hatte sie das Gefühl, Stimmen zu hören, die pausenlos auf sie einhämmerten: „Du bist fett und häßlich! Fett und dumm! Er heiratet dich um deines Geldes willen!“

Eines Tages sprach ihre Mutter sie an: „Du benimmst dich wie eine Drogensüchtige, Virginia. Ich muß mit dem Arzt sprechen. Ich werde nicht erlauben, daß du Narkotika nimmst.“

Dabei wußte Virginia, daß ihre geistige Abwesenheit nicht von den Medikamenten herrühren konnte, da sie diese zum größten Teil wegschüttete. Irgendetwas in ihrem Inneren versuchte sich der Realität zu entziehen.

„Der Marquis wird morgen eintreffen!“

Bei dieser Ankündigung ihrer Mutter empfand sie nichts, nicht einmal Neugier. Sie hatte es längst aufgegeben, sich über sein Aussehen Gedanken zu machen, sie fühlte sich zu schlaff und krank dazu.

Mrs. Clay hatte am Ankunftsabend des Marquis zu einem pompösen Empfang geladen. Hinter dem Haus wurde ein Zelt errichtet, und tagelang bauten Arbeiter den Boden auf. Überall wurden exotische Blumengestecke verteilt und die Kostbarkeiten der Clays zur Schau gestellt.

Mrs. Clay war in ihrem Element, während sie nach allen Seiten Anweisungen erteilte. Die Hochzeit sollte in dem für diese Gelegenheit mit hunderten von weißen Orchideen geschmückten Ballsaal stattfinden. Der Empfang am Abend zuvor sollte eine heitere Note haben, für die Mrs. Clay Rosa als die richtige Farbe erachtete. Virginia würde ein mit Rosenknospen geschmücktes rosa Tüllkleid tragen, dazu einen Kranz aus Rosenknospen im Haar.

Noch lange sprachen die Leute von dem zu Ehren des Marquis gegebenen Empfang als von einem Höhepunkt des New Yorker Gesellschaftslebens. Unglücklicherweise konnte der Ehrengast selbst dieser Veranstaltung nicht beiwohnen. Sein Schiff war durch unerwartet rauhe See im Atlantik aufgehalten worden und legte erst um vier Uhr morgens an. Als er sein Hotel erreichte, war der Empfang längst vorüber.

Virginia hatte man um ein Uhr ins Bett geschickt, damit sie für die Hochzeitszeremonie am nächsten Tag frisch sei. Sie konnte sich des unbestimmten Gefühls nicht erwehren, daß ihre Mutter insgeheim erleichtert war, daß der Marquis sie vorher nicht zu Gesicht bekommen hatte. Trotz ihrer Apathie war ihr nicht entgangen, daß ihre Mutter jetzt, wo der Tag der Begegnung immer näher heranrückte, ein wenig ängstlich und nervös wurde. Sicher machte sie sich Gedanken darüber, was der Marquis von seiner Braut halten mochte.

Als Virginia allein in ihrem Zimmer war, zerrte sie den Rosenknospenkranz vom Kopf und betrachtete ihr Spiegelbild. Während der letzten Wochen schien sie noch dicker geworden zu sein. Das Fleisch um ihre Augen war so geschwollen, daß diese fast nicht mehr zu erkennen waren. Sie riß sich das Kleid vom Leibe und fühlte sich sofort erleichtert. Das Taillenband war viel zu eng gewesen.

Vielleicht wäre ich doch besser zu Tante Louise gegangen, dachte sie. Ich wollte, ich wäre tot. Mein Gott, warum bin ich nicht tot?

Am nächsten Morgen erwachte sie in einem Wirbel von Aktivität. Ihre Mutter stürzte ins Zimmer, riß die Vorhänge auf und klingelte nach dem Mädchen.

„Der Marquis hat ein paar Zeilen geschickt“, sagte sie hochbefriedigt. „Er bedauert die Verspätung des Schiffes, als ob er etwas dafür könnte, der Arme. Ich kann mir nicht helfen, aber ich glaube, daß sich alles zum Besten gewandt hat. So werdet ihr euch zum ersten Mal sehen, wenn der Bischof euch als Mann und Frau zusammengibt.“

Als Virginia keinen Ton von sich gab, fuhr ihre Mutter fort: „Draußen ist ein herrlicher Tag mit strahlendem Sonnenschein. Jetzt tut es mir fast leid, daß ihr nicht in der St. Thomas-Kathedrale getraut werdet. Andererseits sieht der Ballsaal hinreißend aus. Du solltest jetzt wirklich aufstehen, Virginia. Ich nehme nicht an, daß du deine Ehe damit beginnen willst, deinen Mann warten zu lassen.“

„Ich fühle mich nicht wohl“, stöhnte Virginia.

„Das sind die Nerven, mein Kind. Trink deine Milch, und später vor der Trauung nimmst du ein Glas Champagner.“

„Ich will keinen“, protestierte Virginia. „Er schmeckt sauer, und ich bekomme Sodbrennen davon.“

„Dann trinkst du eben Kaffee“, erwiderte ihre Mutter. „Ich habe gerade eine Kanne bestellt. Ohne ein halbes Dutzend Tassen werde ich diesen Vormittag wohl kaum überstehen.“

Als gleich darauf der Kaffee kam, füllte sie eine große Tasse für Virginia und tat mehrere Löffel Zucker hinein.

„Das gibt Energie“, sagte sie heiter.

„Mein Herz klopft danach wie verrückt“, sagte Virginia Missgelaunt. „Ehrlich, Mama, ich würde heute lieber keinen trinken.“

„Um Himmels Willen, mußt du denn an allem herummäkeln?“ rief Mrs. Clay ärgerlich. „Ich weiß, was gut für dich ist, und deshalb tu, was man dir sagt. Jetzt solltest du dein Bad nehmen. Die Mädchen können inzwischen dein Kleid auf dem Bett ausbreiten. Ich bin sicher, daß in letzter Minute noch Änderungen erforderlich sind, und wünsche keine Hetzerei. Wenn ich hinuntergehe, um die Gäste zu begrüßen, hast du fertig zu sein.“

Gehorsam stieg Virginia in das heiße Badewasser. Dabei wurde ihr so schwindelig, daß sie fürchtete, in Ohnmacht zu fallen. Nachdem sie sich getrocknet hatte und angekleidet war, erschien der Friseur. Und dann wurde ihr Brautschleier an einer so riesigen, mit Brillanten besetzten Tiara befestigt, daß sie sogar an einer großen, schlanken Person wie ihrer Mutter vulgär und überladen gewirkt hätte. Auf ihrem Kopf war sie eine Katastrophe.

„Das nenne ich wirklich ein Prachtstück“, sagte Mrs. Clay und betrachtete befriedigt ihre Tochter. „Frag mich nicht, was es gekostet hat. Dein lieber Vater, wenn er noch lebte, hätte einen Schlaganfall bekommen.“

„Es ist ja auch ziemlich überwältigend“, sagte Virginia mit schwacher Stimme.

„Die Tiara ist mein Hochzeitsgeschenk für dich, mein Kind“, bemerkte ihre Mutter. „Ich dachte mir schon, daß du zufrieden sein würdest. Weißt du übrigens, daß Mrs. Astor unsere Einladung zur Hochzeit angenommen hat? Ich wunderte mich schon, daß keine Antwort kam, aber anscheinend war sie verreist. Vermutlich kann sie der Versuchung nicht widerstehen, sich den Marquis aus der Nähe anzusehen. Eines kann ich dir sagen, er ist so attraktiv, daß er eigentlich gar keinen Titel braucht.“

 

„Hast du ihn denn schon gesehen?“ fragte Virginia erstaunt.

„Und ob! Er war gegen halb zehn Uhr hier und entschuldigte sich noch einmal für gestern abend. Virginia, wenn du es nur einsehen wolltest, aber du bist das glücklichste Mädchen von ganz Amerika. Während ich mich mit ihm unterhielt, bedauerte ich zutiefst, daß ich nicht fünfundzwanzig Jahre jünger bin. Dann würdest nicht du heute vor dem Altar stehen, sondern ich.“

„Hast du ihm das Geld schon gegeben?“ unterbrach Virginia den begeisterten Wortschwall ihrer Mutter.

„Sei nicht so vorwitzig“, mahnte Mrs. Clay. „Wenn du willst, daß eure Ehe ein Erfolg wird, erwähne dieses Geld unter keinen Umständen deinem Mann gegenüber. Ich hätte dir gar nichts davon erzählen sollen. Leider konnte ich noch nie besonders gut ein Geheimnis für mich behalten. Versprich mir bitte, dich wie eine Dame zu benehmen und alle finanziellen Angelegenheiten deinem Mann zu überlassen.“

„Es wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben“, meinte Virginia. „Papa hat ja leider die Verwaltung meines Geldes bis zu meinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr dir, und wenn ich heirate, meinem Mann überlassen. Ich kann nur hoffen, daß der edle Marquis mir ein wenig Taschengeld zugestehen wird, wenn ich ihn darum bitte.“

„Virginia, mir paßt dein sarkastischer Ton gar nicht.“ Mrs. Clays Stimme klang schrill. „Der Marquis ist ein sehr liebenswürdiger und gut erzogener Mann. Ganz New York wird dich um ihn beneiden. Außerdem solltest du dir einmal klar machen, daß dieser Handel zwei Seiten hat. Vielleicht hätte er ebenfalls gern aus Liebe geheiratet.“

Als Mrs. Clay den Raum verlassen hatte, barg Virginia den Kopf in den Händen. Wie bei jedem Streit mit ihrer Mutter hatte sie den Kürzeren gezogen.

Durch den aufgezwungenen Kaffee klopfte ihr Herz wie rasend. Ihr Gesicht hatte sich gerötet, und das Atmen fiel ihr schwer. Während man ihr in das Hochzeitskleid half, fragte sie sich, wie sie den langen Weg durch den Ballsaal überstehen sollte.

Schließlich war sie fertig und warf noch einen letzten Blick in den Spiegel. Das Kleid aus Brüsseler Spitze hätte an einer schlanken Figur bezaubernd aussehen können, doch mit dem wallenden Schleier und der riesigen Tiara wirkte sie darin wie ein überdimensionaler Christbaumengel.

Eben klopfte es an die Tür, und ein Diener brachte ihr ein Glas Champagner.

„Im Auftrag Ihrer Frau Mutter, Miss Virginia. Sie läßt Ihnen ausrichten, sie möchten es austrinken.“

Virginia nippte daran, weil sie hoffte, vielleicht leichter atmen zu können. Der alte Diener, den sie in seiner geschmückten Uniform kaum erkannte, lächelte sie freundlich an.

„Ich wünsche Ihnen viel Glück, Miss Virginia.“

„Danke schön“, sagte sie fast mechanisch.

Sie stellte gerade das leere Glas auf den Frisiertisch, als sie vom Eingang her die Stimme ihres Onkels hörte.

„Fertig, Virginia? Die Gäste warten.“

Der Ausdruck von Bewunderung in seinem Gesicht galt offensichtlich der Tiara.

Sie zog die weißen Handschuhe an und legte die Hand auf den Arm ihres Onkels. Im anderen Arm trug sie ein Bukett aus weißen Rosen und Flieder. Langsam schritten sie die Treppe zum Ballsaal hinunter.

Unten wurde die leise Musik von lautem Stimmengewirr fast übertönt. Die Gäste, die keinen Sitzplatz gefunden hatten, drängten sich auf der Treppe und wichen zur Seite, als die Braut nahte. Jeder Schritt bedeutete für Virginia eine ungeheure Anstrengung, und sie stützte sich schwer auf den Arm ihres Onkels.

Als sie zum ersten Mal die Augen hob, erhaschte sie einen flüchtigen Blick auf den Bischof. Neben ihm stand auf der einen Seite ihre triumphierende Mutter, auf der anderen ein Mann. In ihren kühnsten Träumen hatte sie sich den Marquis nicht so groß, breitschultrig und dunkel vorgestellt. Einmal im Leben mußte sie ihrer Mutter zustimmen. Er war der best- aussehende Mann, den sie je getroffen hatte.

Inzwischen war sie am Ende des Ballsaales angelangt und stand vor dem Bischof. Der Marquis trat an ihre Seite und der Gottesdienst begann.

„Wollen Sie diesen Mann zu Ihrem Gatten nehmen, in guten wie in bösen Tagen ...“

Wie aus weiter Entfernung hörte sie ihre eigene Stimme: „Ja!“

Die Antwort des Marquis klang fest, aber irgendwie unpersönlich.

Als die Zeremonie vorüber war, schob ihr jemand den Schleier vom Gesicht zurück. Am Arme ihres Gatten schritt sie die Stufen zu dem großen Zelt hinunter, das man inzwischen in eine Empfangshalle verwandelt hatte. Auf einem Tisch in der Mitte des Raumes stand ein riesiger Hochzeitskuchen. Vorsichtig, um nicht auf ihre Schleppe zu treten, tastete sie sich vorwärts. Obwohl sie den Marquis nicht anzusehen vermochte, konnte sie seine Anspannung spüren.

Neben ihnen ging angeregt plaudernd ihre Mutter.

„Bitte diesen Weg, Marquis. Aber so muß ich Sie jetzt ja nicht mehr nennen, nicht wahr? Sie heißen Sebastian. Was für ein hübscher Name! Virginia und Sebastian passen gut zusammen, finden Sie nicht? Hoffentlich hat Ihnen die Trauung gefallen. Der Bischof von New York ist ein alter Freund unserer Familie. Niemand anders hätte Sie und Virginia zusammengeben können.“

Als sie den Tisch mit dem riesigen Kuchen erreicht hatten, rief Mrs. Clay fröhlich: „Ein Glas Champagner, ich möchte mit Ihnen anstoßen. Zuerst müssen Sie die Gäste begrüßen und dann den Kuchen anschneiden. Ich bleibe hier neben Ihnen stehen, und die Leute werden an Ihnen vorbeidefilieren. All unsere Freunde sind begierig, Sie kennenzulernen, Marquis, ich meine Sebastian. Heute sind Sie die wichtigste Persönlichkeit in ganz New York.“

„Ich danke Ihnen, Mrs. Clay“, sagte er reserviert.

Als er sich jetzt ihr zuwandte, mußte Virginia endlich die Augen zu ihm erheben. Sie sah in ein schönes Gesicht, das statt des erwarteten Abscheus eine fast zynische Gleichgültigkeit zeigte.

„Auf deine Gesundheit, Virginia“, hörte sie ihn sagen.

Als sie zu einer Antwort ansetzte, drehte sich plötzlich der ganze Raum im Kreis, der Kuchen kam auf sie zu und schien sich im Fallen in ein Meer von Gold zu verwandeln, das sie unter sich begrub. Jemand schrie laut auf. Dann verlor Virginia das Bewußtsein.

Lautes Vogelgezwitscher weckte Virginia. Mühsam öffnete sie die Augen und sah über sich den strahlendblauen Himmel.

Da schob sich ein Gesicht dazwischen, und eine sanfte Stimme sagte freudig erregt: „Endlich bist du aufgewacht, Virginia.“

Das Mädchen versuchte zu sprechen, brachte aber nur ein heiseres Flüstern heraus: „Wer sind Sie?“

„Ich bin deine Tante Ella May, erinnerst du dich nicht an mich?“

„Doch, jetzt erinnere ich mich“, sagte sie mit kaum vernehmbarer Stimme, schloß die Augen und schlief wieder ein.

Stunden später erwachte sie wieder. Sie lag auf einer Veranda, über deren Geländer sich blühende Zweige rankten. Eine Hand hob ihren Kopf und eine andere hielt ihr ein Glas an die Lippen.

„Trink das, Virginia, es wird dir gut tun“, hörte sie die Stimme ihrer Tante sagen.

Nach wenigen Schlucken wurde ihr das Glas weggenommen.

„Wo bin ich?“ fragte sie.

„In meinem Haus auf dem Lande“, erwiderte die Tante.

„Ich erinnere mich jetzt wieder an dich“, stammelte Virginia. „Bist du nicht Krankenschwester? Warum bin ich bei dir? War ich krank?“

„Ja, mein Liebes, sehr krank sogar.“

„Was hat mir denn gefehlt?“

„Darüber wollen wir uns jetzt nicht unterhalten“, sagte die Tante. „Das strengt dich zu sehr an. Bleib ganz ruhig liegen, später bekommst du noch etwas zu trinken.“

„Wie lange bin ich denn schon hier?“ fragte Virginia.

„Ziemlich lange Zeit.“

Virginia dachte nach.