Geliebt und Glücklich

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Geliebt und Glücklich

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2018

Copyright Cartland Promotions 1985

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

1 ~ 1803

»Sind Sie auch ganz sicher, daß es so geht, Miss Gilda?«

»Aber natürlich, Mrs. Hewlett. Machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen, und ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Hochzeit!«

»Den hab ich bestimmt, Miss. Ist wirklich ’n Glück für unsere Emily, wenn man bedenkt, wie lang sie jetzt schon Mauerblümchen war. Und dann kommt dieser Farmer und ist obendrein auch noch n’ netter Kerl.«

Gilda lächelte verständnisvoll. Sie wußte, Mrs. Hewlett hatte befürchtet, sie würde für ihre Nichte sorgen müssen. Jetzt war sie dankbar, sowohl um ihrer selbst als auch um Emilys willen, daß der »nette Farmer« bereit war, sie zu heiraten.

Mrs. Hewlett gehörte zu den Leuten, die sich stets um das Wohl ihrer Mitmenschen sorgten, und Gilda dachte oft, daß diese Frau der einzige Mensch war, der sich wirklich dafür interessierte, was aus ihr wurde, nachdem sie seit dem Tod ihres Vaters ganz allein war.

»Lassen Sie den Abwasch steh’n, bis ich Montag wiederkomm’«, erklärte Mrs. Hewlett jetzt. »Ruh’n Sie sich lieber aus.«

Das war etwas, was Gilda schon seit langem tat, und das bißchen Geschirr, das sie für ihre spärlichen Mahlzeiten benötigte, war nicht der Rede wert, selbst wenn sie es für Mrs. Hewlett stehen ließ.

Aber es wäre sinnlos gewesen zu widersprechen. Mrs. Hewlett würde sich nur Sorgen um sie machen, während sie fort war, um im Nachbardorf an Emilys Hochzeit teilzunehmen.

Nachdem sich Mrs. Hewlett trotz des warmen Tages in ihren dicken Mantel gequält hatte, nahm sie den Korb, den sie immer bei sich trug, gleichgültig, ob etwas darin war oder nicht, warf einen letzten Blick in die Küche und schob den Riegel an der Tür zurück.

»Also, passen Sie gut auf sich auf, Miss«, meinte sie, »und ich komm dann Montag nachmittag wieder, wenn die Kutsche pünktlich is’, was aber meistens nicht der Fall is.«

Als endlich die Tür hinter ihr ins Schloß gefallen war, seufzte Gilda leise und verließ ebenfalls die Küche. Sie durchquerte den Korridor und gelangte so zur Vorderseite des Hauses.

Es war nur ein kurzer Weg, denn das kleine Manor, in dem sie seit ihrer Geburt immer gelebt hatte, war früher einmal gerade groß genug für sie, ihren Vater, ihre Mutter und ihre Schwester gewesen.

Jetzt erschien es ihr für eine einzelne Person viel zu groß, und sie überlegte, wie schon so oft seit dem Tod ihres Vaters, ob sie nicht das Haus verkaufen und in ein kleineres ziehen sollte.

Es wäre sicher das Vernünftigste. Aber sie konnte es einfach nicht übers Herz bringen, sich von den Möbeln zu trennen - so schäbig sie auch waren - die sie ihr Leben lang gekannt hatte, die ein Teil ihrer selbst zu sein schienen und das einzige waren, was ihr noch geblieben war.

Der Schreibtisch ihres Vaters, der Arbeitstisch ihrer Mutter mit den Einlegearbeiten, der Bücherschrank im Chippendale-Stil, all diese Dinge waren für Gilda wie gute Freunde, und sie hatte das Gefühl, sich ohne sie noch einsamer zu fühlen, als sie es ohnehin schon war.

Andererseits mußte sie den Tatsachen ins Auge sehen. Sie hatte so wenig Geld, daß es kaum für ihren Lebensunterhalt reichte, es sei denn, sie versuchte, ihr winziges Einkommen auf irgendeine Art aufzubessern.

Die Pension ihres Vaters war mit seinem Tode erloschen.

Er hatte bei den Grenadieren gedient, und zu seinen Lebzeiten hatte seine Pension als ehemaliger Generalmajor ihnen ein verhältnismäßig komfortables Leben ermöglicht, oder hätte es zumindest getan, wenn ihr Vater auf seine alten Tage nicht darauf verfallen wäre, sein Geld in Aktien anzulegen.

Gilda konnte die Erregung verstehen, und die Spannung, die damit verbunden war. Doch der General mochte vielleicht ein sehr erfahrener Soldat gewesen sein, aber über Finanzen wußte er gar nichts.

So kam es, daß die Gesellschaften, denen er sein Geld anvertraute, entweder Bankrott machten oder so winzige Dividenden auszahlten, daß sie kaum das Papier wert waren, auf dem sie ausgestellt wurden.

Alles, was Gilda jetzt noch besaß, war ein kleines Sparguthaben, das ihre Mutter mit in die Ehe gebracht hatte. Die Zinsen daraus waren den Kindern aus dieser Ehe hinterlassen worden. Gilda hatte sich schon oft gefragt, was geschehen wäre, wenn ihre Schwester ihren Anteil für sich beansprucht hätte.

Nachdem Heloise es vorgezogen hatte, in London bei ihrer reichen Patentante zu leben, zeigte sie kaum noch Interesse an ihren armen Verwandten, und Gilda hatte manchmal das Gefühl, sie schämte sich ihrer.

Jetzt setzte sich Gilda an den Schreibtisch ihres Vaters und öffnete ein Notizbuch, in dem sie stets all ihre Ausgaben eintrug.

Obwohl sie versuchte, an Essen, Kleidung und sämtlichen persönlichen Ausgaben zu sparen, war der Betrag bereits zu einer beängstigend hohen Summe angewachsen.

Eine Sparmaßnahme, die sie bereits in Erwägung gezogen hatte, war die Entlassung von Mrs. Hewlett. Aber als sie das der Haushälterin angedeutet hatte, war Mrs. Hewlett entsetzt gewesen, ja, fast schon beleidigt, und hatte sich sogar erboten, umsonst zu arbeiten.

»Ich komm’ jetzt fast zehn Jahre hierher«, hatte sie gesagt, »und wenn Sie glauben, Sie kämen jetzt ohne mich aus, Miss Gilda, dann irren Sie sich gewaltig. Außerdem würde sich Ihre arme Mutter im Grab umdreh’n, jawoll!«

Mrs. Hewlett hatte so empfindlich reagiert, daß Gilda ihren Plan schnell wieder verwarf. Außerdem mußte sie sich eingestehen, daß sie ohne Mrs. Hewlett und ihrer ständig guten Laune wirklich sehr einsam gewesen wäre.

Sie hätte dann tatsächlich niemanden mehr, um sich zu unterhalten, außer den Vikar, der zunehmend schwerhöriger wurde, und den alten Gärtner Gibbs.

Dieser arbeitete zwar schon lange nicht mehr, kam aber immer noch, weil es ihm Spaß machte, an dem Ort herumzupuzzeln, an dem er so viele Jahre tätig gewesen war. Auch konnte er es nicht ertragen, seine Arbeit unter Unkraut und Dornengestrüpp ersticken zu sehen.

Gilda rechnete zum wiederholten Male die Gesamtsumme ihrer Ausgaben nach, doch es gab keinen Zweifel, der Betrag stimmte.

»Was kann ich nur tun?« überlegte sie verzweifelt.

Sie dachte nach, ob sie irgendein Talent vorzuweisen hatte, das ihr vielleicht etwas Geld einbringen könnte.

Gilda war, verglichen mit vielen anderen jungen Frauen ihres Alters, sehr gebildet. Ihre Mutter - sie stammte aus einer Familie, die seit vielen Generationen angesehene Stellungen im Lande innehatten - hatte dafür gesorgt.

Die Tatsache jedoch, daß ihr Großvater und all dessen Vorfahren Polizisten, Richter und sogar Vertreter der Krone gewesen waren, trug nicht dazu bei, ihr eigenes Wissen und Können unter Beweis zu stellen.

Auch ihr Vater war ein intelligenter Mann gewesen.

Seine Zeitgenossen, die ihn oft besuchten, erzählten Gilda, kein General wäre geschickter gewesen, wenn es darum ging, das Beste aus einer Truppe herauszuholen, und niemand erkannte die Taktik in einer Schlacht so schnell wie er.

»Man konnte sich immer auf ihren Vater verlassen, wenn es darum ging, dem Feind größtmögliche Verluste mit einem Minimum an eigenen Verlusten beizubringen«, hatte einer seiner Mitoffiziere einmal zu Gilda gesagt.

Sie hatte begriffen, daß das ein hohes Lob war, aber es löste ihr eigenes Problem jetzt nicht.

»Ich muß irgendetwas tun. . . ich muß!!«

Sie stand auf und trat ans Fenster.

Das Manor stand abseits der kleinen Landstraße, fast eine Meile vom Dorf entfernt. Eine kurze Auffahrt führte zu einem Tor, das dringend repariert werden mußte. Der Kiesweg vor dem Haus war von Unkraut überwuchert.

Gilda jedoch sah nur die Narzissen unter den alten Bäumen, den weißen und violetten Flieder, der gerade zu blühen begann, und die ersten Knospen an den Mandelbäumchen, die in der nächsten Woche in voller Blüte stehen würden.

»Wenn ich doch nur malen könnte«, dachte sie. »Dann würde ich ein Bild malen, das jeder kaufen wollte.«

Doch selbst dann würde sie sich weder die Leinwand noch die Farben leisten können. Der einzige Mensch, der also das Wunder des Frühlings hier genießen konnte, war sie selbst.

Die Sonne schien sie zu rufen. Gilda fand, die Buchführung könnte warten, denn es war jetzt weit sinnvoller, das gute Wetter zu nutzen und in den Garten zu gehen.

Es gab dort eine Menge für sie zu tun, nicht nur bei den Blumen und Sträuchern, sondern auch im Küchengarten. Sie mußte unbedingt das Unkraut jäten und neues Gemüse pflanzen, sonst würde sie im Laufe des Jahres nichts ernten können.

Außerdem wollte sie sich den weißen Flieder genauer ansehen, den ihre Mutter immer so geliebt hatte. Wenn sie einen Strauß davon auf eine Kommode in die Halle stellte, würde bald das ganze Haus danach duften.

Auf ihren Lippen lag ein Lächeln, als sie sich vom Fenster abwenden wollte. Doch dann fiel ihr Blick auf die Auffahrt, und sie blieb reglos stehen.

Zu ihrem Erstaunen sah sie ein Gespann edler Pferde durch das Tor traben.

Der Kutscher, der sie lenkte, trug einen hohen Hut, und - unglaublich - neben ihm saß doch tatsächlich noch ein Lakai!

Niemand aus der Grafschaft, der so bedeutend war, daß er einen Lakaien auf der Kutsche mitfahren ließ, würde sie besuchen. Als die Pferde näher kamen, war sich Gilda klar, daß es sich um ein Versehen handeln mußte. Wer immer da kam, hatte sich im Haus geirrt.

 

Bald konnte sie erkennen, daß die Pferde eine sehr elegante Reisekutsche zogen, auf deren Tür ein Wappen prangte.

»Das muß ein Irrtum sein«, murmelte Gilda vor sich hin. »Ich muß es ihnen sagen.«

Als die Kutsche vor der Haustür hielt, eilte sie aus dem Wohnzimmer, und strich sich dabei rasch übers Haar, während sie sich ihres alten Baumwollkleides bewußt wurde. Es war schon so häufig gewaschen, daß es zu kurz und zu eng geworden war. Außerdem war die Farbe verblichen.

Aber das zählte jetzt nicht, denn der Besuch galt ja ohnehin nicht ihr. Und als der Türklopfer laut betätigt wurde, öffnete sie eilig, mehr neugierig als verlegen.

Ein Lakai in einer prachtvollen Livree, an der Silberknöpfe mit Wappen prangten, stand draußen.

Er nahm sich jedoch nicht die Zeit zu fragen, wessen Haus das war, sondern drehte sich um, um den Wagenschlag zu öffnen.

Gilda stieß einen leisen Schrei der Überraschung aus. Aus der Kutsche stieg eine Vision in blauem Seidentaft mit lieblichem Gesicht, das von einer Kappe umrahmt wurde, die eine Straußenfeder in derselben Farbe zierte.

»Louise!« rief Gilda aus, verbesserte sich dann aber hastig: »Heloise!«

Nachdem sie nach London gezogen war, hatte ihre Schwester ihren Namen geändert. Sie hielt Heloise für außergewöhnlicher und aristokratischer und hatte ihrem Vater geschrieben, daß sie in Zukunft als Heloise angesprochen werden wollte.

»Ich freue mich, dich zu sehen!« begrüßte Gilda sie. »Wieso hast du mir nicht Bescheid gegeben, daß du kommen würdest?«

Heloise beugte sich vor, damit Gilda sie auf die Wange küssen konnte.

»Ich wußte es selbst bis zum letzten Augenblick nicht.« sie wandte sich an den Diener. »Bringen Sie meine Truhe hinauf, James«, befahl sie in autoritärem Ton, »und kommen Sie am frühen Montagvormittag hierher zurück. Sie dürfen nicht zu spät kommen. Ist das klar?«

»Ich habe verstanden, Miss.«

Er schickte sich an, die Seile zu lösen, mit denen die Truhe hinten auf der Kutsche festgezurrt war.

Ehe Gilda ihm noch sagen konnte, in welches Zimmer er sie tragen sollte, erklärte Heloise: »Da Mamas Zimmer das Beste ist, wünsche ich dort zu schlafen. Sag Bescheid, daß ihm jemand den Weg zeigt.«

»Ja, natürlich. Aber Mrs. Hewlett ist heute nicht da.«

»Dann mußt du es ihm selbst zeigen«, bestimmte Heloise. »Und sorg dafür, daß er die Riemen löst und den Deckel öffnet, ehe er geht.«

»Das tue ich«, willigte Gilda ein.

Heloise ging ins Wohnzimmer, und Gilda wartete in der Halle, bis James die Truhe ihrer Schwester hereinschleppte.

Dann ging sie vor ihm die Treppe hinauf und öffnete die Tür des Zimmers, das ihre Mutter immer benutzt hatte und das seit dem Tod ihres Vaters verschlossen geblieben war.

Hastig zog Gilda die Vorhänge zurück und öffnete die Fenster.

Das Zimmer war sauber, da Mrs. Hewlett regelmäßig jeden Raum im Haus putzte, ob er nun benutzt wurde oder nicht.

Das Bett war mit einem groben Leintuch abgedeckt, das Gilda jetzt zurückschlug, während der Diener die Truhe neben der Tür auf den Boden stellte.

»Geht das hier in Ordnung, Miss?« fragte er.

»Ja, danke«, antwortete Gilda.

Wenn es Heloise so nicht gefiel, würde sie die Truhe eben an einen anderen Platz schieben.

Sie bemerkte, wie sich der Diener mit einem leicht verächtlichen Gesichtsausdruck im Zimmer umsah, als hätte er gleich erkannt, wie schäbig und abgenutzt alles war, und würde es mit dem Haus vergleichen, in dem er angestellt war.

Doch dann grinste er Gilda ganz unerwartet an und meinte: »Schön, aufm Land zu sein, Miss. Ich bin selbst auf ’ner Farm aufgewachsen, und ich vermiß das oft.«

»Das glaube ich gerne. London muß im Sommer sehr heiß und staubig sein.«

»Das kann man wohl sagen. Und im Winter isses dann neblig. Tag auch, Miss.«

Er grinste ihr noch einmal zu, ehe sie ihn die Treppe hinunterlaufen hörte. Da sie glaubte, Heloise bräuchte sie, folgte sie ihm eilig.

Als sie in der Halle ankam, fuhr die Kutsche bereits wieder ab. Mit einem etwas besorgten Ausdruck in den blauen Augen lief sie ins Wohnzimmer hinüber.

»Ich freue mich so . . . dich zu sehen, Liebes«, sagte sie. »Aber warum bist du hier?«

Ihre Schwester hatte die Kappe abgenommen, und Gilda sah, daß sie ein blaues Haarband trug und die goldenen Locken sich über der ovalen Stirn kräuselten.

Die Frisur war ebenso hübsch wie das Gesicht. Auch das Kleid aus weißem Musselin mit der hohen Taille und den blauen Bändern, die über der Brust gekreuzt wurden und über den Rücken hinabhingen, war sehr elegant.

»Du siehst reizend aus . . . einfach reizend!« rief Gilda impulsiv, und Heloise lächelte über das Kompliment.

»Ich freue mich, daß du so denkst. Der Grund, warum ich hier bin, ist einfach der, daß ich jemanden dazu bringen will, mir genau das zu sagen, was du eben gesagt hast.«

Gilda schien verwirrt, und Heloise fuhr fort: »Ich bin fortgelaufen - verschwunden - aber die Frage ist, wird er sich nun Gedanken machen, was mit mir geschehen ist, oder nicht?«

Heloise saß auf dem Sofa, und Gilda nahm auf der Kante des Sessels Platz, der gegenüber stand.

»Du sprichst in Rätseln«, meinte sie. »Erklär es mir ... sag mir genau, was passiert ist.«

Heloise lachte leise.

»Das ist doch ganz einfach: Irgendwie muß ich es schaffen, einen gewissen Herrn dazu zu bringen, sich zu stellen. Und das war das einzige, was mir eingefallen ist, und was wenigstens noch ein bißchen originell war.«

»Oh, Heloise, wie aufregend! Und was glaubst du, was dieser Herr tun wird, wenn er herausfindet, daß du fort bist?«

»Das ist eben die Frage. Er wollte heute nachmittag mit mir nach Ranelagh fahren. Und heute abend hätte ich in seinem Haus an einer Dinner-Party teilnehmen sollen. Nun werden sich unzählige Leute erkundigen, warum ich nicht anwesend bin.«

»Hast du ihm gesagt, daß du hier bist?« fragte Gilda.

»Nein, natürlich nicht! Wie kannst du nur so dumm sein? Ich habe mich einfach in Luft aufgelöst.«

»Ach, Heloise, ich finde das wirklich sehr mutig von dir! Aber wird deine Patentante ihm nicht erzählen, wohin du gefahren bist?«

»Ich bin nicht das Risiko eingegangen, daß er ihr meine Adresse abschmeicheln könnte«, erwiderte Heloise. »Ich habe ihr eine Nachricht hinterlassen, die mein Mädchen ihr vorgelesen haben wird, als es heute morgen gerufen wurde.«

Gilda sah sie verständnislos an, und Heloise erklärte: »Ach, ich habe ganz vergessen, dir das zu erzählen. Ihre Ladyschaft hat etwas mit den Augen und ist jetzt blind.«

»Blind! Wie schrecklich! Was ist denn das für eine Krankheit?«

»Die Ärzte, ohnehin alles nur Dummköpfe, glauben, daß es nur vorübergehend ist«, erwiderte Heloise ungeduldig. »Aber ihre Augen sind bandagiert, und deshalb muß man ihr alles vorlesen. Normalerweise ist das meine Aufgabe, und eine sehr langweilige dazu, das kann ich dir sagen.«

»Das tut mir so leid für sie.«

»Spar dein Mitleid lieber für mich auf, weil ich es brauchen kann«, meinte Heloise. »Ach, Gilda, wenn mein verzweifeltes Spiel nicht aufgeht, hänge ich schön in der Luft.«

»Liebst du . . . diesen Herrn ... so sehr?«

»Lieben?« wiederholte Heloise. »Damit hat das nun wirklich nichts zu tun! Aber mein größter Wunsch ist es, die Marchioness of Staverton zu werden.«

»Ist das der Name des Herrn, vor dem du dich versteckst?«

»Ja, natürlich. Stell dich doch nicht so dumm an, Gilda! Versuch zu verstehen, was hier passiert. Auf seine Art macht er mir seit über einem Monat den Hof. Ich habe gewartet und war bis vor zwei Wochen ganz sicher, daß er mir seinen Antrag machen wollte, aber . . .«

»Was ist dann geschehen?« unterbrach Gilda.

»Er hat mir Komplimente gemacht - er hat mir Blumen geschickt - er ist mit mir ausgefahren - er hat Gesellschaften mir zu Ehren gegeben.«

Sie machte eine kleine Pause, ehe sie eindrucksvoll fortfuhr: »Zweimal hat er mich sogar aufgefordert, mit ihm zu tanzen! Du hast ja keine Ahnung, welche Ehre das ist! Er haßt es zu tanzen, und ich dachte damals, daß ich ihn endlich an der Angel hätte - aber nein, die Worte, die ich hören wollte, sind ihm nie über die Lippen gekommen.«

Gilda faltete die Hände.

»Ach, Heloise, ich kann mir vorstellen, wie frustrierend das für dich sein muß.«

»Sehr, sehr frustrierend! Ich habe Dutzende von Bewunderern, wirklich, Dutzende, aber keiner von ihnen reicht an den Marquis heran.«

»Erzähl mir von ihm.«

Heloise seufzte.

»Er ist einer der reichsten Männer der Beau Monde. Ein enger Freund des Prinzen von Wales. Er ist ein Beau, aber er mag es nicht, wenn man das sagt. Und sein Besitz - ach, Gilda, ich kann es nicht beschreiben!«

»Warum ist er noch nicht verheiratet?«

»Gute Frage. Alle Mädchen in London liegen ihm zu Füßen, oder, wenn sie verheiratet sind, in seinen Armen!«

Gilda sah sie schockiert an, und Heloise lachte, aber es lag kein Humor in diesem Ton.

»Er ist nicht so dumm, ein unverheiratetes Mädchen anzurühren, sonst würde deren Vater ihn schon bald in die Kirche treiben!«

Heloises Stimme klang scharf und, wie Gilda fand, irgendwie kalt.

»Ich nehme an«, meinte sie dann ein wenig zögernd, »der Marquis hat darauf gewartet, sich . . . ernsthaft zu verlieben . . . und das ist dann . . . wohl bei dir geschehen.«

»Das dachte ich auch, als wir uns zum ersten Mal gesehen haben. Aber es dauert lange, bis er das sagt, zu lange für meinen Geschmack.«

»Und du glaubst, jetzt, wo du verschwunden bist, wird er begreifen, wieviel du ihm bedeutest?«

»Deshalb bin ich hierhergekommen. Verdammt noch mal, er muß es tun!«

Gilda zuckte zusammen.

Sie erschrak, als sie ihre Schwester so fluchen hörte.

Doch sie war klug genug, sich nicht dazu zu äußern. Und so meinte sie nach einer Weile nur:

»Heloise, entschuldige bitte, aber ich habe dich noch gar nicht gefragt, ob du nach der langen Fahrt eine Erfrischung möchtest.«

»Jetzt, wo du es sagst - ich bin wirklich durstig. Gibt es hier irgendwelchen Wein?«

»Vielleicht ist noch eine Flasche Claret im Keller. Ich habe nie nachgeschaut, seit Papa tot ist.«

»Das dachte ich mir! Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, daß du etwas anderes trinkst als Milch oder Wasser.«

Das klang nicht gerade wie ein Kompliment, und Gilda meinte: »Ich habe Tee, wenn du welchen möchtest.«

»Ich werde wohl keine andere Wahl haben. Aber es muß schon fast Mittagszeit sein. Hast du wenigstens was Anständiges zu essen?«

Gilda dachte nach.

»Eier. Ich könnte dir ein Omelett machen, und dann habe ich noch etwas Schinken. Mrs. Hewlett hat ihn gebracht. Ihr Sohn hat eine Farm und hat ihn selbst geräuchert.«

Heloise rümpfte die Nase.

»Das klingt nicht sehr verlockend. Besser, du machst mir nur ein Omelett. Eine Hungerkur ist wenigstens gut für meine Figur, wenn sie schon sonst zu nichts taugt.«

Gilda erwiderte nichts darauf. Stattdessen hob sie das blaue Seidencape auf, das Heloise in einen Sessel geworfen hatte, und trug es in die Halle.

Sie hängte es in den geschnitzten Eichenschrank, der zwei Mäntel ihres Vaters und einen ziemlich abgetragenen von ihr selbst enthielt, den sie im Garten trug, wenn es kalt war.

Als sie Heloises Cape daneben hängte, bemerkte sie den Duft, den es verströmte. Bestimmt hatte Heloise ihr Parfüm in Paris gekauft!

Anschließend eilte sie in die Küche, um das Omelett zuzubereiten.

Es dauerte eine Weile, bis sie das Feuer im Herd aufgeschichtet hatte, das am Erlöschen war, bis das Teewasser kochte und sie die Bratpfanne für das Omelett erhitzen konnte. In der Speisekammer waren noch drei Eier, die sie in eine Schüssel schlug. Dabei überlegte sie, daß sie noch zur Farm gehen und mehr Eier für Heloises Abendessen und ihr Frühstück am nächsten Morgen besorgen mußte.

Da kam Heloise in die Küche.

Sie sah so reizend aus, daß Gilda sie einen Moment lang nur anstarren konnte. Mit ihrem modisch frisierten goldenen Haar und den blauen Augen glich sie einer Frühlingsgöttin.

»Sieht alles noch genau wie früher aus«, meinte Heloise geringschätzig. »Ich hatte ganz vergessen, wie klein und schäbig das Haus ist. Ich begreife nicht, wie du es hier aushalten kannst, Gilda.«

»Ich hatte keine Wahl«, antwortete Gilda. »Ehrlich gesagt, ich habe mich schon gefragt, was ich machen soll, denn eigentlich kann ich mir nicht einmal leisten, hier zu wohnen.«

 

Sie sah, wie die Schwester bei ihren Worten erstarrte und bemerkte instinktiv deren Befürchtung, sie könnte sie um Geld bitten.

»Was hat Papa dir hinterlassen?« fragte Heloise nach einer Weile.

»Seine Pension ist mit seinem Tod erloschen. Wenn Mama noch leben würde, hätte sie natürlich Anspruch auf eine Witwenrente gehabt, aber für Kinder wird nicht gesorgt.«

»Ich nehme an, wenn es sich um Jungen handelt, wird erwartet, daß sie sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, aber bei Mädchen rechnet man damit, daß sie heiraten«, sagte Heloise. »Nun, das wirst du dann wohl tun müssen.«

Gilda lachte.

»Es wäre schön, wenn es da eine Gelegenheit gäbe! Aber der einzige unverheiratete Mann im Dorf ist der Vikar, und der ist über siebzig.«

»Wenn du ihn heiraten würdest, hättest du wenigstens etwas Geld!« bemerkte Heloise.

Gilda lachte wieder, aber sie hatte das ungute Gefühl, daß Heloise nicht zum Scherzen aufgelegt war.

Ihre Schwester setzte sich auf einen Küchenstuhl und betrachtete sie prüfend.

»Weißt du, Gilda«, meinte sie nach einer Weile, »wir sind uns nicht unähnlich. Wenn du dir ein bißchen mehr Mühe mit dir selbst geben würdest, könntest du leicht einen Landedelmann auf dich aufmerksam machen. Aber das Kleid, das du da anhast, ist eine Schande!«

»Ich weiß, aber das letzte, was ich mir kaufen kann, sind Kleider. Und was nützt es mir, elegant gekleidet zu sein, wenn ich dafür verhungern müßte?«

»Steht es wirklich so schlimm?«

»Schlimmer.«

Heloise seufzte.

»Ich hätte ein paar von den Kleidern mitbringen können, die ich nicht mehr brauche. Etwas Gutes hat Ihre Ladyschaft nämlich, auch wenn es schrecklich langweilig ist, mit ihr zu leben. Sie ist sehr großzügig, wenn es darum geht, daß ich so gut wie möglich aussehe.«

»Sie ist aber doch bestimmt sehr, sehr nett zu dir gewesen? Immerhin hat sie doch vorgeschlagen, daß du nach Mamas Tod bei ihr wohnen solltest.«

Einen Augenblick lang herrschte Stille.

Schließlich gestand Heloise: »Offen gesagt, es war meine Idee!«

Gilda ließ die Gabel fallen, die sie in der Hand gehalten hatte.

»Deine Idee?« rief sie aus. »Willst du damit sagen . . . heißt das, daß du tatsächlich . . .«

»Ich habe ihr damals geschrieben«, unterbrach Heloise. »Sie ist meine Patentante, und mir war klar, daß ich ebenso gut lebendig begraben werden konnte, wenn ich weiterhin in diesem Loch wohnen würde.«

»Aber . . . wie konntest du nur ... so dreist sein?«

»Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!« zitierte Heloise. »Ich habe ihr einen mitleidheischenden Brief geschrieben, der selbst einer steinernen Statue die Tränen in die Augen getrieben hätte, und habe ihr erklärt, wie sehr ich Mama vermißte, wie arm ich sei, und daß Papa mich nicht bei sich haben wollte.«

»Oh, Heloise, wie konntest du nur solche Lügen erzählen? Du weißt, daß Papa dich angebetet hat. Schließlich warst du seine Erstgeborene, und Mama hat immer erzählt, der schönste Augenblick ihres Ehelebens wäre der Moment gewesen, als du geboren wurdest. Sie hielten dich als ein Geschenk Gottes.«

»Nun, da Gott nicht sehr großzügig war, wenn es um die Dinge ging, die ich haben wollte, mußte ich die Sache eben selbst in die Hand nehmen«, erwiderte Heloise.

»Was das angeht, bist du gewiß sehr erfolgreich gewesen.«

»War schlau von mir, nicht wahr? Tatsächlich findet es meine Patentante sehr schön, mich bei sich zu haben. Sie mußte selbst zugeben, daß jetzt, nachdem ich ein solcher Erfolg in London bin, viel interessantere und vornehmere Leute in ihr Haus kommen, als wenn ich nicht da wäre.«

»Aber trotzdem ist es sehr nett von ihr, daß sie dir die schönen Kleider schenkt und es dir ermöglicht, auf Bälle und Gesellschaften zu gehen. Früher hast du mir immer geschrieben und davon erzählt.«

»Ich habe jetzt keine Zeit mehr zum Schreiben«, verteidigte sich Heloise schnell. »Es gibt keinen Augenblick, in dem ich nicht eingeladen bin, gefeiert und von attraktiven Männern umworben werde.«

»Das überrascht mich kein bißchen«, gab Gilda zu. »Du warst schon immer schön, aber nie so schön wie jetzt.«

Die Ernsthaftigkeit ihrer Stimme war rührend, und Heloise schwelgte ein wenig in ihrem Stolz, ehe sie sagte: »Du hast recht, Gilda. Ich sehe wirklich so gut aus wie nie, aber manchmal macht es mich müde, jeden Abend einen Ball zu besuchen und dann auch noch tagsüber etliche Verpflichtungen zu haben.«

»Aber wie schaffst du das, wenn Ihre Ladyschaft blind ist und dich nicht begleiten kann?«

»Ich schreibe ihren Freundinnen und bitte sie, mich als Anstandsdame zu begleiten. Aber häufiger ist es jetzt so, daß die Einladungen zu den großen Abendgesellschaften und Bällen von Leuten kommen, die von ihrer Krankheit wissen, und die deshalb meinen, sich um mich kümmern zu müssen.«

»Es muß sehr aufregend für dich sein, solchen Erfolg zu haben.«

Eine Pause entstand, ehe Heloise in hartem Ton erklärte: »Das ist meine dritte Saison und ich muß heiraten! Keine Schönheit, so sehr sie auch gepriesen wird, hält ewig, und ich habe die Absicht, vom Marquis geheiratet zu werden.«

Sie betonte dieses Wort so, daß es ausgesprochen aggressiv klang, und Gilda meinte schüchtern: »Und wenn er es nicht tut?«

»Ich habe eine Alternative, aber die ist auch nicht annähernd so reizvoll.«

»Und wer ist das?«

»Niemand von großer Wichtigkeit, aber er ist außerordentlich reich. Trotzdem weigere ich mich, ihn in Betracht zu ziehen. Ich kann mich künftig nur als Marchioness of Staverton sehen, und das will ich auch werden!«

Wieder sprach sie in einem Ton, der Gilda besorgte Blicke entlockte.

Sie fand, daß die Art und Weise, in der Heloise sprach, überhaupt nicht zu ihrem reizenden Äußeren paßte. Ihre Stimme schien durch den Raum zu vibrieren und den Sonnenschein zu zerstören, der durchs Fenster fiel.

Gilda hatte die Eier geschlagen und fragte jetzt: »Ich nehme an, du möchtest im Eßzimmer essen?«

Sie nahm ein Tablett von einem der Regale.

»Natürlich. Ich bin zwar sicher, daß du in der Küche ißt, wenn du allein bist, aber dazu werde ich mich nicht herablassen!«

»Nein . . . natürlich nicht«, gab Gilda in ihrer bescheidenen Art zu. »Geh nur schon ins Eßzimmer, Heloise. Es dauert nicht mehr lange, bis alles für dich fertig ist.«

Sie legte das Besteck aufs Tablett, stellte einen Teller vor den Ofen, um ihn anzuwärmen, und bereitete das Omelett zu.

Sie wußte, die Mahlzeit würde nicht für zwei Personen ausreichen. So beschloß sie, selbst etwas von dem Schinken zu essen, um Heloise bei Tisch Gesellschaft zu leisten.

Doch sie bezweifelte, ob ihre Schwester überhaupt bemerkte, wenn sie auch etwas aß.

Als Heloise noch zu Hause gewohnt hatte, war Gilda oftmals der Gedanke gekommen, daß sich die Schwester für niemanden als für sich selbst interessierte.

»Das ist verständlich, wo sie doch so schön ist«, hatte Gilda die Selbstsüchtigkeit ihrer Schwester damals entschuldigt, und jetzt dachte sie dasselbe.

Sie ließ das Omelett, goldbraun gebacken, geschickt auf den warmen Teller gleiten. Ob Heloise wohl glücklich sein würde, wenn ihr Wunsch in Erfüllung ging und der Marquis sie heiratete?

Für manche Menschen bedeutete Glück, Reichtum und eine führende Position in der Gesellschaft zu besitzen, dachte Gilda. Doch dies wäre niemals mein Wunsch!

Wenn ich heirate, dann nur den Mann, der mich liebt und den ich liebe, und wir werden zufrieden sein, weil wir zusammen sein können, gleichgültig, ob unser Heim groß ist oder klein und ärmlich wie dieses.

Sie erinnerte sich, wie glücklich ihre Mutter gewesen war, wenn ihr Vater nicht mit seinem Regiment unterwegs war, und auch nachdem er pensioniert worden war.

Der General war viel älter gewesen als seine Frau, und sie hatten erst Kinder bekommen, nachdem sie schon einige Jahre verheiratet gewesen waren. Gilda konnte sich nur vage an die Zeit erinnern, als sie ihrem Vater nach Salisbury Plain und in andere Armee-Stützpunkte gefolgt waren. Einmal war er für zwei Jahre ins Ausland gegangen, und als er zurückkehrte, war ihre Mutter so glücklich gewesen, daß es Gilda, die damals noch ein kleines Mädchen war, vorkam, als wäre jeder Tag ein Festtag.